William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis, Band 1
William M. Thackeray

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Zwanzigstes Kapitel

Flucht nach der Niederlage

Während des letzten Teils von Pens Aufenthalt zu Oxbridge war die Vorliebe seines Onkels für den jungen Menschen noch bedeutend gewachsen. Der Major war stolz auf Arthur, der hochstrebend, von ungezwungenem Benehmen, hübscher Erscheinung und hochvornehmer Haltung war. Es gefiel dem alten Londoner Hagestolz, wenn er Pen mit den jungen Patriziern seiner Universität spazieren gehen sah, und er (der niemals seinen Freunden eine Einladung zukommen ließ, und dessen Filzigkeit unter verschiedenen Bummlern im Klub, die ihn um seine mannigfachen Verbindungen beneideten und es nicht für gut fanden, seine Armut in Betracht zu ziehen, fast sprichwörtlich geworden, war entzückt, seinem Neffen und den jungen Lords nette kleine Schmäuse in seiner Wohnung zu geben, sie mit gutem Claret zu regalieren und ihnen seine allerbesten Bonmots und Geschichten aufzutischen, von denen einigen durch die Wiederholung Eintrag geschehen würde, indem die Art, wie der Major erzählte, unvergleichlich nett und sorgsam war, während andere darunter waren, deren Wiederholung niemand gut tun würde. Er ehrte durch die Aufmerksamkeit gegen die jungen Leute deren Eltern und zugleich sich selbst, da er in ihrer Gesellschaft war. Er machte mehr als einen Besuch in Oxbridge, wo die jungen Bürschchen sich damit vergnügten, den 365 alten Herrn einzuladen, ihm Gesellschaften, Frühstücke und Fêten gaben, teils um ihren Spaß mit ihm zu treiben, teils um ihn zu ehren. Er erzählte ihnen fleißig seine Anekdoten. Er wurde jugendlich und heiter in Gesellschaft der jungen Lords. Er ging in den Verein, um Pen bei einer großen Debatte zu hören, schrie Bravo, stampfte mit seinem Stocke im Chor mit den Beifallsrufen der Studenten und war ganz hingerissen von der Beredsamkeit und dem Feuer des Jungen. Er glaubte, daß er an seinem Neffen einen jungen Pitt habe. Er fühlte eine fast väterliche Zärtlichkeit für Pen. Er schrieb dem Jungen Briefe voll scherzhafter Ratschläge und Neuigkeiten aus der Stadt. Er brüstete sich mit Arthur in seinen Klubs und mischte ihn mit Vergnügen ins Gespräch, indem er sagte, daß die Jungen, weiß Gott, die Alten an die Wand drängten, daß die aufwachsende Jugend, z. B. »der junge Lord Plinlimmon, ein Freund meines Jungen, oder der junge Lord Magnus Charters, ein Bekannter meines Tausendsassa« usw. eine größere Rolle in der Welt spielen würden, als es vor ihnen selbst ihre Väter getan. Er bat um die Erlaubnis, Arthur bei einem großen Fest im Hause Gaunt mitbringen zu dürfen, sah ihn mit unaussprechlicher Genugtuung mit den Schwestern der jungen vorerwähnten Edelleute tanzen und gab sich selbst die größte Mühe, dem jungen Menschen Einladungen in einige gute Häuser zu verschaffen, als ob er eine Mutter mit einer heiratsfähigen Tochter gewesen wäre und nicht ein alter Offizier auf Halbsold mit einer Perücke. Und er prahlte überall mit den großen Talenten des Jungen, seiner bemerkenswerten 366 Rednergabe und mit dem glänzenden Grade, den er erlangen würde. Lord Runnymede würde ihn bei seiner Gesandtschaft anstellen, oder der Herzog ihn für einen seiner Burgflecken ins Parlament bringen, das schrieb er immer und immer wieder an Helene, die ihrerseits nur zu bereit war, alles zu glauben, was jemand zu Gunsten ihres Sohnes sagen wollte.

