Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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7 Der Bibelübersetzer Achmed Tewfik.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sie haben zu unserem Bedauern seit den ersten Tagen des December vorigen Jahres nichts Wesentliches von sich hören lassen, und es ist somit in Ihrer geschätzten Berichterstattung eine lange Pause eingetreten, welche wir Sie nunmehr zu beenden bitten. Wir haben seit jener Zeit von Ihnen nur einen Brief erhalten, in welchem Sie uns mittheilen, daß Sie sich bei dem Glatteis am 28. December durch einen unglücklichen Fall Ihre Garderobe »verstaucht« haben und deshalb eines größeren Vorschusses bedürften, den wir Ihnen auch schickten. Dann empfingen wir am 1. Januar Ihr »donnerndes Prost-Neujahrzehnt«, für das wir Ihnen herzlichst danken, und ferner einen 8 Vorschlag, auf den wir leider nicht eingehen können. Wie Sie uns nämlich schreiben, haben Sie die Absicht, zum Besten der oberschlesischen Nothleidenden einen Krieg zwischen Deutschland und den Südsee-Inseln, wie Sie schon früher beabsichtigten, ausbrechen zu lassen, Ihren ersten Bericht unserm Blatte beizulegen und denselben in allen Buchhandlungen, Zeitungsexpeditionen und »auf allen fliegenden Bahnhöfen« verkaufen zu lassen. Preis des Exemplars: ein altes Kleidungsstück. Diese Idee, so originell sie sein mag, ist natürlich unausführbar, speciell wegen des Krieges gegen die Südsee-Inseln. Derselbe scheint eine Ihrer Lieblingsideen zu sein, damit aber ist er doch noch nicht ausgebrochen oder auch nur möglich.

Nochmals: Beenden Sie die lange unfruchtbare Pause und erfreuen Sie uns umgehend durch einen interessanten Artikel.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

9 Bernau, den 15. Januar 1880.

O diese ewige und alte Einerleier! Das Jahr 1879 verlief sich im Sande der Kronos-Uhr, das neue Jahr stieg aus dem Zahn der Zeit empor, Sie aber sehe ich nicht, um mit Schiller zu singen, mit Ihrem Palmenzweige an des Jahrzehnts Neige stehen. Nach wie vor höre ich Sie mit mir nur in Misantropen reden, nach wie vor sind Ihnen meine neuen Ideen ab und zuwider, nach wie vor wollen Sie mir nichts als ein Dutzfeind, mir auch im neuen Jahre ungewogen sein! Vergebens rufe ich wie ein Ertrinkender nach einem Samiel, verzweifelt möchte ich Dalberg fragen, ob er da sei.

Wollen Sie auch im neuen Jahr auf jedes meiner Manuskripte wie ein hungriger lupus a non lucendo losstürzen und es zerfleischen? Dann möchte ich jetzt wie Karl Moor das brüderliche Tischtuch zerreißen und lieber von meinen eigenen Füßen in den Mund leben, als abermals ein ganzes Jahr lang zu Ihrem bösen Spiel meine guten Minen springen zu lassen. Denn aus Ihrer Pfeife, nach der ich tanzen soll, rauchen Sie mir denn doch einen etwas zu starken Tabak. Ich bin – verzeihen Sie das harte Wort! – kein Kind mehr, der einst helle Haufen meiner Haare wird immer heller, und ich kann meine literarische Laufbahn nur nach derjenigen Reiseroute zurücklegen, die ich mir selber aufbinde.

10 Soll ich nichts gegen den oberschlesischen Nothstand thun, so wird es mir doch wohl gestattet sein, meinen eigenen nach Kräften zu beseitigen. Nur schleunige Hülfe kann auch hier helfen. An alten Kleidern, Saatkartoffeln und Chausseen fehlt es mir nicht. Dagegen brauche ich baaren Vorschuß, und ich bitte Sie daher, an vier Postschaltern je 10 Mark (zusammen 40) für mich einzuzahlen, und zwar rasch, was Sie nach dem alten Sprichwort veranlassen wird, das Doppelte zu schicken.

Der einliegende Bericht wird Ihnen gefallen, er lehnt sich an Goethe's Faust an.

* * *

Konstantinopel, den 11. Januar 1880.

W. Die Gefahr, gestern noch im Verzuge, heute ist sie vorüber. Als ich noch gestern bis über die Ohren in mora war, wollte ich Ihnen nicht schreiben, um das Gefühl der Leser zu schonen. Denn wenn man bedenkt, daß nach dem letzten Kriege, der im Namen der Kultur das goldene Horn röthete, ein noch nicht bestrafter Türke wegen einer Bibelübersetzung vom Leben zu Mahomeds Paradies gebracht werden sollte, dann hat man wohl das Recht, zu fragen: Was hat es nun genützt, daß Gortschakoff von Bismarcks Hund gebissen worden ist? Lassen Sie sich erzählen.

Achmed Tewfik ist ein Mollah. Er wird wissen, was das ist. Vor längerer Zeit nun saß dieser Mollah, von einem 11 Spaziergang mit einem zugelaufenen schwarzen Pudel heimgekehrt, in seiner engen Zelle. Wieder brannte die Lampe freundlich, und es drängte ihn, den Grundtext der Bibel aufzuschlagen und mit redlichem Gefühl das heilige Original in sein geliebtes Türkisch zu übertragen. Kaum aber hatte er einige Kapitel fertig, als der Pudel zu bellen und zu heulen anfing und, als ihm der Mollah dies untersagte, derart anschwoll, daß er schon wie ein Nilschimmel aussah. Der Mollah war außer sich, und mit zu Berge stehender Glatze griff er zu Salomonis Schlüssel, welcher für solche halbe Höllenbrut gut sein soll. Der Schlüssel that seine Wirkung, indem er das Räthsel löste. In dem Pudel hatte nämlich ein Spion gesteckt, der nur dahinter kommen sollte, ob der Mollah wirklich sich der Bibelübersetzung schuldig mache. Das war nun nicht mehr zu leugnen.

Der Mollah war auf frischem Flagranti ertappt und wurde in die nächste Nummer Sicher geschleppt, wo der Arme bei Wein und Brot (nur der freie Türke trinkt keinen Wein) sein Urtheil erwartete.

Dasselbe lautete auf Tod, Hinrichtung und Verlust des Lebens. Es war ihm bewiesen worden, daß er die Bibel vorsätzlich und mit kalter Ueberlegung übersetzt hatte und daß er bei Begehung der Uebersetzung zurechnungsfähig gewesen sei.

Das hörte der englische Botschafter Sir Henry Layard, und sofort drohte er dem Sultan mit seinen Pässen, wenn dem Mollah der Kopf gekrümmt würde. Der Sultan traute 12 anfangs seinem Trommelfell nicht. Als er aber sah, daß der Botschafter weder türkisch noch englisch mit sich reden ließ, befand er sich in wenigstens 500 Aengsten, zog von zwei Uebeln den Kürzeren und ließ den Verurtheilten vom Tode zum Leben führen. Achmed Tewfik wird nach der Insel Chios geschickt, und ich will hoffen, daß unterwegs kein Selbstmord an ihm begangen wird.

Wenn aber der Sultan nicht nachgegeben und dann England sein Schwert auf die Goldwage gelegt hätte? Ein entsetzlicher Gedanke, von dem ich mich dadurch befreie, daß ich wünsche, alle Türken, welche fortan die Bibel übersetzen wollen, möchten dies im Interesse des europäischen Gleichgewichts nicht in ihrer Heimath thun, sondern z. B. in Wittenberg.


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