William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Siebzehntes Kapitel

Alma mater

Jedermann, wie kurz oder ruhmlos seine akademische Laufbahn auch gewesen sein mag, muß doch mit Wohlwollen und Zuneigung an die alten Universitätskameraden und -tage denken. Das Leben des jungen Mannes beginnt eben, die Gängelbänder des Kindes sind zerschnitten, und er hat all die neue Lust und Würde der Freiheit. Er hat noch keinen Begriff von Sorgen, von Krankheit, Schurkerei, Armut und von Enttäuschungen des kommenden Tages. Das Spiel ist noch nicht oft genug gespielt worden, um ihn müde zu machen. Obschon die Neige des Bechers, wenn wir den Genuß mechanisch oft wiederholen, abgestanden und bitter ist, so ist doch der erste funkelnde Zug aus dem Freudenbecher so klar und glänzend! – Wie sich der Knabe auf die Schale stürzt, und mit welch wilder Begierde er ihren Inhalt hinunterstürzt! Aber alte Epikuräer, denen die Freuden der Tafel verwehrt und die auf ein halbgesottenes Ei und ein Glas Wasser beschränkt sind, sehen gern Leute mit gutem Appetit, und wie der beste und sicherste Weg, selbst bei einem Puppenspiele zu amüsieren, der ist, daß man seine Kinder sich daran erfreuen sieht, so hoffe ich, daß es keine Stufe des Alters oder der Erfahrung für irgendeinen Sterblichen gibt, wo er ein so sauertöpfischer Philosoph sein würde, daß ihm das Anschauen eines glücklichen jungen Blutes nicht Freude machte. Als ich vor einigen Wochen von einem kurzen Besuche der alten 305 Universität Oxbridge zurückkehrte, wo mein Freund, Herr Arthur Pendennis, einige Zeit seines Lebens verbracht hatte, machte ich die Reise in der Eisenbahn neben einem jungen Burschen, der jetzt Student in St. Bonifaz ist. Er hatte irgendwie das consilium abeundi bekommen und war auf einem kurzen Ausflug nach London begriffen; er ließ vom Beginn der Reise bis zu ihrem Ende (das mir viel zu früh kam, denn ich wurde gar nicht müde, den Scherzen und dem lustigen Lachen des wackeren jungen Burschen zuzuhören) nicht ab mit Schwätzen und Plappern, und als wir an der letzten Station angelangt waren, genügte seiner Hast nur eine Hansomer Droschke, damit er desto schneller in die Stadt gelangen und sich in die dort auf ihn wartenden Vergnügungen stürzen könnte. Fort rasselte das junge Bürschchen, die Freude leuchtete auf seinem ehrlichen Gesichte, und was den ergebenen Diener des Lesers betrifft, so setzte ich mich, da ich nur eine kleine Handtasche hatte, oben auf den Omnibus und saß dort recht zufrieden zwischen einem jüdischen Hausierer, der schlechte Zigarren rauchte, und einem herrschaftlichen Diener, der einen Pudel unter seiner Obhut hatte, bis wir unsere gehörige Fracht Passagiere und Koffer eingenommen hatten und der Kutscher gemächlich abfuhr. Wir hatten keine Eile, in die Stadt zu kommen. Keiner von uns war begierig darauf, sich in das nahe rauchende Babylon zu stürzen, oder dachte daran, abends im Klub zu speisen oder im Kasino zu tanzen. Noch ein paar Jahre weiter, und mein junger Freund von der Eisenbahn wird kein bißchen Eile mehr haben.

