Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

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7.

Der Generalleutnant z. D. von Teuffern, ein kleiner, Herr mit weißem Schnurrbart, saß am nächsten Mittag in seiner Wohnung, die Zigarre in der einen, den Brief Karl Feddersens in der anderen Hand. Er wog ihn zweifelnd und mißtrauisch, wie eine Bombe, die ein friedlicher Spaziergänger unterwegs gefunden, schüttelte den Graukopf, rückte den goldenen Zwicker auf der scharfgebogenen Nase zurecht, prüfte noch einmal die Unterschrift und murmelte:

»Feddersen ... hm ... Feddersen ...«

Dann wandte er sich zu seiner Frau, die neben ihm saß:

»Vor allem, Mutter, sag' der Grete kein Sterbenswort! ... Wo steckt sie denn?«

»Sie liegt immer noch im Bett! Sie macht mir auch nicht auf, wenn ich klopfe.«

»So geht das heutzutage!« Der General wurde in seiner Ratlosigkeit plötzlich streng. »Wenn ich denke, wie wir verlobt waren, Hildegard: nicht fünf Minuten saßen wir auf dem Sofa in der guten Stube, da steckte schon die olle Spinatwachtel, die Tante Minna, ihre schiefe Nase durch die Türe ... da wurde aufgepaßt ... da kam nicht so jeder Hinz und Kunz ... mir nichts ... dir nichts ... Feddersen ... hm ... Feddersen ... wenn das nun etwa ein stellenloser Oderkellner ist, Hildegard ... he?«

»Ader ich bitte Dich!«

»Und überhaupt: Da schneit ein Ausländer nach Berlin, will übermorgen weiter und unter anderem Handgepäck meine Tochter mitnehmen ... ja ... ich wundere mich ja nicht, daß die Leute auf solche Gedanken kommen, wenn meine Tochter ihnen mit ihrem Anliegen bis in die Reitbahn nachläuft ...«

»Herrn Feddersen trifft dabei doch keine Schuld!«

»Nee! Das ist ja die Geschichte ...,« sagte Exzellenz von Teuffern unbehaglich und steckte den Brief zu sich. »Aber, Hildegard, man kann nicht vorsichtig genug sein! Wer weiß, was der Mann für Geschäfte treibt! ... Man liest immer von Heiratsschwindlern ...«

»Du bist grotesk, Hans!«

»Ich bin Vater, meine Beste ... Ich lasse mir keinen Sand in die Augen streuen ...«

»Antworten mußt Du jedenfalls!«

»Aber zum Kuckuck, was?«

Herr und Frau von Teuffern saßen betreten da. Der General räusperte sich.

»Am einfachsten wäre, ich schriebe: ›Mein guter Herr! Ich kenne Sie nicht! Sie sind Ausländer! Suchen Sie sich eine Frau in Ihren Kreisen!‹ ... Aber man hat doch wieder eine Verantwortung der Grete gegenüber! Es könnte doch etwas Wahres an der Geschichte sein!«

Draußen klirrte ein Säbel: Der Sohn des Hauses trat ein, das Monokel in dem hübschen, jungen, der Schwester ähnlichen Gesicht, im Glanz des silbernen Gardekragens. Er wohnte in der Kaserne und fand nur Sonntags, nach dem Kirchgang, den Weg zu Muttern und ihren Fleischtöpfen. Er begrüßte die Eltern, und der Vater fragte:

»Sag' mal. Du kennst Herrn Feddersen? Was macht er denn so für einen Eindruck?«

»Gott – ganz nett ... ein bißchen langweilig – ein Bombenbrillant als Busennadel. Ob der echt ist, weiß ich nicht!«

»Siehst Du: ob der echt ist, weiß Adalbert nicht!« sagte der General triumphierend zu seiner Frau. »Und ob der ganze Kerl echt ist, weiß ich nicht. Aber ich denke mir mein Teil. Wir wollen da lieber die Finger von lassen!« Exzellenz von Teuffern vergaß in seinem Eifer halb, daß der Sohn zuhörte. »Weißt Du, Hildegard: ich schreib' dem Feddersen gleich: wir bedauern!«

»Was interessiert Euch denn so furchtbar an diesem Herrn Feddersen?«

»Die Frage, wer er ist, mein Sohn! ... Nein, Hildegard: Ich will hier nicht jemanden am Tisch sitzen haben, und gleich darauf klopft's und die Polizei holt ihn ab! Wenn einer so mit der Tür ins Haus fällt, vor dem halt' ich die Tür zu!«

»Aber wenn er wirklich Millionär ist, wenn?«

»Das kann ich nicht feststellen!«

»Geht denn das uns etwas an, Papa?«

»Ja. Ich hab' meine Gründe!«

»Dann wende Dich doch an ein Auskunftsbureau.«

»Kann man denn das?«

»Na – ich denke doch!« »Gut! Das ist eine Idee! Das werde ich versuchen!«

Am nächsten Vormittag stieg General von Teuffern die Treppe zu der Auskunftei empor. An der Bureauschranke empfing ihn ein Herr.

»Sie wünschen mit einer Firma Geschäfte zu machen? Anders geben wir keine Auskunft!«

»Ja!« sagte der alte Herr gedrückt und reichte seine Visitenkarte hinüber. Als der Beamte den Generalstitel las, wurde er höflich.

