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Es gibt einen redlichen und einen verdorbenen nationalen Sinn – meint Herr Camille Jullian, Mitglied des Instituts und Professor am Collége de France Rectitude et perversion du sens national, Paris, 1915.. Und er meint natürlich auch, daß Frankreich und seine Freunde die erstere Art besitzen, während Deutschland auf die andere Sorte angewiesen ist.
»Man sehe, was die Deutschen aus der Nationalität gemacht haben«, schreibt er. Op. cit., S. 29-30. »Sie haben ihr Vaterland in einen Exerzierplatz verwandelt, um die Welt zu beherrschen. Um auf diesem Exerzierplatze Waffen zum Siege anfertigen zu können und um Werkzeuge zum Morden und Stehlen zu erhalten, haben sie die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft durchstöbert, sich die Industrie, die Wissenschaft und alles geistige Können zunutze gemacht, dénaturant, travestissant, corrompant toutes ces choses.« – »Wir anderen dagegen, ich meine Engländer, Belgier, Franzosen, Russen und Serben, wir sehen das Vaterland ganz anders an. Wir sehen in ihm ein Stück bewohnter Erde, wo wir in Familien, einander nahe leben, wo wir uns in Arbeit, Zusammengehörigkeitsgefühl, Einigkeit, Eintracht und Liebe üben.«
Herr Jullian hält es augenscheinlich für » rectitude du sens national«, die nationalen Wirklichkeiten in Europa auf diese Weise darzustellen und zu erklären, daß »der berühmte Ausspruch der Deutschen Deutschland über alles« bedeute, daß »Deutschland alles, Leib und Seele, untergeordnet werden« solle. Op. cit., S. 24.
Von einer » perversion du sens national« hat Jullian anscheinend in Frankreich niemals etwas gespürt, – weder vor der Dreyfuszeit, noch während dieser oder gar nach ihr. Oder er entschuldigt solche französische perversion – aus patriotischen Gründen! Weshalb denn nicht auch bei » Deutschland über alles« ein wenig ablassen?
Die Antwort finden wir in dem Buche Le militarisme allemand; ce qu'il est; pourquoi il faut le détruire Paris, 1915. mit besonderer Ausführlichkeit gegeben. Der Verfasser, Herr Hubert Bourgin, Professor am Lycée Louis-le-Grand, verspricht in der Vorrede »unparteiisch und genau« zu sein und versichert, daß er »alle Vorsichtsmaßregeln getroffen« habe, »um es zu sein«.
»Der deutsche Militarismus ist der freiwillige Förderer unverzeihlicher Verbrechen gegen das Recht, gegen die Vernunft, gegen die Menschlichkeit.« Der deutsche Militarismus »hat Deutschland selbst entartet ( dénaturé) und hat das deutsche Volk verbrecherisch und wahnsinnig gemacht«. »Die Geschichte wird ihren Lauf nehmen, und die Gerechtigkeit wird auf Erden herrschen können, wenn der deutsche Militarismus vernichtet worden ist.« Op. cit., S. 123.
»Diese Exekution ist die ehrenvolle Aufgabe der verbündeten Armeen, und es ist nicht meine (Herrn Bourgins) Absicht, im voraus etwas über die Friedensbedingungen zu sagen, welche die verbündeten Regierungen dem Besiegten vorschreiben werden. Aber jedem unparteiischen Geiste ist es klar, daß diese Bedingungen notwendigerweise die Befreiung der Welt und Deutschlands enthalten werden. Das Ende des Ganzen wird eine zweckmäßige politische Umorganisierung Deutschlands, sowie › la libération des peuples et I'établissement de la justice‹ sein« Op. cit., S. 127-128..
Was nun die näheren Angaben über den »deutschen Militarismus« anbetrifft, so möchte ich den interessierten Leser auf die »unparteiische« und »genaue« Abhandlung selber hinweisen.