Als Arthur Pendennis auf die berühmte 306 Universität Oxbridge zog, gab es noch keine Eisenbahn. Sondern er fuhr dorthin in einer gut ausgerüsteten Kutsche, die innen und außen mit Professoren und Studenten, vor allem auch mit jungen Füchsen in Begleitung ihrer sie auf die Hochschule bringenden Hofmeister angefüllt war. Im Innern der Kutsche saß neben dem Major Pendennis ein dicker alter Herr aus der Londoner City mit grauen Wadenstrümpfen, seinem bleichwangigen Sohn gegenüber; er war über die Maßen erschreckt, als er hörte, daß die Kutsche ein paar Stationen weit von dem jungen Herrn Foker vom St. Bonifazcolleg gefahren worden war, der aller Welt Freund, die Kutscher eingeschlossen, wäre und der ebenso gut wie Tom Hicks selbst fahren konnte. Pen saß auf dem Verdeck und betrachtete sich mit großem Entzücken und großer Neugierde Kutsche, Passagiere und die Gegend. Sein Herz sprang vor Entzücken, als die berühmte Universität in Sicht kam und die prächtige Aussicht auf altehrwürdige Türme und Zinnen, schlanke Ulmen und den leuchtenden Fluß sich vor ihm ausbreitete.

Pen hatte mit seinem Onkel ein paar Tage in der Wohnung des Majors in Bury Street zugebracht, ehe sie sich nach Oxbridge auf den Weg machten. Major Pendennis meinte, die Garderobe des Knaben bedürfe einer Erneuerung, und Arthur war irgendeinem Plan keineswegs abgeneigt, der ihm neue Röcke und Westen verschaffte. Die Opfer nahmen kein Ende, die der sich selbst verleugnende Onkel zugunsten des Jünglings brachte. London war entsetzlich einsam. Das Pflaster von Pall Mall war verödet, sogar die Rotjacken waren von der Stadt weggegangen. Kaum ein Gesicht war an 307 den Bogenfenstern der Klubs zu sehen. Der Major führte seinen Neffen in ein paar dieser einsamen Häuser und schrieb des jungen Menschen Namen auf die Kandidatenliste eines derselben. Arthurs Vergnügen über dieses Kompliment von Seiten seines Vormundes war ungeheuer. Er las in dem Pergamentbande seinen Namen und Titel als »Arthur Pendennis, Esquire, von Fairoaks Lodge, – – shire, Student im Kollegiat St. Bonifaz, Oxbridge, vorgeschlagen durch Major Pendennis und befürwortet durch Viscount Colchicum« mit einer innerlich ihm durch und durch gehenden Genugtuung. »Du wirst in etwa drei Jahren zur Ballotage kommen, in welcher Zeit du deinen akademischen Grad erreicht haben wirst,« sagte der Vormund. Pen wünschte, daß die drei Jahre vorüber sein möchten, und überschaute die mit Stuckaturen geschmückten Hallen, weiten Bibliotheken und Gesellschaftszimmer schon wie sein Eigentum. Der Major lächelte schlau über das großartige Benehmen dieses einfachen jungen Menschen, als er aus dem Gebäude herausschritt. Er und Foker fuhren eines Tages in des letzteren Cab zu den »Grauen Brüdern«, und erneuerten dort die Bekanntschaft mit einigen ihrer alten Kameraden. Die Knaben kamen in Masse an das Cab heran, das vor dem Tor der »Grauen Brüder« stand; sie traten ein und bewunderten das kastanienbraune Pferd sowie die knappen Hosen, die Livree und die Gravität Schafskopfs, des aufgeblasenen Bedienten. Die Glocke zur Nachmittagsschule ertönte gerade, als sie im Gespräch mit ihren alten Bekannten auf dem Spielplatze umherschlenderten. Der schreckliche Doktor schritt mit 308 seiner Grammatik in der Hand in die Schule hinein. Foker, dem es in seiner Gegenwart ungemütlich wurde, schlich sich fort, aber Pen trat errötend hinzu und schüttelte dem Würdigen die Hand. Er lachte, als er daran dachte, wie jene ihm wohlerinnerliche lateinische Grammatik ihm viele Male um die Ohren geschlagen worden war. Er war edelmütig, gutlaunig, mit einem Wort vollkommen zufrieden und befriedigt von sich selbst.

