Stendhal
Die Kartause von Parma
Stendhal

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Die Duchezza veranstaltete reizende Abendgesellschaften im Schloß, das noch nie so viel Fröhlichkeit gesehen hatte. Nie war sie liebenswürdiger erschienen als in diesem Winter, obwohl sie von den größten Gefahren umringt war. Und so kam sie während dieser kritischen Saison auch keine zweimal dazu, unglücklich zu sein, wenn sie an die befremdliche Veränderung in Fabrizzios Wesen dachte. Der junge Fürst stellte sich immer sehr früh zu den netten Abenden seiner Mutter ein, und diese pflegte zu sagen: »Sie sollten lieber regieren! Ich wette, auf Ihrem Schreibtisch liegen mindestens zwanzig Berichte, die auf ein Ja oder Nein harren, und ich möchte nicht, daß Europa mich beschuldigt, ich machte einen Scheinkönig aus Ihnen, um an Ihrer Stelle zu herrschen.« Diese Bemerkungen fielen unglücklicherweise immer in den ungelegensten Augenblicken, nämlich gerade dann, wenn Serenissimus, seine Schüchternheit besiegend, an der Aufführung irgendeiner dramatischen Scharade mitwirkte, was ihn höchlichst ergötzte. Zweimal in der Woche wurden Ausflüge über Land unternommen, wozu die Duchezza unter dem Vorwand, den neuen Monarchen volkstümlich zu machen, die hübschesten Damen aus der bürgerlichen Gesellschaft hinzuzog. Die Duchezza war die Seele dieser lustigen Hofhaltung; sie hoffte, daß die schönen Bürgermädchen, die alle mit tödlichem Neid auf das hohe Glück des bürgerlichen Rassi schielten, dem Fürsten eine der zahllosen Schurkereien dieses Ministers verraten würden. Unter anderen kindlichen Ansichten hatte der Fürst nämlich den Wahn, er besäße ein sittenstrenges Ministerium.

Rassi besaß viel zuviel Verstand, als daß er nicht gemerkt hätte, wie gefährlich ihm diese von seiner Feindin geleiteten glänzenden Abendgesellschaften am Hofe der Fürstinwitwe waren. Er hatte dem Grafen das noch rechtsgültige Urteil gegen Fabrizzio nicht ausliefern wollen; also mußte die Duchezza oder er vom Hofe verschwinden.

Am Tage jenes Volksaufruhrs, dessen Tatsache zu leugnen neuerdings zum guten Ton gehörte, war Geld unter die Menge verteilt worden. Davon ging Rassi aus. Noch schlechter gekleidet als gewöhnlich, kroch er in den elendesten Häusern der Stadt umher und unterhielt sich stundenlang mit ihren armseligen Bewohnern. Soviel Mühe lohnte sich reichlich. Nach vierzehn Tagen hatte er die Beweise, daß Ferrante Palla der geheime Führer des Aufstandes gewesen war, und mehr noch, daß er, der zeitlebens arm war wie so mancher große Dichter, in Genua acht oder zehn Diamanten verkauft hatte. Unter anderem berichtete man ihm, fünf davon hätten tatsächlich einen Wert von vierzigtausend Franken gehabt; er habe sie aber zehn Tage vor dem Tode des Fürsten, angeblich, weil er Geld brauchte, für fünfunddreißigtausend Franken verkauft. Der Freudenausbruch des Justizministers über diese Entdeckung war unbeschreiblich. Ihm entging nicht, daß man sich am Hofe der Fürstinwitwe täglich über ihn lustig machte, und mehrere Male lachte ihm der Fürst, während er geschäftlich mit ihm zu tun hatte, mit der ganzen Harmlosigkeit seiner Jugend gerade ins Gesicht. Rassi hatte allerdings sonderbare pöbelhafte Angewohnheiten; so schlug er zum Beispiel bei Verhandlungen, die ihn besonders fesselten, die Beine übereinander und spielte mit einem seiner Schuhe. Wuchs seine Anteilnahme, so breitete er sein rotes baumwollenes Schnupftuch über den Schoß, und dergleichen mehr. Der Fürst lachte sich halbtot, als sich eine der hübschesten Frauen aus dem Bürgerstande, die übrigens wußte, was für wohlgeformte Waden sie hatte, den Scherz erlaubte, diese feinen Sitten des Justizministers nachzuahmen. Rassi suchte um einen außerordentlichen Empfang nach und trug dem Fürsten folgendes vor: »Wollen Eure Hoheit mir hunderttausend Franken zur Verfügung stellen, damit ich Genaueres über die Todesart Allerhöchstdero hochseligen Herrn Vaters feststellen kann? Mit dieser Summe wird es sich die Justiz angelegen sein lassen, die Schuldigen zu ergreifen, falls es solche geben sollte.«

Die Antwort des Fürsten kann man sich denken.

Einige Tage darauf teilte Cechina der Duchezza mit, man habe ihr eine große Geldsumme geboten, wenn sie die Diamanten ihrer Herrin durch einen Goldschmied untersuchen ließe. Sie hatte sich entrüstet geweigert. Die Duchezza schalt sie deswegen aus, sie hätte sie ruhig zeigen können. Acht Tage später bekam Cechina die Steine zum Zeigen. Am Tage, der für diese Diamantenbesichtigung bestimmt war, ließ Graf Mosca jeden einzelnen Juwelier von Parma durch je zwei sichere Leute beobachten, und um Mitternacht meldete er der Duchezza, daß der neugierige Goldschmied niemand anders war als Rassis Bruder.

Die Duchezza war an jenem Abend sehr heiter. Man spielte im Schloß eine Commedia dell'arte, das heißt ein Stück, bei dem man nur den Plan der Handlung vereinbart, den Dialog aber der Eingebung der Mitspieler überläßt. In diesem Stück hatte die Duchezza als Liebhaber den Grafen Baldi, den ehemaligen Freund der Marchesa Raversi, die zugegen war. Der Fürst, der schüchternste Mensch seines Landes, aber ein sehr schmucker Junge mit dem zärtlichsten Herzen, studierte die Rolle des Grafen Baldi, die er bei der zweiten Aufführung selber spielen wollte.

