Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17.

In dem kleinen Feddersenschen Hotel in der Avenue du Bois de Boulogne ging man auf den Fußspitzen und dämpfte die Stimme zum Flüstern. Karl Feddersen selbst, der Hausherr, machte ein sehr ernstes Gesicht, als er des Vormittags in sein Auto stieg, um ins Kontor und auf die Börse zu fahren. Es waren nicht Sorgen der Firma, die ihn drückten. Sein Sohn, der Erbe des Hauses Iwan Feddersen und Söhne, war krank, recht krank ...

Noch vor kurzem hatte man festlich den ersten Geburtstag des kleinen Charles-Iwan gefeiert. Sein Pate, der Mülhauser Protestler Beinhauer, hatte das Hoch auf das bleiche, spitze Männchen ausgebracht, diesen kleinen Patrioten, der dereinst ... Er hatte sich da unterbrochen, mit einem Seitenblick auf Margarete, die so gleichgültig dasaß, als ob sie seine Worte gar nicht hörte. So war der große Tag feierlich vorübergegangen. Aber es hatte doch ein Unstern über dieser Rede geleuchtet. Von da ab siechte der kleine Patriot. Wurde schwächer und schwächer. Wenn die Krankenpflegerin lautlos mit ihren Tüchern und Flaschen die Treppe auf und nieder glitt, war es, als husche die Frau Sorge selber in grauen Schleiern durch das Haus.

»Da zahlt nun mein Mann die teuersten Aerzte von Paris!« sagte Margarete Feddersen zu ihrer Freundin Lisa Campbell, die gekommen war, um sich nach dem Befinden des kleinen Patienten zu erkundigen. »Er verschreibt sich die Pflegerinnen aus einem wundertätigen Sacre-Coeur. Er würde hier im Kamin ein Feuer aus Banknoten anzünden, wenn man ihm sagte, daß das für Charles-Iwan gut sei. Aber auf die eine naheliegende Idee kommt er nicht, mich, die Mutter, an das Krankenbett zu lassen!«

»Oder vielmehr ... sie denken wohl daran!« setzte sie nach einer Weile hart hinzu, »aber sie wollen nicht. Ich soll nun einmal keinen Teil an meinem Sohn haben. Ich bin eine Deutsche und das Kind muß ein Franzose werden! Die Geschäfte verlangen's! Lieber das arme Kerlchen leiden lassen, als ihm für später das Millionen-Zusammenkratzen erschweren. Darum ringen sie ihn mir aus den Händen. In gesunden und kranken Tagen!«

Ein wildes Zucken von Leidenschaft und Angst jagte durch ihre Züge. Jählings sprang sie auf. Sie ballte die Hände.

»Aber ich habe es jetzt satt! Guter Gott ... Was hab' ich mir schon alles in diesem Hause bieten lassen! Was ertrage ich nicht hier. Tag um Tag! Du kennst doch wahrhaftig meine Existenz, Lisa! Du wirst mir zugeben: Es ist kein Leben, so dazustehen, von seinem Mann vernachlässigt, von den Verwandten über die Achsel angesehen, von jedermann als ein Eindringling betrachtet – das einzige, wodurch ich es vor mir und meinem Stolz rechtfertigen kann, daß ich hier überhaupt noch ein bißchen Brot esse oder mir ein paar Handschuhe zahlen lasse, das ist doch das Kind. Dann muß ich das aber auch zeigen. Dann muß ich mir mein Recht auf Charles-Iwan nehmen. Es ist die höchste Zeit. Sie kurieren ihn mir ja zu Tode, mit ihren französischen Mittelchen und Geschichten. Ich seh' es ganz deutlich!«

Die junge Frau ging schwer atmend im Zimmer auf und ab. Die Schleppe ihres kostbaren Spitzenmorgenrockes flog bei ihren ungestümen Schritten über den Perserteppich. Ihre Freundin seufzte.

