William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Neuntes Kapitel

Der Major eröffnet den Feldzug

Lassen wir die, welche das begnadete Privilegium eines Eintritts in die gewähltesten Zirkel haben, zugestehen, daß Major Pendennis ein Mann von ungewöhnlicher Großmut und Liebe bei dem Opfer war, das er jetzt brachte. Er verließ London im Mai, seine Zeitungen, seine Morgenvisiten, seine Nachmittage von Klub zu Klub, seine kleinen vertraulichen 165 Besuche bei den Myladys, seine Ritte in Rotten Row, seine Diners und die Loge in der Oper, seine schnellen sonnabendlichen oder sonntäglichen Abstecher nach Fulham oder Richmond, seine Visiten bei Mylord dem Herzog oder Mylord Margins bei den großen Londoner Festlichkeiten, und seinen Namen in der »Morning Post« am andern Tage, seine stilleren, kleinen, auserwählteren, geheimeren und ergötzlicheren kleinen Festchen – auf all dies verzichtete er, um sich in einem einsamen unbedeutenden Landhause mit einer einfachen Witwe, einem Gelbschnabel von Sohn, einem langweiligen Vikar und einem kleinen zwölfjährigen Mädchen einzuschließen.

Er brachte das Opfer, und es war um so größer, weil niemand wußte, wie groß es war. Seine Briefe kamen mit Briefmarken aus der Stadt, und er zeigte Helene mit einem Seufzer die Einladungen. Es war schön und tragisch zugleich, ihn eine Gesellschaft nach der andern ablehnen zu sehen – wenigstens für diejenigen, die, wie Helene leider nicht, die melancholische Größe seiner Selbstverleugnung verstehen konnten. Helene verstand sie nicht oder lächelte nur über das fürchterliche Pathos, mit dem der Major im allgemeinen über den Hofkalender sprach; aber der junge Pen blickte mit großem Respekt auf die vornehmen Namen, mit denen die Briefe seines Onkels überschrieben waren, und lauschte auf des Majors Geschichten aus der vornehmen Welt mit beständigem Interesse und steter Sympathie.

Der ältere Pendennis hatte ein reiches Gedächtnis, das mit tausend köstlichen Geschichten angefüllt war, 166 und diese ergoß er in Pens willig geliehenes Ohr. Er kannte Namen und Stammbaum von jedermann in der Grafschaft und kannte auch jedermanns Verwandte. »Mein lieber Junge,« pflegte er mit trübem Ernste und voller Wahrhaftigkeit zu sagen, »du kannst deine genealogischen Studien gar nicht zu früh beginnen; ich wünschte bei Gott, du läsest alle Tage im Debrett; weniger den geschichtlichen Teil (denn von den Stammbäumen sind, unter uns gesagt, viele recht märchenhaft, und es sind wenige Familien, die solch eine reine Abstammung wie wir aufweisen können), als vielmehr die Nachrichten über die Familienverbindungen und die Verwandtschaften. Ich habe es erlebt, wie jemandes ganze Karriere im Leben durch die bloße Unwissenheit in diesem über alles wichtigen Gegenstande zunichte wurde. Ja, erst vergangenen Monat, bei einem Diner, das Mylord Hobanob gab, begann ein junger Mann, den wir erst kürzlich in unsre Kreise aufgenommen haben, der junge Herr Suckling (Verfasser eines Buches, glaube ich) sehr leichtsinnig und, wie ich zugestehen muß, in höchst kühner Weise über Admiral Bowsers schwankendes Verhalten zu den Ministern zu reden. Aber wer, meinst du wohl, saß diesem Herrn Suckling zunächst und gerade gegenüber? Ei, niemand anders saß neben ihm, als Lady Grampound, Bowsers Tochter, und kein andrer ihm gegenüber als Lord Grampounds Schwiegersohn. Der mit Blindheit geschlagene junge Mann fuhr immer weiter fort, seine Witze auf Kosten des Admirals zu reißen, indem er meinte, alle Welt lache darüber, und ich stelle es dir anheim, dir Lady Hobanobs Gefühle vorzustellen – 167 Hobanobs! – diejenigen jedes wohlerzogenen Mannes, als der unglückselige Eindringling sich so blamierte. Er wird nie wieder in South Street speisen. Darauf kannst du dich verlassen.«

