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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Ankunft in Fort Bodo.

Wieder in der alten Station Ugarrowwa's. – Marsch nach Bunda. – Uebergang über den Ituri. – Gegenüber von der Mündung des Lenda-Flusses vorgenommene Eintragungen ins Journal. – Ankunft bei den Pflanzungen von Avatiko. – Herr Bonny mißt einen Zwerg. – Geschichte und Kleidung der Zwerge. – Eine Unterhaltung mittelst Zeichen. – Die Zwergenfrau. – Affen und andere Thiere des Waldes. – Die Lichtung von Andaki. – Unsere zerfetzten Kleider. – Der Ihuru-Fluß. – Mangel an Lebensmitteln, Amani's Mahlzeiten. – Uledi sucht nach Lebensmitteln. – Vermißter Proviant. – Wieder im Dorfe Kilonga-Longa's. – Weitere Todesfälle. – Der Wald bessert sich für den Marsch. – Scharmützel in der Nähe von Andikumu. – Geschichte der Zwerge. – Die Zwerge und die Munitionskiste. – Wir passiren den Kakua-Hügel. – Niederlage einer Karavane. – Der letzte Somali. – Ein heftiger Regenschauer. – Willkommene Entdeckung von Lebensmitteln in Indemau. – Ueberbrückung des Dui-Flusses. – Oberflächliche Musterung der Leute. – Eine Ziege verirrt sich in unser Lager bei Ngwetsa. – Gefangennahme weiterer Zwerge. – Zurücksendung von Leuten nach Ngwetsa, um Bananen zu holen. – Verlust meines Knaben Saburi im Walde. – Das Hungerlager. – Aufsuchung der Abwesenden und Begegnung mit denselben im Walde. – Der Ihuru-Fluß. – Ankunft in Fort Bodo.

 

Am 23. October erreichte die Expedition die alte Station Ugarrowwa's, wo sie in den verlassenen Hütten übernachtete. In dem Hofe um das große Gebäude des Häuptlings war ein Reisfeld gewachsen, doch hatten die Vögel jedes Korn ausgepickt. In den geräumigen Gängen fanden mehr als 100 Leute bequemes Unterkommen, und wenn hier nur in größerer Nähe Lebensmittel zu bekommen gewesen wären, dann hätte es uns gar nicht so schlecht gepaßt, eine Woche hier zu verweilen; indeß war es zu gefährlich, blos wegen des behaglichen Quartiers unsere Rationen zu verzehren. Der Platz bildete den Mittelpunkt eines großen verheerten Gebietes, das wir aus Furcht vor Hungersnoth mit der größten Schnelligkeit durcheilen mußten.

Am nächsten Tage marschirten wir nach Bunda. Die Flußabtheilung erregte dort die Aufmerksamkeit der alten Unterthanen Ugarrowwa's und die Manjema stürzten sich über Bord, um den Pfeilen zu entgehen, während die Sansibariten aus dem nächsten Kanoe ans Land sprangen und durch einen Flankenangriff uns Beistand leisteten, um die verwirrten Manjema zu retten, die in ihren sorglosen selbstgefälligen Stellungen im Kanoe den Eingeborenen so verführerische Zielpunkte geboten hatten.

Der Ituri war jetzt in seiner Hochflut, da der Regen täglich in reichen tropischen Schauern fiel. Die Nebenflüsse und Bäche, welche am rechten Ufer dem Ituri zuströmten, waren tief und verursachten der Landabtheilung ganz außerordentliche Mühe und Strapazen. Kaum hatte sie, bis zum Leib im Wasser, einen Bach überschritten, so mußte sie wenige Augenblicke später schon wieder einen andern von gleicher oder noch größerer Tiefe durchwaten. Die Leute mußten beständig ihre Kleider ausringen und schalten über die ärgerlichen Unterbrechungen des Weges. An den Mündungen der tiefern Nebenflüsse wurden die Kanoes in eine Reihe gelegt, um als schwimmende Brücken für den Uebergang der Karavane zu dienen, deren Mitglieder wegen ihres beschmutzten Aussehens vielfach zur Zielscheibe eines Scherzes gemacht wurden. Einige von den Leuten hatten sicherlich nassen Schlamm oder seifenartigen Lehm an den Bärten haften, andern trieften die Kleider von Wasser, und gleich darauf stürzte infolge der außerordentlichen Schlüpfrigkeit der Brücke einer nach dem andern ins Wasser, was jedesmal mit lärmendem Spott und allgemeinem Vergnügen aufgenommen wurde. Die Landabtheilung mußte an diesem Tage 32 Wasserläufe überschreiten.

Am 25. October marschirten wir bis zu einem Lager gegenüber der Mündung des Lenda-Flusses. Wir kamen gut vorwärts, und ich finde daher in meinem Tagebuche die folgende Bemerkung, die ich am Abend jenes Tages niedergeschrieben habe. Man wird später sehen, daß solche Beglückwünschung nur der Ausfluß einer zeitweiligen Freude darüber sein konnte, daß der Tag nicht mehr sehr fern sei, wo wir das Ende unserer beschwerlichen Arbeit erreicht haben würden.

»Ich möchte meinen innigsten Dank dafür aussprechen, daß unser beschwerlicher Marsch durch den Wald sich seinem Ende zuneigt. Wir befinden uns heute Abend ungefähr 260 km von dem Grasland und diese Entfernung wird sich hoffentlich rasch genug weiter verringern. Inzwischen leben wir in der Vorfreude. Wir ertragen die Regenzeit ohne Murren, denn nach dem Regen wird die Ernte im Grasland für uns bereit sein. Wir verfluchen den Schlamm und Sumpf dieses feuchten Landes jetzt nicht mehr, obwol wir gestern 32 Wasserläufe überschritten und die schlüpfrigen Ufer und Moräste die Geduld stark auf die Probe stellten. Mancherlei Genugthuung steht uns noch bevor. Es wird uns eine große Erleichterung sein, wenn wir von den Angriffen der rothen Ameisen befreit und Tag und Nacht vor ihren Bissen sicher sind; wenn wir die Sohlen unserer Stiefel zum letzten mal getrocknet und den Staub der Wälder von den Schuhen gewischt haben, werden unsere Träume von diesem Feinde wenigstens nicht mehr gestört werden. Während wir unter den Stichen der wüthenden kleinen Bienen leiden, bei dem Biß der winzigen Ameisen aufspringen, uns unter dem Gift der Hornissen winden, bei den Angriffen der teuflischen Wespen ächzen, die zudringlichen Schmetterlinge fortscheuchen, die schädlichen Tigerschnecken fortschleudern, in nervöser Hast den herankommenden grünlichen Tausendfuß zertreten, erinnern wir uns daran, daß alles dieses Elend nicht mehr viele Tage dauern wird. Noch ein klein wenig Geduld, dann kommen frohere Zeiten. Seit dem 17. August schlachteten wir vier Ziegen, um uns mit Fleisch zu versorgen; wir haben uns hauptsächlich von gerösteten Bananen genährt, die eben ausreichen, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Aber wir waren auch dafür dankbar, obwol wir uns unserer Kraft jetzt nicht gerade rühmen können. Mit Wohlgefallen denken wir an die vor uns liegende abwechselungsvolle Kost von Rind- und Hammelfleisch, von Wild, garnirt mit süßen Kartoffeln und Bohnen, sowie an das Hirsemehl zu Milchbrei und das Sesamöl zum Kochen. Auch die Befreiung von der durch den thierischen Instinct hervorgerufenen Besorgniß, daß ein Wilder mit Speer und vergifteten Pfeilen wenige Schritte von uns umherschleicht, wird uns sehr angenehm sein. Die unaufhörliche Sorge, die angespannte Aufmerksamkeit, um den Leuten Lebensmittel zu verschaffen und sie vor den beim Umherstreifen ihnen drohenden Gefahren zu schützen, wird nachlassen und ich werde mich freuen, wenn ich wieder besser von der Welt und ihren Bewohnern denken kann als in dem Gefühl der zweifelhaften Liebe, welche ich zu dem Menschengeschlecht des Waldes hege.«

Am 26. October fanden wir einen Lagerplatz bei Umeni, doch waren dort nur zwei ganz kleine Büschel winziger Feigen zu entdecken. Im Walde tobte ein wüthender Wirbelsturm, der die Waldriesen bis zu den Wurzeln erschütterte und über den Ituri hinfegte, dessen dunkle Gewässer unter der Gewalt der pfeifenden, heulenden Windstöße jeden Glanz verloren hatten.

Am nächsten Tage ruderten wir bis zum Fuße des Großen Kataraktes, wo wir die Waaren ausluden, die Kanoes im Gebüsch ließen, die Lasten schulterten und nach einer halben Stunde den Marsch 8 km weit ins Innere hinein antraten. Zum letzten mal gaben wir hier auf dem Ituri die Schiffahrt auf.

siehe Bildunterschrift

Gefangener Zwerg aus Avatiko.

Nach dreistündigem Marsche erreichten wir am 28. October die Pflanzungen von Avatiko, gerade als die Mehrzahl der Leute dem Hungertode schon gefährlich nahe war. Wie ausgehungerte Wölfe auf ihre Beute stürzten sie sich auf die Pflanzungen. Wir blieben zwei Tage hier, um zu fourragiren und einen neuen Vorrath von Lebensmitteln zu sammeln.

Wir waren noch nicht lange in Avatiko, als man mir ein Zwergenpaar brachte, doch weiß ich nicht, in welchem Verhältniß die beiden zueinander standen. Der Mann war jung und vermuthlich ungefähr 21 Jahre alt. Herr Bonny hat ihn gewissenhaft gemessen und ich habe mir die Maße aufgeschrieben:

Größe 1,219 m; Umfang des Kopfes 51,4 cm; Länge vom Kinn bis zur höchsten Stelle des Hinterkopfes 61,6 cm; Umfang der Brust 64,7 cm, des Leibes 70,5 cm, der Hüften 57,1 cm, des Handgelenkes 10,8 cm, der Muskeln des linken Armes 19,0 cm, des Fußgelenkes 17,8 cm, der Wade 19,7 cm, Länge des Zeigefingers 5,0 cm, der rechten Hand 10,2 cm, des Fußes 15,8 cm, des Beines 55,9 cm, des Rückens 47,0 cm, des Armes bis zu den Fingerspitzen 50,1 cm.

