William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Achtes Kapitel

Pen muß an der Tür warten, und der Leser erfährt währenddem, wer die kleine Laura war

Es war einmal vor langer Zeit auf der Cambridger Universität ein junger Herr, der um dort die langen Ferien zu verleben, nach dem Dorfe kam, wo die junge Helene Thistlewood mit ihrer Mutter, der Witwe eines bei Kopenhagen gefallenen Leutnants, lebte. Dieser junge Geistliche, dessen Name Francis Bell war, war Frau Thistlewoods Neffe und folglich richtiger Vetter des Fräuleins Helene, so daß es ganz in der Ordnung war, wenn er seine Wohnung im Hause seiner Tante nahm, die auf sehr knappem Fuße lebte; dort verbrachte er die langen Ferien, indem er drei oder vier Zöglinge unterrichtete, die ihn nach dem Dorfe begleitet hatten. Herr Bell war nämlich »Fellow« an einem College, und an der Universität wegen seiner Gelehrsamkeit und seiner Geschicklichkeit als Lehrer berühmt.

Seine beiden weiblichen Verwandten hatten es ziemlich schnell herausgefunden daß Se. Ehrwürden der Herr Vetter verlobt war und nur noch auf eine Stelle im Kollegiat wartete, die ihn in den Stand setzte, sein Heiratsversprechen erfüllen zu können. Seine Verlobte war die Tochter eines andern Geistlichen, der einst Herrn Bells Hauslehrer gewesen war; und 143 es war schon unter Herrn Coachers Dache passiert, daß der ungestüme junge Bell, damals ein Knabe von erst siebzehn oder achtzehn Jahren, sich zu Fräulein Martha Coachers Füßen geworfen hatte, da er im Garten Schoten pflücken half. Auf seinen Knien, vor diesen Schoten und ihr, hatte er ihr ewige Liebe geschworen.

Fräulein Coacher war um viele Jahre älter als der junge Bursche, und ihr Herz war durch manche vorhergegangene Täuschung in Liebessachen zerrissen. Nicht weniger als drei Zöglinge ihres Vaters hatten ihr leichtsinniges Spiel mit diesen jugendlichen Gefühlen getrieben. Der Apotheker des Dorfes hatte sie schmählich getäuscht. Der Dragoneroffizier, mit dem sie so oft, so oft in der glücklichen Saison getanzt hatte, die sie mit ihrer gichtischen Großmama in Bath verbrachte, hatte eines Tages die Zügel in die Hand genommen und war auf Nimmerwiedersehen davon galoppiert. Kann man sich da wundern, wenn das durch Pfeile wiederholten Undanks so oft verwundete Herz Martha Coachers sich danach sehnte, irgendwo Ruhe zu finden? Sie lieh den Anträgen dieses verliebten, galanten, ehrlichen Jungen sehr gütig und frohlaunig Gehör und sagte am Ende seiner Rede:

»Mein Gott, Bell, Sie sind ja noch zu jung, um an solche Dinge zu denken;« aber sie gab zu verstehen, daß sie sich doch diese Dinge in ihrem jungfräulichen Busen überlegen wollte. Sie konnte über Herrn Bell nicht mit ihrer Mutter sprechen, denn Herr Coacher war ein Witwer und stets in seinen Büchern vergraben und natürlich demzufolge unfähig, die Leitung eines so zerbrechlichen und wunderlichen Dinges wie das Herz 144 einer Dame zu übernehmen, so daß Fräulein Martha hierin ihre eigne Beraterin war.

Eine Haarlocke mit einem blauen Bande gab dem glücklichen Bell das Ergebnis der Betrachtung, die die Vestalin mit sich selbst angestellt hatte. Schon dreimal hatte sie eine ihrer dunkelbraunen Locken abgeknipst und verschenkt. Die Empfänger waren treulos gewesen, aber das Haar war wieder gewachsen, und Martha hatte tatsächlich Ursache zu sagen, daß die Männer alle Betrüger seien, als sie dem einfältigen Knaben dies Zeichen ihrer Liebe einhändigte.

Nummer 6 war aber ganz anders als ihre früheren Liebschaften – Francis Bell war der getreueste der Liebhaber. Als die Zeit kam, wo er ins Kollegiat zurückmußte und es notwendig wurde, Herrn Coacher mit dem Stand der Dinge bekannt zu machen, rief der letztere:

»Gott schütze meine Seele, ich hatte auch nicht die leiseste Ahnung von dem, was vorging;« was wirklich sehr wahrscheinlich war, da er bereits dreimal vorher genau in derselben Weise ins Vertrauen gezogen wurde; und Francis ging mit dem Entschlusse nach der Universität, sich Ehren und Würden zu erwerben, um sie seiner geliebten Martha zu Füßen zu legen.

