William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Eine kleine Unschuld

Hör mal, Strong,« sagte eines Tages der Baron, als die beiden sich nach Tische beim Billard und jener großen Busenerschließerin, einer Zigarre, miteinander unterhielten, »hör mal, Strong, ich wünschte, beim Teufel, deine Frau wäre tot.«

»Ich wünschte es auch. Donnerwetter, das wäre ein Fressen. Aber sie will nicht, sie wird ewig leben 429 – wirst sehen, ob sie nicht steinalt wird. Warum wünschst du denn aber, daß sie sich drücken soll, Frank, mein Junge?« fragte Kapitän Strong.

»Weil du dann das Fräulein heiraten könntest. Sie sieht nicht übel aus. Sie wird zehntausend mitkriegen, und das ist ein gutes Stück Geld für solch einen armen alten Teufel wie du,« sagte der andre Gentleman schleppend. »Und, bei Gott, Strong, ich hasse sie von Tag zu Tag mehr. Ich kann sie nicht verdauen, Strong, bei Gott, ich kann's nicht.«

»Ich würde sie nicht um zweimal soviel nehmen,« sagte Kapitän Strong lachend. »In meinem ganzen Leben sah ich keinen solchen kleinen Teufel wie sie.«

»Ich möchte sie vergiften,« sagte der pathetische Baron, »weiß Gott, das möchte ich.«

»Ei, was hat sie denn nun schon wieder gemacht?« fragte sein Freund.

»Nichts besonderes gerade,« antwortete Sir Francis, »nur ihre alten Mucken. Dieses Mädel hat solch eine Gabe, jedermann das Leben zuwider zu machen, daß es, ich will mich hängen lassen, ganz überraschend ist. Letzten Abend trieb sie es so weit, daß die Gouvernante heulend vom Tische weglief. Später, als ich an Franks Zimmer vorbeiging, hörte ich, wie der arme kleine Wicht im Dunkeln winselte und entdeckte, daß seine Schwester ihn mit Geschichten von dem Geiste, der im Hause umgeht, halbtot geängstigt hatte. Beim Frühstück bekam meine Frau Gemahlin dann ihr Teil ab, und obwohl meine Frau eine Närrin ist, ist sie doch eine gute Seele – ich lasse mich hängen, wenn das nicht wahr ist.« 430

»Was tat ihr denn das Fräulein?« fragte Strong.

»Ei, hol mich der Henker, wenn sie nicht von dem seligen Amory, meinem Vorgänger, an zu schwatzen fing,« sagte der Baron mit einem Grinsen. »Sie nahm irgendein Bild aus ihrem Taschenbuche heraus, und sagte, sie wäre sicher, es sähe ihrem teuren Vater ähnlich. Sie wollte gern wissen, wo ihres Vaters Grab wäre. Zum Henker mit ihrem Vater! Allemal wenn Fräulein Amory von ihm schwatzt, bricht Lady Clavering in ein lautes Geschrei aus, und der kleine Teufel will seiner Mutter zum Trotz grade von ihm reden. Heute, als sie damit anfing, geriet ich in eine höllische Wut, sagte, ich wäre ihr Vater, und – und dergleichen mehr, und da, Strong, da bekam sie Respekt vor mir.«

»Und was sagte sie über dich, Frank?« fragte Herr Strong, noch immer lachend, seinen Freund und Gönner.

»Mein Gott, sie sagte, ich wäre ihr Vater nicht. ich wäre nicht fähig, sie zu verstehen, ihr Vater müsse ein Mann von Genie und hohen Gefühlen gewesen sein und dergleichen mehr, während ich ihre Mutter bloß ihres Geldes wegen geheiratet hätte.«

»Nun, stimmt denn das nicht?« fragte Strong.