Und all dieser Stolz und all diese Liebe von Onkel und Mutter wurde durch die gottlose Liederlichkeit und Faulheit Pens mit Füßen getreten! Ich beneide Pen nicht um seine Gefühle (wie man zu sagen pflegt), als er daran dachte, was er getan hatte. Er hatte geschlafen, und die langsame Schildkröte hatte ihn im Wettkampfe überholt. Er hatte gleich von Anfang an zunichte gemacht, was eine glänzende Laufbahn hätte sein können. Er hatte ungroßmütig in einer großmütigen Mutter Beutel gegriffen, schmählicher und unbedachterweise ihren kleinen Krug ausgegossen. O! es war die Hand eines Niederträchtigen, die ein so zärtliches Geschöpf schlagen und berauben konnte. Und sollten wir, wenn Pen das Unrecht fühlte, das er anderen zugefügt hatte, nicht voraussetzen, daß ein junger Herr von seiner Eitelkeit nicht noch viel schärfer die Schande fühlte, die er über sich selbst gebracht hatte? Wir können versichert sein, daß es keinen grausameren Gewissensbiß als diesen gibt, und keine jämmerlicheren Seufzer als die verwundeter Selbstliebe. Wie Joe Millers Freund, der Senior Wrangler, der sich von seiner Loge im Theater nach dem Auditorium hin verbeugte, weil er und der König zufällig zu gleicher Zeit ins Theater traten, war auch der 367 arme Arthur Pendennis allerdings in fataler, ihm durchaus nicht so angenehmer Weise der festen Ueberzeugung, ganz England würde das Fehlen seines Namens auf der Examenliste bemerken und von seinem Mißgeschick reden. Sein verletzter Studiendirektor, seine vielen Gläubiger, der Laufjunge und die Aufwärterin, die Studenten seines Semesters und die Füchse unter ihm, die er begönnert oder verhöhnt hatte – wie konnte er es vertragen, einem von ihnen jetzt wieder ins Angesicht zu sehen? Er stürzte auf sein Zimmer, schloß sich dort ein und schrieb einen Brief an seinen Direktor, voll Dankes, wehmütiger Erinnerung, Gewissensbissen und Verzweiflung, in dem er bat, daß sein Name aus dem Studentenverzeichnisse gestrichen würde, und den Wunsch und die Erwartung aussprach, daß der Tod baldigst die Leiden des entehrten Arthur Pendennis endete.

Dann schlich er hinaus, kaum wissend, wohin er ging, aber mechanisch die wenig betretenen kleinen Wege hinter den Kollegiaten einschlagend, bis er aus dem Umkreise der Universität hinaus und hinab an die Ufer des Flusses Camisis gelangte, die jetzt verlassen, aber so oft von Bootswettfahrten und den Scharen beifalljubelnder Studenten belebt gewesen waren; er wanderte weiter und weiter, bis er sich einige Meilen von Oxbridge entfernt fand, oder vielmehr von einigen Bekannten, die diese Stadt verließen, aufgefunden wurde.

Als Pen einen Hügel hinanstieg, wo ihm ein rieselnder Januarregen ins Gesicht schlug und sein zerrissenes Studentengewand hinter ihm herflog – denn 368 er hatte sein akademisches Kostüm seit dem Morgen nicht abgelegt – kam eine Postkutsche die Straße hinaufgerasselt, auf deren Bock ein Bedienter saß, während drinnen, oder vielmehr halb aus dem Wagenfenster hängend, sich ein junger Herr befand, der eine Zigarre rauchte und den Postillon mit lauter Stimme zur Eile antrieb. Es war unser junger Bekannter aus Baymouth, Herr Spavin, der seinen Grad erlangt und nun im Triumph in seiner gelben Postkutsche nach Hause fuhr. Er wurde der Gestalt, die beim Hinaufsteigen auf die Höhe wie toll mit den Armen focht und des armen Pens bleichen und geisterhaften Antlitzes ansichtig, als die Chaise vorüberjagte.

»Brr!« schrie Herr Spavin dem Postillon zu; die Pferde hielten in ihrem rasenden Laufe an, und der Wagen blieb etwa fünfzig Schritt vor Pen stehen. Der letztere hörte jetzt seinen Namen nennen und erblickte die obere Hälfte des Körpers von Herrn Spavin, die aus dem Wagenfenster heraushing und Pen heftig zu sich heranwinkte.

