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Dreißigstes Kapitel.
Der Ruwenzori oder Wolkenkönig.

Neuere Reisende, welche die Kette nicht gesehen haben. – Die klassische Geschichte der Kette. – Die Gebirgskette im Jahre 1887 vom Berge Pisgah aus von uns gesehen. – Die Zwillingskegel und der schneebedeckte Berg, im Jahre 1888 und im Januar 1889 von uns gesehen. – Beschreibung der Kette. – Das Semliki-Thal. – Eine ziemlich zutreffende Beschreibung der Form des Ruwenzori. – Der Hauptabfluß aus den Schneeregionen. – Die üppige, fruchtbare Gegend des Awamba-Waldes oder Semliki-Thals. – Schutz vor den Winden. – Seltsame Neuheiten in Pflanzen im Awamba-Walde. – Die Ebenen zwischen Mtsora und Muhamba. – Veränderung des Klimas und der Vegetation bei Annäherung an den südlichen Fuß des Ruwenzori. – Gemüthsbewegungen beim Anblick des Ruwenzori. – Der Grund, weshalb so viel Schnee auf dem Ruwenzori zurückgehalten wird. – Abwärtsbewegung der Schneefelder und großen Trümmerhaufen. – Kurze Blicke auf den stolzen Regenerzeuger oder Wolkenkönig. – Die Eindrücke der himmelhohen Grate und schneebedeckten Firne des Ruwenzori auf uns.

 

Nach den Geschichten aus den alten Zeiten wollen wir jetzt die Ruwenzori-Kette schildern, wie wir sie gesehen haben. Ruwenzori ist der moderne afrikanische Name bei den Hauptstämmen der Seenregion für das Gebirge, welches die classischen und europäischen Geographen Montes Lunae oder Mons Lune, die arabischen Compilatoren von Reisebeschreibungen Djebel Kumr, Gumr oder Kammar – das Mondgebirge – nannten. Es sind mehrere Jahrhunderte verflossen, seitdem das Gebirge zuletzt von jemand gesehen worden ist, der im Stande war, einen verständlichen Bericht über seine Reisen zu veröffentlichen, und es werden Jahre vergehen, ehe ein englisch sprechender Reisender es wieder erblickt. Die Nilroute ist auf lange Zeit hinaus geschlossen; die Vorhut der Manjema breitet sich bereits an der Westseite wie eine lange Plänklerlinie aus, vernichtet und erschlägt alles auf dem Marsche nach Osten und Norden und macht es sehr zweifelhaft, ob eine von Westen kommende Expedition Subsistenzmittel finden würde; die Wildheit und große Zahl der Warasura und der verrätherische Charakter der Wanjoro lassen es als gewiß erscheinen, daß nur eine mächtige Truppe im Stande sein wird, durch Toro zu passiren; und die wechselnden Ereignisse, von denen aus Uganda verlautet und die Uddu und Ankori beeinflussen, regen Zweifel an, ob die südöstliche Route, trotz Uganda, ausführbar wäre, während die östliche ebenfalls ernste Schwierigkeiten bietet. Aus diesem sowie aus andern Gründen, wie z. B. daß so viele Reisende der Neuzeit – Sir Samuel und Lady Baker, Gessi Pascha, Mason Bey im Jahre 1877, unsere eigene Expedition im Jahre 1887 und Emin Pascha im Jahre 1888 – nicht gesehen haben, was sie hätten sehen sollen, ist es sehr nothwendig, eine etwas detaillirtere Beschreibung von dieser Bergkette zu geben.

Es ist eine ganz geheimnißvolle Thatsache, daß Sir Samuel Baker den Ruwenzori nicht gesehen hat, da derselbe von der Stelle, die er erreicht hat, so gut hätte sichtbar sein müssen, wie die St. Paul's Kirche in London von der Westminster-Brücke; ebenso würde jeder, der um den Albert-See herumdampft, wie Gessi Pascha und Mason Bey dies gethan haben, sich gut in Sicht der schneebedeckten Berge befunden haben, vorausgesetzt, daß sie nicht von dichten Wolken und tiefen Nebelschichten verhüllt waren, hinter denen die große Gebirgskette an 300 Tagen des Jahres ihre kolossale Krone zu verschleiern pflegt.