»Bitte, Exzellenz! Um wen handelt es sich?«

»Um einen gewissen Feddersen!«

»Um Iwan Feddersen und Söhne?«

»Ja, um eben die! Was hört man denn so von den Leuten?«

»Es sind drei Brüder. Das Stammhaus, wie Sie ja wissen, in Petersburg und Moskau. Ein Direktionsbureau in Paris. Aus dem Kopf kenne ich eine enge Fusion mit William Oldekop and Son in Liverpool, einem Onkel der Inhaber, mit der Michailow'schen Interessengruppe im Donetzbassin und Transkaspien, mit der Société anonyme métallurgique du Maroc ... Inwieweit die Neue Russische Kommerzbank in Jekaterinoslaw direkt von Feddersen abhängt, kann ich im Augenblick ...«

»Also ist da Geld?«

»In welcher Höhe ist denn ungefähr das Geschäft, das Exzellenz mit Feddersen machen wollen?«

General von Teuffern war betroffen. Auf diese Frage war er nicht vorbereitet gewesen. Er sagte aufs Geratewohl:

»Hunderttausend Mark!«

Der Beamte lächelte.

»In betreff dieser Summe können Sie ganz ohne Sorge sein, Exzellenz! Bis zu dreißig Millionen sind Iwan Feddersen und Söhne unbesehen gut.«

»Wa – was? Dreißig Millionen?«

»Mindestens, Exzellenz!«

»Ja – wie: Millionen Rechenpfennige? Oder was sonst?«

»Mark natürlich, Exzellenz!«

»Und es sind drei ... da wäre dieser Herr Feddersen ja zehnfacher Millionär!«

»Ich glaube, Sie können die Summe ruhig verdoppeln, Exzellenz! Die Herren haben noch sehr bedeutende Privatvermögen.«

Der alte Herr schwieg, zahlte und ging. Unterwegs überlegte er sich den Fall noch einmal, besprach ihn mit seiner Frau, und war mit ihr am Abend eins und meinte, entschlossen vom Kanapee aufstehend:

»Ablehnen kann ich seine Bitte nicht, nachdem er uns diesen Gefallen erwiesen hat. Also mag er in Gottes Namen einmal kommen. Aber das sag' ich gleich: Zureden tu' ich der Grete nicht. Und wenn der Mann noch zehnmal mehr Geld hätte, sie soll ganz frei entscheiden!«

Er setzte sich an den Schreibtisch. Seine Hand zitterte so, daß er zwei Briefbogen nacheinander wegwerfen mußte, bis er endlich seine Fassung hatte und wieder begann:

»Euer Hochwohlgeboren

geschätzte Zeilen vom Gestrigen sind, wie dies ja nicht anders zu erwarten, meiner Frau und mir eine außerordentliche Ueberraschung gewesen, meiner Tochter Margarete insofern nicht, als wir es für richtig erachtet haben, ihr vorläufig nichts von ihrem Inhalt mitzuteilen.

Ich danke Ihnen, daß Sie sich zunächst an mich und nicht an meine Tochter gewandt haben. Durch Ihr freundliches Eintreten für die Interessen meines Hauses haben Sie sich das gern von mir anerkannte Recht auf ein Betreten dieses Hauses erworben. Meine Frau und ich bitten Sie für ...«

Er brach ab, stand auf und ging in das Nebenzimmer. Dort sah die Generalin von Teuffern, ihren Sohn zur Seite, das Tuch vor den Augen. Bei diesem Anblick wurde er ärgerlich. »Warum heulst Du denn, Mutter?«

»Hans ... dreißig Millionen!«

»Erstens sind sie noch nicht da! ... Zweitens ist das nicht unsere Sache, sondern die der Grete ... und überhaupt ...«

Der alte Herr ging, die Hände auf dem Rücken, stillen Eigensinn in den freundlichen blauen Augen, vor seiner Frau auf und nieder. »Ueberhaupt ... wißt Ihr, Kinder: Mir imponiert das Geld weiter gar nicht!« sagte er lebhaft, beinahe erfreut über seine eigene Entdeckung. »Es ist ja sehr schön, wenn man's hat, aber ...«

»Hans, rede nicht so! Es ist ja, als wenn man das Große Los ...«

Er blieb stehen.

»Sehr richtig! Das Große Los kann jeder Schneidergeselle gewinnen, Hildegard! Aber wenn alle Millionäre der Welt nach Berlin kommen, so können sie sich für ihr Geld nicht des Königs Rock kaufen, den der Adalbert trägt, oder das Eiserne Kreuz, das ich im Knopfloch trage! Nee ... nee ... nee ... Wir wollen da auch nicht so kleinmütig sein. Und nun sage, Mutter: Auf wann wollen wir ihn einladen?«

»Vor übermorgen bin ich mit den Vorbereitungen nicht fertig!«

»Es gibt keine Vorbereitungen!« sagte der General gebieterisch. »Das bitte ich mir aus! Es gibt einfache Hausmannskost! Eine Kalbskeule!« Er verstärkte seine Stimme, um jeden Widerspruch zu ersticken. »Eine Kalbskeule mit Kartoffelsalat! Punktum, Streusand darauf!« Und da seine Frau noch etwas entgegnen wollte, schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich biete meine Tochter nicht wie Sauerbier aus! Ich bin, wer ich bin! Wenn's Herrn Feddersen nicht paßt, kann er's ja bleiben lassen! ... Also zum Mittwoch, Hildegard? Schön.«

Er vollendete, in sein Gemach zurückgekehrt, den Brief: »Meine Frau und ich bitten Sie für übermorgen abend acht Uhr zu einem Butterbrot und Glase Bier im Familienkreis. Bitte Ueberrock. In vorzüglicher Hochachtung

Euer Hochwohlgeboren ergebenster
von Teuffern.«

Karl Feddersen mußte nicht, was der altmodische Ausdruck »im Ueberrock« in der Einladung bedeutete. Er hatte sich erst danach erkundigen müssen und sah am Mittwoch abend bei seinem Eintritt in den Salon zu seiner Erleichterung, daß Exzellenz von Teuffern nicht etwa den Frack, sondern den gleichen dunklen Gehrock wie er trug. – Ein unscheinbarer alter Herr, der ihm freundlich, aber ohne viel Wesens die Hand reichte. Ebenso zurückhaltend waren auch Frau von Teuffern und ihr Sohn, der Leutnant. Anderswo wäre man einem Gaste wie ihm unter solchen Umständen an den Hals geflogen. Hier vergab man sich nichts. Der junge Millionär dachte daran, was er neulich voll Pariser Erstaunens seinem Bruder gesagt: »Es gibt hierzulande wirklich noch ganze Stände, die nicht für Geld zu haben sind, obwohl sie selbst keins haben ...« Das imponierte ihm jetzt eigentlich. Aber es raubte ihm ein wenig die Sicherheit. Wo man ihn kannte, wurde er als das empfangen, was er war, und konnte sich so geben. Hier war er einfach ein Gast wie andere. Wie der kahlköpfige Major da mit seiner Frau, wie der junge, lange, mit alten Schmissen bedeckte Regierungsassessor in der Ecke.

