Stendhal
Die Kartause von Parma
Stendhal

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Derlei Hofhistörchen, wie die soeben erzählten, füllen die Geschichte der nächsten vier Jahre. Jedes Frühjahr kam die Marchesa del Dongo mit ihren Töchtern und verlebte zwei Monate im Palazzo Sanseverina oder auf dem Gute Sacca am Ufer des Po. Es gab da herrliche Stunden, öfters war von Fabrizzio die Rede, aber der Graf wollte ihm niemals einen Besuch in Parma gestatten. Die Duchezza und der Minister hatten wohl ab und zu gewisse Unbesonnenheiten Fabrizzios wieder gutzumachen, aber im allgemeinen führte er mit ziemlichem Verständnis die ihm vorgeschriebene Lebensweise; er gab sich eben wie ein hoher Herr, der Theologie studiert und seine Laufbahn nicht allzusehr auf seine Tugendhaftigkeit baut.

In Neapel hatte ihn eine außerordentlich rege Vorliebe für das Studium der Antike ergriffen. Er veranstaltete Ausgrabungen. Diese Neigung hatte seine ehemalige Pferdeliebhaberei fast verdrängt. Seine englischen Vollblüter hatte er verkauft, um seine Grabungen bei Misenum fortsetzen zu können. Dort hatte er eine Tiberiusbüste gefundenGenau so hat Beyle selbst eine Tiberiusbüste besessen, die er (1832) einem Bauern abgekauft hatte, der sie beim Graben einer Grube gefunden hatte., die den Kaiser in jugendlichem Alter darstellte; sie gehört zum Schönsten, was die Antike hinterlassen hat. Die Entdeckung dieser Büste war wohl die innigste Freude, die er in Neapel erlebte. Er besaß eine viel zu hohe Seele, als daß er es den anderen jungen Leuten gleichtun und etwa die Rolle des Verliebten mit einem gewissen Ernst hätte spielen mögen. Selbstverständlich fehlte es ihm nicht an Liebschaften, aber sie beschäftigten ihn nur oberflächlich, und man konnte von ihm trotz seinem Alter sagen, daß er von der Liebe nichts wußte. Um so mehr wurde er geliebt. Aber nichts vermochte ihn aus seiner schönen Kaltblütigkeit zu bringen; ihm galt eine junge Schönheit immer genau so viel wie jede andere junge Schönheit, nur daß ihm die am lockendsten erschien, die er zuletzt kennen gelernt hatte. Eine der gefeiertesten Damen von Neapel hatte im letzten Jahre seines Aufenthaltes Torheiten für ihn begangen; das hatte ihn anfangs belustigt, schließlich aber dermaßen gelangweilt, daß er es wie ein Glück empfand, durch seine Abreise den Aufmerksamkeiten der reizenden Duchezza von Albarocca enthoben zu sein.

Im Jahre 1821, nachdem er alle seine Prüfungen leidlich bestanden hatte, bekam sein Rektor einen Orden und ein Geschenk, und Fabrizzio machte sich auf, um zum ersten Mal jene Stadt Parma zu besuchen, an die er so viel gedacht hatte. Er war Monsignore und fuhr vierspännig. Von der letzten Poststation vor Parma an behielt er nur noch zwei Pferde, und in der Stadt ließ er vor der Kirche San Giovanni halten. Dort besuchte er das prunkvolle Grabmal des Erzbischofs Ascanio del Dongo, seines Urgroßonkels, der die lateinische Familiengeschichte verfaßt hatte. Er betete am Grabe und ging dann zu Fuß nach dem Palast der Herzogin, die ihn erst in ein paar Tagen erwartet hatte. In ihrem Salon war zahlreicher Besuch; alsbald verabschiedete sich alles.

»Nun, bist du mit mir zufrieden?« sagte er und sank in ihre Arme. »Dir verdanke ich es, daß ich vier recht glückliche Jahre in Neapel verlebt habe, statt mich in Novara mit meiner von der Polizei genehmigten Geliebten zu langweilen.«

Die Herzogin kam aus ihrem Erstaunen nicht heraus; sie hätte ihn nicht wiedererkannt, wenn sie ihm auf der Straße begegnet wäre. Sie fand, er sei wirklich einer der hübschesten Männer von Italien; besonders sein Gesichtsausdruck war entzückend. Als sie ihn nach Neapel schickte, war er ein echter Draufgänger gewesen; die Reitpeitsche, die er immer bei sich zu haben pflegte, schien damals ein Teil seines Wesens. Jetzt trug er vor Fremden das vornehmste, gemessenste Benehmen zur Schau. Nur unter vier Augen fand sie sein ganzes jugendliches Feuer wieder. Er war wie ein Diamant, der beim Schleifen nichts verloren hatte.

Fabrizzio war noch keine Stunde da, als sich Graf Mosca einstellte. Er kam ein wenig zu früh. Der junge Mann sprach in so gewählten Worten von dem Parmaer Orden, mit dem sein Rektor ausgezeichnet worden war, und drückte ihm auch für andere Wohltaten, die er nur in verblümter Weise anzudeuten wagte, mit so vollendetem Anstand seinen Dank aus, daß der Minister vom ersten Augenblick an die günstigste Meinung von ihm bekam.

»Ihr Neffe«, sagte er leise zur Duchezza, »ist wie geschaffen für die hohen Würden, zu denen Sie ihn bald erheben wollen.«

So weit ging alles vortrefflich; als aber der Minister, der mit Fabrizzio sehr zufrieden war und bisher einzig auf ihn achtgegeben hatte, die Duchezza ansah, fand er etwas Ungewohntes in ihren Augen. ›Der junge Mann macht einen merkwürdigen Eindruck auf sie‹, sagte er sich. Diese Erkenntnis war bitter. Der Graf hatte die Fünfzig erreicht, – ein grausames Wort, dessen Bedeutung wohl nur ein grenzenlos verliebter Mann verstehen kann. Er war sehr rüstig, durchaus der Liebe wert, trotz seiner Ministerwürde. Aber jenes grausame Wort Fünfzig warf einen Schatten auf sein ganzes Dasein; es stimmte ihn beinahe feindselig gegen sich selbst. In den fünf Jahren, seitdem er die Duchezza bewogen hatte, nach Parma zu kommen, hatte sie des öfteren seine Eifersucht herausgefordert, besonders in den ersten Zeiten, aber niemals hatte sie ihm einen ernstlichen Anlaß dazu gegeben. Er war überzeugt, und das mit Recht, daß sie bisweilen den oder jenen schmucken jungen Mann am Hofe zum Schein ausgezeichnet hatte, einzig, um sich seines Herzens um so fester zu versichern. Unter anderem wußte er genau, daß sie die Huldigungen des Fürsten von sich gewiesen hatte, der bei dieser Gelegenheit sogar eine lehrreiche Äußerung getan hatte.