Diesen Preis im Auge arbeitete er ungeheuer. Schlag auf Schlag kamen die Nachrichten von der Ehre, die er gewann. Er sandte die Prämienbücher, die er für seine Aufsätze im College erhielt, an den alten Coacher, und den silbernen Becher, den er für eine Rede erhielt, an Fräulein Martha. Zur gehörigen Zeit bekam er eine der besten Zensuren im großen Examen 145 und wurde Fellow im Kollegiat, und während der ganzen Zeit, wo sich dies alles zutrug, wurde ein ununterbrochener zärtlicher Briefwechsel mit Fräulein Coacher unterhalten, deren Einwirkung er, und vielleicht mit Recht, die Erfolge zuschrieb, die er erreicht hatte.

Mit der Zeit fand es sich jedoch, daß, als Se. Ehrwürden Francis Bell, Magister, Fellow und Lehrer an seinem Kollegiat, sechsundzwanzig Jahre alt geworden war, Fräulein Coacher deren vierunddreißig zählte, und daß sich weder ihre Reize noch ihr Benehmen noch ihr Temperament seit jenem sonnigen Tag in der Frühlingszeit ihres Lebens, wo er sie im Garten beim Schotenlesen gefunden, verbessert hatten. Nachdem er seine akademische Würde erlangt, ließ er im eifrigen Studium nach, und sein Urteil und Geschmack wurden vielleicht ebenfalls kühler. Der Sonnenschein des Schotengartens schwand hinweg von Fräulein Martha, und der arme Bell fand sich verlobt und von seiner eigenen Hand in tausend Briefen versprochen mit einem nicht gebildeten, übellaunigen, nicht gut von Natur ausgestatteten, schlecht erzogenen Frauenzimmer.

Infolge einer von den vielen Zänkereien (in denen Marthas Beredsamkeit glänzte, und in welche sie deshalb häufig zu verfallen beliebte), schlug Francis es aus, nach Bearleaders Green, wo Herr Coacher lebte und Bell sonst den Sommer zu verleben gewohnt war, Schüler zu führen, sondern nahm sich vor, die Ferien im Dorfe seiner Tante zu verbringen, das er viele Jahre nicht gesehen hatte – seit der Zeit, wo die kleine Helene noch ein Kind war und auf seinem Knie zu 146 sitzen pflegte. So kam er denn hin und wohnte bei ihnen. Helene war jetzt ein schönes junges Weib geworden. Die jungen Verwandten waren beinahe vier Monate, von Juni bis Oktober, zusammen. Sie machten an Sommerabenden Spaziergänge, sie trafen sich frühmorgens, sie lasen aus demselben Buche, wenn die alte Dame abends beim Kerzenschein nickte. Was die kleine Helene wußte, hatte Frank sie gelehrt. Sie sang ihm vor, sie schenkte ihm ihr unschuldiges Herz. Sie kannte seine ganze Lebensgeschichte. Hatte er denn ein Geheimnis daraus gemacht? Hatte er ihr nicht das Bild der Frau, mit der er verlobt war, und – errötend – auch ihre harten, aufgeregten und grausamen Briefe gezeigt? – Die Tage schwanden dahin, immer glücklicher und inniger, immer zärtlicher, vertraulicher und mit immer mehr Mitleid. Endlich kam ein Morgen im Oktober, wo Francis in sein Kollegiat zurückging und das arme Mädchen fühlte, daß er ihr liebendes Herz mit sich genommen hatte.

Frank wachte ebenfalls aus dem wonnigen Sommernachtstraum zur furchtbaren Wirklichkeit seiner eigenen Seelenqual auf. Er nagte und zerrte an der Kette, die ihn gefesselt hielt. Er raste wie toll, sie zu brechen und frei zu sein. Sollte er offen sein? – Wollte er seine Seligkeit der Frau anheimstellen, an die er gebunden war, und um Lösung des Verhältnisses bitten? – Es war noch Zeit – er zögerte. Es konnte möglich sein, daß er noch in Jahren keine Anstellung bekam. Die Verwandten fuhren in ihrer traurigen zärtlichen Korrespondenz fort, während die betrogene Frau sich hart, eifersüchtig, unzufrieden und bitterlich – und 147 mit Recht – über ihres Francis' veränderten Ton beklagte.

Jetzt kamen die Dinge zu einer Krisis, und das neue Verhältnis wurde entdeckt. Francis gestand es ein, gab sich nicht die Mühe, es zu leugnen, und tadelte Martha wegen ihres heftigen Temperaments und ihres zänkischen, befehlshaberischen Wesens und am allerschlimmsten wegen ihrer geringen Bildung und ihres Alters.

Ihre Antwort war, daß sie, falls er sein Versprechen nicht hielte, seine Briefe vor jeden Gerichtshof im Königreiche tragen würde, Briefe, in denen er ihr zehntausendmal seine ewige Liebe zuschwor; und nachdem sie ihn als den meineidigen Verräter, der er sei, der Verachtung aller Welt preisgegeben, wollte sie sich selbst töten.

Frank hatte noch eine Zusammenkunft mit Helene, deren Mutter damals schon tot war, und die als Gesellschafterin bei der alten Lady Pontypool lebte, – noch eine einzige Zusammenkunft, wo es beschlossen wurde, daß er seine Pflicht tun mußte, das heißt sein Versprechen einlösen, eine Schuld bezahlen, um die ihn ein falscher Spieler betrogen, und die zwei ehrliche Menschen unglücklich machen mußte. Dies, meinten die beiden, sei ihre Schuldigkeit, und so schieden sie voneinander.

