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Fünfunddreißigstes Kapitel.
Vom Victoria-Njansa nach Sansibar.

Missionswerk an den Ufern des Victoria-Njansa und den Ufern des Kongo. – Die Straße von der Missionsstation Mackay's. – Das Land bei Genge. – Große Schwierigkeiten, um in Kungu den Frieden zu bewahren. – Friedensbruch in Ikoma. – Gefangennahme und Freigebung des Monangua. – Die Wasukuma-Krieger greifen uns an, ziehen sich schließlich aber zurück. – Verrätherei. – Die Eingeborenen folgen uns von Nera nach Seke. – Ankunft im District Sinjanga, Freundschaft zwischen den Eingeborenen und unsern Leuten. – Fortdauernde Angriffslust der Eingeborenen. – Schwere Tribute. – Niedermetzelung einer Karavane. – Der District Usongo und sein Häuptling Mittinginja. – Seine Umgebungen und Nachbarn. – Zwei französische Missionare holen uns ein. – Menschenschädel in Ikungu. – Zusammentreffen mit einer von Sansibar kommenden Karavane Tippu-Tib's. – Ugogo in Unruhe. – Lieutenant Schmidt bewillkommnet uns auf der deutschen Station Mpuapua. – Emin Pascha besucht die französischen Patres vom Heiligen Geiste. – Der Ruf Emin's ist den Patres unbekannt. – Unsere Posten in Afrika sind beständig verloren gegangen. – Inhalt einiger Zeitungsausschnitte. – Baron von Gravenreuth und andere begegnen uns in Msua. – Ankunft einer Karavane mit europäischen Lebensmitteln, Kleidungsstücken und Stiefeln für uns. – Major Wißmann. – Er und Schmidt begleiten Emin und mich nach Bagamoyo. – Festmahl und Gäste in der Messe der deutschen Offiziere. – Major Wißmann bringt das Wohl der Gäste aus; Emin's und meine Antwort darauf. – Emin's Unfall. – Ich besuche Emin im Hospital. – Bericht Dr. Parke's. – Die Stimmung in Bagamoyo. – Einschiffung nach Sansibar. – Abschiedsworte an Emin Pascha. – Krankheit Dr. Parke's. – Emin Pascha tritt in den Dienst der deutschen Regierung. – Emin Pascha's Brief an Sir John Kirk. – Plötzlicher Abbruch der Bekanntschaft Emin's mit mir. – Drei Gelegenheiten, bei denen ich Emin anscheinend beleidigt habe. – Emin's Befürchtungen, nicht beschäftigt zu werden. – Die Britische Ostafrikanische Gesellschaft und Emin. – Höflichkeit und Gastfreundschaft in Sansibar. – Die den Ueberlebenden der Entsatz-Expedition ausgezahlten Gelder. – Der Agent Tippu-Tib's in Sansibar, Djaffar Tarja. – Der Consularrichter genehmigt meinen Antrag gegen Djaffar Tarja. – In Kairo. – Schluß.

 

In diesem Monat sind es 15 Jahre, seitdem ich den Victoria-See zum ersten mal sah, dort mein Boot zu Wasser brachte und seinen Ufern entlang segelte, um in die Buchten und Bäche hineinzublicken und das Gebiet auf der Karte zu skizziren. Sechs Monate später theilten die beiden Zeitungen »Daily Telegraph« und »New York Herald« jedem, der die kleine Summe von einem Penny dafür auszugeben vermochte, die Thatsache mit, daß der größte Binnensee von Afrika erforscht worden sei und am Nordende desselben ein afrikanischer König wohne, der 3 Millionen gewandter Unterthanen beherrsche und gerufen habe, er lebe in Dunkelheit und brauche Licht. Und einige gute Leute hörten den Ruf und antworteten in hochherziger Weise darauf. Sie schickten Missionare zu dem König, die ihn und seine Unterthanen jahrelang belehrten, anfänglich mit geringem Erfolge, doch fielen allmählich einige der Samenkörner auf guten Boden, schlugen Wurzel und gediehen, und trotz der Wicken und Disteln und geilen Gräser, welche auf der jungfräulichen Erde wuchsen, war die Ernte gut.

Als wir uns der See zuwandten, kam mir der Gedanke unwillkürlich in den Sinn, daß es mir an einer andern Stelle, am Kongo, über 2250 km vom Atlantischen Ocean entfernt, gestattet gewesen war, auf die Gewässer des Stromes Dampfer zu bringen, welche mir im Jahre 1887 bei der Beförderung meiner selbst und meiner Begleiter den Fluß hinauf von großem Nutzen sein, und an seinen Ufern Stationen zu erbauen, in denen wir Obdach und willkommene Gastfreundschaft finden sollten in derselben Weise, wie in dieser Missionsstation, die wir jetzt zu verlassen im Begriff standen. Ich fühlte mich in der That versucht, die Metapher aus dem Prediger anzuwenden und zuzugestehen, daß das Brot, welches ich auf das Wasser geworfen hatte, nach vielen Tagen in reicher Menge zu mir zurückgekehrt sei.

Ich beabsichtige nicht, mich bei den zwischen dem Victoria-See und Bagamoyo liegenden Ländern lange aufzuhalten; ich habe sie bereits geschildert, und es ist nutzlos, schon Geschriebenes nochmals zu wiederholen.

Von der Missionsstation Mackay's schlägt die Straße eine südöstliche Richtung ein, um einen kleinen Fluß zu überschreiten, der, sobald er sich einem im Südosten des Victoria-Sees fließenden Bache nähert, einen Sumpf von etwa 400 m Breite bildet, dann sich nordwärts wendet, eine kleine Strecke mit dem Bach parallel läuft und darauf östlich über eine niedrige Ebene geht, wo der Boden so armselig zu sein scheint, daß das dort wachsende Gras keine größere Höhe erreicht als Felsenmoos. Der 400 m breite Sumpf erinnerte mich daran, daß die französischen Missionare seit ihrer Niederlassung bei Bukumbi in der Nähe des Sees beobachtet haben, daß dieser jetzt um etwa 90 cm niedriger ist als zur Zeit ihrer ersten Ansiedelung dort vor ungefähr elf Jahren, und daß Ukerewe keine Insel mehr ist, sondern eine Halbinsel. Wenn dies der Fall ist, und es ist kein Grund vorhanden daran zu zweifeln, und angenommen, daß die Abnahme des Sees eine gleichmäßige ist, so würden zu einem Sinken desselben um 50 Fuß (etwa 15 m) 183 Jahre erforderlich gewesen sein. Zur Zeit als Friedrich der Große zum König von Preußen gekrönt wurde, muß der Victoria-See eine Ausdehnung von über 103 000 qkm gehabt haben; jetzt ist er, so genau wie ich ihn nach meiner letzten Entdeckung an seinem südwestlichen Ende zu messen vermag, etwa 70 000 qkm groß.

Das Aussehen des Landes hatte sich stetig gebessert, seitdem wir die Nachbarschaft des Makolo-Einschnittes verlassen hatten; unsere Farbigen in Genge meinten daher auch, daß die Missionare keine weise Wahl getroffen hätten, als sie sich in Usambiro niederließen; sie bedachten aber nicht, daß ein District in Usukuma oder Unjamwesi, je volkreicher er ist, um so schwerer haltbar für arme Missionare wird, und daß die Abgaben, Besteuerungen und Forderungen des halsstarrigen anmaßenden Häuptlings bald so schwer werden würden, daß das Verhungern nahe bevorstände und die Unterdrückung eine unerträgliche würde.

Ein Beispiel hiervon hatten wir in Ikoma, das wir am 20. September erreichten. In Genge und in Kungu hatten wir erhebliche Schwierigkeiten gehabt, um den Frieden zu bewahren, da der Weg von heulenden Pöbelhaufen besetzt war, welche tanzend und Kriegsgeschrei ausstoßend herankamen. Das machte nicht sehr viel aus, allein ein Dämon von einem Jüngling war gottlos genug, um beide Parteien in einen Wortkampf zu verwickeln über die Frage, ob wir Menschenfresser seien oder nicht. Die Eingeborenen hatten die Narben in den Gesichtern der Sudanesen für einen Beweis angesehen, daß sie Menschenfresser seien, und Menschenfresser hätten in ihrem Lande nichts zu schaffen. Während wir dann etwas wie ein Lager bauten, obwol Gebüsch nur sehr spärlich und Gras nirgends zu entdecken war, kam einer der Begleiter der Aegypter, ein finsterblickendes Subjekt, mit einer Pfeilwunde durch den Arm und einer mit einer Axt ihm zugefügten tiefen Kopfwunde an; außerdem war er seiner Kleidungsstücke und seines Gewehrs beraubt worden. Es hätte nur zweier Worte bedurft, um den Fall ordentlich zu rächen, allein wir verschluckten sie und steckten an diesem Tage noch manche weitere Beleidigung ein, da wir am nächsten in Ikoma, dem District, in welchem der Häuptling wohnte und der als Sitz der Regierung noch um viermal volkreicher war, einrücken wollten.

Unser Geschäft in Ikoma war sehr einfach. Herr Mackay hatte uns mitgetheilt, daß der englische Elfenbeinhändler Stokes dort eine Station habe, ein Freund des ersten Häuptlings Malissa sei und in seinem dortigen Depot einen Vorrath von europäischem Proviant, Zwieback, Butter, Schinken, geräucherten Speck u. s. w. habe, den er gern los sein wollte. Nun waren wir unserer zehn Europäer, von denen jeder mit einem ungeheuern Appetit gesegnet war. Wir hatten daher beschlossen, über diesen Ort zu marschiren und die Lebensmittel zu jedem Preise zu kaufen, und Herr Mackay hatte uns zu diesem Zwecke zwei sansibaritische Führer mitgegeben. Deshalb hielten wir es, obwol die Eingeborenen von Kungu gefährlich frech waren, doch für besser, Malissa's, des Freundes von Stokes, wegen die Sache zu übersehen, da es sich doch nur um lärmende Aufwallungen einiger unbändiger Jünglinge handelte.

Vor uns erhob sich in der Mitte einer Ebene, welche vor drei oder vier Jahrhunderten vermuthlich noch von den Wassern des Victoria-Sees bedeckt war, eine Anhöhe, die früher eine hügelige Insel gewesen sein muß, von der jetzt aber, nachdem das Erdreich gründlich weggespült war, nur noch das Gerippe in Gestalt von grauen gneisartigen Felsen und wüsten Haufen von Monolithen, Steinen und großen Felsrücken stehen geblieben war. Im Schutze dieser Felsen und auf den schmalen Ebenen zwischen denselben hatte sich eine Bevölkerung von etwa 5000 Seelen angesiedelt, und innerhalb eines Bezirks, wo man den Knall einer Flinte, das Blasen eines Horns oder das Kriegsgeschrei vernehmen konnte, lagen um diese natürliche Festung herum in die Ebene hinaus Haufen von Weilern, von denen jeder einzelne von einer Euphorbienhecke umgeben war. Auf der westlich von dem isolirten Felshaufen befindlichen Ebene zählte ich 23 verschiedene Rinder-, sowie zahlreiche Schaf- und Ziegenheerden, woraus wir ersahen, daß Ikoma nicht nur eine blühende, sondern mit seiner starken Bevölkerung und uneinnehmbaren Felsenburg auch eine völlig sichere Niederlassung sei.

Als wir uns derselben näherten, kamen uns Dutzende von geputzten, fröhlichen Jünglingen und Mädchen entgegen, welche lachend und kichernd um uns herumstreiften und als gesunde, harmlose Geschöpfe sich des Lebens und der Jugend freuten. Wir marschirten zu einem ebenen und bequemen Passe hinauf, der auf beiden Seiten von bis zu 60 m über uns ansteigenden Felshaufen eingefaßt war und sich etwas verengerte, als wir dem Dorfe des Häuptlings näher kamen. Hier erschien eine große Menge von Kriegern im Laufschritt, die mit ihren bunten Federn, glitzernden Sperren und fliegenden Gewändern einen ganz imposanten Anblick boten und vor der Colonne Aufstellung nahmen, um sie zurückzutreiben. Wir hörten ihr gellendes Geschrei, und vernahmen, wie sie Befehle an unsere Führer hervorsprudelten, die ihnen sagten, wir seien nur eine Karavane und die Freunde von Stokes und Malissa; allein die Wahnsinnigen erstickten jedes Wort mit einem Sturm von Geschrei und bedrohten die Führer und die Leute der Vorhut. Als ich mich dann hinbegab, um zu sehen, was los sei, wurde ich der Gegenstand der Beachtung einiger Burschen, die mit erhobenen Sperren auf mich los stürmten; einer derselben ergriff mein Gewehr, worauf zwei Sansibariten mir zu Hülfe sprangen und ihm das Gewehr wieder aus den Händen rissen. Die Bogen waren gespannt, die Speere erhoben, zwei von unsern Leuten verwundet und wir in der nächsten Sekunde beschäftigt, die Menge zu vertreiben. In diesem Handgemenge gingen zehn Leben verloren und wurde ein Monangua zum Gefangenen gemacht. Da nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten keine Aussicht mehr vorhanden war, daß wir Lebensmittel würden kaufen können, und auch bereits Gewehr- und Bogenschützen begannen, die Felsen zu besetzen, so mußten wir uns so rasch wie möglich aus dem Paß zurückziehen und irgendwo ein Lager bilden, ehe wir überwältigt würden.

siehe Bildunterschrift

Felsenhügel in Usambiro.