Dann fuhren sie zu dem väterlichen Brauhause. Fokers Geschäft besteht ans einer ungeheuren Masse von Gebäuden, die den »Grauen Brüdern« nahe liegen, und der Name dieser wohlbekannten Firma ist in vergoldeten Buchstaben auf den Schildern unzähliger Wirtshäuser, die von seinen Vasallen in der Nachbarschaft gepachtet sind, zu lesen. Der ehrenwerte jüngere Teilhaber und Direktor erwies dem jungen Lord von der Kufe und seinem Freunde die Ehre, ihnen in silbernen Fläschchen ein so starkes Doppelbier vorzusetzen, daß man hätte denken können, nicht nur die beiden jungen Leute, sondern sogar das Pferd, das Herr Harry Foker fuhr, sei von der Stärke des Getränkes angegriffen worden, denn es jagte in rasendem Galopp nach dem Westende der Stadt, so daß die Pastetenbuden und die Weiber an den Straßenübergängen in Gefahr kamen, der Wagentritt in Kollision mit den Steinen an den Straßenecken geriet und Schafskopf sich ängstlich auf seinem Brett hinten hin und her schaukeln lassen mußte.

Der Major war ganz selig, als er Pen mit seinen jungen Bekannten zusammensah, lauschte auf Herrn Fokers einfache Geschichte mit dem größten Interesse, 309 gab den beiden jungen Leuten ein schönes Diner in einem Covent Garden-Kaffeehaus, von wo aus sie ins Theater gingen; aber vor allem war er glücklich, als Herr und Frau Agnes Foker, die zufällig in London waren, sich das Vergnügen erbaten, Major Pendennis' und Herrn Arthur Pendennis' Gesellschaft bei einem Diner in Grosvenor Street haben zu dürfen. »Da du die Erlaubnis zum Besuche von Lady Agnes Fokers Haus erlangt hast,« sagte er mit zärtlicher Feierlichkeit, die zu der Wichtigkeit der Gelegenheit paßte, zu Pen, »so gebührt es sich, mein lieber Junge, daß du dir diese Gunst auch erhältst. Du mußt stets daran denken und niemals vergessen, in Grosvenor Street deine Aufwartung zu machen, wenn du nach London kommst. Ich empfehle dir sorgsam im Debrett alle Verbindungen und die Genealogie der Earls von Rosherville durchzusehen und, wenn es dir möglich ist, irgendeine leichte Anspielung auf die Familie zu machen, etwa auf ihre Geschichte, nett und verbindlich und so ähnlich, was dir, der du eine poetische Phantasie hast, ja nicht schwer fallen wird. Herr Foker selbst ist ein würdiger Mann, wenn auch leider nicht von hoher Abkunft, der auch nicht einmal viel Erziehung genossen hat. Er hat die Eigentümlichkeit, stets nach Tische etwas von dem Porter, den die Familie braut, herumgehen zu lassen, den du keinesfalls ausschlagen darfst, und den ich selbst trinken werde, obwohl alles Bier mir vom Grunde meiner Seele aus zuwider ist.« Und der heroische Märtyrer opferte sich tatsächlich selbst, wie er zu tun versprochen, an dem Tage, wo das Gastmahl stattfand, und der alte Herr Foker, der oben am Tische saß, machte 310 seinen üblichen Witz mit Fokers »Geschäft«. Wir alle – des bin ich sicher – hätten des Majors Grinsen gern gesehen, als der würdige alte Herr seinen altehrwürdigen Scherz machte.