Ihr Inhalt scheint mir eine erstaunliche Familienähnlichkeit – abgesehen von dem Unterschiede zwischen einem trockenen und einem saftigen Stile – mit einem solchen, weder mit »Unparteilichkeit« noch mit »Genauigkeit« prahlenden Werke wie Pierre Lotis Heftchen La Grande Barbarie Paris 1915. zu haben.
»Man weiß«, schreibt der berühmte Romanschriftsteller, »daß sie überall, hier (in Ypern) wie in Löwen, in Arras, in Soissons und in Reims mit größter Freude auf die Monumentalbauten schießen – immer, immer auf das, was Schönheits-, Kunst- und Altertumswert hat. – – – Ferner kennt man auch die deutsche Vorliebe für das Bombardieren der Zufluchtsorte der Verwundeten oder Kranken, der Ambulanzen, der Krankenpfleger und der Wagen des Roten Kreuzes« Op. cit., S. 7-8.. Die Deutschen sind »ein von der Geburt an zur Lüge bestimmtes Volk« Op. cit., S. 9., denn sie unterstehen sich, die Sturzbäche schmutziger Anklagen, die gegen sie und ihren »Militarismus« erhoben werden und als deren Dolmetscher nun auch der alte Marineoffizier Julien Viaud (Pierre Loti) auftritt, als unwahr zu bezeichnen.
In der Sammlung ausgesucht achtungswerter Franzosen, die ich hier von französischer couleur morale und Geistesverfassung während der Krieges zeugen lasse, ist Julien Viaud meines Wissens der einzige, der den Schimpfnamen boche Op. cit., S. 19. für den Deutschen in die höhere Literatur eingeführt hat, ebenso wie es ihm auch beliebt hat, den schönen Ausdruck voyous Op. cit., S. 11. in dieser Verbindung als literarisch berechtigt abzustempeln. Er hat kein Wort der Mißbilligung, als er in den Schützengräben Flanderns die braunen und schwarzen, hochgewachsenen und kleinen Hilfstruppen Englands und Frankreichs sieht – die exotischen Schmuckstücke des englischen und französischen Militarismus. Aber er denkt mit Ekel an jene »grausameren und gemeineren«, »unverbesserlichen Wilden«, die mit »Indianergeheul« aus den feindlichen Schützengräben herausstürmen Op. cit., S. 14..
Die Broschüre Pierre Lotis schildert außerdem zwei interessante Unterredungen mit dem Könige und der Königin der Belgier – anscheinend nicht ganz, ohne daß ihm ein schwaches Bewußtsein aufdämmert, wie außerordentlich paradox es doch ist, daß beide Majestäten durch das rote Schicksalsband des Blutes unbestreitbar unzertrennlich mit » les boches«, » Ies voyous«, » Ies indéracinables sauvages«, » Ie peuple né pour le mensonge« und la Grande Barbarie überhaupt zusammengehören. König Albert – vom Vater her Herzog von Sachsen und Fürst von Sachsen-Coburg – trägt im Deutschen Reiche den Titel » Königliche Hoheit«, und seine Mutter war eine Prinzessin von Hohenzollern-Sigmaringen. Und seine Gemahlin – von Geburt »Prinzessin in Bayern«, Familienname: Wittelsbach.
Über die Neutralitätspolitik des Königs am 2. und 3. August 1914 schreibt Pierre Loti folgende merkwürdigen Worte. »Von einem Tage zum andern, ohne Furcht, ja ohne Unschlüssigkeit, den Kompromiß verachtend, der wenigstens eine Zeit lang, wenn auch zum Schaden der Weltkultur, seine Städte und Paläste ein wenig hätte schonen können, hat er sich wie ein großer Kriegerkönig inmitten seines Heldenheeres gegen das stinkende Ungeheuer erhoben« Op. cit., S. 29-30. Von mir in gesperrtem Druck wiedergegeben.. Dem Südfranzosen Julien Viaud kann es natürlich gar nicht einfallen, auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken, ob nicht ein deutscher Fürst, wenn er auch König des nur zur Hälfte germanischen Belgierstaates ist, wirklich hätte eine Weile unschlüssig sein müssen. Wenn auch nicht aus Furcht vor dem »stinkenden Ungeheuer«, dessen Verwandter er ist, so doch wenigstens aus einem gewissen deutschen Gefühle der Gefahr, die der »Weltkultur« durch die Niederlage des Deutschen Reiches in diesem Kampf des vereinigten Ostens und Westens drohte.
