Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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148 General Kaulbars.

Herrn Wippchen in Bernau.

Zu unserem und gewiß auch zu unserer Leser Leidwesen haben Sie uns bisher aus Bulgarien nur einen einzigen Bericht geschickt und alsdann nichts wieder von sich hören lassen. Wir nehmen nicht an, daß Sie die Vorgänge in Bulgarien für unbedeutend oder für gleichgültig halten, und können Ihnen versichern, daß man sich allgemein sehr für dieselben interessirt und begierig ist, direkte Nachrichten aus Sofia zu erhalten. Haben Sie also Zeit, oder werden Sie nicht gar durch Unwohlsein verhindert, so bitten wir Sie, uns baldigst wieder mit bulgarischen Nachrichten zu versorgen.

Wir besitzen aus ihrer Feder noch einen 149 Artikel, betitelt: »Der Madrider Putsch«, den abzudrucken wir uns aber nicht entschließen konnten. Denn Sie haben denselben doch zu durchsichtig nach Schiller's »Don Carlos« gearbeitet, nur daß Sie an die Stelle des Königs Philipp die regierende Königin setzen und dieselbe als eine Tyrannin ersten Ranges schildern, und nun alle Madrider als ein Posa-Volk hinstellen, welches sich in Haufen vor dem Schloß versammelt, daselbst brüllend Gedankenfreiheit verlangt und mit den Worten vom Balkon herunter: Sonderbare Schwärmer! abgewiesen und dadurch in große Wuth versetzt wird. Das geht doch wirklich nicht.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 14. October 1886.

Wenn ich einen Bericht für Ihr werthes Blatt in die Post stecke, so sitze ich immer längere Zeit auf Kohlen, und zwar in meiner Eigenschaft als Journalist auf Preßkohlen, denn ich erwarte dann stets einige Zeilen von Ihnen, durch welche mir die Holzwege gewiesen werden, auf denen ich mich befinden soll. Mit einer Wuth, welche eines besseren Berserkers 150 würdig wäre, lassen Sie mich dann in einen Eulen- oder in sonst einen Spaßvogelspiegel schauen, damit ich sehe, weß Geistes unreifer Knabe ich einmal wieder gewesen bin.

Es ist wahrhaft überraschend. Nun kommt Ihnen wieder mein Don Carlos spanisch vor. Ja, weiß denn irgend ein Mensch, was in Madrid eigentlich passirt ist? Wer das wüßte, der wäre unter allen unwahren Jakobs der einzig wahre, ein avis, wie er rarer nicht gedacht werden kann, ein Mann von so vielen Graden wie etwa eine tropische Hitze, der nathanste Weise, der auf Erden existirt. Jeder Berichterstatter erfreute sich eines anderen Lichts, in welchem er die Madrider Vorgänge darstellte, und ich allein sollte mich um einen Scheffel bemühen, um mein Licht unter denselben zu stellen? Das können Sie absolut nicht verlangen, und wenn Sie es verlangen, so ist mir dies – verzeihen Sie das harte Wort! – gleich, denn da ich kein Kiekindiepresse, kein Springinsschlachtfeld bin, so muß ich besser als Sie das Geschirr kennen, in das ich zu gehen habe, wenn ich einem politischen Ereignisse nähertrete.

Mehr als in anderen Ländern herrscht in Spanien fortwährend ein Chari und Vari, ein Tohu und Bohu, der Wirth weiß oft nicht, wer Kellner ist, und umgekehrt, und die Verwirrung ist häufig so groß, daß sie im Thurm zu Babel nicht Platz hätte. Das weiß alle Welt, und nun sagen Sie, daß mein Bericht nicht zu gebrauchen sei, weil ich mich an das Madrid des Schiller'schen Don Carlos lehne! Ich lehne 151 mich nicht leichtsinnig an, ich patsche niemals tol, und damit Dixi.

