Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Der große centralafrikanische Wald.

Professor Drummond's Behauptungen über Afrika. – Ausdehnung des großen Waldes. – Vegetation. – Insektenleben. – Beschreibung der Bäume etc. – Die Stämme und ihre Nahrung. – Der Urwald. – Der eigentliche Busch. – Die Lichtungen; Wunder des Pflanzenlebens. – Seltsames Gefühl der Einsamkeit. – Sturm im Walde. – Tropische Vegetation an den Ufern des Aruwimi. – Wespennester. – Ähnlichkeit zwischen dem Walde und dem menschlichen Leben. – Einige Geheimnisse des Waldes. – Wild im Walde. – Die Gründe, weshalb wir die Thiere nicht jagten. – Vögel. – Affen, Reptilien und Insekten. – Kleine Bienen und Käfer. – Der »Jigger«. – Störungen bei Nacht durch fallende Bäume etc. – Schimpansen. – Die regenreichste Zone der Welt. – Der Ituri oder obere Aruwimi. – Die verschiedenen Stämme und ihre Sprachen. – Ihr Aeußeres und ihre Gebräuche. – Hautfarbe. – Unterhaltung mit einigen Gefangenen in Engwedde. – Die Wambutti-Zwerge; ihre Wohnungen und Lebensweise. – Die Batua-Zwerge. – Leben in den Walddörfern. – Zwei Aegypter bei Fort Bodo von Zwergen gefangen genommen. – Die für die Pfeile benutzten Gifte. – Unsere Behandlung der Pfeilwunden. – Die wilden Früchte des Waldes. – Hausthiere. – Krankheiten der Madi und Sansibariten. – Die Kongo-Eisenbahn und die Producte des Waldes.

 

Ein englischer Professor, der befugt ist, die Buchstaben F.R.S.E. (Mitglied der königl. Gesellschaft zu Edinburgh und F.G.S. (Mitglied der Geologischen Gesellschaft) hinter seinem Namen zu führen, ein talentvoller Schriftsteller, mit vorzüglichem Schilderungstalent begabt, hat, obwol er zugibt, daß er nur ein »geringerer Reisender« sei und wenig Erfahrungen habe, sich versucht gefühlt, folgende kühne Behauptungen über Afrika aufzustellen:

»Bedecke die Küstengegend mit dichtem gelben Gras, setze hier und dort eine Palme hin, vertheile zwischen denselben einige wenige verfallene Dörfer, bevölkere sie mit Leoparden, Hyänen, Krokodilen und Flußpferden, und bekleide dann die hinter der Küste liegenden gebirgigen Plateaus mit endlosen Wäldern, aber nicht mit den großartigen schattenspendenden Wäldern Südamerikas oder den mattenreichen Dschungeln Indiens, sondern mit lichten, ziemlich schwachen Wäldern aus niedrigen Bäumen, deren halb ausgewachsene Stämme und spärliche Blätter keinen Schatten in der tropischen Sonne geben – du wirst an allen den Bäumen nichts finden, was dich daran erinnert, daß du in den Tropen bist. Du kannst Tag für Tag durch diese Wälder wandern, ohne daß dich außer dem Klima etwas daran gemahnt, wo du bist … Die feenhaften Labyrinthe von Farrn und Palmen, die Gewinde der den Pfad versperrenden und den Wald mit ihren Düften erfüllenden Schlingpflanzen, die prächtigen Wolken von Insekten, die buntbefiederten Vögel, die kleinen Papagaien, die unter dem schattigen Laubdach sich in ihren Trapezen schaukelnden Affen – alles das ist in Afrika unbekannt.

»Einmal in der Woche wirst du eine Palme sehen, einmal alle drei Monate werden die Affen deinen Weg kreuzen; die Zahl der Blumen ist im ganzen gering, die Bäume sind armselig, und um ehrlich zu sein …«

Doch genug; wenn das eine ehrliche Schilderung ist, dann mag der Leser mein Buch nur auf die Seite werfen, denn dieses Kapitel wird den Beweis liefern, daß ich von den Ansichten des gelehrten Professors über das tropische Afrika vollständig abweiche.

Wir sind bisjetzt 2690 km zusammen durch den großen centralafrikanischen Wald marschirt und können versichern, daß die obige Beschreibung des Professors Drummond mit dem tropischen Afrika so wenig Aehnlichkeit besitzt, wie die schroffen Felsen von Devon, die Moore von Yorkshire oder die Dünen von Dover die lächelnden Landschaften Englands, das laubreiche Warwickshire, die Gärten von Kent und die herrlichen Thäler der Insel repräsentiren. Njassa-Land ist nicht Afrika, sondern nur Njassa-Land. Ebenso wenig kann man die Wildniß des Massai-Landes, die mit Gestrüpp bedeckte Kalahariwüste, das wellenförmige Grasland von Usukuma, die dünnen Wälder von Unjamwesi, das ockerfarbige, mit Akazien bewachsene Gebiet von Ugogo anders nennen als Theile eines Continents, der sich vieler Zonen rühmt. Afrika ist an Ausdehnung ungefähr dreimal größer als Europa, aber unendlich viel mannichfaltiger. Man findet die Wüste der Wüsten in der Sahara, die Steppen des östlichen Rußland im Massai-Land und in einigen Theilen von Südafrika, die castilischen Hochlande in Unjamwesi, die besten Theile Frankreichs in Aegypten repräsentirt; man hat die Schweiz in Ukondju und Toro, die Alpen in dem Ruwenzori, Brasilien im Kongobecken, im Kongoflusse den Amazonenstrom, und dessen ungeheuere Wälder haben ihresgleichen in dem centralafrikanischen Walde, den ich jetzt beschreiben will.

Die größte Länge dieses Waldes, von der Nähe von Kabambarre in Süd-Manjema bis Bagbinne am Uelle-Makua in West-Niamniam, ist 1000 km; die durchschnittliche Breite beträgt 830 km, sodaß er insgesammt ein Areal von etwa 832 000 qkm bedeckt. Hierin sind nicht mit inbegriffen die Waldgebiete, welche durch felderähnliche Strecken Grasland abgetrennt oder durchschnitten werden, sowie die breiten Gürtel von Forsten, welche die niedrigen Ufer eines jeden großen Flußbeckens, wie des Lomani, des Lulongo, des Uëlle-Mobangi und des Kongo von Bolobo bis zum Loika- oder Itimbiri-Flusse bedecken.

Der Kongo und der Aruwimi haben es uns ermöglicht, eine beträchtliche Strecke in dieses ungeheuere Gebiet des Urwaldes einzudringen. Ich werde daher nur denjenigen Theil desselben behandeln, welcher sich von Jambuja auf 25° 3' 30" östl. L. bis nach Indesura auf 29° 59' östl. L. auf eine Entfernung von 526 km ausdehnt.

Betrachten wir diesen großen Wald nun, nicht um eine wissenschaftliche Analyse seiner Bäume und Products vorzunehmen, sondern um einen Begriff davon zu bekommen, wie er wirklich ist. Er bedeckt ein so großes Areal, ist so mannichfaltig und doch so gleichmäßig in seinen Charakterzügen, daß man viele Bücher schreiben müßte, um ihn vollständig zu behandeln; ja, wenn man ihn allzu genau betrachten wollte, würde man eine ganze Legion von Specialisten dazu nöthig haben. Wir haben keine Zeit, um die Knospen, Blüten und Früchte, die vielen Wunder der Vegetation zu untersuchen, die feinen Unterschiede an Rinde und Blättern der verschiedenen rund um uns her aufsteigenden Bäume zu betrachten, die Ausscheidungen in Gestalt der mannichfaltigen kleberigen oder zu Glas verhärteten Gummiarten zu vergleichen, welche als milchige Tropfen, bernsteinfarbige Kügelchen oder achatfarbige Thränen herabtropfen, die fleißigen Ameisen zu beobachten, welche an den Baumstämmen auf- und absteigen, deren Rinde in ihren Falten den Insektenarmeen Thäler und Berge bietet, oder auf den Kampf zu warten, welcher sicherlich zwischen dieser und jener Colonne rother Ameisen sich entspinnen wird. Und ebenso wenig bekümmern wir uns jetzt um eine Untersuchung jener mächtigen Masse abgestorbenen braunen Holzes, das so porös wie ein Schwamm ist, da es kaum noch das Aussehen eines zu Boden gestürzten Stammes hat. Im Innern ist es lebendig von kleinen Thierarten, die den Entomologen entzücken würden. Lege das Ohr hinan, und du hörst ein deutliches murmelndes Gesumme; es ist die Bethätigung des Lebens der Insektenwelt in allerlei Formen, die ihresgleichen nicht hat an Größe, Pracht der Farbe, Schönheit der Bekleidung, ihrer Beschäftigung nachgeht und sich eines raschen, aber kurzen Daseins freut, um unersättlich in ihrer Art, zu plündern, auf Beute auszugehen, zu kämpfen, zu zerstören, zu bauen, überall umherzuschwärmen und alles zu untersuchen. Halte die Hand nur an einen Baum, lege dich der Länge nach auf die Erde, setze dich auf einen gefallenen Ast, und du wirst verstehen, welche giftige Wuth, Gefräßigkeit und Thätigkeit um dich herum athmet. Oeffne dein Notizbuch, und das weiße Blatt wird ein Dutzend Schmetterlinge anlocken; um deinen Kopf schwebt eine Honigbiene, vor deinen Augen fliegen andere Arten von Bienen, vor den Ohren summt eine Wespe, dein Gesicht wird von einer ungeheuern Hornisse bedroht und zu deinen Füßen marschirt eine Armee von Ameisen heran. Einige kriechen schon an dir herauf und werden gleich ihre scherenartigen Freßwerkzeuge dir in den Hals bohren. Wehe! Wehe!

Und doch ist alles das schön, nur darf man sich nicht auf den heißen Boden hinsetzen oder legen. Es ist nicht wie in den Fichtenwäldern und zierlichen Gehölzen Englands, man befindet sich in einer tropischen Welt und muß, um sie zu genießen, sich langsam weiterbewegen.