Mit solchen Gesprächen unterhielt der Major seinen Neffen, wenn er auf der Terrasse vorn am Hause seinen zweistündigen regelmäßigen Spaziergang machte oder wenn sie nach Tisch zusammen beim Wein saßen. Er bedauerte, daß Sir Francis Clavering nicht nach dem Parke gekommen wäre, um seit seiner Verheiratung dort zu leben und die gute Gesellschaft der Nachbarschaft um sich zu versammeln. Er bedauerte, daß Lord Eyrie nicht im Lande wäre, der Pen mitgenommen und Sr. Lordschaft vorgestellt hätte. »Er hat Töchter,« sagte der Major. »Wer weiß? Du hättest Lady Emilie oder Lady Barbara Trehawk heiraten können; aber all diese Träume sind nun vorüber, mein armer Junge, du mußt nun liegen, wie du dich gebettet hast.«

Der junge Pendennis hörte diesen Dingen sehr eifrig und gern zu. Sie nehmen sich gedruckt nicht so interessant aus, als sie es mündlich sind; aber die Anekdoten des Majors vom großen Georg, von den königlichen Herzögen, den Staatsmännern, Schönheiten und Modedamen des Tages füllten die Seele des jungen Pendennis mit Sehnsucht und Bewunderung, und er fand die Unterhaltung mit seinem Vormund, die die arme Frau Pendennis kläglich langweilte und quälte, seinesteils niemals langweilig.

Man kann nicht sagen, daß Herrn Pens neuer Führer, Philosoph und Freund sich mit ihm über besonders 168 hohe Gegenstände unterhalten oder die Gegenstände, die er wählte, besonders erhaben behandelt hätte. Aber seine Moralität, soweit man es so nennen darf, war damit im Einklange. Sie mochte vielleicht nicht auf jemandes Fortkommen in der andern Welt abzielen, war aber recht gut darauf berechnet, sein Interesse in dieser zu fördern; und dann muß man sich auch daran erinnern, daß der Major niemals auch nur einen Augenblick daran zweifelte, daß seine Weltanschauung die einzig praktische, und daß seine Lebensführung vollkommen tugendhaft und achtungswert wäre. Er war ein Mann von Ehre, mit einem Worte, und hatte, wie er sich ausdrückte, seine Augen offen. Er empfand Mitleid mit seinem jungen Gelbschnabel von Neffen und wollte ihm ebenfalls die Augen öffnen.

Kein Mensch zum Beispiel ging regelmäßiger zur Kirche als der alte Hagestolz, wenn er auf dem Lande war. »In der Stadt ist es nicht so nötig, Pen,« sagte er, »denn da gehen die Weiber hin und die Männer vermißt man nicht. Aber wenn ein Gentleman sich sur ses terres befindet, so muß er dem Bauernvolk ein gutes Beispiel geben, und wenn ich nur eine Melodie herausbrächte, so glaube ich, daß ich sogar singen würde. Der Herzog von St. David, den ich die Ehre habe zu kennen, singt stets, wenn er auf dem Lande ist, mit, und ich kann dir sagen, daß es eine schöne Wirkung hervorbringt, wenn es aus dem Familienbetstuhle so heraustönt. Und du stellst hier etwas vor. Solange die Claverings weg sind, bist du der erste Mann im Kirchspiel und so viel wie nur irgendeiner. Du könntest hier die Stadt repräsentieren, wenn du deine Karten gut 169 spieltest. Dein armer lieber Vater würde es so gemacht haben, wenn er am Leben geblieben wäre; und du könntest es ebenso; – aber nicht, wenn du eine noch so liebenswürdige Dame heiratest, mit der die Leute auf dem Lande nichts zu tun haben wollen. – Ja, ja, der Gegenstand ist peinlich. Sprechen wir von etwas anderem, mein Junge.« Aber wenn Major Pendennis den Gesprächsgegenstand auch einmal wechselte, so kam er doch dutzendmal im Laufe des Tages darauf zurück; und die Moral seiner Rede war stets, daß Pen sich wegwürfe. Allerdings bedurfte es keines langen Schwänzelns und Wedelns, um einem einfältigen Knaben den Glauben beizubringen, er sei ein sehr hübscher Bursche.