»Wenn ich nun Eurer Hoheit Huldigungen annehmen wollte,« hatte ihm die Duchezza lachend erwidert, »wie sollte ich mich dann dem Grafen gegenüber benehmen?«

»Das würde mich fast ebenso in Verlegenheit setzen wie Sie. Der liebe Graf, mein Freund! Aber dieses Hindernis wäre doch leicht zu beseitigen, und ich habe schon daran gedacht: der Graf wird einfach lebenslänglich in die Zitadelle gesteckt.«

Bei Fabrizzios Ankunft war die Duchezza so außer sich vor Glück, daß sie gar nicht auf den Gedanken kam, was für einen Eindruck ihr glückliches Aussehen auf den Grafen machen könne. Die Wirkung war tief und der Argwohn unheilbar.

Zwei Stunden nach seiner Ankunft wurde Fabrizzio dem Fürsten vorgestellt. In der Voraussicht, daß ein derartig rascher Empfang in der Öffentlichkeit günstigen Eindruck verursachen werde, hatte die Duchezza bereits seit zwei Monaten darum nachgesucht. Diese Vergünstigung stellte Fabrizzio von vornherein außer Reih und Glied. Sie hatte den Vorwand gebraucht, er berühre Parma nur auf der Durchreise und wolle alsbald seine Mutter in Piemont besuchen.

In dem Augenblick, als der Fürst durch ein reizendes kleines Kärtchen der Duchezza erfuhr, daß Fabrizzio seiner Befehle harre, langweilte sich Serenissimus gerade. ›Da werde ich wohl einen blöden kleinen Heiligen zu sehen bekommen,‹ sagte er sich, ›einen Narren oder einen Heuchler.‹

Der Festungskommandant hatte ihm bereits Fabrizzios ersten Besuch am Grabmal des Onkel-Erzbischofs hinterbracht. Der Fürst sah einen schlanken jungen Herrn eintreten, den er ohne seine violetten Strümpfe für einen jungen Offizier gehalten hätte.

Die kleine Überraschung verscheuchte die Langeweile. ›Da ist das Bürschchen,‹ meinte er bei sich, ›für das man mich um, Gott weiß, was für Gnaden bitten wird, um alles, was in meiner Macht steht. Er kommt soeben an; er muß befangen sein. Ich werde ein bißchen Jakobinerpolitik machen. Wir werden sehen, wie er antwortet.‹

Nach den ersten huldvollen Worten fragte der Fürst: »Nun, Monsignore, ist das Volk von Neapel glücklich? Ist der König beliebt?«

»Serenissimus,« entgegnete Fabrizzio, ohne einen Augenblick zu zögern, »in den Straßen Neapels habe ich die vorzügliche Haltung der Soldaten von verschiedenen Regimentern Seiner Majestät des Königs bewundert. Die gute Gesellschaft erweist den höchsten Herrschaften die geziemende Ehrfurcht. Ich muß aber gestehen, daß ich nie geduldet habe, daß die Leute aus den niederen Klassen mir von anderen Dingen erzählten als von der Arbeit, für die ich sie bezahle.«

›Donnerwetter!‹ sagte sich der Fürst. ›Das ist ja ein schön zugestutzter Vogel! Ganz der Geist der Sanseverina.‹

Das Spiel reizte ihn, und der Fürst wandte seine ganze Schlauheit auf, um Fabrizzio auf dem Glatteis dieses Themas zum Sprechen zu bringen. Den jungen Mann regte die Gefahr an; er hatte das Glück, bewundernswerte Antworten zu finden.

»Es ist fast eine Dreistigkeit,« sagte er, »seinem König Liebe zu bekunden; blinden Gehorsam schuldet man ihm.«

Angesichts so übergroßer Vorsicht wurde der Fürst beinahe mißlaunig. ›Wie es scheint, ist das ein geistreiches Menschenkind, das da aus Neapel zu uns kommt. Die Sorte liebe ich nicht. Geistreiche Leute, mögen sie die besten Grundsätze haben und noch so strenggläubig sein, sind immer irgendwie Blutsverwandte von Voltaire und Rousseau.‹

Das gute Benehmen und die so unanfechtbaren Antworten des jungen Mannes, der kaum der Schulbank entronnen war, berührten den Fürsten wie Trotz. Er sah sich in seiner Erwartung getäuscht. Augenblicklich nahm er einen leutseligen Ton an und kam nach einigen Zwischenworten auf die wesentlichen Grundsätze von Staat und Gesellschaft zu sprechen. An passenden Stellen flocht er ein paar Redensarten aus Fénelon ein, die man ihm in seiner Jugend zur Verwendung bei Empfängen eingepaukt hatte.

»Sie staunen über diese Grundsätze, junger Mann,« sagte er zu Fabrizzio – er hatte ihn zu Beginn des Empfangs mit Monsignore angesprochen und beabsichtigt, ihn mit Monsignore zu entlassen, aber im Laufe der Unterhaltung fand er es geschickter und vorteilhafter, für sein schwülstiges Gerede eine freundschaftlichere Bezeichnung zu verwenden –, »Sie staunen über diese Grundsätze, junger Mann, und ich gebe zu, sie sind grundverschieden von den absolutistischen Tiraden,« – das war sein Ausdruck – »die man alle Tage in meinem Amtsblatt lesen kann. – Aber, mein Gott, was erzähle ich Ihnen da? Die Mitarbeiter dieser Zeitung sind Ihnen doch gänzlich unbekannt.«