Am Ende der unzusammenhängenden Felsenkette fanden wir einen Wassertümpel, neben welchem ein oder zwei Monolithe wie Druidensteine außerhalb der übrigen Felsen standen. Wir vervollständigten den Kreis mit Ballen, Kisten und Grashütten und lagerten uns dann, um den Ansturm zu erwarten.

Vom Lager aus bemerkten wir, daß das alte Bett des Sees sich viele Meilen weit ausdehnte. Je ungefähr 1 km entfernt lagen zahlreiche Weiler, durch Euphorbienhecken voneinander getrennt. Die zwischen den Weilergruppen liegende Ebene war gewöhnliches Weideland, das von den hungerigen Heerden so kurz wie Steinmoos abgegrast war. Auf dem Wege zum Lager hatten wir eine Rinderherde erobert, die wir jedoch wieder freigaben. Den in unsern Händen befindlichen Monangua fragten wir, was das alles zu bedeuten habe, allein der Mann konnte oder wollte nicht antworten. Dann bekleideten wir ihn mit schönen Stoffen und sandten ihn zu Malissa, um ihm zu sagen, wir seien weiße Männer und Freunde von Stokes, hätten zahlreiche Wasukuma-Träger bei unserer Karavane und hegten auch nicht die Absicht, mit irgendjemand zu kämpfen, sondern wollten nur so rasch wie möglich nach der Küste gelangen. Dann brachten wir den Mann bis einige hundert Meter von dem Dorfe und ließen ihn frei. Er kehrte nicht wieder zurück, wol aber wurde im Laufe des Tages mehrfach der Versuch gemacht uns zu belästigen, bis um 4 Uhr nachmittags im Norden, Osten und Süden drei verschiedene Trupps erschienen, um einen Hauptangriff zu unternehmen. Nunmehr machten wir das Schnellfeuergeschütz bereit.

Die Wasukuma kamen näher heran, aber vorsichtig und, wie es schien, zögernd. Vor dem von Süden her heranrückenden Haufen befanden sich mehrere Plänkler, die bis aus etwa 270 m heransprangen. Einer derselben wurde erschossen und dann gab das Schnellfeuergeschütz etwa 150 Schüsse in ihrer Richtung ab. Es wurde zwar keiner der Eingeborenen getroffen, allein die große Schußweite und der Hagel von Kugeln genügten vollständig. Sie ergriffen die Flucht und ich sandte nun eine Compagnie gegen den Haufen im Osten und eine zweite gegen die Menge im Norden, worauf die Wasukuma nachgaben und sich schließlich zurückzogen. Bei diesem Angriff, an dem wahrscheinlich 2000 Krieger betheiligt waren, wurde nur ein Eingeborener getödtet.

Wir hatten aber Besseres zu thun, als mit den Wasukuma zu kämpfen und setzten daher am 21. September den Marsch nach der Küste fort. Es that uns sehr leid, daß wir die Schinken- und Speckvorräthe nicht bekommen hatten, während andererseits Malissa auch das Geschenk an Stoffen einbüßte, das wir bereits für ihn zurechtgemacht hatten.

Wir waren noch nicht lange wieder auf dem Marsche, als schon die ganze Bevölkerung von Urima sich an unsern Flanken zu sammeln begann. Als um 8 Uhr vormittags ein Vorstoß gegen die Colonne unternommen wurde, hatten wir es nicht mehr nöthig, den Aegyptern und ihren Begleitern zu sagen, daß sie dicht zusammenbleiben sollten. Unsern Zwecken hätte nichts besser passen können, als ihr Verhalten, da sie sich in einen dichten Haufen zusammengedrängt hatten. Vor ihnen waren zwei Compagnien und hinter ihnen befand sich die aus den Sudanesen Bonny's bestehende Nachhut und die Compagnie Schukri Aga's. Die Wasukuma vermochten nichts bei unserer Colonne auszurichten, wenn sie auch noch dreimal so stark gewesen wären, doch schienen sie ganz sicher zu sein, daß sie uns in irgendeiner Weise etwas anhaben könnten. Wir setzten indeß, an den Flanken und im Rücken verfolgt, unsern Weg fort, bis wir um Mittag Muansa am Rande von Jordan's Nullah erreichten, einer gekrümmten Spalte in den alten Ablagerungen des Sees von etwa 35 m Breite und 9 m Tiefe, wo man Wasser aus den in den Sand gegrabenen Löchern erhielt.

Da die Eingeborenen noch immer um uns herumschwärmten, hielt ich es für angebracht, noch einen weitern Versuch zur Besänftigung ihres wüthenden Grolls zu machen, und schickte deshalb den Oberführer der Wasukuma Poli-Poli hin, um mit ihnen zu reden. Poli-Poli heißt, wörtlich übersetzt, »Geh leise, leise«. Nachdem er ihnen eine Stunde lang aus der Ferne zugeschrien hatte, gelang es ihm, einen Monangua und vier seiner Leute zu veranlassen, sich zu nähern und ins Lager zu kommen, das von diesem Besuche und der Aussicht auf eine glückliche Beendigung des »Krieges« vollständig in Anspruch genommen war. Während wir Zeichen guten Willens und Friedensbetheuerungen austauschten und mit dem Zerschneiden von Stoffen für die Gäste beschäftigt waren, um ihnen unsere ernstlichen Absichten zu beweisen, ließen wir die Wasukuma herankommen. Kaum fünf Minuten, nachdem der Monangwa mit seinen Freunden anscheinend vollständig befriedigt mein Zelt verlassen hatte, hörte ich etwa 50 in Salven abgegebene Schüsse, worauf ich sofort hinausstürzte und fand, daß der Feind mitten unter uns war. Einer unserer Leute lag infolge einer Speerwunde im Sterben, unsere Ziegen wurden in vollem Lauf davongetrieben und der Boden des Nullah war mit umherspringenden Gestalten gefüllt. Wir entgingen nur mit genauester Noth ernstlichen Verlusten; aber andererseits wurden sieben Eingeborene kaum 10 m vom Lager getödtet, der verrätherische Monangua erhielt eine Kugel in die Schulter; seine Stoffe verlor er auch wieder, und wir erhielten unsere Ziegen zurück.

Am nächsten Morgen traten wir zur gewöhnlichen Stunde den Marsch an; an beiden Seiten unsers Weges lagen die Dörfer in ununterbrochener Reihe und die Bevölkerung von Süd-Nera war in großen Scharen auf den Beinen. Die Eingeborenen beschränkten sich jedoch darauf, uns in einer dichtgedrängten, volle 3 km weit ausgedehnten Colonne zu folgen; dann und wann wurde auch aus schwergeladenen Gewehren auf uns geschossen. Wir setzten in dieser Weise drei Stunden den Marsch fort, bis wir im Begriffe standen, Nera zu verlassen und Mamara zu betreten, als sie eine Reihe von Kriegsrufen erschallen ließen und nochmals einen Angriff wagten. Wir warfen sofort die Lasten ab und stürmten auf sie ein, in der nächsten Minute waren sie auch schon in vollem Laufe auf dem Rückzuge; dann nahmen wir die Lasten wieder auf und marschirten weiter, worauf die Eingeborenen sich sofort von neuem sammelten und uns während des ermüdenden sechsstündigen Marsches bis nach Seke seitwärts folgten.

Auch auf unserm Zuge von Nord-Seke nach Seke-Kwikuru, d. i. Seke der Hauptstadt, am 23. September, hefteten sich wie vorher ungeheuere Mengen Eingeborener an unsere Flanken, aber da wir wußten, daß unbedeutende Gewaltacte, wie wir sie unternehmen konnten, auf vor außergewöhnlicher Aufregung und Kampfeslust zitternde Stämme selten einen Eindruck machen, so enthielten wir uns einer nutzlosen Vermehrung dieser unbegründeten Wuth gegen uns und machten nur ein paar Minuten halt, um einen Ansturm zurückzuschlagen.

siehe Bildunterschrift

Unsere Erfahrungen in Usukuma.

Wir litten alle schwer durch den Mangel an Wasser und Ruhe. Unsere Rinder und Reitthiere waren schon seit zwei Tagen nicht mehr getränkt worden und in Seke war das Wasser brackisch und knapp. Die Sonne schien so heiß wie möglich, unsere Gesichter waren verbrannt und die Haut geborsten. Das Gras war so kurz, daß die Rinder die Wurzeln fressen mußten, um sich am Leben zu erhalten.

Den folgenden Tag hielten wir Rast. Die Eingeborenen näherten sich dem Lager bis auf etwa 750 m, zerstreuten sich aber nach einigen Schüssen, woraus sie uns zufrieden ließen, sodaß wir uns nach siebentägigem ununterbrochenen Marsche und Kampfe zum ersten mal der Ruhe erfreuen konnten.

Als wir am 25. September in Sinjanga eintrafen, wurden wir von den Frauen mit Lu-lu-lus bewillkommnet, und die Nettesten, welche bereits ausführlich von unserm »kleinen Kriege« mit Usukuma erfahren hatten, kamen zu uns und sprachen die Hoffnung aus, daß wir die bösen Männer verjagt haben möchten, die stets eine verfluchte Bande gewesen seien und Reisende und Fremde belästigt hätten.

Während wir durch einen Unterdistrict nach dem andern zogen, die sämmtlich unabhängig voneinander waren, von ihrem eigenen Häuptling und Rath der Aeltesten regiert wurden, ihre besondern Sitten, Gewohnheiten und Leidenschaften hatten und sich je nach dem Alter, der Intelligenz und den Neigungen des Häuptlings voneinander unterschieden, waren unsere Abgaben und die Regeln für unser Verhalten stets andere. Wir bewegten uns durch kleine Sphären, in denen die von uns zu bezahlenden Abgaben sich nach den uns gestellten Forderungen richteten. Hier befanden wir uns in dem kleinen District Sinjanga mit einer Bevölkerung von nicht über 2000 Seelen. Der Häuptling und seine Anführer waren so stolz auf ihren kleinen Staat, wie es nur der Monarch und der Senat eines großen Reiches sein konnten, und obwol sie ihre Schwäche kannten und wußten, daß unkluge Angriffslust sehr rasch zu ihrem Ruin führen mußte, forderten sie doch in üblicher Weise ihre Abgaben, die wir in reichlichem Maße und mit freundlichen Worten bezahlten. Der Häuptling erwiderte diese Freundlichkeit und sandte uns ein Geschenk, um uns seine Gnade zu beweisen, worauf seine Leute ins Lager strömten, um Getreide und sonstige Producte gegen Stoffe und Perlen auszutauschen, wobei manche Freundschaft und Verbrüderung zwischen den Eingeborenen und unsern Leuten geschlossen wurde.