Er hatte der Generalin die Hand geküßt und war den Töchtern des Hauses vorgestellt worden – Gertrud, der mittleren, und Sofie, der jüngsten. Beide waren dunkel wie Margarete, aber nicht annähernd so hübsch. Sie selbst war noch nicht anwesend. Das beunruhigte ihn. Er war zerstreut und wortkarg, während man sich setzte. Er war an sich kein belebender Gesellschafter. Hier auf fremdem Boden, unter fremden Sitten besonders nicht. Er hielt sich vorsichtig zurück. Er hörte mit höflichem Lächeln den anderen zu. Er fing einen belustigten Blick der Jüngsten an ihre Schwester auf, deren Backfischgemüt der schweigsame ausländische Zivilist mit der hohen Würgekrawatte und dem Stehkragen schon furchtbar komisch vorkam, und merkte, wie die freundlichen blauen Augen des Generals von der Seite her still prüfend auf ihm ruhten. Nicht ohne Wohlwollen. Der große, stattliche, blonde Mann besaß in seiner Nüchternheit etwas Vertrauenerweckendes. Kein aufgeregter, exotischer Flaps, wie Herr von Teuffern im stillen gefürchtet – gute Kinderstube – respektvolle Manieren – ein bißchen langweilig – na, das schadete am wenigsten ... die Grete hatte Temperament für zwei.

Da erschien sie endlich. Im letzten Augenblick. Es war ihr gräßlich gewesen, Karl Feddersen noch einmal zu begegnen. Es hatte alle Bitten der Eltern gebraucht, um sie überhaupt zu bewegen, sich zu zeigen. Nun kam sie gleichgültig hereingeschlendert, als ob sich das von selbst verstände, daß man auf sie wartete. Karl Feddersen sprang auf. Das Zimmer war auf einmal sonnenhell, die fremden Gesichter um ihn verklärt, Wärme und Leben in der Welt: Sie war da! Sie trug ein einfaches, brennend rotes Krepp-Kleid mit breitem schwarzen Gürtel, das einen viereckigen Ausschnitt am Halse und die Unterarme frei ließ und eigenartig ihre dunkle, mädchenhafte Schönheit hervorrief. Sie schien heute schöner denn je. Gerade weil sie so bleich und düster, so ganz anders als die Alltagsgesichter um ihn war. Er dachte sich wieder: Wie sieht sie jetzt schon aus, in den armseligen Fähnchen! Was gäbe das für eine strahlende, gebieterische königliche Erscheinung ... da drüben überm Rhein ... in Paris ...

Er beugte sich über ihre Rechte. Sie ließ es geschehen und sagte wenig liebenswürdig zur Begrüßung:

»Was tun Sie denn noch in Berlin, Herr Feddersen? Ich dachte, Sie wären längst über alle Berge ...«

»Ich bin unvermutet durch Geschäfte festgehalten, gnädiges Fräulein, und hatte so das Vergnügen, die heutige Einladung noch annehmen zu können!«

Sie machte ein Gesicht, als wollte sie sagen: »Na, wenn das ein Vergnügen ist, ... bei uns ...« Aber sie erwiderte nichts, sondern setzte sich, legte die Hände im Schoß zusammen und sah vor sich hin. Jetzt war wieder der stille, ironische Zug um ihre Mundwinkel, wie damals, als er sie bei jenem Nachmittagstee zuerst erblickte. Sie mokierte sich innerlich über ihre Umgebung, und die war es schon gewohnt und nahm davon keine Notiz, und das Gespräch lenkte, da Karl Feddersen sich nur mit wenigen und nichtssagenden Aeußerungen daran beteiligte, in die gewohnten Bahnen ... Armee ... Verwandte ... Bekannte... Der General fühlte die Notwendigkeit, den Gast zu unterhalten. Er zeigte ihm eine Anzahl Speere und Schilde an der Wand. »Die hat mein zweiter Junge aus Südwestafrika geschickt!« sagte er mit väterlichem Stolz.

»Oh ... der junge Herr ist Kolonialoffizier?«

»War's. Er ist gottlob schon seit einem Jahre heil wieder zurück. Steht jetzt bei den Dragonern! Da ... die Postkarte haben wir gestern aus Havanna von unserem Benjamin bekommen. Der schwimmt augenblicklich als Fähnrich zur See in Westindien. Ganz begeistert von dem Leben an Bord. Na – ich gönn' es ihm ... ich alte Landratte ...«

»Gewiß ... ein schöner Beruf!« pflichtete Karl Feddersen bei. Er war aus Gewohnheit außergeschäftlich immer der Meinung des anderen. Er dachte sich: Drei Söhne und drei Töchter! Da ist es kein Wunder, wenn in der Familie Schmalhans Küchenmeister ist! Aber eigentlich war alles sehr anständig: die Empfangsräume ... die Möbel ... die Toiletten der Damen ... es lag in dem ganzen eine gewisse Vornehmheit, eine absichtliche Betonung, daß man diese Aeußerlichkeiten nicht überschätzte – daß man das nicht nötig hatte – daß man mehr war. Er verstand das nicht. Dies Preußentum war ihm fern, es war ehern in sich abgeschlossen. Man gehörte hinein oder man gehörte nicht hinein. Ein Drittes gab es nicht.