Die Pfarrstelle kam nur zu bald, aber doch war Frank Bell schon ein ganz grauer abgelebter Mann, als er in dieselbe eintrat.

Helene schrieb ihm bei seiner Hochzeit einen Brief, der mit »mein lieber Vetter« anfing und mit »ewig die Deine« endete. Sie schickte ihm die anderen Briefe und 148 die Locke von seinem Haare zurück – bis auf ein kleines Endchen. Sie hatte es in ihrem Schreibtisch, als sie mit dem Major redete.

Bell hatte drei oder vier Jahre seine Stelle innegehabt, nach deren Ablauf das Amt eines Kaplans auf Coventry Island frei wurde. Frank bewarb sich insgeheim darum, und als er es erlangt hatte, zeigte er die Ernennung seiner Frau an. Sie machte Einwendungen, wie sie es bei jeder Sache zu tun pflegte. Er sagte ihr bitter, daß sie ja nicht mitzukommen brauchte, und da ging sie mit.

Bell zog zu der Zeit hin, als Crawley dort Gouverneur war, und wurde später mit diesem Herrn sehr intim. Und es geschah auf Coventry Island, Jahre nach seiner eigenen Verehelichung und fünf Jahre, nachdem er von der Geburt von Helenens Knaben gehört, daß auch ihm eine Tochter geboren wurde.

Sie war nicht das Kind der ersten Frau Bell, die sehr bald am Inselfieber gestorben war, nachdem Helene Pendennis und ihr Gemahl, dem Helene alles erzählt hatte, Bell die Nachricht von der Geburt ihres Kindes gaben.

»Ich war alt,« sagte die erste Frau Bell, »ich war alt und in nichts ihr gleich, nicht wahr? Aber ich heiratete dich doch, Bell, und hielt dich davon ab, sie zu heiraten;« darauf starb sie. Bell nahm danach eine Dame aus der Kolonie zur Frau, die er zärtlich liebte. Aber er war nun einmal dazu verurteilt, kein Glück in der Liebe zu haben; und so starb diese Dame im Wochenbette, und Bell folgte ihr bald nach. Er schickte sein kleines Mädchen zu Helene Pendennis und ihrem 149 Gatten mit einer letzten Bitte, sie möchten sich ihrer als Freunde annehmen.

Das kleine Wesen kam von Bristol nach Fairoaks, das nicht sehr weit davon entfernt ist, in schwarzen Kleidern und in Begleitung einer Soldatenfrau, die ihre Amme war, von der sie bitterlich weinend Abschied nahm. Aber ihr Kummer verging bald unter Helenes mütterlicher Sorgfalt.

Um den Hals trug sie eine Medaille mit Haaren, die Helene vor vielen, vielen Jahren dem armen Francis, der nun tot war, gegeben hatte. Das Kind war alles, was von ihm blieb; und sie liebte es, wie ein so zärtliches Geschöpf ein Vermächtnis, das ihr hinterlassen, lieben mußte. Des Kindes Name war, wie es in dem Briefe, der auf dem Totenbette geschrieben war, stand, Helene Laura. Aber obgleich John Pendennis das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigte, war er doch immer eifersüchtig auf die Waise und verlangte verdrießlich, daß sie nach dem Namen ihrer eignen Mutter genannt werden sollte und nicht nach jenem ersten, den ihr Vater ihr gegeben hatte.

Sie fürchtete sich bis zum letzten Augenblicke seines Lebens vor Herrn Pendennis, und nur, wenn ihr Gatte fortgegangen war, wagte es Helene, sich offen der Zärtlichkeit hinzugeben, die sie für das kleine Mädchen empfand.

So wurde Laura Bell Frau Pendennis' Tochter. Weder ihr Gatte, noch der Bruder dieses Herrn, der Major, sahen sie mit recht wohlwollenden Augen an. Sie erinnerte den ersteren an Umstände im Leben seiner Frau, die er notgedrungen hinnehmen mußte, aber 150 viel lieber vergessen hätte, und was das andere war, als was konnte er sie betrachten? Sie war weder mit seiner eignen Familie, derer von Pendennis, verwandt, noch mit irgendeinem Edelmann im Königreiche, und sie besaß nur ein paar tausend Pfund Vermögen.

Und nun lassen wir Herrn Pen eintreten, der die ganze Zeit über gewartet hat.