Dies war der erste ausgewachsene Zwerg, den wir gesehen hatten. Die Haut war von kupferiger Farbe und fühlte sich auf dem Körper beinahe pelzartig an mit Haaren von fast 1,3 cm Länge. Der Kopfschmuck bestand aus einer Art Kappe, ähnlich wie sie die Priester tragen, und war mit einem Büschel Papagaienfedern geschmückt; entweder war er ein Geschenk oder gestohlen. Ein breiter Streifen von Baumrindenstoff verhüllte die Nacktheit des Mannes. Die Hände waren sehr zart und erregten durch ihr ungewaschenes Aussehen Aufmerksamkeit. Er war offenbar mit dem Schälen von Bananen beschäftigt gewesen.

Niemand könnte sich das Gefühl vorstellen, mit welchem ich diese Leutchen aus den Einöden des ungeheuern Waldes in Centralafrika betrachtete. Mir war der Mann noch weit ehrwürdiger als die Memnonssäule in Theben. Sein kleiner Körper repräsentirte die ältesten Typen des ursprünglichen Menschengeschlechts, die Abkömmlinge der ältesten Zeitalter, die Ismaels der primitiven Rasse, die auf ewig die Wohnstätten der Arbeiter fliehen und der Freuden und Annehmlichkeiten des häuslichen Herdes beraubt sind, um, durch ihre Laster auf ewig ausgestoßen, in den Morästen, Sümpfen und Dickichten der Wildniß ein Leben von Thieren in Menschengestalt zu führen. Man denke nur! Vor 26 Jahrhunderten nahmen seine Vorfahren die fünf jungen nassamonischen Erforscher gefangen und vergnügten sich mit ihnen in ihren Dörfern an den Ufern des Niger. Und sogar schon vor 40 Jahrhunderten waren sie als Zwerge bekannt und wurde die berühmte Schlacht zwischen ihnen und den Störchen in Gesänge gebracht. Seit den Zeiten des Hekatäus, 500 Jahre v. Chr., sind ihre Wohnsitze auf jeder Karte in die Gegend des Mondgebirges verlegt worden. Als Moses die Kinder Jakob's aus dem Lande Gosen führte, herrschten sie als unbestrittene Herren über das dunkelste Afrika, und noch jetzt sind sie dort, während unzählige Dynastien der Aegypter, Assyrer, Perser, Griechen und Römer verhältnißmäßig nur kurze Zeit geblüht haben und dann erloschen sind. Und diese kleinen Leute sind während der verflossenen Jahrhunderte nah und fern umhergestreift. Von den Ufern des Niger sind sie in aufeinanderfolgenden größern Wanderzügen hierhergekommen, um ihre aus Laubwerk bestehenden Hütten in den unbekannten Schlupfwinkeln des Waldes zu erbauen. Ihre Verwandten sind in der Capcolonie als Buschmänner, im Becken des Lulongo als Watua, in Monbuttu als Akka, bei den Mabode als Balia, im Thale des Ihuru als Wambutti und unter den Schatten des Mondgebirges als Batua bekannt.

Als die riesenhaften Madi, die breitschulterigen Sudanesen und die größten der Sansibariten sich um den kleinen Mann scharten, war es ergötzlich zu beobachten, wie die Gedanken sich mit Blitzesschnelle in seinen Zügen malten: die Verwunderung, welche ihn erfüllte, die rasch wechselnde und starrmachende Furcht wegen seines Schicksals, die ihn erfassenden ängstlichen Zweifel, die entstehende Hoffnung, als er in unsern Zügen gute Laune entdeckte, die momentanen Schatten der Sorge, die Neugier, zu erfahren, woher diese menschlichen Ungethüme gekommen seien und was sie etwa mit ihm machen, ob und wie sie ihn tödten würden, ob sie ihn lebendig braten oder ihn trotz seines Schreiens in fässergroße Kochtöpfe werfen würden. Ach Gott! Hoffentlich nicht. Dann zeigten ein leichtes Kopfschütteln, eine noch bleichere Färbung der Lippen und ein nervöses Zwinkern mit den Augen, in welcher Noth er sich befand. Er würde alles thun, um die Gunst dieser großen Leute zu gewinnen, ebenso wie die jungen Nassamonier dies vor 2600 Jahren hatten thun wollen, als seine zwerghaften Vorväter in dem alten Dorfe am Niger mit Fingern auf sie wiesen und auf sie einschwatzten. Wir forderten ihn auf, sich zu uns zu setzen, strichen ihm über den Rücken und gaben ihm einige geröstete Bananen, um seinen aufgeblasenen Bürgermeisterbauch zu füllen, worauf der Zwerg dankbar lächelte. Was für ein verschlagener Spitzbube er war! und wie rasch er begriff! Er sprach mit seinen Gesten so beredt, daß selbst der Dümmste von uns ihn verstand.

»Wie weit ist es bis zum nächsten Dorfe, wo wir Lebensmittel erhalten können?«

Er legte seine rechte Hand mit der Fläche über das linke Handgelenk. (Mehr als zwei Tagemärsche.)

»In welcher Richtung?«

Er wies nach Osten.

»Wie weit ist es bis zum Ihuru?«

»O!« Er hob seine rechte Hand bis zum Ellenbogen. Das ist die doppelte Entfernung, vier Tage.

»Sind nach Norden hin Lebensmittel?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nach Westen oder Nordwesten?«

Er schüttelte wieder den Kopf und machte eine Bewegung mit der Hand, als wollte er einen Haufen Sand fortwischen.

»Weshalb?«,

Er streckte seine beiden Hände aus, als ob er ein Gewehr festhielte, und sagte »Duuu!«

Sicherlich haben die Manjema alles vernichtet.

»Sind jetzt ›Duuu‹ in der Nachbarschaft?«

Er blickte auf und lächelte so arglos wie eine londoner Kokette, gerade als ob er sagen wollte: »Das wißt ihr selbst am besten. O, unartiger Mann, wie kannst du mich so zum besten haben?«

»Willst du uns den Weg nach dem Dorfe zeigen, wo wir Lebensmittel erhalten können?«

Er nickte rasch mit dem Kopfe und strich seinen Vollmondsbauch, was bedeutete: »Ja, denn dort werde ich eine volle Mahlzeit erhalten, hier« – nun lächelte er verächtlich und drückte den Daumennagel auf das erste Glied des linken Zeigefingers – »sind die Paradiesfeigen nur so groß, während sie dort« – seine Wade mit beiden Händen erfassend – »so groß sind.«

»Oh, das Paradies!« schrien die Leute, »Bananen so groß wie ein Menschenbein!« Dem Zwerg war es gelungen, unser aller Zuneigung zu gewinnen, und meine Autorität war zu Ende, bis sich die Geschichte von den Unthieren von Bananen als unwahr herausstellte. Einige von den Leuten schienen ihn umarmen zu wollen, während seine Züge arglose Unschuld ausdrückten, obwol er sehr gut wußte, daß er in ihrer Meinung nicht viel unter den Engeln stand.

Und während dieser ganzen Zeit spielte das kupferfarbige Gesicht der nußbraunen kleinen Dame in beredter Weise die Gefühlsregungen des männlichen Zwerges wieder. Ihre Augen strahlten vor Freude und mit blitzartiger Geschwindigkeit glitt ein listiger Zug über ihr Gesicht. Es war dasselbe Mienenspiel; ihre der Leidenschaft zugängliche Seele fühlte dieselben Zweifel, Hoffnungen, dieselbe Neugier und starr machende Furcht, als sie errieth, welche Stimmung ihr Gefährte erregte. Sie war so rundlich wie ein Puter oder eine Gans am Weihnachtstage; ihre Brust glänzte in der Farbe alten Elfenbeins und als sie mit herabhängenden gefalteten Händen dastand, war sie, obwol ihr Körper nackt war, ganz das Bild jungfräulicher Bescheidenheit.

Das Paar war ohne Zweifel Mann und Frau. In ihm steckte die nachgeahmte Würde eines Adam, in ihr die Weiblichkeit einer Miniatur-Eva. Obwol ihre Seelen unter den ungewöhnlich dichten Falten des Animalismus verborgen und die bessern Gefühle auch durch den Nichtgebrauch verhüllt und erstarrt waren, so waren sie nichtsdestoweniger doch vorhanden. Für das wilde Eden von Avatiko paßten aber die kleinen Leute ganz gut.

