Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Emin Pascha, eine Studie.

Der Entsatz David Livingstone's im Vergleich zum Entsatze Emin Pascha's. – Skizzirung des Marsches der Expedition bis zur ersten Begegnung mit Emin. – Einige Punkte bezüglich Emin's, über die wir falsch unterrichtet waren. – Unsere hohe Meinung von Emin Pascha. – Loyalität der Truppen und Emin's außerordentliche Unentschlossenheit. – Ueberraschung, als wir bei der dritten Rückkehr nach dem Njansa finden, daß Emin Gefangener ist. – Was durch Beobachtung von etwas Offenheit und weniger Zurückhaltung auf seiten Emin's hätte vermieden werden können. – Emin's Tugenden und edles Streben. – Der Pascha von unserm Standpunkte aus beurtheilt. – Emin's Rang und Stellung in Chartum und seine allmähliche Beförderung bis zum Gouverneur von Aequatoria. – Gordon's Schwierigkeiten im Sudan. – Emin's Zuvorkommenheit und Nachsicht. – Emin seit 1883 auf seine eigenen Hülfsmittel angewiesen. – Emin's kleine Entdeckungen. – Richtigkeit der Aeußerung des Kaisers Hadrian über die Aegypter. – Geschichte der Kämpfe Emin's mit den Truppen des Mahdi von 1883-85. – Dr. Junker befördert Emin's Botschaften im Jahre 1886 nach Sansibar. – Kabba-Rega der erklärte Feind Emin's. – Die wirkliche Lage Emin's vor seiner Befreiung ein Beweis, daß eine gute Regierung unmöglich war. – Zwei Documente, das eine von Osman Digna, das andere von Omar Saleh, die ich durch den Sirdar Sir Francis Grenfell erhalten habe.

 

Nachdem wir tatsächlich Aequatoria den Rücken gekehrt haben und in Gesellschaft von Emin Pascha, Casati und einigen hundert Flüchtlingen auf dem Heimwege sind, möchte ich einen Rückblick auf die letzten Ereignisse werfen und den Versuch machen, die Ursachen derselben zu entdecken und festzustellen, in welchem Lichte der frühere Gouverneur uns in Wirklichkeit erscheint.

Als ich in noch sehr jungen Jahren den Auftrag zur Befreiung des Missionars David Livingstone erhielt, hatte ich keine ganz bestimmte Idee, was für eine Art Mann er sei. Die Zeitungen schilderten ihn als der höchsten Achtung der Christenwelt würdig, insgeheim flüsterte man seltsame Gerüchte über ihn. Eins davon war, daß er eine afrikanische Prinzessin geheirathet habe und ganz behaglich in Afrika wohne; ein anderes, daß er etwas von einem Misanthropen habe und Sorge tragen werde, daß ein Europäer, der sich etwa veranlaßt fühlen sollte ihn zu besuchen, ihm nicht gar zu nahe komme. Da ich also nicht wußte, was ich glauben sollte, ging ich mit neutralen Gefühlen zu ihm, auf die Gefahr hin, bei ihm anzustoßen; ich schied aber in Thränen von ihm. In seinem Falle hatten die Zeitungen recht gehabt.

In dem Falle Emin Pascha's beschrieben die Zeitungen auf Anregung von Reisenden, von denen man annahm, daß sie Emin kannten, diesen als einen Helden, einen zweiten Gordon, einen Mann von hoher, militärisch aussehender Statur und ernstem Wesen, der viele Wissenschaften aus Liebhaberei betriebe, der trotz des allgemeinen Unglücks, das über einem großen Theil des nördlichen Centralafrika schwebte, den Gleichmuth der Seele und die Ruhe des Gemüths sich bewahrt hatte und seine Leute und Angelegenheiten so gut regierte, daß er den Mahdi und seine wüthenden Horden in Schach halten konnte; er habe dessen Generale mehreremal geschlagen, dabei aber einen so schweren und verzweifelten Widerstand geleistet, daß seine Mittel fast erschöpft seien. Wie meine persönlichen Freunde, die in so hochherziger Weise das Geld für diese Expedition gezeichnet haben, erfüllte auch mich das Mitleid, wenn ich alles dies hörte, ebenso wie die Herzen solcher Männer, wie Stairs, Jephson, Nelson, Parke, Barttelot, Jameson und vieler hundert anderer, die sich eifrig um die Mitgliedschaft beworben haben. Junker sagte, seine Gefahr sei eine dringende; der Pascha müßte den gegen ihn andringenden überwältigenden Horden unterliegen, wenn er nicht bald Hülfe erhielte. Wir glaubten, daß dies wahr sein müsse. An Bord des Dampfers während unserer Herfahrt, während unserer Reise den Kongo aufwärts, im Lager von Jambuja, während des Vordringens durch die düstern Schatten des endlosen Waldes, bis wir am Rande des Plateaus standen, nein bis wir uns am Ufer des Njansa befanden, war die einzige Besorgniß, welche uns beseelte, die, daß wir ungeachtet aller Anstrengungen zu spät kommen möchten. Erst dann, als die Eingeborenen des Seeufers auf unsere eifrigen, dringenden Fragen behaupteten, sie wüßten nichts von einem Weißen oder einem Dampfer auf dem See, fühlten wir uns versucht, unsern Argwohn zu äußern, doch war es noch zu früh, darüber unwillig zu werden, da die von Sansibar über Land ausgesandten Boten Aufenthalt gehabt haben, der Dampfer bald nach Junker's Abreise gesunken und Emin Pascha nicht im Stande gewesen sein konnte, das Südwestende des Sees zu erreichen.

Nach einer Abwesenheit von fast vier Monaten waren wir wiederum am Ufer des Sees, und jetzt erwarteten uns dort Briefe von ihm. Er hatte zufällig durch ein Gerücht von unserer Ankunft erfahren und war, um die Wahrheit festzustellen, nach dem Südwestende des Sees hinabgedampft. Dies war nur neun Stunden von seiner südlichsten Station entfernt und es war sein erster Besuch. Die Wirkung desselben war ausgezeichnet, doch war es sehr schade, daß er dem mit so vielen Kosten ihm durch Boten von Sansibar übermittelten Ersuchen nicht nachgekommen war. Schon wegen der Zahl der gesparten Menschenleben wäre es besser gewesen; von den Strapazen und Leiden, welche wir während der vier Monate ertragen haben, wollen wir nicht reden, da wir uns zu denselben verpflichtet und gelobt hatten, das Aeußerste zu thun, was er verlangen und was unsere Mission bedingen würde. Noch sagten wir nichts.

Nach unserer Begegnung waren wir 26 Tage zusammen und entdeckten während dieser Zeit, daß wir in etlichen Punkten falsch unterrichtet gewesen seien. Der Pascha war keine hohe, militärische Figur und ebenso wenig war er ein Gordon, sondern er war einfach Emin Pascha mit einer nur ihm eigenthümlichen Größe. Er glich keinem, dem wir bisher begegnet waren, aber vielleicht einigen, von denen wir gelesen hatten.

Wir erfuhren nichts, was unsere hohe Auffassung von ihm positiv abschwächte; was wir sahen, war durchaus zu seinen Gunsten. Wir beobachteten einen anscheinend hohen Grad von Disciplin bei seinen Truppen, wir sahen die Dampfer und den bewunderungswürdigen Zustand derselben, glaubten Spuren eines starken civilisirenden und regierenden Einflusses zu bemerken, erhielten Proben von Zeug, welches seine Leute aus von ihnen selbst cultivirter Baumwolle hergestellt hatten, und bekamen einen reichen Vorrath von Branntwein, der aus gegorener Hirse destillirt war. Der Pascha war außerordentlich sauber an seiner Person, steif, präcis, dabei in seinem Wesen höflich, äußerst freundlich und liebenswürdig, in der Literatur bewandert, ein unterhaltender Gesellschafter, ein aufopferungsvoller Arzt, kurz durch und durch ein Gentleman, den jeder, der ihn kannte, bewundern mußte. Hätten wir uns zu dieser Zeit von ihm getrennt, wir würden einfach entzückt von ihm weggegangen sein. Nein, er war entschieden kein Gordon; er war in manchen Dingen sehr verschieden von diesem, wie z. B. in seiner Liebe zur Wissenschaft, seiner sorgfältigen Aufmerksamkeit auf Einzelheiten, seinen liberalen und wohlwollenden Ansichten von Menschen und Dingen, seinem hohen Wunsche, die Leute zu heben und im Praktischen und Nützlichen zu unterweisen, und seiner edlen Hoffnung auf das Land, welches den Schauplatz seiner Arbeiten bildete.

