Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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38 Ein Stündchen in St. Petersburg.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir sagen Ihnen unsern herzlichsten Dank für die Mühe, welche Sie sich geben, uns mit sensationellen Berichten in einer Zeit zu versehen, in welcher Sie so wenig Gelegenheit finden, sich auf Ihrem eigentlichen Gebiet zu beschäftigen. Leider sind Sie auf anderen Gebieten in der Wahl Ihrer Stoffe unvorsichtiger, als erfindungsreich, und so waren wir genöthigt, anstatt Ihrer die nöthige Vorsicht zu üben, indem wir manche Ihrer Beiträge bei Seite legten.

Dies schien uns um so mehr geboten, als wir bereits, und leider nicht selten, in der großen europäischen Presse Andeutungen finden, welche vermuthen lassen, daß man Ihnen scharf auf die 39 Finger sieht. So schließt die Kölnische Zeitung vom 11. Februar die vernichtende Besprechung der Broschüre: »Der Feldzug Deutschlands gegen Rußland und Frankreich in den Jahren 1880 und 1881«, welche im Commissionsverlag von Hugo Steinitz in Berlin erschienen ist, mit den Worten: »Wir würden dem Verfasser den Rath ertheilen, sich mit Herrn Wippchen von den Berliner Wespen behufs gemeinsamer Arbeit in Verbindung zu setzen; es würde dann der Reiz, welcher der Sache durchaus fehlt, vielleicht durch die Form ersetzt werden.« Wir wollen gerne zugeben, daß in diesen Zeilen vielleicht der Aerger der Kölnischen Zeitung, Sie nicht zu ihren Mitarbeitern zählen zu dürfen, laut wird, immerhin aber scheint es uns doch geboten, angesichts solcher Aeußerungen, so liebenswürdig sie scheinbar sind, mehr auf der Hut zu sein.

So erklärt es sich, daß wir auch Ihren letzten Artikel, auf den Sie so großen Werth zu legen schienen, nicht zum Abdruck brachten. Derselbe hatte den Titel: »Ein angebliches Schreiben Wippchen's über die allgemeine Heeresreduktion, gerichtet an den Professor Hansen« und war 40 nichts als eine Bearbeitung des Briefes, den eben die »Gazetta d'Italia« mit der Bemerkung veröffentlichte, er sei an den Professor Pietro Sbarbaro in Neapel »von einem der größten Staatsmänner des Jahrhunderts« gerichtet. Glauben Sie wirklich, daß es die Welt zu erfahren interessirt, was Sie von einer allgemeinen Heeresreduktion denken und was Sie darüber an den Magnetiseur Hansen schreiben?

Alles das geben wir Ihnen zu bedenken, indem wir Sie bitten, uns mit anderen Beiträgen zu erfreuen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 26. Februar 1880.

Wenn ich einen Bericht verfaßt und an Sie abgeschickt habe, so sehe ich Sie schon im Geiste ein Antlitz schneiden und mitleidig die Nase zucken. Ich habe auch die Hoffnung längst aufgegeben, aus Ihrem Munde ein freundliches Beifallsklatschen zu vernehmen. Früher suchte ich vergebens nach Worten, jetzt ist das anders geworden, jetzt finde ich 41 keine Worte, um meinem Bedauern Ausdruck zu geben. Ich habe mich vollständig daran gewöhnt wie etwa Prometheus an den ihm täglich neu wachsenden Geier.

Aber wissen möchte ich doch, weshalb mein Brief über die Möglichkeit einer allgemeinen Heeresreduktion nicht ebenso gut zum Abdruck gelangen konnte, wie jeder andere über diesen Gegenstand. Gerade jetzt, wo Europa in der Ferne wieder den Donner und Doria neuer Verwickelungen grollen hört, wo Deutschland daran denkt, seine Artilleristen um einige Köpfe zu vergrößern, und wo jeden Augenblick zwischen Frankreich und Rußland eine blutige Allianz ausbrechen kann, gerade jetzt kann man nicht genug Briefe und Postkarten über die Friedenshoffnungen drucken lassen. Das scheint mir – verzeihen Sie das harte Wort! – Menschenpflicht. Wehe dem Frieden, der in solchen Zeiten nicht in Aussicht gestellt. Wehe der Völker-Eintracht, auf die in solchen Zeiten nicht hingewiesen wird! Es ist nicht genug, daß alle Thronreden milden Balsam in das offene Pfeifchen des armen Mannes träufeln, kein Staatsmann, und sei er der berühmteste, soll den Bogen Papier scheuen, um einen Brief mit einer demnächstigen allgemeinen Entwaffnung in die Welt zu schleudern.

