Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

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13.

Jesus meine Zuversicht.« – Von der Empore der Berliner Invalidenkirche klang der Sängerchor, die Orgel brauste, unten im Schiff saßen, dicht gedrängt, Kopf an Kopf, die Uniformen. Vorne die alten Generale, die Waffengefährten des nun entschlafenen Herrn von Teuffern – strenge, gefurchte Gesichter, auf manchem ein Sinnen: Wann fährst auch Du zur großen Armee? Hinter ihnen die Abordnungen der Truppenteile, die Verwandten und Freunde des Hauses, die Regimentskameraden der Söhne, dazwischen, in das Bunt eingestreut, die schwarzen Trauerflore der Offiziersdamen.

Vorn vor dem Altar stand der Sarg. Voll Blumen und Kränze. Ueber den weißen Handschuhen lag der Degen. Der Geistliche füllte mit kräftiger Stimme die Kirche. Er sprach von den Teuffern, die seit Jahrhunderten immer bereit gewesen, wenn die Hohenzollern riefen, und es ging wie ein Wehen durch die zu beiden Seiten niederhängenden, vermorschten und vergilbten preußischen Ruhmeszeichen, wie ein fernes Echo:

Fridericus Rex, unser König und Held –
Wir schlagen den Teufel für Dich aus dem Feld!‹

ein Rauschen durch die Zeiten, Treue um Treue.

Einer der Generale hob den schlohweißen Kopf und musterte eine Sekunde die Familie in der Loge links – die Witwe, die Kinder, die Schwiegersöhne und Schwiegertöchter. Vorn, neben ihrer Mutter saß Margarete, das Tuch vor den Augen ... Es war ihr wie ein Traum ... Die Reise durch die Nacht hierher ... das Sterbebett ... der Vater hatte sie noch erkannt ... sie angeschaut ... mit seiner Hand die ihre gesucht ... so, als ob er ihr noch etwas sagen wollte – gerade ihr vor allem – es lag wie eine Angst auf seinen eingefallenen, gütigen Zügen – es blieb unausgesprochen ... Er nahm es mit sich hinüber.

Hinüber ... Papa war immer da gewesen ... man wußte überall seine Nähe und Hilfe. Seine stille Art wirkte in einem nach, auch wenn man getrennt von ihm war. Selbst in Paris. Margarete merkte jetzt erst, wie sie dort immer noch als Gegengewicht zu ihrem Feddersenschen Leben den Rückhalt in der Heimat gefühlt hatte. Sie spürte, wie das hier Geist von ihrem Geiste war. Und wie ein Widerhall der Erkenntnis schloß oben die Stimme des Predigers: »Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben!« Und Degen und Helm auf dem Sarge sprachen: »Hier ruht erfüllte Pflicht!« Und auf den tiefernsten Gesichtern aller alten und jungen Offiziere lag ein Abglanz dieses »Ich dien'«.

Der Sarg hob sich. Es war ein langer Trauerzug über die Straße in den Invalidenkirchhof hinein, auf dem schon so viele preußische Krieger ruhten. Die Leute auf dem Bürgersteig blieben stehen. Viele lüfteten den Hut. Ueber den Gräbern drinnen schien die Herbstsonne. Noch war das letzte Sommerlaub an den Bäumen. Noch sangen die Vögel. Fern dröhnte Berlin. Der Geistliche breitete die Hände aus ... All die funkelnden Helme sanken nieder ... mit bloßen Köpfen standen die Generale, die Leutnants ... ›Vater Unser, der Du bist im Himmel ...‹ Dumpfes Schollengekoller auf dem Sarg ... ein Händedruck nach dem andern neben dem offenen Grab. Margarete stand allein. Ihr Mann, der sie nach Berlin begleitet, hatte dringender Geschäfte wegen noch vor der Beisetzung heimreisen müssen. Sie hörte, wie einer der alten Herren halblaut, mit verbissenen Tränen, zu dem anderen sagte:

»Ich hab' ihm damals noch die Fahne aus der Hand genommen, bei Alsen, wie ihm die Kugel durch die Hand ging ...«

Daneben stand ein Handwerksmeister im einfachen Rock. Er glaubte, er müsse seine Anwesenheit entschuldigen:

»Ick hab' et nämlich in der Zeitung jelesen,« sagte er zu Adalbert. »Da bin ick von Eberswalde herüber. Ick war mit dem Herrn Hauptmann bei Mars-la-Tour!«

Die drei Söhne drückten ihm, einer nach dem andern, stumm die Rechte. Auch dem Krugwirt aus einem märkischen Dorf, einem einstigen Burschen des Herrn Obersten. Vom Verein ehemaliger Angehöriger des alten Teuffernschen Regiments war eine Abordnung erschienen. Biedere Bürger. Die Exzellenzen erkannten darunter Leute ihrer früheren Truppenteile. Sie begrüßten sie mit Handschlag. Es war wie eine Verbrüderung am Grabe. Kein Unterschied der Stände mehr. Preußen selbst, das Volk in Waffen, trug den General von Teuffern zu Grabe.