»Dadurch, daß es wahr ist, hört es sich nicht angenehmer an, siehst du das nicht ein?« antwortete Sir Francis Clavering. »Ich bin kein belesener Mann und dgl. mehr, aber ich bin auch kein solcher Narr, wie sie einen aus mir macht. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber sie richtet es immer so ein, daß – daß sie mich in den Sack steckt, begreifst du das nicht? Sie 431 kehrt im ganzen Hause das unterste zu oberst mit ihrer ruhigen Weise und ihrer verfluchten sentimentalen Miene. Ich wollte, sie wäre tot, Ned.«

»Eben wolltest du ja erst meine Frau tot wissen,« sagte Strong, immer noch in vollkommen guter Laune, worauf der Baronet mit seiner gewohnten Offenherzigkeit sagte: »Nun ja, wenn die Leute einen fortwährend ärgern, so wünsche ich allerdings, sie wären tot, und so wünschte ich auch von ganzem Herzen, daß das Fräulein im ersten besten Brunnen unten läge.«

Aus dieser eben mitgeteilten unverblümten Unterhaltung wird man erfahren, daß unsere talentvolle kleine Freundin einige Charaktereigentümlichkeiten oder Fehler hatte, die sie nicht sehr beliebt machten. Sie war eine junge Dame von einigem Geist, mit feinen Gefühlen und beträchtlicher literarischer Bildung, die, wie manch anderes Genie, mit Verwandten zusammenlebte, die sie nicht verstehen konnte. Weder ihre Mutter noch ihr Stiefvater waren Personen, die sich für die Literatur interessierten. »Bells Leben« und der »Wettrennkalender« waren die Bücher, auf die sich des Baronets Leselust beschränkte, und Lady Clavering schrieb noch jetzt eine Hand wie ein dreizehnjähriges Schulmädchen mit außerordentlicher Nichtbeachtung von Grammatik und Buchstabierkunst. Und da Fräulein Amory sehr deutlich merkte, daß ihre Verdienste nicht gebührend geschätzt wurden, und daß sie mit Personen zusammenlebte, die ihr an Verstand oder Unterhaltungsgabe nicht gleich kämen, so verlor sie keine Gelegenheit, wo sie den Kreis ihrer Familie nicht mit seiner Untergeordnetheit im Vergleich zu ihr selbst 432 bekannt gemacht hätte, so daß sie nicht nur eine Märtyrerin war, sondern auch Sorge trug, jedermann wissen zu lassen, daß sie es wäre. Wenn sie, wie sie sagte und meinte, schwer litt, können wir uns dann wundern, wenn ein junges Geschöpf von so zarter Empfindlichkeit auch viel weinte und schrie? Wenn eine Dichterin ihr Los nicht beseufzen darf, zu was in aller Welt ist dann ihre Leier da? Blanche schlug die ihre nur nach der traurigsten aller Melodien und sang Elegien von ihren toten Hoffnungen, Klagelieder über ihre frühzeitig vom Frost geknickten Blüten der Liebe, ganz, wie es sich für ein so melancholisches Geschick und solch eine Muse paßte.

Ihre wirklichen Schmerzen waren, wie wir gesagt haben, bis zu dieser Zeit nicht sehr groß gewesen, aber ihr Kummer lag, wie bei den meisten von uns, in ihrer eigenen Seele, indem diese traurig und stets unbefriedigt war; was Wunder, daß sie da weinte? So tröpfelten denn die »Tränen« alle Tage auf Kommando aus ihren Augen; sie konnte mit einer unbeschränkten Masse von Tränen aufwarten, und ihre Geschicklichkeit im Vergießen derselben wuchs durch die Praxis. Denn mit der Empfindsamkeit ist es wie mit einer anderen Krankheit, die Horaz erwähnt, die sich verschlimmert, wenn man sie sich selbst überläßt (es tut mir leid, meine Damen, sagen zu müssen, daß die fragliche Krankheit die Wassersucht genannt wird), und je mehr man weint und schreit, desto geschickter und williger wird man dazu.

