Rudolph Stratz
Lieb Vaterland
Rudolph Stratz

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10.

Es war zu Anfang Juli – Sommerglut, weißer Staub auf den Bäumen der Avenue du Bois de Boulogne – schwüle Nächte, man schlief schlecht, trotz der offenen Fenster – Margarete Feddersen lag lange mit offenen Augen da. Es war noch ganz früh. Draußen sangen die Vögel. Sie waren allein. Das Schlafzimmer ihres Mannes nebenan leer. Karl Feddersen weilte seit drei Tagen in Brüssel zur Finanzierung seines großen Balkanprojekts. Den Kopf voll Zahlen, eine dicke Mappe unter dem Arm, war er mit einem flüchtigen Kuß abgereist.

Der Pförtner machte große Augen, als er Madame um sechs Uhr morgens zu Fuß das Haus verlassen sah. Er schaute der schlanken Gestalt nach, die in dem lichten Sommerkleid dem nahen Gehölz zuschritt. Margarete hatte auf einmal eine Sehnsucht nach Luft, nach Waldesgrün, nach Stille. Es war hier alles so anders wie sonst ... die gewohnten Gesichter fehlten ... nirgends hing, in der Luft verloren, der durchdringende Benzingeruch der Automobile ... keine Kindermädchen mit ihren Pfleglingen auf den Bänken ... keine Spaziergänger. Selbst das Schnauben der Pferde aus den Reitwegen klang nur in langen Zwischenräumen. Die junge Frau fühlte sich allein. Und nicht nur diesen Morgen, überhaupt in Paris. Fast niemand von ihren Bekannten war da. Man war auf dem Lande, an der See. Die Elysäischen Felder hinunter zeigten die Häuser geschlossene Ladenreihen. Auf den inneren Boulevards hörte man mehr Deutsch und Englisch als Französisch. Die Stadt gehörte den Fremden und der Provinz. Alexandre Feddersen und seine Frau saßen längst mit einem ersten Schub aus New York gelandeter amerikanischer Baumwollverwandter in der Eleganz von Pau – gestern war auch Madame Lisa Campbell, die Deutsch-Russin – eigentlich die einzige Freundin, die Margarete hier besaß, mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Biarritz abgereist. Nur das Ehepaar Karl Feddersen hatte bleiben müssen, um im Dienst der Firma das Vierteljahr Hochzeitsreise vom Jahr zuvor nachzuholen. Margaretes Gatte war viel zu sehr Geschäftsmann, um das nicht völlig selbst in der Ordnung zu finden.

So war seine Frau auf einmal auf sich gestellt, dem Wirbel entrückt. Seltsam: sie vermißte den geschäftigen Müßiggang nicht; sie merkte nachträglich, daß er sie doch erschöpft hatte. Sie hatte in der letzten Zeit vieles nur mitgemacht, um es eben mitzumachen, aus Gewohnheit. Nun tat ihr die Ruhe wohl. Und doch lag etwas Bedrückendes in diesem Wehen der Einsamkeit um sie, als sie längs des blauen Spiegels der Seine dahinging, blauen Himmel über sich, Tauglanz auf den Wiesen um sie, auf den Büschen und Bäumen. Wie war das alles verflogen! Es hinterließ keinen Rest. Nur Leere ...

Zum erstenmal, seitdem Margarete Feddersen in Paris weilte, war sie traurig. Warum nur? Sie blieb stehen. Sie spürte einen Aerger gegen sich, daß sie sich selber wieder solche Ueberraschungen bereitete. Sie hatte doch allen Anlaß, zufrieden zu sein, wollte es auch sein und es der Welt zeigen. Was war denn das nur für eine alte Unruhe? Darüber sollte sie nun doch wirklich hinaus sein ...

