Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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96 Arabi vor Gericht.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sie haben so lange nichts von sich hören lassen, daß wir uns wohl endlich entschließen müssen, Sie um den Grund dieses ganz ungewöhnlichen Stillschweigens zu befragen. Dasselbe überrascht uns geradezu. Wir wissen allerdings, daß diesen Augenblick kein Krieg vorliegt, und daß sich aus diesem Umstand Ihre Zurückhaltung hinreichend erklärt. Indeß erinnern wir uns, daß Ihnen in ähnlichen Zeitläuften stets irgend etwas einfiel, womit Sie die bedauerlichen Lücken auszufüllen wußten. Wir bitten Sie darum, zu dieser löblichen Gewohnheit zurückzukehren und sich Ihren zahlreichen Lesern nicht länger zu entziehen. Wir meinen damit nicht, daß Ihnen um jeden 97 Preis ein Krieg einfallen soll, der sich ja auch künstlich nicht so leicht herstellen läßt, aber etwas dem Verwandtes könnten Sie immerhin bewerkstelligen. Hoffend, daß Sie dazu ebenso gern bereit sein werden, wie wir uns zur Zahlung der inzwischen gewünschten Vorschüsse bereit finden ließen, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 30. November 1882.

Die Klage, welche Ihr werthes Schreiben vom gestrigen Tage füllt, ist funkelnagelalt. Ich höre sie seit Anno Olim. Nicht nur im gedichtetsten Kugelregen soll ich zur Feder greifen, mit dem Sieger vorgehen, mit dem Fliehenden auf dem Laufenden bleiben, keine Schlacht aus den Augen verlieren, mir kein Bombardement aus der Nase gehen lassen und auf allen Schlachtfeldern zu Hause sein. Nein, wenn auch nirgends der leiseste Schanzensturm weht, wenn alle Großmächte die Friedensaxt ausgegraben haben, wenn, wie in diesem Augenblick, Europa in größter Unruhe daran denkt, daß die Ruhe gestört werden und, wie Schiller's Kapuziner sagt, der Herrgott den Kriegsmantel aus den blutigrothen 98 schwarzen Punkten am Horizont herunterhängen könnte, soll ich die Thür des Janustempels an den Angeln zappeln lassen und die Köpfe der Friedenspfeife, welche die Völker eben gemüthlich mit Oelblättern stopfen, blutig schlagen. Ueberall herrscht – verzeihen Sie das harte Wort! – tiefster Frieden, und ich, anstatt mich zu freuen, daß ich ausrufen kann: Toujours sans vedette! ich sollte einen Krieg, der im weiten Felde ist, in ein nahes rücken und meine Geistesfunken in das Pulver- und Bleifaß schleudern? Ich sollte den Hecht in den Karpfenteich setzen, damit er daselbst das Karnickel spiele, in denselben ruhigen Bach, an welchem der Friede, ein lieblicher Knabe, gelagert liegt? Nimmermehr! Nach dem alten Wort: Si vis strapacem, para bellum bin ich zwar gerüstet, jeden Augenblick mich in die Mühen einer neuen Kriegsberichterstattung zu stürzen, dazu bedarf ich aber eines wirklichen und keines Spiegelgefechts.

Dies schreibe ich Ihnen in aufrichtiger Freude darüber, daß in diesem Moment kein Volk ein anderes in die Kriegsdrommete stößt. Ich bin kein Freund des Kriegs, ich bin ein heiterer Mensch, ein wahrer Fidelio. Kaum also war der orientlos scheinende Krieg zu Ende, und es freute sich auf's Neue der Muselmann im Kreise seines Muselweibes und seiner Muselkinder des wiedergewonnenen Friedens, da stimmte auch ich den Pegasus wieder und spielte auf seinen Flügeln wieder meine Lieder, welche ich bald wie ein Lauffeuer zu veröffentlichen gedenke. Dies soll mich aber nicht abhalten, Ihren 99 Wunsch zu erfüllen und Ihnen einen Bericht aus Kairo zu schicken, woselbst ich Arabi vor Gericht gestellt habe. Das ist nur schon allzusehr auf die lange Bank der Angeklagten geschoben worden, der sich durch die Leserkreise ziehende rothe Faden der Geduld droht zu reißen, und so denke ich, daß die Gerichtsverhandlung allgemein befriedigen wird.