Mit frischen Vorräthen von getrockneten Paradiesfeigen beladen setzten wir unter der Führung der Zwerge den Marsch von der verlassenen Lichtung von Avatiko nach Ostnordost fort, überschritten um Mittag den klaren Ngoki-Fluß und lagerten uns um 3 Uhr nachmittags am Bache Epeni. In der von uns passirten Wildniß bemerkten wir zahlreiche Spuren von Zwergen in den verlassenen Lagern, in den hochrothen Schalen des Amomum, die sie fortgeworfen, nachdem sie die herbe Frucht verzehrt hatten, in den geknackten Nüssen, den abgerissenen Zweigen, welche den mit den Geheimnissen des Waldlebens Vertrauten als Führer dienen, den Bügelfallen am Wege und den hier und dort an den Kreuzungspunkten der Wildpfade angelegten Fanggruben. Das Land hatte ein romantischeres Aussehen, als wir bisher gefunden hatten. Wir wanden uns um wilde amphitheatralische Becken herum, mit terrassenförmig aufsteigendem Blätterwerk, das in verschiedenen Färbungen des Grüns erglänzte und mannichfaltige Abwechselung erhielt durch die Massen von hochrothen und glänzend-rothbraunen Blumen, die schneeflockenartigen Blüten des wilden Mangobaumes und die hellgelbe seidenartige Samenwolle des Wollbaumes, und als wir unter einer schwer auf uns lastenden Schicht Blätterwerk auf das eingesunkene Becken vor uns hinabsahen, erblickten wir eine undurchdringliche Masse Grün, das Krone an Krone, wie aufgethürmte Haufen weicher Seidenkissen gruppirt war und zu üppiger Ruhe einzuladen schien. Hin und wieder sprangen ganze Scharen von Affen in fröhlichen Sätzen durch das Geäst, während andere sich 30 cm über unsern Köpfen an den langen Schwänzen umherschwangen, mit wunderbarer Gelenkigkeit die zierlichen Körper über gähnende Abgründe durch die Luft schleuderten und auf der andern Seite einen Zweig ergriffen, um noch einen kurzen letzten Blick auf unsere Linie zu werfen und dann in dem Blätterdickicht unsern Augen zu entschwinden. Die Ibisse kreischten ihren Gefährten zu, schleunigst herbeizukommen, um sich die Colonne der Fremden anzuschauen, Turakos stritten mit den rauhen gutturalen Stimmen einer Gruppe ägyptischer Fellahs miteinander und Bananenfresser, Sonnenvögel, graue und kleine grüne Papagaien, sowie einige weißkragige Adler flogen entweder auf und segelten über die blattreiche Schlucht hin oder hockten schläfrig auf den von leichtem Nebel verhüllten emporsteigenden Aesten. Es lag eine Spur von Moschus, ein Wohlgeruch von Blumen in der Luft, ein Lilienduft vermischt mit dem scharfen Geruch des mit Fangzähnen bewaffneten Ebers; am Wege lagen Kothhaufen von Elefanten und Buschantilopen, der durchdringend riechende Dünger von Zibethkatzen und Affen; dabei befanden wir uns niemals weit vom Geräusch rasch fließender Bäche und fallender Cascaden, während die Sonne mit ihren Strahlen mannichfaltige silberne Linien zeichnete und das Unterholz, sowie das aus Phrynium, Arum und Amomum bestehende dichte Gebüsch beschien, sodaß die feuchten Blätter erglänzten und die Thautropfen so hell wie Brillanten funkelten.

Am nächsten Tage führte uns der Weg unter den ewigen Schatten wieder durch ein solches Land und am Morgen des 1. November traten wir auf die Lichtung von Andaki hinaus, um unsere Herzen an den versprochenen Früchten seiner Pflanzungen zu erlaben. Die Paradiesfeigen waren nicht ganz so groß, wie uns gesagt worden war, aber reif und voll, und noch ehe eine Stunde vergangen war, hatten wir die Roste aufgerichtet und lagen die Früchte in Scheiben geschnitten in Haufen auf den Holzstäben über dem Feuer. Ich ließ den Befehl geben, daß wir den ersten und zweiten Tag dieses Monats dazu verwenden wollten, um so viel Lebensmittel zurecht zu machen, wie jeder tragen konnte. Wir befanden uns jetzt auf 1° 16½' nördl. Br. Die Station Kilonga-Longa's lag auf 1° 6', Fort Bodo auf 1° 20' nördl. Br., sodaß unser Curs also ganz gut war.

Am zweiten Tage trafen einige Kundschafter, welche die verschiedenen nach Osten führenden Pfade untersuchten, zwei Frauen, von denen die eine behauptete, sie wisse nach Norden ein großes Dorf, wo Lebensmittel seien. Die andere sagte, Andari liege vier Tagemärsche nach Ostnordost und habe einen solchen Vorrath von Lebensmitteln, daß diejenigen in Andaki im Vergleich dazu nur eine Handvoll seien.

Bald nachdem wir Andaki verlassen und einen breiten Bergesrücken überschritten hatten, gelangten wir an eine ungeheuere verlassene Lichtung. Es war vielleicht ein Jahr verflossen, seitdem die Bevölkerung geflohen und die Niederlassung durch Feuer zerstört worden war, da die Bananenbäume durch das wuchernde Unterholz erstickt waren und die Elefanten alles gründlich zerstampft, seit Monaten sich zwischen den verwüsteten Hainen amusirt, die Musa-Stämme zertreten hatten und durch das wol 3½ m hoch emporgeschossene Phryniumgesträuch gebrochen waren; die Baumstümpfe hatten wieder gesproßt und waren gewachsen, bis ihre buschigen Köpfe sich zu einem einzigen großen Teppich aus Laubwerk vereinigt hatten. Durch dieses Dickicht mußten wir uns mit geschwungenen Haumessern und Säbeln einen Weg hauen; die eingeborenen Frauen hatten die Spur verloren und waren verwirrt von dem wilden, üppigen Buschwerk, unter welchem wir wie in einem feuchten Treibhause schwitzten und uns einen Weg durch das dichte grüne Meer bahnten, bis wir nach zehn Stunden an einen murmelnden Bach kamen, wo wir in vollständiger Erschöpfung uns lagern mußten, obwol wir nicht mehr als 6 km zurückgelegt hatten.

Am Morgen des 4. November gingen wir wieder an die Aufgabe, uns Bahn zu schaffen und zu hauen, durchzukriechen, durchzugleiten und uns durchzubohren, hinein und hinaus, über Stämme zu klimmen, vorsichtig über offene Spalten und den stinkenden Morast zu treten, hier uns unter den Bäumen durchzuwinden, dort über andere wegzuklettern und mit aller Macht und Mühe einen Tunnel herzustellen. Immer vorwärts, mit einer Colonne hungeriger Leute hinter und der Wildniß vor uns, immer vorwärts durch dieses Pflanzengewirr, bald nach links, bald nach rechts. Achtet nicht auf die rothen Ameisen, nur immer vorwärts, weiter – die Leute stehen still. Schärft euere Waffen dort an den Steinen im Bach, nehmt schnell einen Schluck Wasser, um den Durst zu stillen, und dann wieder an die Arbeit. Haut lustig darauf los, Jungens, trennt jene Ranken durch, schneidet diese jungen Bäume ab. Kein Weg jetzt? Dann erweitert die Wildspur dort in dem Dickichthaufen. Kommt, haut darauf los mit Haumesser und Säbel, mit Axt und Messer. Wir dürfen nicht wie Narren in dieser dämonischen Welt sterben. Hierher und dorthin, durch, immer durch, bis wir nach 16 Stunden uns endlich einen gekrümmten Kanal durch diese schreckliche Wüste gebahnt haben und wieder unter den erhabenen Wipfeln des Urwaldes stehen.

Die traditionelle geflickte Kleidung des Irländers war ein Gesellschaftsanzug gegen den meinigen, als ich wehmüthig die Risse, sowie die Fetzen und Lappen betrachtete, die wie Troddeln an meinem Hemd und Beinkleid herabhingen; die Leute lachten und einer von ihnen sagte, wir sähen aus wie Ratten, die durch die Stäbe einer Falle gezogen sind, meiner Ansicht nach kein übler Vergleich. Allein wir hatten keine Zeit zum Schwatzen, sondern aßen nur ein paar geröstete Bananen zum Frühstück und setzten dann den Marsch fort, bis wir um 3 Uhr eine halbe Stunde vom Ihuru waren.

Der nächste Morgen sah uns, bevor es noch heller Tag war, im Gänsemarsche auf einer Elefantenspur hinmarschiren, die parallel mit dem Ihuru lief, welcher auf dieser ganzen Strecke eine ununterbrochene Reihe von rauschenden Stromschnellen war, deren unaufhörliches Getöse uns vor den Ohren erklang. Wir mußten durch unzählige tiefe Nebenflüsse waten, behielten aber wegen der Breite des Elefantenpfades ein rasches Tempo bei und hatten bis Nachmittag zur gewöhnlichen Stunde etwa 14½ km zurückgelegt.

Während der letzten wenigen Tage waren 13 Sansibariten von der Nachhut und einer von Emin Pascha's Danagla-Soldaten ihren Leiden erlegen; wie viele Madi und Manjema weiß ich nicht.

Am Abend des 6. November, nach einem Marsche von 13 km, gewann ich die Ueberzeugung, daß es dringend nothwendig sei, sehr bald Lebensmittel zu finden, wenn wir nicht eine Sterblichkeit im großen erleben wollten. Der Hunger ist schwer zu ertragen, aber wenn man mit leerem Magen Lasten schleppen soll und die Märsche lang sind, dann hat die geringste Unterbrechung in der Zuführung von Nahrung Krankheiten im Gefolge, welche rasch die Reihen lichten. Unsere Njansa-Leute waren sehr fürsorglich und zogen ihren Vorrath von Lebensmitteln durch Vermehrung mit Schwämmen und wilden Früchten in die Länge, aber die schwachen, durch Maniok vergifteten Burschen von der Nachhut, sowie die Madi und Manjema beachteten keinerlei Rath und Beispiel.

Einen jungen Menschen, Namens Amani, der ziemlich schwach aussah, forderte ich auf, mir in voller Wahrheit zu sagen, was er in den letzten zwei Tagen gegessen habe.

»Das will ich«, sagte er. »Meine Abtheilung hatte einen ziemlich großen Vorrath von Bananenmehl, der uns leicht noch zwei Tage hätte erhalten können, allein Sulimani, der das Mehl trug, legte es am Wege nieder, während er Schwämme sammelte, und als er wiederkam, war es fort. Er sagt, die Manjema haben es gestohlen. Wir alle machten uns deshalb gestern Abend, nachdem wir das Lager erreicht hatten, auf, um Schwämme zu suchen, aus denen wir uns Suppe gekocht haben. Das ist alles, was wir gestern zum Abendessen hatten. Heute Morgen haben wir gefastet, doch werden wir uns wieder Schwämme suchen.«

»Und was wollt ihr morgen essen?«

»Das Morgen ist in Gottes Hand. Ich will in der Hoffnung leben, daß ich etwas finde.«

Dieser junge Mann war erst 19 Jahre alt, hatte inzwischen 60 Pfund Patronen getragen und schleppte sie morgen wieder, bis er niedersank und so lang er war auf dem Boden lag, die Augen zum dunkeln Blätterdom über ihm gerichtet, um dann zurückgelassen zu werden, zu vermodern und zu verwesen, denn aus nichts läßt sich nichts herausziehen, um einen Hungerigen zu speisen. Er ist nur ein Beispiel von mehr als 400.

Als wir ein Manjema-Lager erreichten, erkannte Uledi es als den Ort wieder, wo er im November 1887 auf einer Fourragirtour nach dem westlichen Ufer des Ihuru halt gemacht hatte, während er auf die Herren Jephson und Nelson in Ipoto wartete und die Vorhut den Marsch nach Ibwiri fortsetzte.