Man denke sich ganz Frankreich und die Iberische Halbinsel dicht besetzt mit Bäumen von 6-60 m Höhe, glatten Stämmen, deren Blattkronen sich so nahe befinden, daß sie sich untereinander verwickeln und den Anblick des Himmels und der Sonne verhindern, und jeden Baum von wenigen Centimetern bis über einen Meter dick. Alsdann laufen von einem Baum zum andern Taue von 5-40 cm Durchmesser, welche die Form von Schlingen und Festons, eines lateinischen W und eines schlecht geschriebenen lateinischen M haben oder sich in großen dichten Kreisen, wie endlose Anakondas um die Stämme ringeln, bis sie die höchste Spitze erreicht haben. Laß sie üppig blühen und Blätter treiben und sich mit dem Blattwerk der Bäume vereinigen, um die Sonne zu verbergen, laß von den höchsten Zweigen die Taue zu Hunderten bis beinahe auf den Erdboden herabfallen, mit ausgefransten Enden, welche die Luftwurzeln der Schmarotzer repräsentiren, und schlanke Ranken herabhängen mit offenem Faserwerk an den Enden wie Troddeln. Arbeite alles gehörig durcheinander, so wirr wie möglich und von einem Zweig zum andern, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Bestandtheile, und pflanze an jeder gabelförmigen Stelle der Bäume und auf jeden horizontal stehenden Ast kohlähnliche Baumflechten von der größten Art, Pflanzen mit breiten speerförmigen Blättern, welche die Elefantenohr-Pflanze darstellen, sowie an andern Stellen Orchideen und Gruppen vegetabilischer Wunderwerke, und einen reichen Schmuck zarter Farrn. Nunmehr bedecke Baum, Ast, Zweig und Schlinggewächs mit dickem Moos wie mit einem grünen Pelz. Wo der Wald compact ist, wie ich ihn vorstehend beschrieben habe, braucht man nur noch den Boden mit dichtem Phryniumgesträuch, Amomum und zwerghaftem Gebüsch zu bepflanzen. Wenn aber, wie es häufig vorkommt, der Blitz die Krone eines stolzen Baumes abgeschlagen und das Sonnenlicht hereingelassen, wenn er einen Waldriesen bis zu den Wurzeln hinab zersplittert und der Stamm verdorrt, wenn ein Wirbelsturm einige Bäume entwurzelt hat, dann schießen eine Menge junger Stämme im Wettlauf um Luft und Licht in die Höhe, drängen sich, brechen sich, treten sich und ersticken sich gegenseitig, bis das Ganze ein undurchdringliches Dickicht bildet.

Im Durchschnitt ist der Wald aber eine Mischung solcher Scenen. Dort steht vielleicht eine Gruppe von Bäumen, grau und feierlich wie die Säulen einer Kathedrale im Zwielicht, und in der Mitte erhebt sich ein dürrer, nackter, weißgebleichter Patriarch, um den eine neue Gemeinde sich gebildet hat, in welcher jeder junge Baum emporklimmt, um der Erbe des Gebietes von Licht und Sonnenschein zu werden, welches einst der Herr eingenommen hat. Hier gilt ebenfalls das Gesetz der Erstgeburt.

Der Tod infolge von Wunden, Krankheit, Verfall, Erbübeln und Alter, sowie verschiedene Unfälle lichten den Wald und entfernen die Untauglichen und Schwachen, gerade wie bei den Menschen. Nehmen wir an, ein hoher Häuptling unter den Waldriesen sei wie ein frecher Enakssohn. Er ragt um Kopfeslänge über seine Gefährten empor und ist der Monarch dessen, was er überschaut; allein sein Stolz zieht den Blitz an, der ihn bis zu den Wurzeln zersplittert, er stürzt, sinkt und verwundet bei seinem Falle ein Dutzend anderer Bäume. Das ist der Grund, weshalb man so viele geschwulstartige Auswüchse, große kropfförmige Anschwellungen, ungestaltete Stämme sieht. Ferner haben die Bäume oft die Schmarotzerpflanzen, welche sie halberstickt hatten, überlebt, und man kann die tiefen Einschnitte des kräftigen Druckes bis zu den Aesten hinauf verfolgen. Einige Bäume haben infolge der starken Eifersucht anderer Arten gekränkelt und sind schon in unreifem Alter abgestorben; andere sind mit einer starken Krümmung im Stamme aufgewachsen, die dadurch entstanden ist, daß ein schwerer Baum auf sie gefallen ist und sie schief gepreßt hat; noch andere sind durch vom Sturm abgerissene Aeste verletzt worden und deshalb zwerghaft geblieben. Wieder andere sind durch Nagethiere beschädigt oder von Elefanten verrenkt worden, welche sich dagegen gelehnt haben, um die juckende Haut zu reiben, und ebenso haben die Ameisen innerliche Verheerungen angerichtet. Einige Bäume sind auch von Vögeln angepickt worden und zeigen infolge dessen geschwürartige Anschwellungen, welche große Gummitropfen ausschwitzen, und vielfach haben große und kleine Nomaden ihre Aexte, Sperre und Messer an den Stämmen versucht. Man sieht also, daß Verfall und Tod hier ebenso geschäftig sind wie bei uns.

Um das geistige Bild des unbarmherzigen Waldes zu vollenden, muß der Erdboden noch dick mit halbfertigem Humus aus vermoderten Blättern, Stielen und Zweigen bedeckt sein; alle paar Meter sollte ein gestürzter Riese liegen, eine dünstende Mischung von verwesenden Fibern, abgestorbenen Generationen von Insekten und lebenden Ameisencolonien, halb verborgen unter der Masse von Reben und umgeben von dem Blattwerk einer Menge junger Bäumchen, langer Epheuranken und viele Meter hohen Rotangpalmen; und jeden Kilometer müßte ein schlammiger Fluß, stagnirender Bach oder flacher Tümpel kommen, bedeckt mit Wasserlinsen, Lotos- und Lilienblättern und einem fettigen grünen Schaum, der aus Millionen von Pflanzentheilchen besteht. Bevölkere dann diese ungeheuere Waldgegend mit unzähligen Fragmenten von Völkerstämmen, die untereinander im Kriege sind, 15-80 km voneinander getrennt inmitten der zu Boden gestürzten Bäume, zwischen denen sie Paradiesfeigen, Bananen, Maniok, Bohnen, Taback, Colocasien, Kürbisse, Melonen u. s. w. gepflanzt haben, leben und, um ihre Dörfer unzugänglich zu machen, jedes Vertheidigungsmittel angewandt haben, welches die Natur und das Leben im Walde den Wilden an die Hand gegeben hat. Sie haben Holzsplitter eingegraben und schlau unter scheinbar zufällig dort liegenden Blättern verborgen, nicht nur auf ihren Pfaden, sondern auch an der Seite von Baumstämmen, sodaß der Eindringling, wenn er mit dem nackten Fuße darauf tritt, sich diesen durchbohrt und entweder an dem auf die Holzstücke geschmierten Gift stirbt oder monatelang lahm bleibt. Sie haben die Aeste aufgethürmt und aus den großen Bäumen Verhaue hergestellt, hinter denen sie mit Köchern voll vergifteter Pfeile und mit im Feuer gehärteten und mit Gift bestrichenen hölzernen Speeren im Hinterhalte liegen.

Der Urwald, d. h. das alte, vom Menschen noch nicht berührte Wachsthum, das seit den frühesten Zeiten sich überlassen geblieben war, um von Zeitalter zu Zeitalter zu wachsen und zu sterben, ist leicht von demjenigen Theil zu unterscheiden, der früher oder später einmal dem Menschen Schutz gewährt hat. Die Bäume sind höher und gerader und haben einen kolossalem Umfang; es finden sich öfter Durchgänge, wo der Marsch weniger Schwierigkeiten bietet und das Hinderniß unabänderlich in Arum, Phrynium und Amomum besteht. Der Grund ist fester und compacter und es befinden sich an solchen Stellen die Lieblingslagerplätze der zwerghaften Nomaden. Wenn die Pflanzen und kleinen Büsche weggehauen werden, hat man einen luftigen, kühlen Waldtempel, in dem sich angenehm leben läßt.

Dann kommt der Wald, welcher während einiger wenigen Generationen jede Spur früherer Bewirthschaftung des Bodens verwischt hat. Etliche Bäume, namentlich von den weichern Holzarten, sind zur selben Höhe wie die alten Patriarchen emporgewachsen; allein sowie der Mensch die Lichtung verläßt, beeilen sich ganze Scharen von namenlosen Bäumen, Sträuchern und Pflanzen in zudringlicher Weise, seine Abwesenheit zu benutzen, und viele Jahre lang findet ein stetiger Wettkampf um Licht und Luft statt; infolge dessen hat das Unterholz mehr Sonnenschein und wird so üppig, daß man nur an wenigen Stellen ohne unendliche Arbeit sich hindurchbahnen kann. Unter den mannichfaltigen Palmen, die man dort findet, sind besonders die Oel- ( Elaëis) und die Raphiapalme ( Raphia vinifera) zu erwähnen.

Und nun kommt noch der eigentliche Buschwald, das Wachsthum weniger Jahre, welches keinerlei Eindringen in seinen Schatten zuläßt. Man ist daher gezwungen, sich einen Tunnel durch die erstickende Masse der jungen Vegetation zu hauen, die so miteinander verwachsen und verwickelt ist, daß man glaubt, man könne leichter über die Spitze hinwegschreiten, wenn sie dort ebenso dicht und haltbar wäre. Zwischen den ungemein dichten Vegetationsmassen findet man kräftige junge Bäume eingebettet, welche die Schlingpflanzen, die Reben und Ranken tragen. Wenn man durch dieses Dickicht einen Pfad hindurch gebahnt hat, ist der unbeschuhte Fuß in Gefahr vor den Dornen und scharf abgeschnittenen Stengeln, welche sehr leicht den Fuß durchbohren und das Bein zerreißen.

So war der Charakter des Buschwaldes meist in der Nähe des Flusses. Beide Ufer zeigten zahllose Stellen alter Lichtungen und verlassener Dörfer, und da der Strom die einzige Verkehrsstraße war, welche die Stämme benutzten, so blieb für uns das einzige Mittel um vorwärts zu kommen: das mühsame Durchhauen.

Die Lichtungen, welche innerhalb Jahresfrist verlassen worden waren, zeigten wirkliche Wunder vegetabilischen Lebens, unvergleichlicher Fruchtbarkeit und überraschender Mannichfaltigkeit der Arten. Die verkohlten Stützen der Hütten wurden zu Trägern der Schlingpflanzen, deren lebhaft grüne Blätter bald die Häßlichkeit der Verödung verhüllten, und jede senkrechte Stange und jeder Stumpf nahmen das Aussehen einer kleinen Laube oder eines Stückes einer säulenartigen Ruine an. Da die Stümpfe oft 6 m hoch waren und zu zweien zusammen standen, hatten die Pflanzen den Raum zwischen beiden ausgefüllt, sich vereinigt und waren aneinander entlang gewachsen, sodaß auf diese Weise ein schattiger Bogen entstanden war; und sie hatten sich ferner in endloser Länge derart um die Stützen herumgewunden, daß schwer zu finden war, was eigentlich solche Massen zarter Ranken aufrecht hielt. In einigen Fällen hatten sie hohe Doppelthürme gebildet, mit einem gewölbten Bogengang dazwischen, ähnlich der Ruine eines großen alten Schlosses, die vollständig mit bunten, purpurfarbigen und weißen Blumen bedeckt war. Die silberglänzenden Baumstämme der alten Riesen des Urwaldes, die von der Axt gefüllt und verdammt waren, zerfressen zu werden und zu verfallen, und deren große dürre, weit sich ausbreitende Aeste und Zweige, waren von den Schlinggewächsen hundertfach umhüllt, bis sie aussahen wie Wolken von lebhaftem Grün, welche bei plötzlichen Windstößen unzählige kleine Ranken ausstreckten, oder wie ein ungeheuerer Vorhang hin- und herschwankten.