Dagegen stürzten die Eingeborenen in Urima und Nera schon an den Grenzen wie die Wölfe mit Kriegsgeschrei und beleidigenden Geberden auf uns los. An den Seiten der Colonne drängten sich schreiende Krieger, höhnende Jünglinge und spottende Mädchen; sie ärgerten uns durch Gesten und verletzten unser Ohr mit unverschämtem gellenden Geheul und wilden Drohungen. Alles dies kann mit Gleichmuth ertragen werden; die Worte verwunden uns nicht, machen uns aber umsichtiger und zurückhaltender. Bei der Ankunft im Lager vergrößern sich die Pöbelhaufen; eine Gruppe lärmender, langbeiniger Jünglinge heftet sich an unsere Zelte, schwingt die Waffen, bläst auf den schrillen Kriegsflöten und verfolgt ein schlaues verschlagenes System, um uns zu belästigen. Alles das ist eine Folge der Meinung, daß Langmuth gleichbedeutend mit Furcht ist. Sie blicken um sich und sehen, daß ihre Zahl viermal so groß ist wie die unserige; sie flüstern wie Dorflümmel und Raufbolde einander zu: »Wie schade, daß wir keinen Streit anfangen können; sonst würde ich mich bald zum Herrn jenes Stoffes, dieses Gewehrs oder der Sachen in der Kiste dort machen u. s. w.« Der Häuptling wird von dem verzehrenden Wunsche fortgerissen und läßt sich im Vertrauen auf die Versicherungen, daß es leicht sein würde, Streit zu beginnen und einen Vorwand dafür zu finden, zu einem unklugen Plane verleiten und beklagt dann, wenn es zu spät ist, den Fehlschlag, aber nicht den Vorfall selbst. Die hiesigen Eingeborenen können nicht Unwissenheit vorschützen, wie die neuaufgefundenen Stämme. Als ich vor 15 Jahren durch Usukuma zog, bezahlte ich nicht mehr als 10-12 Stücke Stoff an die Häuptlinge und erhielt dafür einen guten Ochsen oder ein paar Ziegen; seitdem haben aber ein Missionar nach dem andern, Engländer wie Franzosen, und arabische Karavanen Usukuma zur Hochstraße nach dem Victoria-See gemacht, und der Tribut ist von den Häuptlingen auf 300 Doti = 90 Pfd. St. für jeden Unterdistrict erhöht worden. In drei solchen Districten haben die französischen Missionare 900 Doti Stoffe = 270 Pfd. St. bezahlen müssen, 270 Pfd. St. in drei Tagemärschen! Mit diesen Stoffen lassen sich Gewehre kaufen, welche die Eingeborenen noch gewaltthätiger gegen die Missionare machen, und die Folge wird sein, daß in wenigen Jahren die Häuptlinge kleiner Stämme jeden Streifen Zeug, der sich bei den Karavanen befindet, verlangen und letztere solange aufhalten werden, bis Zahlung geleistet ist, wie Usui eine Karavane von 150 Gewehrträgern aufgehalten hat.

Chambi Mbja – der Spitzname eines Arabers, der sich vor zwei Jahren in Nera gelagert hatte – war mit seinem Elfenbein auf der Heimreise von Uganda und hatte seinen Tribut bezahlt. Bald darauf entstand ein kleiner persönlicher Streit zwischen einer Frau aus dem Lager und einem Hirten über die Frage, wer zuerst Wasser aus einem Tümpel bekommen sollte, das Weib oder das Vieh. Der Hirte stieß das Kriegsgeschrei aus und die Folge davon war, daß die ganze Karavane, Männer, Frauen und Kinder, niedergemetzelt wurde.

Wie man mir ferner erzählte, sind die Missionare der Kirchenmissionsgesellschaft Ashe und Walker von einem dieser kleinen Häuptlinge ergriffen und festgehalten worden, bis Herr Mackay sie wieder ausgelöst hat. Herr Stokes, der durch seinen Elfenbeinhandel, wie so mancher Araber vor ihm, gezwungen ist, Geduld und Langmuth zu üben, muß viele unglückliche Stunden erlebt haben, als er sah, wie seine Träger die Ballen fortwarfen und vor einem Haufen lärmender Raufbolde die Flucht ergriffen. Die französischen Missionare haben die Station in Usambiro aufgegeben und ihren Wohnsitz in Bukumbi aufgeschlagen; Herr Mackay hat Msalala verlassen und eine Station in Makolo gebaut. Wenn diese Eingeborenen irgendwie Vernunft hätten oder nur etwas Schamgefühl besäßen, würden sie, nachdem sie von den Missionaren so edelmüthig und ehrenvoll behandelt worden sind, dieselben nicht durch Erpressungen und Unterdrückung forttreiben.

Am 4. October trafen wir in der Boma des Herrn Stokes im Lande seines Freundes Mittinginja ein. Die Hauptstadt des Königs liegt etwa 1¼ km nach Südosten und befindet sich in einer viereckigen Umzäunung aus Buschwerk und Schlick. Kugeln könnten wochenlang gegen die Wälle hageln, ohne den im Innern Befindlichen Schaden zu thun, und wenn die Vertheidiger nur mit genügend Brennmaterial, Lebensmitteln und Wasser ausgerüstet und wachsam sind, würden die fortartigen Bauwerke vollständig uneinnehmbar sein außer für Kanonen. Der District Usongo, der unter der Herrschaft Mittinginja's steht, ist ziemlich dicht mit diesen Bauwerken besäet, zwischen denen außer dem alten festen Affenbrotbaum weder Busch noch Pflanze den Blick behindert.

Der Häuptling besitzt entweder die Fähigkeit, mit seinen Nachbarn in Streit zu gerathen, oder diese müssen ungewöhnlich zanksüchtig sein oder beide an angeborener Ruhelosigkeit leiden, welche sie in Zorn versetzt und mit den Gewehren gegeneinander treibt. Nach Norden hin lebt ein Häuptling Namens Simba; im Westen wohnen die Leute von Ujogu, hinter diesen hat er Kapera und die diesem verbündeten Watuta oder Wangoni, die Zulus des Aequators; im Süden befinden sich die räuberischen Wataturu, Abkömmlinge der Somali, und im Nordosten die Wandui; und zufällig geriethen wir mitten in dies Hornissennest bösartiger Stämme hinein, veranlaßt durch die Gerüchte von der Gutmüthigkeit Mittinginja's und die Hoffnung, hier etliche Träger für unsere ewig klagenden Aegypter erhalten zu können.

Um der hier offen zu Tage tretenden Unruhe noch mehr Nachdruck zu geben, hat der Häuptling eine Horde wilder Massai aus dem Lyteri-District westlich vom Kilima-Ndjaro zu sich eingeladen, damit sie ihm bei seinen ehrgeizigen Projecten Beistand leisten. Die Massai haben sich bereits gegen die Watuta-Zulus ausgezeichnet, den Wandui ist schon der Mund gestopft worden. Als die Massai sahen, daß wir ruhigen Fremden im Besitz von Eseln waren, machten sie sich ohne weiteres zu Herren von vier derselben, doch zwangen wir sie, die Thiere wieder herauszugeben, und nach achttägigem Halt konnten wir den Freund des Herrn Stokes nebst seine um ihn summenden Hornissen mit 20 neuen Trägern für den Transport der mit Geschwüren behafteten Aegypter verlassen, ohne in einen Kampf verwickelt worden zu sein.

Am 17. Oktober gelangten wir nach Ikungu, wo wir von zwei französischen Missionaren, den Patres Girault und Schynse Während der französische Priester Pater Girault öffentlich und privatim die ihm von uns erzeigten Gefälligkeiten anerkannte, hat Pater Schynse, wie ich zu meinem Bedauern sagen muß, einen feindseligen Ton gegen uns angeschlagen. Wir nahmen sie mit offenen Armen auf und versahen sie und ihre Leute bis zur Küste mit Fleischrationen. Wir bezahlten ihren Tribut an die Wagogo. Sie wurden zu jedem Festessen eingeladen, an welchem wir in Bagamoyo und Sansibar theilnahmen und der britische Generalconsul Oberst Euan Smith ehrte sie mit der liebenswürdigsten Gastfreundschaft. Inzwischen hat Pater Schynse, nach seiner eigenen Erzählung, etliche klagende Bemerkungen, welche der Pascha zu Zeiten der Ermüdung infolge der Strapazen geäußert hat, benutzt, um zwischen dem Pascha und uns einen Bruch herbeizuführen, indem er ihm gewisse kritische Bemerkungen übermittelte, die unsere Offiziere über den Charakter der Flüchtlinge gemacht haben sollten und durch welche Emin's außerordentlich empfindliche Natur sich verletzt fühlte. Der Eindruck, den ich von dieser Persönlichkeit erhielt, hat sich also vollkommen bestätigt., eingeholt wurden, die als Invaliden auf der Heimreise begriffen sein sollten und unsere Begleitung nach der Küste zu benutzen wünschten.

Um die das Dorf des Häuptlings umgebenden Euphorbienhecken lagen über hundert Menschenschädel, während die ganze Nachbarschaft mit unzählbaren Knochenfragmenten besäet war. Auf meine Frage, was für ein Unglück hier stattgefunden habe, erfuhr ich, daß die Schädel die Ueberreste eines mehr als 400 Personen zählenden Stammes der Wanjaturu seien, welcher von Ituru nach Ikungu geflohen sei, um dem Hungertode zu entgehen. Was die Leute mitgebracht hatten, war bald für Lebensmittel ausgegeben, und als diese verzehrt waren, mußten die Leute erst ihre Kinder und dann ihre Frauen verkaufen, und als gar nichts mehr übrig war, starben sie. Die Kinder hatten die Farbe der Mulatten und standen auf einer weit höhern Stufe als die schwarzen Buben der Wanjamwesi.

Wir begegneten hier einer von Sansibar kommenden, Tippu-Tib gehörenden Karavane; die dabei befindlichen Manjema erzählten uns, daß der Krieg zwischen den Deutschen und den Arabern der Küste noch fortdauere, doch wären die Deutschen schon mehrfach siegreich gewesen.

Am 26. October erreichten wir Muhalala und gegen den 8. November hatten wir Ugogo passirt. Es gibt in Afrika kein Land, welches mein Interesse so in Anspruch genommen hat wie dieses; es gärt dort von Schwierigkeiten und Aufruhr, die Gegend ist ein Wirrsal von kleinen Aergernissen, welche den Reisenden, solange er sich dort befindet, Tag für Tag quälen. Keine andern Eingeborenen verstehen es so gut, wie die Reisenden zu ärgern und zu belästigen sind; man sollte fast glauben, es müßte sich irgendwo in Ugogo eine Schule befinden, um die Häuptlinge, die von fuchsartiger Verschlagenheit sind, in gemeinen Schlichen und böswilliger Malice zu unterrichten. Vor 19 Jahren betrachtete ich dieses Land und seine Bevölkerung mit verlangenden Blicken und sah in ihm ein Feld, dessen Gewinnung einiger Anstrengungen werth sei. Ich war überzeugt, daß Ugogo in sechs Monaten zu einem anmuthigen, geordneten Lande und ohne große Kosten und Mühen zu einem Segen für die Bewohner und für Fremde gemacht werden könnte; ich hätte es gern zu einer angenehmen Hochstraße für den Verkehr der Menschen mit weit entfernten Völkern gemacht, zu einem Lande, das Reichthum für die Bewohner, Behaglichkeit für die Karavanen geboten hätte. Bei der Ankunft in Ugogo erfuhr ich, daß mir diese Hoffnung für immer abgeschnitten sei. Es wird die Bestimmung der Deutschen sein, dies alles auszuführen, und ich beneide sie darum; für mich ist es eine sehr schlimme Nachricht, daß ich nie in der Lage sein werde, diese Kloake lasterhafter Leidenschaften zu entleeren, die Frechheit der Wagogo-Häuptlinge zu unterdrücken und das Land reinlich, gesund und sogar von Aussehen schön zu machen. Wenngleich meine besten Wünsche die Bestrebungen der Deutschen begleiten, beschleichen meine Seele doch Zweifel, ob Ugogo jenes schöne Land der Ruhe und freundlichen Aufnahme werden wird, zu welchem ich es in meinen Träumen gemacht hatte.

Zwei Tagemärsche hinter Ugogo erreichten wir die deutsche Station Mpuapua, wo wir von Lieutenant Rochus Schmidt willkommen geheißen wurden, der von Major Wißmann, dem kaiserlichen Kommissar von Deutsch-Ostafrika, zu unserer Begleitung gesandt worden und schon vor einem Monat eingetroffen war. Er hatte bereits eine steinerne Brustwehr um sein kleines Lager aufgeführt, das 100 Zulus beherbergte und auf einem dominirenden, aber dem Winde ausgesetzten Punkte erbaut war. Die Stelle muß nothwendigerweise manchem weißen Offizier, der das Unglück hat, zum Militärcommandanten von Mpuapua ernannt zu werden, zum Schaden gereichen.

Hier erhielten wir den Besuch des Rev. Price; dessen Gegenwart verschaffte uns mancherlei Vortheile, namentlich empfingen wir von ihm auch einen Jahrgang der Wochenausgabe der »Times«. Als ich die Seiten der umfangreichen Geschichte des verflossenen Jahres durchblätterte, machte nichts größern Eindruck auf mich, als das glatte und ebene Geleise, in welchem die Ereignisse, ohne zu schwanken oder merkbar zu vibriren, sich bewegten. Das Summen ihrer Bewegung kam mir vor wie dasjenige, welches man an schläfrigen Sommertagen in einem fern vom Geräusch des Straßenverkehrs und dem donnernden Lärm der Eisenbahnzüge liegenden Landhause vernimmt. Der entfernte murmelnde Ton der auf den Schienen dahingleitenden Eisenbahnwagen erinnert das träge Ohr in der Zurückgezogenheit und Ruhe daran, daß die Welt ungestört und sicher weitergeht. England lag noch inmitten der silberfarbenen Meere vor Anker; das Indische Reich war, wo es sein sollte; Europa amusirte sich mit friedlichem Exerciren, und Amerika sammelte seine prachtvollen Ernten und füllte die Keller seines Schatzamts mit Gold- und Silberbarren.