»Es ist ein Jammer, daß Du nicht mehr Einfluß auf Deinen Mann hast!« versetzte sie. Margarete Feddersen machte Halt und lachte. Es war kein gutes Lachen. Es grub zwei bittere Furchen der Resignation um ihre Mundwinkel:

»Weißt Du, weswegen, Lisa? Mein Mann ist dafür zu sehr verparisert. So sieht er die Frau. Auch die eigene Frau. Ein Luxusartikel. Ein Spielzeug. Man läßt sich von ihr Launen gefallen, sich um den Bart gehen wie von einer Katze, sich die Dinge abtrotzen, abschmeicheln, ablisten – Lisa ... zu dem allen bin ich verloren! Ich bin anders. Ich brauchte einen Mann, dem ich Kamerad wäre – in allem – mit geschlossenen Augen durch dick und dünn. Das, was ich hier sein soll, das werd' ich nie lernen! Und was ich bin, das wird er nie verstehen! Da hast Du die Geschichte meiner Ehe in Gegenwart und Zukunft!«

»Aber Liebste – wie soll denn das um Himmels willen enden?«

»Vorläufig damit, daß ich jetzt die Geduld verliere und einmal die Fenster in Charles-Iwans Zimmer aufmache. Es sind mindestens zwanzig Grad darin. Aber siehst Du, nicht einmal das kann ich aus eigenem! Sogar dazu brauche ich Verbündete!«

Sie klingelte und gab dem eintretenden Diener einen hastig hingeworfenen Brief.

»Bringen Sie das sofort zu Monsieur Alphonse Feddersen! Es eilt!«

Die kleine Deutsch-Russin machte bei der Erwähnung des Vetters Alphonse eine sorgenvolle Miene. Als sie wieder mit Margarete allein war, fragte sie:

»Was willst Du denn mit Alphonse?«

»Er soll mir helfen!«

»Warum denn er gerade?«

»Ich hab' doch sonst niemanden!«

Es war eine Stille. Dann hub Lisa Campbell an:

»Du, Margot ...«

»Ja?«

»Alphonse kommt ziemlich oft zu Dir!«

»Oh ja!«

»Vielleicht zu oft?«

»Gott ... ich zähl' es nicht nach!«

»Aber andere zählen es nach, Liebste! Da wir heute gerade bei Geständnissen sind – es lag mir schon lange auf dem Herzen, Dir da einmal einen Wink zu geben!«

Margarete Feddersen war gar nicht überrascht. Sie zuckte gleichgültig die Achseln.

»Kinder, Ihr seid doch wirklich komisch!« sagte sie. »Erst wird man hier von Gott und der Welt boykottiert, und wenn man sich dann irgendeine Menschenseele zum Verkehr sucht, soll man wieder gesteinigt werden. Ja, ich hab' doch kein Trappistengelübde abgelegt!«

»Aber warum muß es gerade Vetter Alphonse sein?«

»Mein Gott: es ist eine Art Galgenhumor zwischen uns. Eine Schicksalsgemeinschaft. Wir sind nun doch einmal die beiden schwarzen Schafe der Familie!«

»Margot! Wie kannst Du Dich mit Alphonse auf eine Stufe stellen?«

»Das tu' ich nicht! ... Aber Ihr tut ihm auch unrecht. Ganz einfach ein Taugenichts ist er wirklich nicht. Er ist eine recht komplizierte Natur. Es ist viel Gutes in ihm verloren gegangen, weil ihn das Leben nie vor eine ordentliche Aufgabe gestellt hat!«

Die Deutsch-Russin schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Ich kenne ihn doch auch!« sagte sie. »Länger als Du. Ich bin mit ihm verwandt. Ich kann Dir nur sagen: Mache Dir nicht in der Stimmung, in der Du jetzt bist, irgendein Bild von ihm zurecht! Traue ihm nicht!«

Margarete Feddersen achtete nicht auf ihre Worte. Ihre Gedanken waren nicht mehr bei dem Vetter. Sie hatte drüben in dem Kinderzimmer ein Geräusch gehört. Sie sprang auf und eilte hinüber. Ihre Freundin vernahm einen heftigen Stimmenwechsel. Die Tür war offen. Der Arzt erschien, seinen Krankenbesuch vor der Zeit abbrechend, auf der Schwelle. Er war ein gewichtiger, rundgewölbter Herr, der mit seinem kalten, glattrasierten, selbstbewußten Gesicht eher an einen Diplomaten alter Schule erinnerte. Er hielt seinen Zylinder in der Rechten und war eisig höflich.