Wenn wir mit der Colonne vorwärts marschirten oder uns für die Nacht gelagert hatten, war das Gemurmel der Stimmen nicht gerade dazu angethan, schöne Gefühle für den Wald zu wecken. Wir litten zu viel Hunger, hatten so anhaltendes Elend zu ertragen und unsere Geduld, Stimmung und Langmuth wurden zu stark in Anspruch genommen. Unsere Kleidung eignete sich gut genug für das offene Land, bot aber keinen Schutz gegen die Widrigkeiten des Buschwaldes. Wenn wir uns aber einmal vom Lager entfernten und das Geräusch der Leute erstarb, wenn wir unser Elend vergaßen und uns nicht von dem Gefühl der vielen Unbequemlichkeiten völlig erfassen ließen, dann stieg die Ehrfurcht vor dem Walde in unserer Seele auf und nahm unsern Geist gefangen. Man wurde sich seiner großartigen Eigenthümlichkeit, des Fehlens des Sonnenscheins, des gedämpften Lichts bewußt und wunderte sich über das seltsame Gefühl der Einsamkeit, während man forschend umherblickte, um sich zu vergewissern, daß diese Einsamkeit keine Täuschung sei. Es war einem, als stünde man unter den Bewohnern einer andern Welt. Wir freuten uns des Lebens – der eine des vegetabilischen, der andere des menschlichen. Betrachtete man den massiven und kolossalen, schweigenden, stillen Wald, der mit solcher erhabenen, strengen Majestät dastand, dann schien es einem seltsam, daß die beiden Leben, obwol in vielen Beziehungen sich so ähnlich, doch so unvereinbar waren. Meiner Ansicht nach würde es den Verhältnissen nach angemessen gewesen sein, wenn ein runzeliger alter Patriarch mit der Würde und dem Ernste eines Methusalem mich angeredet oder ein starker Achilles unter den Wollbäumen, mit seinen Wurzelpfeilern fest im Boden haftend, mich verächtlich gefragt hätte, was ich in dieser stattlichen Versammlung der Könige des Waldes zu thun habe.

Und welche Gedanken wurden in uns angeregt, wenn wir aus einer Oeffnung im Dickicht herausschauten, über den dunkler werdenden, das herannahende Gewitter widerspiegelnden Fluß blickten und die mächtige Armee von Bäumen sahen, die je nach ihrer Art in verschiedener Größe starr und strenge in düsterer Aufstellung standen, um den Kampf mit dem Sturm zu erwarten. Der kommende Wind hat seine Schrecken concentrirt, um zu zerstören, und der Blitz wirft seine Speere mit gezackten weißen Flammen aus der unendlichen Schar der Wolken. Aus ihren Tiefen zuckt der Donnerkeil, und man hört den Sturm zum Angriff heraneilen. Plötzlich sieht man, wie die Bäume, welche den Anprall mit ruhiger Sicherheit erwartend so still gestanden haben, als seien sie auf Leinwand gemalt, gleichzeitig die Wipfel beugen, und es folgt ein allgemeines Schwanken und Schütteln, als ob eine wilde Panik sie ergriffen hätte. Sie biegen sich hierhin und dorthin, werden aber durch die kräftigen Stämme, die festen Wurzeln und die sie aufrecht erhaltenden starken Pfeiler an der Flucht verhindert. In gefährlicher Weise zurückgepreßt erholen sie sich wieder von dem ersten Anprall und peitschen ihre Wipfel in wüthenden Wogen vorwärts, und nun hat der Krieg zwischen dem Walde und dem Sturm seinen Höhepunkt erreicht. Legion hinter Legion ziehen die Wolken über die vom Winde aufgewühlten Gipfel hin, es ist ein Krachen und Brüllen, ein lautes Seufzen und Aechzen, man hört das schrille Pfeifen der Windstöße und das Stöhnen der unzähligen Bäume. Die großen Baumkönige scheinen mit ihren gepeitschten Wipfeln mächtige Streiche auszutheilen, und in dem Blattwerk erfolgt ein weitverbreitetes Rauschen, als ob es der ungeheuern Kraft seiner Herren freudigen Beifall zollen wollte; die Blitze nehmen eine blaßgrüne Färbung an, wenn die geringem Bataillone nach dem Beispiel der tapfern Vorfahren zum Kampfe aufgeboten werden. Auch unser Muth wird durch den großartigen Kampf angeregt – die Berserkerwuth ist ansteckend. Im Herzen zollen wir der heranstürmenden zerstörenden Gewalt des Windes Beifall und sind einen Augenblick bereit, ihn als Sieger zu begrüßen; aber die herrliche Entfaltung der Kämpen des Waldes mit ihren flatternden Locken, die Festigkeit, mit der die ungeheuere Armee sich gemeinsam mit ihren Führern erhebt, das freudige Rauschen des Gebüsches in der Tiefe geben uns das Gefühl, daß sie gewinnen werden, wenn sie nur ausharren. Der Blitz zuckt hierhin und dorthin mit prachtvollem Lichte und verheerender Flamme, der Donner erdröhnt mit betäubendem Krachen und hallt mit schrecklichen Tönen zwischen der Armee des Waldes wider, die schwarzen Wolken überstürzen sich und verdunkeln die Aussicht, und während eine Wolke sich in der andern auflöst, werfen wir bei dem wechselnden fahlen Lichte einen letzten Blick auf den wilden Krieg; wir sind betäubt von der Gewalt des Sturmes und der königlichen Wuth des Waldes, bis plötzlich die Sündflut des tropischen Regens herabstürzt, welche in kurzer Zeit den bis zur Weißgluthitze gesteigerten Zorn der Elemente verlöscht und den edeln Unwillen des Waldes bis zur vollständigen Stille besänftigt.

Den Ufern des Aruwimi entlang erhält man einen bessern Begriff von der tropischen Vegetation, als in irgendeinem andern Theile von Afrika außerhalb der östlichen Hälfte des Kongobeckens. Die Ufer sind meist niedrig, obwol niemand ihre Höhe errathen könnte wegen der hohen Hecken von Schlinggewächsen, die jeden Zoll des Erdbodens vom Rande des Wassers an manchen Stellen bis zur Höhe von 15 m bedecken, während unmittelbar dahinter der schwarzgrüne Wald bis zur gewaltigen Höhe von 45-60 m über dem Flusse aufsteigt. Das Aussehen der Ufer ist jedoch ein sehr mannichfaltiges. Die verlassenen Stellen, wo menschliche Wohnstätten gestanden haben, besitzen ihr besonderes eigenthümlich wildes Aussehen, ebenso wie der jungfräuliche Wald und die sonstige Pflanzendecke, die je nach dem veränderten Boden eine andere ist.

Kürzlich verlassene Lichtungen zeigen außer einer ungeheuern Dichtheit der Vegetation Stellen mit prachtvollen Blumen, über welche sich vielleicht etliche Bäume mit Massen von dicken, glänzenden Blättern und einer reichen Menge blutrother Blüten erheben, deren Blätter in ganzen Wolken auf ein undurchdringliches Dickicht der hülsentragenden Ranken der Schlinggewächse und Büsche gefallen sind und einen starken Contrast gegen deren hellpurpurrothe, gelbe oder weiße Blüten bilden. Das Amomum hat schneeweiße, blaßroth eingefaßte Blütenkelche; eine wilde Rebe hat die Farbe des hellen Purpurs, ein Schlinggewächs mit gefiederten Blättern, das jedoch zur Zeit ohne Blüten war, besitzt tiefbraunes Blattwerk, der Pfefferstrauch mit seinen rothen Schoten und der wilde Mangobaum erregen durch die Myriaden der perlenartigen kleinen Blüten Aufmerksamkeit, und eine Akazie mit ihren schneeweißen Knospen und eine Mimose mit ihren süßduftenden gelben Blüten verbreiten einen überwältigenden Geruch. Die verschiedenen Schattirungen des Grüns entstehen durch die Farrn, die sperrigen Halme des Schwertgrases, eine junge Oelpalme oder die nützlichen breiten Blätter des Phrynium. Ein junger Feigenbaum mit silberglänzendem Stamm und breitem Geäst vermischt seine Blätter mit den zarten Blättchen der Sinnpflanze und der Rotangpalme, und am Boden ist eine Menge von Nesseln und Pflanzen mit nesselartigen Blättern und Stengeln, um eine Masse von Vegetation herzustellen, die ebenso seltsam wie hübsch ist. Vielleicht ist die Grundlage der ganzen verworrenen und unentwirrbaren Pflanzenmasse und des undurchdringlichen Hügels von Grün und Schönheit ein alter Baumstamm, vor langer Zeit gestürzt, rasch verfallend, schwarz von Schimmel, dünn mit Humus, dicht mit schwammartigen Parasiten bedeckt, und in jeder Ritze und Spalte und jedem Riß alle Arten unersättlicher Insekten beherbergend, von der winzig kleinen Ameise bis zum schwarzen Tausendfuß und Riesenkäfer.

Weiterhin sehen wir etwas anderes. Zahllose riesenhafte Bäume wachsen, bis dicht an den Rand des Ufers gedrängt, bis zu 15 m horizontal über den Fluß hinaus. Unter ihrem Schatten würden 100 Kanoes Schutz vor der glühenden Sonne finden. Das Holz ist gelb und so hart wie Eisen, und wollte man einen von diesen Bäumen fällen, so würde man einen ganzen Vorrath von amerikanischen Aexten gebrauchen. Sie tragen Büschel von Früchten, die in unreifem Zustande grauröthlich sind und später schönen Damascenerpflaumen gleichen. Andere Bäume derselben Gattung haben Früchte, wie unreife Datteln, doch sind beide Früchte nicht eßbar.

Diese weit sich ausbreitenden Bäume bilden den Lieblingsaufenthalt der schwarzen Wespen, die an denselben ihre Hängenester bauen. Von außen sehen die letztern wie phantastisch zugeschnittene braune Papierdüten oder wie eine Reihe von übereinander befestigten Düten aus, mit Fransen und Verzierungen, ähnlich wie der Papierschmuck, den man zur Sommerzeit in englischen Wohnzimmern zur Bedeckung der Kaminroste benutzt.

Wir gingen solchen Bäumen ehrfurchtsvoll aus dem Wege, und wenn kein solches Schreckniß, wie ein großes Wespennest, in der Nähe war, dann konnten wir behaglich ruhen und den Wald mit Muße untersuchen. Zuerst sieht man außer zahllosen grauen Säulen Tausende von herabhängenden zarten Fäden und wogenden Linien, Schlingen, Festons, gehäufte Gruppen und breite Strecken von Grau, vermischt in mehr als gesuchter Unordnung mit dem dunkelsten, tiefsten Grün und nur erhellt von den feuchten breiten Blättern, welche die vereinzelten Sonnenstrahlen und Sonnenblicke widerspiegeln, und einem magischen, beständig wechselnden und spielenden gedämpften Licht, tiefe düstere Zwischenräume, mit denen die grauen Stämme der Bäume, die silberglänzenden Reben der Parasiten und das phantastische Filigran der grauen Rankenstengel contrastiren. Wenn man das Ganze näher besichtigt, erblickt das Auge verschiedene hochrothe Flecken der Phryniumbeeren, rothe Fruchtknoten des Amomum, eine äußere Berandung von braunen Blättern, den weißen Hut eines aus dem losen Schaft der zarten Farrn hervorblickenden Pilzes, kleine schneeige, harte Schwämme, die wie Entenmuscheln an einem runzeligen Baumstamm haften, das helle Grün der Orchideenblätter, die graugrüne Fläche der hängenden Blätter einer elefantenohrigen Pflanze, einen Ueberzug von Moos, höckerartige Auswüchse an den Bäumen, welche Gummithränen ausschwitzen und von Ameisen schwärmen, lange peitschenartige Rotangranken, sich krümmende und drehende Lianen, und große schlangenartige Winden, welche sich in den verworrenen Galerien der tiefen Schatten ein- und ausschlängeln und triumphirend hoch oben erscheinen, mit ihrem Gewicht die Zweige belasten und hier sich aufrollen, dort Schlingen bilden, und dann in unendlichen Längen aus Sicht verschwinden.

