Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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74 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir danken Ihnen sehr für das Manuskript, welches Sie uns unter dem Titel »Aus dem Tagebuche zweier Damen« geschickt haben und zwar mit dem Bemerken, die Kölnische Zeitung veröffentliche jetzt Artikel: »Aus dem Tagebuche einer Dame,« und Sie wollten um jeden Preis das genannte Blatt überbieten.

Nun sehen wir aber die Nothwendigkeit nicht ein, mit der Kölnischen Zeitung zu concurriren. Damit soll nicht gesagt sein, daß Ihr Damen-Tagebuch nicht doch noch zum Abdruck gelangen soll, nur möchten wir diesen Augenblick nicht damit kommen. Es findet sich wohl in ruhigeren Tagen Raum dafür. Jetzt scheint es uns doch wichtiger, den Begebenheiten dichter auf den Hacken zu bleiben, während Ihr Tagebuch sich immer noch 75 mit den Ereignissen vor dem Bombardement beschäftigt. Ferner haben wir zu bemerken, daß Sie den Ton eines Damen-Tagebuchs nicht völlig getroffen haben. Nur zu häufig vergessen Sie, daß Sie zwei Damen sind: Sie schwören bei Ihrem Bart, stecken den Revolver in die Hosentasche, schildern ein Liebesabenteuer mit den Bewohnerinnen eines Harems und sprechen von Ihren Vatermördern, Cylinderhüten und anderen männlichen Attributen. Das müßte jedenfalls geändert werden.

Lassen Sie sich schließlich noch recht sehr ersuchen, nicht wieder in Ihre Berichte Hieroglyphen hineinzubringen. Ihren Auslassungen einen derartigen Stempel des Echtegyptischen aufzudrücken, das scheint uns doch gänzlich überflüssig, abgesehen davon, daß Ihnen Niemand dergleichen glaubt. Oder meinen Sie im Ernst, daß man eine Ente, welche Sie hinter eine falsche politische Nachricht setzen, ein Paar Socken, mit denen Sie die Flucht Arabi's andeuten wollen, einen Kater, um die Stimmung der Bewohner Alexandriens zu schildern, und ähnliche Illustrationen für Hieroglyphen halten wird?

76 Indem wir Ihnen die Beantwortung dieser Frage überlassen, grüßen wir Sie in Erwartung eines baldigen Berichts

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 27. Juli 1882.

Vor Wuth hätte ich fast in Abrahams Schooß gebissen, als ich Ihren freundlichen Brief las und erfuhr, daß Sie mein »Tagebuch zweier Damen« den Orkus alles Fleisches haben gehen lassen. Witzig wie eine Treppe, geben Sie einen Grund an, den ich nicht gelten lasse, und wenn ich so alt werde, daß ich in's Grab getragen werden muß. Ich begreife es absolut nicht, wie Sie einen Artikel zurücklegen konnten, nach welchem augenblicklich jede andere Redaktion die Kußhand ausgestreckt hätte. Das vergällt mir jede Lust, Neues zu erfinden, und so habe ich denn eine größere Arbeit, welche ich »Zweitausend und eine Nacht« betitelte und in welcher ich die schönsten Märchen von Gebrüder Grimm in's Orientalische bearbeitet hatte, augenblicklich unterbrochen. Wenn ich eines Tages nicht mehr als jetzt sein werde, dann wird man das Fragment als posthumes Werk veröffentlichen – als antehumes soll es nicht erscheinen. Vergeblich frage 77 ich mich: Was hat Ihnen das Tischtuch zwischen uns gethan, daß Sie es mit kaltem Messer zerschneiden? Soll ich die Absicht merken und wie ein altes Clavier verstimmt eine andere Stellung suchen? Wünschen Sie, daß ich Sie verlasse, daß ich ein Bonmot von Dienstag den 25. Juli sein soll? Wie ein Franzose, der ein Verbrechen begangen hat, frage ich: »Ou est l'infame?« Ich bitte Sie – verzeihen Sie das harte Wort! – um Offenheit! Ich würde in dem Blatt, welches Sie nicht vor den Mund nehmen, nichts Beleidigendes erblicken, wohl aber wäre mir der Berg, hinter welchem Sie hielten, einer der schlimmsten Alpen auf der Brust, und darum rufe ich Ihnen zu: Heraus mit der Zunge!

Wenn ich nicht Lust hatte, Ihnen einen Bericht über das Bombardement Alexandriens zu schicken, so liegt dies daran, daß ich nicht in das Getöse der englischen Kanonen einstimmen wollte. Ich will die Massensacres der Egypter gewiß nicht rechtfertigen, finde es aber barbarisch, daß die Briten die schöne alte Stadt haarklein vom Erdboden rasirten, keine Straße auf der anderen ließen und die Häuser derart in Trümmer verwandelten, daß kein Marius sich auf denselben niederzusetzen vermag. Auch kein Jeremias. Die Stadt selbst war unschuldig, das hätte Admiral Seymour (sprich Seymour) bedenken sollen, als er seine Kanonen feierlich laden und die ersten Hexenschüsse auf Alexandrien abgeben ließ. Der Schuldige war Arabi Bey. Diesen hätte England umzingeln, ihm eins in den Anklagezustand versetzen und ihn 78 meinetwegen zu lebenslänglichem Galgen verurtheilen sollen. Arabi Bey mußte die ganze Schwere der englischen Harke fühlen, denn er war es, der die spartanische Blutsuppe eingebrockt hatte, und also hatte er sie auch bis auf die letzte Neige auszulöffeln. Er hatte auf keine Warnung gehört, sondern sich im Gegentheil die Ohren mit Schießbaumwolle verstopft. Was konnte die Stadt dafür? Weshalb hat man sie mit den schwersten Schiffs-Ultima-Ratios beschossen und sie dann der Plünderung überlassen, so daß die Beduinen Alles fortschleppten, was nicht Alfenide- und nagelfest war? Die Stadt, einst ein Paradies, ist heute eine Zweiöde, – Einöde wäre zu wenig gesagt. Wenn man heute fragt: Wo liegt Alexandrien? so muß man sagen: Auf der Erde. Ist das gerecht?

