Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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128 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Mit Ihrem Plan, die ägyptische Conferenz schon wieder zu schließen, können wir uns nicht einverstanden erklären, und wir bitten Sie, mit der Berichterstattung fortzufahren. Wir leben inmitten der todten Saison, und es wäre doch leichtsinnig, den willkommenen Stoff bei Seite zu legen. Sollten Ihnen die Berathungen zu wenig interessant sein, so wenden Sie sich gefälligst dem Felde der Anekdote zu, die ja in jeder diplomatischen Staatsaktion eine Rolle spielt und vom Publikum sehr goutirt wird.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

129 Bernau, den 10. Juli 1884.

Ich glaubte, Ihnen einen Gefallen zu erweisen, als ich mit der ägyptischen Conferenz kurzen tabula rasa machte nach dem bekannten Spruch: Kürze ist des Processes Seele. Ich weiß mit dieser Conferenz nichts anzufangen und glaube, daß die Mitglieder derselben selbst nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht, den sie sich zerbrechen. Man hört auch absolut nichts, diese Conferenz und eine harmlose Theegesellschaft sehen sich ähnlich wie ein Columbus dem andern. Vergeblich durchstöbere ich das Kreisblatt nach irgend einer telegraphischen Fama, nicht einmal ein on dit unterbricht die Stille des Mäuschens. Was soll ich also berichten? Wo Nichts ist, hat, wie Sie wissen, der König Lear den Verstand verloren. Wohl zehnmal griff ich zum Schreibtisch, aber ebenso oft legte ich ihn wieder bei Seite. Nicht die kleinste Ente fiel mir ein. Mir, der ich von Mannesbeinen an ununterbrochen die Feder schwinge, war so etwas noch nicht vorgekommen, und da entschloß ich mich denn, von zwei Gebündeln Heu das kleinste zu wählen und die Conferenz einen guten Mann sein zu lassen. Wer mir derlei an der Pike, von der auf ich der Journalistik diene, vorgesungen hätte, dem würde ich – verzeihen Sie das harte Wort! – höchst verwundert ausgelächelt haben.

Immerhin aber sehe ich ein, daß Sie durchaus Recht haben. Ihr Blatt soll Ihre werthen Leser stets auf dem möglichst Laufenden halten, nicht das kleinste Detail soll ihnen 130 aus der Nase, dagegen Alles in dieselbe hinein gehen, was in der Welt passirt, und deshalb bekümmern Sie sich wenig darum, ob das historische Ereigniß, um das es sich handelt, für den Berichterstatter keinen oder mehrere Deut werth ist. Aus diesem Grunde strecke ich das Gewehr nach der Decke und lasse meine Bedenken fallen.

Wenn es nur nicht so heiß wäre! Mein Laubfrosch sitzt auf 24 Grad im Schatten, und sehnsuchtsvoll blicke ich in die Wolken nach einem Bruch. Ich kann mit Don Carlos sagen: Schwer liegt der Himmel zu Bernau auf mir, und ich strebe hinaus in die Ferne, wo die Natur ihren Freunden am Gestade der See gleichsam mit den Worten: »Brise gefällig!« eine Dose frischer Luft darreicht. Statt dessen muß ich, ein saurer Traubenfuchs, in meinem Bau bleiben. Hoffentlich nicht mehr lange.

In meinen jüngsten Brief hat sich ein kleiner Irrthum eingeschlichen, den ich zu verzeihen bitte. Ich bat Sie um einen Vorschuß von drei Sterlingen. Es sollte vier heißen. Seien Sie so freundlich, diese zum Verständniß meines Briefes nöthige Correctur nachträglich vorzunehmen und mir den Posten mit einer der wendenden zuzuschicken.

* * *

London, den 9. Juli 1884.