Lady Agnes, die in ihrer wahren Verliebtheit in Harry die zärtlichste aller Mütter und eine der gutmütigsten, wenn auch nicht gerade klügsten aller Frauen war, empfing den Freund ihres Sohnes mit großer Herzlichkeit und setzte Pen durch Mitteilungen über den schwierigen Kursus der Studien, die ihr lieber Junge betrieb, und die, wie sie befürchtete, seine teure Gesundheit gefährden würden, in Erstaunen. Foker der Aeltere brach bei einigen dieser Reden in ein wieherndes Gelächter aus, und der Erbe des Hauses zwinkerte mit den Augen seinem Freunde äußerst verständnisvoll zu. Und nachdem Lady Agnes ihres Sohnes Geschichte von den frühesten Zeiten durchgegangen und seine ans Wunderbare grenzenden Leiden während Masern und Keuchhusten, sein Entrinnen vom Tode des Ertrinkens, die entsetzlichen Tyranneien, die ihm in jener schrecklichen Schule widerfahren wären, wohin ihn Herr Foker hätte senden wollen, weil er selbst dort erzogen worden wäre, aufgezählt und versichert hatte, daß sie diesem widerwärtigen Doktor nimmermehr vergeben würde, nein, nun und nimmermehr – nachdem also, sagen wir, Lady Agnes eine Stunde lang unaufhörlich von ihrem Sohn geschwatzt hatte, erklärte sie die beiden Herren Pendennis für höchst angenehme Leute, und als beim zweiten Gange die Fasanen kamen, die der Major als die allerschönsten Vögel pries, die er je gesehen, sagte Ihre Ladyschaft, daß sie von Logwood kämen 311 (was der Major recht wohl wußte), und sprach die Hoffnung aus, daß sie beide ihnen dort einen Besuch machen würden, etwa zu Weihnachten, oder wenn ihr teurer Harry in den Ferien nach Hause käme.

»Gott segne dich, mein lieber Junge,« sagte Pendennis zu Arthur, als sie ihre Kerzen in Bury Street anzündeten, um zu Bett zu gehen, »du machtest die kleine Anspielung auf Agincourt, wo einer der Roshervilles sich auszeichnete, recht nett und hübsch, obgleich Lady Agnes es nicht ganz verstand, aber es war außerordentlich gut für einen Anfänger – obwohl du, nebenbei gesagt, nicht so rot werden mußtest – und ich bitte dich, mein teurer Arthur, dich dein Lebelang zu erinneren, daß es mit einem Entrée, – mit einem guten Entrée, versteh mich wohl – für dich ganz ebenso leicht ist, gute Gesellschaft zu haben als schlechte, und daß es einem Manne, wenn er auf gehörige Weise eingeführt ist, nicht mehr Mühe oder Sorge kostet, in den besten Häusern Londons festen Fuß zu fassen und zu behalten, als mit einem Advokaten in Bedford Square zu speisen. Denke daran, wenn du in Oxbridge deinen Studien nachgehst, und sei ums Himmels willen recht wählerisch in den Bekanntschaften, die du machst. Der erste Schritt im Leben ist der wichtigste von allen. Schriebst du übrigens heute an deine Mutter? – Nein? – Gut, so tu es, ehe du fortgehst; mache dann bei Herrn Foker deine Aufwartung und frage, ob er einen Brief einzulegen hat. – Sie haben das gern. – Gute Nacht. Gott behüte dich.«

Pen schrieb einen drolligen Bericht über sein Treiben in London, über das Schauspiel, den Besuch bei 312 den »Grauen Brüdern«, in der Brauerei, und über Herrn Fokers Gesellschaft an seine teuerste Mutter, die zu Haus in der einsamen Wohnung zu Fairoaks ihre Gebete sprach, das Herz voll von Liebe und unaussprechlicher Zärtlichkeit für den Knaben; und sie und Laura lasen diese Briefe und die, welche folgten, viele viele Male durch und studierten sie nach Frauenart immer und immer wieder. Es war der erste Schritt im Leben, den Pen machte. Ach, was für eine gefährliche Reise ist das, und wie kann der Bravste straucheln und der Stärkste fehlen! Bruder Wallfahrer! Mögest du einen gütigen Arm finden, der dich auf dem Pfade stützt, und eine freundliche Hand haben, die denen zu Hilfe kommt, die neben dir fallen! Möge dich die Wahrheit leiten, die Gnade dir am Ziele vergeben und die Liebe dich immer begleiten! Ohne diese Lampe würde der Reisende so blind und die Reise so schwarz und trostlos sein!