Die classische Geschichte der Gebirgskette, die Fabeln, welche um dieselbe ihr Netz gewoben haben, ihre Beziehungen zum lieben alten Nil, zum ehrwürdigen Nil, dem Nil der Pharaonen, Joseph's, Moses' und der Propheten; die Thatsache, daß sie die Stelle, wo so viele Quellen des Nils entspringen, daß sie der Schöpfer des »Sees der Dunkelheit«, des Albert-Edward-Sees ist, aus dessen Schoße der Semliki-Nil nach Westen und der kleine Kafur nach Osten treten, um einerseits den Albert-, andererseits den Victoria-Nil zu speisen; der Umstand, daß der Ruwenzori gerade der Berg ist, vor dessen Schrein, wenn man den Dichtern Glauben schenken darf, Alexander und Cäsar die Götter anbeten wollten; sein seltenes Hervortreten aus den pechschwarzen Wolken; sein plötzliches, geheimnißvolles Erscheinen auf einem großen Theile jenes »unbegrenzten« Sees eines Reisenden der Neuzeit; sein seltsamer Name, das so oft vergeblich gesuchte Mondgebirge, seine großartige Massenerscheinung, seine Zerklüftung und ungeheuere Höhe – alles dies zusammen macht es außerdem erklärlich, weshalb das Gebirge mehr als einer kurzen Erwähnung bedarf. Wer wird den Eindruck vergessen, den man erhält, wenn man das Berner Oberland zum ersten mal erblickt? Sowol die Entdeckung als auch das Schauspiel waren einzig in ihrer Art während meiner 22jährigen Reisen in Afrika, und die vollständig unerwartete Erscheinung des Berges, sowie sein interessanter Charakter und seine Geschichte gemahnen mich, ihn so genau wie möglich zu schildern und mit einigen Einzelheiten das zu beschreiben, was wir gesehen haben.

Als wir im December des Jahres 1887 uns dem Albert-See näherten, erhielten wir vom Pisgah einen Blick auf eine lange Bergkette, welche bis zu den Gipfeln hinauf bewaldet war, nach unserer Schätzung eine Höhe von 2100-2450 m hatte und sich von Südost nach Süden ausdehnte. Bei der Rückkehr vom See in demselben Monat traten plötzlich zwei ungeheuere abgestumpfte Kegel in Sicht, welche 185½° peilten und nach unserer Ansicht 3050-3650 m hoch sein mochten. Wir nannten sie die Zwillingskegel und hielten sie für bemerkenswerthe Wahrzeichen, da ihr Anblick uns auf den Gedanken brachte, daß in ihrer Nachbarschaft oder zwischen ihnen und dem Gordon-Bennett-Berg ein interessantes Land zu finden sein müsse.

Als wir im April 1888 zum zweiten mal nach dem Njansa zurückkehrten, waren die Zwillingskegel nicht sichtbar, aber siehe da! am 25. Mai 1888, als wir kaum einen zweistündigen Marsch von dem Strande des Sees entfernt waren, zeigte sich uns ein ungeheuerer Schneeberg, der 215° auf dem Kompaß peilte, in der Mitte wie eine fast viereckig aufsteigende, vollständig mit Schnee bedeckte Masse von gegen 50 km Länge aussah und zwischen zwei über 1500 m niedrigem großen Ketten lag, die sich auf beiden Seiten etwa 50 km weit ausdehnten. An diesem Tage war der Berg stundenlang sichtbar, dagegen blieb er, nachdem wir an den nächsten Tagen das Hochland überschritten hatten, den Blicken entschwunden und es war keine Spur von den Zwillingskegeln oder dem schneebedeckten Gipfel mehr zu sehen.