Fräulein Blanche hatte schon in sehr frühem Alter sich in Tränen gebadet. Lamartine war ihr 433 Lieblingsbarde von der Periode an, wo sich zuerst ihr Empfinden regte, und in der Folge hatte sie ihren Geist durch ein eifriges Studium der Romane aller großen modernen Autoren der französischen Sprache gefördert. Da gab es nicht einen Roman von Balzac oder George Sand, den das unermüdliche kleine Geschöpf nicht mit sechzehn Jahren verschlungen hätte, und wenn sie auch mit ihren Verwandten zu Haus nur wenig sympathisierte, so hatte sie, wie sie es nannte, doch Freunde in der geistigen Welt, womit sie die zärtliche Indiana, die leidenschaftliche und poetische Lelia, den liebenswürdigen Trenmor, den Verbrecher mit der hohen Seele, jenen Engel der Galeeren, den feurigen Stenio und die anderen unzähligen Helden der französischen Romane meinte. Sie hatte sich in den Prinzen Rodolphe und den Prinzen Djalma verliebt, als sie noch in der Schule war, und hatte mit Indiana die Ehescheidungsfrage und die Frauenrechte festgestellt, ehe sie noch die Kinderschuhe ausgezogen hatte. Die stürmische kleine Dame spielte mit diesen Helden ihrer Einbildung Verlieben, wie sie noch kurz zuvor mit ihrer Puppe Mutter gespielt hatte. Liebe, kleine poetische Geister! es ist spaßhaft, sie mit solchen Spielsachen zu beobachten. Heut hat der Blauäugige den Vorzug und der Schwarzäugige wird hinter die Kommode geschoben. Morgen werden blaue Augen nicht mehr beachtet, und es mag ein häßlicher kleiner Kerl mit einer roten Nase oder einem Kopf voll wüster Haare und ohne ein einziges Auge sein, der in Fräuleins Herzchen die erste Stelle einnimmt, und den sie in ihren Armen hätschelt und streichelt. 434

Da man von Romanschreibern voraussetzt, daß sie alles wissen, sogar die Geheimnisse der weiblichen Herzen, die die Eigentümerinnen vielleicht selbst nicht kennen, so dürfen wir behaupten, daß Fräulein Betsi – so wurde Fräulein Amory damals genannt – im Alter von elf Jahren zärtliche Herzensregungen für einen jungen Savoyarden gefühlt hatte, der in Paris den Leierkasten drehte, und der, wie sie sich nicht ausreden ließ, ihrer Meinung nach ein von den Eltern geraubter Prinz wäre, daß ferner im Alter von zwölf Jahren ein bejahrter, entsetzlich häßlicher Zeichenlehrer (ach, welches Alter oder welche persönlichen Mängel schützen gegen Weiberliebe?!) ihr junges Herz in Aufregung versetzte, und dann endlich im dreizehnten, wo sie sich in der Pension der Madame de Caramel in den Elyseeischen Feldern befand, die, wie alle Welt weiß, dicht neben der von Monsieur Rogrons (Ritter der Ehrenlegion!) Pension für junge Herren ist, ein zärtlicher Briefwechsel zwischen dem verführerischen Fräulein Betsi und zwei jungen Herren des Charlemagne-Kollegiums stattfand, die Pensionäre des Ritters Rogron waren.

Im vorhergehenden Abschnitt ist unsere junge Freundin bei einem Taufnamen genannt worden, der von dem verschieden ist, unter welchem wir sie neulich vorstellten. Die Sache ist nämlich die, daß Fräulein Amory, die zu Haus Fräulein hieß, tatsächlich auf den Namen Betsi getauft war, aber den Namen Blanche nach eigenem Willen und eigener Phantasie angenommen und sich damit geschmückt hatte, und die Waffe, mit der ihr Stiefvater, der Baronet, sie einigermaßen 435 in Schach hielt, war die Drohung, sie öffentlich bei ihrem Namen Betsi zu nennen, wodurch er es manchmal dahinbrachte, die junge Rebellin zur Ruhe zu bringen.

Blanche hatte vor der Zeit, von der wir reden, ganze Scharen von lieben teuren Freunden gehabt und besaß ein vollkommnes kleines Museum von Haarlocken in ihrem Schatzkästlein, die sie im Laufe ihres empfindungsreichen Lebens gesammelt hatte. Einige teure Freundinnen hatten sich verheiratet, einige waren auf andere Schulen abgegangen, eine geliebte Schwester sogar, die sie in der Pension verloren, hatte sie, o Schrecken, ihren Liebling, ihre Leocedie, hinter den Handelsbüchern in ihres Vaters, eines Gewürzkrämers Laden in der Rue du Bac, wiedergefunden; kurz, sie hatte eine Menge von disappointments, estrangements, disillusionments, wie sie es in ihrem hübschen französischen Jargon nannte, eine Menge von Enttäuschungen also, und hatte für ein so junges Frauenzimmer viel gesehen und gelitten. Aber es ist das Los gefühlvoller Wesen, zu leiden, und das Los vertrauensvoller Zärtlichkeit, betrogen zu werden, und sie fühlte, daß sie in diesen Kümmernissen und Enttäuschungen ihrer jungen Laufbahn nur die Leiden erduldete, die jedes Genie erduldet.