Sie setzte ihren Weg fort. Ab und zu begegneten ihr Menschen. Sie hörte französische Laute. Sie fühlte neugierige Blicke. Man erkannte an ihrem hohen Wuchs, ihrer straffen Haltung die Ausländerin. Zum ersten Male hatte sie selbst das Bewußtsein, daß sie in der Fremde war. Allein. Was sie hieß und war, was sie besaß und bedeutete, verdankte sie einem anderen, verdankte sie ihrem Mann ... Die Stimme ihres Vaters klang in ihr: ›Geh! Suche Deinen Mann! ...‹

Sonderbar: Auf einmal hatte sie Sehnsucht nach ihm. Ein Bangen vor dem Alleinsein. Eine Reue. Sie hatte bisher alle seine Gaben und Wohltaten als etwas Selbstverständliches hingenommen, nicht einmal Danke! dazu gesagt. Und er war doch so mild und rücksichtsvoll. Er hatte sich noch nie beklagt, daß sie auch für ihn nur die kühle Liebenswürdigkeit übrig hatte, die sie allen Menschen gegenüber besaß. Sie hatte sich selbst darüber gewundert, wohin bei ihr eigentlich das Temperament ihrer Mädchenjahre verflogen war. Sie hatte das wohl überschätzt. Aber nun kam da etwas ... leise, aus einem gepreßten Herzen ... so, als ob sie träume ... so wie vor einem großen Wunder: Sie fühlte die erste erwachende Liebe zu ihrem Mann ...

Und dabei waren sie schon so lange Mann und Frau. Sie wurde sich nachträglich einer schweren Schuld bewußt. Einer Wandlung. Es war gut, daß nun ein neuer Lebensabschnitt begann. Es war hohe Zeit. Wie hatte sie bisher die Tage verbracht, alles von ihm genommen – und ohne Liebe ... Er hatte sie das nie fühlen lassen. Er hatte ruhig gewartet. Er kannte sie besser als sie selbst. Er wußte: die Stunde kam ...

Gegen Mittag lief sie daheim an das Telephon und ließ sich mit Brüssel verbinden. Karl Feddersen war fast erschrocken, als er die Stimme seiner Frau im Apparat vernahm. Er fürchtete, es sei etwas passiert.

»Was gibt's denn, um Gottes willen, Margot?«

»Nichts Besonderes, Charley! Ich wollte Dir nur rasch sagen: Ich hab' Dich so lieb!«

Er hob erstaunt die Augenbrauen.

»Wie, Daisy?«

»Ich hab' Dich so furchtbar lieb, Charly!«

Er mußte lachen, das Hörrohr in der Linken, ein Bündel Offerten für Schienenlieferungen der Adriabahn in der rechten Hand. Er hörte weiter:

»Laß doch Deine dummen Geschäfte! Komm recht bald nach Paris zurück! Zu mir! Hörst Du?«

»So rasch ich kann!«

»Wann denn? Ich sehne mich so nach Dir!«

Nun war er wirklich gerührt und geschmeichelt. Das war ihm ganz neu. Er überlegte:

»Morgen abend um sieben, Daisy! Ist's Dir recht?«

»Ja, ja, ich hol' Dich ab.«

Er glaubte zu hören, wie sie beglückt aufatmete. Sie stand auf dem Bahnhof, als der Zug einlief. Das war der erste erfreuliche Eindruck für Karl Feddersen. Und wie sie reizend und blühend aussah! Sie hatte sich ihm zu Ehren schön gemacht. Sie war noch eleganter wie gewöhnlich, weil sie wußte, daß er das liebte. Sie eilte ihm zärtlich, mit offenen Armen entgegen. Es schickte sich eigentlich nicht, daß man sich so leidenschaftlich begrüßte. Aber er war froh. Er sah die Blicke der Umstehenden und fühlte einen Stolz. Er nahm ihren Arm und geleitete sie zum Automobil und merkte, daß sie sich enger als sonst an ihn schmiegte. Er begriff das alles noch nicht. Aber er war zufrieden. Er saß behaglich und gemütlich neben Margarete in dem offenen Gefährt und hielt ihre Hand in der seinen, und sie lächelte ihn aus ihren schönen, dunklen Augen an. So fuhren sie zusammen in die Dämmerung hinein und nach Hause ...

»Was hast Du nur?« fragte Karl Feddersen acht Tage später, halb vergnügt, halb verwundert seine Frau. »Seit ich aus Brüssel zurück bin, bist Du wie ausgewechselt.«

Sie antwortete nicht gleich, sondern lachte und schnellte ihm über den Tisch hin ein paar Brotkrümchen ins Gesicht. »Laß Du mich nur vergnügt sein!« sagte sie. »Sei Du's auch! Sei froh, daß ich so bin!«

»Na ja ... Aber Ideen hast Du ...« Er blickte sich in komischer Verzweiflung in der Weinlaube des ländlichen Gasthauses um, in der sie beim Essen saßen. »Da verschleppst Du einen stundenweit von Paris hinaus in die Einöde, wo man keinen Menschen sieht ...«