Pen blieb stehen, zögerte, nickte trotzig mit dem Kopfe und zeigte nach vorwärts, als ob er wünschte, der Postillon möchte weiterfahren. Er sprach nicht, aber sein Gesicht mußte sehr verzweifelt ausgesehen haben, denn der junge Spavin, der ihn mit einem Ausdruck hellsten Schreckens angestarrt hatte, sprang sofort aus dem Wagen, lief Pen mit ausgestreckter Hand entgegen, ergriff die seine und sagte: »Halloh, alter Junge, wo soll es hingehen und was hast du jetzt vor?«

»Ich will dahin gehen, wohin ich zu gehen verdiene,« sagte Pen mit einem Fluche. 369

»Dies ist nicht der Weg,« sagte Herr Spavin lächelnd. »Dies ist die Straße nach Fenbury. Weißt du, Pen, du mußt dir nicht so zu Herzen nehmen, daß du durchgefallen bist. Das ist gar nichts, wenn man daran gewöhnt ist. Ich bin dreimal durchgefallen, alter Junge, und nach dem erstenmal machte ich mir nichts mehr daraus. Bin aber trotzdem froh, daß es vorüber ist. Nächstes Mal wirst du mehr Glück haben.«

Pen sah seinen frühern Bekannten an, der durchgefallen war, der aufs Land verbannt worden war, der erst nach wiederholten Mißerfolgen korrekt lesen und schreiben gelernt hatte, und der trotz all dieser Hemmnisse die Ehre eines akademischen Grades erlangt hatte. »Dieser Mensch ist durchgekommen,« dachte er, »und ich bin durchgefallen!« Es war beinahe zu stark für ihn, das zu ertragen.

»Guten Abend, Spavin,« sagte er; »ich freue mich sehr, daß du durchgekommen bist. Ich will dich aber nicht aufhalten; ich habe es eilig, ich will heut nacht noch in die Stadt.«

»Unsinn,« sagte Herr Spavin, »dies ist nicht der Weg in die Stadt, dies ist der Weg nach Fenbury, sage ich dir.«

»Ich wollte eben umkehren,« sagte Pen.

»Alle Wege sind voll von Studenten, die abgehen,« sagte Spavin. Pen stampfte mit dem Fuße. »Du würdest keinen Platz kriegen und wenn du eine Zehnpfundnote bezahltest. Kriech in meine Gelbe, ich will dich in Mudfort absetzen, wo du Gelegenheit mit der Post von Fenbury hast. Ich will dir einen Hut 370 und einen Rock borgen, habe einen ganzen Haufen mit. Komm, steig ein, alter Junge – vorwärts, Schwager!« Auf diese Weise fand sich Pen in Herrn Spavius Postkutsche und fuhr mit diesem Gentleman bis zum »Goldnen Widder« in Mudfort, fünfzehn Meilen von Oxbridge, wo die Post von Fenbury die Pferde wechselte und Pen einen Platz nach London bekam.

Am nächsten Tage herrschte im Bonifaz-Kollegium zu Oxbridge eine ungeheure Aufregung, denn es ging dort zum Schrecken von Pens Studiendirektor und seinen Lieferanten einige Zeit das Gerücht um, daß Pendennis, wahnsinnig vor Schmerz, daß ihm sein akademischer Grad entgangen, sich selbst umgebracht hätte. Eine zerknüllte Mütze, in der sein Name noch ziemlich zu erkennen war, nebst einem Petschaft, das sein Wappen, einen Adler, der nach einer jetzt erloschenen Sonne blickte, trug, war drei Meilen von der Stadt auf der Straße von Fenbury in der Nähe eines Mühlgrabens aufgefunden worden, und vierundzwanzig Stunden lang vermutete man, daß der arme Pen sich selbst in den Strom gestürzt hätte, bis endlich Briefe von ihm anlangten, die das Postzeichen von London trugen.

Die Post erreichte London um die schon düstere fünfte Stunde, und Pen eilte nach dem Gasthause in Covent Garden, wo er gewöhnlich abzusteigen pflegte und wo ihn der stets wachsame Portier einließ und ihm ein Bett anwies. Pen sah den Mann scharf an und hätte wissen mögen, ob der Hausknecht wohl auch wußte, daß er durchgefallen. Als er sich ins Bett gelegt, konnte er darin nicht schlafen. Er warf sich 371 herum, bis das traurige Tageslicht Londons ins Zimmer schien und er verzweifelt aufsprang und nach der Wohnung seines Onkels in Burg Street ging, wo die Magd, die die Treppe scheuerte, ihn mit seinem unrasierten Gesicht und der nicht ganz sauberen Wäsche mit verdächtigen Blicken ansah. Er dachte, auch sie wüßte von seinem Unglück.