»Ich habe nur sehr wenig Zeit«, sagte die Duchezza zum Grafen. »Ich trete in der ersten Szene des zweiten Aktes auf. Gehen wir in das Vorzimmer!«

Dort, angesichts von zwanzig Leibgardisten, lauter aufgeweckten Leuten, die bei der Unterhaltung des Premierministers mit der Oberhofmeisterin die Ohren spitzten, sagte die Duchezza lachend zu ihrem Freunde:

»Sie schelten mich immer aus, wenn ich unnützerweise Geheimnisse ausplaudere. Ich bin es, durch den Ernst V. auf den Thron berufen worden ist. Es handelte sich darum, Fabrizzio zu rächen, der mir damals mehr am Herzen lag als heute, wenn auch stets in aller Unschuld. Ich weiß wohl, daß Sie an diese Unschuld nicht besonders glauben, aber daran liegt wenig, da Sie mich trotz meinen Verbrechen lieben. Wissen Sie, hier haben wir ein regelrechtes Verbrechen. Ich habe alle meine Diamanten einem interessanten Narren namens Ferrante Palla gegeben. Ich habe ihn sogar geküßt, damit er den Mann vernichte, der Fabrizzio vergiften lassen wollte. Was ist Schlimmes dabei?«

»Aha! Daher hatte also Ferrante das Geld für seinen Aufstand!« entgegnete der Graf, ein wenig betroffen. »Und das alles erzählen Sie mir im Wachtsaal!«

»Weil ichs eilig habe und Rassi der Geschichte auf der Spur ist. Allerdings habe ich niemals von einer Empörung gesprochen. Ich verabscheue die Jakobiner. Überlegen Sie sich die Sache, und sagen Sie mir Ihre Meinung nach dem Stück!«

»Ich will Ihnen auf der Stelle sagen, daß Sie den Fürsten verliebt machen müssen, aber wohlgemerkt, in allen Ehren!«

Man rief die Duchezza auf die Bühne. Sie eilte hin. Etliche Tage später empfing die Duchezza durch die Post einen lächerlich großen Brief, der mit dem Namen einer ihrer ehemaligen Kammerzofen unterschrieben war. Es war ein Gesuch um eine Anstellung bei Hofe, aber die Duchezza erkannte auf den ersten Blick, daß es weder die Handschrift noch der Stil jener Zofe war. Als sie den Bogen aufschlug, um die zweite Seite zu lesen, fiel ihr ein kleines wundertätiges Madonnenbild vor die Füße, eingewickelt in ein bedrucktes Blatt aus einem alten Buch. Nach einem flüchtigen Blick auf das Bildchen las die Duchezza ein paar Zeilen des alten bedruckten Blattes. Ihre Augen funkelten, als sie da folgende Worte fand:

›Der Volksvertreter hat hundert Franken im Monat genommen, nicht mehr. Mit dem Rest sollte das heilige Feuer in den Seelen, die durch den Egoismus vereist sind, wieder angefacht werden. Der Fuchs ist mir auf der Spur. Deshalb habe ich nicht danach getrachtet, das angebetete Wesen ein letztes Mal zu besuchen. Ich habe mir gesagt, sie liebt die Republik nicht, sie, die mir ebenso an Verstand wie an Anmut und Schönheit überlegen ist. Wie soll man auch eine Republik ohne Republikaner gründen? Ob ich mich täusche? In sechs Monaten werde ich, die Laterne des Diogenes in der Hand, zu Fuß durch die kleinen Städte Amerikas pilgern; ich will sehen, ob ich die einzige Rivalin noch lieben darf, die Sie in meinem Herzen haben. Wenn Sie diesen Brief erhalten, Frau Duchezza, und wenn ihn vor Ihnen kein Unberufener gelesen hat, dann lassen Sie eine der jungen Eschen umbrechen, die zwanzig Schritt von dem Flecke stehen, wo ich Sie zum ersten Male anzureden gewagt habe. Darauf werde ich unter dem großen Buchsbaum im Garten, dem Sie einmal in meinen glücklichen Tagen Beachtung schenkten, ein Kästchen vergraben, in dem sich Dinge befinden, derentwegen man den Leuten meiner Überzeugung Schlimmes nachsagt. Ich hätte mich wohl gehütet zu schreiben, wenn der Fuchs mir nicht auf der Spur wäre und ein himmlisches Wesen gefährden könnte. In vierzehn Tagen werde ich nach dem Buchsbaum sehen.‹

›Da er eine Druckerei zur Verfügung hat,‹ dachte die Duchezza, ›so werden wir bald eine Sonettsammlung haben. Wer weiß, was für einen Namen er mir da andichten wird!‹

Aus Berechnung machte die Duchezza einen Versuch. Sie wurde acht Tage lang unpäßlich, und der Hof hatte keine netten Abendgesellschaften mehr. Sehr ärgerlich über alles, was sie aus Angst vor ihrem Sohn seit den ersten Stunden ihres Witwentums hatte tun müssen, verbrachte die Fürstinmutter diese acht Tage in einem Kloster, das zu der Kirche gehörte, wo der hochselige Fürst bestattet lag. Diese Unterbrechung der Abendgesellschaften stürzte den Fürsten in riesige Langeweile und versetzte dem Ansehen des Justizministers einen merklichen Stoß. Ernst V. begriff, was für eine Langeweile seinem Hofe drohe, wenn ihn die Duchezza verließe oder auch nur einmal aufhöre, Freuden zu spenden.

Die Abendgesellschaften begannen wieder, und dem Fürsten gefiel die Commedia dell'arte immer mehr. Er hatte Lust, eine Rolle zu übernehmen, aber er wagte seinen Ehrgeiz nicht zu bekennen.

Eines Tages sagte er zur Duchezza, indem er über und über rot wurde: »Warum spiele ich nicht auch?«

»Wir stehen Eurer Hoheit alle zur Verfügung! Wenn Hoheit es mir zu befehlen geruhen, werde ich den Plan zu einer Komödie entwerfen. Bei den Glanzszenen von Allerhöchstdero Rolle sollen Hoheit mich als Partnerin haben. Und da jeder bei den ersten Malen ein wenig Lampenfieber hat, so wollen Hoheit mich aufmerksam ansehen: ich werde die nötigen Antworten vorsagen.«

Alles war mit endloser Sorgfalt vorbereitet. Der überaus schüchterne Fürst schämte sich seiner Schwäche. Die Mühe, die sich die Duchezza gab, damit ihn seine angeborene Schüchternheit nicht quäle, machte tiefen Eindruck auf den jungen Monarchen.