Inzwischen trieb sie es so, daß sie der würdigen Dame, die ihre Mutter war, das Leben so sehr zum Jammertal machte, als es die Umstände nur zuließen, und ihren würdigen Stiefvater zu dem Wunsche veranlaßte, sie möchte sterben. Mit Ausnahme des Kapitän Strong, dessen unverwüstliche gute Laune gegen 436 ihre Sarkasmen stichfest war, beherrschte die kleine Dame das ganze Haus mit ihrer Zunge. Wenn Lady Clavering das Wort ›Spargel‹ oder ›Objekt‹ falsch aussprach, wie die arme Dame es manchmal zu tun pflegte, so korrigierte sie das Fräulein mit größester Seelenruhe und erschreckte die gute Seele, ihre Mutter, dermaßen, daß sie sie nur in immer häufigere Irrtümer hineintrieb, weil sie unter den Augen ihrer Tochter immer ängstlicher wurde.

Man kann bei dem weitgehenden Interesse, womit die Ankunft der Familie in Clavering Park die Bewohner der kleinen Stadt erfüllte, unmöglich vermuten, daß Frau Frisby allein von allen Leutchen in Clavering unbewegt und ohne Neugier geblieben ist. Bei dem ersten Erscheinen der Schloßfamilie in der Kirche notierte sich Madame jeden Toilettenartikel, den die Damen trugen, von ihren Hüten bis zu ihren Stiefelchen, und hielt eine Musterung über den Anzug der Kammermädchen, die sich in dem ihnen zugeteilten Kirchenstuhl befanden. Wir fürchten, daß Doktor Portmans Predigt, obwohl sie eine seiner ältesten und geschätztesten Kompositionen war, an diesem Tage wenig Wirkung auf Frau Frisby ausübte. Wenige Tage danach hatte sie sich eine Unterredung mit der vertrauten Dienerin der Lady Clavering in der Haushälterinnenstube des Schlosses verschafft, und ihre Karten, auf denen in französischer und englischer Sprache zu lesen war, daß sie die neuesten Moden von ihrer Korrespondentin, Madame Victorine in Paris, bezog, und daß sie gewohnt war, Hof- und Ballkleider für den ganzen Adel der Grafschaft zu machen, waren 437 im Besitze Lady Claverings und Fräulein Amorys und, wie sie mit Freuden vernahm, von diesen Damen günstig aufgenommen worden.

Frau Bonner, Lady Claverings Gesellschaftsdame, wurde bald eine fleißige Besucherin von Frau Frisbys Salon und nahm an vielen Vergnügungen auf Kosten der Putzmacherin teil. Ein paar Tassen grünen Tees, eine Portion Skandal, heiße Streußelkuchen und ein bißchen Romanlektüre waren stets für Frau Bonner bereit, wenn sie einen Abend für die Stadt frei hatte. Und sie fand viel mehr Zeit zu derartigen Freuden, als ihre jüngere Kollegin, das Kammermädchen von Fräulein Amory, die selten einmal einen Sonntag frei hatte und von dieser unerbittlichen kleinen Muse, ihrer Herrin, so hart wie ein Fabrikmädchen in Anspruch genommen wurde.

Und es war noch eine andere Person da, die mit dem Hause Clavering in Verbindung stand, und ein beständiger Gast unserer Freundin, der Putzmacherin, wurde. Dies war der Küchenchef Monsieur Mirobolant, zu dem Frau Frisby bald in ein recht freundschaftliches Verhältnis trat.