Bei unserer dritten Rückkehr nach dem Njansa im Januar 1889 und während unsers langen, 2½monatlichen Aufenthalts in Kavalli war das Gebirge nicht zu entdecken, bis die Kette plötzlich, als wir wie gewöhnlich die Augen nach der Richtung, wo sie hätte zu sehen sein sollen, schweifen ließen, in ihrer ganzen Länge aus den dunkeln Wolken hervortrat und über tausend Paare aufmerksamer Augen erfreute, die den Blick auf das seltsame, großartige Schauspiel gerichtet hatten.

Der obere Theil der Kette, die jetzt deutlich in zahlreiche Pics mit viereckigen Kuppen getheilt war, schien in eine Leere von wunderbarer Klarheit, in den dunkelblauen, hellen und reinen Himmel wie ein Krystall aufzusteigen, und ein breiter Gürtel aus milchweißem Nebel, welcher die Mitte verhüllte, gab ihm Aehnlichkeit mit einem in der Luft schwebenden geisterhaften Inselberg, eine Verwirklichung des Traumes von der Insel der Seligen. Als die Sonne im Westen herabsank, trieb der Nebel fort, die schwimmende Erscheinung vereinigte sich mit den niedrigern Bergregionen und die scharf hervortretenden Umrisse und gröbern Einzelheiten waren mit den Feldstechern leicht zu erkennen. Obwol wir uns über 120 km entfernt befanden, konnten wir sogar hochgelegene Waldsäume und die buschartigen Baumgruppen sehen, welche die breiten Rücken, die schlanken Spitzen und die über jähen Tiefen hängenden thurmartigen Felsen bedeckten; ja, wir waren sogar der einstimmigen Ansicht, daß die Farbe der in den Sonnenstrahlen erglänzenden kahlen Felskuppen, die sich scharf von dem dahinterliegenden Blau abhoben, rothbraun war. Wir bemerkten, daß die uns zugewendete Seite merkwürdig steil und unzugänglich war und daß, wenngleich die Schneefelder nur kleine Flecken zu sein schienen, viele federartige Strecken bis tief unter den Scheitel eines kahlen Gebirgsrückens hinabreichten, welcher zwischen der mittlern Kette und den 18 km von uns entfernten Balegga-Hügeln lag, über deren Gipfeln noch gegen 100 km weiter entfernt der Ruwenzori hoch und großartig aufstieg.

Man wird daher begreifen, daß eine durchsichtige Luft in dieser Gegend sehr selten ist und der Ruwenzori, wenn wir uns ebenso kurze Zeit aufgehalten hätten, wie andere Reisende, noch länger unbekannt geblieben sein würde.

Als wir während des Monats Mai 1889 längs der westlichen Seite von Masamboni's Gebiet und der Balegga-Berge südwärts vordrangen, war die große Schneekette fast täglich in Sicht, nicht in ihrer Gesammtheit, sondern in Stücken und Theilen, hier ein Pic, dort ein Felsengrat; zuweilen war ein unbestimmtes Bild der Spitzen zu sehen, manchmal traten nur die untern Partien hervor. Entweder glänzte der Schnee weiß aus einem dunkeln Wolkenrahmen hervor, oder die Abhänge des Gebirges tauchten düster wie die Nacht gleich Regen und Sturm verkündenden Gewitterwolken auf. In seltenen Augenblicken trat das Ganze mit scharf geschnittenen klaren Umrissen, die zur Feststellung unserer zukünftigen Route von großem Nutzen für uns waren, vor das Auge.

Und dennoch verstanden wir während der ganzen Zeit kaum den Charakter des Gebirges, vielmehr erhielten wir ein Verständniß und einen Begriff von demselben erst, als wir den Semliki überschritten und einen großen Theil des in der Treibhausluft des Semliki-Thals gedeihenden dichten hohen Waldes passirt hatten.