»Selbstverständlich, Madame, bedarf es kaum dieser Andeutung. Ich ziehe mich auf der Stelle zurück!«

Er ging. Die junge Frau trat, blaß vor Aufregung, zu der andern in das Zimmer.

»So! Der kommt nicht wieder!« sagte sie, sich auf einen Diwan weisend. »Das gibt einen netten Tanz mit meinem Mann! Mir gleich! Ich zeig' jetzt die Zähne! ... Ich werde mir mit Gewalt die Stellung im Hause erobern, die mir gebührt! Willst Du schon gehen, Lisa?«

»Ja, ich muß!« Die kleine Petersburgerin war aufgestanden. »Ich hab' eigentlich daheim alle Hände voll zu tun. Aber ich wollt' einmal nach Dir sehen. Du gefällst mir in letzter Zeit gar nicht, Margot!«

»Ich komme mir vor wie ein Mensch, zu dem die Gebrauchsanweisung verloren gegangen ist. Zu etwas muß man doch nutz sein! Ich klammere mich jetzt an das Kind. Ich hab' es vielleicht gar nicht so lieb wie andere Mütter ihre Kinder. Aber wenn ich es halte, halt' ich zugleich mich selber. Es ist meine letzte Rettung, daß ich nicht überschnappe oder irgendwie die gräßlichsten Dummheiten mache. Das Zeug dazu hätt' ich nachgerade in mir ...«

Sie war furchtbar aufgeregt. Sie begleitete die Freundin bis zur Schwelle und küßte sie dort ein paarmal leidenschaftlich. Dann lachte sie plötzlich mit feuchten Augen auf, während ihr ganzer Körper zitterte.

»Diese Schlafmützen!« sagte sie. »Diese Goldsäcke! ... Da sitzt man nun dazwischen und ... Ach, ich bin so geladen! Ich möchte ihnen allen so gerne irgendeinen Tort antun! ... Schau mich nicht so erschrocken an, Maus! ... Es ist nur dummes Gerede! Es ist nur die Angst um den Jungen! Da zuckt es einen bis in die Fingerspitzen, daß endlich etwas Vernünftiges geschieht! ... Gott sei Dank ... Alphonse ... da sind Sie!«

Der schwarze Vetter trat ein. Sie schüttelten sich die Hände wie zwei Kameraden. Dann versetzte die junge Frau, während Lisa Campbell noch daneben stand:

»Lieber Vetter, Sie haben mir so oft versichert, daß Sie mein uneigennütziger Freund seien! ... Sie können es mir jetzt beweisen! ... Man bringt mir hier mein Kind um. Ich will es nicht länger dulden. Ich will einen deutschen Arzt und eine deutsche Pflegerin. Auf der Stelle! Kennen Sie jemanden?«

»Wen kenne ich hier in Paris nicht?« sagte Alphonse Feddersen. Es klang halb melancholisch. »Ich und ein Adreßbuch für die Boulevards sind eins. Ich hole sofort den Doktor Oesterli. Einen Schweizer. Hat in Deutschland studiert. Von erfrischender Grobheit. Nehmen Sie mich bitte in Ihrem Auto mit, Lisa! Auf Wiedersehen!«