Nachdem er draußen vor der Tür seine Nerven angespannt und sich auf den Zusammenstoß vorbereitet hatte, kam er mit der Absicht herein, dem gefürchteten Onkel entgegenzutreten. Er hatte sich in seinem Sinn gedacht, daß das Zusammentreffen ein heftiges sein werde, und war entschlossen, ihm mit allem Mut und aller Würde der berühmten Familie, die er vertrat, standzuhalten. Und so riß er die Tür auf und trat mit dem ernsthaftesten und kriegerischsten Gesichtsausdrucke, sozusagen geharnischt vom Scheitel bis zur Sohle, mit eingelegter Lanze und flatterndem Helmbusch hervor und warf seinem Gegner einen Blick zu, der besagen sollte: »Komm nur heran, ich bin bereit!«

Der alte Weltmann konnte, als er die Haltung des Knaben sah, kaum ein Lächeln über die bewunderungswürdig pomphafte Einfalt desselben unterdrücken. Major Pendennis hatte auch seinen Ackergrund sondiert und herausgefunden, daß die Witwe schon halb von dem Feinde besiegt war, und er war sich so ziemlich klar geworden, daß Drohungen und tragische Ermahnungen ohne Wirkung auf den Knaben sein würden, der geneigt wäre, den vollkommenen Dickkopf zu spielen und die Sache schauderhaft ernst zu nehmen; er legte also die Miene des bevollmächtigten Vormundes sofort 151 beiseite, streckte mit dem gutmütigsten und ungezwungensten Lächeln der Welt Pen die Hände entgegen, schüttelte lustig die sich ihm überlassenden Finger des jungen Burschen und sagte: »Na, Pen, mein Junge, nun erzähl' uns mal die ganze Geschichte.«

Helene war entzückt über die Großmut und gute Laune des Majors. Der arme Pen dagegen war ganz und gar zurückgeschlagen und enttäuscht; er hatte seine Nerven für eine Tragödie angespannt und fühlte nun, daß sein großartiges Auftreten durchaus lächerlich und komisch war. Er errötete und stieß vor tödlich gekränkter Eitelkeit und Verlegenheit mit der Fußspitze auf den Boden. Er fühlte heftige Lust zum Weinen. »Ich – ich – ich wußte nicht, daß Sie schon angekommen waren,« sagte er, »ist – ist – die Stadt ist wohl jetzt recht voll?«

Wenn Pen kaum imstande war, seine Tränen zurückzuhalten, so vermochte der Major kaum sein Lachen zu verbeißen. Er wandte sich um und warf Frau Pendennis einen komischen Blick zu, welche gleichfalls fühlte, daß diese Szene zugleich lächerlich und rührend war. Und da sie nichts zu sagen wußte, ging sie zu Pen und küßte ihn, und wenn er an ihre Zärtlichkeit und sanfte Ergebung in seine Wünsche dachte, ist es sehr möglich, daß der Knabe auch gerührt war.

»Was das für ein paar Narren sind,« dachte der alte Vormund. »Wenn ich nicht gekommen wäre, so würde sie in großem Staate herübergefahren sein, um der Familie der jungen Dame ihren Besuch abzustatten und ihr ihren Segen zu geben.«

»Komm, komm,« sagte er, immer noch über die 152 beiden lächelnd, »laß uns so wenig wie möglich Wesens darüber machen, und du, – Pen, mein guter Junge, erzähle uns die ganze Geschichte.«

Pen verfiel sofort wieder in seine tragische und heroische Rolle. »Die Geschichte, lieber Onkel,« sagte er, »verhält sich, wie ich Ihnen schon geschrieben habe. Ich habe die Bekanntschaft einer sehr schönen und tugendhaften Dame gemacht, aus hoher Familie, wenn sie auch durch die Umstände verarmt ist; ich habe das Weib gefunden, in dem, wie ich fühle, all mein Lebensglück ruht; ich glaube sicher, ich kann nie, nie an ein anderes Weib außer ihr denken. Ich weiß, daß wir verschieden an Jahren sind und daß sich mir noch andre Hindernisse auf meinem Wege entgegenstellen; aber meine Liebe war so groß, daß ich fühlte, ich würde sie alle überwinden, wir alle beide würden es können; und sie hat eingewilligt, ihr Los mit dem meinigen zu vereinen und mein Herz und Vermögen anzunehmen.«

»Wie – wieviel ist denn das, mein Junge?« sagte der Major. »Hat dir jemand Geld hinterlassen? Ich wußte nicht, daß du in aller Welt auch nur einen Schilling besäßest.«

»Sie wissen, was ich habe, ist das seine,« rief Frau Pendennis.

»Guter Gott, Madame, so halten Sie doch nur den Schnabel!« hatte der Vormund auf der Zunge zu sagen, aber er hielt sich in der Gewalt, was ihm einige Mühe kostete.

»Zweifle nicht daran, zweifle nicht daran,« sagte er. »Sie würden ja alles für ihn opfern. Das weiß jeder. Aber all das zugegeben, ist es doch Ihr Geld, das 153 Pen der jungen Dame anbietet, und das er mit achtzehn Jahren schon haben will.«

»Ich weiß, meine Mutter wird mir alles geben,« sagte Pen, der etwas verlegen aussah.