Und drüben lächelte das schöne Mädchen vor sich hin, als sei sie allein hier mit ihm geistesverwandt. Sie hatte offenbar gar kein Wohlwollen für die Welt, in der sie hineingeboren war. Es war, als höre sie alles, was man um sie sprach, mit einem inneren Vorbehalt und füge ihre eigenen rebellischen Gedanken hinzu. Um Feddersen kümmerte sie sich überhaupt nicht. Sie schaute gar nicht auf ihn hin. Er merkte: es war ihr drückend, noch einmal in seiner Nähe zu sein. Sie fühlte sich gedemütigt Sie wünschte ihn weit weg von hier. Sie saß stumm ihre Zeit hier ab, weil es die gute Erziehung einer Haustochter so verlangte, und in ihm wuchs ein Bangen: mein Gott – wie komm' ich ihr nur nahe?

Man ging zu Tisch. Er reichte der Generalin den Arm. Er knüpfte gleich, als man sich setzte, ein Gespräch mit ihr an. Aber es blieb ein mühsames Hin und Her.

Herr von Teuffern hob wohlwollend sein Glas gegen seinen Gast. Der Mann war ja ledern und schwer ein Wort aus ihm herauszubringen. Aber Leute von Zurückhaltung und guten Manieren hatten bei ihm immer einen Stein im Brett.

»Also willkommen, Herr Feddersen!« versetzte er und stieß mit ihm an. »Möge es Ihnen in Berlin und bei uns gefallen!« Dann fuhr er freundlich und lebhaft fort: »Nun sagen Sie mal. Sie leben für gewöhnlich in Paris?«

»Jawohl, Exzellenz!«

»Und haben Sie da als Junggeselle eine eigene Wohnung? Oder wie haben Sie sich das so eingerichtet?«

Karl Feddersen war froh, endlich einmal reden zu können. Er lachte:

»Das ist eine sonderbare Sache. Ich habe ein Haus, in dem eigentlich nichts fehlt als eine Frau. Küche, Silberzeug, Personal: alles ist fix und fertig. Ich könnte jeden Augenblick, wenn ich wollte, ein Diner für fünfzig Personen geben ...«

»Ei, wie kommt denn das?«

»Ein Vetter von mir besaß das kleine Hotel mit seiner Frau, einer Amerikanerin, und starb plötzlich vor zwei Jahren. Seine Witwe kehrte in ihre Heimat zurück und überließ mir alles, wie es ging und stand ...«

»Ein schönes Geschenk!« sagte die Generalin.

»Ach – wir schenken uns eigentlich nichts in meiner Familie, Exzellenz! Es war ein Ausgleich gegen gewisse Forderungen meinerseits. Ich sagte mir: Einmal heiratet man ja doch. Dann hat man gleich alles ... Vorläufig fühle ich mich da natürlich etwas einsam ...«

Er konnte sich nicht enthalten, eine Sekunde über den Tisch nach Margarete zu sehen. Ihr Gesichtsausdruck schien geistesabwesend. Sie war vollkommen ahnungslos. Der Assessor platzte heraus:

»Das muß Sie aber doch ein Heidengeld kosten!«

Der Millionär überhörte das geflissentlich. »Es war mir auch insofern ganz lieb,« sagte er zu Frau von Teuffern, »als ich da endlich meine kleine Bildersammlung aufhängen konnte ...«

»Hübsche Bilder?«

»Ich verstehe nichts davon. Ich habe sie von einem Onkel geerbt. Aber Kenner schätzen einige Stücke darin: Ein Meissonier, ein Manet, ein Bouguereau ...«

Man kannte hier diese Meister nicht so genau. Der Hausherr forschte, das Glas des Gastes füllend:

»Na ... und was haben Sie denn da alles für Räume?«

Karl Feddersen lächelte.

»Alles, was ein Junggeselle nicht braucht: Salons, Boudoirs, Billardzimmer, Wintergarten, Musiksaal – ein Bijou von einem Pferdestall ... Garage ... wie gesagt: es fehlt nichts!«

»Wo liegt denn dieser Palast?«

»Draußen vor dem Bois de Boulogne. Ganz dicht bei dem Triumphbogen!«

»Ach – das kenn' ich!« sagte der alte Herr erfreut. »Da sind wir einundsiebzig einmarschiert!«

Es war das einzige Band, das ihn mit der französischen Hauptstadt verknüpfte. Seine Frau warf ihm einen strafenden Blick zu. Der Gast war doch Pariser. Feddersen fühlte mit dem Instinkt des Weltmannes ihre Besorgnis.

»Vor mir können Sie ruhig von der année terrible sprechen, Exzellenz!« sagte er. »Ich bin doch russischer Untertan!«

Er brach ab. Er wollte nicht weiter seine Person in den Vordergrund rücken. Es konnte die anderen hier ja nicht interessieren. Er wurde ungeduldig. Wenn Margarete nur einmal den Mund aufgetan hätte! Aber sie blieb apathisch, sie saß pflichtschuldig die paar Stunden im Familienkreis ab. Es war ja kein Wunder, nach dem, was sie in den letzten Tagen durchgemacht. Er hätte es sich selbst sagen können ...

»Und da gehen Sie dann so in Paris täglich auf die Börse?« erkundigte sich Herr von Teuffern über den Tisch hinüber.