So fuhr denn also die Kutsche nach jenem alten und bequemen Gasthause, dem Trencher, das in der Main Street in Oxbridge steht, und Pen sah mit Entzücken und Sehnsucht zum ersten Male junge Männer in Studententracht umhergehen, hörte Kapellenglocken läuten (in Oxbridge läuten die Glocken vom frühen Morgen bis zur späten Nacht) und sah Turm und Zinnen sich ruhig und stattlich über den Giebeln und alten Hausdächern der City erheben. Es hatten im voraus Verhandlungen zwischen Doktor Portman, der auf Pens Seite war, und Herrn Buck, dem Direktor von Bonifaz, wo Pen eintrat, stattgefunden, und sobald Major Pendennis zum persönlichen Erscheinen bereit 313 war, um einen würdigen Eindruck auf Pens Direktor zu machen, wandelte das Paar die Main Street hinab, ging durch das große Gitter und am Glockenturm des St. Georg-Kollegiums vorbei und gelangte so auf dem gewiesenen Wege nach St. Bonifaz, wo Pens Herz wiederum zu klopfen begann, als sie durch das Pförtchen des ehrwürdigen efeubewachsenen Tores des Kollegiums traten. Dieses ist von einer alten Kuppel überragt, die von Schlingpflanzen fast ganz überwuchert und mit dem Bildnis des Heiligen, von dem das Haus seinen Namen erhalten hat, und mit vielen Wappen seiner königlichen und adligen Wohltäter geschmückt ist.

Der Türsteher wies auf einen sonderbaren alten Turm im Winkel des Vierecks, durch den sie zu Herrn Bucks Zimmern gelangen würden, und die beiden Herren schritten quer über den viereckigen Hof, dessen Hauptpunkte sich sofort und für immer Pens Geiste einprägten: die schöne Fontäne, die in der Mitte des hübschen Grasplatzes spielte, die hohen Kapellenfenster und Strebepfeiler, die rechts in die Höhe stiegen, die Vorhalle mit ihrer flackernden Laterne und ihrem durchbrochenen Fenster, der Saal, aus dessen Türen der Magister ehrfurchtgebietend in raschelndem Seidengewande herausschritt, die Umrisse der umliegenden Zimmer, angenehm unterbrochen von ausgezackten Schornsteinen, grauen Türmchen und zierlichen Giebeln – alle diese Dinge nahmen Pens Augen mit einer Begierde auf, die bei ersten Eindrücken üblich ist, während Herr Pendennis dieselben mit jener gleichgültigen Ruhe betrachtete, die 314 einem Gentleman zukommt, der sich nicht um das Malerische kümmert, und dessen Augen durch das stete Starren auf das Pflaster von Pall Mall etwas getrübt worden sind.

Das Kollegium von St. Georg ist mit seinen vier weitläuftigen Fronten, seiner schönen Halle und seinen Gärten das größte Kollegium der Universität Oxbridge, und die Georgianer, wie die jungen Leute heißen, tragen Gewänder von besonderem Schnitt und geben sich nicht geringe Mühe, ihre Ueberlegenheit über alle übrigen jungen Leute zu zeigen. Das kleine St. Bonifaz ist nur ein winziges Lusthäuschen im Vergleich zu dem gewaltigen Stiftsgebäude, neben dem es liegt. Aber im Verhältnis zu seiner Größe hat es sich doch stets einen ausgezeichneten Namen auf der Universität bewahrt. Sein Ton ist sehr gut, die besten Familien gewisser Grafschaften haben seit undenklichen Zeiten ihre jungen Söhne nach St. Bonifaz geschickt; die Kollegiatsstellen sind ausgezeichnet bedacht, die Fellowstellen leicht zu erringen. Die Studenten von Bonifaz hatten mehr von den an der Universität zu gewinnenden Ehren gehabt, als ihnen eigentlich zukam; ihr Boot war das dritte auf dem Flusse; ihr Kapellenchor ist nicht geringer, als der von St. Georg selbst, und das Ale von Bonifaz ist das beste in Oxbridge. In der gemütlichen alten getäfelten Halle des Kollegiums und rings um Boubillacs Statue des heiligen Bonifaz (der in einer Stellung himmlischer Segenspendung über der ungemein gut versorgten Speisetafel der Fellows steht) befinden sich Porträts vieler der ausgezeichnetsten Bonifazianer. Da ist der gelehrte Doktor 315 Griddle, der zu Heinrichs des Achten Zeit den Märtyrertod erlitt, und Erzbischof Bush, der ihn briet, da ist der Lord Oberrichter Hicks, der Herzog von St. Davids, K. G., Kanzler der Universität und Mitglied dieses Kollegiums, Sprott, der Dichter, auf dessen Ruhm das Kollegium mit Recht stolz ist, Doktor Blogg, der ehemalige Lehrer und Freund Doktor Johnsons, der ihn in St. Bonifaz besuchte, und andere Rechtsgelehrte, Schulmänner und Geistliche, deren Porträts von den Wänden herabschauen und deren Wappenschilder in Smaragd und Rubin, Gold und Azur in den schmalen Fenstern des Refektoriums erglänzen. Der würdige Koch des Kollegiums ist einer der trefflichsten Künstler seiner Art in Oxbridge, und der Wein im Fellowzimmer ist schon lange wegen seiner Vortrefflichkeit und seiner Quantität berühmt gewesen.

