William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Erstes Kapitel

Eine erste Liebe kann ein Frühstück stören

Eines schönen Morgens mitten in der Londoner Saison kam Major Arthur Pendennis aus seiner Wohnung herüber, um seiner Gewohnheit gemäß in einem gewissen Klub in Pall Mall, dessen Hauptzierde er war, sein Frühstück einzunehmen. Stets um ein Viertel nach zehn Uhr erschien der Major mit den glänzendsten Stiefeln von ganz London, mit einer wohlgebundenen Morgenkrawatte, die bis zur Essenszeit kein Fältchen aufwies, einer hellgelben Weste, die die Krone seines Landesherrn auf den Knöpfen zeigte, und so tadellosem Leinenzeug, daß selbst Herr Brummel nach dem Namen seiner Wäscherin gefragt hatte, und ihr höchst wahrscheinlich Arbeit gegeben haben würde, wenn nicht das Mißgeschick diesen großen Mann 5 gezwungen hätte, außer Landes zu fliehen. Pendennis' Rock, seine weißen Handschuhe, sein Backenbart, selbst sein Spazierstock, waren in ihrer Art vollkommene Muster des Kostüms eines alten pensionierten Militärs. Von ferne oder wenn man nur seinen Rücken sah, hätte man ihn für nicht älter als dreißig Jahre gehalten; erst bei näherem Hinsehen bemerkte man, daß sein dunkelbraunes Haar eine Perücke war, und daß sich um die etwas matten Augen seines hübsch rot und weißen Gesichtes ein paar Krähenfüßchen befanden. Seine Nase glich der des Herzogs von Wellington. Seine Hände und Manschetten waren wunderschön lang und weiß. An den letzteren trug er schöne goldne Knöpfe, ein Geschenk Sr. Kgl. Hoheit des Herzogs von York, und an den ersteren mehr als einen eleganten Ring, von denen der größte und schwerste mit dem berühmten Wappen der Pendennis' geschmückt war. Er nahm stets von demselben Tische in derselben Ecke des Zimmers Besitz, und niemand dachte jemals daran, ihn von dort zu verdrängen. Ein paar tolle Spaßvögel und wilde Burschen hatten allerdings früher einmal versucht, ihn dieses Platzes zu berauben; aber der Major hatte mit ruhiger Würde am nächsten Tische Platz genommen und die Eindringlinge mit solchen Blicken gemessen, daß es für jeden unmöglich wurde, sitzen zu bleiben und unter seinen Augen zu frühstücken; und jener Tisch – am Feuer und doch nahe beim Fenster – wurde der seine. Hier legte man in Erwartung seines Kommens seine Briefe hin, und viele der jungen Stadtherrn sahen mit Verwunderung auf die Zahl dieser Billetts und auf die Siegel und Freimarken, die sie trugen. Wenn es irgendeine Frage gab in bezug auf 6 Etikette oder Gesellschaftliches, oder wenn man wissen wollte, mit wem der oder die verheiratet, wie alt dieser oder jener Herzog sei, so war Pendennis der Mann, an den sich jeder wendete. Marquisen pflegten bei dem Klub vorzufahren und Billetts für ihn zu hinterlassen oder ihn herauszurufen. Er war äußerst leutselig. Die jungen Leute gingen gern mit ihm im Park oder die Pall Mall hinunter spazieren; denn er faßte vor jedermann an seinen Hut, und jeder zweite, dem er begegnete, war ein Lord.

