Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

Am nächsten Vormittag stand Karl Feddersen am Fenster seines Hotelzimmers und blickte müßig auf den Pariser Platz hinab. Sonderbar schauten die Menschen von da oben aus. Eigentlich sah man nur ihre Hüte, ihre Schirme, die Stiefelspitzen darunter. Da war ein großer weißer Tellerhut mit schwarzer Schleife. Neben ihm ein Militärhelm mit abgerundetem Knauf. Der oben zuckte zusammen. Das war Margarete. Sie begleitete ihren Freund bis an das Tor.

Er sagte sich nervös: Das hätte sie mir auch ersparen können, ihn mir persönlich heranzuschleppen! Dann kam das Gerechtigkeitsgefühl: sie weiß doch von nichts. Ich bin für sie eine Art Geldschrank. Fertig! Mit melancholischem Lächeln verfolgte er das Paar. Die beiden drückten sich unten stumm die Hand. Dann wandte sich der Leutnant ab, trat ein und ließ sich melden. Der Kammerdiener empfing ihn auf französisch. Er unterhielt sich mit ihm in der gleichen Sprache, während er den Mantel ablegte, und zugleich sagte Karl Feddersen schon durch die halb offene Tür zum Vorraum, auf deren Schwelle er stand:

»Nun ... Ihr Französisch ist ja gut! ... Guten Morgen, Herr Leutnant ... Wie steht's denn mit dem Englisch?«

»Ebenso.«

»Italienisch?«

»Das kann ich nicht! Aber ich werde heute abend damit anfangen, es zu lernen!«

»Sonstige Vorkenntnisse?«

»Nur Stenographie und Buchführung!«

»Und Ihr bisheriges Fach, die Waffenbranche?«

»Das gründlich!«

Da war man schon mitten in der Sache. Der junge Offizier wußte gar nicht, wie er hineingekommen. Eine leichte Röte von Verlegenheit und Selbstüberwindung erschien auf seinen Wangen.

»Aber vor allem, Herr Feddersen ... es hat da neulich einen kleinen Disput zwischen uns gegeben ... Ich hätte den vermeiden sollen ... gerade einem Fremden gegenüber. Ich habe mir das nachher gesagt und wollte Ihnen jedenfalls jetzt gleich auch ...«

»Ach ... lassen Sie das doch gut sein!« Der junge Millionär machte nur eine nachlässige Handbewegung. Er war jetzt ganz der vornehme Weltmann, der seinen Gast nicht seine Abhängigkeit fühlen ließ. » Du choc des opinions jaillit la vérité! Setzen Sie sich doch, Herr Leutnant ... Zigarre? Oder Papyrossen? Ich hab' sie noch selbst aus Rußland mitgebracht.«

Er gab dem andern Feuer für seine Zigarette, zündete die seine an und behielt, sich im Sessel zurücklehnend, eine kühle Nachlässigkeit im Tone bei. »Also Sie möchten hier heraus? Auch ins Ausland? Strapazen scheuen Sie nicht?«

»Das ist mir alles wurst, Herr Feddersen!«

»Kurage? Nun selbstverständlich ... Bitte wollen Sie Ihren Helm nicht abstellen, Herr Leutnant ... Gesundheit?«

»Tadellos!«

»Und Sie glauben, sich veränderten Verhältnissen anpassen zu können?«

»Ich weiß, daß ich mich unterordnen muß. Das muß ich jetzt beim Militär auch!«

»Was ist Ihr Herr Vater?«

»Gymnasialdirektor a. D.«

»Lebt er noch?«

»Meine beiden Eltern.«

»Aha, sehr schön!«

Es war eine Pause. Karl Feddersen wiederholte: »Schön! Dann kann ich die betreffende Firma benachrichtigen, daß Sie zum sofortigen Eintritt bereit sind?«

Der Artillerist war ergriffen. Er streckte halb die Hand aus.

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Herr Feddersen!« sagte er unsicher.