Einige Worte der Königin – eine betrübte Frage, weshalb ihre deutschen Verwandten anscheinend nicht mehr zu ihr seien, wie sie früher gewesen – kommentiert Herr Julien Viaud auf folgende Weise, die einem Mitglied der französischen Akademie gegen eine deutsche Fürstin wirklich Ehre macht.
»Ich weiß wohl weshalb, ich wie wir anderen. Ich weiß, daß sie, hinter ihrer dicken Heuchelei von ihrem Ursprung an so gewesen sind. Doch wie konnte ich es wagen, dieser Königin zu widersprechen, die unter ihnen geboren ist, wie eine schöne, seltene Blume unter Nesseln und Dornen. Ganz gewiß ist das Freiwerden ihrer latenten Barbarei ein Werk jenes ›Königs von Preußen‹, welcher der treue Nachfolger des Mannes ist, den die große Maria Theresia gebrandmarkt hat. Er ist es ohne Zweifel, der sie nach dem scharfen, treffenden Ausdrucke der Amerikaner ›toll im Kopfe gemacht‹ hat. Aber sie waren immer so. Und um ihre âmes de mensonge, de meurtre et de rapine zu beurteilen, genügt es, ihre Schriftsteller, ihre Denker, deren Kynismus uns unverständlich ist, zu lesen« Op. cit., S. 48-49..
Herrn Julien Viauds sehr persönliche » Grande Barbarie« führt die Gedanken ungesucht auch zu einem solchen Aktenstücke hin, wie das große reich illustrierte Buch Les Allemandes destructeurs de cathedrales et de tresors du passé – Documents officiels composés d'après une documentation appartenant au Sous-Secrétariat d'Etat des Beaux-Arts Paris, 1915. ist. Pierre Loti hat hierzu ein folgendermaßen lautendes Zeugnis beigetragen. »Mit Abscheu und Entsetzen schließe ich mich allen obenstehenden Protesten sowohl wie allen noch nicht formulierten an, die später noch erscheinen und die ungeheuerliche Wirklichkeit in viel zu mildem Lichte darstellen werden« Op. cit., S. 67. Von mir gesperrt wiedergegeben..
Das Buch wird »den ausländischen literarischen und Künstlergesellschaften sowie allen Freunden des Schönen überreicht, damit sie le système de destruction des armées allemandes kennen lernen« Op. cit., S. 1.. Diese Widmung haben etwa 100 der kulturellen Berühmtheiten Frankreichs unterzeichnet – unter ihnen Maurice Barrès, Clemenceau, Camille Flammarion, Anatole France, Pierre Loti, Jean Richepin, Auguste Rodin, Edmond Rostand und Camille Saint-Saens.
Das von diesen hundert französischen Kulturgrößen unterzeichnete Aktenstück beginnt mit einer Ansprache an die Kulturträger Deutschlands, »die gewagt haben, die Verbrechen Op. cit., S. 5. zu vertuschen«, welche dieses Buch enthüllt. Sie haben »gewagt«, sich zu weigern, die französischen oder andere nicht deutsche Schilderungen und Auslegungen der hierhergehörenden Tatsachen unbesehen anzuerkennen. Sie haben »gewagt«, die unaufhörlich wiederholte Beschuldigung zurückzuweisen, daß das Zerstören der Kulturdenkmäler zum Systeme des deutschen »Militarismus« gehöre – mit irgendwelcher militärischer Notwendigkeit oder militärischem Vorteil gar nichts zu tun habe und ganz einfach das Ausbrechen der Hunnenbarbarei des deutschen Volkes sei.