»Serenissimus geruhen mir allergnädigst zu verzeihen: ich lese nicht nur das Parmaer Tageblatt, das ich recht gut geschrieben finde, sondern teile auch seine Ansicht, daß alles, was seit dem Tode Ludwigs XIV. im Jahre 1715 geschehen ist, ebenso verbrecherisch wie töricht ist. Die Hauptsache für den Menschen ist sein Seelenheil. Darüber kann es nicht zweierlei Ansichten geben, und die Seligkeit muß von ewiger Dauer sein. Die Worte Freiheit, Gerechtigkeit, öffentliche Wohlfahrt sind verrucht und sündhaft. Sie gewöhnen die Gemüter nur ans Diskutieren und ans Mißtrauen. Ein Parlament wird dem, was diese Leute ein Ministerium nennen, nie etwas Gutes zutrauen. Wenn dieses verhängnisvolle gewohnheitsmäßige Mißtrauen einmal eingerissen ist, so wendet es die menschliche Schwäche auf alles an. Dann kommt der Mensch so weit, an der Heiligen Schrift, an den Geboten der Kirche, an der Tradition zu zweifeln, und dann ist er verloren! Und selbst wenn das Mißtrauen – was gräßlich, irrig und verbrecherisch zu sagen ist –, wenn das Mißtrauen gegen die Autorität der Fürsten von Gottes Gnaden uns für die zwanzig oder dreißig Jahre hienieden, auf die jeder von uns rechnen kann, Glück brächte, was ist ein halbes, ja ein ganzes Jahrhundert im Vergleich zur ewigen Verdammnis?«

Man erkennt aus der Art, wie Fabrizzio sprach, daß er bestrebt war, seine Gedanken in eine leicht verständliche Form zu fassen. Es war klar, daß er nichts Einstudiertes herleierte.

Sehr bald gab es der Fürst auf, sich mit diesem jungen Mann herumzuärgern, dessen schlichte, ernste Grundsätze ihm lästig waren.

»Leben Sie wohl, Monsignore!« sagte er plötzlich. »Ich sehe, die Schulung auf der theologischen Akademie in Neapel ist vortrefflich, und wenn solche trefflichen Lehren gar in einem hervorragenden Geist aufgehen, so ist es ganz natürlich, daß man glänzende Erfolge erzielt. Leben Sie wohl!«

Damit drehte er ihm den Rücken.

›Diesem Schafskopf habe ich ganz und gar nicht gefallen‹, sagte sich Fabrizzio.

›Jetzt bleibt es abzuwarten,‹ erwog der Fürst, sobald er allein war, ›ob dieser schöne junge Mann empfänglich für irgendeine Leidenschaft ist. Dann wäre er vollkommen. – Er ist ein geistreicher Nachbeter der guten Lehren seiner Tante. Ich habe sie richtig reden hören. Wenn es einmal eine Revolution in meinem Lande geben sollte, dann wäre sie diejenige, die den ›Vorwärts‹ herausgibt, wie damals die San Felice in NeapelDie Marchesa Luisa San Felice wurde im Jahre 1800 auf Befehl des von seinen Kurtisanen beherrschten Königs Ferdinand I. von Neapel als Verschwörerin gehenkt.. Na, trotz ihren fünfundzwanzig Jahren und ihrer Schönheit hat man die San Felice ein bißchen aufgeknüpft. Ein warnendes Beispiel für überkluge Weiber!‹

Mit seiner Vermutung, Fabrizzio sei der Schüler seiner Tante, war der Fürst im Irrtum. Geistig begabte Menschen, die auf einem Thron oder in seiner Nähe geboren sind, verlieren häufig das Feingefühl. Um sie herum ist freimütige Unterhaltung verpönt; sie erscheint ihnen grob. Sie wollen nur Masken sehen und maßen sich doch ein Urteil über die Schönheit der Gesichtsfarbe an. Das Drollige dabei ist, daß sie sich viel Feingefühl zutrauen. Im vorliegenden Fall zum Beispiel glaubte Fabrizzio ungefähr alles, was wir ihn haben sprechen hören; allerdings dachte er keine zweimal im Monat an diese erhabenen Grundsätze. Er war ein aufgeschlossener und kluger Mensch, aber er war gläubig.

Der Freiheitsdrang, die Mode und der Kult der Volksbeglückung, diese Krankheiten des neunzehnten Jahrhunderts, waren in seinen Augen nichts als eine Ketzerei, die wieder verschwinden wird wie alle anderen, aber erst nach der Vernichtung vieler Seelen, so wie einst die Pest da, wo sie wütete, viele Körper hingerafft hat. Und trotz alledem las Fabrizzio die französischen Zeitungen voll Entzücken und beging sogar zuweilen die Unvorsichtigkeit, sich welche zu verschaffen.

Als Fabrizzio, noch ganz verblüfft vom Empfang im Schloß, zurückkam und seiner Tante von den verschiedenen Fallstricken des Fürsten erzählte, sagte sie zu ihm:

»Du mußt nun unverzüglich dem Padre Landriani, unserem ehrwürdigen Erzbischof, deinen Besuch machen. Geh zu Fuß hin, steige die Treppen geräuschlos hinauf, mache möglichst wenig Lärm in den Vorzimmern. Wenn man dich warten läßt, um so besser, um so viel tausendmal besser! Mit einem Wort: Benimm dich apostolisch!«

»Ich verstehe,« meinte Fabrizzio, »der Mann ist ein Tartüff.«

»Ganz und gar nicht! Er ist die leibhafte Tugend.«

»Trotz seiner Haltung bei der Hinrichtung des Grafen Palanza?« erwiderte Fabrizzio verwundert.