Sie sehen, ich bin trotz alledem auf dem Posten. Schicken Sie mir gefälligst einen solchen von 60 Mark Vorschuß. Wünschen Sie mehr, so legen Sie sich keinen Zwang auf, ich bin ein Feind aller Differenzen.

* * *

Kairo, den 25. November 1882.

W. Ich war heute Morgen noch im tiefsten Nachthemd, als ein Gerichtskawasse bei mir eintrat und, indem er mit seiner Stirn den Staub der Mutter Erde berührte, anhub: »Salem alek sei mit Euch, erhabener Giaurling! (giaur = fremd). Ich kündige Euch an, daß um 11 Uhr präcise (pünktlich) der Cerberus (Höllenhund) Arabi vor seinen Richtern stehen wird.« Ich beschenkte ihn reich, und nachdem er nochmals den Fußboden geküßt hatte, ging er wieder fort. Ich trank flink meine Früh-Cocosnuß und zog mich vollends an. Da ich mir ein Maul halte (dieses Wort ist hier der Schimpfname des Viehs naturel von Esel und Pferd), so bestieg ich dasselbe und trabte in das Gerichtsgebäude. Von 100 allen Seiten strömte das Publikum herbei, tout Kairo war erschienen, als handle es sich um eine zum ersten Mal gegebene Premiere. Ueberall begrüßte ich Bekannte, da mich hier bereits jeder bunte Hund kennt; es war, als hätten wir Billets zu einem Fest- und nicht zu einem Trübsal. Der Raum, in welchem die Gerichtsverhandlung stattfand, war so groß, daß es fraglich ist, ob die Nemesis die Schuldigen wird erreichen können.

Um die festgesetzte Stunde wurde Arabi in den Saal geführt. Er ist im Gefängniß nicht jünger geworden. Ein dichter Bart bedeckt sein glattes Gesicht, dessen Röthe von einer auffallenden Blässe übergossen ist. Er ist ein untersetzter, schlanker Mann, aus dessen sanften Augen die Flammen sprühen, welche Alexandrien verzehrt haben. Als er den Anklagedivan betrat, eröffnete er sofort die Verhandlung. Er ermahnte die Richter, streng bei der Wahrheit zu bleiben, nicht zu rauchen und die Hoffnung auf sein Gerechtigkeitsgefühl nicht sinken zu lassen. Dann fragte er nach ihren Namen, ob sie schon bestraft, oder immer gut davongekommen seien &c. Hierauf sprach er:

»Sie sind beschuldigt, mir anstatt dem Sultan gegen besseres Wissen den Brand, die Plünderung, den Mord und den Aufruhr in die Schuhe geschoben und mir dadurch mehrere Monate Gefängniß verursacht zu haben. Sie wußten, daß ich Alles, was ich dem Sultan nur an den Augen absehen konnte, niederbrannte, daß ich ihm die Morde aus dem Munde 101 nahm, aus seiner Seele heraus plünderte und ihm das Land gegen den Khedive aufrührte. Sie wußten, daß der Sultan meine Haut zu Markte trug, daß ich seinen eigenen Willen hatte und daß er meine Augen vor dem Abgrund verschloß, an den er mich seine geliebte Nation führen ließ. Und doch! Was haben Sie darauf zu erwidern?«

Als die Richter das Wort ergreifen wollten, schrie Arabi: »Schweigen Sie!« Dann fuhr er fort: »Sie sind daher angeklagt, sich gegen den Sultan aufgelehnt, gegen dessen Befehl den Khedive auf den Thron gestoßen und mich im Stich, den ich den Engländern beibringen sollte, gelassen zu haben. Nur ein offenes Bekenntniß kann Sie retten! Ich bekenne Sie schuldig, ich bin bereit, offen einzugestehen, daß Sie die mir zur Last gelegten Verbrechen begangen haben. Ich kann Ihrem Tode nur entgehen, wenn Sie reumüthig zugeben, denselben zu verdienen.«

Hierauf nahm er mit den Richtern ein Halbmondverhör vor. Bei Schluß des Blattes dauert dasselbe fort.


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