Und ein Bild erschien vor Margarete ... die Tauftafel in Paris ... vor wenigen Tagen ... die satten Gesichter ... das skeptische Lächeln ... der Streit über die Kurse ... Sie fröstelte ... ihr war, als käme sie aus einem Pfuhl ...

Sie schaute um sich. Die Trauerfeier war zu Ende. Die Leidtragenden verloren sich in Gruppen. Weit da hinten stand ein einzelner Herr, breitschultrig, im Zylinder und dunkeln Paletot, wie absichtlich abseits. Sie hatte ihn bisher nicht bemerkt. Er mußte sich während des ganzen Begräbnisses in den letzten Reihen gehalten haben. Er kam ihr vertraut vor. Nur etwas störte sie: der kurze, blonde Vollbart. Den trug er früher nicht. Sie zuckte zusammen. Er war es doch. Es war Moritz Lünemann.

Er sah gereifter und männlicher aus. Es lag ein unwillkürliches, etwas schwerfälliges Selbstbewußtsein in seiner Haltung. Eben wandte er sich um. Er wollte sich offenbar unbemerkt zurückziehen. So mochte sie ihn nicht gehen lassen. Am heutigen Tage nicht. Ihr Herz war weich. Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie stumm, mit der Linken den Hut lüftend. Er wartete, was sie ihm zu sagen habe. Er vermied die herkömmlichen Beileidsphrasen. Es war eine kurze Pause. Dann versetzte sie:

»Ich danke Dir, daß Du gekommen bist!«

Es erschien ihr natürlich, ihn Du zu nennen, hier im Angesicht des Todes. Er erwiderte kurz:

»Ich war es ihm schuldig! Ich hab' zu viel Hochachtung vor ihm gehabt ... immer ...«

Sie verstummten und schauten auf den Kies zu ihren Füßen nieder. Dann hob sie den Kopf und frug leise: »Wie geht es Dir denn?«

»Danke, sehr gut!«

»Du hast den Abschied genommen?«

»Schon vor mehr als zwei Jahren.«

»Und bist zufrieden?«

»Man ist mit mir zufrieden! Also bin ich's auch!«

Wieder schwiegen sie. Er kam ihr nicht um einen Zoll breit entgegen. Er sprach nicht eine Silbe von sich aus. Er frug sie nicht einmal, wie es ihr ginge. Sie bot ihm zum Abschied die Rechte:

»Leb wohl!«

»Leben Sie wohl!«

Als sie dann vom Begräbnis heimfuhren, Mutter, Schwestern und sie in dem geschlossenen Wagen, sie alle in der übernächtigen, zerfallenen, leeren und matten Stimmung, nach Erfüllung der letzten Pflicht, sprach aus dem trüben Schweigen heraus ihre Schwester Sofie von selbst von Moritz Lünemann:

»Er macht Karriere!« sagte sie. »Er ist in der Fabrik die rechte Hand des Generaldirektors Malloney. Ich hab' neulich gehört: er verdient schon fünfzehntausend Mark im Jahr!«

Nach Feddersenschen Begriffen war das nicht viel. Es tat Margarete weh, daß sie halb unbewußt diesen Vergleich zog. Das war der Geist von da drüben – das war ihr Mann ... Nein, hier mußte sie für sich sein – unter denen, die ihres Blutes waren ... ihres Namens ... ihres Geistes ...