Aber während wir ihn bewunderten, hatten wir doch das Gefühl, daß etwas Unerklärliches an ihm sei. Er schickte einen Beamten und einen ägyptischen Lieutenant zu mir, um mit mir zu reden, und zu meinem Erstaunen schmähten dieselben ihn geradezu. Jedes Wort, das sie sprachen, ließ ihren Haß und unbeschreibliche Geringschätzung durchklingen.

Dann erzählte mir ein sudanesischer Hauptmann die Geschichte von einer Revolte des ersten Bataillons, welche kurz nach Dr. Junker's Abreise stattgefunden hatte. Emin floh aus der Nachbarschaft und ist diesen Soldaten nie wieder nahe gekommen. Aber das 650 Mann zählende zweite Bataillon sollte ihm treu sein, und ebenso auch die Irregulären, 3000 an der Zahl. Dieselben bildeten eine sehr respectable Macht, und solange das zweite Bataillon und die Irregulären ihm treu blieben, war auch seine Stellung noch fest.

Dann stellte er mir den Major und mehrere Hauptleute des zweiten Bataillons vor. Nach einer Weile sagte er zu dem Major: »Versprechen Sie mir nun in Gegenwart von Herrn Stanley, daß Sie mir die 40 Mann für diese kleine Station geben, welche er uns zu bauen räth.« Das ist seltsam, dachte ich, für einen Gouverneur, und soviel ich auch versuchte, den Vorfall wegen seiner Geringfügigkeit nicht zu beachten, er kehrte mir wegen seiner Seltsamkeit doch immer wieder ins Gedächtniß zurück. Er blieb mir aber, da es mir an einer offenen Mittheilung darüber fehlte, unerklärlich.

Ferner fiel es uns allen auf, daß das Benehmen des Paschas sich durch eine außerordentliche Unentschlossenheit kennzeichnete. Selbstverständlich hatte er, da wir nicht im Stande waren uns alles zu erklären, unzweifelhaft unsere Sympathien. Wir dachten nicht an das erste Bataillon; wenn aber das zweite Bataillon und die Irregulären ihm sämmtlich noch treu waren und bei ihrem Beschlusse, im Lande zu bleiben, beharrten, schien es uns doch, daß ein Herz von Stein dazu gehören müsse, um sie zu verlassen. Daß die wenigen Aegypter, welche rastlos Intriguen gegen ihn spannen, heimzukehren wünschten, war von keiner Bedeutung; der Pascha ließ uns sogar glauben, daß er sich über ihre Abreise freuen würde. Allein wenn die Mehrheit der Truppen treu war und Aequatoria Aegypten vorzog, und wenn er seine Thätigkeit liebte, wo war dann die Ursache seiner Unentschlossenheit?

Wenn Aegypten ihn los zu sein wünschte, was brauchte das ihn zu kümmern? Hier wurde ihm an Stelle von Aegypten das Anerbieten jährlicher Subsidien von 12 000 Pfd. St. und ein Gehalt von 1500 Pfd. St. geboten.

Oder wenn nur gegen Aegypten Einwand zu erheben und ein anderer Theil von Aequatoria unter dem Schutze Englands vorzuziehen war, dann hatte er hier den andern Vorschlag mit den noch größern Vortheilen einer regelmäßigen Verbindung und sichern Unterstützung.

Wenn Emin Pascha von den Truppen – dem zweiten Bataillon und den Irregulären – sprach, war er bezüglich ihrer Treue sehr zuversichtlich und behauptete stets bestimmt, sie würden ihm folgen, wenn er sich für den Dienst in Aequatoria unter englischer Oberhoheit entschiede. Er sagte auch, daß dies das am meisten verlockende Anerbieten sei. Nun, wenn man hört, daß die Truppen ihm treu sind und ihm überallhin folgen werden, und daß das Anerbieten ihm selbst angenehm ist – weshalb dann diese Unschlüssigkeit?

Wir waren gezwungen, die beschwerliche Reise nach Banalja zurück und auf dem Rückwege von Fort Bodo nach dem Ituri doppelte Märsche zu machen, und bei unserer drittmaligen Ankunft am Njansa nach einer Abwesenheit von 2½ Monaten fanden wir, daß der Gegenstand unserer Sorge Gefangener sei und alle die Truppen, welche er für treu gehalten und in die er ein so unbedingtes Vertrauen gesetzt hatte, Rebellen waren und ihn abgesetzt hatten. Diese Nachricht war ein schmerzlicher Schlag und eine traurige Ueberraschung für uns. War dieser Vorfall aber auch für ihn eine Ueberraschung gewesen?

Wenn wir seine Briefe durchblicken und sie in der Kenntniß dessen, was wir jetzt wissen, studiren, so leuchtet aus vielen derselben hervor, daß er Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten unter seinen Truppen andeutet, die wir aber, von seiner sanguinischen, optimistischen Natur verleitet, als gar zu leicht betrachteten. Die Leute in Europa waren der Ansicht, daß es sich nur um zeitweilige Ausbrüche der Unzufriedenheit handelte, und wir in Afrika wußten nur, daß das 1. Bataillon daran betheiligt sei. Dr. Junker war dies nicht einmal genügend wichtig erschienen, um es zu erwähnen; er hatte nur dem Zweifel Ausdruck verliehen, ob Emin sein Civilisationswerk aufgeben und sich zu einem unnützen Leben in Aegypten als Pascha außer Dienst herablassen würde; daher stammt der in dem Schreiben des Khedive angedeutete Zweifel: »Sie können die Escorte des Herrn Stanley benutzen, wenn es Ihnen beliebt; wenn Sie das ablehnen, bleiben Sie auf Ihre eigene Verantwortlichkeit in Afrika.« Allein kaum befindet sich Herr Jephson, der während unserer Abwesenheit dem Pascha Gesellschaft leistet, innerhalb der militärischen Kreise der Provinz, als es ihm auffällt, daß der Pascha uns über den wahren Stand der Dinge in Unwissenheit gelassen hat. Die Unzufriedenheit des Herrn Jephson erreicht ihren Höhepunkt, als er selbst Gefangener ist und Muße findet, um über die unglückliche Aussicht nachzudenken, als Sklave des Khalifen durch die Straßen von Chartum geführt zu werden, und meine eigene Unzufriedenheit wird verzeihlich, wenn ich unwiderlegliche Beweise habe, daß dies alles durch etwas mehr Offenheit und weniger Zurückhaltung von seiten des Paschas hätte vermieden werden können.

