William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

»Frau Haller« zu Hause

Ohne seinen Schritt zu mäßigen, galoppierte Pen nach Baymouth, stellte das Pferd im Stalle des Gasthauses ein und lief geradeswegs nach Herrn Fokers Wohnung, deren Lage er sich 81 am Tage vorher hatte beschreiben lassen. Als er die Wohnung erreicht hatte, die über dem Laden eines Materialwarenhändlers lag, dessen Zigarren und Sodawasser auf freundliche Empfehlung seiner jungen Mieter reißenden Absatz fanden, traf Pen nur Herrn Spavin, Fokers Freund und Mitbesitzer des Tandems, womit letzterer nach Chatteris gefahren war. Er rauchte und brachte einem kleinen Lieblingshunde mit Hilfe eines Stückes Zwieback Kunststückchen bei.

Pens gesundes, frisches Gesicht, von dem scharfen Ritte noch mehr gerötet, bildete einen grellen Gegensatz zu dem wächsernen, verlebten kleinen Gesicht von Fokers Stubengenossen; Herr Spavin bemerkte das. »Was ist dieser Mensch?« dachte er, »der sieht ja frisch wie eine Hagebutte aus. Und ich will fünf gegen eins wetten, dem zittert seine Hand morgens nicht.«

Foker war gar nicht nach Hause gekommen. Das war eine Enttäuschung! – Herr Spavin konnte nicht sagen, wann sein Freund zurückkehren würde. Manchmal bleibe er einen Tag weg, manchmal eine Woche. Vom welchem College Pen sei? Ob ihm etwas gefällig sei? Es wäre ein sehr schönes Töpfchen Ale da. Herr Spavin wurde von Pendennis' Namen in Kenntnis gesetzt, indem dieser seine Karte hervorzog und hinlegte (vielleicht war Pen damals ziemlich stolz, eine Karte zu besitzen) – und so verabschiedeten sich die jungen Leute.

Dann ging Pen nach den Felsen hinunter, machte einen Gang an dem sandigen Strande und biß sich am Ufer der lauttosenden See an den Nägeln herum. Sie lag leuchtend und unermeßlich vor ihm. Die blauen Wasser rollten in die Bucht und schäumten und 82 brüllten heiser; Pen sah ihnen mit gedankenlosen Augen zu, sie kaum beachtend. Was für ein Ebben und Fluten im eigenen Gemüte des Jünglings, und wie wenig Macht hatte er, es zu hemmen! Pen warf Steine in die See; sie schwoll immer noch mehr an. Er war wütend, daß er Foker nicht getroffen hatte. Er wollte ja Foker sehen. »Wenn ich die – die Straße nach Chatteris hinunterritte, vielleicht begegnete ich ihm da,« – dachte Pen. Rebekka war in einer halben Stunde gesattelt und galoppierte auf dem Grasrand des Weges nach Chatteris. Etwa vier Meilen von Baymouth zweigt sich der Weg nach Clavering ab, wie jedermann weiß, und die Stute wollte natürlich diesen Weg nehmen, aber Pen klopfte ihr auf den Hals, passierte an dem Kreuzwege vorüber und ritt auf der Chaussee fort, ohne auch nur eine Spur von dem schwarzen Tandem mit den roten Rädern zu sehen.

Da er einmal auf der Chaussee war, konnte er ebensogut noch weiter reiten, das war klar. So ritt Pen denn nach dem »Georg«, und der Hausknecht erzählte ihm, daß Herr Foker da festsäße, daß er die vergangene Nacht einen schauderhaften Spektakel gemacht, gezecht und gesungen hätte und sich mit Tom, dem Postillon, hätte prügeln wollen, wobei er aber wohl schlecht weggekommen wäre, wie der Mensch grinsend sagte. »Hast du deinem Herrn heißes Wasser zum Rasieren hinaufgetragen?« fügte er sehr satirisch hinzu, sich an Herrn Fokers Bedienten wendend, der eben mit den prachtvoll gebürsteten und zusammengelegten Kleidern seines Herrn über den Hof kam. »Führt Herrn Pendennis zu ihm rauf.« Und Pen folgte dem Manne 83 in das Zimmer, wo inmitten eines ungeheuren Bettes Herr Harry Foker der Ruhe pflegte.

Das Federbett und die Kissen schwollen über Herrn Foker zusammen, so daß man kaum sein kleines blaßgelbes Gesicht und seine rote Nachtmütze sah.

»Halloh!« rief Pen.

»Wer ist da? Sag's schnell, Brüderchen!« knurrte die Stimme aus dem Bette. »Was! Pendennis schon wieder? Weiß deine Mama, daß du weg bist? Hast du gestern mit uns zu Abend gegessen? Nein – wart mal – wer aß gestern abend mit uns, Schafskopf?«

»Die drei Offiziere, Herr, und Herr Bingley, Herr, und Herr Costigan, Herr,« antwortete der Bediente, der alle Bemerkungen Herrn Fokers vollkommen ernst auffaßte.

»Ach ja, der Becher und die Witze machten die Runde. Wir sangen eins, und ich entsinne mich, daß ich mich mit einem Postillon prügeln wollte. Hab' ich ihn verhauen, Schafskopf?«

»Nein, Herr. Es kam nicht zum Prügeln, Herr,« sagte der »Schafskopf« noch immer vollkommen ernsthaft. Dann packte er Herrn Fokers Kleider und ordnete den Handkoffer, das Geschenk einer zärtlichen Mutter, ohne den der junge Fant niemals reiste. Er enthielt einen erstaunlichen Vorrat an Tellern, eine silberne Schüssel, einen silbernen Becher, silberne Schachteln und Fläschchen für alle Sorten Essenzen, und eine Auswahl von Rasiermessern für die Zeit, wo Herrn Fokers Bart käme.