Wie schon erwähnt, ist der Wald typisch für das menschliche Leben. Man kann keinen Blick auf denselben werfen, ohne den Eindruck zu gewinnen, daß Verfall, Tod und Leben dort ebenso in Thätigkeit sind wie bei uns. Ich habe ihn nie mit Muße betrachten können, ohne mich unwillkürlich von irgendeinem Charakterzug überrascht zu finden, der mich an irgendeine Scene in der civilisirten Welt gemahnte. Er erinnerte mich an einen Morgen, an welchem ich hingegangen war, um zwischen 7½ und 8½ Uhr den Menschenstrom über London Bridge in die City drängen, die blassen, überarbeiteten, im Wachsthum zurückgebliebenen, von der Arbeit gekrümmten Leute auf dem Wege zu dem traurigen Kampfe ums Dasein zu sehen. Hier fand ich sie in ihrer Jugend, Kraft und Hinfälligkeit getreu wiedergegeben; der eine ist vorzeitig alt und bleich geworden, ein zweiter hat einen Kropf, ein dritter leidet an organischer Schwäche, ein vierter besitzt einen Höcker oder zeigt die Spuren mangelhafter Ernährung; viele sind blaß aus Mangel an Luft und Sonnenschein, andere werden wegen Hinfälligkeit des Körpers von den Nachbarn gestützt, und noch andere stürzen übereinander hin, als ob sie die unheilbaren Kranken eines Hospitals seien, und man wundert sich, wie sie überhaupt existiren. Einige sind bereits todt und liegen unter Blätterhaufen begraben, die Pflegstätte für ganze Familien von Sträuchern und Schmarotzerpflanzen, oder werden von Horden zerstörender Insekten bewohnt; andere sind durch den lähmenden Donnerkeil weiß gebleicht, durch den Blitz zersplittert oder gar geköpft, noch andere Jahrhunderte alte Veteranen, welche schon geboren wurden, noch ehe ein Christ bis südlich vom Aequator gedrungen ist, sind in Mark und Leben verfallen. Dagegen hat die Mehrheit die Zuversichtlichkeit kecker Jünglinge mit der ganzen Anmuth und Eleganz der Gestalt, der mächtigen Kraft in der Blüte des Lebens und dem gelassenen, ruhigen Selbstbewußtsein eisgrauer alter Aristokraten; und man sieht mit einem Blick die unbestreitbare Thatsache, daß sie sämmtlich entschlossen sind, den Kampf ums Dasein solange wie sie können fortzusetzen. Man findet alle menschlichen Charaktere hier, außer dem Märtyrer und dem Selbstmörder, denn Opfer liegen nicht in der Natur des Baumes, der vielleicht nur von zwei Geboten gehört hat: »Gehorsam ist besser als Opfer« und »Lebet und mehret euch«.

Und wie mir nichts so häßlich und unangenehm ist wie die Menge am Derby-Tage, so ist mir auch in der Waldnatur nichts abscheulicher, als wenn ich durch das offen zu Tage tretende selbstsüchtige Emporstreben zum Himmel in den vor wenigen Jahren verlassenen Lichtungen an jene erinnert werde. Horch! Die Glocke läutet, der Wettlauf steht im Begriff zu beginnen. Ich glaube den Lärm der Heranstürmenden, das wüthende, herzlose Drängen und Trampeln, das Schreien: »Selbst ist der Mann, der Teufel hole den Schwächsten«, zu hören, die weißglühende Aufregung, die lärmende Unruhe und Leidenschaft, die seltsame Ungleichheit der Kraft und schamlose Nichtachtung von Ordnung und Anstand zu sehen!

Es ist auch der Mühe werth, einen Augenblick halt zu machen, um zu fragen, weshalb kleine Vorfälle an einem so weit entlegenen Orte, wie die weglosen Tiefen eines Urwaldes es sind, auf Gedanken an Freunde und ihre Wohnstätten in England bringen. Das melancholische Geräusch des die Blattwelt über mir schüttelnden Windes und das traurige Rauschen in den Zweigen erinnerte mich lebhaft an eine Nacht, die ich in …-House verlebt habe, wo ich die halbe Zeit mit dem Horchen auf das schreckliche Seufzen der nahen Alleen zugebracht habe, das meine Seele mit Oede und Unbehaglichkeit erfüllte. Hier wurde ich wieder, während ich in meinem Zelte lag, an Seestürme, allgemeine Kälte und jammervolles Elend erinnert, und wenn der Regen in mächtigen Schauern herabströmte und das schwere Fallen der Tropfen rund um mich herum seine tiefe Trauermelodie anstimmte, dann glaubte ich das traurige, klägliche Echo des kummervollen, unbefriedigten Sehnens zu vernehmen, und es stiegen eine Menge nicht laut gewordener Gedanken, vergangenes Streben, ungeäußerte Gefühle der Liebe und Freundschaft und unausgesprochene Sympathie mit schrecklicher Bestimmtheit vor der geschärften Phantasie auf, bis ich bereit zu sein meinte, mich in Thränen aufzulösen und schluchzend zu stöhnen: »O, meine Freunde, der gute Gott ist über uns allen und ist allwissend.«

Der Wald besitzt einige Geheimnisse, welche man mit der Zeit kennen lernt, ohne einen Mentor in der Forstwissenschaft zu haben. Daß die Oelpalme bei viel Feuchtigkeit eine Menge Sonne braucht, um zu gedeihen, die Raphiapalme in von Rohr eingefaßten Sümpfen und stinkendem, schmutzigem Schlamme wächst, die Rotangpalme eines starken Busches zur Stütze bedarf, die stachelige Dattelpalme am üppigsten am Rande des Wassers aufschießt und die Fächerpalme bei zu großer Feuchtigkeit abstirbt, ist nicht schwer zu lernen. Allein der Fremde, der an Eichen, Buchen, Pappeln und Fichten gewöhnt ist, wird in tropischen Wäldern durch das ihm unbekannte Laubwerk über ihm einigermaßen verwirrt. Nach und nach vermag er aber aus den ersten Blick zu erkennen, welche Bäume weiches und welche hartes Holz haben. Es gibt mehrere Familien von Bäumen mit weichem Holze, welche in den Tropen die Stelle der Tannen und Fichten einnehmen und unfehlbar große Blätter haben, und es scheint die Regel zu sein, daß die Bäume mit weichem Holz große und die mit hartem Holz kleinere Blätter besitzen, obwol sie in Bezug auf den Grad ihrer Stärke und Dauerhaftigkeit sehr verschieden sind. Beispielsweise haben die Bäume aus der Familie der Rubiaceen Blätter, welche an Form und Größe denen der Ricinuspflanze fast gleich sind. Das Holz ist sehr nutzbar und gut zu verarbeiten; es eignet sich zum Bau von hölzernen Schiffen, kann auch zu hübschen Haushaltungsgegenständen, wie Speisebretern, Bänken, Stühlen, Tischen, Trögen, Milchtöpfen, Schüsseln, Bechern, Löffeln, Trommeln u. dgl. verarbeitet werden, und dient zur Bekleidung der Decke in Häusern, zu Thüren, Zäunen und Palissaden. Obwol es so spröde wie Cedernholz ist, widersteht es doch jedem Wetter, ohne zu spalten.

Es gibt mehr als eine Art Baumwollbaum, doch kennt man ihn stets an den prachtvollen Wurzelpfeilern, der unübertroffenen Höhe, der silbergrauen Rinde, den steifen Dornen am Stamme und an der weißen Samenwolle seiner Blüten und den graugrünen Blättern.

Dann gibt es dort das starke afrikanische Teakholz, das Blauholz, das afrikanische Mahagoni-, Grün- und Pockholz, das ewigdauernde Eisen- und das nicht weniger harte Gelbholz an den Flußufern, welches letztere unendlich viel härter ist als Eichenholz; das Holz des Stink-, Ebenholz- und Copalbaumes mit seinem glänzenden gefirnißt aussehenden Laubwerk, des baumartigen wilden Mango, der kleinblätterigen wilden Orange, des silberrindigen wilden Feigen-, des Butterbaumes, der verschiedenen Akazienarten, des stattlichen Mpafu und der Tausende von wilden Fruchtbäumen, von denen die meisten mir unbekannt sind. Man muß daher, um einen Begriff davon zu bekommen, wie dieser tropische Wald in Wirklichkeit aussieht, sich vorstellen, daß alle diese Bäume wirr durcheinandergemischt und mit Millionen von Ranken, Schlinggewächsen und riesigen Winden zusammengebunden sind, sodaß eine vollständige Verwickelung entsteht und das Licht völlig ausgeschlossen ist, bis auf einen flackernden kleinen Strahl, welcher hier und da erkennen läßt, daß die Sonne als glühende, leuchtende Kugel am Himmel steht.

In Anbetracht der vielen Monate, welche wir im Walde zugebracht, und der Hunderte von Meilen, die wir dort hin und her zurückgelegt haben, ist es nicht das kleinste Wunder, daß vom Beginn bis zum Ende unsers Aufenthalts im Dickicht nicht ein Mitglied der Expedition durch den Fall eines Astes oder Baumes einen Unfall erlitten hat. Die Bäume stürzten unmittelbar vor dem Vortrabe und dicht hinter der Nachhut, sie wurden bei Tag und bei Nacht neben uns und in der Nähe der Lager plötzlich zu Boden gestreckt. Mit genauester Noth entgingen wir eines Tages einem Unfalle, als wir eben mit unserm Boote gelandet waren und eine große Waldruine in den Fluß stürzte, dicht hinter dem Heck des Fahrzeugs, sodaß dieses von dem Wasserschwall hoch emporgeschleudert und die bei demselben arbeitenden Leute vollgespritzt wurden.

Schon viele Leute haben mich nach dem Wild im Walde befragt. Elefanten, Büffel, Wildschweine, Buschantilopen, Gazellen, Schimpansen, Paviane, Affen aller Art, Eichhörnchen, Zibeth- und Wildkatzen, Genetts, Zebra-Ichneumons, große Nagethiere gehören zu den wenigen Thieren, welche uns im Walde bekannt geworden sind. Die Aeste schwärmen von Vögeln und Fledermäusen, die Luft lebt von ihren umhersegelnden und schwirrenden Bewohnern, der Fluß ist reichlich gefüllt von Fischen und Schalthieren, Austern und Venusmuscheln; auch gibt es etliche Krokodile und Flußpferde. Man darf aber nicht vergessen, daß sämmtliche Stämme des Waldes die bösartigsten und tiefstehendsten des gesammten Menschengeschlechts sind, obwol ich der Ansicht bin, daß sie ebenso gut wie die wilden Caledonier der Besserung fähig und einer Umwandlung in gesittete und den Gesetzen gehorchende Völker zugänglich sind. Der Wald gestattet jedoch keinen freundschaftlichen Verkehr. Fremde sehen sich gegenseitig nicht eher, als bis sie plötzlich einander gegenüberstehen und beiderseits von der Thatsache überrascht und gelähmt sind. Instinctiv erheben sie die Waffen; der eine hat ein Bündel Pfeile, um Wild zu tödten, und ein Gift, welches so tödlich wirkt wie Blausäure, der andere ein Gewehr, dessen Kugel Kraft genug besitzt, um den Feind sofort zu zerschmettern. Angenommen wenigstens einer der beiden Gegner sei so liebenswürdig, sich von dem andern tödten zu lassen, so würden seine Freunde ihn einen Narren nennen und es wäre nichts dadurch gewonnen, da die Verwandten des Todten sich berufen fühlen würden, ihn zu rächen und den Mörder ebenfalls niederzumachen. Glücklicherweise gelingt es diesen im Walde vergrabenen Stämmen, die Ankunft von Fremden sofort zu erfahren, und verschwinden sie gewöhnlich rechtzeitig, ehe man ihre Dörfer erreicht. Wie weit sie sich aber zurückgezogen haben oder in welcher Nähe sie geblieben sind, weiß man nicht, und es würde daher, weil sie alles zu essen pflegen, was sie tödten, für eine kleine Gesellschaft nicht sicher sein, auf die Jagd nach Wild zu gehen. Das ist einer der Gründe, weshalb wir keine Thiere jagten.