Am 13. November marschirte die Expedition, begleitet von Lieutenant Schmidt, in der Stärke von etwa 700 Köpfen von Mpuapua nach der Küste ab und fünf Tage später vertauschte sie den Anblick der ausgedörrten Dornenwildniß mit demjenigen eines Landes, wo es nach Lilien duftete und anmuthiges Frühlingsgrün das Auge erfreute. Nach zweistündigem Marsche von Muini Usagara kamen wir aus dem Mukondokwa-Thal heraus und erreichten die Makata-Ebene, die mit ihrem grünen Gras, ihren angenehm schattigen Bäumen und zahlreichen Gruppen von Dörfern nach dem viermonatlichen Anblick der Trockenheit bei allen unsern Offizieren Enthusiasmus hervorries. Ein Pater der französischen Mission, die sich in der Nähe von Ferahani am Fuße der Berge niedergelassen hat, überbrachte uns hier einige willkommene Gegenstände mit den besten Grüßen und Wünschen der Mission.

In Viansi, zwei Tagemärsche weiter, erreichten uns die von Major Wißmann abgesandten Vorräthe, die aus einer Menge von Lebensmitteln bestanden, wie sie nur ein erfahrener Forscher, welcher weiß was am höchsten geschätzt wird, zusammenzustellen vermag, und zwar kam alles in solch reichem Ueberfluß, daß unsere Tafel von da ab bis zur Küste mit Luxusartikeln beladen war.

Am 23. November trafen wir in Simbamwenni ein, einer aus etwa 400 kegelförmigen Häusern bestehenden und von einer Lehmmauer umgebenen Stadt. Während unsers Halts am nächsten Tage begleitete Lieutenant Schmidt Emin Pascha auf einem Besuche zu den guten Patres der französischen Mission vom Heiligen Geiste, welche ihr Werk in Morogoro mit demselben gründlichen Ernst begonnen haben, der ihre Niederlassung in Bagamoyo so berühmt gemacht hat. Sie haben Orangen, Mangos, Bananen, Vanille, Zimmt, Kaffee und fast alle sonstigen in tropischen Gegenden gedeihenden Früchte gepflanzt und einen klaren, wasserreichen Fluß durch ihr kleines Gebiet geleitet.

Wie Lieutenant Schmidt mir erzählte, war er einigermaßen verwirrt worden durch die Thatsache, daß die Patres in ihrer außerordentlichen Hingabe an ihre Religionspflichten durchaus unbekannt mit der Geschichte seines berühmten Begleiters gewesen waren. Ein Pater hatte ihn, nachdem er den Pascha verwundert angeblickt hatte, flüsternd gefragt: »Spricht er nur Arabisch?« und war höchst verwundert gewesen, als ihm mit der die freimüthigen jungen deutschen Offiziere charakterisirenden Wärme gesagt wurde, Emin spreche nicht nur Arabisch, sondern mit derselben Geläufigkeit auch Französisch, Englisch, Deutsch, Türkisch, Italienisch und Griechisch, und sei ein Deutscher von Geburt.

»In der That! Ist seine Expedition denn eine kaufmännische, wissenschaftliche oder militärische?«

Darauf hatte Lieutenant Schmidt, ganz starr über die außerordentliche Abgeschlossenheit der frommen Klause, die ganze Geschichte erzählen müssen, aus welcher der Pater zum ersten mal erfuhr, was meinen dritten Besuch in dieser Gegend veranlaßt hatte.

Ich bat den Pascha, dem die Geschichte Vergnügen machte, sich zu trösten und erzählte ihm zu diesem Zwecke, wie ich von einem Kanonikus der Westminster-Abtei einem wohlbekannten Bischof als ein Mann vorgestellt worden sei, der einiges Gute am Kongo gethan habe. Der Bischof zögerte eine Minute und sagte dann milde: »Ach, wirklich, höchst interessant. Aber, bitte, sagen Sie mir, wo ist der Kongo?« Uebrigens finde man manchmal Laien, die bezüglich Afrikas ebenso unwissend seien, wie Bischöfe, wie z. B. der englische Cabinetsminister, der eine kaufmännische Deputation aus Manchester empfing, die sich über am Niger entstandene Schwierigkeiten beklagte, und, auf eine Karte von Afrika weisend, ruhig den Sprecher bat, er möge die Güte haben, ihm den Fluß zu zeigen, der ein solches Interesse für die große Stadt Manchester habe.

Am 27. November erreichten wir Ungerengeri, wo wir zum ersten mal einige Briefe erhielten. Noch nie ist die Postbeförderung in Afrika von so vielen Unfällen betroffen worden wie bei uns; drei verschiedene mal hatte ich unsere Freunde gebeten, unsere Briefe nach Msalala am südlichen Ende des Victoria-Sees zu schicken und mit der leserlichen Aufschrift zu versehen, daß sie »postlagernd« liegen bleiben sollten. Es sind uns auch scheffelweise Posten gesandt worden, aber bis auf ein drei Briefe enthaltendes Packet sind alle in Unjoro und Uganda verloren gegangen oder von Buschiri, einem Gegner des Majors Wißmann, weggenommen worden.

Unter den vielen Zeitungsausschnitten, welche ich erhielt, befand sich auch einer, der einen Schlüssel für die Verdrehung wahrer Thatsachen abgibt. Die Meldung scheint von Sansibar durch einen eingeborenen Beamten telegraphisch abgesandt zu sein und lautete folgendermaßen:

 

Sansibar, 12. Juni 1889.

Stanley soll in Ururi angekommen sein, wo er einige Tage Rast hält. Er ist nach dem Victoria-See zurückgekehrt und läßt 56 Kranke und 44 Gewehrträger zurück. Viele von den Kranken sind gestorben. Bald darauf traf Mitchell ein und nahm die Gewehre mit. Stanley soll schwere Verluste durch Krankheiten und Mangel an Lebensmitteln erlitten haben. Später kam Stanley selbst. Emin Pascha soll in Unjara, 15 Tagemärsche Nordost vom Victoria-See sein. Stanley hat alle Zurückgelassenen aufgesucht und ist zu Emin zurückgekehrt, nachdem er dem Schreiber dieses einen Brief zur Beförderung an den Generalagenten der Gesellschaft übergeben hatte.«

 

Da der Wortlaut der Mittheilung von einem Schreiber in Sansibar verbessert worden war, so war die Botschaft nur noch unverständlicher geworden. Dieselbe war durch einen Agenten des Elfenbeinjägers Ugarrowwa in Sansibar eingetroffen und sollte wie folgt lauten:

 

Stanley ist am Ituri (Flusse) eingetroffen. Er hat, nachdem er 56 Kranke und 44 Gewehrträger bei mir zurückgelassen hatte, den Marsch nach dem Albert-See fortgesetzt. Die meisten Kranken sind bald nachher gestorben.

Masinga (Lieutenant Stairs) ist hierhergekommen und hat die Gewehrträger mitgenommen. Wie ich gehört habe, hat Stanley ernstliche Verluste durch Krankheit und Hungersnoth erlitten. Schließlich kam Stanley persönlich hierher.

Emin Pascha soll in Unjoro sein, 15 Tagemärsche von hier (der Station Ugarrowwa's) nach Nordosten. Nachdem Stanley alle Leute, welche (von der Nachhut) zurückgeblieben waren, aufgesucht hatte, ist er zu Emin zurückgekehrt, nachdem er mir einen Brief an den Generalkonsul übergeben hatte. (Ugarrowwa wünschte dringend ein Empfehlungsschreiben an den Consul zu erhalten, da er in Sansibar zur Unterscheidung von den übrigen Uledis, die dort so häufig sind wie die Smith in England, als Uledi Baljus oder des Consuls Uledi bekannt ist.)

Hierzu die Greuel am Aruwimi, Stanley's Tod durch 17 Pfeilwunden, die Mittheilungen eines Beamten des Kongostaates, die Schreiben der Missionare und Maschinisten, der Bericht Osman Digna's über die Gefangennahme Emin Pascha's und eines andern Weißen, das Eindringen eines weißen Paschas in den Sudan u. s. w., es war wirklich Grund genug, um die englischen Redacteure nicht wenig zu verwirren. Indessen »Ende gut, Alles gut!«

Während wir in Msua halt machten, traf Baron von Gravenreuth mit 100 Soldaten ein. Der Baron ist ein kühner Soldat, der die Aufregung der Schlacht liebt und bei seinen Angriffen auf die Seriben der Küstenaraber große Geschicklichkeit bewiesen hat. Es war mir höchst interessant von ihm zu hören, daß er sich einmal an mich um Rath über die Ausrüstung und das Verhalten in Afrika gewendet und ich ihm väterlich gerathen habe, das Werk »Der Kongo und die Gründung des Kongostaates« zu lesen, »ein Rath, den ich, wie ich Ihnen jetzt sagen kann, zu meiner Freude befolgt habe«.

Bald darauf erschienen zwei Correspondenten amerikanischer Zeitungen, der eine Herr Thomas Stevens, der andere Herr Edmund Vizetelly, Vertreter des »New York Herald«. Der letztere Herr brachte uns eine Anzahl gut ausgewählter Artikel zu unserer persönlichen Bequemlichkeit, sowie verschiedene Lebensmittel mit und zwar auf Anweisung des Herrn James Gordon Bennett, des Besitzers der Zeitung, in dessen Auftrage ich zwei frühere Expeditionen nach Afrika unternommen und 1867 und 1868 Sir Robert Napier nach Abessinien und 1873 und 1874 Sir Garnet Wolseley nach Aschanti begleitet hatte.

Zwei Tagemärsche vor Msua begegnete uns eine Expedition der Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft, welche uns für unsern Gebrauch 170 Trägerlasten Reis und 25 Kisten europäischen Proviant, Kleidungsstücke und Stiefeln sandte, sodaß jeder Mann von der Colonne 22 Pfund Reis, sowie Rationen Salz, Zucker, Fruchtconserven und Biscuits erhielt.

Als wir uns am Abend des 3. December beim Mondschein unterhielten, hörten wir einen Kanonenschuß. Es war der Schuß, der allabendlich in Sansibar abgegeben wird; er veranlaßte unsere Sansibariten zu ohrzerreißendem Freudengeschrei, da er ihnen verkündete, daß die lange Reise über den Continent ihrem Ende entgegengehe. Auch die Aegypter und ihre Begleiter stimmten in das Freudengeschrei mit ein, da die Ueberzeugung in ihnen aufdämmerte, daß sie innerhalb der nächsten 24 Stunden den Ocean sehen würden, auf dem sie in aller Bequemlichkeit und Muße nach dem Lande Aegypten und ihrer zukünftigen Heimat getragen werden sollten.

Bei der Ankunft an der Fähre über den Kingani-Fluß kam Major Wißmann herüber, um uns zu begrüßen, und ich hatte zum ersten mal die Ehre, einem Collegen vorgestellt zu werden, der sich zuerst im Dienste der Internationalen Association im Hauptquartier am Kassai-Flusse ausgezeichnet hatte, während ich mit der Anlage von Stationen am Hauptflusse beschäftigt war. Beim Eintreffen auf dem rechten Ufer des Kingani fanden wir gesattelte Pferde vor, worauf ich den Befehl über die Colonne an Lieutenant Stairs übergab, während Emin Pascha und ich von Major Wißmann und Lieutenant Schmidt nach Bagamoyo geleitet wurden. In dieser Küstenstadt, deren Straßen wir hübsch mit Palmzweigen decorirt fanden, wurden wir von den Glückwünschen der Banianen- und Hindu-Bevölkerung, sowie vieler tapfern deutschen Offiziere empfangen, welche die Strapazen und Gefahren des erbitterten Kampfes getheilt hatten, den Major Wißmann mit so wohlverdientem Erfolge gegen die unzufriedenen Araber von Deutsch-Ostafrika führte. Gleich darauf erreichten wir, um eine Ecke biegend, den vor dem Hauptquartier des Majors liegenden Batterieplatz, während sich zu unserer Linken, ganz in der Nähe, der von sanften Wellen bewegte Indische Ocean ausbreitete, eine einzige große klare, blaue Fläche. »Da, Pascha«, sagte ich; »wir sind zu Hause!«

»Ja, Gott sei Dank!« erwiderte er. In demselben Augenblick donnerten die ihm zu Ehren abgegebenen Schüsse der Batterie und kündigten den vor Anker liegenden Kriegsschiffen an, daß Emin, der Gouverneur der Aequatorialprovinz, in Bagamoyo angekommen sei.

siehe Bildunterschrift

Banket in Msua.