Die meisten Leser in Europa werden den Charakter des Semliki-Thals und der dasselbe begrenzenden Ketten verstehen, wenn ich sage, daß seine durchschnittliche Breite etwa der Entfernung zwischen Dover und Calais gleichkommt und in der Länge ungefähr die Distanz zwischen Dover und Plymouth oder zwischen Dünkirchen und St.-Malo in Frankreich bedeckt. Für die englische Seite haben wir hier die Balegga-Berge und ein wellenförmiges circa 920-1050 m über dem Thal liegendes Hochland; an der entgegengesetzten Seite befinden sich Höhen von 920-4725 m über dem Thal. Nun nimmt der Ruwenzori ungefähr 145 km der östlichen Gebirgslinie ein und streckt sich wie eine ungeheuere uneinnehmbare Bastion einer Festung vor, welche im Nordosten die Annäherung auf dem Albert-Njansa und im Semliki-Thal und an der Südseite das Becken des Albert-Edward-Sees beherrscht. Einem an Bord eines auf dem Albert-See südwärts fahrenden Dampfers befindlichen Passagier würde diese große Bastion an einem klaren Tage als von Osten nach Westen laufend erscheinen, während sie für einen von Süden kommenden Reisenden so aussehen würde, als ob sie jede Durchfahrt nach Norden verhindere. Wer sie von Balegga oder dem westlichen Plateau anblickt, erhält den Eindruck, als ob das langsam aufsteigende Tafelland von Unjoro nur das Glacis der Gebirgskette sei. Die Westseite derselben scheint so steil zu sein, daß sie vollständig unzugänglich ist, und die Südseite sieht aus wie eine Reihe von Querriegeln und Rücken, die hintereinander nach dem Albert-Edward-See zu abfallen, während die östliche Seite einen zerklüfteten und zerrissenen Anblick bietet, kleinere aus der Kette hervorragende Bastionen besitzt und durch isolirte vorliegende Forts, wie der Gordon-Bennett-Berg, von 4270-4570 m, und der Mackinnon-Berg, von ähnlicher Höhe, noch weiter vertheidigt wird. Dies würde eine ziemlich genaue Beschreibung der Gestalt des Ruwenzori sein.

Der Hauptwasserablauf von der Schneekette findet nach Westen in den Semliki-Fluß und nach Süden in den Albert-Edward-See statt. Der in den Victoria-See fließende Katonga und der dem Victoria-Nil zuströmende Kafur werden von der Ostseite des Ruwenzori gespeist, und der sich in den Albert-See ergießende Mississi entspringt direct auf dem nördlichen Ende des Gebirges.

Während unsers Marsches nach Süden durch das Semliki-Thal und längs der Küsten des Albert-Edward-Sees zählte ich 62 Flüsse, welche allein vom Ruwenzori herabkamen und von denen die wichtigern der Rami, Rubutu, Singiri, Ramilulu, Butahu, Rusirubi und Ruimi, die sich in den Semliki ergossen, und Ruverahi, Njamagasani, Unjamwambi, Rukoki, Nsongi und Rusango waren, welche in den Albert-Edward-See mündeten.

Mit Hülfe einer Siedebestimmung stellten wir die Höhe des obern Sees auf 1008 m und diejenige des Albert-Sees auf 716 m über dem Meeresspiegel fest, sodaß also der Niveauunterschied auf einer Strecke von etwa 240 km Flußlänge 292 m war. Der Semliki muß daher auf seinem Laufe von einem See zum andern außer der starken Strömung und den von uns beobachteten Stromschnellen noch eine weitere erhebliche Zahl von großen Katarakten haben.