»Bist Du kein Mensch?«

»Mich hast Du doch überall!«

»Nein! Hier hab' ich Dich. Ganz für mich. Das will ich!« Sie streckte die Hände aus und nahm spielend seine große, schwere Rechte, an der der breite Ehering funkelte, zwischen ihre schmalen Finger. »Du bist mein Mann! ... Alles andere ist langweilig ... Hörst Du? ... Ich bin überhaupt viel zu gut zu Dir ... Aber ich muß. Ich bin jetzt in so einer Stimmung ...«

Er lächelte geschmeichelt und erfreut. Er wußte nur nicht recht, was er ihr erwidern sollte. Diese Weichheit war ihm bei Margarete ganz neu. Sie erinnerte wirklich an ein deutsches Gretchen. Sie saß träumerisch da. Durch die Nebenblätter lugte neugierig der Sonnenschein und malte goldne Lichter auf ihrem dunklen Haar, ihren zarten Zügen. Ihr weißes Kleid leuchtete in der Schattendämmerung. Es war Karl Feddersen wider den Strich, daß sie sich so einfach, in Strohhut, Bluse und kurzen Rock, angezogen hatte. Er wollte eine elegante Frau. Aber sie hatte ihn nun einmal zu dieser Fußwanderung querfeldein genötigt ... So als ob sie die ersten besten Spießbürger seien. Seine Respektabilität litt schwer.

Sie schaute mit glänzenden Augen in die Weite.

»Ist das nun nicht wunderschön hier, Charley? ... Dies Grün ... der blaue Himmel... und wir beide ... Ach ... ich bin so froh ... Du nicht auch?«

»Ja, freilich!« meinte er. Es waren da Flecken im Tischtuch vorhin, die ihn entsetzten. Er konnte sich nicht enthalten, hinzuzufügen: » A la guerre comme à la guerre! ... Dies Kaninchenragout ... gräßlich ... und der Wein ...«

Sie hob heiter ihr Glas und trank ihm zu. Er sah ihre schwarzen, lebhaften Augensterne auf sich gerichtet. »Mir schmeckt es,« sagte sie. »Mir schmeckt alles, wenn wir so nett beisammen sind ... Gott ... Du bist doch, ein lieber Mann ... Ich hab' immer noch keinen rechten Namen für Dich ... Ist das nicht eigentlich toll? ... Soll ich Dich Karluscha nennen, wie Deine russischen Verwandten? ... Nein ... Das klingt zu leichtsinnig, und Du bist doch so furchtbar solide! ... Oder Karlchen ... gut deutsch? ... Nein ... Zu Karlchen bist Du wieder ernsthaft ... Ewig bist Du ernsthaft! ... Geh! ... Lach' doch mal!«

Er verzog etwas gezwungen das Gesicht. Er wollte gern auf ihren Ton eingehen, aber er fand nicht recht den Anschluß. Sie gab ihm plötzlich einen energischen Klaps auf die Hand.

»Und Du?« versetzte sie strafend mit hochgezogenen Augenbrauen. »Hast Du je für mich etwas anderes als das langstielige Margot oder Daisy? Pfui – schäme Dich! ... Erfinde mal gleich auf der Stelle einen netten Namen für mich! ... Wird's? ... Strenge nur Deine Phantasie an! ... Ein bißchen Phantasie hat doch jeder Mensch.«

Karl Feddersen tat ihr den Willen und überlegte. Aber nach einer Weile gestand er zögernd:

»Weißt Du ... so bin ich nicht ... Mir fällt wirklich nicht so rasch was ein!«

»Ach, was hab' ich für einen Holzklotz geheiratet!« sagte die junge Frau und schenkte geschäftig den Kaffee ein. Eine Sekunde war eine Wolke über ihrer Seele, eine Erinnerung: Es hatte einmal einen gegeben – im schwarzen Kragen und Artilleriehelm – der hatte nicht einen, sondern hundert kindische, zärtliche Necknamen für sie gehabt. Der schüttelte sie nur so aus dem Aermel. Dann warf sie sich die Locken aus der Stirn, ging hinüber zu ihrem Mann, sah sich rasch um, ob die Wirtin nicht in der Nahe sei, beugte sich über seinen Stuhl und gab ihm einen herzhaften Kuß.