»Ja, mein guter Junge, aber alle Dinge müssen vernünftig gemacht werden. Wenn deine Mutter das Haus verwaltet, so ist es nicht mehr wie billig, daß sie sich ihre Gesellschaft auswählt. Wenn du ihr aber das Haus über dem Kopfe verschenkst und ihr Bankkonto zum Vorteil des Fräuleins – na, wie heißt sie doch gleich – Fräuleins Costigan – auf dich übertragen läßt, meinst du denn da nicht, daß du wenigstens meine Schwägerin als eine der Hauptbeteiligten bei dem Geschäft hättest zu Rate ziehen sollen? Ich spreche, wie du siehst, zu dir ohne den geringsten Aerger und ohne mir eine Autorität anzumaßen, die mir doch durch das Gesetz und das Testament deines Vaters noch drei Jahre lang über dich zusteht –, sondern wie ein Mann, der in der Welt lebt, zu seinesgleichen, – und ich frage dich, ob du meinst, daß du ein Recht hast, so zu handeln, weil du mit deiner Mutter tun kannst, was dir beliebt. Weil du von ihr abhängst, wäre es da nicht edler gewesen, wenn du mit diesem Schritte gewartet und ihr zum mindesten die Höflichkeit erwiesen hättest, sie um ihre Erlaubnis zu fragen?«

Pen senkte den Kopf, und in ihm begann der Gedanke zu dämmern, daß die Handlung, auf die er als höchst romantisches, edles Beispiel uneigennütziger Zuneigung so stolz war, möglicherweise ein Stück sehr selbstsüchtiger und halsstarriger Torheit wäre.

»Ich tat es in einem Augenblick der Leidenschaft,« 154 sagte Pen störrisch; »ich wußte nicht, was ich grade sagte oder tat« (und darin sprach er vollkommen aufrichtig); »aber nun ist es einmal gesagt, und ich bleibe dabei. Nein, ich kann und will es sogar nicht widerrufen. Ich würde eher sterben, als daß ich das tue. Und ich – ich will meiner Mutter nicht beschwerlich fallen,« fuhr er fort. »Ich werde für mich selbst arbeiten. Ich werde auf die Bühne gehen und mit ihr auftreten. Sie – sie sagt, ich würde gut dahin passen.«

»Aber wird sie dich auf solche Bedingungen hin nehmen?« unterbrach ihn der Major. »Erinnere dich, daß ich nicht sage, Fräulein Costigan sei nicht die uneigennützigste aller Frauen; aber kommst du denn nicht wenigstens jetzt auf die billige Vermutung, daß deine Stellung als junger Gentleman aus alter Familie und mit angemessenen Aussichten wenigstens zum Teil die Ursache bildet, weswegen ihr dein Antrag willkommen erscheint?«

»Ich sage Ihnen, ich will eher sterben, als mein verpfändetes Wort nicht einlösen,« sagte Pen, indem er die Fäuste ballte und errötete.

»Wer verlangt das von dir, mein lieber Freund?« antwortete der Vormund mit unverwüstlicher Ruhe. »Kein Gentleman bricht natürlich sein Wort, wenn es freiwillig gegeben worden ist. Aber, alles in Betracht gezogen, du kannst doch warten. Das bist du einmal deiner Mutter, sodann deiner Familie und zum dritten mir schuldig, der ich Vaterstelle an dir vertrete.«

»O natürlich,« sagte Pen, der sich etwas erleichtert fühlte. 155

»Schön, wenn du ihr denn dein Wort gegeben hast, so gib uns auch eines, Arthur, willst du das?«

»Was ist es?« fragte Arthur.

»Daß du nicht heimlich heiraten – daß du keinen Abstecher nach Schottland machen willst, du verstehst mich.«

»Das würde Betrug sein. Pen hat seine Mutter nie belogen,« sagte Helene.

Pen ließ wieder den Kopf hängen, und seine Augen füllten sich mit Tränen der Scham. War nicht sein ganzes Verhältnis ein Betrug gegen dieses zärtliche, vertrauensvolle Geschöpf gewesen, das bereit war, alles um seinetwillen zu opfern? Er gab seinem Onkel die Hand.

»Nein, – auf mein Ehrenwort als Gentleman, ich will nie ohne die Einwilligung meiner Mutter heiraten!« sagte er, warf Helene einen leuchtenden Abschiedsblick voll Vertrauen und unwandelbarer Liebe zu und ging dann aus dem Besuchszimmer in sein Arbeitszimmer.

»Er ist ein Engel – er ist ein Engel,« rief die Mutter in einem ihrer gewöhnlichen Entzückungsanfälle.

»Er ist von einem guten Stamm, Madame,« sagte ihr Schwager – »beiderseitig von gutem.« Der Major war höchlichst zufrieden mit dem Resultate seiner Diplomatie – so sehr, daß er noch einmal Frau Pendennis' Handschuhspitze küßte, und, den kurzen, männlichen und grade aufs Ziel losgehenden Ton fallen lassend, in dem er mit dem Knaben gesprochen hatte, 156 fing er gedehnt zu reden an, was er immer tat, wenn er sich zusammennehmen und frei sein wollte.

