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V
Einige deutsche »Barbaren« haben das Wort

17. Deutsche Selbstkritik während des Krieges

»Nicht so zu verstehen, als ob wir uns je eingebildet hätten, daß unter diesen Umständen, unter welchen niemand zu etwas anderem berechtigt ist, als sich mit Leib und Seele seinem Vaterlande hinzugeben, aus irgendeiner Ecke Deutschlands ein Fünkchen Sympathie mit uns aufblitzen werde Les Allemands destructeurs etc., S. 5.

Diese Worte, hinter denen Frankreichs vornehmste Kulturträger stehen, enthüllen in treffender Weise den tiefsten Unterschied zwischen französischer Gemütsdürre und deutscher seelischer Frische – zwischen französischer civilisation oder culture und deutscher »Barbarei«.

Der angeführte Satz enthält einen Irrtum. Es ist nicht wahr, daß es in Deutschland während des Krieges an reichen, tiefen Sympathien und an aufrichtigen Äußerungen der Sympathie mit Frankreich gefehlt hat. Es ist der französischen Gehässigkeit vorbehalten, fanatisch an das Gegenteil zu glauben.

Der angeführte Satz enthält eine Wahrheit – durch Rhetorik und Fanatismus verdreht. Die Deutschen sind jetzt gleich den Franzosen zu nichts anderem »berechtigt als sich mit Leib und Seele ihrem Vaterlande hinzugeben«. Das ist wahr. Aber diese seelische Hingabe an das Vaterland ist der typisch deutschen Gemütsart nicht dasselbe wie persönliches Aufgehen in kritikloser Vergötterung der Diplomatie, der Politik und der inneren und äußeren Verhältnisse des Vaterlandes – nicht einmal in einem Augenblicke, da Volk und Staat in großer Gefahr schweben.

Es ist französisch, zu glauben, daß dem Vaterlande in der Stunde der Gefahr nichts anderes nützlich sein könne als panegyrische Loblieder. Es ist französisch, zu glauben, daß unbedingtes Einstimmen in diese patriotische Lobrednerei zu der selbstverständlichen seelischen Hingabe des Staatsbürgers an sein Vaterland in der Stunde der Gefahr gehöre.

Es ist deutsch, bis zur Übertreibung und Einseitigkeit daran zu glauben, daß dem Vaterlande auch in der Stunde der Gefahr neben milder, schonender Kritik bittere und heftige nützlich sei. Es ist deutsch, zu glauben, daß das Recht des einzelnen auf ein solches Richteramt mit seiner Pflicht, sich dem Dienste des Vaterlandes mit Leib und Seele hinzugeben, vereinbar sei.

Es ist französisch, solche Kritik im Lager des Feindes mit Begeisterung zu begrüßen. Es ist deutsch, bis zur Einseitigkeit mit solcher Kritik im eigenen Lande zu sympathisieren – und zu gleicher Zeit in dem Dienste, den das Vaterland gerade jetzt unerläßlich fordert, ohne Rhetorik und als etwas Selbstverständliches, Gut und Leben hinzugeben.

 

In gewisser Hinsicht sind bemerkenswert der Ton und die Gesichtspunkte des Buches » Der deutsche Chauvinismus Berlin 1913.«, das Professor Ottfried Nippold ein Jahr vor dem Kriegsausbruche in den Veröffentlichungen des Verbandes für internationale Verständigung hat erscheinen lassen. Wie es in gutem Glauben benutzt werden kann, um eine sehr einseitig deutschfeindliche Auffassung der Rolle Deutschlands im Weltkriege zu bekräftigen, beweist das vom Dozenten Ernst Wigfors geschriebene Buch » Der Weltkrieg und der Weltfriede Stockholm, I und II, 1915.

Es ist dem Professor Nippold freilich klar, daß die Wellen des Chauvinismus in Frankreich, England, Rußland und Italien mindestens ebenso hoch gehen wie in Deutschland oder Österreich Op. cit., S. 127.. Doch seine Auffassung des deutschen Chauvinismus und des Chauvinismus überhaupt bleibt an der Oberfläche und ermangelt vollständig der nötigen Vertiefung durch weltpolitische Einsichten. Und er scheint nicht einmal auch nur zu ahnen, welch ein für Deutschland gefährlicher Anreiz und welche Hilfe dem Chauvinismus und der Deutschfeindlichkeit in gewissen fremden Ländern aus einer von deutscher Seite kommenden agitatorisch schiefen, übertriebenen Darstellung der tatsächlichen Bedeutung der deutschen Chauvinisten in der deutschen auswärtigen Politik erwachsen muß.

