William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Dreizehntes Kapitel

Eine Krisis

Major Pendennis kam von seiner Unterredung mit Kapitän Costigan in einem solchen Zustand angesammelter Wut zurück, daß es geradezu schrecklich war, sich ihm zu nähern. »Der unverschämte dreckige Lump«, dachte er bei sich, »will 222 mir drohen! Er wagt es, von seiner Erlaubnis zur Verheiratung seiner verdammten Costigans mit den Pendennis zu schwatzen! Mir eine Herausforderung senden! Wenn der Kerl irgend jemand anständiges zum Kartellträger kriegen kann, so habe ich die größte Lust von der Welt, ihn nicht vom Platze weggehen zu lassen. – Pah! Was würden die Leute sagen, wenn ich mit einem betrunkenen Komödianten wegen eines Zankes über eine Schauspielerin aus einer Bude losgehen wollte!« So kam es denn, daß der Major, als er Dr. Portman sah, der sich ängstlich nach dem Ausgang seines Kampfes mit dem Drachen erkundigte, dem Geistlichen nichts von dem unverschämten Benehmen des Kapitäns mitteilte, sondern nur bemerkte, daß die Sache eine sehr häßliche und unangenehme und bis jetzt noch keineswegs beigelegt wäre.

Er verpflichtete den Doktor und Frau Portman, nichts über die Angelegenheit in Fairoaks zu sagen, und kehrte dann nach seinem Hotel zurück, wo er seine Wut an Herrn Morgan, seinem Kammerdiener, abkühlte, »mit Flüchen treppauf, treppab rasend,« wie dieser Herr zu Herrn Fokers Bedienten bemerkte, in dessen Gesellschaft er im Bedientenzimmer des »Georg« sein Essen einnahm.

Der Bediente trug die Nachricht zu seinem Herrn, und als Herr Foker um diese Zeit, zwei Uhr nachmittags, sein Frühstück beendet hatte, erinnerte er sich, daß ihm daran läge, das Resultat der Zusammenkunft zwischen seinen beiden Freunden zu erfahren, und nachdem er die Nummer vom Zimmer des Majors 223 erfahren, ging er in seinem Brokatschlafrock hinüber und pochte an.

Der Major hatte allerdings, wie er angegeben, ein Geschäft wegen eines Pachtkontrakts der Witwe, über welchen er den alten Herrn Tatham, den Advokaten, zu befragen wünschte, der die Geschäfte seines Bruders besorgt hatte und zu Clavering ein Zweigbureau hielt, wo er und sein Sohn an Markt- und anderen Tagen drei- oder viermal wöchentlich anwesend waren. Dieser Herr und sein Klient hielten jetzt Beratung, als sich Herr Foker in seinem großartigen Schlafrock und gestickten Hauskäppchen an Major Pendennis' Tür zeigte.

Als er den Major mit Papieren und Schnüren beschäftigt und einen alten Mann mit weißem Kopf neben ihm fand, wollte sich der bescheidene Jüngling zurückziehen und sagte: »Oh, Sie haben zu tun – werde ein andermal wiederkommen.« Aber Herr Pendennis wollte ihn gern sehen und bat ihn lächelnd, einzutreten, worauf Herr Foker den gestickten Turban oder Fez (er war ihm von der zärtlichsten der Mütter gearbeitet worden) vom Kopfe nahm, hinzutrat, sich vor den Herren verbeugte und ihnen holdselig zulächelte. Herr Tatham hatte nie zuvor eine so prächtige Erscheinung gesehen, wie diesen Jüngling in Brokat, der sich in einen Armstuhl setzte, seine karmoisinroten Schöße auseinanderschlug und mit ungemeiner Freundlichkeit und Ungeniertheit die beiden anderen Inhaber des Zimmers anschaute. »Mein Schlafrock scheint Ihnen zu gefallen, mein Herr,« sagte er zu Herrn Tatham. »Ein hübsches Ding, nicht wahr? Nett, aber nicht 224 im mindesten überputzt. Und wie geht's Ihnen, Major Pendennis? Was haben Sie denn gemacht?«

Es war etwas in Fokers Manier und Auftreten, das einen Inquisitor in gute Laune versetzt haben würde, und dies Etwas glättete auch die Falten unter des Majors Perücke.