»Werd's ihm ein anderes Mal besorgen,« sagte der junge Bursche, indem er gähnte und seine kleinen 84 schwächlichen Arme über dem Kopfe zusammenschlug. »Nein, es gab keine Prügelei, dafür aber ein tüchtiges Singen. Bingley sang, ich sang, der General sang – Costigan meine ich. – Hörtest du ihn schon mal ›das kleine Schweinchen unterm Bett‹ singen, Pen?«

»Der Mann, dem wir gestern begegneten?« sagte Pen am ganzen Leibe zitternd, »der Vater von –«

»Von der Fotheringay, – derselbe. Ist sie nicht eine Venus, Pen?«

»Bitte, Herr, Herr Costigan ist im Vorzimmer, Herr, und sagt, Sie hätten ihn zum Frühstück eingeladen, Herr. Er war schon fünfmal da, Herr, aber er wollte Sie um keinen Preis wecken, und er ist schon seit elf Uhr hier, Herr –«

»Wie spät ist es jetzt?«

»Eins, Herr.«

»Was würde die beste Mutter sagen,« schrie der kleine Teufelskerl, »wenn sie mich um diese Stunde im Bette liegen sähe? Sie schickte mich zu dem Einpauker. Sie will, ich soll meinen vernachlässigten Geist kultivieren – He, he! Höre, Pen, dies ist nicht ganz wie um sieben in der Schule, – nicht wahr, alter Junge?« – und der junge Bursche brach in ein kindisch vergnügtes Gelächter aus. Dann fügte er hinzu – »Geh und schwatz ein bißchen mit dem General, während ich mich in Wichs werfe. Und hör, Pendennis, bitte ihn, dir ›das kleine Schweinchen unterm Bett‹ vorzusingen; das ist kapital.« Pen ging in großer Aufregung ab, um Herrn Costigan aufzusuchen, und Herr Foker begann seine Toilette.

Von Herrn Fokers beiden Großvätern war der eine, 85 von dem er ein Vermögen geerbt, ein Brauer, der andre ein Graf, von dem er die in ihn vernarrteste Mutter der Welt bekommen hatte. Fokers Vater war schon zu den Zisterziensern in die Schule gegangen. Unser Freund, dessen Name über der Mauer des Spielplatzes an einem Wirtshausschilde zu sehen war, unter dem »Ausschank von Fokerbier« gemalt stand, war wegen seines Treibens, seines unziemlichen Benehmens, seiner Ungeschicklichkeit im Lernen, seiner Unsauberkeit, seiner Gefräßigkeit und andrer schwacher Seiten wegen berüchtigt gewesen.

Wer aber weiß, wie ein empfänglicher junger Mensch unter der Tyrannei seiner Schulkameraden zum verschlagenen Duckmäuser wird, der wird begreifen, wie er sehr wenige Monate nach seiner Befreiung von dieser Zwangsjacke sich so entwickelte, wie er es getan, und der humoristische, sarkastische, glänzende Foker wurde, den wir kennen gelernt haben. Ein Dummkopf war er ewig, das ist wahr; denn Gelehrsamkeit kann nicht durch Abgehen von der Schule und Eintreten in ein College erworben werden; aber er war jetzt (nach seiner eigenen besondern Art) ein ebenso großer Stutzer, wie er vordem ein Schmutzfink gewesen war, und als er in sein Vorzimmer eintrat, um sich seinen beiden Gästen zuzugesellen, erschien er wohlduftend und in feine Wäsche gekleidet und war eine recht glänzende Erscheinung.

General oder Kapitän Costigan – denn das letztere war der Rang, den er sich lieber beilegte – saß am Fenster und hielt die Zeitung auf Armslänge von sich entfernt. Des Kapitäns Augen waren wohl etwas 86 trübe, und er buchstabierte das Blatt ebensowohl mit den Lippen, als mit seinen blutunterlaufenen Augen, wie man es Herren tun sieht, denen das Lesen eine seltene und schwierige Beschäftigung ist. Sein Hut saß sehr schief auf einem Ohr, und da einer seiner Füße auf dem Fensterbrette lag, so hätte ein Beobachter von dergleichen Dingen an dem schäbigen Aussehen der Stiefel, die der Kapitän trug, bemerken können, daß es ihm nicht allzugut ging. Es scheint, als ob die Armut vor der gänzlichen Besitzergreifung eines Menschen zuerst gern seine äußeren Gliedmaßen angriffe; die Bedeckungen seines Kopfes, die seiner Füße und Hände sind ihre erste Beute. All diese Teile der Erscheinung des Kapitäns waren ganz besonders zerrissen und abgeschabt. Sobald er Pen erblickte, nahm er sein Bein vom Fensterbrette, und begrüßte den Neuangekommenen zuerst auf militärische Art, indem er zwei seiner Finger (die mit einem zerrissenen schwarzen Handschuh bekleidet waren) an seinen Hut legte, und dann durch gänzliches Abnehmen dieser Zierde. Der Kapitän hatte Anlage zu einer Glatze, aber er kämmte sich einen Teil seines dünnen eisengrauen Haares über die Kopfhaut in die Höhe, und hatte ein paar Büschel desselben auf jeder Seite seines Gesichts herabhängen. Viel Whisky hatte den rosigen Teint vernichtet, den Herr Costigan in seiner Jugend besessen haben mochte. Sein ehemals hübsches Gesicht war jetzt kupferfarben. Er trug eine sehr hohe, an vielen Stellen abgeschabte und befleckte Halsbinde und einen Rock, der eng zugeknöpft war, soweit eben nicht die Knöpfe an dem Kleidungsstücke fehlten. 87