»Jawohl, mein lieber Freund, trotzdem! Der Vater unseres Erzbischofs war Unterbeamter im Finanzministerium, ein Kleinbürger. Das erklärt alles. Monsignore Landriani ist ein Mann von regem Verstand und gründlichem Wissen, ein ehrlicher Mensch. Er liebt die Tugend. Ich bin überzeugt: käme ein neuer Kaiser Decius auf die Welt, so stürbe er den Märtyrertod wie Polyeukt in der Oper, die man vergangene Woche gegeben hat. Das ist die gute Seite. Jetzt kommt die Kehrseite der Medaille. Sobald er dem Monarchen oder auch nur dem Premierminister gegenübersteht, ist er geblendet von so viel Größe. Er wird verwirrt, er errötet. Es ist ihm tatsächlich unmöglich, nein zu sagen. Daraus erklärt sich seine damalige Handlungsweise, die ihm in ganz Italien den Ruf der Grausamkeit eingebracht hat. Aber eines weiß man nicht: Als ihn die öffentliche Meinung über den Prozeß des Grafen Palanza aufklärte, da legte er sich die Buße auf, dreizehn Wochen von Wasser und Brot zu leben, so viel Wochen, wie der Name Davide Palanza Buchstaben hat. Wir haben hier am Hof einen grenzenlos durchtriebenen Schurken, namens Rassi, den Oberrichter oder Großfiskal, der den Pater Landriani zur Zeit der Hinrichtung des Grafen Palanza im Garn hatte. Während seiner dreizehnwöchigen Fastenzeit lud ihn der Graf Mosca aus Mitleid und auch ein wenig aus Bosheit und gar zweimal wöchentlich zu Tisch ein. Der gutmütige Erzbischof aß aus Unterwürfigkeit mit wie alle anderen; er hätte es für Rebellion und Jakobinertum gehalten, sich öffentlich anmerken zu lassen, daß er sich für eine vom Landesherrn gutgeheißene Tat eine Buße auferlegt hatte. Aber man wußte, daß er für jede Einladung, bei der ihn seine treue Untertanenpflicht zwang, wie alle anderen zu essen, sich je zwei weitere Bußtage bei Wasser und Brot aufbrummte.

Monsignore Landriani, ein höherer Geist, ein Gelehrter ersten Ranges, hat nur eine Schwäche: er will verehrt sein. Sei also gerührt, wenn du ihn erblickst, und liebe ihn beim dritten Besuch wirklich. Im Verein mit deiner Abkunft wird dich das alsbald zu seinem Liebling machen. Zeige kein Befremden, wenn er dich bis an die Treppe geleitet; tue, als wärst du dergleichen gewöhnt. Er hat den Geburtsfehler, vor dem Adel zu knieen. Im übrigen sei schlicht, apostolisch, keinesfalls geistreich, glänze nicht, und sei nicht etwa rasch im Antworten. Wenn du ihn kein bißchen schüchtern machst, dann behagst du ihm. Denke daran, daß er dich aus eigenem Antrieb zu seinem Großvikar ernennen muß. Der Graf und ich werden über diese allzu schnelle Beförderung überrascht und sogar ärgerlich tun. Das ist dem Fürsten gegenüber notwendig.«

Fabrizzio eilte in den erzbischöflichen Palast. Ein sonderbarer Zufall fügte es, daß der etwas schwerhörige Kammerdiener des trefflichen Prälaten den Namen del Dongo überhörte; er meldete einen jungen Priester namens Fabrizzio an. Der Erzbischof hatte gerade einen Pfarrer von wenig musterhafter Führung vor sich, den er sich hatte kommen lassen, um ihm den Standpunkt klar zu machen. Er war eben dabei, ihn abzukanzeln – etwas ihm höchst Peinliches –, und wollte sich seines Schmerzes gründlichst entledigen. Darum mußte der Großneffe des berühmten Erzbischofs Ascanio del Dongo drei Viertelstunden warten.

Er begleitete den Pfarrer bis ins letzte Vorzimmer und fragte beim Zurückkommen den Wartenden beiläufig, womit er ihm dienen könne. Wie soll man seine Entschuldigungen und seine Verzweiflung schildern, als er die violetten Strümpfe gewahrte und den Namen Fabrizzio del Dongo vernahm? Unserem Helden kam die Geschichte so spaßig vor, dass er es wagte, obgleich es sein erster Besuch war, in einer Anwandlung von Zärtlichkeit dem würdigen Prälaten die Hand zu küssen. Er mußte es anhören, wie der Erzbischof ganz außer sich immer wieder sagte: »Ein del Dongo muß in meinem Vorzimmer warten!« Gleichsam als Entschuldigung hielt er sich für verpflichtet, ihm die ganze Geschichte mit dem Pfarrer, seine Verstöße, seine Ausreden und so weiter zu erzählen.

›Wie ist es nur möglich,‹ fragte sich Fabrizzio auf dem Heimweg zum Palazzo Sanseverina, ›dass dieser Mann die Hinrichtung des armen Grafen Palanza hat beschleunigen können?‹

»Was denken vostr' Eccellenza?« rief ihm der Graf Mosca lachend entgegen, als er ihn in das Zimmer der Duchezza eintreten sah. (Der Graf hatte es nicht gern, wenn Fabrizzio ihn Exzellenz nannte.)

»Ich bin wie aus den Wolken gefallen. Nichts verstehe ich vom Wesen der Menschen. Wenn ich seinen Ruf nicht kennte, ich hätte gewettet, er könne kein Huhn schlachten sehen.«

»Und die Wette hätten Sie gewonnen« entgegnete der Graf. »Aber wenn er vor dem Fürsten steht oder nur vor mir, so kann er nicht nein sagen. Allerdings, um zur vollen Wirkung zu kommen, muß ich das große gelbe Ordensband überm Rock tragen. Im Frack widerspräche er mir. Wenn ich ihn empfange, trage ich auch immer Uniform. Es kommt uns nicht zu, das Ansehen der Macht zu untergraben; das besorgen die französischen Zeitungen schon rasch genug. Wer weiß, ob das Katzbuckeln nicht eher stirbt als wir! Aber Sie, mein lieber Neffe, Sie werden den Respekt überleben. Sie, Sie werden ein Mustermensch werden!«

Fabrizzio gefiel sich ungemein im Umgang mit dem Grafen. Er war der erste höhere Mensch, der sich herabließ, mit ihm ohne Umschweife zu reden. Überdies hatten sie eine gemeinsame Liebhaberei: die für Altertümer und Ausgrabungen. Der Graf fühlte sich seinerseits durch die grenzenlose Aufmerksamkeit geschmeichelt, mit der ihm der junge Mann zuhörte. Aber etwas mißfiel ihm gewaltig: Fabrizzio hatte seine Wohnung in der Casa Sanseverina; er lebte mit der Duchezza zusammen und ließ sich in aller Unschuld anmerken, dass ihn dieser vertrauliche Verkehr beglückte. Fabrizzios Augen und seine frische Hautfarbe brachten den Grafen zur Verzweifelung. Seit langem ärgerte sich Ernesto Ranuccio IV., dem Sprödigkeit selten vorgekommen war, dass die am Hofe sattsam bekannte Tugend der Duchezza keine Ausnahme zu seinen Gunsten machte. Wir wissen, dass ihm Fabrizzios Klugheit und Geistesgegenwart vom ersten Tage an mißfallen hatten. Er nahm die außerordentliche Freundschaft übel, die seine Tante und er leichtsinnig zur Schau trugen, und lieh dem maßlosen Hofklatsch ein besonders geneigtes Ohr. Die Ankunft des jungen Mannes und der so ungewöhnliche Empfang, der ihm zuteil geworden war, gaben vier Wochen lang dem Gespräch und der Verwunderung aller Adligen im Staate Parma immer wieder neue Nahrung. >Wir sind im Jahrhundert der Ungeheuerlichkeiten!< sagte man mit einem Augenaufschlag gen Himmel. Da hatte Serenissimus einen Einfall.