»Jawohl! ... Das heißt: man hat seine Angestellten, Exzellenz ... Selbst bleibt man vom Bureau aus telephonisch mit dem Markt verbunden!«

Und erläuternd fügte er hinzu: »Wenn die Hochfinanz selbst auf dem Markt erscheint, da muß schon Not am Mann sein. Ich glaube, ich war zuletzt am Montag nach dem sogenannten Roten Sonntag in Petersburg dort, als alle Russenwerte in Panik waren. Das war keine Kleinigkeit, die Kurse zu halten. Man warf die Millionen hinein wie der Koch die Butter ins Herdfeuer. Es war gleich wieder weg!«

Er biß sich auf die Lippen. Da sprach er wieder vom Geld. Er konnte nichts dafür. Die anderen stießen ihn auf den Gesprächsstoff. Er hatte nachträglich die Besorgnis des Kaufmanns, die Verluste seiner Firma übertrieben zu haben. Er fügte hinzu:

»Derlei muß eben durchgehalten werden. Es kommen auch wieder bessere Zeiten!«

Er richtete die letzten Worte an Margarete. Sie schaute ins Leere. Unten am Tisch belehrte der Assessor die jungen Mädchen:

»Das ist nämlich der ganze Witz bei der Geschichte: purzeln die Papiere, kaufen! Steigen sie, wieder verkaufen! Differenz in Sekt anlegen! ... Höllisch einfach! ... Ich spekulier' nämlich auch ein bißchen, Herr Feddersen!«

»So?« sagte der junge Millionär.

»Ja. Sie könnten mir eigentlich unter der Hand 'nen Tip geben! Ich liege nämlich augenblicklich nicht richtig. Ich stecke ein bißchen mit Südafrikanern fest. Die Leute in London sind so gottlos ...«

Zu Feddersens Erstaunen mischte sich Margarete plötzlich in das Gespräch.

»Es ist ja lächerlich, daß Du Herrn Feddersen überhaupt mit Deinen paar tausend Mark kommst!« sagte sie scharf und halb ärgerlich zu dem Vetter. »Hab' Dich doch nicht so. Das läßt sich ja gar nicht vergleichen.« Es war, als wollte sie dem Gast, der schließlich doch durch sie in dieses Haus geführt worden war, die ihm gebührende Stellung wahren. Sie verstummte gleich wieder und bekümmerte sich nicht um die beleidigte Miene des Juristen. Frau von Teuffern wollte ablenken.

»Da haben Sie wohl sehr viel Verkehr in Paris?« forschte sie. Es war wieder ein unwillkürlich herablassender Ton. Sie kam von dieser Gewohnheit nicht los.

»Mehr als mir lieb ist, Exzellenz!«

»Ich denke mir das doch sehr interessant!«

Der junge Millionär wußte darauf nichts zu erwidern. Als Exzellenz von Teuffern ihn weiter sondierte: »Da kennen Sie also alle diese reichen Leute dort?« kam ihm Margarete ungeduldig zur Hilfe:

»Wahrscheinlich, Mama! Quäl doch Herrn Feddersen nicht! Das ist ihm doch langweilig, so ausgefragt zu werden.«

Ihr Vater schenkte ihm wieder ein. Er frug scherzend: »Da haben Sie wohl auch Rothschild schon mal gesehen?«

»Ich bin sogar weitläufig mit den Rothschilds verwandt.«

Karl Feddersen sagte das harmlos und halb lächelnd. Er dachte sich nichts dabei. Es war wirklich nur eine Verschwägerung durch einen Scheffel Erbsen, durch eine angeheiratete Cousine auf dem Weg über Odessa. Er selbst machte in Paris davon gar keinen Gebrauch. Aber hier erzeugte das eine von ihm ungeahnte Wirkung. Er sah es an den betroffenen Gesichtern, an dem fast betretenen Schweigen. Was er bisher von sich erzählt hatte, was man sonst von ihm wußte, hatte etwas Nebelhaftes. Aber Rothschild – das war ein von Kindesbeinen an geläufiger Begriff. Es war der Reichtum ohne Maß und Ziel. Es war Gott Mammon selbst, und er, der einfache blonde Mann, der hier zwischen den anderen saß, dessen Vetter ...

Der junge Finanzier wußte auch nicht, wie er diesen unbeabsichtigten Eindruck wieder verwischen sollte. Der war zu tief. Und nicht ihm durchaus günstig. Er merkte es wohl. Es war da etwas in die Mitte der Tafelrunde getreten, gegen das sie sich wehrte, weil es sie selbst zu sehr drückte. Das wohlwollende, gefurchte Gesicht des Generals war nachdenklich, nahezu sorgenvoll. Er schwieg. Seine Frau auch. Der Gast fühlte in dieser Stille um ihn nicht etwas wie Mißtrauen, nicht wie Feindseligkeit – aber eine Kluft tat sich auf – wurde breiter und breiter, trennte ihn von der da drüben. Er wurde unmutig. Seine Sicherheit verließ ihn. Er spielte stumm, fast verlegen, mit dem Silberlöffel vor ihm.

Das schöne Mädchen ihm gegenüber hatte das eine Zeitlang mit angesehen. Plötzlich beugte sie den dunkeln Kopf über den Tisch und fing an, mit ihm zu sprechen. Es war ein jäher Umschlag ihres Wesens. Der schien ihm, wie immer, von Trotz gegen ihre Umgebung diktiert. Die wußte mit solch einem Mann nichts anzufangen. Nun wollte sie es gerade den Ihren zeigen.

Karl Feddersen war erstaunt, wie rasch sie die Gesprächsstoffe fand ... Sie war sofort mit einer naiven Sicherheit mitten in der Sache. Sie zeigte alle Anlagen einer Frau der großen Welt, gerade einer Frau, die er brauchte ... Sie blieb dabei ganz gleichmütig. Es war, als erfülle sie eine Pflicht. Aber ihre Züge belebten sich doch beim Sprechen. Sie schob im Eifer, beinahe achtlos, den störenden Blumenstrauß zwischen ihnen beiseite. Er atmete auf. Er sah ihr schönes Gesicht. Er vernahm ihre Stimme.