Am 7. November ließ ich halt machen, um durch eine Abtheilung unter Führung von Uledi die nur 9½ km nordnordwestlich vom Lager liegende Lichtung von Andari untersuchen zu lassen, doch waren über 100 Mann so schwach, daß sie nicht mehr im Stande waren zu gehen, weshalb ich die Köche aufforderte, ihre Kochgeschirre herbeizubringen und je drei Hände voll Mehl in Empfang zu nehmen. Hieraus wurde eine Suppe hergestellt, damit die Leute so viel Kraft bekämen, daß sie die Pflanzung erreichen könnten.

Am 8. November warteten etwa 200 Mann schweigend im Lager auf die Ankunft der Fourragirer. Da ich einsah, daß das Fasten und Warten gar zu lange dauere, theilten wir ihnen nachmittags noch eine Hand voll Paradiesfeigenmehl aus.

Auch am 9. waren die Fourragirer noch nicht zurückgekehrt. Zwei Mann waren im Lager gestorben; einer taumelte infolge des Genusses eines giftigen Pilzes, als die Leute kamen, um sich eine weitere Ration Mehl zu ihrer Suppe zu holen; ihr Gang war schwankend, die Brustknochen traten erschreckend weit hervor. Nach drei Tagen mußten wir sämmtlich umgekommen sein, doch hofften wir jede Minute den Lärm der zurückkehrenden Colonne zu hören.

Am Morgen des 10. November ließ ich, besorgt wegen des für die Offiziere im Fort Bodo bestimmten Proviants, denselben untersuchen und entdeckte zu meinem Schrecken, daß 57 Büchsen mit Fleisch, Thee, Kaffee und Milch fehlten und von den Manjema aufgegessen worden waren. Wenn ein Blick mächtig genug gewesen wäre, um sie in die Luft zu sprengen, sie würden rasch in Asche verwandelt worden sein. »Gütiger Gott, wie mögen die Büchsen verschwunden sein?« fragte ich den Häuptling Sadi. Ja, wie? Infolge dessen nahm ich seinen Leuten die Proviantkisten fort und ließ ihnen Lasten mit Winchester- und Maxim-Munition zutheilen.

Um 2 Uhr nachmittags kehrte die Fourragircolonne zurück und brachte für 3-6 Tage Lebensmittel mit, die sie auf einer verlassenen Pflanzung gesammelt hatte. Die Träger hatten sich erst gestärkt, ehe sie sich an das Sammeln gemacht hatten. Nunmehr mußte jedes Mitglied für die Suppe, die ich ihnen gegeben hatte, ein Pfund Mehl für den Reservevorrath zurückerstatten und außerdem ein Pfund für die Kranken abliefern, die nicht genügend Kraft zum Fourragiren hatten und von den Tischgemeinschaften zurückgewiesen wurden; die Schwachen erhielten auf diese Weise je etwa 8 Pfund Mehl oder getrocknete Paradiesfeigen, während ich für zukünftige Fälle einen Reservevorrath von 200 Pfund besaß.

Nach 1½ stündigem Marsche hatten wir am 11. November die Fähre Kilonga-Longa's erreicht, wo die Eingeborenen in der Befürchtung, daß letzterer seine Beutezüge westlich vom Ihuru wiederholen könnte, sämmtliche Kanoes zerstört hatten und mich auf diese Weise verhinderten, Kilonga-Longa nochmals einen Besuch abzustatten und einiges mit ihm abzurechnen. Auch der Ihuru hatte den höchsten Wasserstand und nach allen Seiten von uns dehnte sich die magere, hungerige Wildniß aus. Es blieb uns also weiter nichts übrig, als dem Ihuru aufwärts zu folgen, bis wir Mittel fanden, um nach dem östlichen oder linken Ufer überzusetzen. Unser Curs war jetzt Nordost zu Ost.

Am 12. November verfolgten wir einen Pfad, der vor uns von einem Stamm der Zwerge begangen sein mußte. Der ganze Weg war mit den Fruchtschalen des Amomum, geknackten Nüssen und der hochrothen Haut der Phryniumbeeren bedeckt. In dieser Gegend findet man nicht wie am südlichen Ufer des Ituri Waldbohnen, Fenessi oder Mabengu. Als wir eine Lagerstelle erreichten, fanden wir, daß an der Fähre in der Nähe des Eingeborenenlagers, wo wir vier Tage gehungert hatten, sechs Leute ihren Leiden erlegen waren – ein Madi nach dem Genusse giftiger Pilze, der Soldat aus Ladó, welcher oberhalb der Wespen-Schnellen einen Speerstich erhalten hatte, zwei Sudanesen von der Nachhut, ein Manjema-Knabe im Dienste des Herrn Bonny und ein hübscher junger Sansibarite Namens Ibrahim, der sich einen vergifteten Holzsplitter in den Fuß getreten hatte.

Im Laufe des 13. November hatte sich der Wald für den Marsch merkbar gebessert. Unsere Elefanten- und Wildspur hatte uns auf einen andern Pfad gebracht, der von Andari ostwärts führte und sich hier mit dem unserigen vereinigte, welcher sich nunmehr zu einer von den Zwergstämmen viel benutzten Straße entwickelte. Wir folgten derselben zwei Stunden lang. Man konnte erkennen, wo die Zwerge angehalten hatten, um ihre Pfeifen anzuzünden, Nüsse zu knacken, Wildfallen zu stellen und der Unterhaltung zu pflegen. Die Zweige waren etwa 90 cm über dem Erdboden abgebrochen, ein Zeichen, daß Zwerge das gethan hatten. Wo der Boden etwas schlammig war, zeigte der Pfad sehr zarte Eindrücke, ein Beweis ihrer alten Abkunft und aristokratischen Abstammung, und kleine Fußspuren, nicht größer als englische Fräulein von acht Jahren sie machen würden. Der Pfad besserte sich in demselben Maße wie wir weiter kamen und wurde zu einer vielversprechenden guten Straße. Lager der Zwerge sahen wir oft. Der Boden war ockerfarbig, die Bäume wurden größer und stiegen zu mächtiger Höhe auf.

Als wir ins Lager marschirten, bemerkte ich, daß es Zeit sei, weitere Vorräthe von Lebensmitteln zu beschaffen und irgendwo Rast zu machen, da die Haltung der Leute Mangel an Zuversichtlichkeit erkennen ließ und ihre Gestalten unter der fürchterlichen täglichen Aufgabe, der beständigen schweren Arbeit, den langen Märschen und Hunger zusammensanken. Ich hätte weinen mögen über das außerordentliche Maß von Unglück, welches uns täglich mehr herunter und dem Grabe näher brachte, allein wir waren schon so lange an das Ertragen von starken Wechselfällen gewöhnt und so oft durch den Anblick des Kummers und der Leiden betrübt worden, daß wir die Schilderung des jeden Tag vorkommenden Unglücks nur noch mit bangem Schweigen anhörten. Die Verluste, welche wir bereits zu tragen gehabt hatten, ließen sich durch keine Klagen und Thränen wieder gut machen. Morgen steht uns wieder Jammer in Aussicht, so gewiß wie die Sonne scheinen wird, und uns mit der traurigen Vergangenheit länger zu beschäftigen, diente nur dazu, uns für das unfähig zu machen, was uns noch in Aussicht stand.

Es war eine sehr beschwerliche Arbeit, 230 Lasten der täglich sich verringernden Zahl der Träger anzupassen. Unter 20 Leuten war kaum einer, der nicht zu klagen gehabt hätte über heftige Geschwüre, Kopfschmerzen, hervortretenden Bruch, unendliche Schmerzen im ganzen Körper, Nagelgeschwüre, einen in den Fuß getretenen Dorn, Rheumatismus, Fieber u. s. w. Die Zahl der Lasten blieb unvermindert, aber die Träger starben.

siehe Bildunterschrift

Ankunft in Andikumu.

Am 14. November näherte die Expedition sich nach sechsstündigem Marsche Anduta und Andikumu. Während der Vortrab über die Baumstämme und Trümmer der zu Boden gestürzten Waldriesen vordrang, flogen einige Pfeile umher, welche zwei Mann verwundeten, worauf sofort Kisten und Ballen hingeworfen wurden und sich ein ziemlich lebhaftes Scharmützel mit den hohe Hüte tragenden Eingeborenen entspann. Nach einer halben Stunde traf aber auch die Haupttruppe der Expedition an der Lichtung ein, wo wir einen solchen Vorrath von abnorm großen Bananen fanden, daß die halbverhungerten Leute geradezu in Entzücken geriethen.

An Ausdehnung war diese Lichtung ungefähr der berühmten Ansiedlung von Ibwiri gleich. Sie lag im Schoße von Hügeln, die sich im Osten, Westen und Süden erhoben. Einem der Pfade entlang sahen wir die Merkzeichen der Manjema an den Bäumen, auch lag eins der Dörfer in Trümmern, allein die Größe der Lichtung hatte die Bemühungen der verheerenden Horde, die prachtvollen Haine von Bananenbäumen zu zerstören, vereitelt.

Beim Untersuchen der Munitionskisten vor dem Aufstapeln derselben für die Nacht stellte sich heraus, daß der Corporal Dain Mohammed seine Last nicht ins Lager gebracht, sondern wie ich auf Befragen erfuhr, am Fuße eines großen Baumes in der Nähe des Weges niedergelegt hatte. Ich befahl sofort vier Anführern, mit dem sudanesischen Corporal zurückzukehren und die Kiste zu holen.