»Ich habe eine Zusammenkunft mit diesem irischen Herrn gehabt, (Sie können vor meinem Freunde, Herrn Tatham hier, der alle Familienangelegenheiten kennt, offen sprechen) und sie ist, wie ich zugestehen muß, nicht sehr zufriedenstellend ausgefallen. Er wollte mir nicht glauben, daß mein Neffe arm sei, er sagt, wir seien beide Lügner; er erwies mir die Ehre, mir beim Fortgehen anzudeuten, ich sei ein Feigling. Und ich dachte, als Sie an die Tür klopften, gerade, daß Sie der Gentleman sein könnten, den ich mit einer Herausforderung von Herrn Costigan erwartete – so ist's mir ergangen, Herr Foker.«

»Sie meinen doch nicht den Irländer, den Vater der Schauspielerin?« schrie Herr Tatham, der zu einer frommen Sekte gehörte und das Theater nicht liebte.

»Diesen selben Irländer, den Vater der Schauspielerin – denselben. Haben Sie nicht gehört, wie sehr mein Neffe sich des Mädchens wegen zum Narren gemacht hat?« – und Major Pendennis mußte dem Advokaten die Geschichte von der Liebe seines Neffen erzählen, die von Herrn Foker in seiner ihm eigenen familiären Sprache mit passenden Kommentaren begleitet wurde.

Tatham war außer sich vor Verwunderung über 225 die Erzählung. Warum hatte aber auch Frau Pendennis keinen Mann von strengen Sitten geheiratet, meinte er – Herr Tatham war ein Witwer – und so diesen unglückseligen Knaben vor dem Verderben bewahrt? Ueber Fräulein Costigan wolle er gar nichts sagen; ihr Beruf sei hinreichend, um ihren Charakter bestimmen zu können. Herr Foker mischte sich hier ein und bemerkte, daß er ein paar ungemein nette Leute in der »Bude« kennen gelernt hätte, wie er den Musentempel nannte. Es möchte schon sein, Herr Tatham hoffte es – aber der Vater, den kannte Tatham persönlich – ein Mann vom schlimmsten Charakter, ein Weinsäufer, Herumlungerer in Kneipen und Billardstuben und ein notorischer Schuldenmacher. »Ich kann den Grund begreifen, Major,« sagte er, »warum der Bursche nicht in mein Bureau kommen wollte, um die Wahrheit der Angabe, die Sie ihm machten, bestätigt zu bekommen. – Wir haben einen Verhaftsbefehl ausgewirkt gegen ihn und einen anderen übelberüchtigten Burschen, einen der Schauspieler, wegen eines Wechsels, der Herrn Skinner hier gegeben wurde, einem höchst achtbaren Gewürzhändler, Wein- und Spirituosenverkäufer und Mitglied der Gesellschaft der Freunde. Dieser Costigan kam brüllend zu Herrn Skinner – denken Sie, er brüllte im Laden – und wir sind weder gegen ihn noch den anderen eingeschritten, weil sie beide keinen Schuß Pulver wert sind.«

Während Herr Tatham mit dem Erzählen seiner Geschichte beschäftigt war, wurde ein drittes Mal an die Tür gepocht, und es trat ein athletisch gebauter, mit einem schäbigen, kurzgestutzten Frack bekleideter 226 Gentleman herein, der in seiner Hand einen Brief mit großem, dickem, rotem Siegel trug.

»Kann ich die Ehre haben, mit Major Pendennis privatim zu sprechen?« begann er. – »Ich muß Ihnen ein paar Worte allein sagen, mein Herr. Ich bin der Ueberbringer einer Botschaft meines Freundes Kapitän Costigan.« – Hier aber hielt der Mann mit der Baßstimme plötzlich inne, stotterte und wurde blaß – er hatte den Kopf und das ihm wohl bekannte Gesicht Herrn Tathams erblickt.

»Halloh, Garbetts, weiter!« schrie Herr Foker entzückt.