Lediglich nur, um Ihnen zu zeigen, daß ich Niemand einen Zaun, von dem ein Streit gebrochen worden ist, nachtrage, sende ich Ihnen einliegend den General Kaulbars, der ja doch diesen Augenblick die Ohren von ganz Europa zum Spitzen bringt. Ich erlaube mir nur, alle Scherze auf den Fisch so hinunter wie möglich zu schlucken. Sie stimmen alle nicht. Der Fisch ist stumm und schreibt sich seines Wissens mit einem sch am Ende. Ferner sagt Brehm, der Kaulbarsch (auch Kugel-, Steuer-, Gold- und Rotzbarsch, Stuhr, Schroll, Rauhiger, Rotzwolf, Rotzkater und Pfaffenlaus genannt) erreiche eine Länge von 20 bis 25 Centimeter und ein Gewicht von 120 bis 125 Gramm, er habe einen kurzen, gedrungenen Leib, eine stumpfe Schnauze u. s. w., alles das paßt keineswegs auf den General wie die Faust auf's Auge, und würde den Leser verstimmen wie ein Clavier.

Angesichts der Verwickelungen, in welche immerhin Rußland durch Kaulbars gerathen kann, ist zu befürchten, daß die russische Valuta einen Niederschwung erfährt, und ich glaube ihnen daher gefällig zu sein, wenn ich Ihnen Ihre Rubel abnehme. Ich bitte Sie deshalb um einen Vorschuß von 25, einerlei ob kreditnü rubl, rubl metallitscheski oder rubhl szerebrom, damit sie meinen guten Willen sehen, Ihnen zu helfen.

* * *

152 Sofia, den 12. October 1886.

W. Soll ich den General Kaulbars weder pro- noch konterfeien, sondern gewissenhaft porträtiren, so muß ich ihn so schildern: er ist ein Mann, der mit dem Kopf durch Dick und Dünn rennt, wenn dies von Väterchen (lies Batjuschka) befohlen wird, ein Mann, der für den Zaren durch das Feuer geht, und dem darin Keiner das Wasser reicht, ein Mann, der für den Kaiser freudig seinen Tod hingiebt, ein Mann, der, wenn es nöthig ist, unter seinen Gegnern eine Bartholomäushochzeit anrichten, ein Mann, der seinen eigenen Sohn auf dem Altar des Vaterlandes in den Kerker werfen würde, wenn der Dienst es forderte. Er ist ein Landsknecht, der allmälig ausstirbt, ein Soldat, der dem Grundsatz huldigt: »Wo man sengt, da laß' Dich ruhig nieder.« Ich brauche nicht zu sagen, daß ein solcher Mann ein Mißgriff war, völlig ungeeignet, den Abgrund, der sich aufgethan hatte, mit den Fackeln der Eintracht zu füllen und die Gemüther wieder zu beruhigen.

Seit Kaulbars hier ist, stellte sich Bulgarien auf die hintersten Beine, auf die sich jemals ein Volk gemacht hat, um seine Unabhängigkeit vor Ueber- und Untergriffen zu schützen, und jemehr der General es reizte, ihm ein Haar zu krümmen, desto sorgfältiger glättete es ihm dasselbe. Denn es wußte längst, daß Rußland fortwährend auf der Lauer lag, und eine solche befand sich an gar vielen Orten.

153 Die Sobranje, so klein sie war, wuchs dem General über den Kopf, so daß er nicht mehr wußte, wo ihm derselbe stand.

Seit einer Woche befindet sich Kaulbars auf der Reise, um überall, wo er einen Funken findet, ein Pulverfaß herbeizuschaffen, und wo er auf Oel stößt, Feuer hinein zu schütten. Aber es gelang ihm nicht, weder in Rustschuk, noch in Varna, weder in Widdin, noch in Sistowo. Im letzteren Ort forderte er die Offiziere der Garnison auf, zu ihm zu kommen, aber sie weigerten sich derart, daß er selber nicht zu sich kommen konnte.

Ein seltsamer Ritter des Kaiserthums, in der That! Wo er keine Emeute entdeckt, da stiftet er sie, und wo weit und breit der Krater der Revolution geschlossen ist, da sucht er ihn zu öffnen. Ohne Zweifel wird aber der Zar sehr bald einsehen, daß er den Bock, den er geschossen, zum Gärtner machte, und flugs wird man diesen seinen merkwürdigen Diener vergeblich auf der Bildfläche suchen.

Und bald wird Kaulbars verschollen sein, und kein Hahn wird sich heiser nach ihm krähen.

 


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