»Meine liebe Schwägerin,« sagte er im höflichsten Tone, »ich halte es sicherlich für gut, daß ich kam, und schmeichle mir selbst, daß mein letzter Schlag ein erfolgreicher war. Ich will Ihnen erzählen, wie ich darauf gekommen bin. Vor drei Jahren schickte meine gütige Freundin Lady Ferrybridge in größter Angst und Unruhe wegen ihres Sohnes Gretna zu mir, an dessen Geschichte Sie sich erinnern werden, und flehte mich an, meinen Einfluß auf den jungen Herrn anzuwenden, der in eine Herzenssache mit Fräulein Mac Toddy, Tochter eines schottischen Geistlichen, verwickelt war. Ich machte ihm Vorstellungen und bat um sanfte Maßregeln. Aber Lord Ferrybridge war wütend und versuchte es mit Gewalt. Gretna wurde finster und stumm, und seine Eltern meinten, daß sie das Feld behalten hätten. Aber was war geschehen, meine Liebe? Die jungen Leute hatten sich vor drei Monaten trauen lassen, und Lord Ferrybridge wußte nichts davon. Deshalb ließ ich mir das Versprechen von Master Pen geben.«

»Arthur würde nie so gehandelt haben,« sagte Frau Pendennis.

»Er hat es noch nicht, – das ist wenigstens ein Trost,« antwortete der Schwager.

Als bedächtiger und gelassener Mann von Welt drang Major Pendennis für den Augenblick nicht weiter in den armen Pen, sondern hoffte das Beste von der Zeit, und daß sich des jungen Burschen Augen bald öffnen würden, um die Dummheit zu sehen, deren er 157 sich schuldig gemacht. Als er entdeckt hatte, wie kitzlig der Knabe im Punkte der Ehre war, arbeitete er auf dieses zarte Gefühl auch in zarter Weise sehr geschickt hin, indem er sich nach dem Essen beim Wein mit ihm unterhielt und Pen auf die Notwendigkeit vollkommener Aufrichtigkeit und Offenheit in all seinen Handlungen hinwies und ihn bat, seinen Verkehr mit seiner interessanten jungen Freundin (wie der Major Fräulein Fotheringay höflich nannte) nur mit Wissen, wenn nicht sogar mit Billigung der Frau Pendennis fortzusetzen. »Nach allem, lieber Pen,« sagte der Major mit gut angebrachter Freimütigkeit, die dem Knaben nicht mißfiel, während sie die Interessen des Vermittlers um ein gutes Teil förderte, »mußt du doch selbst einsehen, daß du dich eigentlich erniedrigst. Deine Mutter mag mit deiner Heirat einverstanden sein, wie sie es mit all deinen anderen Wünschen ist, wenn du bloß lange genug danach schreist, aber verlaß dich drauf, daß sie ihr nie gefallen wird. Du nimmst eine junge Frauensperson von den Brettern eines Provinztheaters und ziehst sie, denn das ist doch der Fall, einer der vornehmsten Damen Englands vor. Und deine Mutter wird sich deiner Wahl fügen, aber du kannst doch nicht meinen, daß sie glücklich darüber sein wird. Ich habe mir oft – unter uns – gedacht, daß meine Schwester eine Heirat zwischen dir und ihrer kleinen Pflegetochter – Flora, Laura – wie heißt sie doch? im Auge hatte. Und ich beschloß immer, meine geringen Kräfte aufzubieten, um solche Verbindung zu vereiteln. Das Kind hat nur zweitausend Pfund, wie man mir gesagt hat. Nur mit der äußersten Sparsamkeit 158 und Sorgfalt vermag meine Schwägerin in ihrem Hause angemessen zu repräsentieren und für dein Auftreten und deine Erziehung als Gentleman zu sorgen, und ich muß dir gestehen, daß ich andere und viel höhere Pläne mit dir vorhatte. Mit deinem Namen und Herkommen, junger Mensch – mit deinen Talenten, die, wie ich annehme, groß sind, mit den Freunden, die ich die Ehre habe zu besitzen, könnte ich dir eine ausgezeichnete Stellung, eine hervorragende Stellung für einen jungen Mann von so außerordentlich geringen Mitteln verschafft haben, und ich hätte gehofft, dich wenigstens den Versuch machen zu sehen, den Glanz und die Ehre unsres Hauses wiederherzustellen. Das zu zarte Gemüt deiner Mutter trat der einen Aussicht in den Weg, sonst hättest du General werden können, wie unser heldenmütiger Ahn, der bei Ramillies und Malplaquet focht. Ich hatte noch einen anderen Plan im Auge: mein vornehmer und gütiger Freund, Lord Bigwig, der mir sehr wohl will, würde dich sicher ohne Zweifel zum Attaché seiner Gesandtschaft in Pumpernickel gemacht haben, und du wärest in der diplomatischen Karriere in die Höhe gekommen. Aber, verzeih mir, wenn ich wieder auf den Gegenstand zurückkomme, wo ist jemand, der einem jungen Herrn von achtzehn Jahren gefällig sein will, der eine dreißigjährige Dame, die er aus einer Jahrmarktsbude weggeholt hat – nun dann nicht Jahrmarkt, – aus einem Scheunentheater – heiraten will? Dieser Beruf ist dir ohne weiteres verschlossen. Die Oeffentlichkeit ist dir verschlossen. Die Gesellschaft ist dir verschlossen. Du siehst, mein guter Freund, wohin du dich bringst. Du 159 magst sicherlich als Advokat Erfolg haben, in welchem Beruf, wie man mir sagte, verdienstvolle Leute gelegentlich ihre Küchenmägde heiraten, aber in keinem andern. Du kannst auch kommen und hier leben – hier unten, mein Gott, und für immer,« (sagte der Major, mit traurigem Achselzucken und dachte dabei mit unaussprechlicher Sehnsucht an Pall Mall) »wo deine Mutter die künftige Frau Arthur Pendennis mit vollkommener Herzlichkeit aufnehmen wird, wo die gute Gesellschaft der Grafschaft dich nicht besuchen wird, und wo auch ich, bei Gott, mich selbst scheuen würde, zu dir zu kommen, denn ich bin ein Mann, der frei herausredet, und ich muß dir gestehen, ich liebe es, Gentlemen in meiner Gesellschaft zu haben, während du mit den Pächtern, die Rumwasser trinken, verkehren und dich als der junge Mann einer alten Frau durchs Leben schleppen mußt, die, falls sie nicht mit deiner Mutter zankt, diese Dame wenigstens um ihre Stellung in der Gesellschaft bringen und sie in jene zweifelhafte Kaste hinabziehen wird, in die du unausbleiblich geraten wirst. Es ist nicht meine Sache, lieber Junge. Ich bin dir nicht böse. Dein Herunterkommen wird mich nicht weiter berühren, als daß es die Hoffnung vernichtet, die ich gehegt habe, meine Familie wieder ihre Stellung in der Welt einnehmen zu sehen. Es sind nur deine Mutter und du selbst, die ruiniert werden. Und ich bemitleide euch beide aus tiefster Seele. Gib mir den Claret, er ist von dem, den ich deinem armen Vater schickte; ich erinnere mich, ich kaufte ihn in der Auktion des armen Lord Levant. Aber natürlich,« fuhr der Major fort, indem er den Wein kostete, 160 »da du dich selbst gebunden hast, so wirst du das tun, was dir als einem Ehrenmann zukommt, so verhängnisvoll dein Versprechen auch immer sein mag. Aber versprich uns auch deinerseits, mein Junge, – und das bitte ich dich, mir zu gewähren, – daß du keine Heimlichkeiten haben wirst, daß du deine interessante Freundin nur von Zeit zu Zeit besuchen wirst. Schreibst du ihr oft?«