Was die freundlichst citirten Worte der Kölnischen Zeitung über mich betrifft, so stehe ich vollständig über der Omelette, um welche Sie so viel tant de bruit schlagen. Sie wissen, daß ich, anders wie die Frau des Lot, weder 42 rechts noch links schaue, sondern unentwegt auf die Salzsäule zuschreite. Wie der Dichter singt, lasse ich, von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, mein Charakterbild in der Geschichte schwanken, und pfeife im Uebrigen wie der Vogel auf die Weltblätter.

Einliegend ein Stündchen in St. Petersburg. Es ist ein Artikel, frisch von der Leber gegriffen, der Sensation machen wird. Um Ihnen aber zu beweisen, daß ich an der Existenz Rußlands nicht verzweifele, bitte ich Sie um einen Nach- wie Vorschuß von 25 Rubeln zum Course von 218,90.

* * *

St. Petersburg, den 8./20. Februar 1880.

W. Ich will nicht versuchen, Ihnen den Eindruck zu schildern, welchen ich auf den Wirth des Hotels zum »Einen todten Kosaken« hervorbrachte, als vorgestern Nachmittag gegen 7 Uhr das schaudervolle Ereigniß die Menschheit mit Schande bedeckte. Fast besinnungslos warf ich meinen Kuppelpelz um die Schulter und stürzte auf den Alexander-Newski-Platz vor das Winter-Palais.

Mit Recht hat der Abgeordnete Bebel im Reichstage erklärt, daß die Nihilisten, denen selbst das Dynamit nicht mehr heilig ist, in den Gesellschaftskreisen des Herrn von Kardorff zu suchen seien. Jedes Kind in Rußland zwitschert es von den Dächern, daß die Nihilisten in den 43 ältesten Stammbäumen verborgen sitzen und der Zar die Verbrecher unter den Adligen seiner nächsten Umgebung zu suchen hat, unter den reichsten Würdenträgern, welchen der Zar hunderte Morgen im Abendlande zum Geschenk gemacht hat. Wie wäre es sonst möglich, daß eine solche That im Schlosse selbst verübt werden konnte?

Der Kaiser ist wie durch ein Wunder gerettet. Dem Fürsten von Bulgarien war auf der Reise von Sofia nach Rustschuck von mehreren seiner getreuen Spitzbuben die Hälfte des Reisegepäcks gestohlen worden, und als er nun, in St. Petersburg angekommen, zum Diner in das Winterpalais gehen wollte, fehlten ihm seine Orden. Es wurde Ersatz gesucht, und so kam es, daß die kaiserliche Familie sich nicht vor der Explosion in den Speisesaal begeben konnte.

Die bulgarischen Gepäckdiebe werden, wenn man sie erwischt, in den lebenslänglichen Adel transportirt werden.

Wer aber sind die Nihilisten? Sind sie in den Kardorffschen Kreisen, in noch höheren, oder in den höchsten zu suchen? Wieso findet man nicht den Schatten einer Spur? Ist der an dem Fürsten von Bulgarien begangene Diebstahl wahr? Man wird sagen: Eine Sphinx kann mehr fragen, als zehn Nathans beantworten können. Doch nicht!

Hier ist die Antwort: Das russische Volk will eine Verfassung, der Zar sträubt sich dagegen mit allem ihm zu Gebote stehenden Gurko, und um nicht gezwungen zu sein, eine Verfassung zu geben, muß das Volk in einer ewigen 44 Gänsehaut erhalten bleiben, um so einzusehen, daß es noch nicht reif sei. Zu diesem Zweck mußte auch das furchtbare Verbrechen begangen werden! Wer also ist der Führer der Nihilisten? Der verehrte Leser liefere sich selbst das Quod erat zu diesem klar auf der Hand liegenden Demonstrandum! Natürlich wagt man hier nicht den Namen zu nennen, aber er schwebt auf der Vox populi jedes Denkenden, und eines Tages wird Klio keine Tafel vor den Mund nehmen und den hohen Namen des Einzigen aussprechen, auf dessen Unschuld gewiß jeder Nichtrusse heute Gift wetten würde.


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