Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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45 Die Flotten-Demonstration.

Herrn Wippchen in Bernau.

Mit aufrichtigem Bedauern ersehen wir aus Ihrem geschätzten jüngsten Schreiben, daß Sie vorläufig den chinesisch-russischen Krieg nicht fortsetzen wollen. Allerdings müssen wir den Grund, den Sie uns für Ihren Entschluß angeben, als einen durchaus triftigen anerkennen: auf die Dauer würden Berichte von einem nicht vorhandenen Kriegsschauplatz das Interesse vollständig verlieren. Wir müssen uns also gedulden und gedulden uns auch im Vertrauen auf den Reichthum Ihrer Phantasie, welche uns wohl bald mit einem Ersatz überraschen wird.

Freilich, Ihr jüngster Artikel hat uns diesen Ersatz nicht gebracht. Denn daß Sie in dem Toast der Sarah Bernhardt einen Conflict zwischen Deutschland und Frankreich entstehen 46 sehen, ist doch wohl etwas allzu gewagt. Der Trinkspruch ist ja von der französischen und dänischen Presse viel zu ernst besprochen worden, immerhin aber hat er für uns doch nicht mehr Bedeutung, als für Rußland etwa eine Coupletstrophe hätte, welche in irgend einer Lokalposse von irgend einer Soubrette gegen den Thrangenuß oder dergleichen gesungen würde. Sie nun erblicken in Sarah Bernhardt einen Feind wie Napoleon III., und in einer Unterredung, welche Sie mit der genannten Künstlerin gehabt haben wollen, warnen Sie diese vor offenen Feindseligkeiten und drohen ihr damit, daß sie, wenn sie den deutschen Truppen in die Hände fiele, erbarmungslos nach Wilhelmshöhe gebracht werden würde.

Alles das grenzt doch zu sehr an den Spaß und setzt Ihre als ernst bekannten Berichte der Gefahr aus, für komische gehalten zu werden.

Indem wir anderen Beiträgen entgegensehen, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

47 Bernau, den 16. September 1880.

Ein alter Volksmund sagt: »Verbranntes Kind ist die Mutter der Weisheit«, und es fällt mir daher im Morpheus nicht ein, mit Ihnen wegen Ihrer Kritik meines letzten politischen Artikels einen Erisapfel anzufangen. Schließlich kann ich Sie ja auch nicht zwingen, meinen Artikel in die Druckerei zu schicken, wenn Sie sich einmal die Hinterbeine in den Kopf gesetzt haben. Wenn Sie aber behaupten, ich setze mich der Gefahr aus, komisch zu werden, so zwingen Sie mich, Ihnen diese Aeußerung zurückzugeben. Merken Sie sich: Im Glashause des Gehenkten soll man nicht mit Stricken werfen.

Allerdings ist Fräulein Sarah Bernhardt (sprich Bernarr) nur eine Schauheroine und zwar gehört sie, wie Sie wissen, zu den größten Vertreterinnen des Karrens, welcher die Thespis bedeutet. Trotzdem bin ich weit davon entfernt, zu glauben, daß sie im Stande wäre, mit einem simplen Toast einen casus zu einem belli zwischen Deutschland und Frankreich zu entfesseln. Ferner glaube ich, daß, wenn Herr Magnus – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Karl dem Großen – den Toast der genannten Künstlerin mit einem homerischen Achselzucken beantwortet hätte, die ganze Geschichte sich längst in dem Hahn, der nicht mehr danach krähte, verlaufen hätte, während nun die Presse aus dem Toast einen Elephanten machte, den sie den Nationen in's Ohr setzte. Ich weiß, daß Moltke nicht daran denkt, 48 sich wegen einer Schauspielerin mobil zu machen, um mit ihrem Blute den uns angethanen Toast zu röthen. Auch dem Reichskanzler wird die ganze Angelegenheit nur das Zwerchfell, wenn ihm überhaupt ein solches nicht viel zu klein wäre, erschüttert haben, und er wird gewiß ganz in dem Häuschen sein. Ich weiß das Alles, aber –