Pen hörte, wie wir schon sagten, nur zu gern auf das Gerede seines Onkels. Die Unterhaltung mit Kapitän Costigan wollte ihm gar nicht mehr gefallen, und der Gedanke, daß der alte Saufbold sein Schwiegervater werden sollte, erfüllte ihn geradezu mit Schrecken. Er konnte diesen Mann, unrasiert und nach Punsch riechend, doch nicht in die Gesellschaft seiner Mutter bringen. Selbst wegen Emilie stotterte er vor Verlegenheit, wenn der unbarmherzige Vormund ihn über sie auszufragen begann. »Hatte sie Bildung?« Er mußte zugestehen: Nein. »Besaß sie Geist?« Nun, sie hatte verhältnismäßig einen recht scharfen Verstand, aber er konnte doch nicht absolut sagen, sie besitze Geist. »Komm, laß uns ein paar Briefe von ihr ansehen.« Da mußte Pen bekennen, daß er nur die drei erwähnten besäße, und daß es nur triviale Einladungen oder Antworten waren. 170

»Sie ist gehörig vorsichtig,« sagte der Major trocken. »Sie ist eben älter als du, mein armer Junge;« und danach entschuldigte er sich für diese Worte mit dem äußersten und vornehmsten Freimut, rief Pens gutes Herz an und bat den Jungen, das nicht einem es wohl meinenden alten Onkel übel anzurechnen, der nichts als die Ehre seiner Familie im Sinne habe; denn Arthur war stets Feuer und Flamme vor Entrüstung, wenn Fräulein Costigans Ehre angezweifelt wurde, und schwor, daß er nie dulden würde, wenn man ihren Namen leichtsinnig in den Mund nähme, und daß er niemals von ihr lassen würde.

Er wiederholte dies seinem Onkel und seinen Freunden zu Hause, und ebenso mußte es Fräulein Fotheringay und der liebenswürdigen Familie zu Chatteris mitgeteilt werden, bei der er noch immer einen Teil seiner Zeit verbrachte. Fräulein Emilie geriet in Unruhe, als sie von der Ankunft von Pens Vormund hörte, und erkannte sogleich richtig, daß der Major mit feindlichen Absichten gegen sie erschienen war. »Ich glaube, Sie denken daran, mich zu verlassen, weil jetzt Ihr vornehmer Verwandter aus der Stadt gekommen ist. Er wird Sie mit sich nehmen, und Sie werden unsere arme Familie vergessen, Herr Arthur!«

Sie vergessen! In ihrer Gegenwart, in der Fräulein Rouncys, der Kolumbine und Millys vertrauter Freundin von der Gesellschaft, in Gegenwart des Kapitäns selbst schwur Pen, daß er nie an ein anderes Weib, als sein geliebtes Fräulein Fotheringay denken würde; und der Kapitän sah dabei auf seine Rapiere, die als Trophäe an der Wand des Zimmers hingen, 171 wo er und Pen zu fechten pflegten, und sagte grimmig, daß er es auch keinem Menschen raten würde, mit der Liebe seines teuren Kindes leichtsinnig zu spielen, und nie glauben würde, daß sein ritterlicher junger Arthur, den er wie seinen Sohn behandelte, den er seinen Sohn genannt hatte, sich je einer solchen Aufführung, die gegen jede Spur von Ehre und Menschlichkeit verstieße, schuldig machen würde.