Denn hätte der Pascha mir mitgetheilt, daß er weder seine Truppen nach Aegypten führen, noch die ihm gebotenen Subsidien und das Gehalt annehme oder die Stellung unter den Auspicien Englands acceptiren könne, weil seine Truppen schon längst jeden Gehorsam aufgegeben hätten und chronisch untreu geworden seien, und daß er sich in Wirklichkeit nicht auf eine einzige Compagnie verlassen dürfte, dann würde man vielleicht etwas anderes haben vorschlagen können. Es wäre wol keine sehr schwierige Aufgabe gewesen, jede einzelne Station anzugreifen und eine nach der andern in eine heilsame Furcht vor der Regierung zu versetzen. Es bedurfte dazu nur der Festigkeit und Entschlossenheit auf seiten des Paschas. Hätten wir bei Mswa angefangen, so würden wir dort 60 Soldaten unter Führung von Schukri Aga gefunden haben, der sich bisjetzt noch nicht an einer unloyalen Handlung betheiligt hat. Diese 60 Soldaten würden wir mit unsern 300 Mann auf dem Dampfer eingeschifft haben, worauf wir alsdann Tunguru hätten angreifen können. Die Station wäre in einer halben Stunde abgethan, die Ungehorsamen hätten erschossen sein können, wir wären mit dem Prestige der Autorität und des Sieges weiter marschirt, Wadelai wäre ohne den Verlust eines Mannes, mit Ausnahme der Rädelsführer gefallen, und die andern Stationen würden, wenn sie von diesen aufeinanderfolgenden Maßregeln hörten, so erschreckt gewesen sein, daß überall von nichts Weiterm als der Capitulation die Rede gewesen sein würde. Da an dem einen Ende der Linie von Stationen die Truppen des Mahdi sich befanden und vom andern Ende her eine entschlossene Colonne vorrückte, würde den Rebellen nichts weiter übriggeblieben sein, als sich der einen oder der andern zu ergeben.

Aber angenommen, wir hätten ein solches Verfahren eingeschlagen, welchen Vortheil – so darf man wol fragen – würde das gehabt haben? Emin Pascha ist wieder in seine Macht eingesetzt und wir müssen nothwendigerweise heimkehren. Was dann? In einigen Monaten ist er wieder in derselben schrecklichen Noth wegen Mangels an Hülfsquellen, es werden neue 30 000 Pfd. St. gesammelt, es wird eine neue Expedition ausgesandt, und das wiederholt sich von Jahr zu Jahr mit ungeheuern Kosten an Menschenleben und enormen Opfern, denn das Land ist so weit von der See und von vielen kriegerischen Völkern und sonstigen Nachtheilen umgeben, daß wenn der Boden selbst aus Silberstaub bestände, der Transport sich kaum bezahlt machen würde. Und dennoch wäre es, wenn Emin Pascha den Wunsch ausgesprochen hätte, ein solches Unternehmen auszuführen, und fest bei seinem Entschlusse geblieben wäre, uns nicht zugekommen, die Weisheit seines Beschlusses anzuzweifeln, sondern wir hatten ihm mit gutem Willen unsern Beistand und unsere Hülfe zu leihen.

War es ein Irrthum seitens des Paschas oder hatte er die Absicht, uns irrezuleiten? Ich glaube ein Irrthum, veranlaßt durch seinen außerordentlichen Optimismus und sein bereitwilliges Vertrauen auf den äußern Schein und affectirten Gehorsam. Selbst die verschlagenen Aegypter waren in höchstem Maße von dem Gefühl ihrer Macht durchdrungen infolge der Leichtigkeit, mit welcher sie durch scheinbare willfährige Reue Verzeihung für Vergehen erlangten. Ist das zu schroff ausgedrückt? Dann möchte ich in deutlichen Worten aussprechen, daß seine Gutmüthigkeit meiner Ansicht nach nur zu bereit zum Vergeben war, wenn seine übertriebene Selbstachtung befriedigt wurde. Die schlauen Leute wußten, daß sie nur ihrem Kummer und ihrer Sorge Ausdruck zu geben brauchten, um ihn zu erweichen, und nur seine Hände zu küssen hatten, um ihn alles Unrecht vergessen zu machen. Es wurde daher zu wenig bestraft und zu viel vergeben. Seine Liebenswürdigkeit war äußerst empfindlich und zart, und die Aegypter beuteten sie soviel wie möglich aus. Der Wekil hatte alle Ursache, sie zu segnen; Auasch Effendi, Major im zweiten Bataillon, schlug in einem Briefe, den der Pascha, wie ich glaube, noch jetzt besitzt, den Rebellen vor, ihn an Stelle Emin's zum Mudir zu machen, und doch hat der Pascha ihm niemals einen Vorwurf daraus gemacht. Afra Effendi erklärte das Schreiben des Khedive für eine Fälschung, und doch ist nie ein Verweis über die Lippen des Paschas gekommen, und Afra ist wohlbehalten an die See geleitet worden.

Die Tugenden und edlen Bestrebungen, wegen welcher wir den Mann in strengster Gerechtigkeit loben müssen, sind ebenso groß und rühmlich für ihn, wie diejenigen, welche wir ihm nicht zusprechen können. Jeder Mensch, der um des Guten willen danach strebt, das was in ihm liegt, zu thun, um die süße Anerkennung des Gewissens zu verdienen, wird mit einer glücklichen Gleichgültigkeit gegen alles übrige gewappnet; darin liegt das Verdienst des Paschas und sie war es, welche uns seine Gesellschaft so angenehm machte, als die Nothwendigkeit gewaltsamen Handelns aufhörte ihn zu ärgern. Wir haben von seinem Charakter mehr durch sein Wesen als durch Worte erfahren. Das melancholische Kopfschütteln, das Heben der Hand, der ruhige, gemessene Ernst der Züge, das Aufschlagen der Augen und das unbedeutende Achselzucken schienen uns zu sagen: »Was nützt das? Ihr seht, ich bin resignirt. Ich bin ein Feind von Gewaltthätigkeit, unterlaßt sie. Weshalb sie zwingen? Sie sollten sicherlich während dieser vielen Jahre gesehen haben, daß ich nur ihr Bestes will. Wenn sie mich nicht wollen, soll ich mich und meine Ideen ihnen dann gegen ihren Willen aufdrängen?« So viel gab er zwar niemals zu, doch stand es uns frei, uns die Symptome nach unserer Auffassung zu erklären.

Wahrscheinlich haben die Thatsache, daß er sich beständig und liebevoll gewissen die Erweiterung der Wissenschaft bezweckenden Beschäftigungen widmet, und sein geschwächtes Augenlicht ihn untauglich gemacht zur Ausübung der ernstern Pflichten, welche, wie es uns schien, die Verhältnisse seines Wirkungskreises erheischten. Allein man kann es ihm nicht zum Vorwurf machen, daß er wissenschaftliche Studien mehr liebte, als die Regierungspflichten, oder daß sein Geschmack ihn den Werth des Titels eines Doctor Medicinae höher schätzen ließen als den Rang eines Paschas, oder daß er sich der Gefahr aussetzte, durch den grauen Staar das Augenlicht ganz zu verlieren. Wenn er ein Buch 5 cm vor seinen Augen halten mußte, um lesen zu können, war es ihm physisch unmöglich, einem Menschen die Stimmung aus dem Gesichte abzulesen und zu beurtheilen, ob dessen Blick Zorn sprühte oder Treue widerspiegelte.

Welche Ansicht wir aber auch darüber gehabt haben mögen, was hätte geschehen müssen, jedenfalls haben wir stets hohe Achtung vor ihm gehabt. Man kann nicht umhin, ihn zu bewundern, wenn man sieht, wie er in einem Augenblicke, wo sein eigenes Schicksal auf schwankender Wage liegt, jede Gelegenheit benutzt, um seinen Vorrath von Seemuscheln und tropischen Pflanzen zu vermehren, wie er eifrig um den Besitz eines seltenen Vogels ohne Rücksicht auf dessen Farbe und Schönheit sich bemüht, und mit demselben Interesse eine neue Rattenart prüft, wie er die Messungen eines Menschenschädels vornimmt. Wenn ihm ein großer Abendfalter, ein seltener Käfer oder ein Typhlops (Blödaugenschlange) gebracht wird, vergißt er sofort das Kriegsgericht, welches das Urtheil über ihn abgeben soll, und es scheint ihm vollständig gleichgültig zu sein, ob er von seinen Soldaten erschossen oder auf sein Feldbett geschnallt als Beute dem Khalifen von Chartum zugeführt werden soll. Wenn man alles dies hört und ihn zu verstehen beginnt, wird man, mag man sich auch über diese seltsamen Grillen der menschlichen Natur wundern, doch sich bewußt, daß der Mann jedes Opfers unsererseits würdig ist.