»Gütiger Himmel, Herr Arthur, was ist denn passiert?« fragte Herr Morgan, der Kammerdiener, der grade die wohlgebürsteten Kleider und die glänzenden Stiefel an der Tür von seines Herrn Schlafzimmer arrangiert hatte und im Begriffe stand, dem Major seine Perücke hereinzutragen.

»Ich muß meinen Onkel sprechen,« schrie er mit geisterähnlicher Stimme und warf sich auf einen Stuhl.

Morgan fuhr vor dem bleichen und verzweifelt aussehenden jungen Mann mit erschrockenen und verwunderten Blicken zurück und verschwand in seines Herrn Schlafzimmer.

Der Major steckte, sobald er die Perücke aufgesetzt hatte, seinen Kopf aus der Tür des Schlafzimmers.

»Was? Examen vorüber? Senior Wrangler, erster Klasse mit Auszeichnung, wie?« sagte der alte Herr – »ich komme sofort;« und der Kopf verschwand.

»Sie wissen nicht, was geschehen ist,« stöhnte Pen; »was werden Sie erst sagen, wenn Sie alles erfahren?«

Pen hatte mit dem Rücken gegen das Fenster gekehrt und einem solch zweifelhaften Lichte 372 zugewendet gestanden, wie Burg Street sich dessen an einem nebligen Januarmorgen erfreut, so daß sein Onkel den Ausdruck auf des jungen Mannes Gesicht und seine Blicke voll Gram und Verzweiflung, die selbst Morgan bemerkt hatte, nicht sehen konnte.

Aber als der Major aus seinem Ankleidezimmer kam, schmuck und strahlend, durch süße Düfte aus Delcroix Laden im voraus angekündigt, aus dem Major Pendennis Perücke und sein Schnupftuch ihr Parfüm bekamen, hielt er Pen eine seiner Hände hin und wollte ihn eben in seiner lustigen hellen Stimme anreden, als er endlich das Gesicht des jungen Menschen bemerkte und, seine Hand sinken lassend, sagte: »Guter Gott! Pen, was ist denn los?«

»Sie werden es beim Frühstück in der Zeitung lesen, Onkel,« sagte Pen.

»Was lesen!«

»Mein Name steht nicht drin.«

»Zum Henker, wie sollte das zugehen?« fragte der Major noch bestürzter.

»Ich habe alles verloren, Onkel,« stöhnte Pen heraus, »meine Ehre ist verloren, ich bin unweigerlich zu Grunde gerichtet, ich kann nicht nach Oxbridge zurück.«

»Deine Ehre verloren?« kreischte der Major. »Gott im Himmel! Du willst doch nicht etwa damit sagen, daß du das Hasenpanier ergriffen hast?«

Pen lachte bitter bei dem Worte »Hasenpanier« und wiederholte es: »Nein, das ist es nicht, Onkel. Ich fürchte mich nicht vor der Kugel. Wollte Gott, es schösse mir jemand eine durch den Kopf. Ich habe 373 meinen akademischen Grad nicht erlangt. Ich – ich bin durchgefallen, Onkel.«

Der Major hatte das Wort ›durchgefallen‹ gehört, aber nur ganz unbestimmt und oberflächlich, und glaubte, daß damit eine Art körperlicher Strafe, die auf den Universitäten an rebellischen Jünglingen vollzogen wurde, gemeint wäre. »Ich wundere mich, daß du mir nach einer solchen Schande ins Gesicht sehen kannst,« sagte er; »ich begreife nicht, wie du sie als anständiger Mann ertragen konntest.«

»Ich konnte es nicht ändern, Onkel. Ich machte meine klassischen Ausarbeitungen gut genug, es war diese höllische Mathematik, die ich stets vernachlässigt habe.«

»Geschah es – geschah es denn öffentlich?« fragte der Major.

»Was?«

»Das – das Durchfallen?« fragte der Vormund und sah Pen ängstlich dabei ins Gesicht.