Dadurch, daß sie dies »gewagt«, haben die deutschen Professoren, Künstler usw. »die edle Aufgabe, Philosoph, Historiker, Gelehrter, Künstler zu sein, herabgewürdigt«. »Sie haben in Wahrheit ihre eigenen Götter verraten«. »Sie haben also gezeigt, daß sie, mit ihren mehr oder weniger glitzernden Schwarzen-Adlerorden und Zieraten der Hoftracht, meistens nichts anderes sind als engherzige Fanatiker und Lohnschreiber, denen die Feder nur ein Mittel ist, um dem Brotgeber zu dienen« Op. cit., S. 6..
Diese französischen Artigkeiten schließen mit einer aus anderen ähnlichen Dokumenten schon bekannten Versicherung, daß bei der nun folgenden Beweisführung, die sich ganz auf »unwiderlegliche Dokumente« Op. cit., S. 8. stützen werde, »nicht ein übertriebenes Wort aus unserem Munde kommen« solle.
Sehr richtig! »Das Beweisen« beginnt auf der nächsten Seite mit folgendem Satze. »Es ist unbestreitbar, daß das Bombardement des Domes zu Reims ein Teil eines plan déterminé war«. Denn die Mitglieder des deutschen Generalstabes sind »Barbaren durch ihren Materialismus und ihren Ehrgeiz« Op. cit., S. 9..
Inwiefern die Franzosen den Dom und seine nächste Umgebung militärisch mißbraucht haben – das erfährt man in diesem Dokumente nicht. Ebensowenig, wie überhaupt in französischen, englischen und belgischen Dokumenten der militärische Mißbrauch, den die Verteidiger mit öffentlichen Gebäuden treiben, oder die Zerstörung, welche die eigene Beschießung der Franzosen, Engländer und Belgier in den französischen und belgischen Städten angerichtet hat, irgendwie beleuchtet wird.
Das nun vorliegende Dokument schließt jedoch mit folgendem »feierlichen Protest«, den am 29. Oktober 1914 kein Geringerer erhoben hat, als die Französische Akademie in eigener, hoher, kollektiver Person – unter Vorsitz des Herrn Marcel Prévost, mit Herrn Etienne Lamy als Sekretär und in Gegenwart des Präsidenten der Republik, des Herrn Raymond Poincaré Op. cit., S. 77-78..
»Die Französische Akademie protestiert gegen alle Behauptungen, wodurch Deutschland in lügenhafter Weise Frankreich oder seinen Verbündeten die Verantwortung wegen des Krieges zuschreibt.
Die Akademie protestiert gegen alle Ableugnungen, die der evidente authenticité der gemeinen Handlungen, welche von den deutschen Heeren begangen sind, widerstreiten.
Im Namen der französischen und der ganzen menschlichen Zivilisation brandmarkt die Akademie die Verletzer der belgischen Neutralität, die Frauen- und Kindermörder, die wilden Zerstörer edler Altertumsdenkmäler, die Brandstifter der Löwener Universität und des Reimser Domes, die auch die Pariser Kathedrale niederbrennen wollten.
Die Akademie spricht den Armeen, die wie wir gegen die Koalition Deutschland-Österreich kämpfen, ihre Bewunderung aus.
Tiefgerührt sendet die Akademie unseren Soldaten, die, von den Tugenden unserer Vorfahren beseelt, einen Beweis der Unsterblichkeit Frankreichs geben, ihren Gruß.«
Diesem »Proteste« ist noch eine Anmerkung hinzugefügt, die so beginnt: »Als diese Worte veröffentlicht wurden, haben sie gewissen Geistern im Auslande ein wenig übertrieben erscheinen können«. Doch » seitdem« sind die Beweise der Richtigkeit der Beschuldigungen zum Vorschein gekommen! »Die Geschichte wird unseren Groll dadurch rechtfertigen, daß sie nicht aufhören wird, neue Beweise an den Tag zu bringen – – –.«
So wird denn wohl die französische »Geschichte« dereinst energisch auch die »Bewunderung« »rechtfertigen«, welche die Akademie den Kosakenhorden und anderen russischen Truppen, die in den verwüsteten Teilen Ostpreußens grausige Spuren hinterlassen haben, zollt – ganz zu schweigen von gewissen Kampfmethoden und Heldentaten, welche die »farbigen« Hilfstruppen Frankreichs und Englands charakterisieren und sogar den Mitgliedern der Französischen Akademie bekannt sein müssen, die in diesem weltgeschichtlichen Augenblicke ja den Präsidenten der Republik in ihrer Mitte hatten.