Wir können nicht mit Gewalt vorgehen, um ihn vor sich selbst zu retten, und ihn ohne seine Erlaubniß nicht rauh aus seinem Traum erwecken. Seine Stellung verbietet dies und unser Auftrag verlangt es nicht. Für uns ist er nur der erhoffte geehrte Gast, bei dem Roheit nicht angebracht ist. Ohne sein Verlangen nach Hülfe sind wir hülflos.

Von unserm Gesichtspunkte aus erscheint der Pascha ruhig und heiter, umgeben von streitenden Rebellen und dennoch anscheinend ohne Ahnung von der Atmosphäre von Treulosigkeit, in der er lebt, zum mindesten mehr zum Resigniren als zum Widerstande geneigt. Wir fühlen, daß wir an seiner Stelle rasch jedes Complot gegen uns zu Schanden machen würden, und sind überzeugt, daß nur ein kurzer entschlossener Kampf nöthig wäre, um Freiheit und Gewalt wiederzugewinnen. Betrachten wir ihn aber, wie er den kriechenden Gehorsam seiner treulosen Anhänger und Truppen für Ehrerbietung hält, und sehen wir ihn von Verrätherei und Betrug umstrickt, und dabei doch so leichtgläubig, daß er alles für Ergebenheit hält, dann werden wir staunen vor Ueberraschung und können uns nur verwundert und fragend anblicken. Denn es war ein Unglück für uns, daß wir, gleichviel was wir sagten, ihm keine Spur von unserer Ueberzeugung beibringen konnten, daß seine Lage hoffnungslos sei und seine Leute ihn vollständig verlassen hätten. Wir konnten ihm nicht sagen, daß seine Truppen ihn verächtlich als »Vogelsammler« betrachteten, daß sie glaubten, er nähme mehr Interesse an Käfern als an Menschen, daß sie ihm nur äußerlich Ehrfurcht bezeigten, weil sie meinten, daß ihm das angenehm sei und ihn befriedige. Wir konnten ihm alles das nicht sagen, obwol Nelson, der die Täuschung haßt, ihm gern in offenen derben Worten erklärt hätte, seine Ansichten seien falsch, Parke ihm das Vertrauen zu denselben zu nehmen gesucht, Jephson mit ihm argumentirt und Stairs ihm offene Beweise geliefert hätte. So oft diese energischen jungen Leute aber aus reiner Freundschaft und aus Mitleid ihn zu warnen versuchten, war der Pascha sofort bereit, die Vergehen seiner Offiziere zu mildern, ihre Böswilligkeit zu entschuldigen und dadurch die Bemühungen seiner Freunde zu entmuthigen. Was jeder von ihnen nach der Rückkehr von einer dieser nutzlosen Unterhaltungen fühlte, bleibt besser ungeschrieben.

Er pflegte zu sagen: »Ich kenne meine Leute aber besser, als Sie dieselben zu kennen im Stande sind. Ich bin seit 13 Jahren mit ihnen bekannt, Sie jedoch nur ebenso viele Wochen.«

Wir unterdrückten, im geheimen kochend, die Erwiderung, die wir ihm gern gegeben hätten, denn er war noch der Pascha! Wir hätten ihm sagen können: »Ja, Pascha, aber Sie nehmen, wie Sie wissen, mehr Interesse an Insekten als an Menschen; Sie interessiren sich für die Anatomie des Menschen, wir für die Seele. Sie kennen seinen Schädel, wir aber fühlen den Pulsschlag und sind überzeugt, daß Ihr Vertrauen zu diesen Leuten übel angebracht ist und das Uebermaß des Vertrauens zur Thorheit wird.«

Und doch lag in seinem inbrünstigen Vertrauen zu ihrer imaginären Treue, in der Wärme seines Wesens ein gewisser Adel, der uns vom Argumentiren zurückhielt. Sein unermüdliches Vertrauen war nicht überzeugend, aber es vergrößerte unsere Hochachtung vor ihm, und vielleicht flößte es uns auch die Hoffnung ein, daß doch noch, wenn auch für uns nicht sichtbar, etwas Gutes darin liege.

Man darf diese Charakterzüge einer vertrauensvollen, liebenden Natur, wie die Emin Pascha's, nicht mit kecker Oberflächlichkeit behandeln. Er ist, wie schon gesagt, ein außerordentlich liebenswürdiger Mann, der, wäre es auch nur des Vergnügens wegen, das seine Gesellschaft uns manchmal gewährt hat, verdient, daß das, was man von ihm sagt, mindestens mit Wohlwollen gesagt wird. Für die hohen, wenn auch unmöglichen Hoffnungen, mit denen er sich trug, und den eifrigen Fleiß, mit dem er sie zu verwirklichen sich bemühte, verdient er die größte Ehre und Hochachtung.

Wenn man nur den Zufall, der ihn nach Chartum brachte, den Rang und die Stellung, die er dort einnahm, die Art und Weise, wie er vom Arzt und Lagerverwalter in Ladó zum Gouverneur der afrikanischen Aequatorialprovinz emporstieg, erwägt, braucht man sich nicht zu wundern, daß seine Natur und Neigungen unverändert geblieben sind. Die Geschichte von Gordon's Schwierigkeiten im Sudan ist noch nie geschrieben worden und wird auch nicht geschrieben werden; Gordon ist ein Mann, den allzu genau zu untersuchen und zu definiren die Engländer nicht geneigt sind. Sonst möchte ich wol wissen, weshalb er so wenig englische Offiziere bei sich hatte, und entdecken, weshalb diejenigen, denen die Gelegenheit, mit ihm zu arbeiten, geboten war, ihren Aufenthalt im Sudan nicht verlängern wollten. Nach meinen eigenen Schwierigkeiten am Kongo bin ich geneigt zu glauben, daß die seinigen groß, vielleicht noch größer gewesen sind, und daß es nicht die geringste derselben war, gute, geeignete, brauchbare und willige Männer zu finden. In Emin Pascha trifft er einen Mann, der, ein Deutscher und ein Doctor der Medicin, fleißig, höflich, bereitwillig und zuvorkommend ist. Wäre Emin mir am Kongo begegnet, diese Eigenschaften würden ihn mir Werth gemacht haben, ebenso wie sie von Gordon gewürdigt sein müssen. Solche Eigenschaften sind viel seltener, als Zeitungsredacteure wol glauben. Von 300 Beamten am Kongo kann ich nur zehn aufzählen, welche sie besaßen und die auf ein einfaches Ersuchen mit gutem Willen sich ihrer Pflichten annahmen und sie zur Ausführung brachten. Wieviel hatte Gordon? Emin war einer der besten und treuesten.

Nun, Emin liebte die Botanik, Ornithologie und Entomologie, beschäftigte sich mit Geologie, machte sich Notizen über Ethnologie und Meteorologie, füllte ein Buch nach dem andern mit seinen Beobachtungen und vernachlässigte zugleich auch seine Correspondenz nicht. Ich weiß, mit welcher Höflichkeit er an den Generalgouverneur zu schreiben pflegte, und kann mir denken, mit welchem Vergnügen letzterer diese präcisen, sorgfältigen, methodischen und höflichen Briefe empfing. Infolge dessen wird Emin in seiner afrikanischen Carriere rasch befördert, jetzt vom Lagerverwalter zum Stationschef, dann zum Gesandten nach Uganda, darauf, nachdem er einen Secretärposten abgelehnt hat, zum Gesandten des Vicekönigs Gordon bei dem listigen, verschlagenen Kabba-Rega, und schließlich zum Gouverneur von Aequatoria.