Der Major setzte sich also an seinem gewohnten Tische nieder, und während die Kellner gingen, um ihm sein geröstetes Brot und seine noch feuchte Zeitung zu bringen, überblickte er seine Briefe durch seine goldne Doppellorgnette, prüfte ein hübsches Billett nach dem andern und legte sie dann wieder säuberlich zusammen. Da waren große feierliche Einladungen zu Diners mit drei Gängen und gediegener Unterhaltung; da waren nette kleine vertrauliche Billetts, in denen ihn Frauen um etwas baten; da war ein Brief auf dickem amtlichen Papier vom Marquis von Steyne, worauf dieser ihn nach Richmond zu einer kleinen Gesellschaft im ›Stern und Hosenband‹ einlud, ein andrer von Bischof von Ealing und Frau Trail, die den Major Pendennis um die Ehre baten, an einer Gesellschaft in Ealing House teilzunehmen; all diese Briefe las Pendennis mit freundlicher Miene, und mit um so größerer Genugtuung, weil Glowry, der schottische Wundarzt, der ihm gegenüber frühstückte, ihn anstarrte und ihn wegen der vielen Einladungen beneidete, da er selbst von niemandem eine bekam. 7

Nachdem er alles durchgesehen, nahm der Major sein Taschenbuch heraus, um zu sehen, an welchen Tagen er frei sei, und welche von diesen vielen gastfreundlichen Einladungen er annehmen konnte oder ausschlagen mußte.

Er strich Cutler, den Direktor der Ostindischen Kompagnie in Baker Street, um mit Lord Steyne und der kleinen französischen Gesellschaft im ›Stern und Hosenband‹ zu speisen – die Einladung des Bischofs nahm er an, weil er, trotz dem mittelmäßigen Essen, doch gern bei einem Bischof speiste, und so ging er seine Liste durch und verfügte über alle nach seiner Laune oder seinem Vorteil. Dann nahm er sein Frühstück ein, überflog die Zeitung, den Anzeiger, die Geburten und Todesfälle und die Nachrichten aus der vornehmen Welt, um zu sehen, ob sich sein Name unter den Gästen bei Mylord Soundsos großem Fest befand, und in den Pausen zwischen diesen Beschäftigungen führte er ein muntres Gespräch mit seinen Bekannten im Zimmer.

Von den Briefen, die für diesen Morgen des Herrn Majors Pendennis Arbeit bildeten, war nur ein einziger noch ungelesen, und dieser lag einsam und abseits von all den vornehmen Londoner Briefen, trug ein Postzeichen aus der Provinz und ein einfaches Siegel. Die Aufschrift war von hübscher, zierlicher Frauenhand, und die schöne Schreiberin hatte »eilig« darauf gesetzt; aber der Major hatte aus eigenen Gründen diesen geringen ländlichen Bittsteller bis zum gegenwärtigen Augenblicke unberücksichtigt gelassen, und dieser konnte sicherlich kaum hoffen, unter so vielen vornehmen Leuten, die ihre Aufwartung machten, Gehör zu finden. Die Sache war die. Der Brief kam von einer weiblichen Verwandten von 8 Pendennis, und während die großen Herrschaften von ihrem Schwager sofort empfangen wurden, Gehör bekamen und sozusagen erledigt abfuhren, blieb der geduldige ländliche Brief noch eine lange Zeit unbeachtet im Vorzimmer und konnte warten.

Zuletzt kam aber auch an diesen Brief die Reihe, und der Major erbrach ein Siegel mit dem Namen ›Fairoaks‹ und dem Postzeichen von Clavering St. Marys. Es war ein doppelter Brief, und der Major fing an, die Hülle zu lesen, ehe er die innere Epistel in Angriff nahm.

»Wohl ein Brief von grade so einem Narren?« brummte Herr Glowry innerlich. »Pendennis würde ihn sonst nicht bis zuletzt gelassen haben, denke ich.«

»Mein lieber Major Pendennis,« lautete der Brief, »ich bitte und flehe Sie an, sofort zu mir zu kommen,« (sehr wahrscheinlich, dachte Pendennis, wo heute Steynes Diner ist!) – »ich bin in der größten Betrübnis und Verlegenheit. Mein teurer Sohn, der sich bisher benommen hat, wie die zärtlichste Mutter sich es nur wünschen kann, macht mir schrecklichen Kummer. Er hat – ich kann es kaum niederschreiben – eine leidenschaftliche verblendete Liebschaft,« (der Major lächelte spöttisch –) »mit einer Schauspielerin angebändelt, die hier aufgetreten ist. Sie ist wenigstens zwölf Jahre älter als Arthur – der im nächsten Februar erst achtzehn wird – und der unselige Junge besteht darauf, sie zu heiraten.«