W. Festina lente wie eine Schnecke rückt die Verhandlung vor. Der Fleck, von dem sie nicht kommt, könnte 131 einen minder geduldigen Berichterstatter nervös machen. Jeden Augenblick muß irgend ein Conferenzmitglied zum Telegraphiren hinaus, um sich Instruktionen zu holen, und wenn dann der betreffende Monarch nicht zu Hause ist, oder etwas Wichtigeres zu regieren hat, oder gar schläft, so muß die ganze Versammlung warten, bis es dem europäischen Herrscher gefällt, nach Hause zu kommen, oder bis er das Regieren auf einige Augenblicke läßt, oder ausgeschlafen hat. Oft treffen auch recht peinliche Antworten ein, besonders wenn die Königinnen für ihre Gatten etwas bestellen, wobei es, da sie nicht verantwortlich sind, oft zu barschen Worten kommt. So gestern, wo eine Drahtantwort lautete: »Se. Majestät Mein Mann, den Gott noch lange in Gnaden erhalten möge, läßt Ihnen sagen, Sie möchten Ihn nicht wegen jeder Kleinigkeit belästigen. Majestät litten sehr unter der Hitze und möchten das nächste Gewitter abwarten, keinenfalls werde Er sich in der herrschenden Schwüle mit Aegypten beschäftigen. Gedulden auch Sie sich also, bis es regnet.«

Die Sitzung mußte in Folge dessen geschlossen werden, die Gesandten, welche einen Bart haben, murmelten allerlei in denselben und gingen fürbaß davon.

Die heutige Sitzung verlief ungestörter, doch, unter uns gesagt, auch sie riß nicht aus Alexanders Scheide das Schwert, welches dem gordischen Knoten am ägyptischen Staatswagen zeigen könnte, was eine Harke ist. Fast möchte man meinen, daß dies auch niemals geschehen und daß eher 132 die Quadratur aller Wendekreise gefunden wird, als die Rückantwort auf die ägyptische Frage. Heute stand der Mammon auf der Tagesordnung, dieses Kalb mit dem goldenen Widdervließ, das, obwohl es in allen civilisirten Staaten geschlagen wird, doch nicht auszurotten ist. England will Geld haben, dieses Land ist wie Midas, dem sich bekanntlich Alles, was er in seinen Musikkritiken angriff, in Gold verwandelte. Der Engländer ist ein Nervus rerum-Fuchser, bei jeder politischen Action hat er, nicht wie die Morgenstunde, Gold im Auge.

Nach dieser Richtung hin verlief denn auch die heutige Debatte, aus der ich folgende Einzelheiten mittheile:

Der Aegypter. Meine Herren, die Frage der Geldentschädigung muß ich vorläufig dahin beantworten, daß Aegypten durch den letzten Krieg furchtbar gelitten hat, und daß wir, um Englands Forderungen zu erfüllen, vor Allem Zeit brauchen.

Der Engländer. Zeit heißt time,. time is money, und das ist ja gerade das, was wir haben wollen.

Der Italiener. Aegypten ist allerdings in einer unglücklichen Lage, und es kann doch unmöglich den Nil an England abtreten.

Der Engländer. Das wäre auch ein Traum, der uns nicht im Schlafe einfiele. Den Nil verlangen wir auf keinen Fall, insofern Nil Nichts heißt und uns mit Nichts nicht gedient wäre.

133 Der Oesterreicher. England sollte aber doch bedenken, daß es selbst nach allen Kriegen in Nöthen war.

Der Engländer. Das Wort Kriegen hatte und hat für England stets einen angenehmen Klang. Wir sind nicht geldgierig, unser Grundsatz lautet: Geben ist seliger denn Nehmen, und darum geben wir Ihnen die Versicherung, daß wir nehmen, was zu erlangen ist.

Der Deutsche. Wir werden aber nie dulden, daß England den Rest dessen nimmt, was dem armen Pharaonenland geblieben ist. (Bravo!)

Der Engländer. Daran denken wir auch nicht, wir wollen Aegypten nicht den Rest nehmen, sondern geben.

Der Schwede. Au! (Glocke des Präsidenten.)

Der Deutsche. Und eines vergesse England niemals: Il y a des juges à Berlin, es giebt noch Müller in Sanssouci! (Sensation.)

Der Spanier. Ich schließe mich meinem geehrten Vorredner an. Auf die ewigen Geldforderungen Englands wird das Schweigen der Völker antworten.

Der Engländer. Schweigen ist Gold, und das Gold der Völker wollen wir. (Murren. Redner spricht fort.)


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