Das Semliki-Thal zeichnet sich durch seine Treibhausatmosphäre nur auf einer Strecke von ungefähr 60 km aus. Derjenige Theil, welcher der Gewalt der vom Albert-See kommenden Stürme ausgesetzt ist, scheint nur einen kümmerlichen Boden zu haben, da das Wachsthum dort nur aus scharfem Gras, welches die Rinder nicht fressen wollen, und dünnen Akazienwäldern besteht; dagegen befindet sich zwischen dieser den Einwirkungen des Sees ausgesetzten Gegend und dem obern Ende ein so reicher und fruchtbarer Boden, wie man seinesgleichen in dem ganzen Wald kaum findet. Die Eingeborenen haben diese Thatsache längst entdeckt und sich in einer Menge kleiner Stämme hier gesammelt, um den dichten Wald auszuroden und Bananen und Paradiesfeigen zu pflanzen. Man kann kaum einen Kilometer weit nach irgendeiner Richtung gehen, ohne üppige, schwer mit Früchten beladene Bananenhaine zu treffen. Einen solchen Ueberfluß an Lebensmitteln findet man in keinem andern Theile von Afrika, nicht einmal in Uganda; zehn solche Colonnen wie die von mir geführte, hätten hier im Ueberfluß schwelgen können. Die Paradiesfeigen hatten in reifem Zustande eine Länge von 20-30 cm und waren so dick wie der Unterarm eines gewöhnlichen Menschen.

Wir brauchten 16 Tage, um diese reiche Waldregion zu passiren, welche im allgemeinen Awamba nach dem gleichnamigen Stamme genannt wird, und während dieser Zeit hatten wir zehn verschiedene Regengüsse, von denen einige über neun Stunden dauerten. Der Donner rollte täglich. Als wir aus dem Walde herauskamen und an dem grasbewachsenen Fuß der Kette etwa 100 m über dem Thale den Weg fortsetzten, bemerkten wir, daß ersterer sich ununterbrochen weithin ausdehnte, mit Ausnahme der Stellen, wo die zahlreichen Bananenpflanzungen waren. Seitlich vom Wege bezeichnten Vertiefungen die Wasserläufe, doch fanden wir nur wenige Erhöhungen von irgendwelcher Bedeutung. Ueber dem Ganzen lagerte der träge Nebel in breiten, unregelmäßigen Schichten, die sich dann und wann zu einer einzigen Masse vereinigten, welche uns, die wir von oben darauf hinabblickten, wie ein umgekehrter Himmel erschien. Für uns war der Nebel sehr unangenehm, weil wir neugierig auf den Rundblick waren und die Welt, in welcher wir uns befanden, kennen zu lernen dringend wünschten; andererseits ließ er uns aber den Grund erkennen, weshalb diese Gegend so besonders fruchtbar und der Ruwenzori so spröde war. In diesen Theil der Thals vermochte wegen der Ausdehnung und großen Höhe des Ruwenzori aus keiner Richtung des Kompasses der Wind einzudringen, um die Hitze zu kühlen, die Dünste fortzutreiben und die Luft aufzuklären. Der große Berg fing jede Brise von Ost bis herum nach Süd auf und verhinderte, daß die ewigen Ausdünstungen des Thals in der genannten Richtung fortgeführt wurden, verdichtete sie aber, wenn sie die höhern kalten Luftschichten erreichten, und vertheilte sie wieder in reichlichen Regenschauern. Von Nord bis West verhinderte die nördliche Gebirgskette den freien Durchzug der Winde und trug dazu bei, die für das Wachsthum der wunderbaren Vegetation erforderliche gleichmäßige Hitze im Thale zu erhalten. In jedem Lager in dieser Gegend hing der Rauch wie ein Mantel über unsern Köpfen, sodaß uns die Augen schmerzten und wir halb erstickten. In einem solchen natürlichen Treibhaus, wie das unter seinen eigenen warmen Ausdünstungen vergrabene Semliki-Thal, gedeiht die Vegetation, die jedes erforderliche günstige Element für Wachsthum und Ernährung findet, selbstverständlich in wunderbarer Ueppigkeit. Wo der Humus tief liegt, findet man hohen stattlichen Wald mit undurchdringlichem Unterholz von jungen Bäumen, die durch unzählige Schlinggewächse und kräftige Schmarotzerpflanzen miteinander verbunden und oft vollständig von ihnen bedeckt sind; wo die Humusschicht, wie um Fuß der Gebirgskette dünner ist, gedeiht üppiges dichtes undurchdringliches Rispengras von 3-4½ m Höhe. Jeder Baumstamm ist mit weichem grünen Moos bekleidet, von dem der Thau herabtropft, und jeder Baumfarrn und horizontale Ast hat seine Orchideen oder Pflanzen mit breiten, elefantenohrförmigen Blättern. Jeder Felsen ist mit Baumflechten bedeckt, und selbst die kleinste Vertiefung in demselben ist mit einer Menge tropischer Pflanzen gefüllt, die jeden Zoll des Bodens einnehmen und überall wachsen; kurz mit Ausnahme der senkrecht aufsteigenden Seiten erst kürzlich abwärtsgewanderter Felsstücke gedeiht das Pflanzenthum in jeder Art des Grüns, der Form und des Charakters.