Eine lange Stunde verstrich. Eine zweite. Margarete wanderte ruhelos in den Zimmern hin und her. Zuweilen stellte sie sich ans Fenster und spähte, ob eines der vielen Hunderte von Phaetons und Limousinen, die draußen durch die kalte Nebelluft dahinschossen, die Erwarteten brächte. Dann eilte sie wieder, von neuer Besorgnis ergriffen, in das Kinderzimmer. Kein Zweifel: es ging dem kleinen Charles-Iwan schlecht. Er hatte Krämpfe. Die Pflegerin sagte es selbst. Es schien ihr wie ein nachträglicher Triumph, weil man den Arzt entlassen hatte. Da endlich ... Margarete fuhr auf ... sie hörte das Haustor schlagen ... eilige Schritte unten im Eingang ... die Stimme des Dieners ... Das mußte der Arzt sein. Sie eilte ihm auf der Treppe entgegen und stand im nächsten Moment Aug' in Auge mit ihrem Mann.

So hatte sie Karl Feddersen noch nicht gesehen. Der Zorn hatte sein Antlitz nicht gerötet. Er machte es brutal. Es kam da etwas von Unbildung heraus, von Erinnerung an frühere Geschlechter. Es war, als sei ein Stück Tünche abgefallen. Er ging auf seine Frau zu und faßte sie mit beiden Fäusten an den Handgelenken, daß sie vor Schmerz zusammenzuckte.

»Was fällt Dir denn ein? Du hast Dir erlaubt, in meiner Abwesenheit den Arzt wegzuschicken?«

Sie machte sich gewaltsam von ihm los und trat eine Stufe zurück. »Woher weißt Du das denn schon?« fragte sie.

»Die Pflegerin hat es mir telephoniert!«

»Die Pflegerin fliegt auch! Heute noch!«

Karl Feddersen sah sie starr an.

»Sag' einmal: Bist Du denn überhaupt noch bei Verstande?«

»Ich komm' jetzt allmählich zum Verstand!«

Sie stand höher als er auf der Treppe. Sie schaute auf ihn hinunter. Sein Blondhaar war um den Scheitel gelichtet. Es begann da eine Glatze. Sie bemerkte das geistesabwesend. Er wollte sich an ihr vorüberdrängen. Aber sie rührte sich nicht.

»Ich will doch sehen, Charley, wer der Stärkere von uns beiden ist!«

»Also Du möchtest es hier auf eine Kraftprobe ankommen lassen?«

»Einmal müssen wir offenbar unsere Kräfte aneinander messen! Ich bin jetzt bis auf einen Punkt gedrängt, wo ich nicht weiter zurück kann, um keinen Preis ...«

Karl Feddersen hatte den Fuß auf die Stufe vor ihr gesetzt. Er zog ihn jetzt langsam wieder zurück.

»Was ist denn nur in Dich gefahren?« fragte er, immer leiser werdend, je mehr der Zorn in ihm kochte. »Ich erkenne Dich nicht wieder! Aus Dir spricht ein ganz anderer Mensch. Wer steckt denn hinter Dir, der Dir den Mut zu diesem Auftreten gibt – he?«

»Hinter mir, in dem Zimmer da oben, ist Charles-Iwan!«

Sie blickten sich stumm in die Augen. Er hatte Angst vor ihr. Zum erstenmal stand sie ihm ganz ohne Scheu und Schwäche gegenüber. Sie hatte eine Hand auf das Geländer gelegt. Sie schirmte wie eine Schildwache den schmalen Aufgang. Zugleich hörte er von unten Schritte. Er wandte den Kopf. Vetter Alphonse eilte die Stufen herauf. Er winkte mit der Rechten und rief:

»Ich hab' ihn gerade noch erwischt, Cousine! Er folgt mir auf dem Fuß!«

Um Karl Feddersen kümmerte er sich nicht weiter. Er nickte ihm nur leichthin zu. Der frug:

»Wer kommt?«

»Mein Gott: Doktor Oesterli! ... Deine Frau wünschte es!«

Im nächsten Augenblick brach Karl Feddersen los:

»Und Du läßt Dich schicken! ... Du spielst hier hinter meinem Rücken den Galopin? Du bist immer hier! Was hast Du denn ewig hier zu suchen – he? Willst Du mir das nicht einmal erklären, wie ich zu der Ehre komme? Was nimmst Du Dir denn heraus, Dich hier in meine Angelegenheiten einzumischen! Das verbitte ich mir – verstehst Du! ... Ah, mon cher ... ich werde Dir zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat ...«

Er war heiser vor Wut. Seine Stimme überschlug sich. Alphonse Feddersen wahrte seine volle Kaltblütigkeit. Er wandle sich in leiser Sprechweise mit einem Achselzucken des Bedauerns an die Frau des Hauses:

»Die schlechte Erziehung, Cousine! So sind die Feddersen im Grunde! ... Moskauer Kinderstube! Grattez le Russe et vous verrez le Tatare!«

» Je te mettrai au camp, mon cher!« schrie Karl Feddersen und brach plötzlich ab, weil ihm einfiel, daß die Dienerschaft, wenn sie sich in französischer Sprache beschimpften, verstand, und fuhr, nach Luft ringend, auf deutsch fort:

»Du ... Du hast es nötig, andern Vorhalte zu machen! Ein Taugenichts wie Du! Jawohl! Ein Tau – ge – nichts!« Er zog die Silben, um ihren Eindruck zu verstärken, breit auseinander. »Ich habe das Unglück, mit Dir verwandt zu sein! Es ist ein Unglück für einen respektablen Kaufmann. Ich öffne Dir mein Haus, statt mir die Aermel abzuwischen, wenn ich Dich aus Versehen berührt hab'! Und zum Dank ...«

»Da kommt bei ihm der Großvater aus Charkow heraus,« sagte Alphonse zu Margarete. »Der warf nach der Familientradition mit der Hobelbank nach seinem Nächsten! Aber man muß die Pietät nicht übertreiben!«

»Sei nur Du still ... wenn ich an die Wiener Wechsel denke ... an die Affäre mit den Konnossementen in Bordeaux – an Onkel Fedors große Seidenspekulation, die Du der Konkurrenz verraten hast ... Wir haben Dich, trotz all Deiner Streiche, durchgeschleppt, Dir immer wieder geholfen ...«

»Ausgeräubert habt Ihr mich!«

»... wenn Du zum Dank dafür hier Stänkereien anstellst ... z'bogóm, mein Lieder, geh' gefälligst! Und komme nicht wieder! Dort ist die Tür! Adieu!«

Alphonse Feddersen wandte sich zum Gehen. Die Wutausbrüche des Vetters glitten an seiner blasierten Ruhe ab. Wie Regenstürze an einem Gummimantel. Er schaute über ihn weg, zu Margarete.

»Sie tun mir leid, Cousine Margot!« sagte er. »Ich kann den Verkehr mit den Feddersens vermeiden. Sie nicht ... Wir Feddersen sind zu schnell reich geworden! Wir haben gewisse notwendige Entwicklungsstufen übersprungen. Daher Szenen wie die eben, die man unter geschmackvollen Menschen vermeidet. Aber wenn Charley Geschmack hätte ... Er ist der viel größere Verschwender als ich! Er vertut sein Bestes und sieht es nicht einmal! Adieu!«

Einen Augenblick hatte Margarete einen instinktiven Drang, ihm nachzurufen: »Nimm mich mit! Gleichviel, wer Du bist! Gleichviel wohin! Nur fort aus diesem Hause!« Dann stand sie regungslos da, während der Vetter Alphonse ihr Dach verließ. Karl Feddersen schaute ihm nach und zündete sich, um seine Wut zu ersticken, mit zitternden Fingern eine Papyros an. Nun wandte er sich jäh, in neuer Angriffslust, gegen Margarete: »Wirklich reizend! Eine honette Frau, die einen derartigen Libertin zu ihrem Vertrauten macht! Ah, c'est un peu trop, ma chère!« Wenn Dir nicht das natürliche Empfinden sagt, daß ein Mensch von dieser Moral ...«