In diesen Musenhain, der unter allen Hainen des Akademus sicher nicht der am unbequemsten gepflanzte war, fand Pen nun an seines Onkels Arm seinen Weg, und sie erreichten sehr bald Herrn Bucks Zimmer und wurden in die Stube dieses höflichen Gentlemans geführt.

Er war von Doktor Portman über Pen im voraus unterrichtet worden, von dessen Familie, Vermögen und persönlichen Vorzügen der würdige Doktor mit nicht geringer Begeisterung gesprochen hatte. In der Tat hatte Portman dem Studiendirektor Arthur als »einen jungen Herrn von einigem Vermögen und Landbesitz, aus einer der ältesten Familien des Königreiches« beschrieben, »der solchen Charakter und solche 316 Fähigkeiten besäße, daß er, unter passender Leitung, dereinst sicherlich eine Zierde des Kollegiums und der Universität werden könne«. Bei solchen Empfehlungen war der Direktor natürlich gegen den jungen Studenten und seinen Vormund die Herzlichkeit selbst, lud den letzteren ein, in der Halle mitzuspeisen, wo er die Genugtuung haben würde, seinen Neffen zum ersten Male im Studentenkostüm und am gemeinsamen Mahle teilzunehmen zu sehen, bat beide, nach dem Essen in der Halle auf seinem Zimmer ein Glas Wein mit ihm zu trinken, und sagte, daß er, zufolge des höchst günstigen Berichts, den er über Herrn Arthur Pendennis erhalten, sich glücklich schätze, ihm die besten Zimmer des Kollegiums anweisen zu können – die Zimmer eines Pensionärs erster Klasse nämlich, die Gott sei Dank grade frei geworden seien. Wenn ein solcher Magnat des Kollegiums sich überhaupt einmal die Mühe gibt, höflich zu sein, so kann es keinen Menschen geben, der von glänzenderer Höflichkeit wäre. Versenkt in ihre Bücher und abgeschlossen von der Welt durch den Ernst ihrer Beschäftigung, nehmen diese würdigen Männer Ausdrücke feierlicher Komplimente an, in denen sie einherrauschen und sich aufbauschen, wie in ihren großen Staatsgewändern. Aber die seidenen und brokatnen werden nicht für alle Ankömmlinge und nicht alle Tage angetan.