Es gab in der Leibgarde einen Grenadier ohne Rang, der eine unglaubliche Menge von Wein vertrug; dieser Mann verbrachte sein Leben im Wirtshaus und unterrichtete den Monarchen ohne Zwischenpersonen über die Stimmung im Heer. Carlone besaß nicht die geringste Bildung, sonst wäre er längst mehr geworden. Sein Dienst war, sich alle Tage im Schloß einzufinden, wenn die grosse Turmuhr zwölf schlug. Der Fürst stellte kurz vor Mittag höchstselbst den Laden eines Fensters im Zwischenstock, neben seinem Ankleidezimmer, auf eine bestimmte Art. Mit dem letzten Schlag zwölf kam er wieder in den Zwischenstock, wo er den Soldaten vorfand.

Der Fürst hatte in seiner Tasche ein Blatt Papier und Schreibzeug und diktierte dem Mann folgende Zeilen:

›Eure Exzellenz besitzen ohne Zweifel viel Verstand, und nur Dero tiefer Weisheit verdanken wir die so treffliche Regierung unseres Landes. Allein, mein lieber Graf, so grosse Erfolge ziehen stets ein wenig Mißgunst nach sich, und darum fürchte ich stark, dass man sich ein bisschen auf Ihre Kosten lustig macht, wenn Ihr Scharfsinn nicht dahinterkommt, dass ein gewisser fescher junger Mann das Glück hat, vielleicht wider seinen Willen, eine ganz merkwürdige Leidenschaft zu verursachen. Der glückliche Sterbliche soll erst dreiundzwanzig Jahre alt sein, und, lieber Graf, es ist eine verzwickte Geschichte, Sie wie ich sind alle beide reichlich doppelt so alt. Abends, aus einer gewissen Entfernung, ist der Graf ein entzückender, sprühender, geistreicher und überaus liebenswürdiger Mann, allein früh, in nächster Nähe, ist der Eindringling, wenn man sichs recht besieht, vielleicht verführerischer. Nun geben wir Frauen, besonders wir, die wir die Dreißig hinter uns haben, viel auf Jugendfrische. Spricht man nicht sogar bereits davon, dass dieser liebenswürdige Jüngling durch irgendeine nette Stellung ganz an unseren Hof gefesselt werden soll? Und welche Person spricht denn mit Eurer Exzellenz am häufigsten davon?‹

Der Fürst nahm den Brief und gab dem Grenadier zwei Taler.

»Das ist ganz extra!« sagte er mit finsterer Miene zu ihm. »Unverbrüchliches Stillschweigen gegen jedermann oder das feuchteste Kellerloch in der Zitadelle!«

Der Fürst hatte in seinem Schreibtisch einen Vorrat von Briefumschlägen mit den Anschriften seiner meisten Hofschranzen von der Hand des nämlichen Soldaten, der als des Schreibens unkundig galt und nicht einmal seinen Dienstbericht je selber geschrieben hatte. Der Fürst suchte sich den entsprechenden Umschlag heraus.

Ein paar Stunden später erhielt der Graf Mosca einen Brief durch die Post. Die Stunde, in der er ankommen musste, war ausgerechnet, und im Augenblick, als der Briefträger, den man mit einem kleinen Brief hatte hineingehen sehen, wieder aus dem Ministerium herauskam, wurde Mosca zu Serenissimus befohlen. Nie war der Günstling in tieferem Trübsinn erschienen. Um sich so recht daran zu weiden, rief ihm der Fürst zu, als er seiner ansichtig wurde: »Ich möchte mich in gemütlicher Plauderei mit dem Freund erholen, statt mit dem Minister zu arbeiten. Ich habe heute abend tolle Kopfschmerzen. Außerdem plagen mich trübe Gedanken.«

Der Premierminister Graf Mosca della Rovere war natürlich in der gräßlichsten Laune, als er seinen hohen Herrn endlich verlassen durfte. Ranuccio Ernesto IV.war in der Kunst, ein Herz zu martern, von vollendeter Geschicklichkeit, und der Vergleich mit dem Tiger, der gern mit seiner Beute spielt, ist hier ohne allzu großes Unrecht am Platze.

Der Graf ließ sich im Galopp nach Hause fahren, schrie, ohne stehen zu bleiben, seine Leute an, er wäre für kein lebendiges Wesen zu sprechen, ließ dem diensthabenden Auditore sagen, er brauche ihn nicht – einen Menschen in Hörweite zu wissen, war ihm unerträglich –, und schloß sich eiligst in den großen Gemäldesaal ein. Dort konnte er sich endlich ganz seiner Wut hingeben; dort verbrachte er den Abend im Dunkeln, wie ein Besessener ziellos hin und her rennend. Er versuchte, seinem Herzen Ruhe zu gebieten und die ganze Kraft seines Hirns auf die Überlegung seines künftigen Verhaltens zu sammeln. In seiner tiefen Herzensnot, die seine grausamsten Feinde mitleidig gestimmt hätte, sagte er sich: ›Der Mann, den ich tief verabscheue, wohnt im Hause der Duchezza, verbringt jede Minute mit ihr. Soll ich versuchen, eine ihrer Kammerjungfern zum Sprechen zu bringen? Nichts wäre gefährlicher. Sie ist so gütig; sie entlohnt sie so reichlich! Sie wird deshalb vergöttert. Und, grosser Gott, wer sollte sie nicht vergöttern?