Am Tage seines ersten Auftretens begann das Spiel eine halbe Stunde früher als gewöhnlich, und im Augenblick des Beginns waren im Theatersaal nur acht bis zehn ältere Damen anwesend. Diese Gesichter bedrückten den Fürsten keineswegs, und überdies waren sie in München in den wahren Grundanschauungen des Herrschertums erzogen worden: sie klatschten unausgesetzt Beifall. Kraft ihres Amtes als Oberhofmeisterin schloß die Duchezza die Tür ab, durch die die große Masse der Höflinge einzutreten hatte. Der Fürst, der eine literarische Ader und ein schönes Gesicht hatte, kam über die ersten Auftritte ganz vorzüglich hinweg. Verständnisvoll sagte er die Sätze her, die er der Duchezza aus den Augen ablas oder die sie ihm leise vorsagte. Als gerade einmal die wenigen Zuschauer Beifall spendeten, gab die Duchezza ein Zeichen. Die Haupttür wurde geöffnet, und im Handumdrehen füllte sich der Theatersaal mit allen hübschen Damen der Hofgesellschaft, die zu klatschen anfingen, als sie das reizende Gesicht und die überglückliche Miene des Fürsten sahen. Er errötete vor Freude. Der Fürst gab die Rolle eines Liebhabers der Duchezza. Weit entfernt, ihm weiter vorsagen zu müssen, sah sie sich bald genötigt, der Szene ein Ende zu machen. Er machte seine Liebeserklärungen mit einem Feuer, das seine Partnerin oft in Verlegenheit brachte. Seine Gegenreden dauerten fünf Minuten.

Die Duchezza war nicht mehr die blendende Schönheit wie noch im Jahre vorher. Fabrizzios Gefangenschaft und mehr noch ihr Aufenthalt am Lago Maggiore mit dem mürrisch und schweigsam gewordenen Fabrizzio hatten die schöne Gina um zehn Jahre altern lassen. Ihre Züge hatten sich schärfer aus geprägt; es war mehr Geist darin als Jugend. Nur noch selten zeigten sie jugendliche Frische; aber auf der Bühne, unter Beihilfe von Schminke und anderen Bühnenmitteln, war sie noch immer die schönste Frau am Hofe. Bei den leidenschaftlichen Ergüssen, die der Fürst vortrug, horchten die Hofschranzen auf. Allgemein sagte man an diesem Abend: ›Achtung! Die Balbi des neuen Regimes!‹ Mosca war innerlich empört. Als das Stück zu Ende war, sagte die Duchezza angesichts des ganzen Hofes zum Fürsten: »Eure Hoheit spielen allzu gut. Man wird sagen, Hoheit seien verliebt in eine achtunddreißigjährige Frau. Das könnte meine Heirat mit dem Grafen Mosca vereiteln. Ich werde nicht wieder mit Eurer Hoheit spielen, wenn mir Hoheit nicht schwören, künftig so zu mir zu sprechen, als ob ich eine Dame in vorgerücktem Alter wäre, wie zum Beispiel die Marchesa Raversi.«

Das nämliche Stück wurde dreimal wiederholt. Der Fürst war närrisch vor Glück. Eines Abends jedoch sah er sehr bekümmert aus.

»Entweder irre ich mich stark,« sagte die Oberhofmeisterin zu ihrer Fürstin, »oder Rassi führt irgend etwas gegen uns im Schilde. Ich möchte Eurer Hoheit den Rat geben, für morgen einen Theaterabend anzusagen. Der Fürst wird schlecht spielen und wird Ihnen aus Verzweiflung Andeutungen machen.«

In der Tat spielte der Fürst ganz erbärmlich. Man verstand ihn kaum; er blieb bei jedem Satze stecken. Am Ende des ersten Aktes hatte er beinahe Tränen in den Augen. Die Duchezza blieb um ihn, aber kühl und starr. Als der Fürst einen Augenblick allein mit ihr im Schauspielerzimmer war, schloß er die Tür ab.

»Im zweiten und dritten Akt«, sagte er zu ihr, »kann ich auf keinen Fall spielen. Ich will aber durchaus nicht, daß man mir aus Gefälligkeit zuklatscht. Der Beifall, den man mir heute abend spendet, zermalmt mir das Herz. Geben Sie mir einen Rat: Was soll ich tun?«

»Ich werde vor die Rampe treten, vor Ihrer Hoheit eine tiefe Verbeugung machen, eine zweite vor dem Publikum, wie ein richtiger Theaterdirektor, und verkünden, der Schauspieler, der die Rolle des Lelio gibt, sei plötzlich unpäßlich geworden. Die Vorstellung wird mit ein paar Musikstücken beendet. Graf Rusca und die kleine Ghisoldi werden entzückt sein, ihre krähenden Stimmchen vor einer so glänzenden Gesellschaft hören lassen zu dürfen.«

Der Fürst ergriff die Hand der Duchezza und küßte sie innig.

»Ach, daß Sie kein Mann sind!« sagte er zu ihr. »Sie wären mir ein guter Ratgeber. Rassi hat eben auf meinem Schreibtisch hundertzweiundachtzig Zeugenaussagen gegen die angeblichen Mörder meines Vaters niedergelegt, außerdem eine Anklageschrift von zweihundert Seiten. Das muß ich alles lesen. Und obendrein habe ich mein Wort gegeben, dem Grafen Mosca nichts davon zu sagen. Das führt schnurstracks zu Todesurteilen. Er will bereits, daß ich in Frankreich, in der Umgegend von Antibes, Ferrante Palla festnehmen lassen soll, den großen Dichter, den ich so bewundere. Er lebt da unter dem Namen Poncet.«

»An dem Tage, da Sie einen Liberalen hängen lassen, ist Rassi an seinen Posten mit eisernen Ketten geschmiedet. Und das gerade will er vor allen Dingen. Aber dann werden Eure Hoheit keine zweistündigen Spaziergänge mehr machen können. Ich werde weder der Fürstin noch dem Grafen gegenüber von dem Schmerzensschrei sprechen, der Eurer Hoheit eben entschlüpft ist. Da ich aber meiner Verpflichtung gemäß keinerlei Geheimnis vor der Fürstin haben darf, so wäre ich glücklich, wenn Eure Hoheit geruhten, Ihrer Frau Mutter das nämliche wie mir zu sagen.«

Über diesem Gedanken vergaß der Monarch den Schmerz über seinen schauspielerischen Mißerfolg, der ihn sehr bedrückte.