Er stand nach dieser Rede auf und umarmte Pen. Er weinte und wischte sich das Auge mit der einen großen, schmutzigen Hand und legte Pen die andere um die Schulter. Arthur schauderte bei dieser Umarmung und dachte an seinen Onkel zu Haus. Sein Schwiegervater sah über die Maßen schmutzig und schäbig aus; der Geruch von Branntweingrog war noch penetranter als gewöhnlich. Wie sollte er diesen Mann und seine Mutter zusammenbringen? Er zitterte, wenn er bedachte, daß er Costigan ganz klar und deutlich geschrieben (wobei er ihm einen Sovereign eingelegt hatte, dessen der würdige Herr dringend bedurfte), und gesagt hatte, er hoffe, sich eines Tages als sein ihn liebender Sohn Arthur Pendennis unterzeichnen zu können. Er war an diesem Tage froh, von Chatteris wegzukommen, von Fräulein Rosa, der Vertrauten, von dem alten Saufbold von Schwiegervater in spe, selbst von der göttlichen Emilie. »O, Emilie, Emilie,« schrie es innerlich in ihm, als er auf Rebekka nach Hause jagte, »du weißt wohl kaum, welche Opfer ich dir bringe! – Denn du bist immer so kalt, so vorsichtig, so mißtrauisch!«

Pen ritt offiziell niemals nach Chatteris, aber der 172 Major fand es schon heraus, wo der Junge »geschäftehalber« gewesen war. Seinem Plane getreu, legte Major Pendennis seinem Neffen niemals eine Schwierigkeit oder ein Hindernis in den Weg; aber das fortwährende geheime Gefühl, daß das Auge des Aelteren auf ihn gerichtet wäre, und die Verlegenheit und Beschämung, die auf jenes unausbleibliche Geständnis folgte, das die abendliche Unterhaltung sicherlich auf die allernatürlichste einfachste Weise aus ihm herauslockte, bewirkte, daß Pen weniger häufig zu den Füßen seiner Geliebten seine Seele ausseufzte, als er vor seines Onkels Ankunft getan. Es half nichts, daß er ihn zu hintergehen versuchte; da half kein Vorwand, mit Smirke zu speisen oder griechische Trauerspiele mit Foker zu lesen; Pen fühlte, daß jeder bei der Rückkehr von seinen flüchtigen Besuchen wußte, woher er kam, und er erschien so stets schuldbewußt vor seiner Mutter und seinem Vormunde, wenn sie über ihren Büchern oder über ihrem Piquetspiele saßen.

Als er einmal eine halbe Meile bis zum Gasthaus von Fairoaks jenseits des Gartengitters hingegangen war, um die Landkutsche, die dort die Pferde wechselte, zu einem Sprunge nach Chatteris zu erwarten, grüßte ein Mann oben auf dem Wagen unsern jungen Herrn; es war seines Onkels Bedienter, Herr Morgan, der einen Auftrag für seinen Herrn ausführte und, wie er sagte, auch dort aufgestiegen wäre. Und Herr Morgan kam ebenfalls mit der zweiten Kutsche zurück, so daß Pen auf beiden Fahrten das Vergnügen der Gesellschaft des Dieners hatte. Zu Hause wurde nichts davon erzählt. Der junge Mensch schien jede schickliche 173 Freiheit zu haben, und doch fühlte er sich insgeheim beobachtet und bewacht, und das selbst in der Gesellschaft seiner Dulzinea.

In der Tat war Pens Verdacht nicht unbegründet, denn sein Vormund hatte seinen Boten ausgeschickt, um alle möglichen Berichte über den Jungen und seine interessante junge Freundin zu sammeln. Der verschwiegene und kluge Herr Morgan, ein vertrauter Kammerdiener aus London, auf dessen Treue man bauen konnte, war mehr als einmal in Chatteris gewesen und hatte allerhand Erkundigungen über die Vergangenheit und die gegenwärtigen Gewohnheiten des Kapitäns und seiner Tochter eingezogen. Er forschte vorsichtig die Kellner, Hausknechte und all die Leute am Schenktische des »Georg« aus und erfuhr von ihnen das Wenige, was sie über den würdigen Kapitän wußten. Er stand dort nicht in sehr großem Ansehen, wie es schien. Die Kellner sahen nie auch nur den Schimmer seines Geldes und waren verwarnt, dem armen Gentleman einen Likör zu verabreichen, für den nicht irgendjemand anderes haftbar war. Er schwadronierte kläglich im Kaffeezimmer herum, konsumierte einen Zahnstocher, überflog die Zeitung, und wenn ihn irgendein Bekannter zum Essen einlud, blieb er.