»Du hast es nötig, von Moral zu reden ...«

Ihr Mann war eine Sekunde verwirrt. Er biß sich auf die Lippen. Er ärgerte sich, daß seine Frau diesen Trumpf gegen ihn in Händen hatte. Sie ließ ihm keine Zeit zur Abwehr. Sie fuhr fort und ihre Augen loderten, daß er erschrak:

»Nur daß Ihr Heuchler seid und er ist wenigstens ehrlich! Das macht Euch doppelt gräßlich!«

»Margot!«

Sie war wie von Sinnen. Sie stand mit geballten Händen dicht vor ihm.

»Es ekelt einen ... Seelenverkäufer seid Ihr ... Ihr nehmt einem die Seele aus dem Leib, weil Ihr selber keine habt! Man erfriert zwischen Euch! Man erstickt unter Euch! Euch ist's egal! Ihr seid zufrieden!«

»Nun bitt' ich mir aber aus ...«

»An nichts glaubt Ihr! Vor nichts habt Ihr Ehrfurcht! Nichts erschüttert Euch! Nichts bringt Euch über Euch selbst hinaus! Wann kriegt Ihr jemals feuchte Augen? ... Ja, lache nur so höhnisch! Ihr seid so arm mit Eurem Geld, daß Ihr gar nicht wißt, daß andere Menschen wirklich noch etwas haben! ... Und wenn, dann wollt Ihr's einem nehmen ...«

»Was hat man Dir denn genommen, meine teure Margot?!«

»Alles! Viel mehr, als Du je begreifen wirst! Meinetwegen! Ich hab's hingegeben! Nur den Jungen nicht! Aus dem sollt Ihr nicht noch solch ein Pariser Jammerkerlchen machen, das bleichsüchtig vor seinem Geldschrank hockt! Er soll in die frische Luft! Er soll ...«

Ihr Mann sah auf die Uhr.

»Davon später!« sagte er geschäftsmäßig. »Ich habe telephonisch unsern Doktor mit äußerster Mühe wieder versöhnt! Er wird kommen, und wir werden sehen!«

»Ein anderer Arzt wird kommen!«

»Nein! Es war mir grade schon genug, Deine und Alphonses Eigenmächtigkeiten wieder gut zu machen! Und à propos Alphonse ...«

Karl Feddersens Ton wurde schneidend in seiner Gereiztheit.

»Du hast mich vorhin an einen gewissen Zwischenfall des vorigen Jahres erinnert. Es scheint wirklich, daß Ihr Frauen vergeben, aber nicht vergessen könnt. Ich habe mir seitdem nicht das geringste mehr vorzuwerfen! Aber, was dem einem recht ist, ist dem andern billig! Dann verlange ich auch von Dir Korrektheit – absolute Korrektheit! Statt dessen fängst Du auf einmal an ...«

»Sprich nicht weiter!«

»Und denkst, ich merk' es nicht ...«

»Es tut nicht gut, Charley! Sprich das nicht aus!«

»Und beginnst da hinter meinem Rücken mit Vetter Alphonse ein ...«

Karl Feddersen prallte zurück und duckte unwillkürlich ein wenig den Kopf. Er hatte einen Moment die Besorgnis, daß seine Frau ihm ins Gesicht schlagen würde. Sie bebte. Ihre Brust flog auf und nieder. Ihre Augen leuchteten unheimlich.

»Ein Wort noch!« sagte sie leise. »Dann ist es zu Ende!«

Wie immer, wo er Entschlossenheit sah, wich ihr Mann aus. Er wurde sofort ruhiger. Er lächelte nur ironisch.

»Vortrefflich! Alphonse kommt neuerdings so ziemlich jeden Nachmittag, den Gott gibt. Niemand zweifelt, daß Ihr da zusammen Patiencen legt oder Charaden löst! Was könnte es denn auch sonst sein? Jede andere Vermutung wäre ja naiv, meine beste Margot – nicht wahr?«

Sein giftiger Ton entlockte ihr nur ein Achselzucken – ein kurzes Schweigen. »Ach ... ich ersticke ...,« sagte sie dann halblaut. Weiter nichts.