In dieser illustren Verbindung ist es übrigens unmöglich, eine sehr naheliegende Reflexion noch länger zu unterdrücken.
Es handelt sich um den Zusammenhang zwischen der berühmten Humanität Englands und Frankreichs, auch ihrer militärischen Humanität im Gegensatz zu dem barbarischen deutschen Militarismus, einerseits und andererseits den militärischen Absichten und humanitären Erwartungen Frankreichs und Englands, wenn sie hochgewachsene Neger, muskulöse Araber, schlanke Hindus, kleine, gewandte Gurkhas und andere Sorten heißblütiger, nicht sehr zivilisierter Soldaten in großer Anzahl in ihren Heeren gegen Deutschland verwenden.
Man hegte ja in den früheren Abschnitten des Krieges, als diese farbigen Hilfstruppen vielleicht am zahlreichsten waren, auf englisch-französisch-russischer Seite sehr sichere Erwartungen, daß die Ententeheere die Gegenden, Dörfer und Städte schnell und gründlich überschwemmen würden und daß sich Gurkhas, Neger und Kosaken bald Unter den Linden treffen und sich im königlichen Parke zu Potsdam gemeinsam ihres Lebens freuen könnten.
Welche humanitären Segnungen erwarteten besonders die Herren der Französischen Akademie von dem Vorgehen dieser schwarzen und braunen Wilden in deutschen Landen? Welche Art Kriegsführung hatte der ganz besondere französische und englische »Militarismus« hier eigentlich gegen die deutsche Zivilbevölkerung vorbereitet?
Die offiziell kundgegebene vorbehaltslose »Bewunderung« der Französischen Akademie, die man entschieden als auch die halbwilden Elemente der gegen »die Koalition Deutschland-Österreich« kämpfenden russischen Heere umfassend ansehen muß, ist recht sonderbar. Noch merkwürdiger aber ist die »Bewunderung« dieser Herren und ihrer humanitären und kulturellen Gesinnungsgenossen in Frankreich, wenn sie auf die betreffenden, militärisch gewiß sehr wichtigen Elemente des französischen Heeres ausgedehnt wird.
Ist es diesen französischen Kulturträgern wirklich niemals eingefallen, daß ihre Senegalneger und Araber auch von »den Tugenden ihrer Vorfahren beseelt« sind und daher, besonders bei dem jetzt so ersehnten Einfall in Deutschland höchst aufsehenerregende » Beweise der Unsterblichkeit Frankreichs« werden geben müssen?
Daß diese gräßlichen »Beweise« noch nicht haben »gegeben« werden können, ist bekanntlich weder das Verdienst der Französischen Akademie noch das des französischen Generalstabes – sondern die große patriotische Enttäuschung und der Kummer beider.
Ist es eine » Tugend«, kein Verbrechen gegen die Humanität begangen zu haben – weil man seine Absichten noch nicht hat ausführen können?
Wie sind hierbei französischer »Patriotismus«, französische »Humanität« und französischer »Militarismus« miteinander verflochten?