Am Abend saßen sie alle beieinander in der Wohnung der Eltern. Ueber der lag noch der Sterbehauch. Man ging unwillkürlich auf den Fußspitzen, man sprach nur halblaut – es war, als sei unsichtbar immer noch einer mehr im Zimmer, höre, was man redete, wisse, was man dachte ... Die Ehrfurcht vor seiner Nähe spiegelte sich auf allen blassen Gesichtern. Man hatte das Gefühl, daß tiefes Schweigen das Beste sei. Aber es war eine Erlösung, daß man reden mußte. Von den nächstliegenden, alltäglichen Dingen, die mit dem Todesfall zusammenhingen. Margarete saß etwas abseits von den anderen. Es war selbstverständlich, daß sie, die Millionärin, von vornherein auf jede Erbschaft verzichtete. Sie wunderte sich nur, wie ruhig und vornehm diese geschäftsungewohnten jungen Männer und Frauen, die doch alle im Punkt des Geldes nicht auf Rosen gebettet waren, miteinander verhandelten, einander entgegenkamen, ängstlich jeden Schein mieden, als suchten sie einen Sondervorteil. Die Besprechung dort dauerte nicht lange, der alte Herr hatte seine Angelegenheiten in musterhafter Ordnung zurückgelassen. Er hatte seinen Tod geahnt und in stoischer Ruhe erwartet: er schrieb es selbst in einem Abschiedsbrief an seine Söhne und Töchter, einfache, gütige Worte. Er dankte ihnen für ihre Liebe. Er war mit ihnen zufrieden, er gab ihnen seinen Segen auf den Lebensweg.

Sie hatten diese Zeilen, mit der Aufschrift »An meine guten Kinder!« zuoberst in einem Fach seines Schreibtisches gefunden. Daneben hatte ein zweiter Brief gelegen. »An meine liebe Grete« stand mit zitteriger Hand darauf. Der älteste Bruder gab ihn ihr. Sie nahm ihn stumm und ging hinüber in das Zimmer ihrer Mutter. Dort stand sie allein für sich neben der brennenden Kerze und las:

»Meine geliebte Tochter!

Du bist dasjenige meiner Kinder, dem es am besten geht, und das einzige, das mir wirkliche Sorgen machte.

Die anderen brauchen meine Ermahnungen nicht. Sie gehen ihren Gang. Zu beiden Seiten haben sie Schranken. Sollte doch einmal einer nicht recht vorwärts können, so sind genug hilfreiche Hände um ihn herum, die ihn weiter führen.

Du aber stehst fern von uns, allein in einer schwindelnden Höhe – wenn man Reichtum Höhe nennen soll. – Um Dich sind Menschen anderer Art, als ich sie kenne. Ich weiß nicht, wieviel sie Dir sind. Mir haben sie, als ich bei Dir war, gar nicht gefallen. Und Du, meine gute Grete – Du mußt bedenken, ich mische mich nicht bei Lebzeiten in Deine Angelegenheiten, ich spreche jetzt, nach meinem Tode, hier noch einmal als treubesorgter Vater zu Dir – Du auch nicht! Deswegen bin ich nicht wiedergekommen.

Du hast Dich in Paris verloren, Grete – das verloren, was wir Dir ins Leben mitgegeben haben. Du hast dafür Feddersenschen Geist und Feddersensche Weltanschauung eingetauscht.

Und denke: wenn es Krieg gibt. Einmal muß er wieder kommen. Wir sind zu reich und froh. Wir haben zu viel Neider. Dann gibt es keine Deutsch-Russen und Deutsch-Franzosen mehr, sondern nur noch Deutsche und ihre Feinde. In welchem Lager bist dann Du? Zerreißt Dir der Gedanke nicht die Seele, daß Dein Sohn dann die Waffen gegen das Land führen soll, das Dich gebar?

Kind ... Es ist mein einziger Kummer, den ich noch habe, und meine letzte Bitte ist die: Bleibe im Geist uns treu! Denke deutsch! Mache Deinen Mann wieder deutsch! Du hast Macht über ihn. Er liebt Dich. Ich habe Dich beobachtet. Glaube mir: Du wirst doch nie ganz so wie die Leute dort: Dazu muß man von Jugend auf zu ihnen gehört haben. Dir geht viel zu sehr Dein Elternhaus nach! Das magst Du zehnmal verleugnen. Du wirst es doch nicht los. Du warst doch immer so stolz, mein Kind! Ich an Deiner Stelle würde schon aus Stolz so bleiben, wie ich bin. Und eben dadurch den anderen auch Achtung abnötigen und ...«

Hier brach der Brief ab. Der General von Teuffern war offenbar gestört worden und hatte nicht mehr die Zeit zur Vollendung gefunden. Margarete las die Zeilen andächtig. Dann kehrte sie zu den übrigen zurück. Sie war den ganzen Abend still. Sie wollte am nächsten Tage heim. Sie durfte den kleinen Charles-Iwan nicht länger allein lassen. Es ging ihm gut. Ihr Mann schickte ihr jeden Morgen ein Bulletin über sein Befinden. Am Nachmittag vor der Abreise stand sie mit der Mutter noch einmal vor dem Grab. Sie hörte ihr Schluchzen. Sie dachte, wie verlassen sie nun sein würde, und bat sie:

»Komm doch zu mir nach Paris, Mama!«

In Frau von Teufferns vom Weinen geröteten Augen las sie fast einen Schrecken über diesen Vorschlag. Daran hatte die Generalin noch nicht gedacht. Das konnte sie nicht. Sie zog nach Potsdam zu ihrer dort wohnenden verwitweten Schwester.