»Du bist ja ein gräßlicher Philister, Charley!« sagte sie. »Aber ich hab' Dich doch sehr lieb! ... Komm ... Da hast Du Feuer für Deine Zigarre ...«

Sie reichte ihm das Wachshölzchen. Er paffte behaglich, mit einem zufriedenen Paschalächeln. Nett, wie die Langeweile des Sommers auf Margot wirkte! Ein wahres Wunder! Er hatte das Gegenteil befürchtet. Er wußte aus früheren kleinen Zusammenstößen, daß sie auch eine sehr unbequeme Frau sein konnte. Aber nun kauerte sie still und zufrieden neben ihm, den Kopf an seine Schulter gelehnt, ganz dem Genuß der Stille, der Wärme, des Sommerfriedens hingegeben. In der Ferne krähte ein Hahn. Die Grillen zirpten.

»Ist das nun nicht wie ein Traum, daß da hinten irgendwo Paris liegt?« fragte sie dann und stand auf. »Aber ich glaube, Du hast gar keinen Sinn für Natur! Du bist eben kein rechter Deutscher! ... Du mußt geputzte Leute sehen und Schmuck und Autos ... sonst bist Du nicht glücklich! ... Komm ... wir wollen heim ...«

Zu Hause sang sie ihm an einem Abend der nächsten Woche vor. Sie blieben jetzt oft zum Diner in ihren vier Wänden. Margarete wollte es so. Sie fand das Luftgefächel in dem glühend heißen Boulevardrestaurant, den Staub in den Champs-Elysées, die vielen Fremden unerträglich.

»Es ist doch viel netter, ohne Gäste Monsieur und Madame spielen!« hatte sie gesagt, während sie noch in den Noten kramte. Ihre Stimme war nicht groß. Sie hatte, im Gegensatz zu ihrem raschen, elastischen Wesen, einen kindlichen, fast klagenden Ton. Sie füllte gedämpft den Raum. Karl Feddersen saß in der Ecke und hörte zu. Sein Gesicht trug jene gespannte Aufmerksamkeit, mit der er sonst den Ausführungen eines Geschäftsfreundes lauschte. Aber es fiel ihm schwer. Er war nun einmal unmusikalisch. Diese sehnsüchtigen deutschen Lieder klangen eigentlich eines wie das andere. Er unterdrückte ein Gähnen und fuhr schuldbewußt zusammen. Er blickte, die Hände gottergeben über den Knien verschlungen, durch das Fenster. Dort standen zwei Damen. Vollblut-Pariserinnen. Gut angezogen. Wie sie miteinander gestikulierten. Komisch, es kam wirklich da eine neue Hutmode auf ... Da fuhr Monsieur Duloup in seinem Auto vorbei ... war der auch noch hier? Nun ja ... er hatte sich wohl ein bißchen sehr weit in baskischen Minenaktien vorgewagt ... er sah sorgenvoll aus ... Karl Feddersen schloß halb die Lider. Es gingen ihm Geschäfte durch den Kopf. Seine Frau sang. Dann hörte sie plötzlich auf. Sie stand vor ihm, die beiden Hände auf seine Schultern gelegt, und schaute ernst auf ihn hernieder.

»Wenn ich nur wüßte, wie man Dich findet!« sagte sie langsam. »Irgendwo muß doch ein Schlüssel zu Dir sein! Charley ... Hand aufs Herz ... wo hast Du ihn, denn eigentlich versteckt?«

Karl Feddersen stand etwas verwirrt auf.

»Reizend hast Du gesungen, Margot! Es war wirklich ein Genuß!«

»Du hast ja nicht zugehört, Du Greuel!« sagte die junge Frau. Sie war nicht gekränkt, nur erstaunt, daß auch das nicht verfing. »Du mopst Dich überhaupt daheim – tödlich. Ich hab's schon bemerkt. Das ist nichts für Dich. Komm ... ich mache mich möglichst schön und dann fahren wir in die Stadt, wohin Du willst ...«

Sie waren nun wieder mehr außer dem Haus und häufig in Paris zu sehen. Eines Nachmittags saßen sie im Cascadenrestaurant im Bois de Boulogne. Draußen wartete unter hundert anderen ihr Auto. Karl Feddersen schlürfte seinen Bock und rang mit einem Entschluß. Endlich begann er lächelnd und unvermittelt:

»Was ist's denn nur eigentlich, Margot?«

»Ich versteh' Dich nicht!«

»Du bist seit sechs Wochen so lieb und gut mit mir ...«

»Ist Dir's nicht recht?«

»Ich bin glücklich darüber! Ich meine nur: Du möchtest doch sicher etwas ...«

Sie machte große Augen.