»Oho! Weshalb flucht Pendennis jetzt so?« fragte sich Herr Glowry, denn Zorn und Erstaunen lagen in des Majors offnem Munde, als er diese sonderbare Nachricht las. 9

»Bitte, lieber Freund,« fuhr die kummergebeugte Dame fort, »kommen Sie sofort nach Empfang dieser Zeilen zu mir; bitten Sie Arthur als sein Vormund, vielmehr befehlen Sie dem unglückseligen Kinde, diesen höchst beklagenswerten Entschluß aufzugeben.« Nachdem sie noch manches in diesem Sinne geschrieben hatte, schloß die Schreiberin, indem sie sich als des Majors »unglückliche zärtliche Schwägerin, Helene Pendennis« unterzeichnete. »Fairoaks, Dienstag,« – schloß der Major, indem er die letzten Worte des Briefes las – »ein vert – nettes Geschäft in Fairoaks, am Dienstag; nun wollen wir aber sehen, was der Junge zu sagen hat«; und er nahm den andern Brief zur Hand, der in großer weiter Knabenhandschrift geschrieben und mit dem großen Petschaft der Pendennis gesiegelt war, das noch das des Majors an Größe übertraf; Klexe überflüssigen Siegellacks waren um das Siegel gespritzt und bezeugten des Absenders Angst und Aufregung.

Die Epistel lautet folgendermaßen –

»Fairoaks, Montag um Mitternacht.

»Mein lieber Onkel,

ich setze Sie hiermit geziemend von meiner Verlobung mit Fräulein Costigan in Kenntnis. Sie ist die Tochter von J. Chesterfield Costigan, Esq. auf Costiganstown, Ihnen aber vielleicht besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Fräulein Fotheringay, den sie an den Theatern von Drury Lane und Crow Street, im Umkreise von Norwich und in Wales geführt hat. Ich bin mir wohl bewußt, daß ich Ihnen damit eine Anzeige mache, die wenigstens nach den gegenwärtig herrschenden gesellschaftlichen Vorurteilen meiner Familie nicht 10 willkommen sein kann. Meine teuerste Mutter, der ich, Gott weiß es, wahrhaftig keinen unnützen Schmerz bereiten möchte, ist, wie ich leider bekennen muß, tief bewegt und bekümmert durch die Nachricht, die ich ihr diesen Abend mitgeteilt habe. Ich bitte Sie, teuerster Onkel, herzukommen, mit ihr zu reden und sie zu trösten. Obgleich meine Braut durch Armut gezwungen ist, sich durch Ausübung ihrer glänzenden Talente ein ehrenhaftes Auskommen zu erwerben, ist Fräulein Costigans Familie doch so alt und edel, wie unsre eigne: Als unser Ahn Ralph Pendennis mit Richard dem Zweiten in Irland landete, waren die Ahnen meiner Emily Könige dieses Landes. Ich habe diese Auskunft von Herrn Costigan selbst, der wie Sie ein Militär ist.

»Vergeblich war mein Versuch, mit meiner teuren Mutter darüber zu reden und ihr klarzumachen, daß eine junge Dame von untadligem Charakter und gleicher Abkunft, die mit den glänzendsten Gaben der Schönheit und des Geistes begabt ist, und sich der Ausübung des edelsten Berufes nur zum heiligen Zwecke des Unterhaltes ihrer Familie widmet, ein Wesen ist, das wir alle eher lieben und verehren, als zurückstoßen sollten. Meine arme Mutter hat Vorurteile, die meine Logik nicht zu überwinden vermag, und weigert sich, jemand in ihren Armen willkommen zu heißen, die ganz dazu angetan ist, ihr ganzes Leben hindurch ihre zärtlichste Tochter zu sein.