Dann hob der Vater die Tafel auf. Karl Feddersen hatte Frau von Teuffern geführt. Seine Augen suchten Margarete. Aber sie mußte bei dem Aufbruch eine Gelegenheit gefunden haben, unbemerkt zurückzubleiben. Ihre Schwestern sah er, ihren Bruder, sie selber nicht. Wieder zuckte es in ihm vor Ungeduld. Die Kaffeetasse, aus der er stehend trank, klirrte ihm in der Hand. Er ging, anscheinend die südwestafrikanischen Trophäen an den Wänden musternd, langsam durch die Räume. Da, durch einen Zufall, fand er sie, gerade im Begriff, das kleine, noch leere Rauchzimmer des alten Herrn, in dem sie Zigarren und Aschenbecher bereit gestellt hatte, zu verlassen. Die beiden standen sich gegenüber. Karl Feddersen war so erregt, daß er nicht sprechen konnte. Margarete sah ihn kühl liebenswürdig an, immer noch auf den Rückzug bedacht.

»Rauchen Sie nicht eine Zigarre, Herr Feddersen?« fragte sie. »Da steht die Kiste! Für die Güte möchte ich freilich nicht einstehen! Papa hat etwas Spartanisches in seinen Lebensgenüssen ...«

Stets kräuselte eine leise Ironie ihre Lippen, wenn sie von den Ihren sprach. Karl Feddersen dachte sich: Eigentlich mit Unrecht! Der alte Herr ist sehr nett! ... Er gefällt mir, obwohl er so ziemlich der erste Mensch auf der Welt ist, auf den mein Vermögen weiter keinen Eindruck macht! ... Laut sagte er:

»Ich möchte nicht rauchen, gnädiges Fräulein! Aber ich wäre froh, wenn ich noch ein bißchen mit Ihnen plaudern dürfte!«

Sie legte die Hände ineinander und sah ihm im Stehen kühl ins Auge.

»Worüber denn, Herr Feddersen?«

Und da er auf diese Gewissensfrage nicht sofort antwortete, fügte sie mit einer verächtlichen Schulterbewegung hinzu:

»Das muß Ihnen hier doch alles mordend langweilig sein, Herr Feddersen! ... Mir können Sie's ruhig gestehen! ... Es ist mir schon selber zu viel ...«

Er rückte einen Stuhl heran. Sie nahm mit einem unterdrückten Seufzer der Ergebung Platz. Er setzte sich ihr dicht gegenüber.

»Nein, gnädiges Fräulein! Ich bin froh, daß ich gekommen bin!«

»Dann sind Sie wirklich genügsamer, als Sie es nötig haben!«

»Gar nicht, Fräulein von Teuffern! Denn ich freue mich so, daß ich Sie noch einmal getroffen hab'!«

Sie ahnte noch nichts Böses. Sie war viel zu sehr mit sich beschäftigt und versetzte, halb im Begriff, sich zu erheben:

»Nun, das war gerade noch vor Torschluß! ... Morgen geht's nach Küstrin!«

»Und wie lange bleiben Sie dort?«

»Ich weiß noch nicht. – Vielleicht komm' ich gar nicht wieder!«

Margarete von Teuffern bereute diese Worte, noch während sie sprach. Was gingen den Gast ihre Pläne an? Oder wie sie so ihm gegenübersaß und seine kühlen blauen Augen auf sich gerichtet sah, hatte sie wieder das alte unerklärliche Zutrauen zu ihm, das er ihr schon bei der ersten Begegnung im Kaiserhof eingeflößt. Das kam wohl von den großen Dimensionen, in denen er lebte. Er nahm solche kleine Nöte und Sorgen, die man ihm berichtete, nicht so tragisch. Darum eben konnte man sie ihm anvertrauen.

Karl Feddersens Herz klopfte. Weg von hier? Ja. Und dann? Er zwang sich zur Selbstbeherrschung und frug:

»Was sagen denn Ihre Eltern dazu, gnädiges Fräulein?«

»Die wissen noch von nichts!«

Sie las das Erstaunen in seinen Augen. In ihr war der Widerspruchsgeist, sich gerade einem Wildfremden zu eröffnen, einem Mann, der morgen nach Marokko reiste und schon hinter Potsdam das alles vergaß.

»Ich möchte mal 'raus, Herr Feddersen!« sagte sie. »... 'raus aus allem! ... Ich ersticke hier! Es ist mir alles zu eng. Sie, der Sie so frei leben wie ein Vogel in der Luft, Sie begreifen das gar nicht ...«

»Ja, aber glauben Sie denn, daß in Küstrin das Leben solche Wellen schlägt?«

»Bei der Tante! ... Lieber Gott, ja ... die legt sich um neun Uhr in die Klappe! Das ist für mich doch nur der Ausgangspunkt. Ich will mir von da aus etwas suchen. Eine Stelle als Reisebegleiterin oder als Gesellschafterin in einem großen Hause. Wenn ich nun irgend etwas von der Welt sehe! ... Ich habe so eine wahnsinnige Sehnsucht danach ...«

»Ich hab' schon heute nach verschiedenen Seiten geschrieben!« fuhr sie fort. »Und ich schreib' noch nach mehr. Ich will auch inserieren. Ich werde schon etwas finden. Ich habe einen furchtbaren Dickschädel, wenn ich ernstlich etwas will.«

Karl Feddersen schwieg erschüttert. Das waren ja nette Pläne! Endlich begann er:

»Und das alles soll also hinter dem Rücken Ihrer Eltern ...«

»Ja, glauben Sie denn, Papa erlaubt so was? I wo! Der hält mich hier an der Strippe! ... Da könnt' ich warten, bis ich schwarz werde ... Da kriegt man den Kopf so wirr und voll von dem Familiengerede, daß man gar keinen ordentlichen Entschluß mehr fassen kann!«

»Und der Entschluß steht wirklich fest?«

»Bombenfest!«

Margarete von Teuffern sagte das so entschieden, daß er daran nicht zweifeln konnte. Es standen ihr wieder die drei unheilverkündenden Querfältchen auf der Stirne, die er schon kannte. Sie preßte unruhig die Lippen zusammen und schwieg.