Bei ihrer Ankunft in der Nähe der Stelle sahen sie einen ganzen Stamm von Zwergen, Männer, Frauen und Kinder, um zwei ihrer Krieger versammelt, welche den Versuch machten, das Gewicht der Kiste an den an den Enden befindlichen beiden Griffen zu probiren. Neugierig, was die Zwerge mit der Kiste machen würden, hielten unsere Anführer sich versteckt, da die kleinen Leute außerordentlich scharfe Augen haben. Jedes Mitglied des Stammes schien einen Vorschlag zu machen, während die kleinen Kinder auf einem Bein umherhüpften und vor unwiderstehlichem Vergnügen über den Fund sich auf die Schenkel klappten und die zierlichen Frauen mit ihren noch zierlichern Säuglingen auf dem Rücken in der traditionellen Weise kluger Weiber ihren Rath dazwischenschrien. Dann nahm ein beherzter Mann eine leichte Stange und schob sie durch die Handgriffe an den Enden, worauf die sämmtlichen kleinen Leute vor Freude darüber, daß sie eine so geistreiche Erfindung gemacht hatten, um eine schwere Kiste mit Remingtonmunition davonzuschleppen, laut schrien und kreischten. Der Hercules und der Milo des Stammes wandten ihre äußerste Kraft an, um die Kiste bis zu ihrer Schulterhöhe zu heben, und schwankten dann damit fort in das Dickicht, als plötzlich ein harmloser Schuß fiel, unsere großen Leute hervorstürzten und die Kleinen verfolgten. Es gelang ihnen auch, einen überfetten jungen Burschen von vielleicht 17 Jahren gefangen zu nehmen und als Beute ins Lager zu bringen. Wir sahen den kleinen Kerl; die Geschichte selbst rührt aber von unsern Anführern her, welche sie mit unendlichem Humor erzählten.

Am 17. November sandte ich Herrn Bonny nach dem Ihuru, um eine alte Fähre aufzusuchen, die sich dort befinden sollte, doch kehrte er ohne Erfolg zurück, da es ihm nicht gelungen war, ein Kanoe zu finden, indeß brachte er die Meldung mit, daß der Fluß anscheinend von Ostnordost herkomme, etwa 55 m breit sei und nur geringe Strömung habe, aber ziemlich tief sei.

Den Nachmittag des 14., sowie den 15. und 16. November verwendeten unsere Leute dazu, sich für die Enthaltsamkeit der letzten Tage zu entschädigen. Was sie an gekochten, gerösteten und in Breiform zubereiteten Bananen verzehrt haben, muß ganz ungeheuerlich gewesen sein. Wahrscheinlich hat jeder von ihnen während der drei Tage 140 Stück verzehrt.

Kurze Zeit nachdem wir am 19. November Andikumu verlassen hatten, kamen wir durch Anduta, und dann marschirte die Colonne an einem malerischen Hügel, Kakua genannt, vorbei, durch ein rauhes Land, das von ungeheuern Felsblöcken und Trümmern starrte, welche mit dichten Farrn bewachsen und umgeben waren. Zwischen den Felsen fanden wir in der Nähe unsers Lagers an diesem Tage einen Vorrath von Mais und Bananen, der ohne Zweifel den Zwergen gehörte. Hätten wir den Fund einige Tage früher gemacht, so würde sich wahrscheinlich ein lärmender Streit um denselben entsponnen haben, allein jetzt war ein jeder mit seinen eigenen Vorräthen so sehr belastet, daß alle den Fund mit höchster Gleichgültigkeit betrachteten, zumal da die Leute auch infolge ihres Schwelgens in Andikumu an Verdauungsbeschwerden litten, sodaß sie für den Marsch untauglich waren.

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Die Kundschafter überraschen die Zwerge beim Fortschleppen einer Munitionskiste.

Am 20. November machten wir einen Weg von 8 km. Seitdem wir die Hochstraße der Zwerge getroffen hatten, war der Boden nicht mehr aufgeweicht, wie in der Nähe des Ituri, wo er den beständigen Regen aufgenommen hatte, sondern der Pfad führte jetzt durch ein Gebiet von festem rothen Thon, wo das Regenwasser in Tümpeln stehen blieb und den Weg glatt und schlüpfrig machte.

Bei der Mittagsrast stieß der Führer des Vortrabs, der der Colonne einige hundert Meter auf unserm Pfade vorausgeschritten war, auf eine Eingeborenenkaravane aus Anditoke im Norden. Die Eingeborenen erhoben beim Anblick des Mannes vor Ueberraschung ein Geheul, drangen dann aber, als sie sahen, daß er keine Waffen hatte, mit erhobenen Speeren auf ihn ein. Ihr Schreien war indeß von allen auf dem Lagerplatze gehört worden, sodaß wir den Wilden rasch genug gegenübertreten konnten, um unsern Sansibarführer zu retten. Es entwickelte sich dann ein Scharmützel, bei welchem zwei der Eingeborenen verwundet, einer getödtet und das Besitzthum der Karavane erobert wurde. Dasselbe bestand aus eisernen Ringen, Knöpfen, Halsbändern, Armspangen, Beinringen aus Rotangfasern, einigen Schmiedegeräthschaften und seltsamerweise aus mehrern nicht verfeuerten Remingtonpatronen.

Mein erster Gedanke war, daß Fort Bodo entweder geräumt oder erobert oder daß Patrouillen überfallen worden seien; bei weiterer Ueberlegung kam ich aber zu der Ueberzeugung, daß die Patronen auf Beutezüge ausgegangenen Manjema gehört haben, aber ursprünglich doch unser Eigenthum gewesen sein müßten.

Am 21. November war die Marschfähigkeit der Leute eine außerordentlich geringe, da sie noch immer an den Folgen ihrer jüngsten Unmäßigkeit litten. Um Mittag dieses Tages befanden wir uns auf 1º 43' nördl. Br., ein Beweis, daß wir ungeachtet aller Bemühungen, einen nach Osten führenden Pfad zu finden, immer weiter nach Norden kamen.

An diesem Tage wurde mir der Tod Tschama Issa's, des letzten unserer Somali, gemeldet, jedoch sah ich ihn um Mittag noch an unserm Rastplatze, was mir großes Vergnügen bereitete, da er, als der letzte Somali, ein besonderes Interesse für mich hatte. Er erhielt täglich einen Theil von dem Essen meines Tisches und zwei Sudanesen waren beauftragt, ihn für einen Extralohn zu bedienen, zu speisen und zu tragen. Bis zum Abend dieses Tages waren 32 Mann von der Nachhut aus Banalja umgekommen. Dort war ich der Meinung gewesen, daß nur die Hälfte dieser Zahl nicht am Leben bleiben würde. Solange sie in den Kanoes befördert wurden, hatten sie keine Anstrengungen zu machen, aber der Marsch über Land erwies sich für die Unglücklichen als zu viel.

Am 22. November trat, bald nachdem der Vortrab den Lagerplatz erreicht hatte, ein kalter, heftiger Regenschauer ein, der viele Mitglieder der Colonne demoralisirte, da ihre schwindende Energie und traurige Körperconstitution der Kälte nicht Stand zu halten vermochten. Madi und Sansibariten warfen die Lasten am Wege fort und stürzten Hals über Kopf nach dem Lager. Einem Madi gelang es, bis in die Nähe meines Zeltes zu kriechen, in welchem Licht brannte, da es bei einem Regenschauer im Walde selbst bei Tage so dunkel war, wie in einer gewöhnlichen Nacht im Graslande. Als ich ihn ächzen hörte, ging ich mit dem Lichte hinaus und fand den armen nackten Burschen ganz starr im Schlamm liegen, vollständig unfähig sich zu bewegen; beim Anblick des Lichtes dicht vor seinen Augen öffneten diese sich weit und er suchte die Kerze mit den Händen zu ergreifen. Ich ließ ihn sofort nach einem Feuer tragen und ganz dicht an demselben niederlegen, worauf es mir mit Hülfe einiger Schlucke heißer Brühe aus Liebig's Fleischextract gelang, ihn wieder zu sich zu bringen. Unterwegs waren dicht vor dem Nachtrabe zwei Madi gestorben, während ein Sansibarite von der Nachhut infolge des intensiv kalten Regens auf der Stelle todt zu Boden gestürzt war.

Am nächsten Tage machten wir einen zweistündigen Marsch und sandten dann 45 ausgesuchte Leute voraus, um den Versuch zu machen, ob sie nicht Mehl zur Rettung der Banalja-Leute und der Madi bekommen könnten, deren Kräfte für weitere Anstrengungen gar zu schwach geworden waren. Nach 24 Stunden kehrten die Kundschafter mit einer Ziege zurück, die sofort geschlachtet wurde und etwa 130 Liter Suppe lieferte, welche, mit zwei Pfund Weizenmehl verdickt, ein höchst willkommenes Mahl für ungefähr 60 Leute abgab. Am 25. November 10 Uhr vormittags erreichten wir Indemau. Das Dorf lag in einer Vertiefung am Fuße einer Anhöhe und war ungefähr 9½ km von dem Dui, einem Nebenfluß des Ihuru, entfernt.

In Indemau erhielten die schon so lange leidenden Mitglieder der Expedition einen weiteren Aufschub vor vollständiger Vernichtung. Das Dorf besaß ausgedehnte Paradiesfeigenpflanzungen, deren Bäume mit Früchten, besonders reifen, milden Paradiesfeigen bedeckt waren, welche einen köstlichen Geruch hatten. Wie es aber unmöglich war, diese großen Kinder zu lehren, daß sie sparsam mit ihren Rationen umgingen, so war es auch ebenso unmöglich, ihnen Mäßigkeit beizubringen, sobald sie sich von Ueberfluß umgeben fanden. In Andikumu hätte eine ganze Armee sich mit gesunden, guten Lebensmitteln versorgen können, während die außerordentliche Gefräßigkeit der halbverhungerten Leute schwere Verdauungsstörungen zur Folge hatte, und in Indemau stopften sie sich in ihrem unmäßigen Appetit in so ekelhafter Weise voll, daß wir jeden Morgen genug zu thun hatten, um ihre Klagen anzuhören und ihnen Erleichterungsmittel gegen ihre Verstopfung zu geben.

