Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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121 Die ägyptische Conferenz.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir waren nicht wenig überrascht, als wir auf unsere Bitte an Sie, uns Berichte aus der ägyptischen Conferenz zu senden, die Antwort erhielten, dies passe Ihnen augenblicklich nicht, Sie wollten uns aber später höchst interessante Kriegsberichte schicken, an denen wir unsere Freude haben würden, Sie wüßten nur noch nicht, für welchen Krieg Sie sich entscheiden sollten. Wir können Ihnen darauf nur erwidern, daß wir die Conferenzberichte brauchen und unsere Leser, welche deren erwarten, doch unmöglich auf einen Ihrer nächsten Kriege vertrösten können, ganz abgesehen davon, daß wir absolut nicht wissen, was für einen Krieg 122 Sie im Auge haben können. Wir sehen nirgends auch nur den Ansatz zu irgend einer ernsten Verwickelung. Wie gesagt, wir brauchen Conferenzberichte. Die ägyptische Conferenz tritt zusammen, – auf was sollen wir denn warten? Wir wiederholen also unsere Aufforderung. Haben Sie keine Zeit oder Lust, ihr Folge zu leisten, so bitten wir um telegraphische Mittheilung.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 3. Juli 1884.

Sie lesen sich in Ihrem geschätzten Schreiben ganz unnöthig in die Leviten hinein. Ich habe Ihnen vorgeschlagen, auf die ägyptische Conferenz zu verzichten, weil ich mich nach Ruhe sehnte. Wie der Hirsch nach dem Wasser Thalatta schreit, so ich nach irgend einem Flecken, wo ich einige Wochen lang ganz Waldmensch sein kann. Muthwillig und mit ausgelassener Freude möchte ich in den Klee springen, unter den Zweigen alter schattiger Dryaden mich in's Gras strecken, oder mich, klingt dies auch verzagt, wie eine Flinte in's Korn werfen. Ich sehne mich nach den Bergen, um dort den ewigen Schnee einzuathmen und mit keinem anderen 123 Weibe als mit der kühlenden Windsbraut zu verkehren. Dem Schlag der Nachtigall und des Gewitters will ich lauschen, sonst trifft mich der der Nerven so sicher wie ein guter Portraitmaler. Ja, nach einem arbeitsvollen Winter, in welchem sich meine Feder ewig am Spieß drehte, bin ich so nervös geworden, daß mich die Fliege an der Wand, der Floh im Ohr, der Wurm am Herzen, die Raupe im Kopf ärgern. Jedes Geschöpf erholt sich nach gethanem Schweiß, selbst das erbärmlichste Droschkenpferd wird Abends abgespannt, der Hund, der nicht auf sich selbst kommen soll, darf nicht ununterbrochen den Hasen nachlaufen, und die Henne, welche nicht dann und wann etwas anderes als die ewigen Eier legt, wird bald alle Zwei von sich strecken. Man muß eben nichts über-, nichts untertreiben. Est modus in Rebus, auch im schwersten. Und so wollte ich denn eben den Staub von den Schuhen schütteln und diese einpacken, da kam Ihr Brief, dessen Inhalt alle meine Pläne – verzeihen Sie das harte Wort! – durchkreuzte.

Ich lehnte also ab, ohne zu schwanken wie ein Charakterbild in der Geschichte. Von der ägyptischen Conferenz wollte ich mir doch keinen Strich durch meinen gepackten Koffer machen lassen. Die Conferenz wird den Sand nicht werth sein, in dem sie verlaufen dürfte. England befindet sich in tausend Aengsten und will Frankreich die Hälfte derselben ehrlich ablassen, den Franzosen wird aber alsbald das Licht aufgehen, hinter welches sie geführt werden sollen, und wenn 124 sie erst einsehen, daß sie den Engländern nur die Kastanien aus dem Nil holen sollen und daß dabei weder Kopf noch Kragen zu gewinnen ist, werden sie sich schon seitwärts in einen Vorwand schlagen, um sich anständig aus der Affaire zu ziehen. Das übrige Europa wird ruhig abwarten und sich um das Schicksal der Conferenz keine grauen Haare scheeren.

So wollte ich denn die ägyptische Conferenz links zusammentreten lassen und versprach Ihnen als Ersatz die interessantesten Kriegsberichte. Ich habe schon mehrere Schlachten halb fertig. Denn daß solche nicht ausbleiben, das steht so fest wie zwei mal zwei. Frankreich tanzt in China auf einem Hephästos, und jeden Augenblick kann zwischen den beiden Mächten der blutige Strauß ein Kukuksei ausbrüten. Die Holländische Thronfolge ist gleichfalls dazu angethan, uns den rothen Hahn über dem Kopf anzuzünden. Und wird die Schweiz lange den Hetzereien der Franzosen gegen Deutschland widerstehen? Die Schweiz ist ein heißblütiges kühnes Land: in jedem Winkel ein Ried. Sie sehen, es wird nicht an Arbeit fehlen.