Karl Feddersen rührte sich nicht. Er zog nur, wie erstaunt, die blonden Augenbrauen hoch und versetzte trocken:

»Ich wüßte nicht wofür! ... Ich bin nicht Waisenrat, sondern Geschäftsmann! Ich suche die geeignete Kraft für die geeignete Stellung. Voilà tout!«

Und nach kurzem Ueberlegen setzte er hinzu: »Nachdem wir nun einig sind, kann ich Ihnen ja auch das Nähere mitteilen: es handelt sich um unser eigenes Haus, Iwan Feddersen und Söhne in Petersburg und Paris.«

Er glaubte einen kaum merklichen Schatten über das Antlitz seines Begleiters gleiten zu sehen. Aber wenn dem so war, dann war es im Augenblick wieder überwunden. Der junge Offizier hatte sich in der Gemalt. Er wollte sein Ziel erreichen. Es war niederdeutsche Hartnäckigkeit um seinen Mund und ein bißchen von seinem sonstigen Humor in den grauen Augen, während er seine Entschuldigung von vorhin wiederholte:

»Da muß ich Ihnen wirklich doppelt dankbar sein, Herr Feddersen, daß Sie sich nicht von vornherein durch mein neuliches Auftreten abschrecken ließen! Das war ja eine nette Dummheit von mir!«

Der andere zuckte nur ablehnend die Achseln und sah nachlässig den Wölkchen seiner Zigarette nach. Kein Ton nahm jetzt, nach »Abschluß der Verhandlung, eine leise Herablassung gegenüber dem künftigen Untergebenen an.

»Sie sehen, mon cher: il ne faut jurer de rien! Und nun ...« Er rückte seinen Stuhl einen halben Zoll als Andeutung, daß der Empfang zu Ende sei. »Lassen Sie mir bitte Ihre genaue Adresse hier! Sie bekommen in einigen Tagen den Vertragsentwurf und auf Wunsch einen Reisevorschuß und können sich dann, wenn es Ihnen paßt, in Paris einmal persönlich meinem Bruder vorstellen, Mit dem Sie auch geschäftlich zu tun haben werden!«

Moritz Lünemann war trotz des Winkes noch sitzengeblieben.

»Verzeihen Sie mir bitte nur noch eine Frage. Aber was habe ich da hauptsächlich zu tun? Mit meinen Kenntnissen hapert es doch natürlich noch höllisch! Ich möchte sie so rasch wie möglich noch erweitern.«

Karl Feddersen brannte sich eine neue Papyros an.

»Wir brauchen keine Kenntnisse, sondern eine Persönlichkeit. Ich sprach neulich mit meinem Bruder darüber. Wir fanden da in unserm Betrieb eine Lücke. Seitdem war es mein fester Vorsatz: den ersten preußischen Offizier, der in unser Lager übergeht, den nehme ich!«

»Wieso ... in Ihr Lager?«

»Wir sind doch eine halb französische, halb russische Gesellschaft. Sie wissen als Militär besser als ich, daß es ein Grundsatz im Kriege ist, den Feind möglichst mit seinen eigenen Waffen zu schlagen!«

»Im Kriege mit wem?«

»Ja, wer wird es wohl sein?« meinte Karl Feddersen halb ärgerlich über diese fortgesetzte Fragestellung. »Ueber Spanier und Griechen lassen wir uns keine grauen Haare wachsen. Aber die deutsche Konkurrenz – das ist's!«

»Die deutsche Konkurrenz ...«

»Wo man hinkommt, sind Ihre Landsleute am Werk! ... Sie sehen mich so erstaunt an, Herr Leutnant?«

»Ich weiß nicht ... Ich muß mir erst allmählich den Sinn Ihrer Worte deutlich machen, Herr Feddersen ...«

Der junge Kosmopolit zuckte die Achseln.

»Die sind doch klar genug ... Durch nichts und wieder nichts wird wirtschaftliche Ueberlegenheit nicht gewonnen. Also ist bei Euch etwas, was anderswo mangelt. Und zwar unter vielem andern der militärische Instinkt. Den wollen wir uns in unserm Einzelfall bei Ihnen nutzbar machen. Wir erwarten nur, daß Sie als Ehrenmann auch wirklich ganz auf unserer Seite stehen.«

»Und daß ich zum Beispiel auch gegen die deutschen Interessen arbeite?«

»Ja. Grade gegen die. Das hoffen wir ja eben ...«

Moritz Lünemann fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er war ganz verwirrt.

