Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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13 Der russisch-chinesische Krieg.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Mit großem Bedauern war es uns längere Zeit unmöglich, Berichte aus Ihrer Feder zu veröffentlichen, so dankbar wir Ihnen sind, daß Sie es nicht an Versuchen fehlen ließen, Ihre geschätzte Berichterstattung fortzusetzen. Leider konnte uns die Wahl Ihrer Stoffe nicht zusagen. Ihr Zugreifen erschien uns denn doch zu kühn und munter, da Sie u. A. den Conflikt zwischen Preußen und Hamburg wegen der Vorstadt St. Pauli in einen Krieg ausarten ließen, derart, daß Sie an den Ufern der Elbe und Alster »à Berlin!« rufen hörten und in dem Senator Versmann den Ueberbringer der Kriegserklärung sahen. Derlei ist absolut unmöglich. Wir 14 bewunderten nur Ihre Ruhe, mit der Sie einen Bürgerkrieg in Aussicht stellten. Nicht minder gewagt erschien uns Ihr Bericht aus der Südsee mit der Schilderung eines Aufstandes der Samoaner, welche den deutschen Generalconsul Zembsch für die Rede Bambergers im deutschen Reichstag verantwortlich machen! Aber Herr Wippchen! Dagegen gefällt uns Ihre Absicht, den Krieg zwischen Rußland und China zu eröffnen, ganz besonders. Hier haben Sie wegen des uns sehr fern liegenden Schauplatzes die beste Gelegenheit, Tüchtiges zu leisten. Es dauert ja in jedem Falle sehr lange, bis authentische Nachrichten aus Asien eintreffen und falsche Mittheilungen widerrufen werden. Beginnen Sie also. Ihr Verlangen, daß wir Ihnen ein Paar ganz enger Schuhe und einen langen Zopf schicken sollen, ist wohl nur in der Uebereilung gestellt worden.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

15 Bernau, den 13. Mai 1880.

Sie können sich leicht denken, daß ich über Ihre Antwort sehr erfreut war. Denn, da Sie in jedem Damoklesschwert ein Haar zu finden pflegen, so war ich natürlich überzeugt, daß mein Vorschlag Alles in Ihren Augen finden würde, nur keine Gnade. Denn Sie sind eben eine kritische Natur, jeder Ihrer Momente ist ein kritischer, und wenn Ihnen, wie Pharao, sieben fette Josephs im Traume erschienen, so würden Sie ausrufen: Gott wie mager! Ohne die Achseln sorgfältig zu prüfen, zucken Sie sie, und oft kommt es mir vor, als hätten Sie Ihre Schulter nur empfangen, um meine Vorschläge über dieselbe anzusehen. Das lähmt meinen Eifer und verwandelt mich – verzeihen Sie das harte Wort! – in einen Ikaros, dessen wächserne Flügel, Ihrer werthen Nase zu nahe kommend, unter deren Rümpfen zusammenschmelzen. Um so mehr freute es mich, daß Sie, als ich Ihnen meinen neuesten Plan vorlegte, wie ein Blitz ans heiterer Höhe einschlugen.

Ja, ich entfessele die Marsfurie zwischen Rußland und China! Worauf soll ich noch warten? Ueber kurz oder gut muß es ja dahin kommen. Rußland braucht einen Krieg, um seine Völker zu beschäftigen. In einem Krieg lenkt Rußland das Kraut und die Rüben seiner inneren Verhältnisse nach außen, durch einen Krieg umgiebt der Koloß seine Füße mit neuem Thon. Die Gelegenheit ist 16 günstig. China, das Reich der goldenen Mitte, reicht ihm den casus, und Rußland nimmt sich den ganzen belli. Der Kuldscha-Vertrag ist der Zaun, von dem Rußland die Bellona bricht. China hat es Rußland gegenüber an der nöthigen Vorsicht fehlen lassen, und das ist nach einem alten Volksmund bekanntlich die Mutter der Dummheit: ich möchte, – wenn dies sit venia erlaubt ist – die Chinesen Chikanesen nennen. Sie spielten mit der Keule des nordischen Bären, sie glaubten, der Tiger schliefe, weil sein böser Leumund nicht brüllte, und irrten sich, denn plötzlich schlägt er, nach Schiller, mit dem Schweif einen furchtbaren Reif in der Frühlingsnacht, und – da liegt der Würfel begraben!

Ich fluchte, was vom Himmel herunter konnte, als ich las, daß Sie mein Verlangen nach engen Schuhen und einem Zopf ein übereiltes nennen. Sie scheinen nicht zu wissen, daß Beides ein Vademecum sine qua non der Chinesen ist. Dagegen bitte ich Sie um einige Buch Reispapier, ein Paar Nankingbeinkleider und, denn aller guten Grazien sind drei, eine chinesische Grammatik, da ich, unter uns gestanden, ein schreckliches Kauderchinesich spreche. Außer Thee, Tusch, Pagode und Mauer kenne ich kaum ein chinesisches Wort. Ich weiß nicht einmal, wie Vorschuß in chinesischer Zunge verlangt wird. Wird Sie das abhalten, mir 50 Mark (etwa 25 Taels) zu senden? Dieselben brauchen indeß kein viereckiges Loch zum Aufreihen zu haben, da in China nur die Kupfermünzen auf einer Schnur getragen werden.

17 Hier meine neue Adresse:

* * *

Peking, den 15. April 1880.

W. Nach einer unbeschreiblich beschwerlichen Reise bin ich gestern schachmüde hier angekommen und im Hôtel »Zum grünen Dschingiskhan« abgestiegen. Der Eindruck, den Peking auf jeden Nichtchinesen macht, ist überwältigend. Diese Riesenstadt mit ihren Millionen Einwohnern, dieses Klingeln der Pagoden, dieses Tanzen mit erhobenen Zeigefingern, dieses Verkrüppeln der Füße, dieses Abrasiren des Schädels bilden das Kaleidoskopste, was man sich denken kann, und es war schwer, an die Arbeit zu gehen, die mich hierherführte.

Nach einem frugalen Elfenbeinstäbchenfrühstück (der Chinese hat bekanntlich keine Gabel) ging ich aus, um mich 18 zu informiren. Ueberall fand ich Vorbereitungen zum Losschlagen, und es muß sich nun zeigen, was die Chinesen seit dem letzten Krieg gegen Frankreich gelernt haben. Die Stadt ist überfüllt mit Soldaten, welche aus Hongkong, Shangai, Nanking und Bucksking herbeieilten. Große Anleihen und neue Steuern sind ausgeschrieben worden, so daß das »Opiumchen des armen Mannes« bald sehr vertheuert sein wird. Ueberall hört man die Wacht am Amur, mehrere Reiswurstfabriken sind eröffnet, ein feierlicher Confuciusdienst ist angeordnet worden und die Stiftung einer eisernen, hier als höchste Auszeichnung geltenden Pfauenfeder 1. und 2. Classe für Tapferkeit vor dem ehemaligen Freunde zu erwarten. Der Handel ruht fast gänzlich, die Karavanen sind geschlossen.

Sie sehen, es wird Ernst. Nun frägt es sich, ob den Chinesen im Mars Fortuna lächeln wird.

Verzeihen Sie, wenn ich diesen Brief nicht frankire. Die von der Cultur beleckte Briefmarke scheint bis hierher noch nicht gedrungen zu sein.


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