»Ah! Der junge Herr, dem ich die Ehre hatte, gestern vor der Kathedrale vorgestellt zu werden,« sagte der Kapitän mit einer kavaliermäßigen Verbeugung und einem Schwenken seines Hutes. »Ich hoffe, Sie befinden sich wohl, mein Herr. Ich bemerkte Sie im Theater, gestern abend, als meine Tochter auftrat, und vermißte Sie bei meiner Rückkehr. Ich brachte sie nur nach Hause, mein Herr, denn Jack Costigan, wenn auch arm, ist doch ein Gentleman, und als ich wieder ins Haus eintrat, um meinem lustigen jungen Freunde, Herr Foker, meine Aufwartung zu machen – da waren Sie schon fort. Wir hatten eine vergnügte Nacht, Herr, – Herr Foker, die drei wackern jungen Dragoner und Ihr ergebener Diener. Gott, Herr, es erinnerte mich an eine unsrer einstigen Nächte, als ich noch in Seiner Majestät Diensten im heldenmütigen hundertdritten Regiment stand.« Und er zog eine alte Schnupftabaksdose hervor, die er mit erhabener Miene seinem neuen Bekannten präsentierte.

Arthur war viel zu verwirrt, um sprechen zu können. Dieser schäbige alte Bock war – war ihr Vater. »Ich hoffe, Fräulein F – –, Fräulein Costigan befindet sich wohl, Herr Kapitän,« sagte Pen errötend. »Sie – sie hat mir mehr Freude bereitet, als – als ich – ich – ich je in einem Schauspiele empfand. Ich glaube, Herr Kapitän – ich – ich halte sie für die größte Schauspielerin der Welt,« stotterte er hervor.

»Ihre Hand, junger Mann! denn Sie sprechen aus dem Herzen,« schrie der Kapitän. »Danke Ihnen, Herr Pendennis; ein alter Soldat und zärtlicher Vater dankt Ihnen. Sie ist die größte 88 Schauspielerin in der Welt. Ich habe die Siddons gesehen, Herr Pendennis, und die O'Nale – sie waren groß, aber was waren sie im Vergleich zu Fräulein Fotheringay? Ich wünsche nicht, daß sie ihren eignen Namen führt, solange sie beim Theater ist. Meine Familie, werter Herr, hat ihren Stolz, und die Costigan von Costiganstown meinen, daß ein ehrlicher Mann, der die Farben Seiner Majestät im hundertdritten getragen hat, sich erniedrigen würde, wenn er seiner Tochter erlauben wollte, ihrem alten Vater das Brot zu verdienen.«

»Es kann keine ehrenvollere Pflicht geben, als diese, sicherlich,« sagte Pen.

»Ehrenvollere! Donnerwetter, mein Herr, ich möchte den Mann sehen, der da sagte, Jack Costigan würde seine Einwilligung geben zu etwas Nichtehrenhaftem! Ich habe ein Herz, Herr Pendennis, obwohl ich arm bin, und ich liebe Menschen, die auch eins haben. Sie haben eins; ich lese es in Ihrem ehrlichen Gesicht und offnen Auge. Und werden Sie's glauben?« fügte er nach einer Pause mit pathetischem Geflüster hinzu, »daß dieser Bingley, der durch mein Kind sein Glück gemacht hat, ihr nur zwei Guineen die Woche gibt, von denen sie sich auch noch ihre Garderobe beschaffen muß, und die, außer meinem eignen geringen Mitteln, unser ganzes Einkommen sind?«

Nun waren die Mittel des Kapitäns wohl so gering, wie sie nur sein konnten, ja, es mag gesagt sein, sie waren ganz unsichtbar. Aber kein Mensch weiß, warum der Wind gegen die geschorenen Lämmer Irlands immer so gutgestimmt ist, und an welchen 89 wunderbaren Stellen sie ihre Weide finden. Wenn Kapitän Costigan, den ich die Ehre hatte zu kennen, nur seine Geschichte erzählt haben würde, so würde es eine große moralische Geschichte gewesen sein. Aber er hätte sie weder erzählen wollen, wenn er es auch gekonnt hätte, noch hätte er es gekonnt, wenn er es gewollt hätte; denn der Kapitän war es nicht nur ganz ungewohnt, die Wahrheit zu sagen, – er war sogar unfähig, sie nur zu denken – und Wahrheit und Dichtung verschmolzen in seinem wirren verschnapsten Gehirne in eins zusammen.

Er begann sein Leben ziemlich glänzend mit einem frischen Gesicht, einem hübschen Wuchse, strammen Beinen und einer der schönsten Stimmen der Welt. Bis zu seinem letzten Tage sang er mit bewundrungswürdigem Pathos und Humor jene wundersamen irischen Balladen, die so lustig und doch so melancholisch sind, und war immer selbst der erste, der sich von ihnen zu Tränen rühren ließ. Armer Cos! er war zugleich tapfer und versoffen, humoristisch und einfältig, immer gutmütig und manchmal sogar fast glaubwürdig. Bis zum letzten Tage seines Lebens trank er mit jedem und bezahlte niemanden; und er endete in einem Schuldgefängnis, wo der Unterbeamte des Scherifs, der ihn wegschaffte, seine Freude an ihm hatte.