»Einverstanden! Gehen Sie und benachrichtigen Sie meine Mutter! Ich begebe mich in ihr Empfangszimmer.«

Der Fürst verließ den Bühnenraum, ging durch den Saal, der an den Theatersaal angrenzte, und entließ in ungnädigem Ton den Oberhofmarschall und den diensttuenden Flügeladjutanten, die ihm folgten. Die Fürstinwitwe verließ urplötzlich den Theatersaal. Im Empfangszimmer machte die Oberhofmeisterin eine tiefe Verbeugung vor Mutter und Sohn und ließ die beiden allein.

Man kann sich die Aufregung in der Hofgesellschaft vorstellen. Das sind Dinge, die das Hofleben spaßig machen. Nach Ablauf einer Stunde zeigte sich der Fürst höchstselbst an der Tür des Empfangszimmers und rief die Duchezza. Die Fürstin war in Tränen; ihr Sohn sah ganz entstellt aus.

›Das sind schwache Leutchen, die schlechte Laune haben‹, sagte sich die Oberhofmeisterin, ›und sich nach einem Anlaß umsehen, ihren Ärger an jemandem auszulassen.‹

Zunächst sprachen Mutter und Sohn um die Wette auf die Duchezza ein, die sich in ihren Antworten wohlweislich hütete, der Unterhaltung vorzeitig eine bestimmte Richtung zu geben. Zwei tödliche Stunden lang fielen die drei Personen dieser langweiligen Szene nicht aus ihren eben angedeuteten Rollen heraus. Der Fürst holte eigenhändig die beiden dicken Aktenmappen, die Rassi auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. Als er aus dem Empfangszimmer seiner Mutter trat, sah er, daß der ganze Hof noch wartete.

»Gehen Sie! Gehen Sie! Lassen Sie mich in Ruhe!« rief er in einem sehr unhöflichen Ton, wie man ihn nie an ihm erlebt hatte. Der Fürst wollte nicht gesehen werden, wie er höchstselbst die beiden Aktenmappen holte; ein Fürst darf nie etwas eigenhändig tragen.

Die Höflinge verschwanden im Nu. Als der Fürst zurückkam, traf er nur die Diener, die die Kerzen auslöschten. Er schickte sie zornig weg, ebenso den armen Fontana, den diensttuenden Flügeladjutanten, der in seinem Übereifer tölpelhafterweise noch immer da war.

»Heute abend hat es alle Welt darauf abgesehen, mich nervös zu machen«, sagte er mißlaunig zur Duchezza, als er wieder ins Zimmer trat. Er traute ihr viel Verstand zu und war wütend, daß sie sich offenbar sträubte, ihre Meinung zu bekennen. Sie ihrerseits war fest entschlossen, kein Wort zu sagen, ehe man sie nicht ganz ausdrücklich um ihre Ansicht bitten würde. So verrann abermals eine reichliche halbe Stunde, bis der Fürst im Gefühl seiner Würde sich entschloß, zu ihr zu sagen:

»Nun, gnädige Frau, Sie sagen ja gar nichts!«

»Ich bin hier im Dienste Ihrer Hoheit und habe alsbald zu vergessen, was man in meiner Gegenwart spricht.«

»Also, gnädige Frau,« entgegnete der Fürst und wurde über und über rot, »ich befehle Ihnen, Ihre Meinung zu äußern.«

»Man bestraft die Verbrechen, um zu verhindern, daß sie sich wiederholen. Ist der hochselige Fürst vergiftet worden? Das ist höchst zweifelhaft. Ist er durch die Jakobiner vergiftet worden? Das möchte Rassi wohl am liebsten beweisen, denn dann wird er Eurer Hoheit für alle Zeit ein unentbehrliches Werkzeug. Dann kann sich Eure Hoheit, deren Regierung erst beginnt, auf recht viele solche Abende wie heute gefaßt machen. Allerhöchstdero Untertanen sagen allgemein, und es ist die Wahrheit, Hoheit hätten einen gütigen Charakter. Solange Sie keinen Liberalen an den Galgen bringen, werden Sie sich dieses Rufes erfreuen, und sicherlich wird kein Mensch daran denken, Ihnen Gift zu mischen.«

»Ihr Gedankengang ist klar«, meinte die Fürstin mißlaunig. »Sie wollen nicht, daß die Mörder meines Mannes bestraft werden!«

»Offenbar, Hoheit, weil mich zärtliche Freundschaft an diese Leute kettet.«

Die Duchezza las dem Fürsten von den Augen ab, daß er glaubte, sie wolle ihm in vollständigem Einvernehmen mit seiner Mutter sein Verhalten vorschreiben. Nun entstand zwischen den beiden Damen eine hastige und ziemlich scharfe Aussprache, die damit schloß, daß die Duchezza feierlich erklärte, sie sage nicht ein Wort mehr. Bei diesem Entschluß verharrte sie, aber der Fürst befahl ihr nach einer langen Auseinandersetzung mit seiner Mutter abermals, ihre Meinung zu äußern.

»Ich schwöre den Hoheiten, daß ich das nicht tue!«

»Aber das ist doch wirklich kindisch!« rief der Fürst aus.

»Ich bitte Sie, zu sprechen, Frau Duchezza!« sagte die Fürstin hoheitsvoll.

»Und doch bitte ich Eure Hoheit inständig, entbinden Sie mich davon!« Und zum Fürsten gewandt, fuhr sie fort: »Hoheit lesen tadellos Französisch. Um unsere aufgeregten Gemüter zu beruhigen, lesen Sie uns vielleicht eine Fabel von Lafontaine vor?«

Die Fürstin fand dieses ›uns‹ ziemlich dreist, aber ihr Gesicht nahm plötzlich einen verwunderten und belustigten Ausdruck an, als die Oberhofmeisterin kaltblütig den Bücherschrank öffnete und ihm den Band mit Lafontaines Fabeln entnahm. Die Duchezza blätterte eine Weile darin, dann sagte sie zum Fürsten, indem sie ihm das Buch überreichte:

»Eure Hoheit bitte ich alleruntertänigst, diese Fabel vorzulesen.«

Der Gärtner und der Gutsherr

Ein großer Freund der Gärtnerei,
Halb Bürger und halb Bauersmann,
Besaß, wo, ist wohl einerlei,
Ein Häuschen, ländlich schmuck, mit einem Garten dran,
Den eine grüne Hecke rings umschloß.
Dort wuchs Salat gar lustig, und Gemüse sproß,
Und Minchens wegen, für den Sonntagsstrauß, gabs drin
Pfingstrosen, Malven, Tulpen und Jasmin.
Dies holde Glück, ein Hase hats gestört,
Und unser Mann ging, sich beim Herrn des Guts beklagen.
»Der Teufel hol das Vieh!« rief der empört. –
»Es trotzet Stock und Stein und selbst der Vogelscheuch!
Ich glaub, es ist verhext!« – »Verhext? Ach, dummes Zeug!«
Versetzt der Herr. »Und wenns der Satan selber wäre:
Jakob, der Flinke, holt ihn sonder Müh!
Mein lieber Mann, ihr kriegt ihn los, auf Ehre!« –
»Und wann?« – »Kein langes Zaudern! Morgen früh.«

Wie ausgemacht, kommt er und seine Leute.
»Erst was zu essen!« ruft er. »Gibt es Hühner heute?«
Ein wüst Gelage wird aus diesem Schmaus.
Nun hat man Mut; nun gehts hinaus.
Das Hifthorn gellt; es knattert das Gewehr.
Der gute Mann beschaut voll Schreck den Tanz:
Entzwei der Zaun; kein Fenster ist mehr ganz.
Im Garten gehts noch schlimmer her:
Kein Beet zu finden, keine Blume mehr,
Kein Salat und kein Suppenkraut,
Kein Strunk von allem, was mit Müh erbaut.

»Ein Herrenscherz!« wehklagt der Gärtnersmann.
Man läßt ihn reden, während Knecht und Hunde
Viel mehr verderben just in einer Stunde,
Als alle Hasen in der Runde
In hundert Jahren je getan.

Dem Feinde, kleine Herren, bietet selber Trutz!
Ihr wäret Toren, sucht't bei Königen ihr Schutz.
Verwickelt niemals sie in eure Streitereien;
Vor allem laßt sie nie in euer Land hinein!

Dem Vorlesen dieser Fabel folgte langes Stillschweigen. Der Fürst lief im Zimmer hin und her, nachdem er den Band eigenhändig wieder an seinen Platz gestellt hatte.

»Nun, gnädige Frau,« sagte die Fürstin, »werden Sie jetzt die Güte haben, zu sprechen?«

»Nein, sicherlich nicht, Hoheit, solange mich Serenissimus nicht zum Minister ernannt hat. Wenn ich spreche, laufe ich Gefahr, meinen Posten als Oberhofmeisterin zu verlieren.«

Wiederum eine reichliche Viertelstunde Stillschweigen. Am Ende erinnerte sich die Fürstin der Rolle, die einst Maria von Medici, die Mutter Ludwigs XIII., gespielt hatte. Gerade in den letzten Tagen hatte die Oberhofmeisterin BazinsAnais Bazin de Raucou (1797-1850). Seine ›Histoire de France sous Louis XIII.‹ ist erst 1837 erschienen, eine Tatsache, die Stendhal natürlich bekannt war. vortreffliche ›Geschichte Ludwigs XIII.‹ vorlesen lassen. Die Fürstin, wenngleich sehr empört, dachte daran, daß die Duchezza das Land verlassen könne und daß dann Rassi, vor dem sie eine gräßliche Furcht hatte, vielleicht Richelieu nacheifern und ihren Sohn dazu bringen könne, sie zu verbannen. In diesem Augenblick hätte die Fürstin alles in der Welt gegeben, um ihre Oberhofmeisterin zu demütigen, aber sie vermochte es nicht. Sie erhob sich, ergriff mit einem ein wenig übertriebenen Lächeln die Duchezza bei der Hand und sagte zu ihr: »Gnädige Frau, beweisen Sie mir Ihre Freundschaft, indem Sie sprechen!«

»Es sei! Nur wenige Worte: Den ganzen Aktenkram da im Kamin verbrennen und diesem tückischen Rassi niemals sagen, daß alles verbrannt ist!« Ganz leise und in vertraulichem Ton setzte sie, zur Fürstin gewandt, hinzu: »Wer weiß, ob Rassi kein Richelieu ist!«

»Teufel noch einmal! Diese Papiere kosten mich mehr als achtzigtausend Franken!« rief der Fürst ärgerlich aus.

»Mein Fürst,« erwiderte die Duchezza nachdrücklich, »das kostet es einen, wenn man Schurken von niedriger Herkunft zu Ministern macht. Bei Gott, verlieren Sie lieber eine Million, als daß Sie sich je von diesem gemeinen Halunken abhängig machen, der Ihren Herrn Vater während der letzten sechs Jahre seiner Regierung nicht hat schlafen lassen.«

Die Worte ›von niedriger Herkunft‹ gefielen der Fürstin außerordentlich. Sie hatte immer gefunden, der Graf und seine Freundin hegten eine viel zu hohe Achtung vor dem Geist, der mit dem Jakobinertum immer ein wenig blutsverwandt ist. Während die Fürstin eine kleine Weile unter tiefem Schweigen nachdachte, schlug die Schloßuhr drei. Die Fürstin erhob sich, machte ihrem Sohn eine Verbeugung und sagte zu ihm: »Meine Gesundheit erlaubt mir nicht, die Beratung noch länger hinauszuziehen. Nie einen Minister von niedriger Herkunft! Sie werden mich niemals von der Überzeugung abbringen, daß Ihr Rassi die Hälfte von dem Gelde gestohlen hat, das er für die Spitzelei in Rechnung bringt.«

Sie nahm zwei brennende Leuchter und stellte sie in den Kamin. Dann trat sie an ihren Sohn heran und sagte zu ihm: »Lafontaines Fabel besiegt in meinem Gehirn das gerechte Verlangen, meinen Gatten zu rächen. Ist es mir gestattet, dies Geschreibsel zu verbrennen?«

Der Fürst blieb unbeweglich.

›Er sieht wirklich stumpfsinnig aus‹, dachte die Duchezza. ›Der Graf hat recht. Der selige Serenissimus hätte uns nicht bis drei Uhr morgens aufbleiben lassen, um einen Entschluß zu fassen.‹

Immer noch stehend, fuhr die Fürstin fort: »Dieser armselige Jurist wäre sehr stolz, wenn er wüßte, daß seine Aktenwische, die von Lügen strotzen und nur ausgeklügelt sind, um seiner Laufbahn zu nutzen, die beiden höchsten Persönlichkeiten im Lande um ihre Nachtruhe bringen.«

Wie ein Rasender stürzte sich der Fürst auf eine der beiden Aktenmappen und entleerte ihren ganzen Inhalt in den Kamin. Die Unmenge von Papier hätte beinahe die beiden Kerzenflammen erstickt. Das Zimmer füllte sich mit Rauch. Die Fürstin las in den Augen ihres Sohnes, daß er in Versuchung war, eine Flasche Wasser herzunehmen und diese Akten zu retten, die ihn achtzigtausend Franken kosteten.