Trotzdem liefere ich Ihnen ein Bild der Stadt. Einliegend der Trümmerhaufen, über welchen Alexandrien gerannt worden ist. Ich habe dasselbe hoffentlich zu Ihrer Zufriedenheit zerstört, denn ich malte grau in grau wie einen Esel. Nichts habe ich verschont, kein Haus ließ ich entkommen. Ich erinnere mich nicht, jemals so rücksichtslos gewüthet zu haben.

Kein Wunder! Denn ich brauchte nur mich anzusehen, um Alexandrien als abgebrannt zu schildern. Ich muß Ihnen daher gestehen, daß ich mich ohne Vorschuß in der Lage des Phönix befinde, der sich nicht aus der Asche erheben kann. Ich bitte Sie daher, da ein einziger Kassenschein genügt, um 50 Mark.

* * *

79 Alexandrien, den 25. Juli 1882.

W. Mir fehlt die Dinte, Ihnen die Zustände zu schildern, welche hier herrschen. Noch brennt die Stadt an allen vier Ecken, mehr Ecken existiren überhaupt nicht mehr. Ueberall Verwüstung und Zerstörung. Die Bewohner haben das Weiteste gesucht, kaum das nackte Leben mit dem Nöthigsten bedeckend. Noch immer finden Explosionen statt. Als ich heute Morgen, um zu sehen, wie spät es sei, zu einem Pulverthurm hinausblickte, flog derselbe plötzlich in die Luft. Wo gestern ein glänzendes Schloß gestanden hat, steht heute nichts weiter als eine englische Schildwache, welche den leeren Platz vor den räuberischen Händen der Plünderer bewacht. Die Eingeborenen und Eingeboreninnen sehen sich nicht mehr ähnlich. Araber, welche vor dem Bombardement auf den Hinterbeinen standen, schlagen heute einander in großer Wuth die Augen zu Boden. Auf den Straßen liegen Verwundete, welche sich nach Hilfe umsehen, aber nichts als aufgerissenes Pflaster erblicken. Araber, nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Pferden, verkaufen in den Straßen die geraubten Gegenstände zu Hohn- und Spottpreisen, wobei sie aber dadurch ein gutes Geschäft machen, daß sie, wenn sie irgend etwas für zehn Mark verkaufen und man ihnen einen Hundertmarkschein zum Wechseln giebt, diesen ganz behalten und den Käufer, wenn er deshalb Lärm oder den Räuber schlägt, todtschießen oder derart niederstechen, daß sie an seinem 80 Aufkommen zweifeln. Ueberall sieht man Blutlachen, wenn ich mich dieses humoristischen Wortes für eine so traurige Sache bedienen darf. Die Verheerungen durch die Kugeln waren so groß, daß acht Häuser, welche ich eben sah, Sieben glichen, derart waren sie durchlöchert. Der Palast des Khedive ist selbst für Denjenigen, der ihn nie gesehen hat, nicht mehr zu erkennen. In den Höfen platzen die Geschosse, welche der »Inflexible« (sprich Inflexible) hineinschleuderte, so daß sie völlig zerstört wurden. In den prächtigen Gemächern liegen die englischen Marinesoldaten mit ihren Theeruniformen auf den zerrissenen Divans, rauchen ihren Kautabak und wechseln Süßholz mit den Haremdamen, welche aus den zerschossenen Fenstern zu ihnen hineinlugen. Wo Arabi steckt, das weiß kein Mensch, auch ich nicht. Man meint allgemein, daß er irgendwo sei, die Telegraphenstangen durchschneide und die Cisternen mit Sand fülle. Das wäre schrecklich, denn dann hätten wir in zehn Tagen kein Wasser mehr, ohne welches unser Cognac ungenießbar ist. Arabi's Wahlspruch ist: Khedivide et impera. Man erwartet aber stündlich, daß der Khedive ihn für einen Rebellen erklären wird. Dann ist Alles gut, dann ist er frei wie ein Vogel, und Jeder, der ihn trifft, kann ihm den Kopf vor die Füße oder wohin es ihm sonst gefällt, legen.

Gestatten Sie mir schließlich, wie die »Times« England wiederholt zu beschwören, rasch Truppensendungen zu veranstalten. In Ramleh, Port-Said und anderen Städten 81 können jeden Augenblick die fanatischen Araber, Beduinen und wie diese Bande der Ordnung heißen mag, neue Schandunthaten begehen, den hier noch anwesenden Europäern Alles nehmen und ihnen nichts geben als den kargen Rest. Ich schließe mit dem wohlgemeinten Wunsch: Gott erhalte mich!


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