Während seines kurzen Lebensmorgens bildete Cos den Glanzpunkt der Regimentsessen und hatte die Ehre, seine Lieder, mochten es nun lustige Trink- oder sentimentale Liebeslieder sein, an den Tafeln der berühmtesten Generale und Oberbefehlshaber zu singen, und im Verlauf dieser Periode trank er dreimal soviel Claret, 90 als gut für ihn war, und vertat sein zweifelhaftes bißchen Vermögen. Was nach seinem Abgang aus dem Heere aus ihm wurde, geht uns nichts an. Ich glaube, kein Fremder begreift das Leben eines irischen Gentleman ohne Geld, die Art und Weise, wie er es zuwege bringt, sich über Wasser zu halten – die windschnell ausbrechenden Verschwörungen, in die er sich mit Helden einläßt, die so unglückselig wie er selbst sind, – die Mittelchen, mit denen er es einrichtet, sich die meisten Tage der Woche seine Portion Whisky und Wasser zu verschaffen; – all dies ist für uns ein unerklärliches Geheimnis, aber es genügt, wenn wir sagen, daß sich Jack auf irgendeine Weise bei allen Lebensstürmen flott erhalten, und daß die Lampe seiner Nase niemals erloschen war.

Ehe er noch mit Pen eine halbe Stunde sich unterhalten, richtete es der Kapitän so ein, aus dem jungen Gentleman ein paar Sovereigns für Billetts zu seiner Tochter Benefiz herauszulocken, das allernächstens stattfinden sollte; es war diesmal nicht solch Geschäft ›auf guten Glauben‹ wie im letzten Jahr, wo das arme Fräulein Fotheringay bei ihrem Wagestück fünfzehn Schillinge verloren hatte, sondern eine Uebereinkunft mit dem Direktor, wonach die Dame den Verkauf einer gewissen Zahl Billetts haben und einen großen Teil der Summe, für die sie verkauft wurden, für sich behalten sollte.

Pen hatte nur zwei Pfund in seiner Börse, und händigte sie dem Kapitän für die Billetts ein; er würde sich gescheut haben, ihm mehr anzubieten, um nicht die Delikatesse des letztern zu verletzen. Costigan 91 kritzelte ihm die Bestätigung auf ein Logenbillett, ließ die Geldstücke leicht in seine Weste gleiten und klatschte mit seiner Hand auf die Stelle, wo sie lagen. Sie schienen seine alten Rippen zu wärmen.

»Auf Ehre, Herr Pendennis,« sagte er, »die Goldmünzen sind jetzt bei mir seltner, als früher, wie es übrigens manchem guten Burschen zu gehen pflegt. Ich gewann sechshundert solche Goldfüchse in einer einzigen Nacht, Herr, als mein gütiger Freund, Se. Kgl. Hoheit der Herzog von Kent, in Gibraltar war.«

Dann war es amüsant, des Kapitäns Benehmen beim Frühstück zu beobachten, wie er den gebratenen Puter und die Hammelkotelettes vertilgte! Seine Geschichten strömten ihm ohne Unterlaß aus dem Munde, und seine Witze wurden beim fortgesetzten Schwatzen mit den jungen Leuten immer lustiger. Sowie er ein bißchen Sonnenschein auf den Rücken bekam, sonnte sich der alte Lazzarone darin; er plauderte allerlei von seinen Taten und seiner einstigen Glanzepoche, und von all den Lords, Generalen und Lordleutnants, die er jemals gekannt hatte. Er beschrieb den Tod seiner geliebten Bessie, der seligen Frau Costigan, und die Herausforderung, die er dem Kapitän Shanty Clancy, dem Eisenfresser, geschickt, weil er Fräulein Fotheringay, als er sie auf ihrem Kabriolett im Phönixpark sah, ungehörige Blicke zugeworfen; und dann schilderte er, wie der Kapitän sich entschuldigt und hierauf ein Essen in der Kildare Street gegeben hätte, wo sie ihrer sechs einundzwanzig Flaschen Claret getrunken hätten usw. Er erklärte, hier so mit zwei solchen nobeln und generösen jungen Herrn zu sitzen, wäre das Glück und 92 der Stolz eines alten Soldaten, und nachdem er ein zweites Glas Curaçao bekommen hatte, war er so selig, daß er zu weinen anfing. Alles zusammengefaßt müssen wir sagen, daß der Kapitän nicht eben ein Mann von strengen Grundsätzen oder ein sehr empfehlenswerter Gesellschafter für junge Leute war; aber es gibt schlechtere Leute, die weit bessere Stellungen im Leben einnehmen, und unehrlicher sind, und trotzdem nicht halb so viel Schelmenstreiche wie er begangen haben.

Sie gingen aus, der Kapitän führte an jedem Arme einen seiner lieben jungen Freunde und befand sich in seinem angetrunkenen Zustande recht wohl. Er nickte nach ein paar Verkaufsläden hin, wo er wahrscheinlich Geld schuldete, und sein Nicken wollte besagen: »Sieh, die Gesellschaft, in der ich bin – sei ruhig, ich werde dich bezahlen, mein Junge,« – und schließlich trennten sie sich von Herrn Foker bei einem Billardsaale, wo der letztere eine verabredete Zusammenkunft mit einigen Herrn vom Regiment des Obersten Swallowtail hatte.

Pen und der schäbige Kapitän schlenderten zusammen noch ein Stück die Straße entlang, wobei der Kapitän in seiner schlauen Weise sich nach Herrn Fokers Vermögen und Lebensstellung erkundigte. Pen erzählte ihm, daß Fokers Vater ein berühmter Brauer und seine Mutter Lady Agnes Milton, Lord Roshervilles Tochter, gewesen sei. Der Kapitän brach in eine Flut übertriebener Komplimente und Lobeserhebungen über Herrn Foker aus, dessen angeborene Vornehmheit, wie er sagte, man schon bloß am Augenzwinkern sähe – und die nur dazu diente, die andern guten 93 Eigenschaften, die er besäße, einen scharfen Verstand und ein großmütiges Herz, zu schmücken.