Zweitens besitzt nicht jeder die Gabe, sich im Walde zurechtzufinden. Ich habe auf jedem Tagemarsche ein Dutzend mal den Curs des Vortrabs berichtigen müssen, da selbst eine so große Landmarke, wie der Fluß, nicht genügte, um als Führer bezüglich der Richtung zu dienen. Jeder einzelne von der Expedition würde, wenn er 200 m von dem Pfade ein paarmal herumgedreht worden wäre, nicht gewußt haben, wie er den Weg nach der Stelle wiederfinden sollte, von wo er ausgegangen war.

Drittens würde eine kleine Gesellschaft mit dem Abbrechen von Zweigen, beim Auftreten auf dürre Blätter, beim Wegebahnen durch das Gebüsch und Abschneiden der Ranken und Schlinggewächse zu viel Lärm machen. Das wilde Thier wird schon lange vorher, ehe der Jäger weiß, daß er sich in der Nähe desselben befindet, gewarnt und eilt entferntern Schlupfwinkeln zu. Wir sind plötzlich Elefanten begegnet, allein wenn wir noch 10 m entfernt waren, stürmten sie durch ein Dschungel davon, das für die Verfolger undurchdringlich war. Was Büffel und anderes Wild betrifft, so kamen ihre Spuren sehr oft vor, doch wäre es schon aus den genannten drei Gründen Wahnsinn gewesen, sie zu verfolgen.

Viertens hatten wir einen zu ernsten Zweck im Auge, der darin bestand, Lebensmittel dort zu suchen, wo die größte Wahrscheinlichkeit war, sie zu finden, nicht für eine kleine Gesellschaft, sondern für alle.

Was Vögel anlangt, so machten sie über unsern Köpfen Lärm genug, indeß befanden wir uns zu ebener Erde und sie sich auf dem Dache eines 15 Stockwerke hohen Hauses. Man sah sie überhaupt nicht, obwol man ihr Pfeifen, Trillern, Kreischen und Schreien überall hörte. Es gab große und kleine Papagaien, Ibisse, Turakos, Sonnenvögel, Schwalben, Finken, Würger, Ziegenmelker, Wiedehopfe, Eulen, Perlhühner, Schwarzdrosseln, Webervögel, Königsfischer, Taucher, Fischadler, Gabelweihen, Bachstelzen, Bienenfresser, Lerchen, Strandläufer, Kakadus, Hornvögel, Elstern, Bartvögel, Spechte, Tauben und vielerlei unbekannte kleine Arten, sowie Millionen großer und kleiner Fledermäuse.

Das Geschlecht der Affen war stark vertreten; ich habe mehr als ein Dutzend Species gesehen. Ich bemerkte Stummelaffen, dunkel- und grauhaarige Paviane, kleine schwarze Affen, Galagos, auch fliegende Eichhörnchen und andere ähnliche Baumbewohner; sie ließen mich aber nicht näher als 100 m herankommen. Lange bevor wir sie erreichen konnten, waren sie schon durch den Lärm der Karavane gewarnt und hatten den Rückzug angetreten.

Wir trafen auch eine Anzahl Reptilien. Der Ituri schwärmt von Wasserschlangen verschiedener Länge, die sehr häufig dicht neben unserm Boote untertauchten; ferner sahen wir schlanke grüne Peitschenschlangen, sowie andere Arten von grauer Farbe und beträchtlicher Größe, und sechs Fuß lange Schlangen von grüner und goldener und schwarzer Farbe. Wir bemerkten Pythons, Puffottern, Schlangen mit Hörnern und Zähnen, während kleinere Buschschlangen von etwa 60 cm häufig bei der Herstellung des Lagers getödtet wurden.

Zur Beschreibung der Insekten würde ein ganzes Buch nöthig sein. Ich habe nie so zahllose Armeen und Arten gesehen, als während meiner verschiedenen Märsche durch diesen Wald und würde es für nicht angebracht halten, auf diese winzigen Geschöpfe einzugehen, nachdem ich, wie andere von der Expedition, sie so verschwenderisch mit Scheltworten belegt habe. Ich erinnere mich nur einiger weniger Stunden, in denen ich mich nicht unfreundlich über sie ausgesprochen habe. Diese großen und kleinen Bienen, die Wespen, die Heerden von Motten zur Nachtzeit, die Haus-, Tsetse-, Viehfliegen, Mücken und Schmetterlinge bei Tage, die riesenhaften Käfer, welche, durch das Licht im Zelte angezogen, durch die Dunkelheit dahersegelten, wüthend gegen die Leinwand stießen, in ihrem Zorn, immer mit heiserm Brummen, von einer Seite nach der andern zurückgeworfen wurden und schließlich mit lärmender Wuth sich auf mein Buch oder mein Gesicht stürzten, als wollten sie aus irgendeinem Grunde Rache an mir nehmen; dann die Schwärme von Ameisen, welche auf meinem Teller marschirten, in meine dünne Suppe liefen und über meine Bananen krochen, die Heimchen, welche wie Dämonen umhersprangen und sich mir auf den Kopf oder die Stirn setzten, die Cicaden, deren schrilles Zirpen einen noch verrückter machte als die Manjemafrauen. Der Pascha behauptet, diese Stämme zu lieben, ich gestehe aber, ich habe ihnen soviel Schaden wie möglich zugefügt.

Die schlimmsten Quälgeister von allen Arten waren die kleinen Bienen von der Größe einer Mücke. Wir haben vier Arten kennen gelernt. Sie gehören der Melipona-Abart an. Um lesen, schreiben oder essen zu können, bedurfte man der aufmerksamen Dienste eines Begleiters, der die Thiere fortjagte. Ihre beliebtesten Angriffspunkte waren die Augen, doch waren auch Ohren und Nasenlöcher empfindliche Schlupfwinkel, die sie unabänderlich aufsuchten. Die Beine der Esel waren infolge dieser Pest vollständig von Haaren entblößt. Beim Tödten einer dieser Bienen blieb ein Geruch nach bittern Mandeln auf der Hand zurück.

Die Käfer waren wiederum von verschiedener Größe, von den über 6 cm langen Ungethümen bis hinab zu einem kleinen Insekt, welches durch ein Nadelöhr hätte schlüpfen können. Dieses letztere Thierchen schien, durch ein Vergrößerungsglas betrachtet, besonders auf das Peinigen des Menschen eingerichtet zu sein. Es bohrte sich in die Haut ein, war mit dem bloßen Auge nicht zu entdecken und erregte erst Aufmerksamkeit, wenn man mit der Hand darüber strich, worauf dann ein Schmerz wie von einem Nadelstich entstand. Die Hütten der Eingeborenen waren mit mehrern besondern Species behaftet. Die eine grub sich in den Körper ein, die andere bohrte sich in die Dachsparren und ließ feinen Holzstaub in die Suppe fallen, eine dritte unternahm Forschungsreisen zwischen den dürren Blättern und verursachte uns die schleichende Furcht, daß dort Schlangen seien, und eine vierte, ein brüllender Löwe von Käfer, wartete bis zum Abend und machte es uns dann unmöglich, ein Licht anzuzünden, um gemächlich zu rauchen und nachzudenken.

Von den geringem Unannehmlichkeiten, welche wir zu ertragen hatten, können wir noch den »Jigger« (Sandfloh) nennen, welcher seine Eier unter die Fußnägel der arbeitsamsten Leute legte, aber auch die Körper der Goi-Goi angriff und zu einer einzigen Masse lebender Fäulniß machte; die kleinen Käfer, welche sich unter die Haut bohrten und wie mit Nadeln stachen; die Melipona-Biene, welche die Augen angriff und einen mehrere Tage fast rasend machte; die kleinen und großen Zecken, welche uns hinterlistig das wenige Blut aussogen, das wir noch hatten; die Wespen, die, wenn ein achtloser Idiot ihren Baum berührte oder in die Nähe ihrer Höhlen kam, ihn dermaßen stachen, daß ein böses Fieber entstand; die wilden Honigbienen, welche eines Tages die Mannschaften zweier Kanoes auseinandersprengten und sie derart züchtigten, daß wir eine Abtheilung zu Hülfe schicken mußten; die Tigernacktschnecken, welche unsern Leuten von den Zweigen herabfielen und ihre giftigen Haare in den Poren des Körpers zurückließen, bis man vor Schmerz rasend wurde; die rothen Ameisen, welche bei Nacht ins Lager drangen, unsern Schlaf störten, die Karavane mehreremal auf dem Marsche angriffen und die Leute zu einem schnellem Laufe veranlaßten, als wenn sie von ebenso vielen Zwergen verfolgt worden wären; die den Trompetenbaum bewohnenden schwarzen Ameisen, die sich während unsers Vorbeimarsches auf uns herabfallen ließen und uns allen einen Vorgeschmack der Hölle gaben; die kleinen Ameisen, die in jedes Partikelchen der Speise eindrangen, sodaß wir sehr vorsichtig sein mußten, um nicht ein halbes Dutzend unversehens zu verschlucken und Blasen auf und Löcher in den Magenhäuten zu bekommen. So klein diese Thiere auch waren, waren sie doch die unangenehmsten, denn in jedem Tunnel, den wir durch das Dickicht herstellen mußten, setzten sie sich zu Tausenden an uns an und bissen und stachen dermaßen, daß ich die Pioniere mit Blasen wie von Nesseln bedeckt gesehen habe. Selbstverständlich waren auch unsere alten Freunde, die Moskitos, in zahllosen Scharen auf den größern Lichtungen.

Wenn wir aber bei Tage von Ameisen und unzähligen Arten von Insekten gebissen und gestochen wurden, was, wie jeder zugeben wird, ebenso schlimm ist, als ob man mit Nesseln gepeitscht würde, so hatte doch auch die Dunkelheit ihre Unruhe, Schrecknisse und Aengste. In der Stille der Nacht, wenn die ganze Karavane in Schlummer lag, wurde plötzlich jeder von einer Reihe von Explosionen erweckt. Allnächtlich wurde ein großer Baum vom Blitze getroffen und war die Gefahr vorhanden, daß die Hälfte des Lagers von dem fallenden Stamme zermalmt würde; das Rauschen der Aeste während eines Sturmes war wie das Getöse der Brandung und das Rollen der Wogen am Strande. Wenn es regnete, vermochte keine Stimme im Lager sich Gehör zu verschaffen, es war wie ein Katarakt mit seinen tosenden Wassermassen. Fast jede Nacht fiel plötzlich ein abgestorbener Baum krachend, berstend und rauschend und schlug mit einem die Erde erschütternden Getöse auf dem Boden auf.