Von den Offiziersburschen in der Kaserne erfuhr Herr Morgan, der Kapitän habe sich dort so häufig und unanständig betrunken, daß Oberst Swallowtail ihm den Regimentstisch untersagt hatte. Der unermüdliche Morgan setzte sich ferner mit einigen der niederen Schauspieler des Theaters in Verbindung und pumpte sie bei Zigarren und Punsch aus, und alle stimmten 174 darin überein, daß Costigan arm, schäbig, ein Schuldenmacher und Trinker wäre. Aber der Ruf von Fräulein Fotheringay wurde durch keinen Hauch getrübt; ihres Vaters Mut, so erzählte man, hätte sich bei mehr als einer Gelegenheit gegen Personen geäußert, die Miene gemacht hätten, seine Tochter respektlos zu behandeln. Sie käme nur in Begleitung ihres Vaters ins Theater, selbst wenn er schwer bezecht wäre, bewachte sie dieser Herr; schließlich fügte Herr Morgan aus seiner eigenen Erfahrung hinzu, daß er sie spielen gesehen hätte, von ihrem Auftreten unendlich entzückt gewesen wäre und sie außerdem für ein sehr schönes Weib halte.

Frau Creed, die Kirchenstuhlöffnerin, bestätigte diese Nachrichten dem alten Doktor Portman, der sie persönlich ausfragte. Frau Creed hatte nichts Ungünstiges über ihre Mieterin mitzuteilen. Sie sah niemand, als eine oder zwei Damen vom Theater. Der Kapitän betrank sich dann und wann und bezahlte nicht immer regelmäßig seine Miete, aber er tat es doch, wenn er Geld hatte, oder vielmehr Fräulein Fotheringay tat es. Seit der junge Herr aus Clavering dagewesen wäre und Fechtstunden genommen hätte, seien noch ein paar aus der Kaserne herübergekommen, Sir Derby Oaks und sein junger Freund Herr Foker, die oft zusammen wären, und die immer von Baymouth im Tandem herüberkämen. Aber bei Gelegenheit der Fechtstunden wäre Fräulein Fotheringay sehr selten anwesend und käme gewöhnlich dann in Frau Creeds Zimmer hinüber.

Der Doktor und der Major berieten sich miteinander, wie sie es oft taten, und seufzten im Geiste, als 175 sie diese Nachrichten erhielten. Major Pendennis drückte ganz offen seine Enttäuschung aus, und, ich glaube, selbst der Gottesmann war unzufrieden, daß er keinen Fleck auf des armen Fräulein Fotheringays guten Ruf machen konnte.

Selbst hinsichtlich Pens waren Frau Creeds Auskünfte verzweifelt günstig. »Jedesmal wenn er kommt, läßt sie mich oder eins meiner Kinder bei sich sein,« sagte Frau Creed. »Und sie sagte immer: ›Frau Creed, Madam, seien Sie so gut, Madam, und gehen Sie unter keinem Vorwand aus der Stube, wenn der junge Herr hier ist.‹ Und oft sah ich, daß er ausschaute, als ob er mich wohl fortgewünscht hätte, der arme junge Mensch, und er kam ein anderes Mal um die Zeit des Gottesdienstes, wo ich natürlich nicht zu Hause war; aber sie hatte immer eins der Kinder oben, wenn ihr Papa nicht zu Hause war oder der alte Herr Bows ihr keine Stunde gab, oder keine von den jungen Damen vom Theater da war.«

Es war alles wahr; was für Ermutigungen er auch immer von dem Geständnis seiner Leidenschaft erhalten haben mochte, die Klugheit Fräulein Emilies nach Pens Erklärung war ungeheuerlich, und der arme Bursche kämpfte umsonst gegen ihre hoffnungslose Zurückhaltung.