Es fragt sich jetzt,‹ begann er in neuer Wut, ›soll ich mir die Eifersucht, die mich verzehrt, anmerken lassen oder gar nicht davon sprechen? Wenn ich schweige, wird man sich nicht im geringsten verstellen. Ich kenne Gina. Sie ist ein Weib von feuriger Natur; ihr Tun und Denken ist sogar für sie selber unberechenbar. Wenn sie sich eine Rolle vornimmt, bleibt sie darin stecken; im Augenblick der Ausführung kommt ihr immer ein neuer Gedanke, den sie leidenschaftlich aufgreift, als ob es der beste auf der Welt wäre, und so verdirbt sie sich alles.

Wenn ich kein Wort über mein Martyrium rede, verheimlicht man mir nichts, und ich sehe alles, was vorgehen mag.

Ja, aber wenn ich spreche, dann schaffe ich eine neue Lage. Ich bringe sie zum Nachdenken. Ich komme einer Menge schrecklicher Dinge zuvor, die sich ereignen könnten. – Vielleicht wird er aus dem Hause geschickt;‹ sagte der Graf aufatmend, ›dann habe ich so gut wie gewonnenes Spiel. Wenn sie auch im Augenblick schlechter Laune wäre, ich werde sie beschwichtigen. Schlechte Laune, – ganz natürlich! Sie liebt ihn seit fünfzehn Jahren wie einen Sohn. Dann aber, als er nach Waterloo ging, ward er ihr entrückt. Als er von Neapel zurückkam, war er, zumal für sie, ein anderer Mensch. Ein anderer Mensch!‹ wiederholte er wütend. ›Und ein reizender Mensch! Vor allem hat er jenes offene und zärtliche Aussehen, jenes Lachen im Auge, das so viel Glück verheißt. Und solche Augen an unserem Hofe zu finden, ist die Duchezza nicht gerade gewöhnt. Hier gibt es statt dessen finstere oder höhnische Blicke. Was für Augen mag ich oftmals machen, unter der Last meiner Geschäfte! Ich, der ich nur durch meinen Einfluss auf einen Mann herrsche, dem es ein Vergnügen wäre, wenn ich mich bloßstellte! Ach, soviel Mühe ich mir auch gebe, es ist doch gerade mein Blick, der alt aussieht! Streift meine Heiterkeit nicht immer an Ironie ? Mehr noch – hier muß ich aufrichtig sein! – lässt meine Heiterkeit nicht die unumschränkte Macht und die – Bosheit durchschimmern? Sage ich mir zuweilen nicht selber, besonders wenn man mich reizt: Ich kann, was ich will! Ich füge sogar eine Dummheit hinzu: Ich muß glücklicher sein als andere, weil ich besitze, was die anderen nicht haben: Herrschergewalt in drei Vierteln aller Dinge. – Nun, wir wollen gerecht sein: dieser gewohnheitsmäßige Gedanke muss mir mein Lachen vergiften, muß mir etwas wie selbstzufriedene Eigenliebe verleihen. Wie reizend dagegen ist sein Lachen! Er besitzt den siegesfrohen Zauber der ersten Jugend und überträgt ihn auf andere.‹

Zum Unglück für den Grafen war die Luft an jenem Abend heiss, drückend, gewitterschwül, kurzum, es war einer jener Tage, die in südlichen Ländern zu gewaltsamen Entschlüssen verleiten. Es würde zu weit führen, alle Gedankengänge und Standpunkte aufzuzählen, die diesen leidenschaftlichen Mann drei qualvolle Stunden hindurch folterten. Schließlich gab der Verstand den Ausschlag, einzig und allein auf Grund folgender Überlegung: ›Ich bin wahrscheinlich toll. Ich bilde mir ein, vernünftig zu denken, und denke gar nicht vernünftig; ich drehe mich nur im Kreise herum, um einen weniger grausamen Zustand zu schaffen, und renne dabei an einem entscheidenden Entschluss vorbei. Da mich das Übermaß des Schmerzes blind gemacht hat, muss ich mich an die Regel aller klugen Leute halten, die da heisst: Vorsicht! Sonst, wenn das Schicksalswort Eifersucht einmal gefallen ist, steht meine Rolle ewiglich fest. Sage ich dagegen heute nichts, dann kann ich morgen sprechen und bleibe Herr über das Ganze.‹ Die Krise war allzu heftig; der Graf wäre wahnsinnig geworden, wenn sie länger gedauert hätte. Für Augenblicke fühlte er sich erleichtert; seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Brief ohne Unterschrift. Von wem konnte er kommen? Er zählte sich eine Reihe Personen auf und urteilte über jede. Das lenkte ihn ab. Endlich erinnerte er sich an ein boshaftes Flackern im Auge des Fürsten, als er ihm gegen Ende des Empfangs sagte: ›Ja, teurer Freund, gestehen wir es uns nur, die Genüsse und die Sorgen des glücklichsten Ehrgeizes, selbst der unbeschränktesten Macht sind nichts gegen das stille Glück zärtlicher Liebe. Über dem Fürsten bin ich Mensch, und wenn ich das Glück habe, zu lieben, dann hat es meine Geliebte mit dem Menschen zu tun, nicht mit dem Fürsten.‹ Der Graf brachte dieses Aufleuchten boshaften Glücks mit folgender Wendung in dem Brief in Beziehung: ›Nur Dero tiefer Weisheit verdanken wir die so treffliche Regierung unseres Landes.‹

»Der Satz rührt vom Fürsten her!« rief Mosca aus. »Von einem Mann am Hofe wäre er eine unverantwortliche Unvorsichtigkeit. Der Brief kommt von Serenissimus!«

Als das Rätsel gelöst war, machte die kleine Freude des Erratens bald wieder dem quälenden Gedanken an die liebenswürdige Anmut Fabrizzios Platz, der ihn abermals heimsuchte. Wie eine Riesenlast fiel es von neuem auf das Herz des Unglücklichen. »Was nützt es mir, zu wissen, von wem der Brief ohne Unterschrift ist!« rief er voller Wut. ›Die Tatsache, die er mir enthüllt, bleibt nichtsdestoweniger bestehen. Diese Laune kann mein Leben umwerfen!‹ sagte er sich wie zur Entschuldigung, dass er so närrisch war. »Wenn sie ihn in bewußter Weise liebt, dann reist sie unversehens mit ihm ab, nach Belgirate, nach der Schweiz, nach irgendeinem Winkel der Welt. Sie ist reich, aber auch wenn sie mit ein paar Louisdor jährlich auskommen müßte, was stört sie das? Hat sie mir nicht vor kaum acht Tagen gestanden, ihr Palast, der so hübsch eingerichtet, so prächtig ist, langweile sie? Ihre jugendliche Seele braucht Abwechselung! Und wie einfach und natürlich bietet sich ihr dies neue Glück! Ehe sie an die Gefahr denkt, wird sie hingerissen sein, ehe sie daran denkt, mich zu bedauern! Und doch bin ich so unglücklich!« rief der Graf und brach in Tränen aus.