Es gab dort Bäume, welche sich von einem abgestorbenen Glied trennten, dessen Fall ein wie Gewehrfeuer im Walde widerhallendes Knattern verursachte. Die Nachtwinde schüttelten die Zweige und schleuderten sie unter dem Chor der knarrenden Stämme, schaukelnden Taue und rauschenden Blätter gegeneinander. Dazu kam das nie fehlende Zirpen des Heimchens, der noch schrillere, aber nicht weniger eintönige pfeifende Ruf der Cicade und der beständige Chor der Frösche, der jammernde Schrei des Maki nach seinem Gefährten, ein scharfes raspelndes Geräusch, das die Nacht abscheulich und die Oede und Dunkelheit widerwärtig macht. Ferner amusirte ein einsamer Schimpanse sich damit, auf einen Baum zu schlagen, was so klang, als wenn Knaben mit einem Stock an einem Gitter entlang rasseln. Auch waren um Mitternacht Trupps von Elefanten in der Nähe, die vermuthlich nur durch die zerstreuten Lagerfeuer daran verhindert wurden, gerade über uns weg zu marschiren.

Im Hinblick auf die Zahl der Sokos oder Schimpansen in diesem großen Walde ist es ziemlich seltsam, daß niemand von der Expedition einen derselben lebend gesehen hat. Mein Dachshund Randy jagte sie zwischen Ipoto und Ibwiri fast jeden Tag auf und wurde einmal sehr schlimm von ihnen behandelt. Ich habe mehrmals ihr Geschrei gehört und auch ein Paar Schädel von ihnen bekommen; den einen gab ich dem Pascha, den andern, der ungewöhnlich groß war, mußte ich zurücklassen.

Im Jahre 1887 fiel Regen im Juli an 8, im August an 10, im September an 14, im Oktober an 15, im November an 17 und im December an 7, zusammen an 71 Tagen. Vom 1. Januar 1887 bis zum 31. Mai 1888 hatten wir 138 Tage oder 569 Stunden Regen. Im Walde konnten wir den Regen nicht anders messen als nach der Zeit; man dürfte aber nicht weit fehl gehen, wenn man den Wald für die regenreichste Zone der Erde hält.

Neun Monate des Jahres wehen die Winde vom südatlantischen Ocean den Kongo und Aruwimi aufwärts. Sie tragen die Feuchtigkeit des Meeres und den Wasserdampf, welcher aus dem 2250 km langen und 1-25 km breiten Flußlaufe aufsteigt, weiter und begegnen auf ihrer Bahn nach Osten der in der größern Höhe vorherrschenden kalten Luft, worauf die Feuchtigkeit sich verdichtet und fast einen um den andern Tag in reichen Regenschauern zur Erde fällt. Auch für die Aufnahme der aus dem Tanganika, Albert-Edward- und Albert-See aufsteigenden Dünste ist dieser Wald sehr günstig gelegen. Ich habe, während ich auf der Ebene am Rande des Waldes stand, die beiden Regenwolken beobachtet, welche, die eine von Westen, die andere von Osten kommend, zusammenstießen und sich in einer Sündflut von Regen über dem Berge Pisgah und dem umliegenden Lande auflösten. Außer den Regengüssen, welche, 10 bis 12 Stunden ununterbrochen dauerten, hatten wir auf dem Marsche von Jambuja nach Fort Bodo häufig locale Schauer von kurzer Dauer. Sobald diese eintraten, hatten wir die Gewißheit, daß sich in der Nähe irgendein höherer Berg befand, welcher einen Theil des ostwärts treibenden Dunstes aufgefangen und zum besten der Nachbarschaft in flüssigen Zustand versetzt hatte. Die Nachhut der Karavane wurde manchmal durch heftigen Regenfall elend gemacht, während die Pioniere sich der Wirkungen des hellen Sonnenscheins erfreuten. Dies kam bei den Mabengu-Stromschnellen und in Engwedde vor. Von der Tiefe des Waldes aus konnten wir keine Spur von einem Berg entdecken, doch verriethen solche plötzliche Schauer uns stets, daß einer in der Nachbarschaft war. Wenn wir uns von solchen Stellen etwas weiter entfernt hatten, enthüllten sich uns manchmal bei einem Rückblick an einer geraden Strecke des Flusses hinab Bergmassen von 150 m Höhe.

Der Ituri oder obere Aruwimi hat infolge der zahlreichen Regen selten einen niedrigen Wasserstand. Wir haben gefunden, daß er im Juli nur 1,8 m unter dem höchsten Stande war, und während einer Nacht im October stieg er um 0,3 m. Der Fluß ist am höchsten im November und am niedrigsten im December, doch ist er beständigen Schwankungen ausgesetzt und führt eine ungeheuere Wassermasse dem Kongo zu. Die Länge seines Laufes beträgt etwa 1125 km; er entspringt im Süden der Hügelkette, welche als ›Gruppe der Reisenden‹ bekannt ist und aus den Speke-, Schweinfurth- und Junker-Bergen besteht. Sein Becken bedeckt einen Flächenraum von etwa 173 500 qkm.

An der Nordseite dieses Beckens hörten wir von den A-Babua, Mabode, Momfu und Balesse, im Süden leben die Bakumu und Baburu. Das sind die wichtigsten Stämme, die in Hunderte von kleinern Gruppen zerfallen. Die Sprache der Bakumu, welche man von den Stanley-Fällen ostwärts ins Land hinein findet, ist mit einigen unbedeutenden dialektischen Abweichungen bei den Baburu bis nach den Panga-Fällen bekannt. Die Momfu-Sprache wird zwischen den Panga-Fällen und dem Ngaiju gesprochen. Oestlich von dort fanden wir, daß die Sprache der Balesse uns bis Indenduru begleitete. Jenseit des letztern Orts herrschte eine besondere, ganz andere Sprache, die der Babusesse. Indessen trafen wir in jedem dieser Abschnitte Unterstämme, welche angeblich nicht verstanden, was Eingeborene aus nur zwei Lager von ihnen entfernten Gegenden zu ihnen sagten.

Alle Stämme in der Aequatorialregion vom Atlantischen Ocean bis 30° östl. L. haben in Bezug aus Charaktereigenschaften und Gebräuche eine entfernte Aehnlichkeit, doch würde ich 18° östl. L. als die Scheidelinie zwischen zwei großen Familien annehmen, welche ursprünglich von einer und derselben Mutterrasse abstammen. Auf eine Strecke von zwölf Längengraden haben wir Hunderte von Stämmen, welche eine weitgehende Aehnlichkeit miteinander zeigen. Was Schweinfurth und Junker, Emin und Casati von den Monbuttu, Niamniam und Momfu sagen, läßt sich mit einigen sehr geringen Unterschieden auch von den Bangala, Wijansi, Batomba, Basoko, Baburu, Bakumu und Balesse sagen. Ein Stamm, der eine festere Organisation besitzt, mag vielleicht etliche bessere Eigenschaften besitzen als ein anderer, der vom Unglück betroffen und von mächtigem Nachbarn unterdrückt worden ist, aber in der Hauptsache bemerke ich keinerlei Unterschied. Sie besitzen keine Rinder, aber Schafe, Ziegen und Haushühner. Ein Stamm hat vielleicht Vorliebe für den Maniok, aber alle bauen Paradiesfeigen und Bananen. Die Kleidung besteht bei allen übereinstimmend aus einem Rindenstoff; der Kopfschmuck ist überall ähnlich, obwol der eine Stamm geschickter bei der Herstellung desselben ist als der andere. Fast alle üben die Beschneidung aus und sollen das Fleisch ihrer Feinde essen. Ihre Waffen sind fast die gleichen: der breite messerscharfe Speer, der zweischneidige spitze Dolch, die seltsamen Messer mit zwei und vier Klingen, das krumme Schwert, die kleinen Bogen und kurzen Pfeile. Gleich sind auch Stühle, Bänke und Rückenlehnen, Ohrringe, Halsbänder, Arm- und Beinspangen, die großen Kriegstrommeln und kleinen Gongs, die Kriegshörner und die Werkzeuge der Schmiede und Zimmerleute.

siehe Bildunterschrift

Speere.

Topf.

Stuhl.

Spieltisch.

Stuhl.

In der Bauart der Häuser ist ein großer Unterschied vorhanden, und ebenso sind sie auch bezüglich des Tätowirens, der Merkzeichen im Gesicht und des Schmuckes der Oberlippen verschieden, allein dies rührt oft davon her, daß ein Stamm sich auszuzeichnen wünscht, obwol er derselben Rasse angehört. Könnte man mit einem Dampfer von Equatorville am Kongo nach Indesura am obern Ituri fahren und die verschiedenen Gemeinden an den Flußufern vom Deck aus betrachten, so würde den Passagieren nicht nur die Aehnlichkeit der Kleidung und Ausrüstung, sondern auch die der Hautfarbe auffallen, während, wenn eine Colonie von Sudanesen, Sansibariten und Wanjamwesi zufällig irgendwo dazwischenläge, der Fremde dieselbe leicht als nicht den Eingeborenen gehörig herausfinden könnte.

Diese zwölf Längengrade umfassende Gegend ist größtentheils Wald, obwol sie im Westen mehrere Strecken Grasland besitzt, welche Thatsache die Hautfarbe wesentlich beeinflußt. Die Bewohner des wirklichen Waldes sind von viel hellerer Färbung als diejenigen des Graslandes. In normalem Zustande sind sie kupferig, doch sind einige so hell wie Araber und andere dunkelbraun, obwol alle den reinen Negercharakter zeigen. Vermuthlich ist die helle Farbe eine Folge des während vieler Generationen fortgesetzten Aufenthalts in dem Schatten des Waldes, obgleich es ebenso wahrscheinlich ist, daß sie das Resultat einer Verschmelzung einer ursprünglich schwarzen mit einer hellern Rasse ist. Ueberschreitet man die Grenzen des Waldes und betritt das Grasland, so bemerkt man jedoch sofort, daß die Stämme eine viel dunklere Farbe haben.