Während dieser Beförderungen beweist Emin, daß er Ehrgeiz besitzt. Er braucht Samen für seine Felder, wendet sich deshalb an Gordon und erhält die Antwort: »Ich brauche Sie nicht als Gärtner, ich habe Sie zum Regieren hingeschickt. Wenn Sie keine Lust dazu haben, dann kommen Sie zurück.« Ein stolzer junger Engländer würde ihn beim Worte genommen haben, den Nil hinabgefahren und sich im Aerger von Gordon getrennt haben. Emin sandte eine Entschuldigung und schrieb: »Sehr wohl, mein Herr.« Später bat Emin um einen photographischen Apparat und bekam zur Antwort: »Ich habe Sie als Gouverneur, nicht als Photograph nach den Aequatorialprovinzen gesandt.« Emin erwidert darauf: »Sehr wohl, mein Herr, ich danke Ihnen. Ich werde meine Pflicht thun.« Auch belästigt er den Generalgouverneur nicht mit Beschwerden, daß er seine Posten und die ihm zugesandten Proviantvorräthe nie rechtzeitig erhalte. Welch werthvoller Mann war dies! Er bewies Rücksicht und Geduld, und Gordon würdigte das.

Allmählich entstanden Schwierigkeiten. Nach dem Jahre 1883 ist er auf seine eigenen Hülfsquellen angewiesen. Die Leute gehorchen dem Gouverneur mechanisch, es werden Stationen erbaut und man sieht einen ruhigen Fortschritt. Die Leute wissen noch nicht, wie bald jener Cromwell in Chartum vielleicht den Nil nach Ladó hinauffahren und den Zustand der Dinge mit eigenen Augen erfassen wird. Emin Bey, ihr Gouverneur, ist ein sehr milder Herrscher, der andere in Chartum hat die Gewohnheit, Meuterer zu erschießen. Deshalb verhalten sie sich ruhig, obwol viele Arabisten und Anhänger des neuen Propheten, des Mahdi, unter den Truppen Emin's sind. Dann aber taucht die Nachricht auf, daß Chartum gefallen, Gordon erschlagen und alle Gewalt und die strenge Regierung zu Boden geworfen seien, und nun kommt die Umwälzung, die Revolte des ersten Bataillons, die Flucht Emin's zu seinen treuern Irregulären und dem zweiten Bataillon und schließlich die allgemeine Auflösung der Regierung. Emin's Neigungen und Natur bleiben aber unverändert.

Ueber einige Dinge habe ich mich jedoch bei Emin gewundert. Ich habe bereits bemerkt, daß er in ernstlichster, fleißigster Weise Untersuchungen an Pflanzen, Insekten und Vögeln, über Sitten und Gebräuche anstellte und daß er für geographische Forschungen gut ausgerüstet war, aber ich fand es doch etwas befremdlich, daß er den Albert-See noch nicht erforscht hatte. Er besaß zwei Dampfer und zwei Boote, eine Station am nordwestlichen Ende des Sees, Tunguru, und eine andere in der Mitte des Westufers, Mswa, und dennoch hatte er niemals das südliche Ende des Njansa besucht, den dortigen Zufluß erforscht, den See von Nord nach Süd und Ost nach West ausgepeilt und war auch nicht nach dem Ituri gekommen, obwol dieser nur zwei gute Tagemärsche von Mswa entfernt war. Hätte er dies gethan, so würde er vermuthlich die schneebedeckte Kette gesehen und für uns in diesem District wenig zu entdecken übriggelassen haben. Er war in den Geschäften seiner Provinz in dem Monbuttu-Lande gewesen, wo er ungeheuere Schätze von Elfenbein aufgehäuft hatte; er hatte seine Soldaten bis zur Grenze des Turkan-Gebietes gesandt; er war zweimal in Uganda und einmal in Unjoro gewesen, aber er hatte niemals den Bord seines Dampfers betreten, um das Südende des Sees zu besuchen, bis er im März 1888 dorthin kam, um wegen der Richtigkeit eines Gerüchtes von unserer Ankunft Erkundigungen einzuziehen, worauf er sofort wieder nach seinen Stationen zurückgedampft war.

Kaiser Hadrian schrieb von den Aegyptern, er habe sie »frivol, unzuverlässig, bei dem unbedeutendsten Gerüchte aufflatternd« gefunden, sie seien »die aufrührerischste, reizbarste und verbrecherischste Rasse der Welt«.

Hätte er anders schreiben können, wenn er während unsers langwierigen Aufenthalts in Kavalli in unserm Lager gewesen wäre? Der aufrührerische Charakter, welchen sie uns zeigten, zwang uns, diese Schilderung als völlig der Wahrheit entsprechend zu unterschreiben. »Frivol!« Wir haben es zu unserm Schaden erfahren, daß sie es sind. »Unzuverlässig!« Gab es je so treulose Menschen wie diese? »Bei dem unbedeutendsten Gerücht aufflatternd!« Wie der Erdboden die Fliegen, so brütete unser Lager Gerüchte aus; es waren ihrer so viele, wie zirpende Vögel in einer Volière, die geringste Kleinigkeit ließ sie wie die junge Brut unter dem Muttervogel aufflattern. Bei jeder Post aus Wadelai liefen sie von einem Kreise zum andern, von Hütte zu Hütte, vom Höchsten bis zum Niedrigsten und gackerten dabei wie ebenso viele Hennen. »Aufrührerisch!« »Hoch Arabi!« »Es lebe der Mahdi!« »Hurrah für Fadl el Mulla Bey!« »Mehr Macht für den Ellenbogen des Selim Bey Mator!« und »Nieder mit allen Regierungen!« Und so haben sie sich als eine reizbare, frivole, unzuverlässige und verbrecherische Rasse bewiesen, welche eines Regiments durch strenge Gewalt, nicht aber durch Gefühl und Liebe bedarf.

Als sie jedoch durch den Fall von Chartum und den Tod des Generalgouverneurs von der Furcht vor der ihnen gebührenden Strafe und dem zwingenden Arm des Gesetzes befreit waren und bemerkten, daß ihre Isolirung von Aegypten ihnen Spielraum gab, ihrer eitlen Einbildung zu folgen, dauerte es nicht mehr lange, bis sie ihren wahren Charakter enthüllten und gegen jeden Schein von Regierung revoltirten. Der Pascha konnte von Glück sagen, daß das gute Ansehen, welches er in der Erinnerung der Soldaten besaß, gegen die Excesse sprach, zu denen ihre zügellosen Führer geneigt waren und die gewöhnlich dem Sturz der Regierung folgen.

Das waren die in der Verstellung geübten, in der Täuschung erfahrenen und im Laster groß gewordenen Leute, welche dieser sanftmüthige Mann und wissenschaftliche Forscher mehrere Jahre allein regiert hat, ehe eine Empörung unter ihnen stattfand. Während dieses Theils seiner Laufbahn als Gouverneur der Aequatorialprovinz kann ihm nur uneingeschränktes Lob zutheil werden. Die Truppen waren noch nicht alle von der im Norden herrschenden Manie ergriffen, jede Spur von Autorität zu vernichten.