»Ei der Tausend, das ist der andere Wechselreiter!« sagte Herr Tatham. »Hören Sie doch, Herr, hören Sie, bleiben Sie.« Aber Garbetts, mit einem Gesicht so verstört wie das Macbeths, als ihm Banquos Geist erschien, stieß ein paar unartikulierte Worte aus und entfloh aus dem Zimmer.

Jetzt war es mit der Ernsthaftigkeit des Majors endgültig vorbei, und er brach in ein Gelächter aus. Herr Foker machte es ebenso und sagte: »Donnerwetter, das war famos.« Der Sachwalter tat das gleiche, obwohl er durch seinen Beruf zum Ernste verpflichtet war.

»Ich denke nicht, daß es zu irgendwelchem Kampfe kommt, Major,« sagte der junge Foker, indem er den Tragöden nachmachte. »Sollte es dazu kommen, so mag der alte Gentleman hier – Ihr Name ist Tatham? – sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Tatham – die Gerichtsdiener schicken, um die Parteien zu trennen.« 227 Herr Tatham versprach ihm, dies zu tun. Der Major war durchaus nicht mehr besorgt, daß der Streit einen anderen als spaßhaften Ausgang nehmen werde. »Es scheint mir, mein Herr,« sagte er zu Herrn Foker, »daß Sie immer erscheinen, um mich in gute Laune zu versetzen.«

Diese Gelegenheit war aber nicht die einzige, bei der Herr Foker an diesem Tage ausersehen war, der Familie Pendennis einen Dienst zu leisten. Wir haben schon gesagt, daß er die Erlaubnis zum Eintritt in Kapitän Costigans Wohnung hatte, und er hatte sich vorgenommen, im Laufe des Nachmittags dem General einen Besuch abzustatten, und von seinen eigenen Lippen zu hören, was sich während der Unterredung am Morgen mit Herrn Pendennis begeben. Kapitän Costigan war nicht zu Hause. Er hatte von seiner Tochter die Erlaubnis, ja sogar die Aufmunterung erhalten, in den Trinkklub des Gasthauses zur »Elster« zu gehen, wo er sich ohne Zweifel in diesem Augenblick damit brüstete, daß er einen gewissen Schurken töten wolle; denn er war nicht bloß tapfer, sondern er wußte es auch, setzte seinen Mut gern ins gehörige Licht und gab sich sozusagen auf diese Weise in der Gesellschaft ein Ansehen.

Costigan war also abwesend, aber Fräulein Fotheringay war zu Haus und wusch die Teetassen sauber, während Herr Bows ihr gegenüber saß.

»Eben mit dem Frühstück fertig, wie ich sehe – wie geht's?« sagte Herr Foker, seinen kleinen lustigen Kopf zur Tür hereinsteckend. 228

»Raus mit Ihnen, Sie kleiner Hanswurst,« rief Fräulein Fotheringay.

»Sie meinen, ich soll hineinkommen,« antwortete der andere. – »Hier sind wir!« und indem er ins Zimmer trat, schlug er die Arme übereinander und begann seinen Kopf mit ungeheurer Schnelligkeit herumzuwirbeln, wie Harlekin in der Pantomime, wenn er zuerst aus seinem Ei oder seiner Umwickelung herauskommt. Fräulein Fotheringay lachte von ganzem Herzen; ein einziges Blinzeln Fokers hatte sie zum Lachen gebracht, während der bissigste Scherz, den Bows jemals gemacht, ihr kein Lächeln abzwingen konnte, oder die schönste Rede des armen Pen sie höchstens in Erstaunen zu versetzen pflegte. Am Ende der Harlekinade sank er auf ein Knie vor ihr nieder und küßte ihr die Hand.

»Sie sind der närrischste kleine Mann auf der Welt,« sagte sie und gab ihm einen tüchtigen gutmütigen Klaps. Pen pflegte zu zittern, wenn er ihr die Hand küßte. Pen würde bei solchem Klaps vor Wonne gestorben sein.