Unter diesen Waldstämmen haben wir einige beobachtet, die merkwürdig einnehmende Züge hatten, während andere ungewöhnlich häßlich und verkommen aussahen. Wie unverbesserlich wüthend im Temperament, verabscheuungswürdig in Neigungen und thierisch in Gewohnheiten diese wilden Stämme heute aber auch sein mögen, so ist doch nicht einer unter ihnen, welcher nicht die Keime in sich trägt, mit deren Hülfe sich in zukünftigen Zeiten die Civilisation und die von derselben unzertrennlichen Segnungen verbreiten können. Ich war sehr überrascht von der persönlichen Erscheinung und den Antworten einiger Gefangenen aus Engwedde, mit denen ich mich unterhalten konnte, weil sie die Momfu-Sprache verstanden. Ich fragte sie, ob sie gewohnt seien, Fremde stets zu bekämpfen, worauf sie antworteten: »Was wollen die Fremden von uns? Wir haben nichts, wir besitzen nur Bananen, Palmen und Fische.« »Aber angenommen, die Fremden wollten Bananen, Palmöl und Fische von euch kaufen, würdet ihr sie ihnen verkaufen?« »Wir haben noch nie vorher Fremde gesehen. Jeder Stamm hält sich an seinem eigenen Orte auf, bis er kommt, um uns aus irgendeinem Grunde zu bekämpfen.« »Kämpft ihr immer mit euern Nachbarn?« »Nein, einige von unsern jungen Leuten gehen in den Wald, um Wild zu jagen, und werden von unsern Nachbarn überfallen; dann gehen wir hin und sie kommen uns zum Kampf entgegen, bis die eine Partei müde oder geschlagen ist.« »Nun, wollt ihr Freunde mit mir sein, wenn ich euch nach euerm Dorfe zurückschicke?« Sie sahen mich verwundert an, und als ich sie mit einem Geschenk von Kauris wirklich aus dem Lager geleiten ließ, blieben sie einfach stehen und wollten nicht weiter gehen, weil sie eine Falle fürchteten. Es schien ihnen unglaublich zu sein, daß sie nicht geopfert werden sollten. Einer von ihnen kehrte zu meinem Zelte zurück, wo ich ihn freundlich als alten Bekannten begrüßte, und als ich ihm einige Bananen schenkte, ging er aus eigenem Antriebe ans Feuer und röstete sie, während er meiner Ansicht nach im stillen überlegte, was das alles zu bedeuten habe. Nachdem er sich gestärkt hatte, zündete er sich eine Pfeife an und ging mit scheinbarer Gemüthsruhe davon. Wenn unsere Märsche uns dreimal an dieser Niederlassung vorbeiführen würden, hätten wir sicherlich ihr Vertrauen für alle Zeiten gewonnen.

Zwerge im Vergleich zu den englischen Offizieren, Sudanesen und Sansibariten.

Zerstreut unter den Balesse zwischen Ipoto und dem Berge Pisgah im Lande zwischen den Flüssen Ngaiju und Ituri, einer Region, welche etwa zwei Drittel so groß ist wie Schottland, leben die Wambutti, die auch Batua, Akka und Basungu genannt werden. Diese Leute sind Nomaden von weniger als normaler Größe, Zwerge oder Pygmäen, leben in dem ungelichteten Urwalde und ernähren sich von Wild, das sie sehr geschickt zu fangen verstehen. Ihre Größe ist verschieden, von 90 cm bis 1,4 m. Ein ausgewachsener männlicher Zwerg wiegt 40 kg. Sie schlagen ihre Dorflager in der Entfernung von 3-5 km im Umkreise um einen Stamm der ackerbautreibenden Eingeborenen auf, von denen die meisten schöne kräftige Leute sind. Um eine große Lichtung haben sich vielleicht 8, 10 oder 12 getrennte Gemeinden dieser kleinen Leute niedergelassen, die insgesammt 2000-2500 Seelen zählen mögen. Mit ihren Waffen, kleinen Bogen und Pfeilen, deren Spitzen dick mit Gift beschmiert sind, und Speeren, tödten sie Elefanten, Büffel und Antilopen; außerdem graben sie Gruben und bedecken sie in geschickter Weise mit leichten Stöcken und Blättern, worauf sie Erde streuen, um die unten drohende Gefahr den ahnungslosen Thieren zu verbergen. Sie stellen schuppenartige Bauwerke her, deren Dach an einer Ranke hängt, und breiten Nüsse oder reife Bananen darunter aus, um die Schimpansen, Paviane und sonstige Affen hineinzulocken, worauf bei der geringsten Bewegung die Falle zufällt und die Thiere gefangen sind. Längs der Fährten der Zibethkatzen, Bandiltisse, Ichneumons und kleiner Nagethiere stellen sie Bogenfallen auf, welche dieselben beim eiligen Durchschlüpfen festhalten und erdrosseln. Außer dem Fleisch des geschlachteten Wildes benutzen sie die Haut, um Schilde herzustellen, den Pelz und das Elfenbein; ferner fangen sie Vögel der Federn wegen, sammeln Honig im Walde, bereiten Gift, und verkaufen alles an die größern Eingeborenen für Bananen, süße Kartoffeln, Taback, Speere, Messer und Pfeile. Der Wald würde bald von Wild entblößt sein, wenn die Zwerge sich nicht auf wenige Quadratmeilen um die Lichtungen beschränkten; sobald das Wild spärlich wird, sind sie daher gezwungen, nach andern Niederlassungen weiter zu ziehen.

siehe Bildunterschrift

Pfeile der Zwerge.

Sie leisten übrigens den ackerbautreibenden größer gewachsenen Klassen der Eingeborenen noch weitere Dienste. Sie sind vorzügliche Kundschafter und ermöglichen durch bessere Kenntniß in den Wirrsalen des Waldes, rasch Nachrichten von dem Herannahen von Fremden zu erhalten und ihren angesessenen Freunden Mittheilung davon zu machen. Sie sind alle gewissermaßen freiwillige Posten, welche die Lichtungen und Ansiedelungen bewachen. Jeder Pfad, gleichviel nach welcher Richtung er geht, führt durch ihr Lager; ihre Dörfer beherrschen jeden Kreuzweg. Gegen fremde Eingeborene, welche angriffslustig sind, würden sie sich mit ihren größern Nachbarn vereinigen, und sie sind als Feinde keineswegs zu verachten. Wenn Pfeil dem Pfeil, Gift dem Gift und Verschlagenheit der Verschlagenheit gegenübersteht, dann wird vermuthlich diejenige Partei gewinnen, der die Zwerge beistehen. Ihre kleine Gestalt, bessere Weidmannskunst und größere Böswilligkeit würden sie zu sehr starken Gegnern machen, und das sehen die ackerbautreibenden Eingeborenen sehr gut ein. Manchmal dürften sie allerdings wünschen, daß die kleinen Leute sich sonstwohin begeben möchten, da die Bevölkerung der nomadischen Gemeinden oft zahlreicher ist als diejenige der Niederlassung, und letztere für kleine und oft unzureichende Gegengaben an Pelzen und Fleisch den Zwergen freien Zutritt zu ihren Bananenhainen und Gärten lassen muß. Mit einem Wort, keine Nation der Welt ist frei von menschlichen Schmarotzern; die Stämme des centralafrikanischen Waldes haben viel von diesen kleinen wilden Leuten zu ertragen, welche sich an die Lichtungen heften und ihren Nachbarn schmeicheln, wenn sie gut genährt werden, sie aber sonst durch ihre Erpressungen und Räubereien bedrücken.

siehe Bildunterschrift

Elefantenfalle.

Die Zwerge stellen ihre Wohnungen, niedrige Bauwerke in Gestalt eines der Länge nach durchschnittenen eiähnlichen Körpers mit einer Thür von 60-90 cm Höhe an jedem Ende, roh in einem Kreise auf, dessen Mittelpunkt für die Residenz des Häuptlings und seiner Familie, sowie als gemeinsamer freier Platz reservirt ist. Etwa 100 m vor dem Lager befindet sich auf jedem Pfade ein Schilderhaus, das gerade groß genug für zwei der kleinen Leute ist und auf den Weg hinausblickt. Würden je Eingeborenenkaravanen beispielsweise zwischen Ipoto und Ibwiri marschiren, so könnte man nach dem, wie wir die Leute kennen gelernt haben, annehmen, daß jene eines großen Theils ihres Eigenthums durch diese Nomaden beraubt werden würden, die sie vor und hinter jeder Niederlassung antreffen, und da zwischen den genannten beiden Orten zehn Ansiedelungen liegen, so würden sie zwanzigmal Zoll in Gestalt von Taback, Salz, Eisen, Rohr und aus Rohr hergestelltem Schmuck, Aexten, Messern, Speeren, Pfeilen, Krummäxten, Ringen u. s. w. bezahlen müssen. Man ersieht daraus, wie vollständig unmöglich es war, daß die Leute von Ipoto von Ibwiri gehört haben konnten, da man schwere Zölle und Abgaben von ihnen verlangt haben würde, wenn sie den Versuch gemacht hätten, eine solche Reise von mehr als 120 km zu unternehmen. Man begreift daher auch, weshalb eine so große Verschiedenheit der Dialekte herrschte und weshalb die Gefangenen ganz und gar nichts wußten über die Niederlassungen, die nur 30 km von ihnen entfernt lagen.

Wie schon erwähnt, gibt es unter diesen Zwergen zwei Species, die sich an Hautfarbe, Form des Kopfes und charakteristischen Gesichtszügen durchaus unähnlich sind. Ob die Batua die eine und die Wambutti die andere Nation bilden, wissen wir nicht, jedoch unterscheiden sie sich ebenso sehr voneinander wie der Türke von dem Skandinavier. Die Batua haben längliche Köpfe, lange, schmale Gesichter und röthliche kleine, nahe zusammenstehende Augen, die ihnen einen mürrischen, ängstlichen und zänkischen Blick geben. Die Wambutti haben ein rundes Gesicht, gazellenartige weit voneinander entfernte Augen, hohe Stirn, die ihnen den Ausdruck unverhüllter Offenheit gibt, und sind von dunkelgelber Elfenbeinfarbe. Die Wambutti bewohnen die südliche, die Batua die nördliche Hälfte des geschilderten Districts und dehnen sich auf beiden Ufern des Semliki und östlich vom Ituri südöstlich bis zu den Wäldern von Awamba aus.

siehe Bildunterschrift

Zwerge von einem Sansibariten beobachtet.

Das Leben in den Walddörfern ähnelt demjenigen der ackerbautreibenden Klassen. Die Weiber verrichten alle Arbeit, indem sie Brennholz und Lebensmittel sammeln, kochen und den Transport der Güter der Gemeinde übernehmen, die Männer jagen und kämpfen, rauchen und besorgen die Politik des Stammes. Einiges Wild ist stets im Lager, außerdem auch Pelze, Federn und Häute. Sie fertigen Fischnetze und Fallen für kleineres Wild an. Die Knaben müssen sich stets mit Bogen und Pfeil üben, da wir niemals eins der Zwergendörfer passirt haben, ohne mehrere ganz kleine Bogen und Pfeile mit abgestumpften Spitzen zu sehen; auch scheinen sie reichlichen Gebrauch von den Aexten zu machen, da die Bäume ringsumher viele Zeichen tragen, die nur von dem Probiren der Aexte herrühren konnten. Ferner fanden wir in jedem Lager einen Baum mit Einschnitten von mehrern Zoll Tiefe, sowie etwa 450 m von dem Lager eine Anzahl rautenförmiger Einschnitte auf der quer über den Weg liegenden Wurzel eines Baumstammes, die uns jedesmal anzeigten, daß wir uns einem Dorfe der Wambutti-Zwerge näherten.