Im Norden, Westen und Osten sammelten sich die Mahdisten, die jedes Entkommen auf dem Nil verhinderten und alle Verbindungen mit Chartum abschnitten. Am 7. Mai 1883 trat das erste Unglück ein. Auf der Station El-del werden 70 Soldaten niedergemacht, welche zur Verstärkung der belagerten Garnison hingeschickt sind, die dann ebenfalls gänzlich vernichtet wird. Am 27. Februar 1884 theilt Lupton, der Gouverneur der Provinz Bahr-el-Ghasal, Emin mit, daß der Rest seiner Unterthanen rebellirt hätte, und am 28. des folgenden Monats erhält er die Nachricht von der Vernichtung der Armee des Generals Hicks. Am 8. April wird ihm die Meldung überbracht, daß die Stämme der Waddiafen, Eljat, Eofen, Euknah, Kanel und Fakam sich in offener Empörung befinden, und am 30. Mai erfährt er durch den Gouverneur Lupton Bey, daß der Mahdi nur sechs Stunden Marsch von seinem Hauptquartier stehe und ihn aufgefordert habe, seine Regierung und Provinz zu übergeben; er rathe ihm, sofort Schritte zu seiner Vertheidigung zu ergreifen. Vier Tage später schreibt ihm Keremallah, der inzwischen von dem Mahdi an seiner Stelle zum Gouverneur von Aequatoria ernannt worden ist, er solle seine Provinz ihm ausliefern. Lupton Bey war inzwischen bereits besiegt. Eine aus sechs Offizieren bestehende Commission kam nach eingehender Erörterung dieser ernsten Angelegenheit zu dem Schlusse, daß Emin keine andere Wahl bliebe, als sich zu ergeben. Um Zeit zu gewinnen, erklärte er sich bereit, ihrem Beschlusse Folge zu leisten, und schickte den Richter der Provinz mit einigen andern Offizieren hin, um jenen seine Bereitwilligkeit, sich zu ergeben, mitzutheilen. Mehrere der Offiziere theilten mir mit, Emin sei allein für das dem Mahdi gemachte Anerbieten, die Provinz zu übergeben, verantwortlich. Er hat sicherlich das Document unterzeichnet; allein ich bin geneigt zu glauben, daß er es nur gethan hat, um Keremallah zu täuschen; sein späteres Verfahren scheint das zu bestätigen.

Allein nach der Abreise der Commission machte er sich ans Werk, die seiner Obhut anvertrauten Stationen zu befestigen und sich für den Widerstand gegen den gerade von der Eroberung des Bahr-el-Ghasal kommenden Keremallah vorzubereiten. Er concentrirte die Truppen von den untergeordnetern Orten in der Umgegend der Station Amadi, befestigte diesen Platz gegen den erwarteten Angriff des stolzen Feldherrn und sammelte auch in seinem Hauptquartier eine beträchtliche Truppenmacht. Zu dieser kritischen Zeit war er im Stande, diejenigen, welche am stärksten auf die Unterwerfung unter den Mahdi drangen, auszurotten, die Treuen von den Ungetreuen zu trennen, und er erließ strenge Befehle, daß die Verräther keine Gnade bei ihm erhalten würden, wenn er sie in Verbindung mit dem Feinde fände. Die Stationen Arbik, Ajak und Wafi wurden geräumt und die Besatzungen in Amadi gesammelt. Im nächsten Monat fanden Kämpfe statt. Einige der Hauptstationen wurden so gut vertheidigt, daß die Mahdisten wiederholt Verluste an Häuptlingen und Soldaten erlitten, obwol viele der Regierungsoffiziere schmachvoll ihre Posten verlassen haben und in die Dienste Keremallah's getreten sind, allein am 27. Februar 1885, einen Monat nach dem Falle Chartums, hat der Feind Amadi von allen Seiten umzingelt und es beginnt eine lebhafte Belagerung. Am 1. April wird Emin der nach außerordentlichen Anstrengungen erfolgte Fall von Amadi mit großem Verlust an Menschenleben, Munition, Geschützen, Handwaffen und Raketen gemeldet. Als er von dem Unglück hört, trifft er Maßregeln, um die Truppen der Provinz längs des Nils zu concentriren und gründet, um sich eine Verbindung mit Aegypten über Sansibar zu sichern, die Stationen Kiri, Beddén und Redjaf; aus den Soldaten, welche aus den vielen Scharmützeln und Kämpfen in den Jahren 1883 und 1884 bis zum April 1885 mit dem Leben davongekommen sind, bildet er acht Compagnien von je 80 Mann, welche er das erste Bataillon nennt und unter den Befehl des Majors Rihan Aga Ibrahim stellt. Am 1. Juni ist, nachdem die vorliegenden kleinen Stationen geräumt sind, eine genügende Zahl von Offizieren gesammelt, um ein zweites Bataillon unter dem Befehl des Majors Auasch Effendi Montasir zu bilden, welcher das Commando über die südlichen Stationen erhält. In dem Schreiben Emin's vom 1. September 1885 an die ägyptische Regierung findet man gegen den Schluß die erste Andeutung bezüglich einer Unzufriedenheit mit dem Major des ersten Bataillons. Emin schreibt:

»Das zweite, was dieser Major gethan hat, ist, daß er 200 Soldaten abgeschickt hat, als es schon zu spät und alles zu Ende war. Er hat dies aus Mangel an Entschlossenheit gethan, und ohne mich um Erlaubniß zu fragen, denn wenn die Rebellen anfänglich vor der Eroberung der Geschütze und Munition schon so stark waren, wieviel mehr waren sie es nachher. Aber solcher Ungehorsam ist diesen Menschen zur Natur geworden u. s. w. Allein mit der Hülfe unsers gütigen, großen Gottes, unter dem Einfluß unserer Regierung und durch den Namen unsers erhabenen Herrschers Sr. Hoheit des Khedive sind wir bis zu diesem Tage im Stande gewesen, die Ehre der Flagge unserer Regierung zu behaupten.«

Ja, die Ehre der ägyptischen Flagge ist aufrecht erhalten worden nach Vergießen von »Strömen von Blut«, Entfaltung edler Beherztheit, unerschütterlichen Muthes und kluger fabischer Leitung, welche den Feind entmuthigten und die eigenen Truppen anregten; Emin ist im Stande gewesen, seine Truppen in gut umzäunten und befestigten Stationen unterzubringen, sodaß der Kampf in die Länge gezogen werden kann, bis er die Wünsche Sr. Hoheit des Khedive erfahren und seine Klagen via Sansibar dem Ohre Europas vortragen kann. Die Geschichte dieses wackern Kampfes ist es, welche meine und die Theilnahme meiner Gefährten gewonnen und uns veranlaßt hat, durch eine Hinterthür in Afrika rasch einzudringen, um ihm die helfende Hand zu bieten, erforderlichenfalls um ihn zu befreien oder ihm die nothwendigen Mittel zur Vertheidigung zu überbringen.

Im April 1885 erfährt er von »dem armen Sklaven Gottes, Mohammed el Mahdi, dem Sohn des Abdallah«, aus einem Briefe an dessen Freund und Gouverneur Keremallah, den Sohn des Scheichs Mohammed, dem Gott gewähre u. s. w., von dem Tode »jenes Feindes Gottes – Gordon«, von dem Angriff auf Chartum und der Eroberung der Stadt, sowie daß der ganze Sudan von Ladó bis zum Katarakt von Abu Hammed sich in den Händen der Mahdisten befindet und daß keine Hoffnung auf von Norden her zu erwartenden Entsatz vorhanden ist. Er prüft seine Aussichten und die Lage nach Süden, Osten und Westen. Im Osten sind Kabba-Rega, der König von Unjoro, und die ihm tributpflichtigen Häuptlinge. Zu ihm sendet er Kapitän Casati als seinen Vertreter oder Gesandten. Kabba-Rega befolgt die Politik, freundlich gegen den Gouverneur zu sein, den er in frühem Jahren als einen Offizier des thätigen Vicekönigs in Chartum gekannt hat, und ist gastfrei und liebenswürdig gegen ihn. Er kennt die wunderbaren Veränderungen, welche in dieser Region Afrikas eingetreten sind, noch nicht und weiß nichts von dem Ruin, welcher die stolze Regierung betroffen hat, die ihm die Gesetze dictirt hat. Sein afrikanischer Kopf ist zu dick, um die Bedeutung der neuen Bewegung gerade vor seinem Gebiet zu erfassen, und er nimmt daher in der Besorgniß, das Misfallen des Gouverneurs zu erregen, Kapitän Casati großmüthig und unter Entfaltung der weitestgehenden Gastfreundschaft auf. Aber allmählich treffen Deserteure, schlaue Aegypter und verrätherische Sudanesen mit ihren Waffen und Munition bei ihm ein, und nach und nach entdeckt er die Bedeutung des wüthenden Kampfes und beginnt zu begreifen, daß die von ihm gefürchtete Regierung ein Wrack ist.