Dieses Aber nun ist das punctum, in welchem jedes saliens den ersten Sprung macht. Oder etwa nicht? In der Politik muß man mit Allem so vorsichtig umgehen, wie – verzeihen Sie das harte Wort! – mit einem weichen Ei. Da hat das Winzigste die riesenhaftesten Consequenzen und werfen die unscheinbarsten Schatten die wichtigsten Ereignisse hinter sich. Ich habe den berühmtesten Zwerg gesehen, welcher Tom Pouce hieß, und von dem sagte man mir, daß er in der Jugend ganz klein gewesen sei. So sind auch die epochemachendsten Ereignisse aus ganz kleinen Veranlassungen entstanden. Der Untergang Trojas ist das Werk eines hohlen Pferdes, die Entdeckung Amerika's ist einem Ei in die Schuhe zu schieben, und den dreißigjährigen Krieg hat ein offenes Fenster auf dem Gewissen. Solcher Beispiele könnte ich noch viele anführen. Aber Sie werden schon aus den wenigen ersehen, daß es durchaus falsch gewesen wäre, wenn ich in dem Toast der französischen Künstlerin nicht den Drachenzahn, aus welchem sich eine Lawine erheben könnte, gewittert hätte.

Doch wozu das Alles? Es ist überflüssig, wie das 49 dritte Rad am Dampfer. Sie sehen indeß an diesem maritimen Ausdruck, was ich beabsichtige: ich wende mich der Flotten-Demonstration zu, die ich, wie ich glaube, originell auffasse. Einliegend mein Bericht. Habe ich Sie durch meinen Ton verletzt, so sammeln Sie, bitte, 5 feurige Kronen auf mein Haupt, die ich als Vor- wie Nachschuß dringend brauche.

* * *

Vor Constantinopel, den 12. Sept. 1880.
Am Bord der »Wasserhose

W. Ich habe mich schwer entschlossen, mich hierher zu begeben. Ich bin kein Freund des Meeres. Wenn mich Jemand einlüde, mit ihm eine Reise um die Erde zu machen, so würde ich antworten: »Nicht um die Welt!« Denn Neptun hat keine Balken, und ich leide schrecklich. Ich bin nicht gerade seekrank, aber doch immer seeunpäßlich, und kann kaum die Feder halten. Dabei herrscht an Bord ein furchtbarer Lärm. Die Matrosen schnarchen, die Offiziere janustempeln, die Seehunde bellen, und Schaaren von fliegenden Fischen und Weilensittichen umkreisen mit heiserem Geschrei den Mastenwald. Hielte mich nicht die Berichterstatterpflicht hier, ich würde heute noch den Meeresschaum von den Schuhen schütteln, mir ein Boot satteln lassen und davongehen. Denn es ist unerträglich für mich, zur Unthätigkeit verdammt zu sein. »Die Flotten-Demonstration«, 50 sagte ich eben zum französischen Generalmeermarschall, »c'est une chose, in den die Großmächte die Hände legen.« Er lachte bitter.

Denn der Zweck der Flotten-Demonstration ist nicht etwa der, dem Sultan zwei Heubündel auf die Brust zu setzen und ihn zu zwingen, entweder die Beschlüsse des Berliner Congresses auszuführen, oder auf das zweite aut gefaßt zu sein. Die europäischen Mächte haben im Gegentheil ihre Flotten hierhergelegt, um sich selbst im Zaum halten zu lassen, falls sie eines schönen Tages der Türkei ernsthaft zu Leibe wollten. Sie wollen den Frieden um keinen Preis stören und sich im Nothfall mit Gewalt zwingen, ihn aufrecht zu erhalten. Gelingt ihnen dies nicht, so hoffen sie, von ihren eigenen Schiffen Mores zu lernen.

Dieses ist die geheime Geschichte der europäischen Flotten-Demonstration.


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