In der Nähe von Fort Bodo verschwanden während meiner Abwesenheit zwei Aegypter, ein Corporal und ein Knabe von 15 Jahren aus Kairo, beide von heller Hautfarbe, ohne daß wir je entdeckten, was aus ihnen geworden war. Wahrscheinlich sind sie, wie in alten Zeiten die jungen Nassamonier, zu Gefangenen gemacht worden. Ich habe mich oft gewundert, was mit ihnen geschehen sein könnte und welche Gefühle – beide waren gläubige Muselmänner – sie beseelt haben mögen, als man sie nach dem Lager der Wambutti brachte. Ich glaube, sie müssen ähnliche gewesen sein, wie diejenigen des Matrosen Robert Baker im Jahre 1562:

Ob's Kannibalen sind.
Das weiß man wirklich nicht,
Doch wenn sie's sind, dann ganz geschwind
Sind wir ihr Leibgericht.
Nackt sind sie ganz und gar
Und ohne Scham geboren,
Nicht mal ein Hosenpaar
Hat einer sich erkoren;
Von Wurzeln leben sie und Blatt
Wie Bestien in dem Walde,
Von solcher Kost wird man nicht satt
Und muß verhungern balde.

Eins der Gifte, welches die Stämme des Waldes zum Beschmieren ihrer Waffen benutzen, um sie tödlicher zu machen, ist eine dunkle Substanz von der Farbe und Dichtigkeit des Peches. Wenn man den Eingeborenenweibern Glauben schenken darf, wird sie aus einer Arumart, einer sehr häufigen Pflanze mit großen Blättern hergestellt, die man in großen Mengen zwischen Fort Bodo und Indesura findet. Der Geruch der Substanz in frischem Zustande erinnert an unser altes Blasenpflaster; daß sie tödlich wirkt, kann nicht bezweifelt werden. Die Eingeborenen tödten Elefanten und anderes großes Wild ebenso sicher damit, wie man diese Thiere mit knochenzersplitternden Kugeln niederstrecken kann; und daß sie Elefanten und Büffel wirklich tödten, beweisen die Ungeheuern Vorräthe von Elfenbein, welche Ugarrowwa, Kilonga-Longa und Tippu-Tib gesammelt haben; sowie die Thatsache, daß jeder erwachsene Krieger einen Leib- oder Schultergürtel besitzt, in welchem der Dolch und das Messer zum Abhäuten hängen, und jede Mutter, welche ihr Kind trägt, und jede Frau, die einen Korb schleppt, ein aus Büffelhaut hergestelltes breites Stirnband braucht.

Das Gift darf nicht im Dorfe hergestellt werden; um Unglücksfälle zu verhüten, scheint es nothwendig zu sein, daß dasselbe im Gebüsch bereitet wird. Nach der Anfertigung wird es auf die eisernen sowie auf die aus hartem Holze hergestellten Pfeilspitzen dick aufgestrichen.

Ein anderes Gift ist von der Farbe eines hellen Leims. In Avisibba entdeckten wir zwischen den Dachsparren der Hütten mehrere Körbe voll getrockneter rother Ameisen und nach ihrer Aehnlichkeit mit der Farbe des tödlichen Giftes, welches die Avisibba benutzten, muthmaßte ich, daß dasselbe durch Zerstoßen der Thiere zu feinem Pulver und Mischen desselben mit Palmöl bereitet werde. Wenn eins dieser Insekten auf der Haut eine Blase von der Größe eines Thalerstücks hervorbringen kann, was mag dann die Wirkung des Pulvers mumificirter Thiere derselben Art sein? Ist das helle Gift aus diesem Material hergestellt, dann besitzen sie, wie man zugeben muß, im Walde unendliche Vorräthe von Insekten, die noch viel schlimmer sind, wie z. B. die langen schwarzen Ameisen, die auf dem Ameisenbaum sich aufhalten und deren Biß nur dem Brennen mit einem rothglühenden Eisen verglichen werden kann. Woraus das Gift aber auch bestehen mag, ich habe großes Zutrauen zur Einspritzung einer starken Dosis von kohlensaurem Ammonium; vielleicht würde es auch gelingen, durch stärkere Dosen von Morphium, als ich zu geben wagte, die schrecklichen, der Mundsperre ähnlichen Krämpfe zu beseitigen, welche jeder Verwundung folgten und die Vorboten des Todes waren.

War eins dieser Gifte in frischem Zustande, so traten die Folgen rasch ein: außerordentliche Schwäche, Herzklopfen, Uebelkeit, Todtenblässe, Schweißperlen auf dem ganzen Körper und der Tod. Ein Mann starb innerhalb einer Minute, nachdem er eine nadelstichähnliche Wunde erhalten hatte, die durch den rechten Arm und in die rechte Brust ging; ein Anführer starb fünf Viertelstunden, nachdem er den Schuß bekommen hatte. Eine Frau starb, während man sie hundert Schritte weit trug, ein anderes Weib nach 20 Minuten, ein Mann nach 3 Stunden, 2 andere erst nach Verlauf von 100 Stunden. Diese verschiedenen Zeiten beweisen, daß das Gift in einigen Fällen frisch, in andern alt war. Die meisten dieser Wunden wurden ausgesogen, ausgewaschen und ausgespritzt, doch war offenbar noch etwas Gift zurückgeblieben, das den Tod verursachte.

Falls man ein Gegenmittel der Eingeborenen nicht kennt, sollte man, um das Gift unwirksam zu machen, ein starkes Brechmittel anwenden, die Wunde aussaugen und ausspritzen und dann eine Injection einer kräftigen Lösung von kohlensaurem Ammonium vornehmen.

Da es in der ganzen Waldregion kein Gras gibt, würden die Eingeborenen sich beim Decken ihrer Häuser in einer großen Verlegenheit befinden, wenn die werthvollen Phryniumblätter nicht wären, die überall und sehr üppig im Urwald wachsen. Diese Blätter haben einen Durchmesser von 30-50 cm und sitzen an einem schlanken starken Stengel von 1-2 m Höhe. Sowol Stengel als Blätter sind bei dem Bau der Eingeborenenhütten und Lager zu verwenden. Die Frucht gleicht einer rothen Kirsche, doch wird die Fruchthaut nicht gegessen, sondern das Innere, und zwar nur um »den Magen zu täuschen«.

Die wilden Waldfrüchte sind mannichfaltig, und da wir uns während der vielen Tage der schrecklichen Hungersnoth durch dieselben am Leben erhalten haben, ist es angemessen, diejenigen zu nennen, welche wir als brauchbar gefunden haben. Am meisten verdanken wir einem schönen stattlichen Baume mit kleinen Blättern, der an den südlichen Ufern des Ituri zwischen 28° und 29° östl. L. in großer Menge wächst. Die Frucht liegt in Hülsen von etwa 25 cm Länge, welche je vier herzförmige Bohnen, »Makweme« genannt, von 3,2 cm Länge, 2,5 cm Breite und 1,3 cm Dicke enthalten. Die Bohne hat eine zähe lachtaubenfarbige äußere und eine röthliche innere Haut; sobald letztere entfernt ist, kann die Bohne zerquetscht, zerstampft oder auch ganz gekocht werden, doch ist es am besten, sie zu zerquetschen, weil die Bohne etwas lederartig ist und dann beim Kochen leichter verdaulich wird. Die Zwerge lehrten uns die Kunst, sie zu kochen, und man kann wol annehmen, daß sie oft zu diesen Früchten ihre Zuflucht nehmen müssen, um auf ihren Wanderungen im Walde das Leben zu fristen.

In der Nachbarschaft dieser Waldbohnenbäume wuchs eine wilde Brotfrucht, von den Sansibariten »Fenessi« genannt, so groß wie eine Wassermelone. Wir fanden sie in reifem Zustande schmackhaft und gesund.

Als wir dem Ituri von 1° 6' bis 1° 47' nördl. Br. folgten, fanden wir auf höherm Terrain die Spondias oder Schweinepflaume, eine gelbe wohlriechende Frucht mit großem Stein. Eine Gummirebe brachte eine birnenförmige Frucht hervor, welche zwar einen köstlichen Geruch hatte, aber starke Uebelkeit hervorrief. Auch eine Frucht von der Größe eines Holzapfels von fadem süßen Geschmack half unser Leben erhalten. Dann gab es wilden Kastanien ähnliche Nüsse, welche die Zwerge sehr liebten, denen wir aber keinen großen Geschmack abgewinnen konnten. Außer den kirschenähnlichen Phryniumbeeren, deren Kerne fleißig gesucht wurden, gab es noch die blutrothe Frucht des Amomum, in deren Schale sich eine sauersüße Masse befand, sowie die Paradieskörner, die im Jahre 1815 zuerst in England eingeführt worden sind. Die Beeren des Rotangs wurden ebenfalls genossen, waren aber schwer zu verdauen. Auch Feigen wurden versucht, doch hatten dieselben nicht viel Verführerisches an sich, indeß fand alles, was dazu dienen konnte, den Hunger zu stillen und »den Magen zu täuschen«, Gnade vor unsern Augen. Sogar Kolanüsse wurden gegessen, wenn auch mehr des Ausspuckens wegen, als um die Verdauungsorgane zu befriedigen.

Zu den sonstigen Dingen, zu denen wir greifen mußten, zählten weiße Ameisen, Schnecken, jedoch nicht die Tigerschnecke, Wegschnecken, Krebse, Schildkröten, geröstete Feldratten und die Welsarten der Flüsse.

Die Hausthiere der Eingeborenen beschränkten sich hauptsächlich auf Ziegen von schöner Rasse und Hunde von der gewöhnlichsten Art, aber vielfarbig. Wir haben nur eine einzige Hauskatze gesehen, ein geflecktes, sehr zahmes Thier, das aber in einem Käfig gehalten wurde.

Es fiel mir als seltsam auf, daß während fast alle Madi von Fadenwürmern befallen wurden, welche sie zur Arbeit vollständig unbrauchbar machten, nicht ein einziger Sansibarite an denselben litt. Die Arznei der Madi gegen die Würmer bestand einfach in Oel oder Fett, das auf die entzündete Stelle gestrichen wurde und das Thier veranlaßte, sich aus dem Bein zurückzuziehen. Einmal hatten wir jedoch 15 Fälle von Ohrendrüsenbräune unter den Sansibariten, die aber kein weiteres Mittel anwandten, als daß sie die Geschwulst mit Mehl und Wasser einrieben. Zahlreiche Manjema, Eingeborene und Madi, welche nicht geimpft waren, fielen den Pocken zum Opfer, dagegen wurden nur 4 Sansibariten von der Krankheit betroffen; nur einer dieser Fälle verlief tödlich, während zwei der Kranken so wenig unwohl waren, daß sie nicht einmal von ihren Dienstleistungen befreit zu werden verlangten.

Was die Producte des Landes anlangt, so habe ich darüber in meinem Werke »Der Kongo und die Gründung des Kongostaates« so ausführlich geschrieben, daß ich nicht nöthig habe, hier noch etwas hinzuzufügen. Ich bemerke nur, daß wenn die Kongo-Eisenbahn erst fertig ist, die Producte des großen Waldes nicht die am wenigsten werthvollen Ausfuhrartikel des unabhängigen Kongostaates sein werden. Die Eingeborenen, von Jambuja an, werden leicht veranlaßt werden können, das Gummi zu sammeln, und wenn ein verständiger Europäer sie erst gelehrt hat, was die unzähligen Ranken, Schlinggewächse und Samenträger ihres Waldes hervorbringen können, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis andere Concurrenten an dem stillen Flusse vordringen und die andern Stämme auffordern, dem Beispiele der Baburu zu folgen.



 << zurück weiter >>