»Aber ... verzeihen Sie ... Sie betrachten mich dann ja einfach als eine Art Ueberläufer.«

»Sie schnallen doch jetzt Ihren Säbel ab, das sind doch künftig nur Kämpfe auf dem Papier!«

»Ja, aber gegen Deutschland ...,« murmelte der Leutnant unsicher. Der junge Millionär unterdrückte ein Gähnen. Er wollte ein Ende machen. Es gehörte sich überhaupt nicht, daß neuengagierte Angestellte da einfach sitzen blieben und ihm die Zeit wegnahmen.

Karl Feddersen wurde ungeduldig.

»Was soll das Reden, Herr Leutnant? An den Tatsachen ändert das nichts ...«

»Gegen Deutschland? Wie soll ich denn meinem Vater noch unter die Augen treten? Er hat den Krieg siebzig mitgemacht ... er hat das Eiserne Kreuz ...«

»Das ist ja sehr schön von dem alten Herrn, aber was geht uns das Jahr siebzig an? Um die Zeit waren wir beide noch gar nicht auf der Welt.«

»Sedan geht mich nichts an? Aber Herr Feddersen ... Ich bin doch Offizier.«

»Sie wollen es doch nicht mehr sein!«

»Gewiß ... Ja ... Aber man hat doch ererbte Anschauungen von Kindesbeinen an ...«

»Diese Anschauungen lassen Sie nur daheim.«

»Und was hat man dann? Zehntausend Francs jährlich und kein Vaterland!«

Moritz Lünemann sah ganz verdutzt und erschrocken, wie hilfesuchend, den andern an. Der stand ärgerlich auf.

»Meinetwegen bleiben Sie in der Kaserne! Da haben Sie ja Ihr Vaterland! Aber eine internationale, über ganz Europa verzweigte Firma kann es Ihnen nicht bieten« Das müssen Sie sich doch selber sagen! Oder hätten Sie sich sagen müssen, ehe Sie sich hier meldeten ...«

»Die Anmeldung geschah ja eigentlich ohne mein Vorwissen ... und ich wußte ja auch, als ich hier eintrat, nicht, um was es sich handelte.« Der Leutnant Lünemann hatte sich gleichfalls erhoben. Er stand aufrecht und spielte unruhig mit dem Portepee seines Säbels. »Ich bin so beschämt. Alle meinen es so gut mit mir ... Sie auch ...«

»Gewiß, Herr Leutnant! Mehr als Sie denken! Solche Posten sind rar ...«

»Nicht wahr? Ich kann es doch gar nicht verantworten, so mein Lebensglück aus der Hand zu geben? Solch eine Gelegenheit kommt nicht wieder! Ich mache mir hinterher die bittersten Vorwürfe! ... Und trotzdem: Das geht mir so gegen die Natur ... Ich bin ein Deutscher ...«

Der Millionär war ärgerlich im Zimmer auf- und niedergegangen. Jetzt blieb er vor seinem Besucher stehen, die Hände in den Hosentaschen, die Zigarette im Mundwinkel.

»Ich begreife Sie nicht! Sie erklären: Mir ist alles recht, wenn ich nur heiraten kann! Ich nehme diese Versicherung ernst, offeriere Ihnen eine Stellung, um die sich hundert andere reißen würden, und nun kommen Sie nachträglich mit Ihren ›Wenn‹ und ›Aber‹ ... Ja, mein Verehrtester ... Opfer muß man bringen! On ne fait pas une omlette sans casser des cenfs

»Das weiß ich alles, Herr Feddersen. Ich wiederhole es mir ja selbst die ganze Zeit. Und trotzdem ...«

Karl Feddersen warf erzürnt die Papyros fort.