Am 2. Januar 1886 fährt Dr. Junker über den Albert-See nach Kibiro, einem Hafen von Unjoro. Er befindet sich nach jahrelangen Reisen im Monbuttu-Lande und im Becken des Uëlle auf der Heimreise. Es gelingt ihm Uganda zu erreichen, wo es ihm wegen seiner Armuth gestattet wird, sich mit einem Missionsboote nach Usambiro, am Südende des Victoria-Sees, zu begeben, von wo er mit Briefen Emin's nach Sansibar reist. Durch diesen Reisenden erfahren wir zuerst die wirkliche Gefahr, in welcher der Pascha sich befindet, und die ihm drohende Noth.

Kabba-Rega wartet inzwischen geduldig, wie ein hoffender Erbe; er weiß, daß er schließlich gewinnen muß, und wartet es von Tag zu Tag und von Woche zu Woche ab. Er affectirt Großmuth gegen den Gouverneur, gestattet, daß seine Briefe zwischen Sansibar und Aequatoria durch sein Gebiet hin- und herpassiren, behandelt den Gesandten mit gehöriger Zuvorkommenheit und ist scheinbar ein so fester Freund, daß Emin »nichts als herzliche Lobsprüche für Kabba-Rega« hat. Allein gegen den 13. Februar 1888 erwacht. Kabba-Rega. Er hört, daß eine Expedition sich in der Nähe des Njansa befindet, die Uebertreibung der Eingeborenen vergrößert ihre Mittel und Stärke. Etwa an demselben Tage, als die Entsatz-Expedition an den Gewässern des Njansa nach Spuren von der Anwesenheit eines Weißen in dieser Gegend auf- und absucht, wird Kapitän Casati ergriffen, sein Haus ausgeplündert, er selbst mit allen Zeichen der Schmach und fast nackt vertrieben, und von diesem Augenblicke an ist Kabba-Rega ein erklärter Feind, der seine Feindschaft zunächst mit dem Blute Mohammed Biri's, eines vertrauten Boten zwischen Emin und der Kirchenmissionsstation in Uganda, besiegelt.

Nach Westen hin liegt ein großer, breiter weißer Fleck, der sich von Emin's Provinz bis zum Kongo ausdehnt, und von dem absolut nichts bekannt ist. Nach Süden hin befindet sich eine Gegend, welche auf der Karte mit derselben weißen Leere bezeichnet ist; mag er mit Leuten, welche der Aufgabe, sich einen Weg durchzuhauen, durchaus nicht gewachsen sind und das Unbekannte fürchten, sich wenden, wohin er will, es bleibt ihm keine andere Wahl, als die Wirkungen der Enthüllungen Junker's und seiner eigenen Mittheilungen abzuwarten.

Inzwischen ist er aber nicht müßig. Durch die Niederlage der Rebellen und Mahdisten in Makraka hat er einen Waffenstillstand erzwungen und wird infolge dessen von Keremallah in Ruhe gelassen. Er hat südlich von Wadelai Tunguru und Mswa angelegt, und obwol das erste Bataillon längst seine Autorität abgeschüttelt hat, erkennen das zweite Bataillon und die eingeborenen Irregulären nach ihrer Weise seine Regierung noch an. Er beaufsichtigt den Ackerbau, das Pflanzen, Cultiviren und die Verarbeitung von Baumwolle, reist zwischen den Stationen hin und her, schließt Freundschaft mit den umwohnenden Stämmen und hält durch seinen Takt den Schein einer guten Regierung aufrecht.

Einiges vermag er aber nicht zu thun. Er kann das bereits geschehene Schlimme nicht ungeschehen machen, die schlechten Neigungen seiner Leute nicht ausrotten und ebenso wenig nur durch Ausübung von Mäßigung und Gerechtigkeit die durch die Revolution im Sudan erregten bösen Leidenschaften besänftigen. Er vermag die Stunde der Empörung nur hinauszuschieben, denn seinem Einfluß allein stehen die vereinigten Bemühungen der Offiziere des ersten Bataillons und der über die ganze Länge der Provinz zerstreuten ägyptischen Beamten gegenüber, welche durch ihre hinterlistigen Rathschläge die Wirkung einer jeden Maßregel des Paschas in das gerade Gegentheil des Beabsichtigten verwandeln und alle seine Bemühungen lähmen. Er kann durch den Ausdruck seines Willens nicht ein neues System für den Verkehr mit den Eingeborenen einführen. Das im ganzen Sudan gebräuchliche System besteht darin, daß von den Eingeborenen allerhand Contributionen an Rindern, Schafen, Getreide oder Dienstboten erhoben werden, oder daß man, wenn Mangel herrscht, mit Waffengewalt von den Eingeborenen nimmt, was man bedarf. Und dieser Bedarf ist leider unersättlich; er ist unbegrenzt. Die Offiziere können nicht auf eine gewisse Zahl beschränkt werden; jeder hat, außer seinen Concubinen, drei oder vier Frauen, welche Dienstboten für ihren Haushalt gebrauchen. Der Haushalt von Fadl el Mulla Bey bedarf 100 Sklaven – Männer, Frauen, Knaben und Mädchen. Auch die Soldaten brauchen Frauen, und diese müssen ebenfalls Dienstboten haben, und mit dem Heranwachsen der Knaben zu Männern entstehen neue Bedürfnisse, welche die Eingeborenen mit ihren Frauen und Kindern beiderlei Geschlechts befriedigen müssen.

Das erste Bataillon zählt 650 Mannschaften und Offiziere, das zweite ebenso viel. Dann gibt es etwa 3000 Mann Irreguläre und eine kleine Armee von Schreibern, Lagerverwaltern, Handwerkern, Maschinisten, Kapitänen und Matrosen. Alle diese Leute müssen von den Eingeborenen mit Weibern und Concubinen versehen und gefüttert werden, geben aber als Gegenleistung nichts. Wir hören, daß auf einem Beutezuge 8000 Rinder fortgenommen wurden; der Pascha gab zu, daß 1600 Stiere und Kühe die größte während seiner Regierung erreichte Zahl sei. Allein diese Beutezüge wiederholen sich oft, jede Station braucht ihre eigene Heerde, und es gibt 14 Stationen. Schukri Aga, der Commandant von Mswa, war unermüdlich auf solchen Beutezügen. Selbstverständlich fand der Pascha diesen Zustand der Dinge in der Provinz vor; es war eine althergebrachte Sitte, aber eine Sitte, welche mit dem ganzen Gewicht der fürchterlichen Unterdrückung auf den Eingeborenen lastete und die einzuschränken er nicht die Macht hatte, da er durch das Vordringen Keremallah's und die wie eine Epidemie in dem Herzen seiner eigenen Unterthanen wüthende Krankheit der Rebellion gehindert ward. Wir begreifen aber, weshalb die Eingeborenen, welche so lange unter ägyptischer Regierung gestanden hatten, das Erscheinen der Mahdisten mit Freuden begrüßten und sich mit ihnen vereinigten, um die von Panik erfüllten Flüchtlinge aus den eroberten Forts der Provinz zu vernichten. Sobald der Kongostaat seine Pflichten gegen seine Unterthanen vergißt und Gewaltthätigkeit und Freibeuterei gutheißt, dann können wir überzeugt sein, daß sein Fall ebenso plötzlich und bestimmt eintreten wird wie derjenige der ägyptischen Regierung im Sudan.

Es liegt mir nicht ob, die Geschichte dieser unglücklichen Gegend zu schreiben, die seit Jahren eine Beute der niedrigsten Leidenschaften, deren die menschliche Natur fähig ist, gewesen ist; ich bin jedoch durch die Schilderung dessen, was ich persönlich kennen gelernt habe, im Stande, den Leser für die wirkliche Lage Emin Pascha's zu interessiren.