Als diese Präliminarien vorüber waren, begannen die drei ein Gespräch; Herr Foker erfreute seine Gesellschafter durch Erzählung der Szene, der er soeben beigewohnt, wo Herr Garbetts so schrecklich aus dem Konzept gekommen war, und wodurch sie zum ersten Male erfuhren, wie weit der General seine Wut gegen Major Pendennis getrieben. Foker sprach sehr warm zugunsten des wahrhaftigen und ehrenhaften Charakters des Majors und beschrieb ihn als einen Mann von den feinsten Sitten, der sich in den höchsten 229 Kreisen der Gesellschaft bewege und nimmermehr in eine Täuschung einwilligen würde – am allerwenigsten in eine Täuschung solcher reizenden jungen Dame wie Fräulein Fotheringay.

Er berührte hiermit ganz zart die delikate Heiratsfrage, obgleich er sich nicht enthalten konnte, zu zeigen, daß Pen ihm ziemlich beschränkt erschien. Wirklich fühlte er eine vielleicht gerechte Verachtung für Herrn Pens hochfliegende Sentimentalität, indem er daran dachte, daß seine schwache Seite dort nicht zu suchen wäre. »Ich wußte es wohl, Fräulein Foth, daß es nicht angehen würde,« sagte er, sein kleines Haupt schüttelnd. »Konnte nicht angehen. Stecke meine Nase nicht gern in anderer Leute Sachen, aber ich wußte, daß es nicht anginge. Er ist zu jung für Sie, zu grün, viel zu grün, und nun kommt auch noch heraus, daß er arm wie Hiob ist. Sie kann ihn durchaus nicht haben, nicht wahr, Herr Bo?«

»Wahrhaftig, er ist ein hübscher, armer Junge,« sagte die Fotheringay ziemlich traurig.

»Armer kleiner Bettler,« sagte Bows, mit den Händen in den Taschen Fräulein Fotheringay heimlich einen sonderbaren Blick zuwerfend. Vielleicht dachte er an die Art, wie die Weiber mit den Männern spielen, sie umschmeicheln und gewinnen und dann über Bord werfen, und wunderte sich darüber.

Aber Herr Bows war nicht im geringsten abgeneigt, anzuerkennen, daß er es vollkommen für richtig hielte, wenn Fräulein Fotheringay Herrn Arthur Pendennis aufgäbe, und daß seiner Meinung nach dies Verhältnis von vornherein eine Abgeschmacktheit 230 gewesen wäre, und Fräulein Costigan gestand ein, daß sie ebenso gedacht habe, aber zweitausend Pfund jährlich nicht ohne weiteres wegwerfen könnte. »Es kommt alles davon, daß wir Papas törichte Geschichten glaubten,« sagte sie; »wahrhaftig, ein andermal werde ich nach meinem Geschmack wählen,« – und höchstwahrscheinlich trat ihr das korpulente Bild des Leutnants Sir Derby Oaks in diesem Augenblick vor die Seele.

Nachdem er Major Pendennis gelobt, den Fräulein Costigan für einen wahren, vollkommenen Gentleman, lavendelduftend und so sauber wie eine Stecknadel erklärt hatte, – und von dem auch Herr Bows sagte, er sei gerade die rechte Sorte von Kerl, obgleich ein bißchen zu sehr alter Stutzer, fiel es Herrn Foker plötzlich ein, die beiden zu bitten, ob sie nicht noch diesen Abend dem Major auf seinem Zimmer im »Sankt Georg« einen Besuch abstatten und zusammen speisen wollten. »Er nahm meine Einladung an, mit mir zu essen, und ich denke, nach dem – nach dem kleinen Streite heute morgen, bei dem der General unrecht hatte, wie ich zugeben muß, würde sich das gut machen, Sie verstehen mich. – Ich weiß, daß der Major sich in Sie verliebt hat, Fräulein Foth, er sagte so.«

»Dann kann sie ja immer noch Frau Pendennis werden,« sagte Bows höhnisch. – »Nein, danke, Herr Foker – ich habe schon gespeist.«

»Ja, aber das war um drei Uhr,« sagte Fräulein Costigan, die einen reellen Appetit besaß, »und ich kann doch nicht ohne Sie gehen.«

»Wir werden Hummersalat und Champagner haben,« sagte das kleine Ungeheuer, das keine Zeile 231 Latein zu konstruieren und keine Summe auszurechnen imstande war, die über die Regeldetri ging. Nun wäre Fräulein Costigan für Hummersalat und Champagner in gehörigen Mengen überall hingegangen – und Major Pendennis sah sich also richtig um sieben Uhr an einer Tafel sitzen in Gesellschaft des Herrn Bows, seines Zeichens ein Fiedler, und des Fräuleins Costigan, deren Vater ihm wenige Stunden zuvor das Gehirn hatte ausblasen wollen.