Pen errötete und sagte: »Ei ja, das habe ich getan!«

»Verse wahrscheinlich, nicht wahr, aber auch Briefe in Prosa? Ich war selbst so ein Versmacher. Ich entsinne mich, wie ich eben erst zum Regiment kam und Verse für die Regimentskameraden zu machen pflegte, und dabei ganz Hübsches fertig bekam. Ich sprach neulich mit meinem alten Freunde, General Hobbler, über ein paar Zeilen, die ich für ihn im Jahre 1806, als wir am Kap waren, aufs Papier geschmiert, und, weiß Gott, er wußte noch jede Reihe davon auswendig; er hatte sich ihrer nämlich oft bedient, der alte Schlingel, und sie richtig auch für Frau Hobbler angewandt, die ihm sechzigtausend Pfund zubrachte. Verse waren's, Pen, nicht wahr?«

Pen errötete wieder und sagte: »Ei wohl, ich habe Verse geschrieben.«

»Und antwortete deine Schöne in Versen oder Prosa?« fragte der Major, indem er seinen Neffen ganz wunderlich ansah, als ob er sagen wollte: »O Moses und die grünen Brillen! Was für ein Schafskopf der Junge ist.«

Pen errötete wieder. Sie hatte geschrieben, aber 161 nicht in Versen, wie der junge Liebhaber zugestand, indem er seiner Brusttasche mit dem linken Arm einen innigen Druck zukommen ließ, was der Major, nach seiner Gewohnheit, natürlich bemerkte.

»Du hast, wie ich sehe, die Briefe dort verwahrt,« sagte der alte Krieger, nickte Pen zu und zeigte auf seine eigne (von Herrn Stultz tüchtig wattierte) Brust. »Du weißt, daß sie da stecken. Ich würde was drum geben, sie zu sehen.«

»Ei,« sagte Pen und drehte dabei die Daumen umeinander, »ich – ich,« aber dieser Satz kam nie zu Ende, denn Pens Gesicht war so komisch und verlegen, als der Major ihn beobachtete, daß der ältere seine Würde nicht länger beibehalten konnte und in ein tolles Gelächter ausbrach, in das Pen, davon angesteckt, selbst nach einer Minute mit einstimmen mußte, und aus Herzensgrunde mitlachte.

So kamen sie denn in allerbester Laune in Frau Pendennis' Empfangszimmer. Sie freute sich, als sie sie in dem Vorzimmer lachen hörte.

»Du schlauer Schlingel!« sagte der Major, legte heiter seine Arme auf Pens Schulter und klopfte scherzend auf die Brusttasche des Jungen. Er fühlte die Papiere da ganz deutlich knistern. Der junge Mensch war voller Wonne, voll guter Laune, siegesbewußt, mit einem Worte: ein Narr.