Er auch. Von drüben hörte man die joviale Stimme des Generals. Seine Worte verloren sich in ein Gemurmel. Karl Feddersen hatte den Kopf gesenkt. Er Überlegte. Atemlos. Möglichst rasch. Besonnen.

»In vier Wochen komme ich wieder nach Berlin!« sagte er langsam. »Da würde ich Sie also nicht mehr treffen, gnädiges Fräulein?«

»Nein. Da treffen Sie mich nicht mehr!«

Wieder war eine Pause. Jeden Moment konnte jemand eintreten, lachen, das versprengte Paar zur Gesellschaft zurückholen. Alles war dann vorüber. Es war eine der großen Sekunden im Leben, wo das Schicksal auf einer Karte stand. Der junge Millionär erhob sich, schloß leise die Türe und kehrte zu seinem Platz zurück. Das junge Mädchen sah ihn erstaunt an. Ein erster Argwohn wurde in ihren dunklen Augen wach.

»Nun muß ich also offen mit Ihnen sprechen, gnädiges Fräulein!« versetzte Karl Feddersen entschlossen.

»Mit mir?« wiederholte sie langsam, ungläubig. Sie wurde plötzlich blaß bis unter die schwarzen Haarwurzeln.

»Ja. Bitte, bleiben Sie! Bleiben Sie ruhig sitzen! .. Sie müssen! ... Sie sind es mir schuldig! Ich hätte ja gewartet! ... Ich hätte Ihre schmerzlichen Gefühle geschont. Aber da Sie Knall und Fall von hier fort wollen ... in die Welt hinaus, wo ich Sie vielleicht nirgends wiederfinde ...«

Nun ahnte sie schon, was kam. Eine fliegende Röte schoß über ihre Wangen, verschwand wieder und machte einer noch bleicheren Blutleere Platz. Sie hielt die Hände im Schoß verschlungen. Sie schaute vor sich starr auf einen Punkt am Boden. Sie atmete schwer. Sie rührte sich nicht mehr. Er fuhr fort, gedämpft, vertraulich, um sie nicht zu erschrecken.

»Ich bin doch Ihr Freund! Sie haben mich von vornherein als solchen betrachtet. Sie haben mich zu Rat gezogen, meine Hilfe gewollt. Da darf ich doch auch als Freund sprechen – nicht wahr?«

Sie bejahte es nicht. Sie antwortete keine Silbe. Aber eine kaum merkliche Bewegung des gesenkten dunkeln Hauptes gab ihm Mut.

»Sie haben mir viel von sich erzählt, Fräulein von Teuffern! Ich habe daraus ersehen, daß Sie nicht glücklich sind. Sie sind trotz ihrer jungen Jahre in vieler Hinsicht vom Leben enttäuscht – nicht nur in dem einen Fall, in dem jetzt Ihre Hoffnung Sie so grausam betrogen hat und den Sie so tapfer tragen – nein – überhaupt – es ist da ganz einfach ein Zwiespalt: Sie leben in Verhältnissen, die für Sie zu eng sind. Sie sind für viel größere Verhältnisse geschaffen, für die größten. Sie fühlen das auch. Sie suchen irgendwie Ihre Lage zu ändern. Aber Sie wählen den falschen Weg! Mit dem Herumzigeunern in der Welt in abhängiger Stellung wird es nicht besser ...«

Er erwartete nicht, daß sie ihm etwas erwidern würde. Er fuhr gedämpft fort:

»Ich bin ein nüchterner Mensch! Ein Mensch des praktischen Lebens, der sich keine Illusionen macht! Ihnen ist in letzter Zeit zu viel durch Kopf und Herz gegangen. Es wäre Vermessenheit, wenn ich annehmen wollte, Sie hätten in der kurzen Frist, die wir uns kennen, andere Empfindungen gegen mich gewonnen als ein bißchen Freundschaft und Vertrauen! Aber die sind doch da ... nicht wahr, Fräulein von Teuffern?«

Sie zitterte leise. Einen Augenblick wandte sie halb den Kopf und schaute scheu zu ihm hinüber. Es war wie eine unwillkürliche Bewegung des Zweifels, ob er das auch ernst nähme, was er sprach. Er sah: es kam ihr wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Alles auf Erden hatte sie eher vermutet als seinen Antrag. Es lag nicht Schrecken, nicht Freude, nicht Zorn auf ihren Zügen, nur ein starres, grenzenloses Staunen, von dem sie sich jetzt erst langsam, allmählich erholte. Sie drehte sich wieder zur Seite, machte mit der Hand eine flüchtige, mechanisch das Haar glättende Bewegung nach der Stirne, atmete gepreßt auf und schaute wieder stumm auf den Punkt vor ihren schmalen Schuhspitzen hinab. Er glaubte, ihr stürmendes Herzklopfen zu hören. Seines auch. Er mahnte sich selbst: ›Kalt Blut! ... Langsam voran! ... Nichts überstürzen!‹ ... Er konnte aus dem Umriß ihres Profils, den gesenkten langen Wimpern, dem festgeschlossenen Mund nicht entnehmen, wie es in ihr ausschaute. Er sagte einfach:

»Ich hatte es mir so schön gedacht: Wenn mich der Weg wieder nach Berlin führt, so komme ich wieder zu Ihnen ins Haus und darf mit Ihnen und den Ihren drüben am Tisch sitzen und werde ein Freund der Familie und bei Ihnen heimisch, und Sie lernen mich auf diese Weise immer näher kennen und sehen, daß ich kein böser Mensch bin, wenn ich auch Geld hab'. Ich kann mein Geld doch nicht ins Wasser werfen. Ich hab' es doch nun einmal. Es hat doch auch sein Gutes! ... Ich bin dadurch in der Lage, meiner künftigen Frau jeden, aber auch jeden Wunsch zu erfüllen, sie mit allem denkbaren Luxus zu umgeben, sie auf den Händen zu tragen ...«

Er hielt inne. Er überlegte, ob er in dieser Ausmalung der Zukunft weitergehen sollte. Ja!