Dieser einsame Mann war mit einer ebenso unmöglichen Aufgabe beschäftigt, wie Gordon unternahm, als er im Jahre 1884 nach Chartum aufbrach, um die Garnisonen des Sudan zu befreien. Er hat tapfere Thaten vollbracht, das Tapferste in seiner Geschichte ist aber, daß dieser es so ernstlich meinende Mann unter diesen verworfenen Leuten lebt und zulassen muß, daß seine Unterthanen beraubt und ausgeplündert werden, wenn irgendein Offizier Mangel fürchtet und deshalb einen Beutezug zu unternehmen beschließt. Er weiß genau, was geschehen wird, weiß, daß allgemeines Schießen und Plündern stattfinden, daß Dörfer zerstört und die Bewohner decimirt, daß mit den eroberten Heerden auch lange Züge gefangener Frauen und Kinder mitgebracht und als Beute vertheilt werden, und dennoch darf er diese grausamen, hartherzigen Vorgänge nicht durchkreuzen. Wie kann er es auch? Er besitzt keine Stoffe oder Gelder, um Lebensmittel zu kaufen. Welche Antwort kann er ihnen auf ihre Frage geben, was sie thun sollen, um zu leben? Obwol der Erdboden dankbar ist und die Arbeit bezahlt macht, nützt es ihm nichts, sie darauf hinzuweisen. Sie pflanzen Baumwolle, um sich bekleiden zu können, und pflegen die Gärten der Küchengemüse wegen, weil die Eingeborenen das nicht verstehen; aber das Getreide zum Brot und die Rinder zum Fleisch müssen diese den über ihnen stehenden Leuten liefern. Emin ist der einzige Mensch, der diese Handlungsweise als ein Unrecht betrachtet, aber da er die Menschen nicht zwingen kann, anders zu denken, so muß er auch dieses Uebel zulassen, wie er so viele andere erträgt. Eine gute Regierung war daher unmöglich. Sie wurde vom ersten Anfang an auf Blut und Raub gegründet, und wie der allen Regierungen vor ihr, die mit ähnlichen Absichten geschaffen wurden, war es infolge dessen bestimmt, daß sie vollständig untergehen mußte.

Als passenden Schluß zu diesem Kapitel füge ich noch die nachstehenden Documente an, welche ich von dem Sirdar von Aegypten, Sir Francis Grenfell, erhalten habe. Wer die Wirkungen auf die Ursachen zurückzuverfolgen liebt, wird in diesen Schriftstücken den Beweis finden, daß die Rebellenoffiziere einen verbrecherischen Verkehr mit dem Feinde unterhalten haben. Die Documente erklären, was ich behauptet habe. Sie beweisen unzweifelhaft, daß, als die Offiziere zum Pascha nach Tunguru gingen, seine Verzeihung erflehten, ihn in seine Macht wieder einzusetzen versprachen und ihn baten, sie bei mir einzuführen, sie nur die Ausführung des schändlichen Planes bezweckten, uns verrätherischerweise den Händen der Mahdisten zu überantworten. Dank Herrn Jephson, der ein »sich Notizen machender junger Bursche« war, und der Plumpheit ihres Vorgehens hatte Omar Saleh nicht die Genugthuung, jenen andern zu Emin gekommenen Reisenden zu fangen, wie er so sehr wünschte, und zur Ausstellung nach Chartum zu schicken – was er möglicherweise mehr bedauert als ich.

Schreiben Osman Digna's an den Generalgouverneur in Suakin.

 

Im Namen des Großen Gottes etc.

Dies Schreiben ist von Osman Digna an den Christen, welcher Gouverneur von Suakin ist. Lassen Sie mich Ihnen mittheilen, daß Rundle vor einiger Zeit mir einen Brief gesandt hat, in welchem er mich nach dem Manne fragt, der Gouverneur der Aequatorialprovinzen war. Nachdem der genannte Brief in unsere Hände gelangt war, schickte ich ihn sofort an den Khalifen, mit welchem Frieden sei etc. Der Khalif hat mir die Antwort gesandt und mir mitgetheilt, daß der genannte Gouverneur des Aequators in unsere Hände gefallen und jetzt ein Anhänger des Mahdi sei. Der Khalif hat Dampfer unter Führung eines unserer Anführer Namens Omar Saleh nach dem Aequator gesandt. Dieselben erreichten Ladó und fanden bei ihrer Ankunft, daß die Truppen des genannten Gouverneurs, bestehend aus Militärmannschaften und Offizieren, den Gouverneur nebst einem bei ihm befindlichen Reisenden ergriffen hatten. Sie legten sie in Eisen und überlieferten sie den Händen unsers Anführers. Jetzt ist die ganze Provinz in unsern Händen und die Bewohner haben sich dem Mahdi unterworfen. Wir haben die Waffen und Munition, die dort waren, erobert; wir haben auch die Offiziere und die obersten Beamten dem Khalifen gebracht, der sie freundlich empfing. Sie sind jetzt bei ihm und haben ihm alle ihre Banner übergeben.

Wenn daher Rundle zu wissen wünscht, was aus diesem Gouverneur geworden ist, theilen Sie ihm diese Botschaft mit.

 

Ich füge die Abschrift eines Briefes bei, welchen unser Anführer am Aequator an den Khalifen gesandt hat, sowie eine Copie desjenigen, den Tewfik an den genannten Gouverneur geschickt hat.

 

Auch schicke ich Ihnen zwei Dutzend der von dem Aequator mitgebrachten Patronen. Ich preise Gott für die Niederlage und die Vernichtung der Ungläubigen.

(Mit Insiegel.)

 

Die erwähnten Patronen waren Snider-Munition, gezeichnet 1869, und in sehr gutem Zustande. Diesem Briefe waren zwei Schreiben beigegeben; das erste derselben wurde von Sr. Excellenz dem Sirdar als dasjenige wiedererkannt, welches Se. Hoheit der Khedive Herrn Stanley bei dessen Abreise von Kairo überreicht hatte.

Das zweite ist ein Brief Omar Saleh's an den Khalifen, datirt vom 15. October 1888, und lautet wie folgt:

 

Wir fuhren mit den Dampfern und der Armee weiter und erreichten die Stadt Ladó, wo Emin, der Mudir des Aequators, sich aufhielt, am 5. Safar 1306 (10. October 1888). Wir müssen den Offizieren und Mannschaften, welche diese Eroberung leicht gemacht haben, danken, denn sie haben Emin und einen Reisenden, der bei ihm lebte, ergriffen und beide in Ketten gelegt, nachdem sie sich geweigert hatten, mit den Türken nach Aegypten zu gehen.

Tewfik hat einen der Reisenden an Emin gesandt sein Name ist Herr Stanley. Dieser Herr Stanley brachte einen Brief von Tewfik an Emin, datirt vom 8. Gamad Awal (dem Datum des Schreiben des Khedive) mit, in welchem Tewfik ihm sagt, er solle mit Herrn Stanley kommen und dem Rest der Truppen die Wahl lassen, ob sie mit ihm gehen oder bleiben wollten, ganz nach ihrem Belieben.

Die Truppen wiesen den türkischen Befehl zurück und nahmen uns mit Freuden auf. Ich habe eine große Menge Elfenbein und Federn gefunden. Ich schicke mit diesem Brief die Offiziere und den Oberbeamten auf dem »Borden«, der von Mohammed Cheir befehligt wird. Ferner sende ich auch einen Brief, der von Tewfik an Emin gerichtet ist, sowie die Banner, welche wir den Türken abgenommen haben.

Wie ich gehört habe, ist noch ein anderer Reisender da, der zu Emin gekommen ist. Ich passe auf ihn auf und werde ihn sicher fangen, wenn er zurückkommt.

Alle Häuptlinge, sowie auch die Bewohner der Provinz sind erfreut, uns zu sehen. Ich habe alle Waffen und Munition erobert. Wenn Sie die Offiziere und den Oberbeamten gesprochen und ihnen die nothwendigsten Instructionen gegeben haben, dann schicken Sie sie gefälligst zurück, da sie mir von großem Nutzen sein werden.

Richtige Abschrift.
Departement des Krieges, 15.I. 1890.

T. R. Wingate.
Kaim.



 << zurück weiter >>