»Öffnen Sie doch das Fenster!« rief er der Duchezza mißlaunig zu. Die Duchezza gehorchte schleunigst. Im Nu flammten die Papiere hoch auf. Es knisterte und prasselte im Kamin. Alsbald merkte man, daß die Esse in Brand geraten war.

In allen Geldangelegenheiten war der Fürst kein Held. Er wähnte, sein Schloß stehe in Flammen, und es werde mit allen seinen Schätzen vernichtet. Er rannte an ein Fenster und rief mit völlig veränderter Stimme nach der Wache. Die Soldaten stürzten auf den Ruf des Fürsten Hals über Kopf in den Schloßhof. Der Fürst eilte wieder an den Kamin, durch den der frische Luftzug vom offenen Fenster her mit wirklich grausigem Geräusch brauste. Er wurde ungeduldig, fluchte, ging zwei- oder dreimal ganz außer sich hin und her und rannte schließlich davon.

Die Fürstin und die Oberhofmeisterin blieben stehen und sahen sich unter tiefem Schweigen an.

›Wird der Sturm noch einmal losgehen?‹ fragte sich die Duchezza. ›Meinetwegen! Meine Sache ist gewonnen.‹ Sie nahm sich vor, in ihren Antworten recht unverschämt zu sein, als ein Gedanke sie erleuchtete. Ihr Blick fiel auf die zweite, unversehrte Aktenmappe. ›Nein, meine Sache ist erst halb gewonnen!‹ Mit kühler Miene fragte sie die Fürstin: »Befehlen Hoheit, daß ich den Rest der Papiere verbrenne?«

»Wo wollen Sie ihn denn verbrennen?« meinte die Fürstin ungnädig.

»Im Kamin des Nebengemachs. Wenn ich Blatt für Blatt hineinwerfe, ist keine Gefahr dabei.«

Die Duchezza nahm die mit Papieren vollgestopfte Mappe unter den Arm, ergriff einen Leuchter und ging in das Nebengemach. Sie gönnte sich die Zeit, festzustellen, daß diese Mappe die Zeugenaussagen enthielt. Fünf oder sechs Aktenpäckchen steckte sie in ihren Schal, den Rest verbrannte sie sorgfältig; dann verschwand sie, ohne sich von der Fürstin zu verabschieden.

›Das ist eine schöne Frechheit,‹ sagte sie sich lachend, ›aber die Liebe der untröstlichen Witwe hätte mich fast aufs Schafott gebracht.‹

Als die Fürstin den Wagen der Duchezza davonrollen hörte, geriet sie in maßlosen Zorn gegen ihre Oberhofmeisterin.

Trotz der unschicklichen Stunde ließ die Duchezza den Grafen holen. Er war bei dem Essenbrand im Schloß, kam aber bald mit der Nachricht, das Feuer sei gelöscht. »Das Fürstlein hat viel Schneid bewiesen. Unleugbar! Ich habe ihm ein überschwengliches Kompliment gemacht.«

»Prüfen Sie mal rasch diese Verfügungen! Wir verbrennen sie dann.« Der Graf las und erbleichte.

»Donnerwetter! Man ist der Wahrheit ziemlich nahe gekommen! Die Geschichte ist höchst geschickt gemacht. Dem Ferrante Palla ist man tüchtig auf den Fersen, und wenn er gesteht, sind wir in der schwierigsten Lage.«

»Aber er wird nichts gestehen!« rief die Duchezza aus. »Das ist ein Ehrenmann! Verbrennen wir das Zeug!«

»Noch nicht. Gestatten Sie mir, daß ich mir die Namen der zwölf oder fünfzehn gefährlichsten Zeugen aufschreibe. Wenn Rassi noch einmal anfängt, dann werde ich mir erlauben, sie verschwinden zu lassen.«

»Ich erinnere Eccellenza daran, daß der Fürst sein Wort gegeben hat, seinem Justizminister von unserer nächtlichen Unternehmung nichts zu sagen.«

»Aus Ängstlichkeit und aus Furcht vor einem Auftritt wird er es halten.«

»Lieber Freund, das war eine Nacht, die unsere Heirat beschleunigt. Ich wollte Ihnen als Mitgift keinen Kriminalprozeß in die Ehe bringen, noch dazu wegen einer Sünde, die ich aus Anteilnahme für einen anderen begangen habe.«

Der Graf war verliebt. Er ergriff ihre Hand mit einem Ausruf; Tränen standen ihm in den Augen.

»Ehe Sie gehen, geben Sie mir Ratschläge, wie ich mich der Fürstin gegenüber zu benehmen habe. Ich bin todmüde. Ich habe eine Stunde Komödie auf der Bühne gespielt und fünf Stunden im Empfangszimmer.«

»Sie sind durch Ihr unverschämtes Weggehen reichlich gerächt für etliche scharfe Worte der Fürstin, die nichts waren als Zeichen ihrer Schwäche. Schlagen Sie morgen den nämlichen Ton an wie heute vormittag! Rassi sitzt noch nicht im Gefängnis oder in der Verbannung. Wir haben das Urteil gegen Fabrizzio noch nicht zerrissen.

Sie haben die Fürstin zu einem Entschluß gedrängt. Derlei versetzt Fürsten und selbst Premierminister immer in schlechte Laune. Und schließlich sind Sie ihre Oberhofmeisterin, das heißt ihre Dienerin. Dank einer Gegenströmung, die bei schwachen Menschen unvermeidlich ist, wird Rassi in drei Tagen mehr in Gnaden stehen als je. Er wird sich alle Mühe geben, irgendwen an den Galgen zu bringen. Seine Stellung ist erst gesichert, sobald er den Fürsten hineingeritten hat.