Pen ging weiter, lauschte den Prahlereien seines Begleiters, staunte darüber, vergnügte sich daran und wurde zugleich bestürzt. Es war dem guten Jungen bis jetzt noch nicht in den Sinn gekommen, irgendeine Behauptung, die ihm gemacht wurde, in Zweifel zu ziehen, und da er selbst aufrichtiger Natur war, nahm er natürlich für bare Münze, was andre Leute ihm sagten. Costigan hatte nie einen besseren Zuhörer gehabt und fühlte sich durch die Aufmerksamkeit und das bescheidne Benehmen des jungen Mannes höchlichst geschmeichelt.

Der junge Her gefiel ihm so sehr, und Pen schien auch wirklich so ungekünstelten, ehrlichen und angenehmen Wesens, daß der Kapitän ihm schließlich eine Einladung machte, die er jungen Leuten sehr selten zukommen ließ, und Pen fragte, ob er ihm die Ehre geben wollte, in sein bescheidnes Haus zu kommen, das ganz nahebei wäre, und wo der Kapitän die Ehre haben würde, seinen jungen Freund seiner Tochter, Fräulein Fotheringay, vorzustellen.

Pen war so freudig bestürzt über diese Einladung, daß er beinahe den Arm des Kapitäns losgelassen hätte, zitterte bei dem Gedanken, daß der andere seine Erregung bemerkt haben möchte, und stammelte ein paar unzusammenhängende Worte von der hohen Ehre, die es ihm sein würde, der Dame vorgestellt zu werden, für deren – für deren Talente er eine solche Bewunderung – eine so außerordentliche Bewunderung empfände. Und dann folgte er dem Kapitän, kaum wissend, wohin dieser Herr ihn führte. Er sollte sie sehen! Er 94 sollte sie sehen! In ihr war der Mittelpunkt des Universums für ihn. Sie war der Kern der Welt für Pen. Das Gestern, ehe er sie kannte, schien ihm eine weitentlegne Vergangenheit zu sein – eine Revolution lag zwischen ihm und dieser Zeit, und eine neue Welt war im Begriffe zu erstehen.

Der Kapitän führte seinen jungen Freund nach jener ruhigen kleinen Straße in Chatteris, die Priorsgasse heißt, dicht am Dekanatsgarten und den Priesterhäusern liegt, und von den ungeheuren Türmen der Kathedrale überragt wird; dort wohnte der Kapitän bescheidentlich im ersten Stocke eines niedrigen Hauses, an dessen Tür sich das Messingschild ›Creed, Herren- und Damenschneider‹ befand. Creed war jedoch tot. Seine Frau war Kirchenstuhlöffnerin in der nahegelegenen Kathedrale, ihr ältester Sohn ein kleiner Schlingel von einem Chorknaben, der gern ›Kopf oder Schrift‹ spielte, seinen kleinen Brüdern Possen spielte, und eine Stimme so süß wie ein Engel hatte. Ein paar von den Knaben saßen auf den Stufen, sprangen mit großer Lebhaftigkeit auf, um ihren Mieter zu begrüßen und rissen sehr zu Pens Verwundrung an den Schwalbenschwänzen von des Kapitäns Frack herum, was daher kam, daß der gutmütige Herr, wenn er bei Kasse war, gewöhnlich diesen Kindern einen Apfel oder ein Stück Pfefferkuchen mitbrachte.

»Daher kommt's, daß die Witwe mich niemals um die Miete mahnt, wenn's nicht paßt,« bemerkte er später mit schlauem Zwinkern zu Pen, indem er den Finger an die Nase legte.

Als Pen seinem Gefährten die krachende alte Treppe 95 hinauffolgte, zitterten seine Knie unter ihm. Er konnte kaum sehen, als er hinter dem Kapitän eintrat, und in dem Zimmer – in ihrem Zimmer stand. Er sah etwas Schwarzes vor sich, das auf- und niederschwebte, als ob es sich verneigte, und hörte, aber nur ganz undeutlich, Costigan eine Rede halten, in der der Kapitän in seiner gewöhnlichen Ueberschwenglichkeit ›seinem lieben Kinde‹ seinen Wunsch ausdrückte, sie mit seinem lieben und bewundernswerten jungen Freunde, Herrn Arthur Pendennis, einem jungen in der Nachbarschaft begüterten Gentleman, bekannt zu machen, der ein Mann von vornehmer Bildung und liebenswürdigen Manieren, ein aufrichtiger Freund der Dichtkunst und im Besitz eines fühlenden und anhänglichen Herzens sei.

»Es ist sehr schönes Wetter heute,« sagte Fräulein Fotheringay mit irischem Akzent und mit tiefer voller melancholischer Stimme.

»Sehr schönes,« sagte Herr Pendennis. In dieser romantischen Weise begann ihre Unterhaltung; aber er fand sich schließlich auf einem Stuhle sitzen, und hatte nun Muße, sich die junge Dame zu betrachten.

Sie sah außerhalb der Bühne noch hübscher aus, als auf der Szene. Alle ihre Bewegungen waren von natürlicher Vornehmheit und Majestät. Als sie sich gegen den Kaminsims anlehnte, drapierte sich ihr Kleid von selbst in klassische Falten um ihre Glieder; ihr Kinn stützte sich in ihre Hand, die übrigen Linien ihrer Gestalt legten sich in volle harmonische Wellenlinien, sie sah wie eine sinnende Muse aus. Wenn sie sich auf einen Rohrstuhl setzte, rundete sich ihr Arm von selbst über der Lehne des Sitzes, ihre Hand sah aus, als ob 96 ein Zepter hätte darin sein müssen, die Falten ihres Kleides fielen von selbst malerisch um sie herum, all ihre Bewegungen waren anmutig und königlich. Am Morgen konnte man sehen, daß ihr Haar schwarzblau, ihre Hautfarbe von wunderbarer Schönheit war, die Wangen mit dem allerzartesten Rot sozusagen nur angehaucht. Ihre Augen waren grau, von wunderbar langen Wimpern beschattet, und was ihren Mund anbetraf, so hat mir Herr Pendennis später zu verstehen gegeben, daß er von einer außerordentlich prächtigen roten Farbe gewesen sei, mit der das leuchtendste Geranium, Siegellack oder die Montur eines Leibgardisten nicht wetteifern konnte.