Von Indemau aus entdeckten wir einen Pfad, der über den Dui-Fluß führte, während ein anderer nach Indeperri, einer großen Ansiedelung etwa 24 km Nordost von Fort Bodo, ging. Ursprünglich war es meine Absicht gewesen, eine Richtung durch den Wald einzuschlagen, welche uns direct nach dem Grasland führte, auf einer mehr nördlichen Route als die Linie Ipoto und Fort Bodo, nachdem ich ein Detachement zu Kilonga-Longa geschickt hätte, um mit diesem abzurechnen; allein bei unsern Bemühungen, eine Furt durch oder eine Fähre über den Ihurn zu finden, waren wir durch den hohen Wasserstand gezwungen worden, den Weg bisjetzt parallel mit dem Flusse fortzusetzen. Die Beobachtungen ergaben, daß wir uns auf 1° 47' n. Br. und 29° 7' 45" östl. L. befanden. Obwol der Verstand mir sagte, daß Fort Bodo uneinnehmbar sei und die Garnison sich jetzt in Sicherheit bei Emin Pascha am Njansa befinde, hatte doch die Entdeckung von Remingtonpatronen unter den Vorräthen einer Eingeborenenkaravane in diesen unbekannten Gegenden innerhalb einer nicht zu weiten Entfernung vom Fort Zweifel in mir aufsteigen lassen, welche ich meiner Meinung nach am besten lösen konnte, wenn ich von meinem Curse nach Süden abwiche und, bei dem alten Fort vorbeipassirend, mich mit eigenen Augen davon überzeugte, was eigentlich geschehen sei. Ich sandte daher Herrn Bonny mit dem Anführer Raschid und 60 Mann ab, um eine Brücke über den Dui zu schlagen.

Nach fünftägigem Aufenthalt in Indemau marschirte die Colonne am 1. December nach dem Dui, wo Herr Bonny und Raschid mit ihren Begleitern gerade die letzte Hand an die Brücke legten, ein Werk, das allen an der Herstellung Betheiligten, besonders aber Herrn Bonny, große Ehre machte. Ohne auch nur einen Augenblick anzuhalten, marschirte die Colonne über die fünf Arme des Flusses auf einem langen rohen Holzbau von insgesammt etwa 75 m Länge, ohne auch nur einen einzigen Unfall zu erleiden.

Am andern Ufer nahmen wir eine oberflächliche Musterung der Leute vor und fanden, daß 34 Mann von der Nachhut gestorben und von 16 auf der Krankenliste befindlichen Sansibariten 14 Jambuja-Leute sämmtlich in solchem Zustande waren, daß einige wenige Tage über ihr Schicksal entscheiden mußten. Jede Ziege und jedes Huhn, deren wir habhaft werden konnten, wurden unter diese armen Leute vertheilt, in der Hoffnung, sie zu retten. Wir kochten auch für sie. Herr Bonny war angewiesen, ihnen täglich Arznei zu geben; wir nahmen ihnen alles ab, mit Ausnahme ihrer eigenen Rationen, allein ihre Körperbeschaffenheit war durch das, was sie in Jambuja und Banalja erlitten hatten, eine so elende geworden, daß jede leichte Abschürfung an Pflanzen zu einem bösartigen Geschwür wurde, das in drei bis vier Tagen einen Radius von mehrern Centimetern erreicht hatte. Nichts als die Pflege und Ruhe in einem großstädtischen Hospital hätte das rasche Dahinsiechen aushalten können.

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Ueberbrückung des Dui-Flusses.

In dem kleinen Dorfe Andiuba machten wir einen kurzen Halt, worauf wir nach dreistündigem Marsche die große Ansiedelung von Addiguhha erreichten. Am 4. December trafen wir nach einer 4½stündigen Wanderung in Ngwetsa ein, wo wir das Lager außerhalb der Bananenpflanzung aufschlugen. Wir waren durch zehn Zwergendörfer gekommen, ohne auch nur einen der Bewohner gesehen zu haben. Der Wald war dicht, das Unterholz üppig. Streifen von schlammartigem Morast, durchflossen von kleinen Wasserläufen, trennten die einzelnen Dörfer voneinander. An einer solchen Stelle hatten wir uns am 4. December gelagert. Bald darauf schritt eine Ziege mit vollem Euter in Begleitung von zwei schönen, 4 Monate alten Ziegenlämmern mitten ins Lager hinein, wo wir die Familie einen Augenblick anstarrten, dann aber aufsprangen, die unzweifelhaft eine Gabe der Götter bildenden Thiere ergriffen und opferten. Eine halbe Stunde später erfuhren wir, daß einer der Utschu-Eingeborenen des Herrn Bonny einen Pfeilschuß in den Rücken bekommen und die Zwerge einen Manjemaknaben angegriffen und getödtet hatten. Ich schickte sofort ein Detachement aus, um die Leiche des Knaben in den Wald zu bringen, wo seine Freunde sie beerdigen konnten, doch war das Fleisch am nächsten Morgen verschwunden.

Die Ausrufer erhielten nunmehr Befehl, im Lager anzukündigen, daß die Leute sich fünftägige Rationen bereiten sollten. Im nächsten Augenblicke ging der Ruf von einem Ende des Lagers bis zum andern und ungeheuere Lasten Material zu den hölzernen Rosten wurden herbeigeschleppt. Den ganzen 5. December waren die Leute mit der Herstellung des Mehls beschäftigt.

Als wir am nächsten Tage südwärts marschirten, bemerkte ich, daß wir uns auf einer sich ganz allmählich nach dem Ihuru hinabsenkenden Fläche befanden. Wir kreuzten sechs Flüsse, die breit und träge waren und schlammige, infolge ihres Eisengehalts rothaussehende Ufer hatten, an denen dichte Gruppen von Rotang und Raphiapalmen üppig gediehen. Um 3 Uhr nachmittags stieß der Vortrab plötzlich auf mehrere Zwergenfamilien, von denen es gelang, ein altes Weib, ein Mädchen und einen Burschen von 18 Jahren gefangen zu nehmen, sowie gleichzeitig einen Vorrath von Bananen und einige Hühner zu erobern. Die »alte« Dame war anscheinend so kräftig wie ein Pferd und schien an die Art und Weise des Tragens einer Last Bananen vollständig gewöhnt zu sein.

Die Familie der kleinen Leute ließ erkennen, daß sie im Wald sehr gut Bescheid wußte, jedoch hatten sie große Neigung, einen ostnordöstlichen Curs einzuschlagen, der uns von Fort Bodo entfernt haben würde. Infolge dessen schickten wir sie hinter die Colonne und wandten uns nach Süd zu Ost und zuweilen Südsüdost. In dieser Richtung überschritten wir am 7. December sechs und am 8. December ungefähr ebenso viele Flüsse.

Bald nachdem das Zelt des Hauptquartiers aufgeschlagen und das aus blattreichen Pflanzen bestehende Unterholz etwas ausgerodet war, beobachtete ich einen jungen Burschen, welcher wankte. Ich ging zu ihm und fragte ihn nach der Ursache, worauf ich zu meiner Ueberraschung erfuhr, daß Schwäche infolge von Mangel an Lebensmitteln der Grund seines schwankenden Ganges sei. Habt ihr denn eure ganzen fünftägigen Rationen schon aufgegessen? Nein, er hatte sie fortgeworfen, weil die gefangenen Zwerge gesagt hatten, daß sie in einem Tage eine Pflanzung erreichen würden, die wegen ihrer Bananen, den »größten in der Welt«, berühmt sei.

Als ich meine Nachforschungen noch weiter ausdehnte, fand ich, daß mindestens 150 Leute im Lager waren, die seinem Beispiel gefolgt waren, der überflüssigen Lebensmittel sich entledigt und nun an diesem Tage, dem 8. December, nichts mehr hatten. Abends ließ ich die Anführer zu einer Berathung zusammentreten, wo ich ihnen wegen ihres unbesonnenen Benehmens Vorwürfe machte und beschlossen wurde, daß am nächsten Tage fast sämmtliche marschfähigen Leute nach Ngwetsa, das wir am Morgen des 6. verlassen hatten, zurückkehren sollten. Die Karavane hatte die Entfernung in 19½ Stunden zurückgelegt, doch war natürlich mit dem Durchbahnen eines Weges durch das dschungelartige Unterholz und hin und wieder mit dem Feststellen des Curses viel Zeit verloren gegangen, sodaß die Fourragirabtheilung in elf Stunden nach Ngwetsa würde marschiren können.