Bei dem Brand in dieser Nacht ist ein Mann verletzt worden, ein Schneider, der sich tatsächlich außergewöhnlich unerschrocken benommen hat. Morgen werde ich den Fürsten auffordern, sich auf meinen Arm zu stützen und mit mir dem Schneider einen Besuch abzustatten. Ich werde mich bis an die Zähne bewaffnen und tüchtig achtgeben. Übrigens haßt man den jungen Fürsten durchaus noch nicht. Ich will ihn daran gewöhnen, durch die Straßen spazieren zu gehen, schon um Rassi zu ärgern, der sicherlich einmal mein Nachfolger wird und solche Unvorsichtigkeiten nicht mehr erlauben kann. Auf dem Rückweg führe ich den Fürsten beim Denkmal seines Vaters vorbei. Er wird auf die Spuren der Steinwürfe aufmerksam werden, von denen die römische Toga beschädigt ist, die der einfältige Bildhauer dem Standbild umgehängt hat. So geistesarm ist der Fürst am Ende nicht, daß er nicht selber auf den Gedanken käme: Das kommt dabei heraus, wenn man Jakobiner aufknüpfen läßt. Ich werde entgegnen: ›Man muß entweder zehntausend hängen oder keinen! Die Bartholomäusnacht hat den Protestantismus in Frankreich vernichtet.‹

Morgen vor unserm Gang, meine liebe Freundin, lassen Sie sich beim Fürsten melden und sagen ihm: ›Ich habe gestern abend bei Ihnen Ministerdienste getan und Ihnen Ratschläge gegeben, aber durch Ihre Befehle bin ich bei der Fürstin wahrscheinlich in Ungnade gefallen. Sie müssen mich entschädigen.‹ Er wird sich auf eine Geldforderung gefaßt machen und die Stirn runzeln. Sie lassen ihn so lange wie möglich in seinem Irrtum, dann sagen Sie: ›Ich bitte Eure Hoheit, allergnädigst zu verfügen, daß Fabrizzio vor ein Revisionsgericht gestellt wird, das aus den zwölf geachtetsten Richtern des Landes zusammengesetzt sein soll.‹ Zugleich werden Sie ihm eine kleine Kabinettsorder, von Ihrer schönen Hand geschrieben, zur Unterschrift vorlegen. Ich werde sie Ihnen unverzüglich diktieren. Selbstverständlich werde ich die Klausel anbringen, daß das erste Urteil ungültig ist. Dagegen gäbe es nur einen Einwand, aber wenn Sie die Sache rasch erledigen, denkt der Fürst gar nicht daran. Er könnte Ihnen sagen: ›Es ist erforderlich, daß sich Fabrizzio von selber wieder als Gefangener stellt.‹ Darauf würden Sie erwidern: ›Er wird sich als Gefangener im Stadtgefängnis einfinden.‹ Sie wissen, dort bin ich Herr; alle Abende wird Ihnen Ihr Neffe einen Besuch machen. Sollte der Fürst einwenden: ›Nein. Seine Flucht war ein Schimpf für die Zitadelle, und ich will der Form halber, daß er in dieselbe Zelle kommt, in der er war‹, dann ist es an Ihnen, zu erklären: ›Nein, denn dann ist er in der Gewalt meines Feindes Rassi‹, und durch eine echt weibliche Bemerkung, die Sie so schön einzurichten wissen, werden Sie ihm zu verstehen geben, daß Sie, um Rassi zu beugen, ihm sehr wohl von der Aktenverbrennung dieser Nacht erzählen könnten. Bleibt er halsstarrig, dann kündigen Sie ihm an, Sie brächten vierzehn Tage in Ihrem Schlosse Sacca zu!

Lassen Sie sich Fabrizzio kommen und fragen Sie ihn um seine Ansicht über diesen Schritt, der ihn unter Umständen wieder zum Gefangenen macht. Um auf alles gefaßt zu sein: Falls Rassi allzu ungeduldig wird und mich vergiften läßt, so schwebt Fabrizzio allerdings in Gefahr. Aber das ist wenig wahrscheinlich. Sie wissen, ich habe einen französischen Koch, das fröhlichste Menschenkind, der nichts als Witze macht. Nun: Witzemacher sind unmöglich nebenbei Giftmischer. Ich habe unserm Freund Fabrizzio bereits mitgeteilt, daß ich alle Zeugen seiner schönen Heldentat aufgetrieben habe. Es ist klar wie der Tag, daß Giletti ihn ermorden wollte. Ich habe Ihnen noch nichts von diesen Zeugen erzählt, weil ich Sie überraschen wollte. Diese Absicht ist nun vereitelt; der Fürst hat die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht unterzeichnen wollen. Ich habe unserm Fabrizzio versprochen, ihm eine hohe kirchliche Würde zu besorgen, aber ich hätte manche Schwierigkeit, wenn seine Feinde beim Römischen Hofe eine Anklage wegen Mordes gegen ihn ausspielten.

Sehen Sie ein, Duchezza, daß ihm der Name Giletti sein ganzes Leben lang im Wege ist, wenn er nicht auf die feierlichste Weise freigesprochen wird? Es wäre eine große Kleinmütigkeit, sich den Gerichten zu entziehen, wenn man seiner Unschuld gewiß ist. Und wenn er auch schuldig wäre, ich würde ihn doch freisprechen lassen. Als ich ihm den Vorschlag machte, hat mich der ungestüme junge Mann nicht ausreden lassen; er hat den Hofkalender hergenommen, und wir haben zusammen die zwölf unbescholtensten und gelehrtesten Richter ausgesucht. Als die Liste fertig war, haben wir sechs Namen ausgestrichen und dafür zwei Staatsanwälte, persönliche Gegner von mir, gesetzt. Mehr fanden wir nicht, da ich so viel Feinde nicht habe, und so haben wir noch vier Schurken von Rassis Klüngel dazu genommen.«

Dieser Vorschlag des Grafen versetzte die Duchezza in tödliche und nicht unbegründete Besorgnis. Schließlich fügte sie sich der Vernunft und schrieb nach dem Diktat des Ministers die Kabinettsorder nieder, kraft deren die zwölf Richter einberufen wurden.

Der Graf verließ die Duchezza erst um sechs Uhr früh. Vergeblich versuchte sie zu schlafen. Um neun Uhr frühstückte sie mit Fabrizzio, der darauf brannte, vor seine Richter zu kommen. Um zehn Uhr war sie bei der Fürstin, die noch nicht zu sehen war. Um elf Uhr ließ sie sich beim Fürsten melden, als er seinen Morgenempfang abhielt. Er unterzeichnete die Order ohne den geringsten Einwand. Die Duchezza schickte die Urkunde zum Grafen und legte sich zu Bett.