»Nur sehr warm,« setzte diese Kaiserin und Königin von Saba die Unterhaltung fort.

Herr Pen stimmte wieder bei, und in dieser Weise ging das Gespräch fort. Sie fragte Costigan, ob er im »Sankt Georg« einen angenehmen Abend verlebt habe, und er zählte ihr die Gerichte des Abendessens und die Zahl der Gläser Punsch auf. Dann fragte der Vater sie, wie sie den Morgen verbracht habe.

»Bows kam um zehn Uhr,« sagte sie, »und wir studierten die Ophelia ein. Sie geht am vierundzwanzigsten in Szene, und ich hoffe, mein Herr, wir werden die Ehre haben, auch Sie dann zu sehen.«

»Sicher, sicher werden Sie das,« rief Herr Pendennis, der sich wunderte, daß sie aufs natürlichste mit irischem Akzent redete, während sie doch auf der Bühne nicht im geringsten die Zunge Hibernias verriet.

»Ich habe mich seiner versichert für dein Benefiz, meine Liebe,« sagte der Kapitän, indem er an seine 97 Westentasche klopfte, worin Pens Sovereigns lagen, und zugleich Pen mit einem Auge zuzwinkerte, worüber der junge Mann errötete.

»Herr – – der Herr ist sehr freundlich,« sagte ›Frau Haller‹.

»Mein Name ist Pendennis,« sagte Pen errötend. »Ich – ich – hoffe, Sie werden sich – Sie werden sich daran erinnern.« Sein Herz pochte bei dieser kühnen Erklärung so gewaltig, daß er beim Aussprechen derselben fast erstickte.

»Pendennis« – antwortete sie langsam, und sah ihm mit so offenem, so klarem, so hellem, so verführerischem Blick voll ins Auge, und sprach mit so süßer, so voller, so tiefer Stimme dazu, daß Blick und Wort Pen durch und durch gingen und ihn ganz mit Wonne durchfuhren.

»Ich hätte nie vorher gedacht, daß der Name so hübsch klänge,« sagte Pen.

»Es ist ein sehr hübscher Name,« sagte Ophelia. »Pentweazle ist kein hübscher Name. Entsinnst du dich, Papa, als wir auf der Reise durch Norwich waren, des jungen Pentweazle, der zweite alte Männer zu spielen hatte und Fräulein Rancy, die Columbine, heiratete; sie sind jetzt beide in London engagiert, wo sie im Theater der Königin fünf Pfund wöchentlich bekommen. Pentweazle war nicht sein wirklicher Name, Judkin gab ihn ihm, ich weiß nicht warum. Sein Name war Harrington; d. h. sein wirklicher Name war Potts; sein Vater ein Geistlicher, etwas sehr Respektables. Harrington war in London und geriet in Schulden. Du entsinnst dich wohl, wie er nach 98 Falkland herauskam zu Frau Bunces Auftreten als Julia.«

»Eine nette Julia!« unterbrach der Kapitän; »eine Frau von fünfzig Jahren und Mutter von zehn Kindern. Du hättest die Julia sein müssen, oder ich will nicht Jack Costigan heißen.«

»Ich konnte damals nicht die erste Rolle haben,« sagte Fräulein Fotheringay bescheiden; »ich paßte dazu nicht, bis Bows mich unterrichtete.«

»Aufrichtig von dir, meine Liebe,« sagte der Kapitän, und sich dann vor Pendennis verbeugend, fügte er hinzu: »In meinen Verhältnissen zurückgekommen, mein Herr, war ich einige Zeit Fechtmeister in Dublin; (es gibt nur drei Männer im Königreiche, die mich einst mit dem Rapier zu treffen verstanden, aber Jack Costigan wird jetzt alt und steif, mein Herr,) und meine Tochter hatte ein Engagement am Theater dort; und dort war es, wo mein Freund, Herr Bows, ihr Stunden gab und sie zu dem machte, was Sie sehen. Was hast du getan, seit Bows fort ist, Emilie?«

»Ei, ich habe eine Pastete gemacht,« sagte Emilie mit vollkommener Unschuld, und wieder mit irischem Akzent.

»Wenn Sie sie um vier Uhr probieren möchten, mein Herr, so sagen Sie's rund heraus,« sagte Costigan höflich. »Dieses Mädchen, mein Herr, macht die besten Kalbs- und Schinkenpasteten in England, und ich denke, ich darf Ihnen ein Glas Punsch vom richtigen Duft versprechen.«