Nicht gewöhnt an das Erscheinen oder den Umgang mit Personen französischer Nation, hatten die ländlichen Bewohner von Clavering keinen so günstigen Eindruck von Monsieur Alcides Benehmen und Erscheinung, als dieser Gentleman es gewünscht hätte. Er wandelte eines Sommertags am Nachmittage, als man seiner Dienste im Hause nicht benötigte, ganz harmlos in seinem gewöhnlichen Lieblingskostüm umher, nämlich in seinem hellgrünen Fracke oder 438 Paletot, seiner karmoisinroten Samtweste mit blauen Glasknöpfen, seinen schottisch gemusterten Hosen von sehr großkarriertem, buntscheckigem Muster, einem orangefarbenen seidenen Halstuch und lackbesetzten Stiefelchen, – diese Dinge, zusammen mit einer goldgestickten Mütze, einem reich vergoldeten Stock und mancherlei Zierat von ähnlicher Art, bildeten seinen gewöhnlichen Sonntagsstaat, woran, wie er sich schmeichelte, nichts Auffälliges war (wenn nicht allerdings die Schönheit seiner Person die Aufmerksamkeit der Leute auf ihn lenkte), und womit er, wie er annahm, das Aeußere eines Herrn von gutem Pariser Ton an sich hätte.

Er wandelte also die Straße entlang und schmunzelte und äugte jedes Frauenzimmer, dem er begegnete, mit Blicken an, die, wie er meinte, sie auf der Stelle vor Liebe töten würden, und guckte über die Hecken und in die Fenster, wo sich an dem stillen Sommerabende Frauen befanden. Aber Betsi, Frau Phybus' Magd, schrak mit einem »Jesus, meine Güte!« zurück, als Alcide sie über den Lorbeerbusch hinüber anstarrte; Fräulein Baker und ihre Mama starrten ihn vor Verwunderung an, und bald begann dem interessanten Fremden ein Haufen zerlumpter Gassenbuben und Kinder zu folgen, die ihre Straßenkotpasteten auf der Gasse verlassen hatten, um ihm nachzulaufen.

Eine Zeitlang dachte er, daß Bewunderung die Ursache wäre, die diese Personen seiner Fährte folgen ließ, und so wandelte er weiter, seelenvergnügt, daß er anderen Menschen auf so leichte Art soviel harmloses Vergnügen bereitete. Aber den kleinen Kindern 439 und Straßenkotpastetenfabrikanten folgten bald Bewunderer von größerem Wuchse nach, und eine Anzahl Fabrikburschen und Mädchen aus der Faktorei, die um diese Stunde Feierabend hatten, schlossen sich dem Haufen an und begannen zu lachen, zu spotten, zu kreischen und dem Franzosen Schimpfnamen zuzurufen. Einige brüllten: »Franzos, Franzos,« einige riefen: »Laubfrosch!«, einer wollte eine Locke von seinem Haare, das er lang und in reichherabfallenden Locken trug; und endlich begann der arme Künstler gewahr zu werden, daß er ein Gegenstand des Spottes statt der Bewunderung für diesen rohen grinsenden Pöbel sei.

In diesem Augenblick erspähte Frau Frisby den unglückseligen Gentleman mit dem ihm auf den Fersen folgenden Zuge und hörte das höhnische Geschrei, mit dem man auf ihn eindrang. Sie rannte aus ihrem Zimmer und über die Straße auf den verfolgten Fremdling zu; sie hielt ihm ihre Hand hin, redete ihn in seiner Muttersprache an und lud ihn ein, bei ihr einzutreten; und als sie ihn denn hinter ihrer Tür glücklich in Sicherheit gebracht hatte, blieb sie tapfer auf der Schwelle vor den zischelnden Mädchen und Buben aus der Fabrik stehen und sagte ihnen, sie wären eine Bande von Feiglingen, daß sie einen armen Mann beleidigten, der ihre Sprache nicht sprechen könnte und allein und schutzlos wäre. Der kleine Haufen schrie und johlte zwar noch ein paarmal höhnisch, fühlte aber doch die Kraft von Frau Frisbys gewaltiger Ansprache und zog sich vor ihr zurück; denn die alte Dame war sehr geachtet am Orte, und ihre Wunderlichkeit und 440 Gutmütigkeit hatten ihr dort viele Freunde erworben.

Der arme Mirobolant war in der Tat sehr dankbar, daß er seine Muttersprache, wenn auch noch so schlecht ausgesprochen, vernahm. Franzosen verzeihen unsere Fehler in ihrer Sprache viel schneller, als wir ihr schlechtes Englisch entschuldigen, und sie hören unserem Kauderwelsch während einer langen Unterhaltung ohne die geringste Lust zum Grinsen zu. Der gerettete Künstler schwor, daß Frau Frisby sein Schutzengel wäre, und daß er bis jetzt unter den Anglaises nicht soviel Gutherzigkeit und Höflichkeit getroffen hätte. Er war so höflich zu ihr und machte ihr so viel Komplimente, als ob es die schönste und vornehmste der Damen wäre, die er anrede; denn Alcide Mirobolant huldigte nach seiner Art allen Frauenspersonen und träumte, wie sein Ausdruck war, innerhalb des Reiches der Schönheit immer vom Unterschiede des Standes.