siehe Bildunterschrift

Der Ruwenzori, der Albert-Edward-See und der Albert-See aus der Vogelschau.

Etwa einen Tag, bevor wir endgültig aus der Waldregion herauskamen, wurden wir noch weiter darauf aufmerksam gemacht, welche seltsamen neuen Pflanzenarten ein natürliches Treibhaus hervorzubringen vermag. Zwischen Mtarega und Ulegga erstaunten wir über den ungeheuern Umfang der wilden Bananenbäume, von denen einige etwa 60 cm über dem Erdboden einen Durchmesser von über 45 cm hatten; die Wedel sammelten sich am Kopfe des Stammes wie zu einem künstlichen Bouquet, breiteten sich dann aber in der Länge von 3 m und der Breite von 60 cm aus, bildeten anmuthige Bogen und gewährten sehr erfrischenden Schatten; die Blätter lagen kreisförmig um die Blüten, die wie große Rosetten mit herabhängenden Quasten aussahen. Die Höhe, bis zu welcher die wilden Bananen am Gebirge hinauf wuchsen, schien unbeschränkt zu sein, obwol wir bemerkten, daß ihre Zahl auf den Abhängen über 2500 m Höhe geringer wurde. Die Baumfarrn, welche die Höhe von 9 m über dem Erdboden erreichten, traten in einer Reihe von schmalen Hainen längs der feuchten Vertiefungen und an den Ufern der kleinen Flüsse auf, während in der Nachbarschaft eine Unmasse von kleinern Farrn der mannichfaltigsten Art wuchsen, als ob sie ihre Verwandtschaft zu den Riesen des Farrngeschlechts beweisen wollten. Alsdann erregte der Rotang, der von einem Baum zum andern reichte und denselben mit festem Griff erkletterte, unsere Aufmerksamkeit. In der Umgebung der Baumfarrnhaine waren die Bäume wirkliche Riesen, auf ihren Aesten wuchsen zahllose Orchideen, die horizontalliegenden Zweige waren mit elefantenohrförmigen Baumflechten bedeckt und jeder Baum mit von Thau perlendem und übermäßiger Feuchtigkeit durchzogenem weichen grünen Moos bekleidet.

Obwol die Waldregion endet, sobald man nach Ulegga kommt, ist das Land zwischen dort und Mtsora von den Eingeborenen doch derartig bebaut worden, daß man erst in dem letztgenannten Orte die volle Ueberzeugung gewinnt, eine neue Gegend erreicht zu haben. Nach Westnordwest blickend sieht man den Anfang einer braunen, grasbewachsenen Ebene, das genaue Ebenbild derjenigen, welche sich am südlichen Ende des Albert-Sees ausdehnt. Dem Aussehen nach ist sie flach, als ob der ebene Grund des Sees soeben erst dem Blicke sich gezeigt hätte, und dem Anschein nach bleibt sie so bis zum Albert-Edward-Njansa.