Vor der Thür der deutschen Offiziersmesse stiegen wir ab, worauf wir nach oben auf eine etwa 14 m lange und 7½ m breite Veranda geführt wurden, die zu einer Palmenlaube umgewandelt und hübsch mit Palmzweigen und deutschen Flaggen decorirt war. Es standen dort mehrere gedeckte runde Tafeln und auf einem breiten Buffet war ein prächtiges Frühstück bereitet, dem unser Appetit die höchste Ehre anthun ließ; da ich aber bezüglich der Wirkung des schönen Champagners nach so langer Abwesenheit Zweifel hegte, so verdünnte ich ihn stark mit Sauerbrunnen. Der Pascha war nie fröhlicher, als an diesem Nachmittage, als er, von seinen Freunden und Landsleuten umgeben, ihre tausend eifrigen Fragen beantwortete über das Leben, welches er während seiner langen Verbannung in Afrika geführt hatte.

Um 4 Uhr nachmittags marschirte die gut aussehende Colonne in die Stadt ein. Die Leute wurden nach in der Nähe des Strandes bereits aufgeschlagenen Hütten geführt, und als die Träger ihre Lasten auf den Boden warfen und die lange Reihe von Hängematten ihres traurigen Inhalts an kranken Männern und Frauen und schwächlichen Kindern zum letzten mal sich entleerte, müssen wol alle wie ich die größte Erleichterung gefühlt und vollkommen verstanden haben, was diese Ankunft an der Meeresküste bedeutete.

Um 7½ Uhr abends sollte das Bankett stattfinden. Als wir die Treppe nach der breiten Veranda hinaufstiegen, begab der Pascha sich nach seinen Zimmern, um sich umzukleiden. Wir versammelten uns in der Palmenlaube, insgesammt 34 Personen: der englische Viceconsul, Herr Churchill, der deutsche und der italienische Consul, Kapitän Brackenbury vom englischen Kriegsschiffe »Turquoise« und Commandeur T. Mackenzie Fraser vom englischen Kriegsschiffe »Somali«, der Consularrichter, die Kapitäne Voß und Hirschberg von den deutschen Kriegsschiffen »Sperber« und »Schwalbe«, Offiziere vom Stabe des Kaiserlichen Kommissars, Emin Pascha, Kapitän Casati, Kapitän Nelson, Lieutenant Stairs, Dr. Parke, die Herren Jephson und Bonny, die Patres Etienne und Schmidt von der Mission in Bagamoyo, Girault und Schynse von der algerischen Mission, Beamte der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, Baron von St. Paul-Illaire, Herr W. H. W. Nicoll von der Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft, der Kapitän der Flotte des Reichskommissars u. s. w. Auch das Musikcorps der »Schwalbe« war erschienen, um diese für Bagamoyo ganz wundervolle Affaire zu verherrlichen.

Nachdem die Gäste alle versammelt waren, führte Major Wißmann dieselben in den langen Speisesaal, in welchen das mittlere Zimmer des Gebäudes für diese Gelegenheit umgewandelt worden war. Während wir im Innern beim Bankett saßen, feierten die Sansibariten, die unermüdlichen Geschöpfe, draußen auf der Straße gerade unter der Veranda den Abschluß der beschwerlichen Zeit mit thierischer Energie durch lebhaftes Tanzen und lautes Singen. Das Festmahl wies die gewöhnliche Zahl von Gerichten auf, doch bin ich vollständig außer Stande, es zu beschreiben, mir schien es aber für Bagamoyo wundervoll zu sein und ich habe nur aus äußerstem Zartgefühl es unterlassen, Wißmann zu fragen, woher er seinen Küchenchef und wie er alles zu Stande gebracht habe. Das Mahl war ohne die leiseste Uebertreibung ein Triumph; die Weine waren vorzüglich, gut ausgewählt und schön gekühlt, aber wenn der Sauerbrunnen nicht in unbeschränkten Mengen zur Hand gewesen wäre, um sie durch Verdünnung unschädlich zu machen, würde ich nicht im Stande gewesen sein, ihre Verdienste zu besprechen. Ich hatte die Ceremonie, welche solchen Festmahlen zu folgen pflegt, fast vergessen; als aber die Uhr nahezu neun zeigte, die Musik verstummte und Major Wißmann sich erhob, kam mir die Vorahnung, daß er, unter wohlwollender Beurtheilung irgendwelcher mit unserer beendeten Mission verknüpfter Widrigkeiten, der Gesellschaft vorzuschlagen beabsichtigte, mit ihm auf die gute Gesundheit der Gäste, Emin Pascha, Kapitän Casati, des Herrn Stanley und der Offiziere der Expedition zu trinken, welche an diesem Tage mit ihrer Ankunft im Hafen von Deutsch-Ostafrika ihre Arbeit abgeschlossen haben. Der tapfere Major sprach, wie ich erwartet hatte, in wohlgemessenen Sätzen, mit echter Liebenswürdigkeit und unvergleichlicher Herzlichkeit, und die Gesellschaft erhob sich, um die Wünsche mit lauten Hurrahs zu bekräftigen.

Die einzelnen Punkte meiner Antwort waren, erstens, daß es mir unbekannt gewesen, daß Emin Pascha ein Deutscher sei, als ich meine Dienste angeboten hatte, um ihm Entsatz zu bringen; unsere Gedanken seien hauptsächlich nur auf einen in Schwierigkeiten befindlichen Gouverneur gerichtet gewesen, der seine Provinz mit Hartnäckigkeit, Muth und Klugheit gegen die Angriffe wilder Fanatiker beschützte, welche bereits jede Spur von Civilisation im Sudan ausgetilgt hatten. Zweitens, daß, da durch frühere Expeditionen der Beweis geliefert worden sei, daß der Erfolg nur durch ernstlichen guten Willen, unermüdliche Anstrengungen und äußerstes Streben sich erzielen lasse, meine Gefährten und ich, wie von einem Geiste beseelte Männer, ohne Murren jede Fiber und unsere ganze moralische und physische Kraft eingesetzt hätten, um den Zweck zu erreichen, zu dem wir ausgezogen seien. Daß drittens, da die Welt die Menschen so erziehe, daß sie gleichgültig gegen ihr Lob oder ihren Tadel würden, da weder Vollkommenheit noch Hingebung ihre Gunst zu gewinnen vermöge, wie Unglück ihre Verachtung und Erfolg ihren Neid und Haß, und da der Einzelne durch Opfer gewonnen werden könne, aber nicht Verdienste genug besitze und nicht über Glück genug verfüge, um die Bewunderung aller zu erringen – es am sichersten sei, die Billigung des eigenen Gewissens zu suchen. Und viertens, daß, was wir auch gedacht hätten, es doch Gott gewesen, der die Ereignisse, wie er sie für gut hielt, gelenkt habe. »Emin ist hier, Casati ist hier; ich und meine Freunde sind sämmtlich hier, es ist uns daher, wie wir gestehen, eine vollkommene und heilsame Freude, zu wissen, daß vorläufig wenigstens die täglichen Märsche mit ihren Strapazen zu Ende sind.«

siehe Bildunterschrift

Unter Palmen in Gagamoyo.

Der Pascha hielt seine Rede mit vollendeter Beredsamkeit und tiefer sonorer Stimme; seine Worte, klar, deutlich und grammatisch, überraschten die Gesellschaft in angenehmer Weise und waren in der Hauptsache ein Ausdruck der Dankbarkeit gegen die hochherzigen Engländer, welche seiner gedacht hätten, seine deutschen Landsleute für den ihm zutheil gewordenen freundlichen Empfang und Se. Majestät Kaiser Wilhelm II. für dessen gnädige Bewillkommnungs- und Glückwunsch-Depesche.

Es herrschte allgemeine Fröhlichkeit unter der Gesellschaft. Wenn bei den einen vor unverhüllter Freude bei dem Gedanken, daß mit dem Lichte des nächsten Morgens die Zeit des Ausruhens beginne, das Herz überfloß, so waren andere froh aus reiner, hochherziger Theilnahme. Vor allen war aber der Pascha fröhlich und glücklich. Er wanderte von einem Ende der Tafel zum andern, hier sich zu Pater Etienne hinabbeugend, dort unschuldige Scherzworte mit Dr. Parke und vielen andern wechselnd, während ich von dem mündlichen Berichte Wißmann's über die Kriegsereignisse an der Ostküste vollständig in Anspruch genommen war. Plötzlich flüsterte mein Zeltdiener Sali mir ins Ohr, der Pascha sei niedergefallen, was ich so verstand, als sei er über einen Stuhl gestolpert, worauf Sali, als er sah, daß ich den Unfall nicht ernst nähme, hinzufügte: »er ist über die Verandamauer auf die Straße gefallen und gefährlich verletzt.«

Das Bankett war sofort vergessen. Sali führte mich die Treppe hinab auf die Straße, wo ich etwa 6 m von der Stelle, an welcher der Pascha herabgefallen war, zwei kleine Blutlachen bemerkte. Das Unglück scheint kaum eine Viertelstunde nach der Beendigung seiner Rede geschehen zu sein und dann müssen noch mehrere Minuten verstrichen sein, ehe ich Mittheilung erhielt, da man den Pascha schon fortgeschafft, ihm Wasser über den Kopf gegossen, um ihn wieder zum Bewußtsein zu bringen, und ihn dann ins deutsche Hospital getragen hatte, während das Tanzen und Singen der Eingeborenen seinen ungestörten Fortgang nahm.

siehe Bildunterschrift

Unglücksfall Emin Pascha's.

Meinem Führer nacheilend, vollständig niedergedrückt von diesem plötzlichen Uebergange von der Fröhlichkeit zur Trauer, von der Freude zum Kummer, von der hoch aufgerichteten, vor Vergnügen strahlenden und von Glück erregten Gestalt zum stillen Körper am Rande des Grabes, stürzte ich nach dem Hospital, wo ich vor der Thür einen deutschen Offizier traf, dessen erhobene Hände den Eindruck enthüllten, welchen er von dem unglücklichen Manne erhalten hatte. Oben wurde ich an ein Bett gewiesen, das von einer ängstlich blickenden Gruppe umstanden war. Als ich hinblickte, sah ich den Körper des Paschas halb entkleidet auf dem Bett liegen und die rechte Seite des Kopfes und das rechte Auge mit nassen Compressen bedeckt. Ich hob eine Ecke der angefeuchteten Charpie auf und bemerkte, daß das rechte Auge durch einen infolge der Schwellung der Gewebe entstandenen Klumpen geschlossen war und die Charpie sich durch das aus dem Ohr träufelnde Blut purpurn färbte. Kein Mensch schien einen genauen Bericht geben zu können, wie das Unglück geschehen war, doch ging die Ansicht allgemein dahin, daß der Pascha, der halb erblindet und schon seit den letzten beiden Jahren in diesem Zustande gewesen war, sich etwas zu lebhaft nach der Veranda oder Balkonmauer jener »Palmenlaube«, in welcher wir gefrühstückt hatten, bewegt, um die im Mondenschein tanzenden Eingeborenen zu betrachten, die Höhe falsch beurtheilt, sich plötzlich zu weit übergelehnt habe und, ehe er das Gleichgewicht wieder bekommen konnte, auf das Zinkdach über dem Seitenpfade und von dort auf die Straße gefallen sei, ein Sturz von etwa 4¼ m vom Rande des Daches. Lieutenant Rochus Schmidt war sofort benachrichtigt worden und auf die Straße geeilt, wo er den Pascha besinnungslos gefunden und ihm kaltes Wasser über den Kopf gegossen hatte, um ihn ins Bewußtsein zurückzurufen. Als ihm dies nicht gelang, hatte er ihn ins Hospital schaffen lassen.

Am nächsten Morgen meldete mir Dr. Parke, daß der Pascha bis gegen Tagesanbruch vollständig ohne Besinnung geblieben sei und der Unfall, wenn auch ohne Zweifel ein ernster, doch nicht nothwendigerweise als gefährlich angesehen werden müsse, da er den Pascha untersucht, aber keinen Schädelbruch habe entdecken können. Das aus dem Ohr träufelnde Blut rühre von verletzten Arterien her; wenn keine Entzündung einträte, könne er bequem in zehn Tagen weiter befördert werden. Der Pascha sei an der rechten Seite und am Rücken stark wund geschlagen und litte große Schmerzen.

Zwei Aerzte von den deutschen Kriegsschiffen erklärten jedoch, sie seien nach sorgfältiger Untersuchung zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Zustand des Paschas ein höchst gefährlicher sei, da an der Basis des Schädels unverkennbar ein Bruch stattgefunden habe und von derartigen Fällen nur 20 Procent wiederhergestellt würden.

