Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 5
Julius Stettenheim

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82 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Obschon Sie, wie Sie speciell bemerken, auf den Abdruck Ihrer Unterredung mit Herrn von Lesseps einen großen Werth legen, haben wir doch allerlei Bedenken gehabt, Ihren Wunsch zu erfüllen, und sind endlich zu dem Entschluß gekommen, den Abdruck ganz zu unterlassen. Sie haben ohne Zweifel niemals ein Portrait des Herrn von Lesseps gesehen, sonst würden Sie ihn wenigstens annähernd ähnlich schildern, dann haben Sie von dem Suezkanal eine höchst originelle Vorstellung, indem Sie annehmen, daß dieser Kanal von Herrn von Lesseps angelegt und dessen Eigenthum ist, weshalb Sie auch eine genaue Beschreibung des Schlüssels geben, mit dem der Kanal Abends geschlossen wird.

Auch Ihre Schilderung von dem in Egypten 83 herrschenden Wassermangel kann unmöglich ernst genommen werden. Daß Ihnen in Kairo Morgens anstatt des Waschwassers eine Kanne Porter und Ale auf's Zimmer gebracht wird, klingt schon unglaublich. Daß aber dort eine Flasche Wasser zu den größten Kostbarkeiten gehört und auf den Tafeln hoher Herrschaften als Clicq'eau vive in Sektgläsern kredenzt wird, das glaubt Ihnen der Leser nicht. Derselbe erwartet von Ihnen etwas Anderes: ernstes Kriegsgetümmel, große Entscheidungsschlachten. Lassen Sie ihn nicht zu lange warten.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 31. August 1882.

Wohl selten ist eine Feder so ergriffen gewesen wie in diesem Augenblick die meinige, nachdem ich habe den Vorwurf lesen müssen, daß ich bei der Schilderung des in Egypten herrschenden Wassermangels meiner Phantasie einen Bock, oder, was dasselbe ist, die Zügel habe schießen lassen. Wie ist das möglich? Kann man Wassermangel zu schrecklich schildern? Unmöglich! Wenn Hungersnoth schon furchtbar ist, um so 84 furchtbarer ist die Durstesnoth. Und die Egypter nagen diesen Augenblick am Dursttuch, und es kann morgen der Dursttyphus ausbrechen, denn sie sehen sich bereits vergeblich nach einem Bissen Wasser um. Freilich Sie können es sich nicht denken, daß der Mensch kaum ein vaderes Mecum hat als das Wasser. Sie würden nur durch Bier- oder Weinmangel außer Ihrem werthen Sich gerathen. Sie halten Pindar für einen Wasserdichter, weil er das Lied, Wasser sei das erste Beste, seitwärts in die Saiten schlug. Und doch hat er Recht, und an dieser Thatsache werden Sie – verzeihen Sie das harte Wort! – nichts ändern.

Wassermangel! Welch ein Elend! Arabi hat wohl gewußt, was er that, als er seinen Feinden den Wasserkorb höher hing und sie dadurch zwang, wie Tantalos den ihm auf den Nägeln brennenden Durst zu empfinden. Er packte eben den Stier bei den Achillesfersen. Es kann ja sein, daß ich mit zu grellen Wasserfarben malte, und ich will zugeben, daß die Zustände heute noch nicht so schlimm sind, wie ich sie schilderte. Der Hirsch schreit hier noch nicht vergeblich nach Wasser, die Verbrecher werden noch nicht zu Gefängniß bei Rothwein und Brod verurtheilt, der Krug kann noch immer so lange zu Wasser gehen, bis er bricht, und wenn die Engländer ein Wässerchen trüben wollen, so ist noch immer eines oder das andere vorhanden. Aber das Schlimmste kann jeden Tag eintreten, jeden Augenblick kann das Wasser ganz ausbleiben, und dann steht es den 85 Engländern bis an den Hals. Wann das geschieht? Darauf kann ich nur mit dem Dichter antworten: Frage die Cisterne!

Ich würde über meinen Bericht, an dem Sie nun Ihren kleinen Muth gekühlt haben, keine Silbe verlieren oder finden, wenn der Umstand, daß er nicht gelesen wird, nicht die üble Folge hätte, daß Ihre werthen Leser jetzt meinen, die Engländer hätten alle Taschen voll Wasser, während sie thatsächlich die Durstpfoten saugen. Dies muß auf den Gang des englisch-egyptischen Mars von bestimmendem Einfluß sein, und wenn nun eines Tages die Engländer gezwungen sind, trotz des Sprüchworts: »Durst ist der beste Bacchus,« das Hasenpanier anzutreten, so wissen Ihre Leser nicht, welche Triebfeder denn eigentlich dies Schicksal niedergeschrieben hat. Hierauf mache ich Sie aufmerksam.

Zu Mehrerem habe ich heute keine Zeit. Sie wissen, was das heißt. Keine Zeit ist kein Geld. Ich bitte Sie daher um einen Vorschuß von 3 Pfund zum Kurse von 20,40. Ich würde einige Pfund mehr fordern, aber ich fürchte, der Brief wird zu schwer.

* * *

Ismailia, den 26. August 1882.