»Soll das etwa Freundschaft sein? Ah ... ne jouez pas l'enfant, Margot! Ich wünsche nicht zum Gespött zu werden. Man wird künftig besser auf Dich aufpassen müssen, meine Liebe ...«

Margarete Feddersen schauerte zusammen.

»Vom eigenen Mann auch noch in Gedanken erniedrigt zu werden ...,« sagte sie wie zu sich, »... zu denken, daß ich in den fünf Jahren Dir noch kein reineres Bild von mir hab' geben können ... Was Du noch hast dazu tun können ..., das hast Du eben fertig gebracht ...«

Sie wandte ihm den Rücken zu, um nach der Tür zu gehen. Auf der Schwelle macht sie Halt. Vor ihr stand der Schweizer Arzt, graubärtig, untersetzt, kurzsichtig über den Zwicker schauend. Er hatte, während sie beide sich stritten, schon oben einen Blick in das Krankenzimmer geworfen.

»Ich kann Ihnen meine Besorgnis nicht verhehlen!« begann er brüsk, fast ohne Begrüßung, in seinem alemannisch rauhen Französisch. »Es steht nicht gut, Monsieur et Madame! Es ist da viel versäumt worden!«

Karl Feddersen hob bereits die Hand.

»Pardon, Herr Doktor! Sie werden mich in dem Vertrauen auf die sorgfältige Pflege, die bisher dem Kind zuteil geworden ist, nicht erschüttern!«

»Bitte sehr, es ist ja nicht mein Kind! Mich trifft es nicht, wenn plötzlich eine Katastrophe ... Glauben Sie mir: Ich male den Teufel auch nicht gern unnütz an die Wand. Was ist denn da oben wieder für ein Spektakel?«

Er hob den Kopf. Im oberen Stockwerk verteidigte die französische Wärterin ihren Platz am Krankenbett gegen die mitgebrachte englische Nurse. Zugleich fuhr ein Coupé vor. Der Pariser Arzt von vorhin stieg aus, eilte durch das Vestibül und blieb beim Anblick seines Kollegen stehen.

»Ah!« sagte er, puterrot werdend. »Ah, meine Herrschaften ... Das ist zu viel ... Sie rufen mich ein zweites Mal – ich lasse mich herbei und erscheine und finde meinen Platz hier besetzt ... gestatten Sie mir die Bemerkung, daß mein Erstaunen nur noch von meiner Entrüstung übertroffen wird!«

»Darauf kommt es nicht an, Herr Kollege, sondern daß das Kind oben so gut wie im Sterben liegt!«

Margarete Feddersen schrie hell auf, sie taumelte. Ihr Mann selbst, leichenfahl geworden, sprang herzu, um sie zu unterstützen. Er hielt sie im Arm. Sie schaute mit verzerrten Zügen zu ihm empor.

»Wenn Ihr mir auch das noch antut!« stöhnte sie, »wenn Ihr mir mein Kind mordet ...«

»Still! ... Sprich das nicht aus! ... Es ist ja Unsinn!«

»Nein! ... Ich glaub' ihm mehr!«

»Du hast den Charlatan gerufen.«

»Und Du den andern, der uns unglücklich machen wird!«

Sie keuchten sich halblaut, verstört die Worte in das Gesicht. Die Aerzte stritten neben ihnen leidenschaftlich miteinander über den Fall. Oben klang das Jammern der Französin und die ruhige Stimme der Britin. Dann stürzten Schritte die Stiege herunter ... Die beiden Wärterinnen nebeneinander ... Und während die eine ängstlich rief: »Bitte ... kommen Sie rasch ... helfen Sie!«, flüsterte die andere dem Schweizer Arzt nur zu:

»Es ist zu spät!«


 << zurück weiter >>