Pen hatte versprochen, um sechs Uhr zum Essen nach Hause zu kommen, aber der Schlingel dachte, er könne Vergnügen und Pflicht in diesem Punkte 99 einander anpassen, und war nur zu schnell bereit, diese Einladung anzunehmen. Er schaute mit Wonne und Bewundrung zu, wie Ophelia geschäftig im Zimmer herumhantierte und alles zum Essen bereit machte. Sie stellte die Gläser auf und deckte glatt das kleine Tischtuch über; und alle diese Verrichtungen vollzog sie mit ruhiger Anmut und einer guten Laune, die ihren Gast immer mehr bezauberte. Die Pastete kam zu rechter Zeit vom Bäcker an, getragen von einem der Brüder des kleinen Chorknaben, und um vier Uhr saß Pen bei Tische – wirklich bei Tische mit der schönsten Frau der ganzen Schöpfung – mit seiner ersten und einzigen Liebe, die er immer – seit wann wohl? – angebetet hatte, immer seit gestern, immer und für immer seitdem. Er aß eine geröstete Schnitte, die sie ihm zurecht gemacht hatte, er schenkte ihr ein Glas Bier ein, er sah sie ein Glas Punsch trinken – gerade ein Weinglas voll – aus dem großen Glase, das sie für ihren Papa gemischt hatte. Sie war in sehr guter Laune und bot Pendennis an, auch eins für ihn zu mischen. Der Punsch war ungeheuer stark; Pen hatte nie in seinem Leben soviel Rum und Wasser getrunken. Aber was berauschte ihn eigentlich, der Punsch oder die, welche den Punsch bereitete?

Pen versuchte, sie in ein Gespräch über Poesie und über ihren Beruf zu verwickeln. Er fragte sie, was sie von Ophelias Wahnsinn dächte und ob sie Hamlet liebe oder nicht? »In solch einen kleinen ekelhaften Kerl wie dieser greuliche Direktor Bingley verliebt sein?« Sie schüttelte sich vor Entrüstung bei dem bloßen Gedanken daran. Pen erklärte ihr, daß er nicht von ihr, 100 sondern von der Ophelia im Schauspiel spräche. »Ja, wenn es so gemeint wäre, so wäre es natürlich keine Beleidigung, aber den Bingley, den achtete sie wirklich nicht – nicht soviel wie ein Glas Punsch.« Pen versuchte dann über Kotzebue mit ihr zu reden. »Kotzebue? Wer war das?« – »Nun, der Verfasser des Stückes, in dem sie so bewunderungswürdig gespielt.« Davon wüßte sie nichts, der Name des Mannes auf dem Titelblatte des Buches sei Thompson, sagte sie. Pen lachte über ihre anbetungswürdige Einfalt. Er erzählte ihr von dem traurigen Schicksal des Verfassers des Stückes, und daß Sand ihn ermordet habe. Es war zum erstenmal in ihrem Leben, daß Fräulein Costigan von Herrn Kotzebues Existenz hörte, aber sie sah aus, als ob sie großen Anteil daran nähme, und ihre Teilnahme genügte dem ehrlichen Pen.

Und in dieser einfachen Unterhaltung war die Stunde (und noch ein Viertel darüber), die der arme Pen sich zu bleiben erlauben durfte, nur zu schnell verflossen, und er hatte Abschied genommen, war fort und flog auf Rebekkas Rücken nach Hause. Diese konnte in den drei Reisen, die sie an jenem Tage machte, wirklich die Schnelligkeit ihrer Beine zeigen.

»Was war das, worüber er redete? Der Wahnsinn Hamlets und die Theorie des großen deutschen Kritikers über diesen Gegenstand?« fragte Emilie ihren Vater.

»Das weiß ich wirklich nicht, liebe Milly,« antwortete der Kapitän, »wir wollen Bows fragen, wenn er kommt.«

»Jedenfalls ist er ein hübscher, rund heraus gesagt, 101 ein hübscher junger Mann,« sagte die Dame; »wieviel Billetts nahm er dir ab?«

»Er nahm sechs, sechs, und gab mir zwei Guineen, Milly,« antwortete der Kapitän, »ich glaube, solche jungen Leute haben nicht zu viel Ueberfluß an Moneten.«

»Er ist voller Gelehrsamkeit,« fuhr Fräulein Fotheringay fort. »Kotzebue! Hi, hi, was das für ein närrischer Name ist, wahrhaftig; und der arme Kerl starb noch dazu durch Sand! Hast du jemals so was gehört? Ich will Bows danach fragen, lieber Papa.«

»Ein närrischer Tod das, wahrhaftig,« rief der Kapitän aus und wechselte das unerfreuliche Thema. »Es ist eine prächtige Stute, die der junge Gentleman reitet,« fuhr Costigan fort; »und ein großartiges Frühstück wahrhaftig, das der junge Herr Foker ausgab.«

»Der ist uns gut für zwei ganze Logen und wenigstens zwanzig Billetts, dächt' ich,« rief die Tochter, ein kluges Mägdelein, das ihre schönen Augen stets auf den Hauptzweck aller Dinge gerichtet hielt.

»Darauf möchte ich Gift nehmen,« antwortete der Papa; und so ging ihre Unterhaltung eine Weile fort, bis das große Punschglas ausgetrunken war; auch kam bald die Stunde, wo sie fort mußten, denn um halb sieben Uhr mußte Fräulein Fotheringay wieder im Theater sein, wohin ihr Vater sie stets begleitete, und wo er, wie wir gesehen haben, in den Seitenkulissen stand und sie beobachtete, und im Ankleidezimmer mit der dort versammelten Gesellschaft Branntwein und Wasser trank. 102