W. Als ich heute, an eine Nadel der Kleopatra gelehnt, meine Blicke über das, was mich umgab, schweifen ließ, bemerkte ich, daß mich die vorüberwandelnden Frauen und Mädchen entweder vom Scheitel bis zur Sohle gar nicht 86 ansahen, oder mich keines Blickes würdigten. Und es waren schöne Weiber! Hier schritt eine Päschin, auf deren Haupt ich meine Augen wie feurige Kohlen sammelte, dort schwebten mehrere Efendinnen vorüber, von denen ich nicht wußte, welcher ich eine der in der Nähe wachsenden Palmen reichen sollte. Dann wieder lustflanirte eine Beyfrau daher, eine wahre Beauté von Milos, und ich beneidete den von einem Beduinten gefolgten Nabob, der ihr einen guten Salemalek wünschen durfte, einen Gruß, den sie, indem sie ihm die wundervollsten Zähne zeigte, freundlich erwiderte. Dazwischen ging gravitätisch ein mehrfach geschweifter Osmann, seine zahlreichen besseren Haremshälften am Arm führend, wunderschöne Favoritinnen, denen man es ansah, daß das Herz ihres Gatten ihnen allein gehörte und daß er nur diese eine Vielweiberei trieb. Aber, wie gesagt, keine dieser herrlichen Frauen hat auch nur einen freundlichen Selam für den Giaur, den sie für einen Feind halten, weil er ihr Land verwüstet, alle diese Frauen, die doch sonst der Argushut ihrer verschnitztesten Eunuchen so manchen kleinen Schnipp zu schlagen wissen, deuten jedem Fremden, der sich ihnen zu nähern wagt, an, daß er sich auf dem Süßholzwege befinde. Und dies verführt zu einem Vergleich der heutigen Zeit mit der klassischen.

Ach, wie anders war es in den vierziger Jahren vor der neuen Zeitrechnung, da Cäsar in's Land fiel und sofort von Kleopatra aufgenommen wurde, mit der er dann einen so innigen Feindschaftsbund schloß. Sein Wahlspruch war: 87 Ubi bene, ibi Kleopatria. Und als dieser antike Tannhäuser schließlich seine egyptische Venus verlassen hatte, um nach Rom zu gehen, da erschien Antonius mit seiner Armee, und auch er wurde das Schooßkind der schönen Frau, bis sie sich von der eilenden Schlange in's Gras beißen ließ. Das waren schöne Zeiten! Heute aber halten sich die Frauen fern, und es giebt nur Schlangen, keine Kleopatra zieht eine »Theerjacke« an. Welch ein Unterschied zwischen damals und heute nach etwa über 1900 Jahren! Wenn der Heerführer heute sich mit einer egyptischen Königstochter die Zeit vertreiben will, so muß er sich mit Ebers begnügen. Die Tempora mutantur haben sich bedenklich verändert: in Egypten kämpft heute eine Armee von Einsiedlern, und kein Strahl aus Amor's Köcher erhellt den pulvergeschwärzten Himmel dieses Wunderlandes, dessen uns ihren prachtvollen Rücken kehrenden Weibern gegenüber wir unser Herz wie sauren Gambrinus ausbieten.

Und nun, um den verschanzten Feind in die beliebte Irre zu führen, habe ich über folgende Operation zu berichten:

Heute ließ der General Issimus von allen Thürmen den Zapfenstreich blasen, und kaum zehn Minuten später war die Armee auf den Beinen. Alsbald fand die Vertheilung der blauen Brillen statt. Das war eine schwierige Arbeit. Nicht jede Nase paßte für jede Brille. Da mußte denn eine andere Nase gefunden werden. Hier war ein farbenblinder Indier, der durch die blaue Brille Alles roth sah, dort ein 88 Schotte, der von Haus aus eine blaue Brille trug und um keinen Preis zwei Brillen tragen wollte. Es dauerte lange, bis die ganze Armee eine völlig brillante genannt werden konnte. Dann hielt der General folgende Anrede:

»Soldaten! Durch Eure Tapferkeit ist es mir gelungen, den Feind, der in der frechsten Weise in sein Land eingefallen ist, von Niederlage zu Niederlage zu führen. Nachdem wir nach Egypten gekommen waren, um Arabi zu nöthigen, sich uns zu widersetzen, zwangen wir ihn, eine seiner schönsten Städte zu plündern und in Sack und Asche zu verwandeln. Das gelang uns durch Vorder- und Hinterlist. Soldaten! Heute haben wir die Absicht, Kairo dadurch zu entblößen, daß wir in die Wüste marschiren, um dort den Feind aufzusuchen. Zwar wird er dort trotz der blauen Brille nicht zu finden sein, aber die Armee Arabi's wird sofort Kairo mit Mann und Kameel verlassen, um uns in der Sahara von dem früheren Meeresboden zu vertilgen. Sobald dies unternommen wird, erhalte ich die Meldung von unseren Schaftern, welche mir Alles kund machen, und dann werfen wir uns auf Kairo mit stürmendem Tambour-battant und halten mit klingendem Ernst unseren Einzug in die Hauptstadt des Feindes. Soldaten! Viertausend Pyramiden betrachten Euch! Thut Eure Pflicht!«

Ein Hurrah, welches die blauen Brillen erzittern machte, beantwortete die kraftvolle Rede des Hin- und Heerführers. Hierauf erfolgte der Einmarsch in die Wüste. Meinen nächsten Bericht werde ich in einem Quartier Kairo's schreiben.


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