»Obwohl Fräulein Costigan ein paar Jahre älter ist als ich, so setzt dieser Umstand doch meiner Liebe keine Schranken und wird sicherlich ihre Dauer nicht beeinflussen. Ein Liebesbund wie der unsrige, das fühle ich, ist einmal und für ewig geschlossen. Da ich nie zuvor, 11 ehe ich sie sah, von Liebe träumte, so fühle ich jetzt, daß ich sterben werde, ohne jemals eine andere Leidenschaft kennen gelernt zu haben. Es ist das Schicksal meines Lebens, und da ich einmal geliebt habe, so würde ich mich selbst verachten und meines adligen Namens unwürdig sein, wenn ich zauderte, meiner Leidenschaft das Siegel des Gesetzes aufzudrücken, wenn ich nicht alles gäbe, wo ich alles fühle, wenn ich dem Weibe, das mich zärtlich liebt, nicht mein ganzes Herz und mein ganzes Vermögen zu Füßen legte.

»Ich dringe auf eine baldige Heirat mit meiner Emily – denn wahrhaftig, warum sollte sie hinausgeschoben werden? Ein Hinausschieben läßt einen Zweifel zu, den ich als unwürdig von mir weise. Es ist unmöglich, daß meine Gefühle für Emily sich ändern können – daß sie in irgendeinem Lebensalter etwas andres als der einzige Gegenstand meiner Liebe sein könnte. Also warum denn warten? Ich bitte Sie, mein teurer Onkel, zu uns zu kommen und meine liebe Mutter unserem Bunde günstig zu stimmen, und ich wende mich an Sie als einen Mann von Welt, qui mores hominum multorum vidit et urbes, der keine solchen schwachmütigen Skrupel und Befürchtungen empfindet, von denen eine Dame, die kaum jemals ihr Dorf verlassen hat, in Aufregung gebracht wird.

»Bitte, kommen Sie so schnell wie möglich zu uns. Ich hege die feste Zuversicht, daß Sie – abgesehen von den Vermögensverhältnissen ihrer Familie – den Gegenstand meiner Wahl bewundern und diese gutheißen werden.

Ihr treu ergebener Neffe,
Arthur Pendennis jun.« 12

Als der Major diesen Brief durchgelesen hatte, nahm sein Gesicht den Ausdruck solchen Aergers und Entsetzens an, daß Glowry, der Wundarzt, nach der Lanzette fühlte, die er immer in seinem Kartentäschchen mit herumtrug, denn er dachte, sein wertgeschätzter Freund bekäme einen Schlaganfall. Die Nachricht war in der Tat hinreichend, um Pendennis in Aufregung zu versetzen. Der Stammhalter der Pendennis war im Begriff eine Schauspielerin, die mehr als zehn Jahre älter war, zu heiraten – der dickköpfige Junge wollte kopfüber in den Ehestand hineinplumpsen! »Die Mutter hat den jungen Schlingel verdorben,« murrte der Major innerlich, »mit ihrer verfluchten Sentimentalität und romantischen Schwärmerei: Mein Neffe eine Bühnenkönigin heiraten! Großer Gott, die Leute werden so über mich lachen, daß ich mich nicht mehr werde sehen lassen können!« Und er dachte mit unaussprechlicher Wehmut daran, daß er Lord Steynes Diner in Richmond aufgeben, seine Ruhe opfern und die Nacht in einer abscheulichen Postkutsche zubringen müßte, anstatt sich, wie er sich versprochen, in der angenehmsten und gewähltesten Gesellschaft von England vergnügen zu können.

Er verließ seinen Frühstückstisch und begab sich nach dem angrenzenden Schreibzimmer, wo er mit kläglicher Miene an den Marquis, den Grafen, den Bischof und alle anderen schrieb, von denen er Einladungen hatte; hierauf befahl er seinem Bedienten, für diesen Abend Plätze in der Postkutsche zu nehmen. Den Betrag, den er für die Sitze bezahlte, schrieb er natürlich auf Rechnung der Witwe und des jungen Taugenichts, dessen Vormund er war. 13



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