Trotzdem will ich Ihrem Verlangen nachkommen, da Sie in Verlegenheit sind. Ich gebe einen meiner piasten desideria auf, unterlasse die Sommerfrische und sende Ihnen einliegend den geforderten Congreß, der Ihnen hoffentlich zusagt. Von diesem Congreß aber kann ich nicht sprechen, ohne an die Finanzen zu denken, wegen deren ja doch der 125 Congreß in's Leben zusammentritt. Da fallen mir denn auch meine Finanzen ein, und wenn Sie mir nun einen Vorschuß von 3 Pfund Sterling schicken wollten, so würde dem Briefträger dieses Gewicht selbst bei schwüler Witterung gewiß kein zu schweres sein.

* * *

London, den 2. Juli 1884.

W. Man darf nicht glauben, daß der ägyptische Congreß, der so eben hier aus dem so in die Länge gezogenen Ei gekrochen ist, in der Physiognomie der Riesenstadt irgend welche Veränderung hervorgebracht hat. Das Häusermeer braust darum nicht ungestümer, London Bridge (sprich London Bridge) ist darum nicht brechender voll. Alles ist unverändert. Als die Congreßmitglieder eintrafen, empfing sie kein weithinschallender Triumphbogen, kein Lord Mayor (sprich Lord Mayor) bildete Spalier, kein Fenster war mit wehenden Taschentüchern dicht besetzt. Kurz, es krähte kein Engländer nach ihnen. Sie kamen und fuhren in's Hôtel, das war das Ganze, und wenn sie wieder abreisen, wird London sagen: Punctum, streu' Saliens drum! Eine Weltstadt hat eben nicht Zeit, jedes Blatt der Weltgeschichte besonders vor den Mund zu nehmen.

Ich bin im »Goldenen Shakespeare« in der Nähe des Tower (sprich Tower) abgestiegen. So bin ich in der Nähe 126 des Congresses, welcher nunmehr in einem Saal des auswärtigen Amts zu verhindern sucht, daß Aegypten über den Charon fährt und ihm der letzte Orcus auf die Wange gedrückt wird.

Das arme Aegypten! Welche Citrone ist aus dem einst blühenden Lande geworden! Heute ist es verwüstet und – Embarras de pauverté – verschuldet, ein Spielball in der Hand der den Mond anrebellenden Propheten, und England setzt ihm seinen Zinsfuß auf den Nacken. Und nun tritt noch Frankreich als Quackdoctor hinzu, um dem Sterbenden vielleicht eine Ader oder gar das letzte Stündlein zu schlagen. Und umsonst sieht sich das Reich der Pharaonen nach einem Freunde um, welcher ihm Balsam unter die Arme gießt.

Am Sonntag Nachmittag drei Uhr fand die erste Sitzung statt. Es herrschte ein starker Nebel, ein förmlicher Platznebel, daß man nicht die Brille vor den Augen sehen konnte und die Grillen nicht sicher waren, von sonst ganz vernünftigen Menschen gefangen zu werden. Das ist der Spleen (sprich Spleen). Man wird Hypochonder, man fühlt den Muth schwer werden, man griest den Gram und denkt daran, sich mit einem Stein um den Hals aufzuhängen. In dieser Stimmung sahen etliche Neugierige die Vertreter Europas anfahren, voran Musurus Pascha, der älteste Doyen des diplomatischen Corps, der einen Sommerfez trug. Ihm folgte der Vertreter Rußlands, Herr v. Staal, dann Waddington und die Grafen Münster und Karolyi. Griechenland ist durch 127 Mephistophokles, die Schweiz durch Werner Stauffacher, Dänemark durch Struensee, Schweden durch Ankarström, Holland durch v. Alba und Spanien durch den Marquis von Mondecar vertreten. Von den Uebrigen habe ich noch keinen gesehen. Die Sprache, in welcher die Verhandlungen geführt werden, steht noch nicht fest, da die Meisten das Englische nur gebrochen verstehen. Lord Granville eröffnete die erste Sitzung, in der es indeß zu Auseinandersetzungen noch nicht kam, die Herren saßen im Gegentheil am Schluß der Verhandlungen noch ziemlich eng zusammen.

Was wird werden?


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