Ich möchte wohl wissen, ob Professor Nippold jetzt (1916) noch an folgendem, 1913 niedergeschriebenen Satze festhalten würde Op. cit., S. 127.: »Soviel ist jedenfalls sicher. Wenn wirklich etwas das Deutsche Reich in Gefahr bringen kann, so ist es einzig und allein das Überhandnehmen der chauvinistischen Bewegung. Diese, nicht die Tripelentente, ist Deutschlands Feind.«

Hier ist »die chauvinistische Bewegung« in Deutschland gemeint – unter Übersehen der Möglichkeit, daß die chauvinistische Bewegung eines oder des anderen der Länder der Entente »das Deutsche Reich in Gefahr bringen« könnte! Solch blinder, selbstkritischer Eifer und solche auslandspolitische Harmlosigkeit sind echt deutsch!

 

Wenn ich aus dem reichen Material, das mir zu Gebote steht, ein Beispiel eines Stückes deutscher Selbstkritik während des Krieges herausziehen sollte, das voll tiefer politischer Einsicht, gesund demokratischen, positiven Reformwillens und heißer Liebe zu den starken, guten Kräften im deutschen Volke ist, so könnte ich schwerlich etwas Besseres tun, als an das von Professor Hugo Preuß geschriebene Werk » Das deutsche Volk und die Politik Jena 1915.« zu erinnern.

Die Kritik dessen, was Preuß als die Schwächen der politischen Begabung des deutschen Volkes und als die Anomalien der gegenwärtigen politischen Verfassung Deutschlands ansieht, ist schonungslos und erschöpfend. Es ist eine Kritik, der sowohl die sozialistischen wie die liberalen Demokraten aller Länder müssen Verständnis entgegenbringen können. Aber es ist zugleich eine Kritik, die sie begreifen lassen wird, daß das deutsche Volk einen politischen Charakter in allgemein menschlicher Hinsicht ebenso wertvoller Art besitzt, wie der des englischen und des französischen Volkes ist, und daß diese Tatsache mit einer tiefgehenden Verschiedenheit des deutschen Typus politischer Beanlagung und der westeuropäischen Typen sehr wohl im Einklang steht.

Die universale Entwicklung dessen, was Preuß den »Obrigkeitsstaat« nennt, zu dem, was er den »Volksstaat« nennt, ist bisher zwar in England und Frankreich weiter fortgeschritten als in Deutschland. Andrerseits aber ist sie in Deutschland viel weiter gediehen, als diejenigen, welche verkehrterweise alle nationale politische Entwicklung mit national englisch-französischem Maße messen, zu erkennen vermögen. Im deutschen »Volksstaate« wird wohl immer ein wenig mehr vom »Obrigkeitsstaate« zu finden sein, als schließlich in dem französischen oder englischen »Volksstaate« zurückbleibt.

Deutsche Staatsgesinnung, deutscher Staatsidealismus ist an sich mächtiger, autoritativer und organischer als englisches oder französisches Staatsbewußtsein. Sie ist »zunächst ein Ausdruck der allgemeinen Verfassung des deutschen Geistes Siegfried Marck, Deutsche Staatsgesinnung, München 1916, S. 4.«, ist »eingebettet in die Gesamthaltung der deutschen Kultur Siegfried Marck, Deutsche Staatsgesinnung, München 1916, S. 4.«. »Der idealistischen Staatsauffassung« des Deutschen entspricht seine »idealistische Geschichtsauffassung Op. cit., S. 69.«, und sie wurzelt in jenen sehr unenglischen und unfranzösischen Seelenkräften, die der Welt deutsche Lyrik, deutsche Musik, deutsche Philosophie, deutsche Mystik, deutsche mittelalterliche Burg- und Stadtbauten und deutsche bildende Kunst geschenkt haben.