»Ich erscheine mir in einem ganz komischen Licht,« sagte er. »Daß ich jemandem noch lange zurede, in unsere Dienste zu treten! Wir sind wahrhaftig nicht in Verlegenheit in betreff unseres Personals! Ich bringe diese Langmut auch nur auf, weil ich Fräulein von Teuffern nun einmal versprochen habe ... ich glaube wirklich: Ihr Fräulein Braut denkt in diesem Punkte vernünftiger als Sie.«

»Das weiß ich nicht!« Moritz schüttelte halb verzweifelt den Kopf. »Und den Entschluß muß ich von mir allein aus fassen. Es geht doch um meine Seelenruhe. Und um mein Pflichtbewußtsein! Ich kann mich doch nicht als unnützer Brotesser bei Ihnen herumschubsen und schließlich wieder wegjagen lassen ... Ich muß doch was leisten können, wofür man mich bezahlt ...«

»Das werden Sie schon, wenn Sie einmal in den neuen Verhältnissen drin sind!«

»Ich fürchte: nein!« versetzte der Artillerist entschlossen. Er wurde plötzlich ruhiger und sehr blaß, im Schrecken vor der verspielten Zukunft. »Wenn ich auch die Schiffe hinter mir verbrennen würde ... ich fühle es zu gut: ich werde den deutschen Michel doch nie los ...«

»Inwiefern?«

»Und wenn Sie mir hunderttausend Francs im Jahr geben, ich wäre doch immer im Herzen drüben auf der deutschen Seite, so wie es einen Batteriegaul nach seinem alten Stall zieht! Das Biest kann nicht anders! Für die Franzosen gegen Deutschland – nein – das ist einfach Fahnenflucht. Herr Feddersen, das bring' ich nicht fertig! – Das kann kein Mensch von mir verlangen ...«

»Ja. Dann treten Sie Ihr Glück mit Füßen!« Karl Feddersen sah auf die Uhr. »Mir kann es ja schließlich gleich sein!«

»Herr Feddersen ... Haben Sie denn keine andere Anstellung für mich?«

»Es tut mir leid: nein!«

»Ich bitte Sie inständig ...«

» Mon Dieu, Monsieur ... Sie haben doch keine kaufmännischen Kenntnisse! Ihre militärischen Fähigkeiten wollen Sie uns nicht dienstbar machen! Was soll ich also mit Ihnen anfangen?«

Der Leutnant starrte zerknirscht vor sich nieder.

»Man ist ein solcher Esel!« murmelte er. »Man sollte mit beiden Händen zugreifen und kann doch nicht! Herrgott ja ... und wenn ich mir in Gedanken das Innerste nach außen kremple, so kommt immer noch ein waschechter Preuße zum Vorschein.«

»Bleiben Sie ein Preuße!« sagte der Kosmopolit gleichgültig und blickte wieder auf die Uhr.

Moritz Lünemann war auf einen Stuhl gesunken. Er hatte den Kopf auf die Hand gestützt und die Zähne zusammengebissen. Er kämpfte einen verzweifelten letzten Kampf. Dann stand er langsam, mit einem tiefen Seufzer auf. »Sie mögen das von einer höheren Warte aus überschauen, Herr Feddersen,« sagte er. »Ich glaube das wohl. Sie sind ein Mann, dem das Schicksal alles im Leben gegeben hat. Und doch hab' ich den Eindruck, als fehlte Ihnen, ohne daß Sie es wissen, gerade das, was Sie an mir nicht verstehen!«

»Bitte, lassen Sie mich aus dem Spiel. Es handelt sich nur um Sie!«

»Ja ... und ich ... Ich stecke nun einmal in meiner Haut! Es ist Blödsinn, was ich tue. Es kommt Unglück dabei heraus! Ich muß weiter auf dem Kasernenhof rumstiefeln und weiter wegen einer Brotstelle antichambrieren ... Aber ich kann nicht anders! Und wenn mich der Teufel holt, Herr Feddersen: ich bleibe ein Deutscher!«

»Ganz, wie Sie wollen, Herr Leutnant!«

»Nein – ich muß!«

»Aber denken Sie auch an Ihre Braut!«

Der Artillerist suchte nach seinem Helm und nahm ihn in die Rechte.

»Meine Braut ist eine preußische Offizierstochter, sie wird verstehen, daß ich nicht anders hab' handeln können.«

Er verbeugte sich auf der Schwelle. In Karl Feddersen kam die französische Höflichkeit zu ihrem Recht.

»Auch ich bedaure sehr! Und glauben Sie mir, bitte, daß ich Ihre Gesinnung, wenn auch nicht teile, so doch respektiere!«

Er machte eine verbindlich entlassende Bewegung mit dem Kopf. Und der Leutnant Lünemann ging.


 << zurück weiter >>