»Nein, Grete,« sagte sie. »Ich danke Dir! Aber zu Euch passe ich nicht hin! Das weißt Du auch selbst am besten!« Und ihre Tochter schwieg mit einem trüben Lächeln und drang nicht weiter in sie.

Als sie dann, von ihrer Kammerjungfer für die Nacht versorgt, allein in ihrem Abteil des Luxuszuges saß, als die Räder unter ihr eintönig rastlos rollten, selten einmal in dem bleiernen Dunkel vor den Scheiben ein verlorenes Licht vorüberglitt, als nach all den Aufregungen und Erschütterungen dieser Tage plötzlich tiefste Einsamkeit sie umgab, da sagte sie sich: Der arme Papa spricht in seinem letzten Brief so zu mir, wie er mich vor fünfviertel Jahren gesehen hat. Seitdem hat sich vieles in mir geändert. Ich brauche Rat und Hilfe jetzt noch weit nötiger als damals in dem ersten Rausch. Jetzt ist die Ernüchterung gefolgt. Ich sehe klar.

Eine Stelle des Briefes stand ihr vor Augen: »Du hast Macht über Deinen Mann. Er liebt Dich ...«

Sie hob in müder Hoffnung den Kopf. Das war wahr. Karl Feddersen liebte sie in seiner Art. Wer noch geliebt wurde, brauchte nicht zu verzagen. Er hatte noch den Schlüssel zu seinem Schicksal in Händen.

Unter ihr donnerten die Schienen auf einer Brücke über einen unsichtbaren Fluß. Es riß sie fort durch die Nacht, aus der zerstörten Heimat weg. Sie hatte jetzt nur noch eine Zuflucht auf Erden – bei ihrem Mann und ihrem Kind. Reue erfaßte sie auf einmal. Sie warf sich vor: ich war lieblos gegen Charley! Er ist doch nun einmal mein Mann. Ich muß ihn nehmen, wie er ist. Ich hab' ihn nicht zu nehmen verstanden. Zuerst hab' ich zu leidenschaftlich um seine Liebe geworben, dann, als er das nicht begriff, stieß ich ihn durch Gleichgültigkeit zurück. Ich muß geduldiger sein. Ich muß immer daran denken, daß er mich liebt. Dann werde ich die beiden, den großen Charley und den kleinen Charles, doch noch in Wirklichkeit mein eigen nennen. Und – wer weiß – sie vielleicht doch, wie es der Vater will, unmerklich hinüberziehen in meine Welt ...

Sie hatte jetzt aus den Schauern der Sterbestunde, des Begräbnisses, der Nacht vor den Fenstern ein schmerzliches Sehnen nach dem, der dazu berufen war, sie im Leben zu schützen und zu geleiten. Die Einsamkeit war wie eine Mahnung in ihr. Sie war in einer weichen, versöhnlichen Stimmung, als der Zug in Paris einlief.

Karl Feddersen holte sie am Bahnhof ab und brachte sie nach Hause. Sie fing bei Tisch an, von dem Begräbnis zu berichten – von den vielen Offizieren, den Regimentsabordnungen, den Veteranen, der Predigt, den Fahnen neben dem Altar. Er hatte aufmerksam, aber ohne eigentliche Teilnahme zugehört. Plötzlich brach sie in helles Weinen aus. Er legte erschrocken den Arm um sie.

»Was hast Du denn, Margot?«

»Ach nein ... nein ...« Sie trocknete ihre Tränen, »es ist nur so ...«

»Nun, Daisy?«

»Es ist dort alles so anders wie hier.«

»Wieso?«

»Ich weiß selber nicht ... das versteht Ihr hier nicht ... Das tut einem so weh ...«

Das reizte ihn schon wieder.

»Früher hast Du Deine heimischen Verhältnisse nicht so bewundert!« sagte er trocken. Sie nickte.