Ein Crême, durchduftet von Ananas, eine Hummermayonnaise, die, wie er sich selbst schmeichelte, seiner Hand keine Schande machte und ebensowenig ihr, der er die Ehre hatte, sie als eine Huldigung darzubringen, wurden mit einer Büchse eingemachter provençalischer Früchte am folgenden Tage von einem der Adjutanten des Küchenchefs in einem Korbe ins Haus der Putzmacherin gebracht und waren von einem höflichen Billet an die liebenswürdige Frau Frisby begleitet. Ihre Freundlichkeit, sagte Alcide, hätte eine grüne Oase in der Wüste seines Daseins erstehen lassen, ihre Milde und Güte würden in seinem Gedächtnis allezeit den Gegensatz bilden zu der grossièreté der bäurischen Bevölkerung, die nicht wert wäre, ein 441 solches Juwel in ihrer Mitte zu besitzen. Ein Verhältnis der vertraulichsten Art entstand also auf diese Weise zwischen der Putzmacherin und dem Küchenchef; aber ich weiß nicht, ob es Vergnügen oder Verdruß war, womit Madame die Freundschaftserklärungen aufnahm, die der junge Alcide ihr machte, denn er nannte sie beharrlich »die respektable Frisby, die großherzige Frisby«, und er erklärte, daß er sie als seine Mutter betrachten wollte, während er hoffte, sie würde ihn als Sohn ansehen. Ah! es war noch keine sehr lange Zeit verstrichen, dachte die Frisby, wo man in jener teuren französischen Sprache Worte an sie gerichtet hatte, die eine hiervon sehr verschiedene Art der Zuneigung ausdrückten. Und sie seufzte, als sie zu dem Bilde ihres Carabiniere aufblickte. Denn es ist wundersam, wie jugendlich mancher Leute Herzen bleiben, wenn ihre Köpfe schon einen falschen Scheitel oder ein bißchen falscher Flechte bedürfen, und in diesem Augenblicke empfand Frau Frisby, wie sie dem jungen Alcide erzählte, gerade so romantisch wie als Mädchen von achtzehn Jahren.

Wenn die Unterhaltung diese Wendung nahm – und in der ersten Zeit ihrer Freundschaft war Frau Frisby sehr geneigt, sie dahin zu leiten – so lenkte Alcide immer höflich zu einem anderen Gegenstande ab; er bestand darauf, die gute Putzmacherin als seine Mutter zu betrachten. Er wollte sie in keiner anderen Eigenschaft anerkennen, und mit diesem Verwandtschaftsgrade mußte sich die sanfte Dame denn schließlich begnügen, als sie herausfand, wie tief des Künstlers Herz anderswo gebunden war. 442

Es dauerte nicht lange, so beschrieb er ihr den Gegenstand und Ursprung seiner Leidenschaft.