 

Künftig gehören wir alle zusammen in eine Partei des deutschen Idealismus, der zu einer politischen Kraft gemacht werden muß – mögen wir nun siegen oder nur durchkommen, oder mag es uns ganz schlecht ergehen – gleich!« schreibt Professor Alfred Weber am 25. Mai 1915 draußen im Felde Gedanken zur deutschen Sendung, Berlin 1915, S. 40-41.. »Und es ist ganz klar, daß nur die Kräfte, die heute links stehen, den Kristallisationspunkt abgeben können, um den sich das parteimäßig Neue gruppiert. Mit offenem Visier für Idealismus gegen Materialismus, das wird das einzige sein, wodurch die Nation zu bewegen sein wird. Sie wird aus diesem Kampf idealistisch zurückkommen, und es muß alles getan werden, damit dieser Idealismus nicht von bramarbasierenden Faustrecht-Nationalisten eingefangen, umgeformt und entwertet wird. Unser Ziel soll hochgespannter und edler sein als das der Gewalt-Nationalisten. Und ich bin überzeugt, daß ein höherer Flug des vaterländischen Gedankens als der ihre die Nation zu sich hinreißen würde. Wir haben bisher als nationales Klischee nichts Höheres gehabt als die Auffassung Treitschkes, die von ihm tief gefühlt wurde, – er hat wie wenige eine Empfindung für deutsches Wesen gehabt. Aber er hat als konkrete Weltaufgabe nur von der bloßen Machtbehauptung gesprochen. Und die Art, wie er sie aussprach, war daher imstande, der gewöhnlichsten, primitivsten, zum Beispiel antisemitischen Depravierung zu dienen.«

»Der deutsche Volkscharakter ist für mich das Wunderbarste, was es menschlich gibt – das größte, tiefste und entscheidendste Erlebnis des ganzen Krieges«, schreibt Weber am 8. Juni 1915 Op. cit., S. 52-53.. »Was mich jetzt manchmal traurig gemacht hat, hat nicht seine Ursache in ihm, sondern in unserm Schicksal. Wir müssen das Reich in gewissem, vor allem im geistigen Sinn, aber auch in manchen äußeren Aufbauformen noch einmal errichten, mindestens umformen, wenn es uns – das geistige Deutschland – fassen soll. Das Verhängnisvolle ist, daß die bisherige Aufbauform, wenn sie uns auch militärisch rettete und militärisch und organisatorisch etwas Großes in die Welt hinstellt, doch die Gefahr in sich schließt, an unserer eigentlichen großen politischen und geistigen Aufgabe vorbeizuführen.«

Wie vorurteilsfrei und tief kritisch ein deutscher Patriot, auch in Zeiten, da Staat und Volk in äußerster Gefahr sind, in die innersten Entwicklungsschwierigkeiten und Entwicklungsgefahren seiner Nation hineinblicken kann und hineinblicken will, das beweist vielleicht am allerdeutlichsten der letzte, am 22. September 1915 geschriebene Aufsatz dieser Sammlung Op. cit., S. 103-107.. »Wir müssen den Glauben festhalten,« sagt Weber, »daß jener Geist, der unser eigenstes Gut ist, der uns aus diesem Weltzusammenbruch ans Licht rettet – trotz aller bisherigen Unvollkommenheiten des nach außen gerichteten politischen Handelns und der kläglichen seelischen Eingeengtheit unseres Verhaltens im Innern – jetzt, wo er erwacht ist und alles durchdringt, auch die Gestaltung unseres Staatskörpers zu einer ihm entsprechenden machen wird.«

Und er fügt hinzu: »Es ist sehr unwahrscheinlich, daß dies nach dem absoluten Muster westlicher Demokratien geschehen wird.«

Der Außenstehende aber kann hinzufügen: um so besser für die Hoffnung der Menschheit auf eine Weiterentwicklung der Gesellschaft. Diese Entwicklung muß eine Vielheit ungleicher Formen aufweisen, um dem Menschengeschlechte das Erhaltenbleiben jener geistigen Kraftmannigfaltigkeit und jenes geistigen Kraftgegensatzes, die ein reiches, aufsteigendes Leben kennzeichnen, verbürgen zu können.


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