Am Morgen des 9. December brachen ungefähr 200 Mann nach den Bananenbäumen von Ngwetsa auf, nachdem sie etwa 200 Pfund Mehl als Reservevorrath für die Kranken und die Wachen des Lagers zurückgelassen hatten. Wir zählten insgesammt, Männer, Frauen und Zwerge, etwa 130 Personen, von denen die Mehrzahl sich bereits in elendem Zustande befand. Ich gab einer jeden Person eine halbe Tasse voll Mehl für diesen Tag und sandte dann Herrn Bonny mit 10 Mann aus, um den Ihuru aufzusuchen. Nach meinen Berechnungen stand das Lager auf 1° 27' 15" nördl. Br. und 29° 21' 30" östl. Länge, in der Luftlinie etwa 14½ km nördlich von Fort Bodo, doch war es nutzlos, Leuten, welche in Furcht vor dem bevorstehenden Hungertod waren, die Karte zu zeigen; alles was sie sahen, waren die ewigen Myriaden von Bäumen, das rabenschwarze Unbekannte, welches das Lager an allen Seiten umgab und jegliche Hoffnung ausschloß, und der undurchsichtige, düstere, unbarmherzige Wald mit seinem dunkeln Blätterdickicht, das den Anblick des Himmels und das Sonnenlicht ausschloß, als ob man von einem Ungeheuern Mantel eingehüllt sei. Sie wußten aber, daß der Ihuru nicht weit von Fort Bodo war, und würden, wenn Herr Bonny und seine Leute ihn entdeckten, daraus etwas Ermuthigung schöpfen. Es gelang Herrn Bonny, den Fluß aufzufinden, worauf er den Weg dorthin kennzeichnete. Nur um mich zu beschäftigen, machte ich mich ans Werk, alle meine Beobachtungen nochmals genau nachzurechnen und gewisse Fehler zu berichtigen, welche ich hatte entdecken können, weil wir zweimal den Marsch durch dasselbe Gebiet gemacht hatten. Beschäftigt mit meinen Notizen, den Ziffern und Karten, war mein Geist vollständig in Anspruch genommen; allein am 14. December war ich mit meiner Arbeit fertig und am nächsten Tage lebte ich in der Hoffnung, daß das Geräusch herannahender Stimmen an mein Ohr dringen würde. Die Leute sahen jämmerlich aus, waren aber voll Hoffnung. Ich hatte eine Kiste mit europäischem Proviant geöffnet, einen Topf mit Butter, sowie Milch herausgenommen, und that einen Eßlöffel voll von jedem in die irdenen Geschirre, die vorher mit kochendem Wasser gefüllt worden waren. Auf diese Weise machten wir eine dünne Brühe, welche dazu diente, den Kampf ums Dasein etwas in die Länge zu ziehen. Am nächsten Tage wurden die Töpfe wiederum im Halbkreis um mich aufgestellt und der Reihe nach trat jeder Koch mit einem Gefäß mit heißem Wasser heran, um Butter und Milch in Empfang zu nehmen, worauf er, die Brühe gut umrührend, mit seiner Gruppe abmarschirte, um alles mit einem gewissen Maße zu vertheilen. Von der warmen Flüssigkeit etwas aufgemuntert, zerstreuten die Leute sich in den Wald, um die rothen Phryniumbeeren aufzusuchen und hier und dort noch Amomumfrüchte zu entdecken, deren sauersüßes Fleisch das Knurren des Magens zu beruhigen schien. Alle paar hundert Meter hatte der Suchende vielleicht auch das Glück, einen Pilz zu finden. Aber nachdem 130 Leute umhergewandert waren und hin und her nach Eßbarem gesucht hatten, erweiterte sich der Kreis natürlich und sie mußten daher Tag für Tag tiefer in den Wald eindringen und sich mehr vom Lager entfernen. Auf diese Weise kam es, daß sie bei dem eifrigen Suchen, durch den hungerigen Magen immer weiter getrieben, sich mehrere Kilometer vom Lager entfernten und, da sie auf die verfolgte Richtung nicht Acht gegeben hatten, den Weg nicht zu finden wußten, wenn sie zum Lager zurückkehren wollten. Infolge dessen vermißten wir zwei erwachsene Männer und einen kleinen Knaben von acht Jahren, Saburi. Ich hatte das Kind, das mein Winchestergewehr und die Patronentasche tragen mußte, besonders gern. Er war gewöhnlich ein schwarzer Cherub, so rund wie eine Walze, stark und kräftig, mit der Klugheit eines alten Mannes trotz seines Kinderkopfes; oft, wenn die Karavane gehörig im Marsch und der Pfad ziemlich gut war, schaute ich mich wiederholt nach Saburi um und freute mich darüber, wie er stetig hinter mir hertrabte. Da er mein Gewehrträger war, hatte ich ihn daran gewöhnt, bei jedem seltsamen Geräusch mir dicht auf den Fersen zu sein, und ich entzog mir manchen ausgesuchten Bissen, um Saburi damit zu nähren, sodaß sein kleiner runder Bauch jedem, der ihn anblickte, ein Lächeln entlockte. Er sah aus wie ein kleiner Knabe, der ein Füßchen unter dem Kittel trägt. Aber ach! in den letzten Tagen war das Füßchen zusammengefallen und er war wie alle andern in die Wildniß gegangen, um im Phryniumdickicht Beeren zu suchen. An diesem Tage ging er verloren.

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Ein Hungerlager: Austheilung von Milch und Butter zur Suppe.

In der Dunkelheit ließ ich mit den Vorderladern der Manjema Signalschüsse abgeben. Gegen 9 Uhr abends glaubten wir die Stimme des Knaben zu hören; ich ließ den Sammelruf blasen, woraus vom andern Ende des Lagers die Antwort kam. Dann erscholl der tiefe Ton eines der großen Elfenbeinhörner, woraus der Ruf von der entgegengesetzten Seite des Lagers kam. Einige von den Leuten behaupteten, es sei der Geist Saburi's, der um seinen Tod wehklage. Das Bild, welches wir uns davon ausmalten, wie der kleine Bursche die düstere Nacht mit ihrer greifbaren Dunkelheit in der schrecklichen Wildniß herankommen sah, wo bösartige Zwerge umherschlichen, bissige Eber und ungeheuere Schimpansen, Leoparden und Panther auf Beute ausgingen, ganze Trupps von Elefanten das verworrene Phryniumgebüsch zerstampften und zermalmten, große Paviane auf hohlen Bäumen trommelten und alles rund um ihn herum geeignet war, ihn in Schrecken zu versetzen, rief bei uns allen eine außerordentlich gedrückte Stimmung hervor und wir gaben ihn als verloren auf.

Es war ein fürchterlicher Tag gewesen. Nachmittags war ein Knabe gestorben und drei Personen wurden vermißt. Der Zustand der meisten Leute war ein höchst entmuthigender, einige konnten nicht mehr stehen und fielen bei dem Versuche zu Boden. Dieser Anblick begann seinen Einfluß auf meine Nerven zu üben, bis ich mich nicht nur moralisch, sondern auch physisch ebenso schlecht fühlte, als ob die körperliche Schwäche ansteckend wirkte.

Nachts auf meinem Lager beunruhigte mich der Gedanke an die Abwesenden; aber wie unangenehm die Idee, daß ein schreckliches Unglück – sie konnten sich im Walde verirrt haben und vor Hunger zusammengebrochen sein, ehe sie die Bananenpflanzung erreicht hatten – sich ereignet habe, auch sein mochte, ich konnte nicht umhin, auch die dunkelsten Aussichten zu berücksichtigen und das Schlimmste zu erwarten, um wenn möglich die Ueberbleibsel der Expedition zu retten, damit die Nachricht an den Pascha und durch ihn eines Tages an die Civilisation gelange. Ich malte mir aus, daß die ganze Colonne in diesem Lager umgekommen sei, wie der Pascha einen Monat nach dem andern sich wunderte, was aus uns geworden sei, wie wir in diesem unbekannten Winkel des großen Waldes vermoderten und verwesten, jedes Zeichen an den Bäumen verwuchs und jede Spur von uns innerhalb eines Jahres verwischt sein würde, sodaß unser Begräbnißplatz auf ewige Zeiten unbekannt bleiben würde. In der That schien es mir, als ob wir gerade solchem Schicksal stetig entgegengetrieben würden. Da waren ungefähr 200 Mann, welche ohne Lebensmittel 55 km weit gingen, um solche zu suchen. Nicht 150 von ihnen würden den Ort erreichen, die übrigen würden sich, wie die Madi, auf den Boden werfen, um zu warten und von den andern zu betteln, falls diese etwa zurückkehren sollten. Und wenn den 50 Tapfersten ein Unglück zustieß, was dann? Einige werden einzeln von den Zwergen niedergeschossen, die übrigen im ganzen von den größern Eingeborenen angegriffen. Die Leute haben keinen Führer, sie zerstreuen sich, verlieren den Kopf, verirren sich und werden einer nach dem andern von den Speeren der Wilden niedergemacht. Während wir warten und ewig warten auf Leute, die nicht wiederkehren können, sterben die meinigen erst zu dreien, sechsen, zehnen, zwanzigen, bis alles vorüber ist, wie ein erloschenes Licht. Nein, es muß irgendetwas geschehen.

Am sechsten Tage machten wir wie gewöhnlich eine Suppe, zu der je ein Topf Butter und Milch für 130 Personen genommen wurde, und dann berief ich die Anführer und Herrn Bonny zu einer Berathung. Als ich ihnen auseinandersetzte, daß die Fourragirer ein Unglück betroffen haben könnte, das den vollständigen Verlust aller zur Folge haben dürfte, schienen sie nicht im Stande zu sein, eine solche Möglichkeit zu begreifen, obwol Thorheit über Thorheit, Tollheit über Tollheit jeden Tag meiner Bekanntschaft mit ihnen ausgezeichnet hatte. Die heimliche Entfernung der Leute, um Beute zu suchen und nie wieder zurückzukehren, der Sprung von 50 Mann in den Fluß wegen einer Buschantilope, das Fortwerfen der Rationen nach fünfzehnmonatlichen Erfahrungen im Walde, das unbesonnene Eindringen in bewachte Pflanzungen, wo sie sich die Füße durch Holzsplitter verletzten, die Unachtsamkeit, mit welcher sie Abschürfungen zu fressenden Geschwüren sich entwickeln ließen, der Verkauf ihrer Gewehre an Leute, welche sie gern zu Sklaven gemacht haben würden: alles das waren Thorheiten, welche bei den Dummköpfen Tag für Tag und Woche für Woche vorkamen, und doch wollten sie sagen, sie könnten die Möglichkeit eines fürchterlichen Unglücks nicht begreifen! Hatten sich nicht 300 Mann mit 3 Offizieren 6 Tage lang im Walde verirrt? Waren nicht noch gestern drei Personen in der Nähe des Lagers verloren gegangen und nicht zurückgekehrt? Hatte ich den Leuten nicht gesagt, daß wir alle sterben würden, wenn sie am vierten Tage nicht zurückseien? War dies nicht der sechste Tag ihrer Abwesenheit? Waren nicht 50 Leute jetzt dem Tode nahe? Und war nicht noch viel Aehnliches geschehen?

Ganz allmählich stieg ihnen die Ueberzeugung auf, daß wenn wir infolge eines Unglücksfalls noch drei Tage unthätig im Lager bleiben mußten, wir dann zu schwach sein würden, um uns Lebensmittel zu suchen, und sie stimmten mir darin zu, daß es klug sein würde, die Lasten zu vergraben und auch unsererseits nach Ngwetsa zurückzukehren, um Nahrung für uns zu besorgen. Aber es war eine Schwierigkeit dabei. Wenn wir die Waaren vergruben und es fanden sich 50 Kranke, welche es vorzogen, im Lager zu bleiben, anstatt uns zu folgen, so würden wir bei der Rückkehr nach dem Versteck wahrscheinlich finden, daß die Kranken die Sachen wieder ausgegraben und alles lediglich zum Unfug vernichtet haben würden.