»Mein kleines Palais in Paris wartet nur auf seine Herrin ... Ich bin ein sehr reicher Mann. Viel reicher wohl, als man sich das bei Ihnen vorstellt. Reisen, Toiletten, Schmuck, Dienerschaft, Automobile – das spielt alles bei mir gar keine Rolle. Mißverstehen Sie mich ja nicht, liebes Fräulein von Teuffern: Das ist gewiß nicht das Leben selber. Aber ein gutes Stück davon! Mancher braucht es ja nach seiner Natur. Sie zum Beispiel gewiß! Und ich hab' nur den einen sehnlichen Wunsch, das, was ich hab', mit jemandem zu teilen, den ich von Herzen lieb hab' ... vom ersten Augenblick ab, wo ich Sie sah ...«

Er rückte seinen Stuhl noch näher zu ihr heran, ganz dicht.

»Ich hab' an Ihre Eltern geschrieben! Ich bin mit deren Einwilligung heute hier zu Gast!« Er verbesserte sich rasch, da er das eigenwillige rasche Zurückzucken ihres Kopfes sah. »Nur um mich vorzustellen, natürlich! Weiter nichts! Ihr Vater überläßt, scheint mir, Ihr ganzes Schicksal Ihnen selbst. Das heute sollte ja nur der erste Schritt sein. Aber was tue ich, wenn ich wiederkomme und Sie sind über alle Berge! ... Ich bitte Sie, bleiben Sie doch hier! ... Versprechen Sie mir nur das eine!«

Sie schwieg. Er frug sich verzweifelt: Wenn ich nur wüßte, was jetzt in ihr vorgeht! ... Aber wenigstens blieb sie sitzen. Sie hörte ihn an. Er verfolgte auf gut Glück seinen Pfad weiter. Er bat:

»Prüfen Sie, wer ich bin, Fräulein Margarete! ... Machen Sie sich allmählich mit dem Gedanken vertraut, in welch glänzende Lebenslage ich Sie führen würde. Sie wollten eine einfache, kleine Offiziersfrau werden. Ich mache Sie zur vielfachen Millionärin. Stoßen Sie sich nicht daran, daß ich nicht aus Ihrer Umgebung stamme. Sie sind ja selbst von Ihrer Umgebung so verschieden. Legen Sie mir eine Prüfungszeit auf! ... Ich verspreche Ihnen: Ich will Sie nicht quälen! ... Ich will geduldig warten, bis die Zeit da ist, daß ich Ihnen die entscheidende Frage vorlegen darf ...«

Margarete von Teuffern richtete sich auf und sah ihm ins Gesicht. Sie war noch bleich, aber sehr gefaßt.

»Wenn das keine flüchtige Laune bei Ihnen ist ...,« sagte sie langsam.

»So bin ich weiß Gott nicht! Ich hab' Sie gesehen und liebte Sie auch schon! Es ist mein heiligster Ernst ...«

»Also, wenn das Ihr Ernst ist ...«

Er bebte, die Worte auf ihren Lippen zu lesen. »Sprechen Sie doch weiter!« drängte er. Sie blieb mit ihren Gedanken noch eine Sekunde stehen, im letzten Entschluß. Wenn der heraus war, war alles entschieden ...

»... dann können Sie diese Frage auch gleich an mich stellen, Herr Feddersen!«

Der Atem stockte ihm. Er glaubte nicht recht zu hören. Es tanzte ihm vor den Augen. Seine Stimme zitterte:

»Heißt das Ja oder Nein?«

Das junge Mädchen schaute an ihm vorbei ins Leere. Nur die ineinandergepreßten Finger verrieten ihre Erregung. Sie sprach ganz klar und ruhig.

»Wenn Ihnen vorerst mein Vertrauen genügt ... das fühle ich wirklich, Herr Feddersen ...«

Er faßte ihre Hände. Sie überließ sie ihm willenlos.

»Dann sagen Sie Ja?«

»Ja.«

»Gleich?«

»Gleich!«

Der freudige Schrecken lief wie Sonnenschein über Karl Feddersens sonst so phlegmatisches, gesundes Antlitz. Er sprang atemlos vor Glück und Ueberraschung auf. Sie erhob sich mit ihm. Er umpreßte die Rechte des schönen blassen Mädchens und führte sie hastig an die Lippen. Sie ließ es geschehen. In ihm jubelte es: Sie ist mein! Wir werden Mann und Frau! ... Er war verwirrt. Er wußte nicht: durfte er sie nun schon küssen? Sie hatte die Augen geschlossen. Sie wartete, was er tun würde. Er sah ihren roten Mund. Es fuhr ihm durch den Kopf: Sie ist Dir doch noch ein fremder Mensch, trotz aller Liebe! Und Du bist ihr's erst recht. Das ging zu schnell. Er neigte das Gesicht und küßte sie andächtig, innig auf die Stirne. Ihm war, als sei sie ihm dankbar für sein Zartgefühl. Sie hob die schönen dunklen Augen zu ihm auf. Er fühlte den leisen Gegendruck ihrer Hand ...


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