Um das glückliche Zusammentreffen vollständig zu machen, schickte Foker, der Costigans Lieblingskneipen kannte, seinen ›Schafkopf‹ nach dem Klub in der »Elster«, wo der General grade ein pathetisches Lied sang, und ließ ihn zum Abendessen abholen. Seine Tochter und Bows am Tische sitzen zu sehen, war wirklich eine Ueberraschung für ihn – Major Pendennis lachte und streckte ihm herzlich die Hand entgegen, die der General avec effusion ergriff, wie die Franzosen sagen. Tatsächlich war er schon ziemlich angetrunken und hatte sich bereits heiser geschrien mit seinem Singen, ehe er sich der kleinen Gesellschaft im »Sankt Georg« zugesellte. Er brach während des Essens mehr als einmal in Tränen aus und nannte den Major seinen teuersten Freund. ›Schafskopf‹ und Herr Foker gingen mit ihm nach Hause, der Major führte galant Fräulein Costigan am Arm.

Er wurde mit großer Freundlichkeit empfangen, als er am nächsten Tage seinen Besuch machte, bei dem allerhand Höflichkeiten zwischen den Herren gewechselt wurden. Als er Abschied nahm, drückte er seinen angelegentlichen Wunsch aus, Fräulein Costigan bei jeder 232 Gelegenheit, wo er ihr nützen könne, zu dienen, schüttelte Herrn Foker herzlichst und dankbarst die Hand und sagte, dieser Gentleman habe ihm wahrhaftig den allergrößten Dienst erwiesen.

»Schon gut,« sagte Herr Foker, und sie trennten sich unter gegenseitiger Hochachtung.

Bei seiner Rückkehr nach Fairoaks am nächsten Tage sagte Major Pendennis nicht, was sich am vergangenen Abend zugetragen, erwähnte auch nicht die Gesellschaft, in der er ihn verbracht hatte. Er lud Herrn Smirke ein, zum Essen dazubleiben, aber jedermann, der gewohnt war, seine Art und Weise zu beobachten, würde bemerkt haben, daß in seiner Heiterkeit und Redseligkeit etwas Gezwungenes lag, und daß er in seinen Mitteilungen an seinen Neffen ungewöhnlich zart, aber auch ungewöhnlich auf seiner Hut war. Er rief Pen ein salbungsvolles »Gott behüte dich« zu, als der Knabe zu Bette ging, und als sie sich zur Nacht trennen wollten, schien es, als ob er Frau Pendennis etwas sagen wolle, aber er dachte daran, daß er ihr durch sein Reden die Nachtruhe rauben könnte, und gestattete ihr, in Frieden zu schlafen.

Am nächsten Morgen war er früher, als sonst seine Gewohnheit war, unten im Frühstückszimmer und begrüßte jeden dort mit großer Herzlichkeit. Die Post pflegte gewöhnlich am Ende dieses Mahles anzukommen. Als John, der alte Diener, eintrat und den Beutel mit den Briefen und Zeitungen entleerte, sah der Major Pen scharf an, als der junge Mann die seinen bekam – Arthur errötete und legte seinen Brief nieder. Er kannte die Hand, sie war die des alten 233 Costigan, und er wollte den Brief nicht vor den anderen lesen. Major Pendennis kannte den Brief ebenfalls. Er hatte ihn selbst am Tage zuvor in Chatteris auf die Post gegeben.

Er sagte der kleinen Laura, sie möge sich entfernen, was das Kind, das ihm durchaus nicht gut war, auch tat, und als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, ergriff er Frau Pendennis' Hand, und indem er ihr mit einem bedeutungsvollen Blicke ins Gesicht sah, zeigte er auf den Brief unter der Zeitung, die Pen eben lesen wollte. Dann fragte er: »Wollen Sie mit mir ins Besuchszimmer kommen? Ich muß Sie sprechen.«

Und sie folgte ihm verwundert in das Vorzimmer.