Da kam Herr Bonny uns zu Hülfe, indem er sich erbot, mit 10 Mann im Lager zu bleiben, wenn ich für ihn und die Leute Lebensmittel für zehn Tage, die Zeit, welche wir fort zu sein beabsichtigten, zurücklassen würde. Das Material, um eine dünne Brühe für eine so kleine Zahl aus zehn Tage zu bereiten, war nicht schwer zu finden. Wir maßen eine halbe Tasse voll Maismehl pro Kopf für 13 Mann und zehn Tage und zählten 4 Milchbiscuits pro Mann und Tag ab; außerdem ließen wir ihnen noch einige Büchsen mit Butter und condensirter Milch zur Verbesserung der Mehlsuppe zurück. Für diejenigen, welche nicht gewillt oder nicht im Stande waren, uns zu den Bananen zu folgen, vermochten wir nichts zu thun. Was eine kleine Besatzung von 13 Mann viele Tage unterhalten konnte, würde das Leben von 50 Leuten nicht retten, die schon so schwach waren, daß nur eine große Menge des leicht verdaulichen Bananenmehls sie möglicherweise noch erhalten konnte.

An diesem Morgen kam der kleine Saburi sorglos und frisch, als ob er von einem Spaziergange zurückkehre, ins Lager zurück. »Was, Saburi! wo bist du gewesen?« »Ich habe mich beim Beerensuchen verirrt und bin umhergewandert, bis ich gegen Abend an einen Pfad kam. Ich sah die Zeichen der Aexte und sagte zu mir: O, das ist unser Weg, und folgte demselben in der Meinung, ich würde nach unserm Lager kommen. Aber statt dessen sah ich nur einen großen Fluß. Es war der Ihuru! Dann fand ich einen dicken hohlen Baum, kroch hinein und schlief; nun bin ich auf dem Wege zurückgekommen, u. s. w., bis ich hier wieder eintraf. Das ist alles.«

Am Morgen des 15. December musterten wir alles, was im Lager noch am Leben war. Der Manjema-Anführer Sadi meldete, daß von seinen Leuten 14 nicht im Stande seien, sich zu bewegen; Kibbobora berichtete, daß von seiner Abtheilung nur sein kranker Bruder nicht gehen könne, und bei Fundi war nur ein Weib und ein kleiner Knabe zu schwach für den Marsch. Die Expedition mußte 43 Personen zurücklassen, die der Auflösung nahe waren, wenn nicht innerhalb 24 Stunden Lebensmittel herbeigeschafft wurden. Einen hoffnungsvollen Ton anschlagend, obwol das Herz mir fast brach, sagte ich ihnen, sie sollten guten Muthes sein, ich würde die Abwesenden aufspüren, die sich vermuthlich vollstopften. Höchst wahrscheinlich würde ich ihnen unterwegs begegnen, in welchem Falle sie den ganzen Weg zum Lager zurück springen sollten. »Betet inzwischen für meinen Erfolg. Gott allein kann euch jetzt helfen!«

Um 1 Uhr nachmittags traten wir mit 65 Männern und Knaben, sowie 12 Frauen den Rückmarsch nach dem 56 km entfernten Ngwetsa an. Wir marschirten bis zum Abend und warfen uns dann, in Gruppen oder einzeln, auf den Erdboden, jeder unter einen Haufen Gebüsch, schweigend, traurig und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Es war mir unmöglich, den Schlaf zu finden, der »Balsam für verwundete Seelen« ist. Es drängte sich zu viel Trauriges in meine Gedanken, in der Dunkelheit verfolgten mich zu viele sterbende Gestalten und meine lebhafte Phantasie wurde zu sehr von den Schrecknissen erregt, die sie mir in den fürchterlichsten Farben ausmalte; die entkräfteten Gestalten, welche wir am Nachmittage während unsers Marsches kettenweise dem Wege entlang hatten liegen sehen, waren zu ernste Dinge, um sie plötzlich zu vergessen. Die Sterne waren nicht zu sehen, sodaß man aus ihrem Funkeln keinen Trost schöpfen konnte, die armen Herzen um mich herum zu schwer, um mehr als das Stöhnen der Verzweiflung hören zu lassen, die Feuer nicht angezündet, weil wir keine Lebensmittel zu kochen hatten – mein Kummer war groß. Aus der pechschwarzen Dunkelheit traten die ungewissen Formen hervor, welche das Fieberland bevölkern, den Einsamen höhnen und äffen, im Mantel der Nacht flammende Figuren weben und traurige Gestalten zeichnen; es geht durch die schwere Luft ein Geflüster von Gräbern und Würmern und ewigem Vergessen, ein Dämon flüstert dem erregten Hirn zu, daß es besser sei, zu ruhen, als mit krankem Herzen zu denken, und der leise Windzug in den Kronen des tiefschwarzen Gebüsches scheint zu seufzen und zu ächzen: »Verloren! Verloren! Verloren! Deine Arbeit und dein Kummer sind umsonst. Ein unbehaglicher Tag nach dem andern; die tapfern Seelen stoßen ihren letzten Seufzer aus, ein Mann nach dem andern fällt dem Tode in die Arme, um zu vermodern und zu verwesen, und du wirst dann allein sein!«

»Allah ho Akbar« erscholl plötzlich der Ruf eines Mannes, der einem brechenden Herzen Luft machte, durch das Düster. Die Worte klangen durch die Dunkelheit daher und riefen das Echo »Gott ist groß« in mir wach. Weshalb sollte ein Moslem einen Christen daran erinnern, an seinen Gott zu denken? »Ihr Narren, wann werdet ihr weise sein? Wird Er, der euch das Ohr gegeben, nicht hören? Wird Er, der das Auge gemacht, nicht sehen?« Und siehe da, würdigere Gedanken beschäftigen den Geist, das Starren des Auges in die Dunkelheit hört auf, der Blick richtet sich noch immer auf stumme Beispiele früherer Gnaden bei dieser oder jener Gelegenheit, die man vergessen hat, und eine Erinnerung weckt die andere, bis das halsstarrige Herz schmilzt und man seine Noth dem Großen Erlöser anheimgibt.

Gegen Morgen schlummerte ich ein, um schon nach wenigen Stunden, als die Dunkelheit gerade zu schwinden begann und das geisterhafte Licht die Gruppen meiner stillen Gefährten erkennen ließ, wieder aufzuspringen.

»Auf, Jungens, auf! Zu den Bananen! Auf! Will es Gott, werden wir heute Bananen haben.« Ich sagte dies, um die trübgestimmten Herzen aufzumuntern. Nach wenigen Minuten hatten wir unsere Lagerstätten auf der Erde verlassen und waren im trostlosen Lichte des Morgens im Gänsemarsch wieder im Gange, wobei einige wegen ihrer Verletzungen humpelten, andere wegen ihrer Geschwüre hinkten und noch andere vor Schwäche taumelten. Wir begannen infolge der Bewegung eben wieder etwas warm zu werden, als ich, horch! vor uns das Murmeln von Stimmen hörte. Der kleine Saburi, der auf das geringste Zeichen meiner Hand achtete, hielt das Gewehr bereit, als ich hinter den breiten Blättern eines den weitern Blick verhindernden Phryniumstrauches einen großen Haufen grüner Früchte auftauchen sah; der Wahrheit gemäß errieth jeder, daß das die uns entgegenkommende Colonne der Fourragirer sein müsse, und in derselben Secunde vergaßen die Schwachen und Lahmen, die Krüppel, die Hinkenden und Aechzenden ihren Kummer und Jammer, und schrien ihren Dankesruf, der von selbst aus vollem, empfindsamem Herzen zum Himmel aufsteigt: »Gott sei Dank!« Engländer und Afrikaner, Christen und Heiden, alle glauben in derselben Weise an Ihn; Er ist nicht hier und ist nicht dort, sondern überall, und das Herz der dankbaren Menschen glaubt an Ihn.

Es bedurfte nur eines Blickes auf die ersten Leute der herankommenden Colonne, um zu erkennen, was die unbesonnene, gedankenlose Schar gethan hatte. Jedoch war es nicht Zeit, um Vorwürfe zu machen, sondern um Feuer anzuzünden, uns niederzulassen, die grünen Früchte zu rösten und Kraft für den Rückmarsch zu gewinnen. Bereits nach einer Stunde befanden wir uns wieder auf dem Rückwege nach dem Hungerlager, wo wir um 2½ Uhr nachmittags eintrafen und willkommen geheißen wurden, wie nur Sterbende die Hand willkommen heißen können, welche sie retten will. Den ganzen Nachmittag vergaßen Jung und Alt, Sansibariten und Manjema, Sudanesen und Madi ihren Kummer über die Vergangenheit in dem Vergnügen der Gegenwart, und jeder versprach, in Zukunft haushälterischer zu sein – bis zum nächsten mal.

Am 17. December erreichten wir den Ihuru, den wir am folgenden Tage durchwateten, worauf wir uns durch den Wald und das buschige Unterholz einen Weg hauten, bis wir am Nachmittage des 19. December aus dem weglosen Dickicht herauskamen und uns am Rande der Pflanzungen von Fort Bodo befanden, die von unsern sämmtlichen Leuten sehr bewundert wurden.

Am 20. December bahnten wir uns einen Pfad durch die verlassenen Pflanzungen, und nach einstündiger schwerer Arbeit erreichten wir unsere bekannte Straße, die wir so oft abpatrouillirt hatten. Bald entdeckten wir auch Spuren, daß sie noch kürzlich begangen war, und sahen neben dem Wege Haufen der von Fourragirern vor kurzem dort hingeworfenen Bananenschalen, doch vermochten wir noch nicht zu entdecken, von wem die Spuren herrührten. Vermuthlich hatten die Eingeborenen sich nach ihren Niederlassungen zurückgezogen und hielten die Zwerge jetzt Festmähler von dem Fett des Landes. Erst als wir uns dem Ende unserer breiten westlichen Militärstraße näherten und um die Ecke bogen, stießen wir auf einige sansibaritische Patrouillen, die über die plötzliche Begegnung ebenso erstaunt waren wie wir. Und nun erdröhnte eine Salve nach der andern durch die stille Lichtung, im nächsten Augenblick erscholl vom Fort her die Antwort, in wilden Sprüngen und Sätzen stürzte ein Strom ungestümer Männer, wahnsinnig vor Freude, heran, und unter den ersten befand sich mein lieber Freund, der Doctor, der mir mit vor Vergnügen strahlenden Augen meldete: »In Fort Bodo ist alles wohl.«



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