»Ich erklärte ihr meine Liebe,« sagte Alcide, indem er seine Hand auf sein Herz legte, »in einer Weise, die ebenso neu, als ich mir schmeichle, daß sie angenehm war. Wohin kann uns Liebe nicht führen, verehrungswürdige Madame Frisby? Cupido ist der Vater der Entdeckung! – Ich erkundigte mich bei den Domestiken, welches die Gerichte wären, von denen Mademoiselle am liebsten nähme, und erbaute danach meine kleine Batterie. Eines Tages, wo ihre Eltern auswärts speisen gegangen waren (und zu meiner Bekümmernis muß ich bekennen, daß ein plumpes Essen in einem Boulevardrestaurant oder im Palais Royal das Entzücken dieser wenig gebildeten Personen auszumachen schien), gab das bezaubernde Fräulein einigen Freundinnen aus der Pension ein kleines Essen, und ich faßte den Entschluß, einen Imbiß hinaufzusenden, der für so wählerische junge Gaumen paßte. Ihr lieblicher Name ist Blanche. Der jungfräuliche Schleier ist weiß, und der Rosenkranz, den sie trägt, ist weiß. Ich beschloß, daß mein Essen so fleckenlos wie Schnee sein sollte. Zu ihrer gewohnten Stunde schickte ich ihr statt eines rohen Gigot à l'eau, das gewöhnlich auf ihre zu einfache Tafel aufgetragen wurde, eine kleine Potage à la Reineà la Reine Blanche nannte ich sie, – so weiß wie ihr eigener Teint – überzuckert mit dem duftendsten Rahm und mit Mandeln. Sodann opferte ich an ihrem Altare ein Filet de merlan à l'Agnès und eine delikate Schüssel, der ich den Namen Eperlan à la Sainte Thérèse 443 beigelegt habe, und von der mein bezauberndes Fräulein mit großem Vergnügen speiste. Hierauf ließ ich zwei kleine Entrées von Zuckerbrot und jungen Hühnchen folgen, und das einzige braune Ding, das ich mir für das Gastmahl erlaubte, war ein wenig gebratenes Lamm, das ich auf eine Wiese von Spinat legte, umgeben von Croustillons, die Schäfchen vorstellten und mit Gänseblümchen und anderen wildwachsenden Blumen geschmückt waren. Danach kam mein zweiter Gang: ein Pudding à la Reine Elisabeth (die, wie Madame Frisby weiß, eine jungfräuliche Königin war); ein Gericht opalfarbiger Kibitzeier, das ich Nid de tourtereaux à la Roucoule nannte, in dessen Mitte ich zwei dieser zärtlichen Vögel, die sich schnäbelten, und von Butter gebildet waren, stellte; ein Körbchen enthielt dann zwei kleine Gâteaux von Aprikosen, die, wie ich weiß, das Entzücken aller jungen Damen sind, und ein Maraschinogelee, mild, einschmeichelnd, berauschend wie der Glanz der Schönheit. Dies benannte ich Ambroisie de Calypso à la Souveraine de Mon Coeur. Und als das Eis hereingebracht wurde – ein Eis von Plombière und Kirschen – wie denken Sie wohl, Madame Frisby, daß ich die Portionen arrangiert hatte? In Form zweier durch einen Pfeil verbundener Herzen, über welche ich, vor dem Servieren, einen Brautschleier von ausgeschnittenem Papier gebreitet hatte, der von einem Kranze jungfräulicher Orangeblüten überragt war. Ich stand an der Tür, um die Wirkung dieses Ganges zu beobachten. Es war nur ein Schrei der Bewunderung. Die drei jungen 444 Damen füllten ihre Gläser mit dem funkelnden Ay und brachten einen Toast auf mich aus. Ich hörte es – ich hörte Fräulein von mir sprechen – ich hörte sie sagen: »Erzählen Sie Monsieur Mirobolant, daß wir ihm danken, – ihn bewundern – ihn lieben!« Meine Füße versagten mir beinahe den Dienst.

»Kann ich seitdem aber aus irgendwelchem Grunde zweifeln, daß der junge Künstler im Herzen des englischen Fräuleins irgendwelchen Fortschritt gemacht hat? Ich bin bescheiden, aber mein Spiegel belehrt mich, daß ich nicht übel aussehe. Andere Siege haben mich von der Tatsache überzeugt.«

»Gefährlicher Mann!« rief die Putzmacherin aus.

»Die blonden Fräulein von Albion sehen in den langweiligen Bewohnern ihrer nebligen Insel nichts, das sich mit dem Feuer und der Lebhaftigkeit der Kinder des Südens vergleichen ließe. Wir bringen unseren Sonnenschein mit, wir sind Franzosen und gewohnt zu siegen. Hätte ich nicht diese Herzensaffäre und hätte ich nicht den festen Entschluß gefaßt, eine Engländerin zu heiraten, meinen Sie dann wohl, daß ich mich auf dieser Insel aufhalten würde (was indes nicht mehr so schlimm ist, seit ich in der verehrungswürdigen Madame Frisby hier eine zärtliche Mutter gefunden habe), auf dieser Insel, in dieser Familie? Mein Genius würde sich in der Gesellschaft dieser bäurischen Menschen aufzehren – die Poesie meiner Kunst kann von diesen kannibalischen Insulanern nicht verstanden werden. Nein – die Männer sind scheußlich, aber die Frauen – die Frauen! Ich muß gestehen, teure Frisby, die sind 445 verführerisch! Ich habe geschworen, eine zu heiraten, und da ich nicht, wie es bei Ihnen Sitte ist, auf Ihre Märkte gehen und mir eine kaufen kann, so bin ich entschlossen, eine andere der hier üblichen Gewohnheiten anzunehmen und mit einer nach Gretna Green zu fliehen. Das blonde Fräulein wird mitgehen. Sie ist fasziniert. Ihre Augen haben es mir gesagt. Die weiße Taube erwartet nur das Zeichen, um auszufliegen.«