Der Major sah diesen Stand der Dinge mit einem Seufzer. »Wenn es nur eine vorübergehende Liaison wäre,« sagte der treffliche Mann, »so könnte man es ja aushalten. Ein junger Mensch muß sich austoben, usw. Aber ein tugendhaftes Verhältnis ist verteufelt. 176 Das kommt von den verd . . . . . n romantischen Sparren, die von Weibern aufgezogen werden.«

»Gestatten Sie mir die Bemerkung, Major, daß Sie hier ein wenig zu sehr als Weltmann sprechen,« entgegnete der Doktor. »Nichts kann wünschenswerter für Pen sein, als eine tugendhafte Neigung zu einer jungen Dame von seinem Stande und mit entsprechendem Vermögen – diese gegenwärtige Verblendung muß ich natürlich ebenso aufrichtig beklagen wie Sie. Wenn ich sein Vormund wäre, würde ich ihm befehlen, die Sache aufzugeben.«

»Grade der richtige Weg, damit er sich morgen trauen läßt, sage ich Ihnen. Wir haben Aufschub von ihm erlangt, das ist alles, und wir müssen suchen, das Beste herauszuschlagen.«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Major,« sagte der Doktor am Ende des Gespräches, in dem der eben erwähnte Gegenstand besprochen wurde, – »ich bin natürlich kein Mann, der ins Theater läuft; aber ich meine, ich schlage vor, wir wollen hingehen und sie uns ansehen.«

Der Major lachte, – er war vierzehn Tage in Fairoaks gewesen, und hatte sonderbarerweise noch nicht daran gedacht. »Gut,« sagte er, »warum nicht? Schließlich ist sie nicht meine Nichte, sondern Fräulein Fotheringay, die Schauspielerin, und wir haben ein ebenso gutes Recht wie jeder andere aus dem Publikum, sie zu sehen, wenn wir bezahlen.« So fuhren denn die beiden älteren Herren eines Tages, als es so eingerichtet war, daß Pen zu Hause speisen und den Abend mit seiner Mutter verbringen sollte, in des Doktors 177 Kutsche nach Chatteris und speisten wie ein paar lustige Junggesellen dort im Georgsgasthause, ehe sie ins Theater gingen.

Nur zwei andere Gäste befanden sich im Zimmer, – ein Offizier von dem in Chatteris liegenden Regimente und ein junger Herr, den der Doktor schon irgendwo gesehen zu haben meinte. Sie ließen sie jedoch allein essen und stürzten ins Theater. Es war wieder »Hamlet«, der gegeben wurde. Shakespeare war Artikel XI im Glaubensbekenntnis des stattlichen alten Doktors Portman, und er nahm stets jährlich wenigstens einmal die Gelegenheit wahr, davon öffentlich Zeugnis abzulegen.

Wir haben das Stück schon beschrieben und gesagt, daß die, welche Fräulein Fotheringay einmal die Ophelia spielen sahen, genau dasselbe an allen anderen Abenden zu sehen bekamen. Die beiden älteren Herren schauten ihr mit außergewöhnlichem Interesse zu und dachten, wie sehr der junge Pen von ihr bezaubert sein müßte.

»Gott,« murmelte der Major zwischen den Zähnen, als er sie beobachtete, wie sie wie gewöhnlich bei ihrem Hervorruf vor der spärlichen Zuhörerschaft ihre leichte Verbeugung machte, »der junge Schlingel hat wirklich keine üble Wahl getroffen.«

Der Doktor applaudierte ihr laut und herzlich. »Auf mein Wort,« sagte er, »sie ist eine sehr geschickte Schauspielerin, und ich muß sagen, Major, daß sie mit sehr hervorragenden körperlichen Vorzügen ausgestattet ist.«

»So denkt jedenfalls auch der junge Offizier dort 178 in der Loge neben der Bühne,« antwortete Major Pendennis und machte den Doktor auf den jungen Dragoner aus dem Kaffeezimmer des »Georg« aufmerksam, der in der fraglichen Loge saß und mit ungeheurem Enthusiasmus applaudierte. Sie sah auch ihn unbeschreiblich süß an, wie es dem Major schien, aber das machen solche Leute immer, und er schob sein Perlmutteropernglas zusammen und steckte es in die Tasche, als ob er diesen Abend nichts mehr zu sehen wünsche. Auch der Doktor machte natürlich keinen Vorschlag, zum zweiten Stücke zu bleiben, und so standen sie auf und verließen das Theater; der Doktor kehrte zu Frau Portman zurück, die in der Dekanei auf Besuch war, und der Major wandelte gedankenvoll nach dem »Georg«, wo er ein Bett bestellt hatte.



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