Die beiden stellten sich in rosigster Laune am Teetische ein. Des Majors Höflichkeit ging über die Maßen. Er hatte niemals so guten Tee getrunken, und solches Brot gab es nur auf dem Lande. Er fragte Frau Pendennis nach einem ihrer reizender Lieder. 162 Dann ließ er Pen singen und war über die Schönheit der Stimme des Knaben entzückt und erstaunt. Er ließ seinen Neffen seine Mappen und Zeichnungen holen und lobte diese als wahrhaft bemerkenswerte, talentvolle Arbeiten eines so jungen Menschen; er machte ihm Komplimente über seine französische Aussprache, er schmeichelte dem einfältigen Jungen so geschickt, wie nur je ein Liebhaber einer Geliebten schmeichelte; und als die Zeit zum Schlafengehen kam, gingen Mutter und Sohn ganz entzückt von dem gütigen Major nach ihren Zimmern.

Als sie diese erreicht hatten, glaube ich sicher, daß Helene wie gewöhnlich niederkniete, und daß Pen seine Briefe wieder las, ehe er zu Bett ging, als ob er nicht jedes Wort darin schon auswendig gewußt hätte. Tatsächlich waren es nur drei solcher Dokumente und um ihren Inhalt auswendig zu lernen, bedurfte es keiner sehr großen Geistesanstrengung.

In Nr. 1 schickt Fräulein Fotheringay Herrn Pendennis ihre dankbare Empfehlung und stattet ihm in ihres Papas und ihrem eignen Namen ihren Dank für die wundervollen Geschenke ab. Sie werden für immer in Ehren gehalten werden und Fräulein F. und Kapitän C. werden nie den entzückenden Abend vergessen, den sie am letzten Dienstag zusammen verlebten.

Nr. 2 besagte: Lieber Herr P., wir werden nächsten Dienstag abend an unserm bescheidenen Tische eine kleine stille Gesellschaft guter Freunde zum Tee bei uns sehen, wo ich die schöne Schärpe tragen werde, die ich zusammen mit den sie begleitenden entzückenden Versen immer, immer werthalten will. Papa bittet 163 mich hinzuzufügen, wie glücklich er sein wird, wenn Sie bei dem Fest »des Geistes und der Seelenblüte« an unserm kleinen Festmahl teilnehmen wollen, wie dies ebenfalls sehr erfreuen wird

Ihre wahrhaft dankbare

Emilie Fotheringay.

Nr. 3 war etwas vertraulicher gehalten und zeigte, daß die Sache etwas weiter vorgeschritten war. Sie waren scheußlich gestern abend, besagte der Brief. Warum kamen Sie nicht an den Bühnenausgang? Papa konnte mich seines Auges wegen nicht nach Hause bringen; er hatte einen Unfall und stürzte am Sonntag abend über ein losgerissenes Stück Teppich auf der Treppe. Ich sah Sie den ganzen Abend über nach Fräulein Diggle blicken, und Sie waren so bezaubert von Lydia Languish, daß Sie Julia kaum einen Blick gönnten. Ich hätte Bingley zermalmen können, so verdrießlich war ich. Ich spiele am Freitag die Ella Rosenberg, werden Sie dann da sein? Fräulein Diggle spielt.

Immer Ihre

E. F.

Diese drei Briefe pflegte Herr Pen von Zeit zu Zeit bei Tag und Nacht durchzulesen und sie mit jener Wonne und Glut, die solch schöne Geistesblüten sicher verdienten, in sein Herz einzuschließen. Wenigstens tausendmal hatte er zärtlich das bisamduftende seidige Papier geküßt, das ihm durch Emilie Fotheringays Hand geheiligt war. Dies war alles, was er für seine Leidenschaft und Glut, seine Schwüre und Beteuerungen, seine Verse und Gleichnisse, seine schlaflosen 164 Nächte mit den endlosen Gedanken, seine Zärtlichkeit, seine Seelenangst und Torheit als Entgelt bekam. Dieser junge Pinsel hatte alles dafür hingeopfert, seinen Namen unter unzählige schriftliche Versprechungen gezeichnet, indem er der Empfängerin sein Herz antrug, sich selbst für sein ganzes Leben gefesselt und ein Entgelt dafür bekommen, das keinen Heller wert war. Denn Fräulein Costigan war eine junge Dame von so vollkommen guter Lebensführung und Selbstbeherrschung, daß sie niemals daran gedacht hätte, mehr zu gewähren, und sie die Schätze ihrer Liebe aufsparte, bis sie sie gesetzlich in der Kirche verschenken konnte.

Wie dem auch sein mag, Herr Pen war mit den Liebeszeichen, die er bekommen hatte, zufrieden, brütete ganz außer sich vor Wonne über seinen drei Briefen und ging entzückt über seinen guten alten Onkel aus London zu Bett, der sich offenbar zu rechter Zeit seinen Wünschen fügen würde, mit einem Wort, in einem Zustande albernster Zufriedenheit mit sich und aller Welt.



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