Pen merkte jetzt den Irrtum, unter dem sein Vormund litt, und mitten in diesem Elend rief dies Mißverständnis auf den Zügen des armen Wichts ein schwaches Lächeln hervor und diente dazu, die Unterhaltung von dem hochtragischen Tone herunter zu bringen, in dem Pen geneigt gewesen war, sie fortzuführen. Er erklärte seinem Onkel, daß er das Examen gemacht, aber nicht bestanden hätte. Darauf sagte der Major, daß, wenn er auch weit besseres von seinem Neffen erwartet hätte, dies doch kein so großes Unglück wäre und, soweit er sähe, auch keine Schande, und daß es Pen noch einmal versuchen müßte. 374

»Ich wieder in Oxbridge,« dachte Pen, »nach solch einer Demütigung!« Er fühlte, daß er den Platz nicht wieder betreten könnte, ausgenommen, um ihn zu verbrennen.

Aber als er dazu kam, seinem Onkel seine Schulden zu beichten, da erstaunte und ärgerte sich dieser gewaltig und brach mit sehr ernsten Reden gegen Pen los, die der junge Mensch, so gut er es konnte, ohne mit einer Miene zu zucken, ertrug. Er hatte sich entschlossen, reinen Tisch zu machen, und zu diesem Zwecke eine vollständige, wahre und umfassende Liste all seiner Rechnungen und Verbindlichkeiten auf der Universität und in London entworfen. Sie bestanden aus verschiedenartigen Punkten, wie:

Schneider in London.
Schneider in Oxbridge.
Schnittwarenhändler für Hemden und Handschuhe.
Juwelier.
Koch im Kollegium.
Crump, für Desserts.
Schuhmacher.
Weinhändler in London.
Weinhändler in Oxbridge.
Rechnung beim Pferdeverleiher.
Kunsthändler.
Bücher.
Einbände.
Haarkräusler und Parfümerien.
Hotelrechnung in London.
Kleinigkeiten. 375

All diese Punkte mag sich der Leser nach seinem Vergnügen ausfüllen – solche Rechnungen sind von den Eltern manches Studenten durchgesehen worden, und es schien, daß Herrn Pens Schulden alles in allem sich auf siebenhundert Pfund beliefen; außerdem mußte man noch hinzurechnen, daß er während seines Aufenthaltes in Oxbridge mehr als das doppelte dieser Summe an barem Gelde gehabt hatte. Diese Summe hatte er verbraucht, und was konnte er dafür aufweisen – was?

»Sie brauchen jemand, der schon niedergeschmettert ist, nicht noch mehr niederzudrücken, Onkel,« sagte Pen düster zu seinem Vormunde. »Ich weiß sehr wohl, wie niederträchtig und faul ich gewesen bin. Meine Mutter wird mich so entehrt nicht sehen mögen,« fuhr er mit verlöschender Stimme fort, »und ich weiß, sie wird diese Schulden bezahlen. Aber ich werde kein Geld mehr von ihr verlangen.«

»Tu, was dir beliebt,« sagte der Major. »Du bist ja mündig, und ich wasche, was deine Angelegenheiten betrifft, meine Hände in Unschuld. Aber du kannst nicht ohne Geld leben und hast, wie ich sehe, auch keine Mittel und Wege, es dir zu verdienen, obgleich du ein hübsches Talent für das Ausgeben hast, und es ist meine Meinung, daß du weiter fortfahren wirst, wie du angefangen, und deine Mutter ruiniert hast, noch ehe du fünf Jahre älter bist. – Guten Morgen; es ist Zeit für mich, zum Frühstück zu gehen. Meine Verabredungen werden mir nicht erlauben, dich während deines Londoner Aufenthaltes viel zu sehen. Ich setze voraus, daß du deine Mutter mit den 376 Neuigkeiten bekannt machen wirst, die du mir eben mitgeteilt hast.«