»Was ist es?« fragte sie ängstlich.

»Die Geschichte ist zu Ende,« sagte Major Pendennis. »Er hat einen Brief da, worin ihm sein Abschied gegeben wird. Ich selber diktierte ihn gestern. Dabei liegen auch ein paar Zeilen der Dame selbst, worin sie ihm Lebewohl sagt. Es ist alles vorbei.«

Helene lief in das Speisezimmer zurück, ihr Schwager folgte ihr. Pen hatte sich, sobald sie weg waren, auf seinen Brief gestürzt. Er las ihn mit einfältigem Gesichte. Es bestätigte sich darin, was der Major gesagt hatte, daß Herr Costigan für die Freundlichkeit, die Arthur seiner Tochter erwiesen, sehr dankbar wäre, daß ihm aber Herrn Pendennis' pekuniäre Verhältnisse erst jetzt bekannt geworden wären. Sie wären derart, daß eine Heirat gegenwärtig ganz außer Frage stände, und in Anbetracht des großen Altersunterschiedes der beiden wäre auch eine zukünftige Heirat eine Unmöglichkeit. Unter diesen Umständen und mit 234 dem größten Bedauern und der tiefsten Hochachtung für ihn, sage Herr Costigan Arthur Lebewohl und ersuche ihn, seine Besuche in seinem Hause, wenigstens für eine Zeitlang, einzustellen. Einige Zeilen von Fräulein Costigan waren beigelegt. Sie beruhigte sich bei der Entscheidung ihres Papas. Sie wies darauf hin, daß sie doch viele Jahre älter als Arthur wäre, und daß man an eine Verbindung nicht denken könnte. Sie würde ihm für seine Freundlichkeit gegen sie stets dankbar sein und hoffte, sie würde seine Freundschaft behalten. Aber jetzt und bis der Trennungsschmerz vorüber wäre, bitte sie ihn, sich ihr nicht zu nähern.

Pen las Costigans Brief und die Einlage mechanisch und kaum wissend, was er vor Augen hatte. Er sah wild empor und erblickte seine Mutter und seinen Onkel, die ihn mit traurigen Gesichtern ansahen. Helene war allerdings voll zärtlicher mütterlicher Sorge.

»Was – was ist das?« sagte Pen. »Es ist irgendein schlechter Spaß. Das ist nicht ihre Schrift. Das ist die Schrift irgendeiner Magd. Wer spielt mir solche Streiche?«

»Es ist im Briefe ihres Vaters eingeschlossen,« sagte der Major. »Die Briefe, die du vorher bekamst, hatte sie nicht geschrieben. Dies ist von ihr.«

»Woher wissen Sie das?« fragte Pen sehr scharf.

»Ich sah, wie sie es schrieb,« antwortete der Onkel, als der Knabe aufsprang; seine Mutter kam hinzu und ergriff seine Hand. Er stieß sie weg.

»Wie kamen Sie dazu, sie zu sehen? Wie kamen Sie dazu, sich zwischen mich und sie zu stellen? Was habe ich Ihnen je getan, daß Sie das konnten. – O, 235 es ist nicht wahr, es ist nicht wahr!« brach Pen mit wildem Fluche heraus. »Sie kann es nicht aus eignem Antriebe getan haben. Sie kann das nicht so meinen. Sie ist an mich gebunden. Wer hat ihr Lügen erzählt, um sie von mir zu reißen?«

»In unsrer Familie lügt man nicht, Arthur,« erwiderte Major Pendennis. »Ich sagte ihr die Wahrheit, nämlich, daß du kein Geld hättest, um sie zu erhalten, denn ihr törichter Vater hatte dich als reich hingestellt. Und als sie wußte, wie arm du warst, zog sie sich sofort zurück, ohne irgendwelche Ueberredung von mir. Sie hatte ganz recht. Sie ist zehn Jahr älter als du. Sie ist ganz ungeeignet, deine Frau zu werden, und weiß das auch. Sieh diese Handschrift an und frage dich selbst, ob eine solche Frau passend ist, die Gefährtin deiner Mutter zu werden?«

»Ich will es von ihr selbst hören, ob es wahr ist,« sagte Arthur, indem er die Zeitung zerknüllte.