»Wie schön sie ist!« dachte Pen, als er heimwärts galoppierte. »Wie einfach und wie zartfühlend! Wie reizend ist es, eine Frau von ihrem Genie sich mit den einfachsten Pflichten des häuslichen Lebens beschäftigen zu sehen, wie sie zur Behaglichkeit ihres alten Vaters ihre Gerichte kocht und Getränke zubereitet. Wie plump war es von mir, gleich von beruflichen Dingen zu reden, und wie geschickt leitete sie das Gespräch ab! Allerdings redete sie auch selbst von ihrem Beruf, aber mit welchem Witz und Humor erzählte sie die Geschichte von ihrem Kollegen Pentweazle, wie man ihn nannte! Es gibt eben keinen Humor, der dem irischen gleichkäme. Ihr Vater ist etwas langweilig, aber doch durch und durch liebenswürdig; und wie schön war es von ihm, nachdem er Abschied von dem Heere genommen, Fechtstunden zu geben, wo er der Liebling des Herzogs von Kent gewesen! Fechten! Ich sollte eigentlich lieber mein Fechten fortsetzen, oder ich werde vergessen, was Angelo mich lehrte. Onkel Arthur sah mich immer gern fechten – er sagt, das sei Arbeit für einen Gentleman. Teufel auch! Ich werde ein paar Stunden bei Kapitän Costigan nehmen. Vorwärts, Rebekka, den Berg hinauf, alte Dame. Pendennis, Pendennis – wie sie das Wort aussprach! Emilie, Emilie! Wie gut, wie edel, wie schön, wie vollkommen sie ist!«

Nun kann der Leser, der den Genuß gehabt hat, der ganzen Unterhaltung, die Pen mit Fräulein Fotheringay führte, zuhören zu können, sich selbst ein Urteil über ihre geistigen Anlagen bilden und vielleicht geneigt sein, zu meinen, daß sie nicht im geringsten 103 etwas so erstaunlich Witziges oder Geistreiches im Laufe der obenerwähnten Unterredung gesagt habe.

Aber was kümmerte das unsern Pen? Er sah ein Paar leuchtende Augen, und er glaubte an sie – wie an ein schönes Bild, und er fiel nieder und betete es an. Er setzte die Bedeutung hinzu, die ihren Worten fehlte, und schuf sich die Gottheit, die er liebte. War Titania denn die erste, die einen Esel liebte, oder Pygmalion der einzige, den seine Liebe zu einem Stein toll machte? Er hatte sie gefunden, er hatte gefunden, wonach seine Seele dürstete. Er warf sich in den Strom und trank mit aller Macht daraus. Fragen wir die, die einmal durstig waren, wie köstlich dieser erste Trunk ist! Als er die Allee entlang nach Hause ritt, schrie Pen laut auf vor Lachen, als er den ehrwürdigen Herrn Smirke noch einmal bescheiden von Fairoaks her auf seinem Pony daherreiten sah. Smirke hatte an den Hütten auf dem Wege geschwatzt und sich dort aufgehalten, und dann mit Laura über ihre Lektionen geplaudert – und dann die Gärten und Verbesserungen der Frau Pendennis in Augenschein genommen, bis er die Dame gründlich gelangweilt hatte, und hatte sich eben in dieser allerletzten Minute verabschiedet, ohne die ersehnte Einladung zum Essen erhalten zu haben.

Pen war voller Freundlichkeit und Triumph. »Was, glücklich gesund wieder aufgelesen?« rief er lachend aus. »Kommen Sie wieder mit mir zurück, alter Junge, und essen Sie mein Mittagessen – ich habe meins schon weg; aber wir wollen eine Flasche alten Wein zusammen auf Ihre Gesundheit trinken, Smirke.« 104

Der gute Smirke wandte seinen Pony und trabte neben Arthur her. Pens Mutter war entzückt, ihn in so guter Laune zu sehen, und bewillkommnete Herrn Smirke seinethalben freundlich, als Arthur sagte, er hätte den Vikar gezwungen, mit ihm zurück zum Essen zu kommen. Er gab einen höchst lustigen Bericht über das Stück am vergangenen Abend, und über das Spiel des Direktors Bingley in seinen schiefgetretenen Stulpstiefeln, und über die unförmliche Frau Bingley als Gräfin in einem zerknüllten grünen Atlaskleide und einer Polenmütze; er machte sie nach und entzückte seine Mutter und die kleine Laura, die vor Vergnügen in die Hände klatschte.

»Und Frau Haller?« fragte Frau Pendennis.

»Die macht einen verrückt,« antwortete Pen lachend, indem er sich des Ausdruckes seines verehrten Freundes, Herrn Fokers, bediente.

»Verrückt, Arthur?« fragte die Dame.

»Wie denn verrückt, Arthur?« rief Laura ebenso verwundert.

Da gab er ihnen denn eine drollige Erzählung über Herrn Foker zum besten, wie man ihn in der Schule gewöhnlich »Bierfaß« oder mit anderen beleidigenden Spitznamen belegt habe, und wie er jetzt außerordentlich reich und Student im College von St. Boniface sei. Aber so lustig und mitteilsam Pen auch war, so sagte er doch keine Silbe von seinem heutigen Ritt nach Chatteris, noch weniger von den neuen Freunden, die er dort erworben hatte.

Als die beiden Damen sich zurückzogen, füllte Pen mit leuchtenden Augen zwei große, mächtige Gläser mit 105 Madeira, und sagte, Smirke voll ins Gesicht blickend: »Dies ihr!«

»Dies ihr!« sagte der Vikar mit einem Seufzer, erhob sein Glas und leerte es auf einen Zug, so daß sein Gesicht ein wenig rot war, als er es niedersetzte.

Pen schlief in dieser Nacht noch weniger, als in der Nacht zuvor. Am Morgen, fast noch vor Tagesanbruch, ging er hinaus, sattelte selbst die unglückselige Rebekka und ritt auf dem Anger wie toll auf ihr herum. Wieder hatte Liebe ihn aufgeweckt und gesagt: »Wach auf, Pendennis, ich bin hier.« Jenes entzückende Fieber, jenes köstliche Sehnen und Feuer, jene süße Ungewißheit – er verschloß sie fest in sich – er hätte sie um alles in der Welt nicht verlieren mögen.



 << zurück weiter >>