Einem Außenstehenden liegt es außerordentlich nahe, zu glauben, es sei doch, trotz allem, für die »Menschheit und menschliche Zivilisation« besser, daß der Krieg, wenn er überhaupt kommen mußte, von deutschen Bauern, Arbeitern und Bürgern auf französischem und russischem Boden geführt wird, als daß Frankreichs und Englands angeworbene Afrikaner und Asiaten nebst russischen »Kosaken« und Tataren ihn auf deutscher Erde führen. Von zwei Übeln wählt man notwendigerweise das kleinere – ohne darum etwas anderes als auch diesem feindlich sein zu brauchen und ohne zu verlangen, daß diejenigen, welche in der Sache Partei sind, diese Auffassung teilen sollen.
Obgleich noch reichlich Material unbenutzt auf meinem Schreibtisch liegt, will ich dies Kapitel abschließen. Ich gewahre nämlich, daß die französische Kriegsstimmung in höchstem Grade einheitlich ist und daß die französischen Auffassungen und ihre gegen die Deutschen erhobenen Anklagen sich durch außerordentliche Einförmigkeit auszeichnen.
Mit einer oder der anderen schwach ausgeprägten Ausnahme ist es immer einunddieselbe kritiklose französische Selbstvergötterung neben einundderselben kritiklosen Diabolisierung alles Deutschen. Zu neun Zehnteln unsachliche, fanatisch »patriotische« Rhetorik, ohne jeden Wunsch und jedes Bestreben, zu allgemeinmenschlichen Fundamenten und Wahrheiten hinabzudringen, und ohne jegliche Erkenntnis, daß der Sache Frankreichs mit einem so geistesschwachen Auftreten vor Zeitgenossen und Nachwelt nicht in tieferem Sinne gedient sein kann. Immer einunddieselbe widerlich schiefe Darstellung der hinter dem Weltkriege liegenden weltgeschichtlichen Realitäten – das eingeklemmte, in kolonialer Hinsicht benachteiligte Deutschland als friedensstörender Welteroberer, machttoller Volksunterdrücker und Geißel der ganzen Menschheit. Nur aus dem Grunde, weil Deutschland wirklich gewagt hat, Anspruch auf eine Stellung zu erheben, die der seiner ununterbrochen länderverschlingenden, fremde Staaten unterminierenden Nachbarn: Rußland, Frankreich und England gleichberechtigt ist.
Sogar ein so geschulter Soziologe wie Dr. Gustave le Bon gelangt in seiner ausführlichen Untersuchung Enseignements de la guerre européenne Paris 1915. zu dem Schlusse: »Deutschland opfert jetzt seine Reichtümer und seinen zukünftigen Wohlstand der Begierde hin, die Völker seinem Despotismus unterworfen zu sehen Op. cit., S. 348.«. Und er erzählt uns weiter von dem »fürchterlichen Hegemonietraum« Deutschlands, dem »die Völker erliegen würden«, wenn »die Völker« nicht durch den Weltkrieg gerettet würden, Dr. le Bon tröstet sich indessen damit, daß es auch einem Militärischsiegenden heutzutage nicht mehr möglich sei, » I'idéal de domination universelle« Op. cit., S. 349. zu verwirklichen. Wenigstens nicht, solange die englische Flotte noch » domine sans rivalité les mers« Op. cit., S. 351.. Deutschland werde jedoch seine Versuche, die »Hegemonie« in Europa und auf der ganzen Welt zu erlangen, erst dann aufgeben, wenn es mehrmals besiegt worden sei Op. cit., S. 352..
In den gratis verteilten, für die Neutralen bestimmten Schriften, wie Professor E. Durkheims » L'Allemagne au-dessus de tout« und Professor Ch. Andlers » Le pangermanisme, ses plans d'expansion allemande dans le monde«, findet der Leser denselben engen, schiefen Gedankengang und dieselbe panikartige Stimmung vor der Grundtatsache der Situation wieder – vor einem Deutschland, das zwar nicht um die Alleinherrschaft, wohl aber um Gleichberechtigung kämpft; vor einem Deutschland, das schon ohne Gegenstück zu Frankreichs ungeheurem kolonialem Imperium stärker als Frankreich geworden ist.
Stärker als Frankreich! Ist das nicht ganz dasselbe wie »Feind der Menschheit«?