Als die beiden Herren von dem Direktor in seinem Arbeitszimmer Abschied genommen hatten und nach Herrn Bucks Vorzimmer oder Auditorium zurückgekehrt waren, – einem sehr hübschen Gemache, das mit 317 türkischen Teppichen belegt und an den Wänden mit ausgezeichneten Kupfern und reichgerahmten Gemälden geschmückt war, – fanden sie dort den Bedienten des Direktors, in Gesellschaft eines Mannes, mit einem ganzen Sack voll Mützen und einer Anzahl Studentengewänder warten, von denen sich Pen eine Mütze und ein Gewand für sich selbst aussuchen sollte, womit der Bediente sich ohne Zweifel ein solchem Dienste angemessenes Trinkgeld verdienen wollte. Herr Pen zitterte am ganzen Leibe vor Wonne, als der geschäftige Schneider ihm ein Gewand anprobierte und laut ausrief, wie ausgezeichnet es ihm stünde; dann setzte er die hübsche Studentenmütze in einer stutzerhaften Weise und etwas nach einer Seite auf, wie er Fiddicombe, den jüngsten Lehrer bei den »Grauen Brüdern«, sie hatte tragen sehen. Und er besichtigte die ganze Tracht mit hoher Genugtuung in einem der großen vergoldeten Spiegel, die Herrn Bucks Auditorium schmückten; denn manche von diesen geistlichen Herren sind nicht mehr über den Gebrauch von Spiegeln erhaben als eine Dame und sehen gerade so ängstlich darauf, ob ihnen Gewand und Kappe gehörig sitzen, als Personen des liebenswürdigeren Geschlechts.

Dann führte sie Davis, der Ausläufer oder Kalfaktor, die Schlüssel in der Hand, quer über den viereckigen Hof; der Major und Pen folgten ihm, der letztere errötend und vergnügt über seine neue akademische Kleidung, über den Hof nach den Zimmern, die für den jungen Fuchs bestimmt und durch den Abgang des vornehmen Pensionärs, Herrn Spicer, leer geworden 318 waren. Die Zimmer waren sehr bequem, mit mächtigen gekreuzten Deckenbalken, hohem Wandgetäfel und kleinen Fenstern in tiefen Fensterausschnitten. Herrn Spicers Meublement befand sich noch da, um nach einer Abtaxierung verkauft zu werden, und Major Pendennis gab seine Einwilligung, daß sein Neffe den wertvolleren Teil derselben nähme, wenn er auch (wie Pen seinerseits ebenfalls tat) sechs Kupfer mit Sportabenteuern und vier Gruppen Operntänzerinnen in Gazeröckchen, die die Gemäldegalerie des ehemaligen Studenten ausmachten, lächelnd ablehnte.

Dann gingen sie in die Halle, wo Pen sich an den gemeinsamen Tisch setzte und mit seinen Confüchsen speiste, während der Major an der erhöhten Tafel zwischen den Würdenträgern des Kollegiums und anderen Vätern oder Vormündern der jungen Leute seinen Platz einnahm, die mit ihren Söhnen nach Oxbridge gekommen waren; nach dem Essen gingen sie in Herrn Bucks Zimmer, um dort ein Glas Wein zu trinken, und nachher in die Kapelle, wo der Major sich mit großer Würde auf den ersten Platz setzte, von wo er eine schöne Aussicht auf den den Gottesdienst abhaltenden Lehrer auf seinem ausgeschnitzten Throne oder Sessel unter dem Orgelboden hatte, wo dieser Gentleman, der gelehrte Doktor Donne, prächtig mit seinem großen Gebetbuch vor sich da saß, ein Bild statuenartiger Frömmigkeit und strenger Andacht. All diese jungen Füchse benahmen sich höchst ernst und geziemend, aber Pen erschrak, als er sah, wie dieser entsetzliche kleine Foker, der sehr spät hereinkam, und ein halbes Dutzend seiner Kameraden in den Sitzen der 319 Pensionäre erster Klasse kicherten und schwatzten, als ob sie in ebenso vielen Opernlogen gewesen wären.