Es wäre vielleicht spaßhaft, die Wut Rassis zu schildern, als ihm der Graf in Gegenwart des Fürsten die bewußte Kabinettsorder zur Gegenzeichnung vorlegte, aber die Geschehnisse drängen sich. Der Graf erwog die Vorzüge jedes Richters und erbot sich, die Namen zu ändern. Aber der Leser ist all dieser kleinlichen Maßnahmen und nicht minder der Hofränke müde. Aus alledem kann man den Schluß ziehen: Ein Mensch, der sich in das Hofleben begibt, gefährdet sein Glück, wenn er glücklich ist, und macht manchmal seine Zukunft von den Umtrieben einer Kammerzofe abhängig. In Amerika anderseits, in der Republik, muß man den ganzen Tag damit vergeuden, sich ernstlich um die Gunst von Ladenkrämern zu bemühen, bis man genau so dumm wird wie sie. Und dann keine Oper!

Als die Duchezza gegen Abend aufstand, geriet sie in lebhafte Unruhe: Fabrizzio war nirgends aufzufinden. Gegen Mitternacht, während der Theatervorstellung im Schloß, empfing sie endlich einen Brief von ihm. Statt sich als Gefangener im Stadtgefängnis zu stellen, wo der Graf Herr war, hatte er sich wieder in seiner alten Zelle in der Zitadelle eingefunden, überglücklich, wenige Schritte von Clelia entfernt zu wohnen.

Das war ein Ereignis von ungeheuerer Tragweite. In der Zitadelle war er der Gefahr der Vergiftung mehr denn je ausgesetzt. Diese Torheit brachte die Duchezza zur Verzweiflung. Sie verzieh ihm die Ursache, seine wahnsinnige Liebe zu Clelia, weil es entschieden war, daß sie in wenigen Tagen den reichen Marchese Crescenzi heiratete. Diese Torheit gab Fabrizzio die Allgewalt wieder, die er ehedem auf die Seele der Duchezza ausgeübt hatte. ›Jene verfluchte Order, die ich habe unterschreiben lassen, die ist es, die ihn in den Tod stürzt! Die Männer sind Narren mit ihren Ehrbegriffen! Wie kann man an die Ehre denken in einer absoluten Monarchie, in einem Lande, wo ein Rassi Justizminister ist! Viel besser wäre es gewesen, die Begnadigung anzunehmen; der Fürst hätte sie mir ebenso leicht unterzeichnet wie die Einberufung dieses besonderen Gerichtshofes. Was bedeutet es im Grunde genommen, ob ein hochgeborener Mann wie Fabrizzio mehr oder weniger beschuldigt wird, mit seinem Degen einen Komödianten wie diesen Giletti eigenhändig getötet zu haben!‹

Sofort nach dem Empfang von Fabrizzios Brief eilte die Duchezza zum Grafen. Sie fand ihn totenbleich.

»Bei Gott, meine Teure, ich habe mit diesem Jungen eine unglückliche Hand, und Sie werden mir abermals darum zürnen. Ich kann Ihnen beweisen, daß ich den Kerkermeister vom Stadtgefängnis gestern abend verständigt habe. Ihr Neffe wäre alle Tage zum Tee zu Ihnen gekommen. Und was das Allerschlimmste dabei ist: Sie und ich, wir können dem Fürsten unmöglich sagen, wir hätten Angst, daß man Fabrizzio vergiften könne und daß Rassi dieser Giftmischer sein soll. Dieser Verdacht erschiene ihm als der Inbegriff niedrigster Gesinnung. Gleichwohl, wenn Sie es verlangen, bin ich bereit, zum Fürsten zu gehen; der Antwort freilich bin ich sicher. Ich will Ihnen etwas anderes sagen. Ich will Ihnen ein Mittel vorschlagen, das ich für mich nicht anwenden würde. Seit ich in diesem Lande am Ruder bin, habe ich keinen Menschen umgebracht, und Sie wissen, wie töricht ich in dieser Beziehung bin. Bisweilen, wenn die Sonne sinkt, denke ich an jene zwei Spitzel, die ich ohne viel Federlesens in Spanien habe erschießen lassen. – Nun wohl, wollen Sie, daß ich Rassi umbringe? Die Gefahr, die Fabrizzio von ihm droht, ist grenzenlos. Er hat jetzt ein sicheres Mittel in der Hand, mich aus dem Sattel zu heben.«

Der Vorschlag sagte der Duchezza außerordentlich zu, aber sie nahm ihn nicht an.

»Ich will nicht,« erwiderte sie dem Grafen, »daß Sie in unserm Zufluchtsort, unter Neapels schönem Himmel, des Abends schwarze Gedanken hegen.«

»Aber, teure Freundin, es scheint mir, als ob wir nur zwischen diesem oder jenem schwarzen Gedanken zu wählen haben. Was wird aus Ihnen, was aus mir, wenn Fabrizzio von einer Krankheit hingerafft wird?«

Die Erörterung begann von neuem, und die Duchezza setzte ihr mit folgender Redensart ein Ende: »Rassi verdankt sein Leben der Tatsache, daß ich Sie mehr liebe als Fabrizzio. Nein, ich will unsern gemeinsamen Lebensabend nicht trüben.«

Die Duchezza eilte nach der Zitadelle. Der General Fabio Conti war selig vor Freude, als er ihr den Wortlaut der Festungsvorschrift entgegenhalten konnte: »Niemand darf das Innere eines Staatsgefängnisses ohne Allerhöchsten Orts unterzeichnete Order betreten.«

»Aber der Marchese Crescenzi und seine Musikanten kommen doch alle Abende in die Zitadelle!«

»Weil ich dazu die Allerhöchste Genehmigung eingeholt habe.«

Die arme Duchezza kannte den ganzen Umfang ihres Unglücks nicht. Der General Fabio Conti hatte sich durch Fabrizzios Flucht in seiner persönlichen Ehre verletzt gefühlt. Als er ihn wieder in die Zitadelle kommen sah, hätte er ihn nicht aufnehmen dürfen, denn dazu hatte er keinen Befehl. Aber er hatte sich gesagt: ›Der Himmel schickt ihn mir wieder, um meine Ehre reinzuwaschen und mich von der Schande zu befreien, die meine soldatische Laufbahn besudelt hat. Ich darf mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Ohne Zweifel wird man ihn freisprechen, und die Tage der Rache sind gezählt!‹


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