»Nein! Aber bei solchen Gelegenheiten merkt man doch, daß man ein Soldatenkind ist! Es steckt in einem!«

»Nun ... es freut mich, daß die Feier so würdig verlief. Wie steht es denn mit der finanziellen Lage Deiner Mutter? Ich bin natürlich gern bereit ...«

»Danke sehr. Papa hat für alles gesorgt!«

Ihre kurze Antwort verdroß ihn. Er versetzte ziemlich scharf:

»Du scheinst die Geldfrage gering einzuschätzen, nach Deinem hochmütigen Lächeln zu schließen. Ich nicht. Ich gehöre nicht zu Deinen Herren vom bunten Tuch, jenseits des Rheins! Ich bin Kaufmann! Man kann das Geld verachten, ma chère! Aber dann sollte man es auch nicht annehmen und mit vollen Händen ausgeben!«

Sie zuckte zusammen. Es war eine Pause. Endlich sagte sie langsam:

»Du hast recht! Ich lebe ja hier von milden Gaben! Ach ... ich hab' solche Angst ... Charley ... um Gottes willen, hilf mir doch ... sei mir doch einmal in meinem Leben nah.«

Sie war aufgesprungen. Auch er erhob sich verwundert.

»Was möchtest Du denn, mon enfant?« frug er nachsichtig, halb lächelnd. Sie ahnte schon förmlich seine Handbewegung zum Portefeuille in der Fracktasche. Sie streckte abwehrend die Rechte aus.

»Laß nur diesmal Dein Scheckbuch stecken, Charley! Das ist es nicht!«

»Sondern?«

»Gib mir einen Halt! ... Schau, wie mir zumute ist ... Denke Dich in mich hinein ... ich irrlichtere da hin und her! Merkst Du das denn gar nicht?«

»Nein.«

Sein erstaunter Blick bestätigte es. Es lag Mißbilligung darin. Er wollte nach Tisch seine Ruhe haben. Er zündete sich im Salon eine Zigarre an. Er wartete, daß sie weiter sprechen würde.

»Was ist denn nur passiert?« erkundigte er sich, da sie schwieg.

»Nichts!«

»Oder was soll denn passieren?«

»Auch nichts!«

» Allons! Tout va bien! ... Was willst Du denn noch, mein Kind?« ...

»Mein Leben möchte ich! Es zerrinnt mir so! Ich kann es nicht fassen! ... Es ist so ein schrecklicher Zustand ... Ich möchte dasitzen und weinen ... nicht über Papa, sondern über mich ... Ich weiß nicht, was aus mir werden soll, wenn das so weiter geht.«

Er rang nun ernstlich ungeduldig die Hände.

»Was denn weiter geht? Margot – man muß auch nicht undankbar sein! Du hast wirklich alles, was eine Frau vom Leben erwarten kann ... Mann und Kind ... Reichtum und eine glänzende Position! Zur Kaiserin von China kann ich Dich freilich nicht machen!«

»Aber unsere Ehe könntest Du anders machen!«

»Wie denn?«

»Inniger, Charley ... einfacher ... herzlicher ...«

»Einfacher? Sollen wir etwa am Sonntag nachmittag nach St. Cloud ziehen? ... Du schiebst den Kinderwagen, ich trage das Netz mit Eßsachen ... Oder wie denkst Du Dir das?«

Sie kannte seine Art, Gespräche, die ihm unbequem wurden, ins Lächerliche zu ziehen. Es zuckte um ihre Lippen.

»Ich bin schon still, Charley,« sagte sie. »Es ist ja alles vergebens! Du bist blind und taub!«

»Wenn Du mir nur endlich verraten wolltest, was Dir eigentlich fehlt!«

»Ein wenig Wärme, Charley, weiter nichts! Ich friere so zwischen Euch! Ihr seid so kalt. Und mir tut Kälte so weh.«

Er ging ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab.

»Ach ... verschone mich mit diesen Sentimentalitäten von jenseits der Vogesen. Sie kommen gerade heute so unglücklich wie möglich. Komm mal her, Daisy ... Ich will Dir was erzählen!«

Sie folgte seiner Aufforderung. Er legte ihr die Hand unters Kinn.

»Deswegen kam ich heut' in so guter Stimmung nach Hause, ma petite! Es ist ja nur eine Aeußerlichkeit, aber für mich doch sehr wertvoll. Mein Naturalisierungsgesuch ist heut' vom Minister unterzeichnet, von jetzt ab sind wir – Du, ich und Charles-Iwan – Bürger der französischen Republik.«

Sie erwiderte nichts. Ihr Gesicht blieb unbewegt.


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