Er hatte sich das Gelübde gegeben, diesen Abend nicht zur Duchezza zu gehen, aber er konnte es nicht halten; nie hatten seine Augen heftiger nach ihrem Anblick gedürstet. Gegen Mitternacht fand er sich bei ihr ein. Er traf sie allein mit ihrem Neffen; um zehn Uhr hatte sie die übrigen verabschiedet und die Haustür schliessen lassen. Beim Anblick der zärtlichen Vertraulichkeit, die zwischen den beiden Menschen herrschte, und des echten Frohsinns der Duchezza türmte sich vor den Augen des Grafen eine furchtbare Schwierigkeit auf, und ganz plötzlich! Während seiner langen Grübelei in der Gemäldegalerie hatte er nicht an das Eine gedacht: Wie sollte er seine Eifersucht verbergen?

Er wußte nicht, zu welchem Vorwand er seine Zuflucht nehmen sollte, und so behauptete er, der Fürst sei heute abend ungemein ungnädig zu ihm gewesen; er hätte ihm beständig widersprochen, und so weiter. Zu seinem Schmerz nahm er wahr, dass ihm die Duchezza kaum zuhörte und dieser Tatsache, die sie noch tags zuvor zu endlosen Betrachtungen veranlaßt hätte, keinerlei Anteilnahme schenkte. Der Graf blickte Fabrizzio an. Noch nie war ihm dieses schöne Lombardengesicht so aufrichtig und vornehm erschienen. Fabrizzio war mehr Ohr als die Duchezza für die Misshelligkeiten, von denen er erzählte.

›Wahrlich,‹ sagte er sich, ›dieses Gesicht vereint grenzenlose Güte mit dem Ausdruck einer gewissen zärtlichen und unschuldigen Heiterkeit, die unwiderstehlich ist. Offenbar sagt es: Nur Liebe und Glück sind ernste Dinge auf dieser Welt! Und dennoch, wenn man einen Gesprächsstoff berührt, der Geist erfordert, so blitzt es in seinen Augen, und man ist erstaunt und verwirrt. Alles ist in seinen Augen einfach, weil er alles von oben herab betrachtet. Grosser Gott! Wie soll man einen solchen Gegner aus dem Felde schlagen? Und trotz alledem, was wäre das Leben ohne Ginas Liebe? Mit welchem Entzücken lauscht sie sichtlich den reizenden, sprühenden Einfällen dieses so jugendlichen Geistes, der einer Frau unvergleichlich erscheinen muß!‹

Ein gräßlicher Gedanke befiel den Grafen wie ein Krampf: ›Soll ich den da vor ihren Augen erdolchen und dann Hand an mich selbst legen?‹

Er durchmaß das Zimmer; seine Beine trugen ihn kaum, und die Hand krampfte sich um den Dolchgriff. Die beiden kümmerte nicht, was er tat. Er sagte, er wolle einem Diener einen Auftrag geben; sie hörten kaum darauf. Die Duchezza lachte herzlich über ein Wort, das Fabrizzio soeben an sie gerichtet hatte. Der Graf trat an eine Lampe im Nebengemach und prüfte, ob die Spitze seines Dolches scharf geschliffen sei.

›Man muss nett und manierlich mit dem jungen Mann umgehen‹, sagte er sich, indem er zurückkam und auf das Paar zuschritt.

Er wurde verrückt; es kam ihm vor, als ob sie sich zueinander beugten und sich küßten, dort, unter seinen Augen. ›Das ist unmöglich,‹ sagte er sich, ›in meiner Gegenwart! Mein Verstand ist verwirrt. Ich muß mich beruhigen. Wenn ich mich roh benehme, ist die Duchezza imstande, ihm lediglich aus gekränkter Eitelkeit nach Belgirate zu folgen. Dort oder unterwegs kann der Zufall das Wort herbeiführen, das den Empfindungen beider den rechten Namen gibt, und im Augenblick folgt alles Weitere daraus. Die Einsamkeit wird dieses Wort prägen, und dann? Wenn die Duchezza einmal fern von mir ist, was wird dann? Selbst wenn ich alle Schwierigkeiten überwinde, die mir der Fürst auftürmt, wenn ich mein verkümmertes altes Gesicht in Belgirate sehen lasse, welche Rolle spiele ich fortan unter diesen vor Glück närrischen Menschen? Selbst hier, was bin ich anderes als der terzo incommodo? – Die schöne italienische, Sprache ist wie geschaffen für die Liebe. – Terzo incommodo! (Der störende Dritte!) Wie schmerzlich für einen geistvollen Mann, zu fühlen, daß er diese abscheuliche Rolle spielt, und es nicht über sich zu gewinnen, aufzustehen und wegzugehen!‹

Der Graf war nahe daran, herauszuplatzen oder zum mindesten sich durch seine entstellten Züge zu verraten. Als er bei seinem Hin- und Hergehen im Salon gerade an der Tür war, ergriff er die Flucht, indem er in gutmütigem und vertraulichem Tone rief: »Gute Nacht, ihr beiden!« Und für sich fügte er hinzu: ›Es soll kein Blut fließen!‹