In Bagamoyo gab es nicht einen einzigen Europäer, der nicht aufs äußerste bekümmert war über das traurige Ereigniß, welches die allgemeine Freude gestört hatte. Das Gefühl ging viel tiefer, als Soldaten es zeigen mögen. Nach außen trat es nicht zu Tage, aber im Innern war man erschüttert darüber, daß der erste Tag, den Emin nach vierzehnjähriger Abwesenheit unter seinen Landsleuten und Freunden verlebte, so unglücklich enden mußte. Was dem Emir Keremallah und seinen Fanatikern, hundert barbarischen Negerstämmen, den Verschwörern und aufrührerischen Soldaten, sowie einem vierzehnjährigen Aufenthalte in der Aequatorhitze nicht gelungen war, das hätte eine unschuldige Gastfreundschaft beinahe zu Stande gebracht. Gerade in diesem Augenblicke hätte man mit Recht sagen können: Seele freue dich! Siehe, der Schatten des Grabes ist über ihr Gesicht gefallen. Die außerordentlich traurigen Aussichten und die rasche Zerstörung der Freude machten die Leute karg in der Sprache und feierlich verwundert über das geschehene Unglück.

Am 6. December wurden unsere Leute auf dem englischen Kriegsschiffe »Somali« und drei Dampfern des Majors Wißmann eingeschifft und um 9 Uhr vormittags formirte sich die Flotte, bestehend aus dem englischen Kriegsschiffe »Turquoise«, Kapitän Brackenbury, mit Lieutenant Stairs, Major Wißmann und den Herren Jephson und Bonny an Bord; dem »Sperber«, Kapitän Voß, mit mir, Kapitän Nelson und vier algerischen Missionaren an Bord; der »Schwalbe«, Kapitän Hirschberg, dem englischen Kriegsschiffe »Somali«, Commander Fraser, und drei von Wißmann's Dampfern, nach Aufwindung der Anker in Linie und trat die Reise nach der Insel Sansibar an. Die klare blaue See, die auf den an unfern Seiten liegenden Riffen zu einem hellen Grün verblaßte, war wundervoll, und mit tiefen Zügen athmeten wir in der uns entgegenkommenden leichten Brise die von Krankheit und Miasmen freie Luft ein. Ach, welch große Erleichterung ich fühlte, daß es jetzt ein Ende hatte, jeden Morgen zwischen hundert ächzenden und verzweifelnden Invaliden sich zu erheben, die mir ihre Hülflosigkeit klagten und mich um Beistand anflehten, daß die täglichen Scenen von Krankheit, Leiden und nicht zu milderndem Elend, die beständigen Qualen aufhörten, denen die duldende Karavane während einer langen Zeit unterworfen gewesen war, einer Zeit, die uns jetzt wie ein Menschenalter der schrecklichsten Schwierigkeiten erschien, welche weit über diejenigen hinausgingen, die wir erwartet hatten, als wir leichten Herzens die Mission übernahmen, den Gouverneur der Aequatorialprovinz zu entsetzen.

siehe Bildunterschrift

Rückkehr der Expedition nach Sansibar den englischen Kriegsschiffen »Turguoise« und »Somali«, den deutschen Kriegsschiffen »Sperber« und »Schwalbe« und der Dampferflotille des Major Wißmann.

Und nun möchte ich einen Augenblick stolz sprechen. In der Kenntniß dessen, was meine Gefährten und ich wissen, haben wir die sichere Ueberzeugung, daß, was die Menschen aus Neid, Böswilligkeit und Eifersucht auch sagen mögen, selbst das allerschärfste Kreuzverhör der Zeugen vor einem Gerichtshofe, soweit wir in Betracht kommen, nichts weiter herausbringen würde, als eine noch vollständigere Anerkennung und höhere Würdigung der Opfer und ernstlichen Bestrebungen, welche wir freiwillig und ohne Entgelt aufgewendet haben, um Emin Pascha, Kapitän Casati und ihren Paar hundert Begleitern zu helfen. Geld, Zeit, Jahre, Kraft, Gesundheit, Leben, alles und jedes, freiwillig, freundlich und hingebend, ohne auch nur den Gedanken an eine Belohnung, die, wie dieselbe auch beschaffen sein mag, als Entschädigung vollständig unzureichend sein würde. Was sind für einen Mann wie ich Bankette? Eine Brotkruste, ein Stück Fleisch und eine Tasse Thee sind ein Festmahl für jemand, der während des größten Theils von 23 Jahren nicht soviel gehabt hat, um jeden Tag Speisen im Werthe von einem Schilling zu essen. Empfangsfeierlichkeiten? Das sind gerade die Ehren, vor denen ich fliehen möchte, da ich ein schlechter Redner zu sein glaube und die Natur mich nicht mit der Neigung, mich an Reden zu erfreuen, ausgestattet hat. Orden? Ich kann sie nicht tragen und selbst das Vergnügen, sie zu betrachten, ist mir wegen meiner beständigen Abwesenheit versagt. Was sonst? Nichts. Keine Ehre oder Belohnung, wie groß sie auch sein mag, kann jener zarten Befriedigung gleichkommen, welche der Mensch fühlt, der auf sein Werk zeigen und sagen kann: »Siehe, das Werk, welches ich mit aller Treue und Ehrlichkeit, mit Macht und Kraft, mit allen meinen Fähigkeiten und mit Gottes Willen ausführen wollte, ist heute beendet. Sage, ist es gut und richtig gemacht?« Und wenn der Arbeitgeber dann zugesteht, daß es gut und richtig gemacht ist, kann es dann eine noch größere Belohnung geben, als die des eigenen Innern?

Am Morgen hatte ich Emin Pascha einen Besuch gemacht und ihn in großer Unruhe und Schmerzen gesunden. »Nun, Pascha«, sagte ich, »Sie wollen hoffentlich nicht die Möglichkeit zugeben, daß Sie hier sterben könnten, nicht wahr?« »O nein! So schlecht steht es nicht mit mir«, erwiderte er und schüttelte den Kopf.

»Nach dem, was ich gesehen habe, Pascha, bin ich ganz derselben Ansicht. Ein Mensch mit einem gebrochenen Schädel würde in dieser Weise den Kopf nicht bewegen können. Der Pascha traf, vollständig wiederhergestellt, gegen Anfang März in Sansibar ein. Leben Sie wohl! Dr. Parke wird bei Ihnen bleiben, bis Sie ihn entlassen; ich hoffe jeden Tag gute Nachrichten von ihm zu erhalten.« Dann schüttelten wir uns die Hände und ich entfernte mich.

Es mag seltsam sein, ist aber wahr. Emin Pascha, der solange er im Innern war, von kosmopolitischem Geiste beseelt war und freie Ansichten zu haben schien, wurde in einigen wenigen Tagen ganz anders. Noch am Morgen vor unserer Ankunft in Bagamoyo hatte ich zu ihm gesagt: »Binnen kurzer Zeit, Pascha, werden Sie unter Ihren Landsleuten sein; aber vergessen Sie nie, wenn Sie voll Stolz und Freude sind, wieder unter ihnen zu sein, daß es Engländer waren, die in der Zeit der Noth zuerst Ihre Rufe gehört haben, und englisches Geld diese jungen Engländer in den Stand gesetzt hat, Sie vor Chartum zu bewahren.«

»Niemals, fürchten Sie das nicht«, erwiderte der Pascha.

Dr. Parke hat, wie ich höre, viel Unannehmlichkeiten ertragen müssen. Als er aber schließlich selbst erkrankte, wurde er mit Gefahr seines Lebens nach dem französischen Hospital in Sansibar geschafft, wo er in fast ebenso hoffnungslosem Zustande darniederlag, wie Emin Pascha unmittelbar nach seinem Unfalle. Glücklicherweise erholte er sich wieder von der schweren Krankheit, die er sich während seiner Pflege am Lager des Paschas zugezogen hatte.

Als die Nachrichten aus Bagamoyo immer unbefriedigender lauteten, sandte ich schließlich meinen Zeltdiener Sali hin, der von einem Besuche bei dem Pascha mit der Erklärung zurückkehrte, man habe gedroht, mit ihm kurzen Proceß zu machen, wenn er je wieder nach Bagamoyo komme. Nie habe ich eine weitere Botschaft oder Notiz von Emin erhalten.

Während ich mit dem Schreiben des Schlußkapitels beschäftigt war, wurde es bekannt, daß Emin Pascha in den Dienst der deutschen Regierung in Ostasrika getreten sei. Die Ueberzeugung, daß er das thun würde, war es gewesen, welche mich am 4. December veranlaßt hatte, ihn daran zu erinnern, daß es englisches Geld gewesen sei, welches unserer Expedition es ermöglicht habe, zu seinem Entsatz und seiner Befreiung zu eilen. Daß er schließlich vorgezogen hat, lieber Deutschland als England zu dienen, erscheint vollkommen natürlich, und doch hat die Mittheilung sehr viele seiner wärmsten und uninteressirtesten Freunde, zu denen auch wir uns zählen können, überrascht.

Unter den mir vom britischen Auswärtigen Amte ausgehändigten Abschriften von Briefen, welche sich auf Emin Pascha und die Zwecke unserer Expedition beziehen, befindet sich nämlich die Copie eines Schreibens, besagend, daß es von Emin selbst an Sir John Kirk gerichtet ist und in welchem er sich erbietet, seine Provinz England zu überliefern, schon als er noch keine Befugniß vom Khedive hatte, sie aufzugeben. Die Veröffentlichung des Briefes im Druck hat ihn sehr geärgert, da das Schreiben ihn anzuklagen schien, daß er die Interessen seiner Regierung zu verrathen suche, der er angeblich so treu gedient hatte. Anstatt daß aber ein Agent Englands erschien, der die Befugniß hatte, mit ihm über die Auslieferung der Provinz an die britische Regierung zu verhandeln und ihn zum Gouverneur derselben unter britischer Oberhoheit zu ernennen, kam ich mit der Mittheilung, daß die ägyptische Regierung auf den Rath des britischen Geschäftsträgers in Kairo unsere Expedition nur benutzt habe, um ihm ihren Wunsch zu übermitteln, daß er sich mit denjenigen Truppen, die ihn zu begleiten bereit seien, aus der Aequatorialprovinz zurückziehen möge, andernfalls solle er auf seine eigene Verantwortung hin im Lande belassen werden. Wer sich für Motive interessirt, wird es daher nicht schwer finden, das anscheinende Zögern und die Unentschlossenheit zu begreifen, mit welcher er kämpfte, als ich ihn um seine Absichten befragte. Denn ihm konnte nichts unerwarteter und unwillkommener sein, als die officiellen Schreiben des Khedive und Nubar Pascha's, welche den Entschluß aussprachen, die Provinz zu räumen, es sei denn das absolute Stillschweigen der britischen Regierung, britischer Philanthropisten oder kaufmännischer Gesellschaften über die Zukunft des Landes, in welchem er so viele Jahre seines Lebens in Zufriedenheit, wenn nicht in Frieden zugebracht hatte. Statt dessen, was er erwartet, hatte ich ihm nur das Anerbieten des Königs der Belgier zu machen, an welches gewisse Bedingungen geknüpft waren, die ihm die Offerte werthlos zu machen schienen. Er konnte Einkünfte nicht garantiren, möglicherweise weil er besser als irgendjemand sonst wußte, daß es in Aequatoria weder eine Regierung, noch eine Provinz gab und Einkünfte deshalb nicht gesammelt werden konnten. Dann erst schlug ich, einzig und allein auf meine Verantwortung hin, ihm vor, Dienste bei der Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft zu nehmen, weil ich aus der Abschrift seines Briefes an Sir John Kirk wußte, daß mein Anerbieten seinem eigenen Vorschlage näher kam als die andern. Da ich, ohne dazu autorisirt zu sein, das Engagement ihm nicht garantiren, sondern nur versprechen konnte, daß ich mein Möglichstes thun würde, um meine Ideen zu verwirklichen, so konnte ich von ihm auch nur die Erklärung erhalten, daß er die zweite Offerte vorziehen würde, da sie ihm lieber sei, als nach Aegypten zurückzukehren oder dem Kongostaate zu dienen. Und dennoch vermochte er, wie wir wissen, keines der beiden Anerbieten definitiv anzunehmen, weil er nicht sagen konnte, ob seine rebellischen Offiziere einwilligen würden, die Provinz zu verlassen, um auch nur bis zum Victoria-Njansa zu gehen. Da meine Mission zu Emin einzig und allein darin bestand, ihm Munition zuzuführen oder ihm in irgendeiner ihm wünschenswerthen und zusagenden Weise zu helfen, stand es mir ebenso frei, ihm Anerbieten von Italien, Deutschland, Rußland, Portugal oder Griechenland wie von Belgien zu überbringen. Aber da Emin nicht geneigt war, nach Aegypten zurückzukehren, und das ihm seitens des Königs Leopold gemachte hochherzige Anerbieten einer Anstellung ablehnte, er es auch nicht wagte, sich zur Annahme von Diensten bei der englischen Gesellschaft zu verpflichten, bis er festgestellt hatte, ob irgendwelche von seinen Leuten ihn zu begleiten geneigt waren, so war er gezwungen, nach seiner Provinz zurückzukehren, um die Neigungen seiner Offiziere zu erforschen, und bei dieser Gelegenheit wurde er abgesetzt und zum Gefangenen gemacht. Als seine Offiziere ihm gestatteten, unser Lager zu besuchen, stellte er sich unter unsern Schutz und begleitete uns nach der Küste, nur mit denjenigen Anhängern, die wir zwangen, ihn auf der Reise zu bedienen.