Pen konnte diese Nacht in seinem Bette im ›Trencher‹ kaum schlafen, so drängte es ihn, sein Studentenleben zu beginnen und in seine eigenen Zimmer zu kommen. Woran dachte er wohl, als er sich schlaflos auf seinem Lager herumwarf? An seine Mutter zu Haus, die fromme Seele, deren Leben so innig mit dem seinen verwachsen war? Ja, wir wollen hoffen, daß er ein wenig an sie dachte. An Fräulein Fotheringay und seine ewige Leidenschaft, die ihm so manche Nacht den Schlaf geraubt und solches Elend und solches Sehnen in ihm hervorgerufen hatte? Er errötete ein wenig, und wenn jemand im Zimmer gewesen wäre und die Kerze gebrannt hätte, so möchte er dieses Rotwerden mehr als einmal auf dem Gesichte des Jüngling wahrgenommen haben, während er in leidenschaftliche unzusammenhängende Ausrufe über dieses unselige Ereignis seines Lebens ausbrach. Seines Onkels Predigten waren ihm gegenüber nicht weggeworfen, der Nebel der Leidenschaft war jetzt von seinen Augen geschwunden, und er sah sie, wie sie wirklich war. Zu denken, daß er, Pendennis, von einem solchen Weibe zum Sklaven gemacht und dann von ihr abgedankt worden war! Daß er sich so tief herabgewürdigt hatte, sich in den Kot treten zu lassen! Daß es in seinem Leben eine Zeit gab, und zwar nur wenige Monate zurück, wo er sich Costigan zum Schwiegervater hatte nehmen wollen!

»Armer alter Smirke!« lachte Pen gleich darauf heraus, »ei, ich will doch an ihn schreiben und den 320 armen alten Jungen zu trösten versuchen. Er wird an seiner Leidenschaft schon nicht sterben, he, he.« Der Major hätte, wenn er wach gewesen wäre, ein ganzes Schock solcher Ausrufe hören können, die Pen, als er wach und ruhelos in der ersten Nacht seines Aufenthaltes in Oxbridge dalag, ausstieß.

Es wäre für den Jüngling, dessen Kampf mit dem Leben morgen beginnen sollte, vielleicht besser gewesen, wenn er den Vorabend mit einer anderen Art Vigilie verbracht hätte; indes die Welt hatte Pen in der Gestalt seines selbstsüchtigen alten Mentors, des Majors, ergriffen, und diejenigen, die sich in irgendeiner Weise für seinen Charakter interessieren, müssen schon früher als jetzt bemerkt haben, daß dieser junge Mensch an Charakter ebenso schwach wie ungestüm, ebenso eitel als offen, und wenn auch großmütig, doch mitten in seiner verschwenderischen Freigiebigkeit nicht wenig selbstsüchtig und ebenso äußerst wankelmütig war, wie alle diejenigen Leute sind, die sich so eifrig selbst nützen wollen.

Seine sechsmonatliche Leidenschaft hatte ihn um ein Beträchtliches älter gemacht. Es bestand eine ungeheure Kluft zwischen Pen, dem Opfer der Liebe, und Pen, dem unschuldigen achtzehnjährigen Jungen, der nach der Liebe seufzte; und so hatte denn Arthur Pendennis, abgesehen von dem befehlenden Tone, den ihm später seine Einbildung und sein hochfahrendes Wesen annehmen ließen, alle die Erfahrungen und die Ueberlegenheit des Alters vor den jungen Leuten voraus, mit denen er jetzt zu leben begann.

Er und sein Onkel verwendeten den Morgen mit 321 großer Genugtuung darauf, daß sie Einkäufe für die bequemere Einrichtung der Gemächer machten, die der junge Mann einnehmen sollte. Herrn Spicers Porzellan und Glas waren in einem entsetzlich vernachlässigten Zustande, seine Lampen zerbrochen und seine Bücherregale durchaus nicht so geräumig, als es der Inhalt der Koffer erforderte, die in der Halle zu Fairoaks lagen und von der Hand der armen Helene an Arthur adressiert waren.

Diese Koffer, die seine Mutter mit soviel Sorgfalt gepackt hatte, kamen nach wenigen Tagen an. Pen war gerührt, als er die Aufschriften von der teuren wohlbekannten Hand erblickte, und tat alle Bücher, seine alten Freunde, und all die Leibwäsche und Tischtücher, die Helene aus dem Familienvorrat ausgewählt hatte, und all die Töpfe mit Eingemachtem, die Klein-Laura in Stroh gebunden, und all die hundert einfachen Gaben von Hause an ihre gehörigen Plätze.



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