»Wieso?«

»Und etwas Besonderes ... ganz Ungewöhnliches ... Sonst gäbst Du Dir doch nicht solche Mühe! ... Also nun schon heraus damit! ... Wenn ich irgend kann ...«

Die junge Frau senkte betrübt den Kopf. Sie erwiderte nichts. Er fing an, gutmütig zu raten, um ihr das Geständnis zu erleichtern.

»Ein Abstecher nach Trouville? ... Geld für nach Hause? ... Ein Schmuck?«

»Ach ... Du verstehst mich nie!« sagte sie leise. Und sich erhebend, fügte sie, während der galonierte Türsteher unter die Schar der Chauffeure ihren Namen schrie, mit einem schmerzlichen Zucken der Mundwinkel hinzu:

»Das, was ich brauche, gibt's nicht auf den Boulevards zu taufen. Früher hab' ich das ja selber gedacht. Aber das war Unsinn.«

Am nächsten Tag war sie wieder heiter und belebt. Er bemerkte einen unruhigen Tatendrang an ihr. »Du, Charley!« sagte sie. »Ueber Nacht ist mir eine Idee gekommen! Ich hab' doch eine große Bitte!«

»Na also!« Er war förmlich erlöst. Seine Frau war ihm schon ganz unheimlich gewesen mit ihrer nimmermüden, selbstlosen Liebenswürdigkeit. » Voyons! ... Ich schaffe es Dir! Coûte que coûte

»Es kostet Dich keinen Sou! Ewig denkt Ihr doch an Geld!«

»Da bin ich aber wirklich gespannt!« Er rückte näher, lächelnde Neugier in den kühlen, blauen Augen. Sie stützte den Kopf auf die Hand, schob den Seidenpinscher vom Schoß, als Zeichen, daß sie jetzt ganz ernsthaft sein wollte, und begann:

»Bei uns daheim, wenn der Papa vom Dienst kam ... zum Beispiel, er hatte sein Regiment vorgestellt ... da war ein Gelaufe ihm entgegen bis zur Treppe ... Mama ... wir alle... ein Gefrage: Wie hast Du bei der Besichtigung abgeschnitten? Was hat der Kommandierende gesagt? ... Man lebte in allem mit, was ihn betraf. Das ist in der Armee so ... weißt Du ...«

Karl Feddersen bejahte verständnislos. Sie fuhr fort:

»Wenn wir hier, Eure Frauen, beisammensitzen, so haben mir von Eurem Beruf, von Euren Sorgen und Geschäften keine Ahnung! Wir reden das dümmste Zeug – hauptsächlich, wie wir am schnellsten das Geld wieder ausgeben, das Ihr verdient! Ihr wollt gar nicht, daß wir wissen, wie Ihr es verdient. Ihr haltet uns absichtlich fern ...«

»Ihr versteht doch auch wirklich nichts davon!« sagte ihr Mann mit einer leisen Ironie. Er zeigte jetzt häufig das Selbstbewußtsein, das sie in ihm genährt hatte. Er fand sich allmählich in seine Rolle.

»Aber man kann es doch lernen, Charley! Ich bin doch nicht so dumm! Bitte, bitte ... weihe mich ein wenig in Deine Angelegenheiten ein! Ich bin doch dazu da. Dir zur Seite zu stehen. Es tut mir gut! Es wird mich ernster machen, wenn ich mich ein wenig nützlich mache, statt immer nur Wohltaten zu empfangen. Ich bin ja hier wie eine Drohne!«

Karl Feddersen zeigte sonst seiner schönen jungen Frau die lächelnde Nachsicht, die man einem verzogenen Kind erweist. Aber als Geschäftsmann war er zäh. Da war er, was sie immer bei ihm suchte, er selbst. Da ging er pedantisch, wie er war, um keine Linie von dem Herkommen einer ehrbaren Firma ab. Er zog die Sache einfach ins Komische. Er griff nach seinem Hut.