Wir haben also, nachdem wir unsere Mission mit jeder Rücksicht und allem Respect, solange er als Gouverneur einer wichtigen Provinz handelte, und mit jeglicher Freundlichkeit und zarten Sorgfalt für ihn und seine Familie während der 2500 km langen Reise, bis er sich in den Armen seiner Landsleute befand, getreulich ausgeführt haben, einigen Grund, um mehr als überrascht davon zu sein, daß der Unfall bei dem Bankett in Bagamoyo unsere Bekanntschaft so plötzlich und ohne die geringste Anerkennung seinerseits beendigt hat. Ich weiß, ich habe Emin dreimal gekränkt. Das erste mal war am 5. April, als meine Geduld nach 52tägiger Zurückhaltung riß, weil ich ihn vollständig unfähig fand, einen Entschluß zu fassen, einen Vorschlag zu machen oder einen solchen von mir anzunehmen. Noch jetzt regt mich schon der Gedanke daran auf. Hätte der Pascha einen Prügelknaben gehabt, der arme Bursche würde, wie ich fürchte, eine schwere Zeit gehabt haben. Zweitens war mein Urtheil in der Affaire mit der Frau Mohammed's nicht nach seinen Wünschen, und doch hätte ich, wäre er mein Bruder oder Wohlthäter gewesen, nicht anders können, als strengste Gerechtigkeit zu üben. Das dritte mal war in Mtsora, als Emin kam, um sich wegen gewisser von ihm gebrauchter heftiger Worte zu entschuldigen, und ich die Gelegenheit benutzte, ihm meine Meinung darüber zu sagen. »Ich acceptire Ihre Entschuldigung freimüthig, Pascha«, sagte ich, »hoffe aber, daß Sie uns gestatten werden, Sie von hier bis nach der Küste noch als Gouverneur der Aequatorialprovinz anzusehen und nicht als ein verzogenes Kind. Wir sehen nur mit Bedauern, daß Sie solche Empfindlichkeit zeigen, während wir nicht vergessen wollen, daß Sie der sind, für den wir alle bereit waren, unser Leben jeden Augenblick hinzugeben. Die Art und Weise, wie Sie und Casati wegen eingebildeter Beleidigungen sich empfindlich zu zeigen pflegen, ist uns neu. Wir verstehen nicht, weshalb jedes kleine Misverständniß die Unterbrechung des Verkehrs zur Folge haben muß. Wir sind gewohnt gewesen, unsere Meinungen freimüthig auszusprechen, aber nie auch nur eine Minute Empfindlichkeit zu nähren oder über eingebildete Unbilden zu brüten. Wenn Sie dies vor Augen halten könnten, würden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daß Ihre unnatürliche Abschließung in Ihrem Zelte uns absurd erscheinen muß.«

»Herr Stanley, es thut mir leid, daß ich überhaupt mit Ihnen gegangen bin, und ich werde Sie bitten, mir, wenn wir Herrn Mackay erreichen, zu gestatten, dort zu bleiben«, erwiderte er.

»Aber weshalb denn, Pascha?« fragte ich. »Sagen Sie mir, weshalb und was Sie wünschen. Hat jemand Sie gekränkt? Ich weiß alles, was in diesem Lager geschieht, ich gestehe aber, daß es mir nicht bekannt ist, daß irgendjemand Sie absichtlich gekränkt hätte. Bis herunter zu dem kleinsten Sansibarknaben vermag ich nur den aufrichtigen Wunsch zu entdecken, Ihnen zu dienen. Lassen Sie mich nun, Pascha, Ihnen zum ersten mal in wenigen Worten sagen, wie seltsam Ihr Benehmen uns erschienen ist. Als wir uns freiwillig erboten, Ihnen Entsatz zu bringen, waren Sie ein Held für uns; Sie waren Gordon's letzter Statthalter, der sich in Gefahr befand, von dem Schicksal überwältigt zu werden, das jeden, der mit dem Sudan in Verbindung stand, zu erfassen schien, und wir beschlossen daher, alle unsere Kräfte aufzuwenden, um Sie dem anscheinend allgemeinen Verhängniß zu entziehen. Wir fragten nicht, in welchem Lande Sie geboren seien, erkundigten uns nicht nach Ihrem Vorleben; Sie waren für uns Emin, der heldenmüthige Gouverneur der Aequatorialprovinz. Felkin, Junker und Allen, von der Antisklaverei-Gesellschaft, hatten durch Briefe und Reden in jedem Herzen große Sympathien für Emin, den letzten Statthalter Gordon's, hervorgerufen. Man sagte uns, alles, was Sie brauchten, sei Munition, und von dem Tage an, an welchem ich Neuyork verließ, um den Befehl über diese Expedition zu übernehmen, hatte ich nur den einzigen Gedanken, Sie zu erreichen, ehe es zu spät wäre. Ich schrieb Ihnen von Sansibar aus, wir beabsichtigten die Kongo-Route einzuschlagen, und würden nach Kavalli am Südwestende des Albert-Sees marschiren, und bat Sie, die Eingeborenen auf unser Kommen vorzubereiten, da Sie zwei Dampfer, Boote und Kanoes besaßen. Nun, wir erreichten Kavalli am 14. December 1887, Sie trafen nicht vor März 1888 dort ein. Dieses Unterlassen Ihrerseits kostete uns das Leben eines wackern jungen Engländers und verursachte uns einen Aufenthalt von vier Monaten. Wir mußten nach Fort Bodo zurückkehren und unser Boot holen, um Sie aufzusuchen. Während unsers 26tägigen Beisammenseins mit Ihnen waren Sie nicht einer einzigen Sache sicher, ausgenommen daß Sie auf die Ankunft des Majors und der Nachhut warten wollten. Wir eilten zurück, um diese aufzusuchen, und fanden, daß der Major todt und die Colonne ein Wrack war. Als wir im Januar 1889 zu Ihnen zurückkehrten, waren Sie abgesetzt, ein hülfloser Gefangener und in Gefahr, nach Chartum gebracht zu werden; und dennoch waren Sie, obwol Sie mir geschrieben hatten, Sie, Casati und viele Aegypter seien zur Abreise bereit, nach 56tägigem geduldigen Warten unsererseits noch immer unentschlossen, was Sie thun sollten. Meine Krankheit gab Ihnen einen Aufenthalt von weitern 28 Tagen, aber ich finde Sie noch immer sich nach etwas sehnend, das ich nicht zu errathen vermag und das Sie nicht nennen wollen. Bis zu diesem Augenblicke haben wir Major Barttelot und 300 Menschenleben verloren; wir sind hier, um selbst unser Leben einzusetzen, wenn es nöthig ist. Was können wir noch mehr für Sie thun? Schreiben Sie uns in klaren Worten auf, was Sie brauchen, und Sie werden dann selbst beurtheilen können, ob unsere Betheuerungen nur leere Worte sind.«

Von diesem Augenblicke bis zu der Stunde, als ich ihm am 6. December im Hospital Lebewohl sagte, ist nichts geschehen, was unsern angenehmen Verkehr hätte trüben können. Es war jedoch eine Schwierigkeit vorhanden, die mich bekümmerte, und die bestand darin, daß ich meine Briefe an das Emin-Entsatzcomité abfassen wollte, ohne mein Erstaunen über das außerordentliche Schwanken zu verrathen, durch das sich das Benehmen des Paschas kennzeichnete. Es wäre eine angenehmere Aufgabe für mich gewesen, hätte ich die Illusionen, mit denen wir von England aufgebrochen waren, aufrecht erhalten können; doch das war unmöglich. Was in Kavalli geschehen war, hatte jeder Offizier der Expedition gesehen, und in einem unbewachten Augenblicke würde sich sicherlich die Maske, unter welcher die Freundschaft vielleicht die Excentricitäten des Paschas zu verbergen versucht hätte, beiseitegeschoben haben. Es war daher nothwendig, die Wahrheit so wohlwollend wie möglich zu sagen, damit, was auch Kritiker daraus ableiten möchten, der schlimmste Vorwurf der wäre, daß sein anscheinendes Schwanken die Folge übertriebener Liebenswürdigkeit sei.

Allein das Benehmen des Paschas in Bagamoyo, von dem Augenblicke an, als er ins deutsche Hospital kam, läßt mir nicht das Vorrecht, ihn in so liebenswürdigem Lichte zu schildern. Die undankbare Behandlung, welche der arme Sali erfuhr, die Thatsache, daß er meine Briefe zur gemeinsamen Kenntniß der deutschen Offiziere brachte, die ihn sämmtlich baten, seinen eigenen guten Namen und Ruf zu bedenken, die seltsame Undankbarkeit, welche er Dr. Parke bewies, der in der ganzen weiten Welt keinen Feind hätte haben sollen, die plötzliche und unerklärliche Einstellung des Verkehrs mit allen Mitgliedern der Expedition zwingen mich, dies Buch nicht ohne Erwähnung dieser Dinge zu schließen.

In Afrika drückte Emin Pascha die Befürchtung aus, daß er, wenn er nach Aegypten zurückkehrte, ohne Beschäftigung sein würde. Eine halbe Stunde nach meiner Ankunft in Kairo nahm ich mir die Freiheit, in den Khedive zu dringen, er möge Emin Pascha sobald wie möglich darüber beruhigen, daß er sicher eine Anstellung erhalten werde. Der Khedive gab sofort seine Zustimmung, und nach 36 Stunden antwortete Emin: »Dank, mein gütiger Gebieter.«

Vier Wochen später telegraphirte er an den Khedive und bat denselben, ihm in Sansibar einen Credit von 400 Pfd. St. zu eröffnen, worauf die ägyptische Regierung Oberst Euan Smith in Sansibar ersuchte, er möge diese Summe an Emin auszahlen, der alsdann zurücktelegraphirte: »Da Sie mich nicht besser behandeln, übersende ich Ihnen mein Abschiedsgesuch.«

Weil er England seine Dienste angeboten hatte, wurde die Britisch-Ostafrikanische Gesellschaft veranlaßt, seinen Anträgen näher zu treten, und während meines Aufenthalts in Kairo habe ich erfahren, daß ihm die Annahme eines sehr liberalen Anerbietens anheimgestellt war; plötzlich wurde indeß jedermann von der Nachricht überrascht, daß er Dienste bei den Deutschen in Ostafrika genommen habe, wo es selbstverständlich eine seiner ersten Pflichten sein würde, seine neuen Herren von dem hohen Werthe, welchen die Direktoren der Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft auf sein Verwaltungstalent gelegt hätten, in Kenntniß zu setzen.

Wie schon oben erwähnt, ist sein Wunsch, den Deutschen zu dienen, keine Ueberraschung für mich gewesen; allein die rücksichtslose Gleichgültigkeit gegen seinen eigenen Ruf und seine Nichtachtung der zartern menschlichen Gefühle sind sicherlich geeignet, die Bewunderung für ihn zu verringern. Während vielen Lesern dieses Buches seine Beschäftigung durch seinen Kaiser gleichgültig sein wird und sie es als vollständig natürlich und richtig ansehen werden, daß er seinem Geburtslande und seinen Landsleuten den Vorzug gibt, wird es ihnen doch weniger natürlich erscheinen, daß er die Flagge, der er nach seiner in Kavalli aufgestellten Behauptung über 20 Jahre gedient hat, so verächtlich beiseitewerfen, oder daß er von seinem »gütigen Gebieter«, welcher 14 000 Pfd. St. zu seiner Rettung hergegeben hatte, sich so ohne alle Umstände trennen konnte, oder daß Sir William Mackinnon und seine englischen Freunde, welche den Betrag von 16 000 Pfd. St. gezeichnet hatten, um ihm die erbetene Hülfe zu senden, eine solch plötzliche Abkühlung ihrer freundlichen Sympathien erfahren mußten. Und ebenso erscheint es uns nicht so ganz natürlich, daß er »seine lieben Leute«, für die er im Mai 1888 und im Februar und März 1889 so hochherzig sprach, so rasch vergessen mußte, daß er sie vier Monate ohne ein Wort der Nachricht ließ. Der Apotheker, Dr. Vita Hassan, sein ergebenster Anhänger, erhielt einige Tage bevor ich von Kairo abreiste einen Brief von ihm, in welchem der Pascha ihm mittheilte, daß er, Vita Hassan, und die andern jetzt für sich selbst sorgen müßten und er sich nicht mehr mit ihnen beschäftigen könne, da er seine Verbindungen mit Aegypten gelöst habe. Der arme Schukri Aga, getreu bis zum letzten Augenblicke, kam thränenden Auges zu mir und fragte, was das alles zu bedeuten habe, was er gethan habe, um mit solcher Vernachlässigung behandelt zu werden? Mit einem ihnen für acht Jahre zukommenden rückständigen Gehalt begreifen die Anhänger des Paschas nicht, weshalb ihr früherer Chef sie so vollständig beiseitegeschoben hat.

siehe Bildunterschrift

Die Getreuen in Sansibar.