Am Morgen nach diesem schrecklichen Abend, nach einer Nacht, die der Graf damit verbracht hatte, sich bald Fabrizzios Vorzüge bis ins einzelne auszumalen, bald sich den gräßlichsten Ausbrüchen grausamster Eifersucht hinzugeben, geriet er auf den Einfall, einen jungen Kammerdiener zu sich rufen zu lassen. Dieser Bursche machte einem jungen Mädchen namens Cechina den Hof, die Kammerzofe bei der Duchezza war und sehr gut bei ihr stand. Zum Glück war der junge Diener in seiner Führung höchst ordentlich, sogar geizig, und strebte nach einem Pförtnerposten in einem der Regierungsgebäude von Parma. Der Graf befahl dem Menschen, augenblicklich Cechina, seine Geliebte, herzubringen. Der Diener gehorchte, und eine Stunde darauf erschien der Graf unversehens in der Stube, wo sich das junge Mädchen mit ihrem Bräutigam befand. Der Graf versetzte beide in Schrecken durch den Haufen Gold, den er ihnen gab. Sodann blickte er die zitternde Cechina mit scharfen Augen an und richtete die kurzen Worte an sie: »Die Duchezza und der Monsignore – fanno l'amore?«

»Nein,« sagte das junge Mädchen nach einem Augenblicke des Stillschweigens, »nein, noch nicht; aber er küßt der gnädigen Frau oft die Hände, zwar lachend, aber leidenschaftlich.«

Diese Zeugenaussage wurde durch hundert weitere Antworten auf ebenso viele grimmige Fragen des Grafen ergänzt. Seine ruhelose Leidenschaft machte es den armen Leuten nicht leicht, sich das Geld zu verdienen, das er ihnen hingeworfen hatte. Am Ende glaubte er, was sie ihm sagten, und war nicht mehr so unglücklich.

»Wenn die Duchezza je eine Ahnung von diesem Verhör bekommt,« sagte er zu Cechina, »dann schicke ich Eueren Bräutigam auf zwanzig Jahre in die Zitadelle, und Ihr sollt ihn erst in weißen Haaren wiedersehen.«

Während der nächsten Tage verlor Fabrizzio völlig seine Heiterkeit.

»Ich versichere dir,« sagte er zur Duchezza, »der Graf Mosca hat eine Abneigung gegen mich.«

»Um so schlimmer für Seine Exzellenz«, antwortete sie mit einem Anflug von Verdruß.

Das war aber keineswegs die wahre Ursache der Unruhe, die Fabrizzio seines Frohsinns beraubte. ›Die Stellung, in die mich der Zufall setzt, ist nicht haltbar‹, sagte er sich. ›Ich bin überzeugt, sie wird nie etwas sagen; vor einem allzu deutlichen Wort würde sie zurückschaudern wie vor einer Blutschande. Aber wenn sie einmal abends nach einem ausgelassenen, unvorsichtigen Tag ihr Gewissen prüfte und zu der Überzeugung käme, ich müßte ihre Gefühle für mich ahnen, welche Rolle spielte ich dann in ihren Augen? Buchstäblich die des keuschen Josephs! Wie soll ich ihr in schöner Offenherzigkeit begreiflich machen, daß ich ernsthafter Liebe nicht fähig bin? Ich bin nur nicht geistreich genug, dieser Tatsache derart Ausdruck zu geben, daß sie nicht der Dreistigkeit ähnelt wie ein Ei dem anderen. Mir bleibt nur die Ausrede, eine große Leidenschaft in Neapel zu haben. Für diesen Fall muß ich einmal auf einen Tag dahin zurück. Dieser Plan ist schlau, aber recht unbequem. Es ginge auch mit einer kleinen Liebelei in irgendeinem Hinterhause. Nicht gerade mein Geschmack, aber immerhin besser als die abscheuliche Rolle eines Mannes, der nicht verstehen will. Der zweite Plan könnte allerdings meine Zukunft gefährden. Ich müßte die größte Vorsicht aufwenden und mir Verschwiegenheit erkaufen, um die Gefahr zu mindern.‹

Das Grausame bei diesen Erwägungen war, daß Fabrizzio die Duchezza wirklich und weit mehr als sonst jemand auf der Welt liebte. ›Ich muß sehr ungeschickt sein,‹ sagte er sich ärgerlich, ›daß ich solche große Furcht habe, ich könnte etwas so Wahres nicht durchblicken lassen.‹ Da er die Geschicklichkeit, sich aus dieser Schwierigkeit herauszuhelfen, nicht besaß, wurde er düster und kummervoll. ›Großer Gott, was soll aus mir werden, wenn ich mich mit dem einzigen Wesen entzweie, für das ich eine leidenschaftliche Zuneigung hege?‹ Anderseits konnte sich Fabrizzio nicht entschließen, ein so köstliches Glück durch ein zu deutliches Wort zu vernichten. Seine Stellung zur Duchezza war so reizvoll! Die vertraute Freundschaft mit einer so liebenswürdigen und so hübschen Frau war so süß! Auch in viel Geringerem brachte ihm ihre Gunst und Gnade Annehmlichkeiten an diesem Hofe; die großen Ränke, die sie ihm aufdeckte, belustigten ihn wie eine Komödie. ›Mein Gott, diese so fröhlichen, so zärtlichen Abende im traulichen Zwiegespräch mit einer so reizenden Frau: was wird das Ende vom Liede sein?‹ fragte er sich. ›Sie wird einen Liebhaber in mir sehen. Sie wird von mir Leidenschaft, Torheit verlangen, und ich hätte ihr nie etwas zu bieten als die regste Freundschaft, aber keine Liebe. Die Natur hat mir diese Art erhabener Narrheit versagt. Was für Vorwürfe habe ich deshalb nicht schon einstecken müssen! Noch höre ich die Duchezza von Albarocca, und wie habe ich mich da lustig gemacht! Gina wird meinen, ich liebte sie nicht, und doch vermag ich überhaupt nicht zu lieben. Nie wird sie mich verstehen wollen. Wenn sie mir ein Hofgeschichtchen erzählt mit ihrer Anmut und Ausgelassenheit, die sonst niemand auf der Welt besitzt, wie oft küsse ich ihr da die Hände und zuweilen die Wange! Was soll ich tun, wenn ihre Hand meinen Druck in einer gewissen Weise erwidert?‹

Fabrizzio ließ sich täglich in den vornehmsten und langweiligsten Häusern Parmas sehen. Dem schlauen Rat der Duchezza gemäß machte er den beiden Fürsten, Vater und Sohn, der Fürstin Clara Paolina und Seiner Hochwürden dem Erzbischof in kluger Weise den Hof. Er hatte Erfolg, aber das enthob ihn keineswegs der Todesangst, daß er sich mit der Duchezza überwerfen könnte.


 << zurück weiter >>