»Stehen Sie denn irgendwie in Korrespondenz mit ihr?« fragte die Frisby grenzenlos erstaunt und sich nicht klar darüber, ob die junge Dame oder der Liebende unter irgendeiner romantischen Täuschung leide.

»Ich korrespondiere mit ihr durch meine Kunst. Sie ißt von Gerichten, die ich eigens für sie mache. Ich lasse ihr auf diese Art tausend Winke zukommen, die sie versteht, da sie ungemein geistreich ist. Aber ich bedarf anderer näherer Verständigungsmittel.«

»Da ist die Pincott, ihr Kammermädchen,« sagte Frau Frisby, »die, sei es durch Gewohnheit oder Erziehung, einige Kenntnis in Herzensangelegenheiten zu besitzen scheint«. Aber die Stirn des großen Künstlers verfinsterte sich bei diesem Ratschlage.

»Madame,« sagte er, »das sind Punkte, über die ein galanter Mann Stillschweigen beobachten muß, aber wenn er dennoch das Geheimnis bricht, so kann er dies auf die schicklichste Weise gegen seine beste Freundin, seine Adoptivmutter, tun. Wissen Sie also, daß es eine Ursache gibt, derentwegen Fräulein 446 Pincott mir feindlich gesinnt wäre – eine bei Ihrem Geschlecht nicht ungewöhnliche Ursache: Eifersucht.«

»Treuloses Ungeheuer,« schrie die Vertraute.

»Ach nein,« sagte der Künstler mit tiefer Baßstimme und einem tragischen Akzente, der seiner Lieblingsdramen von der Porte St. Martin würdig war, »nicht treulos, aber verhängnisvoll. Ja, ich bin ein verhängnisvoller Mann, Madame Frisby. Hoffnungslose Leidenschaft einzuflößen ist mein unseliges Verhängnis. Ich kann nicht dafür, daß sich die Weiber in mich verlieben. Ist es meine Schuld, daß dieses junge weibliche Wesen augenscheinlich verkommt, verschmachtet und von einer Flamme, die ich nicht zu erwiedern vermag, verzehrt wird? Hören Sie zu! Es gibt noch andere in dieser Familie, die ähnlich unglücklich sind. Die Gouvernante des jungen Mylord ist mir auf meinen Wegen begegnet und hat mich auf eine Weise angeblickt, die nur eine einzige Deutung erlaubt. Und Mylady selbst, die von reifem Alter ist, aber orientalisches Blut besitzt, hat ein paarmal Komplimente an den einsamen Künstler gerichtet, die kein Mißverständnis zulassen. Ich vermeide die Dienerschaft, ich suche die Einsamkeit, ich ergebe mich in mein Schicksal. Ich kann nur eine heiraten, und ich bin entschlossen, daß es eine Dame Ihrer Nation sein soll. Und, wenn ihr Vermögen hinreicht, so glaube ich, daß das Fräulein die passendste Persönlichkeit dafür sein würde. Ich wünsche mich zu vergewissern, wie groß ihr Vermögen ist, ehe ich sie nach Gretna Green führe.«

Ob nun Alcide ein so unwiderstehlicher Eroberer 447 wie sein Namensvetter oder aber ganz einfach verrückt war, ist ein Punkt, den wir dem Urteile des Lesers überlassen müssen. Aber wenn der letztere den Vorzug hat, viele französische Bekanntschaften zu besitzen, so ist er vielleicht schon unter ihnen mit Leuten zusammengetroffen, die sich fast für ebenso unüberwindlich hielten, und die, wenn man ihnen Glauben schenkt, eine ebenso große Niederlage in den Herzen der Anglaises angerichtet haben.



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