Und indem er seinen Hut aufsetzte und etwas an allen Gliedern zitterte, verließ Major Pendennis vor seinem Neffen seine Wohnung und ging, kläglich anzusehen, davon, um seine gewohnte Ecke im Klub einzunehmen. Er sah die Oxbridger Examenslisten in der Morgenzeitung und las die Namen verständnislos mit trauervoller Genauigkeit durch. Er sprach im Laufe des Tages mit verschiedenen alten Narren seiner Bekanntschaft in seinem Klub, Wenham, einem Dekan, verschiedenen Zivilisten, und fragte sie, wie man es nennt, »um Rat«, indem er einigen von ihnen die Höhe der Schulden seines Neffen zeigte, die er auf die Rückseite einer Karte gekritzelt hatte; er fragte sie, was da zu tun wäre, und ob solche Schulden nicht ungeheuerlich, nicht unsinnig wären? Was zu tun wäre? – Es war nichts weiter zu tun, als sie zu bezahlen. Wenham und die anderen erzählten dem Major von jungen Leuten, die zweimal soviel schuldig wären, – ja fünfmal soviel – wie Arthur und dabei nicht die geringsten Mittel zum Bezahlen hätten. Diese Besprechungen, Berechnungen und Meinungen trösteten den Major etwas. Schließlich hatte er ja auch nichts zu bezahlen.

Aber er gedachte jetzt mit bitterem Verdrusse aller der mannigfachen Pläne, die er gefaßt hatte, um aus seinem Neffen etwas Rechtes zu machen, der Opfer, die er gebracht hatte, und der Art, wie er getäuscht worden war. Und er schrieb Doktor Portman einen Brief, in welchem er ihn von den entsetzlichen 377 Ereignissen in Kenntnis setzte, die stattgefunden hätten, und den Doktor bat, sie Helenen beizubringen. Denn der orthodoxe alte Herr beobachtete in allen Dingen die regelmäßige Routine und war der Meinung, daß es schicklicher sei, jemandem irgendwelche übele Neuigkeiten durch einen (möglicherweise ungeschickten und gefühllosen) Boten »beizubringen«, als sie einfach durch ein paar geschriebene Zeilen an ihren Bestimmungsort zu schicken. So also schrieb der Major an Doktor Portman und ging dann zum Essen, als einer der betrübtesten Männer in ganz London, die an diesem Tage speisten.

Pen schrieb auch seinen Brief und schlich den Rest des Tages traurig durch die Londoner Straßen, wobei er sich einbildete, daß alle ihn ansähen und ihren Nachbarn zuflüsterten: »Das ist Pendennis von Bonifaz, der gestern durchfiel.« Sein Brief an seine Mutter war voll Zärtlichkeit und Gewissensbissen, er weinte die bittersten Tränen darüber, und die Reue und Aufregung milderten seinen Kummer einigermaßen.

Er sah eine Gesellschaft lärmender junger Laffen von Oxbridge im Kaffeezimmer seines Hotels, schlich sich hinweg von ihnen und wanderte in den Straßen umher. Er erinnerte sich, erzählte er, der Bilder, die er an Ackermanns Fenster im Regen aufgehängt sah, und eines Buches, das er in einem Laden in der Nähe des Temple las; abends ging er ins Parterre des Theaters und sah Fräulein Fotheringay, aber er wußte nicht im geringsten, in welchem Stücke.

Am zweiten Tage lief ein freundlicher Brief von Pens Studiendirektor ein, der viel ernste und passende 378 Bemerkungen über das Ereignis, das ihm zugestoßen, enthielt, aber zugleich auf das eifrigste in Pen drang, seinen Namen nicht aus dem Universitätsbuche streichen zu lassen, und ein Unglück wieder gut zu machen, das er, wie alle Welt wußte, nur seiner eigenen Sorglosigkeit allein zuzuschreiben hätte, und das er mit einmonatlicher Anstrengung wieder einholen könnte. Er sagte, er hätte Pens Aufwärter beauftragt, einige Koffer mit der Garderobe des jungen Herrn vollzupacken, die dann auch richtig, mit neuen Abschriften von allen Schuldforderungen Pens oben darauf gelegt, anlangten.

Am dritten Tage traf ein Brief von Hause ein, den Pen in seinem Schlafzimmer las und dessen Ergebnis war, daß er auf seine Knie niederfiel, den Kopf in seine Bettücher legte, aus vollem Herzen betete, sich vor Gott demütigte und, nachdem er hinuntergegangen war und ein ungeheures Frühstück verspeist hatte, forteilte und sich im Bull and Mouth in Picadilly für diesen Abend als Passagier nach Chatteris einschreiben ließ.



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