Man erwies uns in Sansibar so viel Höflichkeit und Gastfreundschaft, daß die bloße Aufzählung derselben ganze Seiten füllen würde. Herrn Major Wißmann bin ich für seine großartige, unbeschränkte Gastfreundschaft aufs höchste verpflichtet, und ich fühlte mich geehrt durch die Bekanntschaft dieses edlen, tapfern deutschen Heerführers. Den wackern Kapitänen Voß und Hirschberg sind wir für ihre unablässige Freundlichkeit große Dankbarkeit schuldig. Was den Generalkonsul Oberst Euan Smith und seine reizende Gattin anlangt, denen ich für unzählige Gefälligkeiten, ebenso bereitwillige wie fürstliche und uninteressirte Gastfreundschaft und zahllose Artigkeiten und Ehren verpflichtet bin, so bin ich zu arm, um mehr zu thun, als einfach eine Güte zu registriren, die ich nicht zu vergelten vermag. Und in der That, es gab keinen Deutschen, Engländer, Italiener oder Inder in Sansibar, der nicht in der einen oder andern Form, sei es durch reiche Festmahle und ausgesuchte Weine oder auf andere Weise, mir und meinen Gefährten ihre, wie sie es nannten, Anerkennung zeigten für unsere Verdienste um Emin Pascha, Kapitän Casati und ihre Begleiter.

Nachdem der Agent der Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft im Verein mit Lieutenant Stairs die Arbeit, die den Ueberlebenden zustehenden Gelder zu berechnen, beendet und den Leuten die entsprechenden Beträge ausgezahlt hatte, wurden sie durch eine Summe von 10 000 Rupien, zu denen der Khedive von Aegypten 3000, der Emin-Entsatzfonds 3000, ich selbst 3000 und der Seyid Khalifa von Sansibar 1000 Rupien beigetragen hatten, in den Stand gesetzt, einem jeden der Ueberlebenden je nach seinen Verdiensten noch 40-60 Rupien extra auszuhändigen. General Lloyd Mathews gab ihnen auch ein großes Festmahl und bewies ihnen namens des gutherzigen Sultans in verschiedener Weise, wie das Verdienst zu belohnen ist. Unter die Witwen und Waisen derjenigen, welche im Lager bei Jambuja und bei der Vorhut umgekommen sind, wird eine vom Entsatzfonds ausgesetzte Summe von 10 000 Rupien vertheilt werden.

Unter den Leuten, welche mich in Sansibar besuchten, befand sich auch ein mohammedanischer Ostindier, Namens Djaffar Tarja, ein wohlhabender Kaufmann aus Bombay, der als Agent vieler arabischer und sansibaritischer Karavanen in Afrika fungirt. Unter anderm ist er auch Agent für Hamed den Mohammed, alias Tippu-Tib. Wie er mir mittheilte, hatte er die Summe von 10 600 Pfd. St. in Gold in seinem Besitz, die ihm von der Regierung des Kongostaates für Tippu-Tib ausgezahlt worden war für Elfenbein, das Lieutenant Becker im Namen des Staates von Tippu-Tib gekauft hatte. Djaffar Tarja hatte also, ohne es zu ahnen, mir das Mittel in die Hand gegeben, um Tippu-Tib eines Tages vor das Consulargericht in Sansibar zu bringen, um wegen gegen britische Unterthanen, die Mitglieder des Emin-Entsatzcomité, begangener Vergehen abgeurtheilt und zur Rückzahlung gewisser Unkosten verpflichtet zu werden, welche wir getragen hatten infolge seiner vor dem Generalconsul Holmwood abgegebenen Erklärung, daß er die Expedition zum Entsatze Emin Pascha's mit Trägern unterstützen würde. Wir hatten ihm daher auf Grund des von ihm unterzeichneten Uebereinkommens, wonach er der Expedition 600 Träger liefern wollte, freie Ueberfahrt und Beköstigung für ihn und 96 seiner Begleiter von Sansibar nach Banana-Point am Kongo gewährt – 1940 Pfd. St., und von Banana-Point nach den Stanley-Fällen – 1940 Pfd. St. Ferner hatte er in Jambuja 47 Ballen Stoffe, etwa 50 Kisten Schießpulver und ebenso viel fertige Munition, Remingtongewehre, Elefantenbüchsen, Revolver, sowie Vorräthe im Werthe von 128 Pfd. St. für seinen Unterhäuptling Muini Somai erhalten, gegen das Versprechen, Träger zur Begleitung des Majors zu liefern, bis dieser entweder mich oder Emin Pascha träfe; indessen hatte er dies nur aus eine Entfernung von etwa 145 km gethan und dadurch uns einen Aufenthalt von fast einem Jahre und weitere Unkosten für den Extralohn von etwa 250 Sansibariten für fast 12 Monate bereitet. Die Gesammtsumme unserer Forderungen, welche wir berechtigterweise stellen konnten, bezifferte sich auf 10 000 Pfd. St., weshalb ich den Antrag stellte, es möge dem englischen Unterthan Djaffar Tarja aufgegeben werden, die in seinen Händen befindlichen Gelder nicht eher aus den Händen zu geben, als bis ein britischer Gerichtshof entschieden hätte, ob das Emin-Entsatzcomité nicht zum Zurückempfang dieser Unkosten und sonstigen Gelder berechtigt sei. Nachdem der Consularrichter die Zeugenaussagen gehört hatte, gab er meinem Antrage Folge. Es ist also, wenn dieser Erzbösewicht mit strenger Gerechtigkeit behandelt wird, kein Zweifel, daß das Emin-Entsatzcomite in den Besitz von genügenden Mitteln gelangen wird, um jedem überlebenden Sansibariten ein Geschenk von etwa 300 Rupien zu machen und unsern Offizieren eine baare Summe von je 1000 Pfd. St. auszuzahlen, eine Anerkennung, die ihnen von Herzen zu wünschen wäre.


Nachdem ich bei der Ankunft in Kairo am 16. Januar 1890 den ägyptischen Behörden die 260 Flüchtlinge übergeben hatte, suchte ich mir ein stilles Haus, um diesen Bericht über die dreijährigen Erfahrungen »Im dunkelsten Afrika« und die Schilderung unserer »Aufsuchung, Befreiung und Rettung Emin Pascha's, des Gouverneurs der Aequatorialprovinz« zu schreiben. Ich entdeckte ein solches in der Villa Victoria und ergriff am 25. Januar die Feder, um mein Tagewerk zu vollenden. Allein ich wußte nicht, wie ich beginnen sollte. Wie Elihu hatte ich mein Gedächtniß voll von Stoff, ich wollte gern schreiben, um mich zu erleichtern, konnte mir aber keine Luft machen. Meine rechte Hand hatte die Geschicklichkeit verloren und die Kunst des Satzbaues war mir durch die lange Nichtübung abhanden gekommen. Ich ließ daher, mich wehrend gegen die Mengen von Erinnerungen, die Auslaß begehrten, nach peinlicher Ueberlegung eine nach der andern ans Tageslicht gleiten. Aber während meine Feder an einem Tage mit der Geschwindigkeit von neun Folioseiten in der Stunde über das Papier glitt, vermochte ich zu andern Zeiten kaum 100 Worte in der Stunde zu bilden. Endlich, nach 50tägiger eifriger Arbeit, bin ich jedoch, einem unwiderstehlichen Antriebe folgend, bei der letzten Seite angelangt und muß, da ich außerdem auch 400 Briefe und etwa 100 Telegramme geschrieben habe, aus Uebermüdung den Leser um Erlaubniß bitten, zu schließen.

Einige Scenen aus den wundervollen Gegenden im Innern Afrikas, welche wir zusammen durchwandert haben, müssen für alle Zeiten sich unserer Erinnerung einprägen; der Gedanke an manche der vielen Scenen in jenem großen Walde wird, wohin wir gehen, sich vor die Seele drängen. Der ewige Wald wird für immer in seiner fernen Einsamkeit stehen bleiben; wie in der Vergangenheit, so werden die Bäume auch in der Zukunft unzählige Menschenalter hindurch wachsen und fallen, in stummen, stillen Mengen, schattenhaft wie Geister in der Dämmerung, aber leise sich aufwärts und höher in die Luft und in den Sonnenschein hineinstehlend. In der Phantasie werden wir oft den Donner krachen und mit rollendem Echo durch das Schweigen und die Dunkelheit Hallen hören, die bleifarbenen Nebel am Morgen und das Glitzern des bethauten Grüns, den Glanz des feuchten Blattwerks sehen und den Duft der Blüten einathmen.

Und dann und wann – werden vor dem Gedächtniß Erscheinungen von Männern vorübergleiten, die in dem regnerischen Dunkel kauern, vor Kälte zittern, hohläugig und abgemagert vor Hunger sind und inmitten des Unbekannten verzweifeln; wir werden das Aechzen der Sterbenden hören, die starren Körper der Todten sehen und wieder vor der Hoffnungslosigkeit unserer Lage zurückschaudern. Dann aber wird wie der Abglanz eines schönen Morgens das Grasland vor unserm geistigen Auge aufsteigen, der Anblick der grünen kuppenartigen Hügel, des schwankenden, wogenden, im Sturmwind lustig tanzenden jungen Grases, der sanften Linien des die Thäler verdunkelnden Gebüsches, der bis in weite Ferne sich hebenden und senkenden Wellen des Landes bis dahin, wo die Berge in unbestimmten Umrissen durch das unendliche Blau auftauchen. Und oft wird der Gedanke, leichter beflügelt als die Schwalbe, über den weiten Ebenen, über dem blauen Wasser, über dem lebhaft grünen Lande und dem silberfarbigen See in luftige Höhen emporschweben, entlang der langen Linie der sich zum Semliki hinabwendenden kolossalen Bergmauern. Er wird um die in ihrer Glorie hoch über der afrikanischen Welt thronenden weißköpfigen Bergspitzen schweben, aus das Geräusch der gleich silbernen Pfeilen in den gewundenen Einschnitten des Ruwenzori herabstürzenden Wasser lauschen und die drohenden Regenwolken und die über unerforschten Abgründen schwebenden weißen Nebelschichten, den ewigen Dunst von Usongora durchdringen und mit freudigem Sprunge in die kühle Atmosphäre von Ankori und Karagwe und weiter über tausend Kilometer sich ausdehnende Weideebenen und dünnen Dornenwald wieder zurückeilen nach dem wunderbaren, prachtvollen Blau des Indischen Oceans.

Gute Nacht, Pascha, und auch Ihnen, Kapitän Casati! Wenn Sie diese Blätter gelesen haben, werden Sie verstehen, wie viel Menschenleben und Leiden Ihre Rettung gekostet hat. Ich habe nichts zu bedauern. Was ich gegeben habe, gab ich gern und mit herzlichstem guten Willen. So sprechen wir alle.

Gute Nacht Ihnen, meine Herren vom Comité! Drei Jahre sind verflossen, seitdem Ihre Güte uns beauftragte, die Nothleidenden zu unterstützen und den Schwachen zu helfen. Insgesammt sind 260 Personen in ihre Heimat zurückgekehrt; etwa 150 weitere befinden sich in Sicherheit.

Gute Nacht, meine Kameraden! Mögen Euch die Ehren zutheil werden, die Ihr verdient. Ich empfehle Euch den warmen Herzen Eurer Landsleute. Sollte auf diesen Blättern irgendein Zweifel auf Eure Mannhaftigkeit, Loyalität oder Ehre geworfen sein, so wird die Schilderung Eurer Treue während einer Zeit, die an Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit kaum je übertroffen werden wird, den Beweis liefern, mit welch edler Tapferkeit Ihr alles ertragen habt. Gute Nacht, Stairs, Jephson, Nelson, Parke, und auch Euch, Bonny, eine lange Gute Nacht!

Gott sei Dank für immer und ewig. Amen!



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