»Das fehlte noch, daß Ihr einem auch noch im Kontor den Kopf heiß macht! ... Du würdest Dich gut ausnehmen auf dem Drehschemel, Daisy! ... Nein. Dort müssen wir unsere Gedanken beisammenhalten! Dort herrscht Ernst, mein Kind!«

Er lachte dabei und merkte zu seinem Erstaunen, daß sie, ihm die Hand zum Abschied reichend, unbefangen mit einstimmte. Aber als er am nächsten Vormittag durch die Glasscheibe blickte, die sein Privatkontor mit den davor liegenden allgemeinen Geschäftsräumen der Firma Feddersen auf dem Boulevard Sebastopol verband, lief vor seinen Augen eine seltsame Bewegung durch die Reihen der Prokuristen und Disponenten und Kommis. Madame Margot Feddersen schritt gleichmütig, wie ein Traumgebilde von Spitzen, Federn und rieselnder Seide durch den dämmerigen Mittelgang, ein zarter Hauch von Parfüm blieb hinter ihr in der staubigen Luft, das leise Rauschen ihres Rocksaums klang durch das Geklapper der Schreibmaschinen und das Stampfen der Kopierpresse, sie trat in das Allerheiligste ein, setzte sich und sagte zu ihrem Mann nur:

»So, Charley ... da bin ich!«

»Ja. Da bist Du!« wiederholte Karl Feddersen verblüfft und legte mechanisch die Zigarette weg. Er wußte hier rein gar nichts mit ihr anzufangen. Er hoffte, sie würde die Spielerei in einer Stunde satt haben und wieder gehen. Aber sie blieb. Sie kam auch die nächsten Tage. Sie war von einem Feuereifer beseelt, etwas hier zu erfassen. Sie nahm sich gleich das Nächste. Sie hielt ein Kursblatt in der Hand: »Was heißt ›Devise kurz London‹?« forschte sie.

Er bemühte sich, ihr die Geheimnisse des Wechselverkehrs zu erläutern.

»Und was ist denn immer das ›Cif‹ in Euren Briefen da?«

Auch darüber gab er ihr Auskunft. Aber er war kein guter Erklärer. Diese Dinge waren ihm alle von Jugend auf viel zu selbstverständlich. Er war auch ungeduldig. Es lenkte ihn ab ... Margarete setzte sich schließlich still in eine Ecke und beobachtete. Vielleicht profitierte sie so am allermeisten, wenn sie ihren Mann bei der Arbeit sah. Am Ende der Woche fragte sie:

»Sag' einmal: Eigentlich unterschreibst Du doch immer nur, was Dir die Leute von nebenan bringen. Manchmal liest Du es nicht einmal vorher durch! ... Besonders Monsieur Renard und die beiden anderen alten Herren ... die besorgen doch das meiste ...«

»Ja. Die sind schon lange im Dienst der Firma.«

»Und die machen das auch gut?«

Er lachte.

»Ich bitte Dich: die alten Füchse! ... Die kennen die Schliche und Kniffe besser als unsereiner ...«

»Ja ... warum bist Du denn dann ...« Sie brach ab und machte ein erstauntes Gesicht. Beinahe hätte sie etwas Dummes gesagt. Eine Weile spielte sie nachdenklich mit ihrem Spitzensonnenschirm. Dann begann sie kleinlaut:

»Weißt Du, ich hatte mir vorgestellt. Du hieltest hier das ganze Geschäft mit eiserner Faust zusammen! Alles geschähe nur nach Deinem Willen! Diese Leute wären nur wie Puppen, die tanzen, wenn Du auf den Knopf drückst, und wären ohne Dich rein verraten und verkauft ...«

»Nein. Individualität muß man Angestellten lassen, wenn sie ordentlich arbeiten sollen ...«

»Also ... zum Beispiel... Alexandre ist auf Urlaub ... nehmen wir an, Du würdest krank ... würde es denn dann auch gehen?«

»Es muß gehen!« versetzte Karl Feddersen kühl und unterschrieb wieder einen Stoß Aktenstücke, den ein geschäftiger Herr ihm hinschob. Er sah eine sonderbare Enttäuschung auf ihrem Gesicht, so als wäre er von einem Piedestal herabgestiegen, auf das sie ihn gestellt, und setzte hinzu: »Vergesse auch nicht: das hier ist nicht meine eigentliche Domäne, sondern das Reisen draußen. Ich vertrete doch hier nur Sascha!« Und nun hellte ihr Antlitz sich wieder auf und sie meinte, merklich erleichtert:

»Ja, das wird es wohl sein!«

Allmählich wurden ihre Besuche auf dem Kontor seltener. Schließlich blieb sie ganz weg. Es war hoffnungslos, da zu sitzen und Dinge mitanzuhören, die man nicht verstand, und in Briefen zu blättern, deren Sinn man nicht begriff. Karl Feddersen merkte das Fehlen seiner Frau kaum. Oder wenn, dann war es ihm lieb. Er konnte jetzt keine Störung brauchen. Er saß bis über die Ohren in Geschäften. Der Zeitpunkt rückte heran, wo er, um die Mitte September, wenn die ärgste Hitze auf dem Balkan nachließ, dorthin reisen sollte. Die Koffer waren schon gepackt, das Abteil im Orient-Expreß bestellt, es herrschte eine eigene, schweigsam-feierliche und gedankenvolle Stimmung, als sich das Ehepaar am Vorabend der Abfahrt bei Tisch gegenübersaß. Zum erstenmal trennten sie sich morgen auf längere Zeit. Wie lange Karl Feddersen fern sein würde, ließ sich im voraus nicht bestimmen. Das hing von den unausbleiblichen letzten Intrigen in Makedonien ab. Aber auf vier Wochen rechnete er mindestens.

Plötzlich, als der Diener das Zimmer verlassen hatte, sprang sie auf. Sie eilte um den runden Tisch zu ihm herum, hastig, wie auf der Flucht vor irgend etwas. Ihre Schleppe fegte über den Teppich. Sie blieb vor ihm stehen, der sich erstaunt erhob, und legte bittend die Hände ineinander und sagte:

»Charley ... laß mich nicht allein!«

»Aber Margot ...«

»Ich gehöre doch zu Dir! ... Was soll ich denn ohne Dich? ... Ich bin doch ganz wurzellos auf der Welt. Du bist mein einziger Halt!«

Er war ganz verdutzt über diese Störung seiner Reisepläne im letzten Augenblick: »Du könntest doch die Zeit über auch zu Deinen Eltern nach Berlin!« schlug er vor.

Die junge Frau schüttelte den Kopf. Eine kleine Querfalte stand finster zwischen ihren Augenbrauen.

»Das kann ich nicht, Charley! Mit Dir zusammen auf Besuch ... gern! Da freue ich mich drauf. Aber allein, da wieder unterkriechen ... daß sie sagen: ›Es flog ein Gänschen übern Rhein‹ ... nein ... das ist mir ja alles so unendlich fremd geworden ... dort ... ich hab' gewußt, was ich tat ... ich hab' meine Schiffe hinter mir verbrannt ...«

»Und hier in Paris lasse mich nicht allein!« flüsterte sie wieder, halblaut an seinem Ohr, den Kopf an seine Schulter gelehnt. »Lieber nicht! Ich komme hier nur auf dumme Gedanken vor Müßiggang und Langeweile, und ärgere mich über Madge und ... ich mag nicht Strohwitwe sein ... ich bin doch Deine Frau. Ich hab' Dich doch so lieb.«

Karl Feddersen war kein Mensch der übereilten Entschlüsse. Aber diesmal mußte er sich rasch entscheiden. Die Zeit drängte. Die Geschäfte auch. Er liebte kein Hindernis in Geschäften. Er sagte, ungeduldiger als er selber wollte:

»Das ist ja sehr nett von Dir, Daisy! Aber laß jetzt die Capricen!«

»Eine Caprice? So nennst Du meine Bitte?«

» Mon Dieu ... Was denn noch, Daisy?«

»Du hast nichts bemerkt ... die ganze Zeit ... das halbe Jahr, vom Frühjahr ab bis jetzt?«

»Was soll ich denn da Großes bemerkt haben? Zeichen und Wunder haben sich doch nicht ereignet?«

»Doch, Charley, sie waren da! Sie waren in mir! Aber wenn man sie nicht begreift, vergehen sie wieder.«

Nun sprach sie in Rätseln. Solche unbestimmten, frauenhaften Klagen paßten ihm gerade in seinen Kopf, in dem sich die Geschäfte drängten.