»Genügt dir mein Ehrenwort nicht? Ihre Briefe hatte eine Vertraute von ihr geschrieben, die besser als sie schreibt – sieh her. Hier ist einer von dieser Dame an deinen Freund, Herrn Foker. Du hast sie mit Fräulein Costigan zusammen gesehen, als deren Amanuensis sie handelte« – der Major sagte es mit einem ganz kleinen, spöttischen Lächeln und legte ihm ein gewisses Billet hin, das Herr Foker ihm gegeben hatte.

»Es handelt sich nicht darum,« sagte Pen, der vor Scham und Wut glühte. »Ich glaube wohl, daß das, was Sie sagen, wahr ist, Herr Onkel, aber ich will es von ihr selbst hören.« 236

»Arthur!« bat seine Mutter.

»Ich will sie sehen,« sagte Arthur. »Ich will sie noch einmal bitten, mich zu heiraten. Ich will es. Keiner soll mich davon abhalten.«

»Was, ein Frauenzimmer, das ›Liebe‹ ohne e schreibt? Unsinn, junger Herr. Sei ein Mann und denke daran, daß deine Mutter eine Dame ist. Sie war nicht dazu geboren, sich mit dem betrunknen alten Schwindler und seiner Tochter zusammenzutun. Sei ein Mann und vergiß sie, wie sie dich.«

»Sei ein Mann und tröste deine Mutter, mein Arthur,« sagte Helene, ging zu ihm und umarmte ihn; und als Major Pendennis sah, wie tief bewegt die beiden waren, ging er aus dem Zimmer und schloß die Tür hinter ihnen, klugerweise meinend, es wäre am besten, sie allein zu lassen. Er hatte einen vollständigen Sieg gewonnen. Er hatte wirklich Pens Briefe in seinem Mantelsacke von Chatteris mitgebracht, indem er Herrn Costigan, als er sie zurückgab, mit höflichen Worten die kleine Anweisung wieder zugestellt, die ihn und Herrn Garbetts in Unruhe versetzt hatte und für die der Major bei Herrn Tatham eingetreten war.

Pen stürzte noch am selben Tage wild nach Chatteris, versuchte aber vergeblich, Fräulein Fotheringay zu sehen, für die und deren Vater er dann einen Brief hinterließ. Die Einlage wurde von Herrn Costigan zurückgeschickt, mit der Bitte, daß alle Korrespondenz enden möge; und nach ein paar weiteren Versuchen von Seiten des Knaben, wünschte der ärgerliche General, daß die Bekanntschaft überhaupt aufhöre. Er kannte Pen nicht mehr, wenn er ihm auf der Straße 237 begegnete. Als Arthur und Foker eines Tages in den Schloßanlagen umherwandelten, trafen sie Emilie am Arme ihres Vaters. Sie ging ohne irgendein Zeichen des Wiedererkennens vorüber. Foker fühlte, wie der arme Pen an seinem Arme zitterte.

Sein Onkel wünschte, daß er reiste, eine Zeitlang die Gegend verließe, und seine Mutter drängte ihn ebenfalls dazu; denn er wurde sehr krank und litt schwer. Aber er schlug es aus und sagte gradeheraus, er wollte nicht gehen. Er wollte in diesem Falle nicht gehorchen; und seine Mutter war zu liebevoll und sein Onkel zu klug, um ihn zu zwingen. Immer wenn Fräulein Fotheringay spielte, ritt er nach Chatteris ins Theater und sah sie. Eines Abends waren so wenig Leute im Hause, daß der Direktor das Geld zurückgab. Pen kam nach Hause, ging um acht Uhr zu Bett und bekam das Fieber. Wenn das so fortgeht, wird seine Mutter hingehen und das Mädchen holen, dachte der Major in Verzweiflung.

Unser Pen dachte nur, er würde sterben. Wir wollen seine Gefühle nicht beschreiben oder ein trauriges Tagebuch seiner Verzweiflung und Leidenschaft geben. Sind nicht andere außer Pen auch schon liebeskrank gewesen? Ja, allerdings, aber wenige sterben an dieser Krankheit. 238



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