»Ich muß reisen, Daisy! Also bitte, sei vernünftig!« erklärte er in dem souveränen Ton, den er sich ihr gegenüber angewöhnt hatte. » C'est décidé! Um Gottes willen, fang' nicht noch an, zu weinen! Was ist denn dabei? ... Ma chère. Du bist zu mimosenhaft! Du mußt Dir eine etwas dickere Haut anschaffen! Ich hab' sie doch auch.«

Die Tränen, die er befürchtete, blieben aus. Statt dessen lachte die junge Frau plötzlich auf. Er furchte unbehaglich die Stirn. Was war das nun wieder für ein Umschlag?

»Ja. Die hast Du wahrhaftig, Charley!« sagte sie. »Mehr als gut ist! Das hast Du gar nicht bemerkt, wie ich diese Monate hindurch um Deine Liebe geworben habe? Bist Du wirklich so taub und blind? Hast Du wirklich nur Deine Kurse und Eisenbahnschienen im Kopf, daß Du es nicht siehst, daß eine Frau, wie ich, neben Dir ist.«

»Herrgott ... Du bist doch da!«

»Ich war's ... ich war's ... ich hab' getan, was ein Mensch vermag! Ich hab' mehr Kräfte aufgebraucht als viele. Ich hab' meinen Stolz in die Ecke gestellt. Ich bin Dir ja nachgelaufen. Gebettelt und gebeten hab' ich um Dich ...«

Karl Feddersen war mehr noch geschmeichelt als verwundert.

»Aber wir haben uns doch, Daisy!« meinte er freundlich.

»Was Du ›haben‹ nennst! Ich wollte mehr. Ich brauche mehr. Ich brauche Dich! Ich hab' Dich gesucht, wie man einen Menschen suchen kann – überall – in jeder Weise ... Ich hab' gedacht, irgendwo müßt' ich Dich doch finden ...«

Er schüttelte halbbelustigt über ihren Eifer den blonden Kopf. Er stand als ein stattlicher, breitschultriger Mann vor ihr im Zimmer. Er hatte etwas Gemütliches.

»Bitte! Hier bin ich in voller Lebensgröße, Daisy! Als Dein gehorsamer Diener! Was Du noch mehr willst, das wissen die Götter!«

»Dich!«

Er wurde böse.

»Zum Kuckuck! Ich bin doch nicht aus Pappe! Faß mich doch an!«

Ihr Blick durchkältete ihn. Er fühlte etwas zwischen sich und ihr, das er nicht erfassen konnte.

»Du bist da!« sagte sie. »Das ist wahr! ... Aber mir ist das zu wenig! Ich bin nicht so genügsam angelegt. Eine Zeitlang wohl ... Aber dann.« Sie machte eine müde, ablehnende Handbewegung.

»Du bist mir jetzt so fern!« sagte sie, leicht zusammenschauernd, »so furchtbar fern! ... Mir ist, als kennten wir einander gar nicht!«

»Ich bin Dein Mann!«

»Ja!«

»Und bitte mir aus, daß Du mich als solchen respektierst, meine Liebe!« Sein Ton war barsch. Er fühlte: Jetzt galt es seine gefährdete Autorität.

»Nach außen gewiß!«

»Nein, überhaupt! ... Bedenke gefälligst, wen Du vor Dir hast! Ich hätte doch wahrhaftig andere Partien machen können! Aus reiner Liebe zu Dir habe ich ...«

Er verstummte eine Sekunde. Aber dann konnte er sich nicht enthalten, erbittert fortzufahren:

»Wer heiratet denn sonst in meinen Kreisen ohne Mitgift? Du hast doch sozusagen das Große Los gezogen! Ich habe Dich zu allem gemacht, was Du bist! Und das ist nun der Dank!«

Er hätte die Worte, kaum daß sie heraus waren, gern zurückgerufen. Zu seiner Erleichterung wirkten sie, wie ihm schien, nicht weiter auf seine Frau. Sie blieb ganz gelassen.

»Darauf hab' ich nur noch gewartet,« versetzte sie ruhig, »daß Du mir das sagen würdest!«

»Hab' ich etwa nicht recht?«

Da schrie sie plötzlich verzweifelt auf:

»Poche Du nur auf Deinen Kaufpreis! Betrachte Du unsere Ehe, wie Du's verstehst! Du hast freilich recht ... Was rede ich denn hier vor tauben Ohren? Also reise nur, Charley! Reise! Ich halte Dich nicht!«


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