Zwischen Mtsora und Muhamba marschirten wir dem Rande der niedrigen Ebene oder des alten Bettes des nördlichen Theils des südlichen Njansa entlang, jedoch begannen wir bald nach dem Verlassen des letzten Dorfes an den Bergen hinaufzusteigen, um den Umweg längs der Ebene um das Vorgebirge von Sangwe-Mirembe zu vermeiden.

Als wir über diese Berge nach Südwesten weiter wanderten, bemerkten wir, daß in derselben Weise, wie der Charakter des Semliki-Thals sich veränderte, auch die Abhänge des Ruwenzori einer ähnlichen Veränderung unterworfen waren. Anstatt des dichten Waldes, der an den untern Abhängen emporklomm und die Schluchten ausfüllte, der wilden Bananen und wundervollen Farrnhaine, der allgemeinen Saftigkeit und Ueppigkeit der verschiedenen Arten der Vegetation, war jetzt jeder Rücken und Scheitel mit wogendem Weidegras bedeckt und eine gesunde kühlende Brise ließ uns unser Glück preisen, daß wir aus der schwülen, heißen, feuchten Atmosphäre des Semliki-Thals befreit waren.

Allein während eines zweitägigen Marsches beobachteten wir, daß eine weitere Veränderung stattfand. Wir waren jetzt in einem viel trockenern Klima und eine Betrachtung der Oberfläche des Landes ließ erkennen, daß dieses gerade war, was man von einem verhältnißmäßig regenlosen District erwarten konnte, eine ausgemergelte, ausgedörrte Gegend. Dem Gras fehlte es an Saft und Nährwerth. Die Abhänge der abgerundeten Hügel zeigten Einschnitte von der Farbe des Ziegelstaubes; hier und da wuchs ein verkrüppelter Baum mit runzeligen, knorrigen Aesten und häßlichen olivengrünen Blättern, ein sicherer Beweis, daß der beste Erdboden entweder fortgespült oder durch die jährlichen Feuer zerstört worden war und das vegetabilische Leben trotz der reichlichen Schauer der Regenzeit nur unter ärmlichen Verhältnissen sein Dasein fristete. Wie diese Hügel, welche die südliche Flanke des Ruwenzori bilden, sich dem Blicke darbieten, so sehen auch die untenliegenden Ebenen zwischen ihrem Fuße und dem Albert-Edward-See mager, ausgehungert, baumlos und uninteressant aus. Obwol die Vegetation eine verschiedene ist, sind doch die Gummibäume, wie Akazien, die starren, schwarzen Euphorbien Anzeichen eines magern Bodens und eines salzausscheidenden Erdreichs, und thatsächlich ist das auch der Charakter des frühern Seebodens des Njansa.

In kurzen Worten, die nordwestliche und westliche Seite des Ruwenzori, die fast täglich mit Regen und alles erfrischendem Thau gesegnet ist, erfreut sich eines beständigen Frühlings und ist in ewiges Grün gekleidet, während die südliche und die südwestliche Seite ihre genau bestimmten regenreichen und trockenen Jahreszeiten haben; und wenn man die letztern Seiten in der trockenen Zeit sieht, kann man sich keinen größern Contrast denken, als diese gegentheiligen Bilder von der Jugend und dem Verfall der Natur.

Ohne Zweifel gibt es viele Leute, die wie ich bereitwillig zugestehen, daß sie beim Betrachten eines alterthümlichen Werkes, mag es eine ägyptische Pyramide oder Sphinx, das Parthenon in Athen, der Sonnentempel in Palmyra, der Palast von Persepolis oder nur ein altes englisches Schloß sein, eine gewisse Erregung fühlen. Die Ehrwürdigkeit, welche nur die Zeit zu verleihen vermag, und die Beziehungen zu Menschen, die längst zu ihren Vätern versammelt worden sind, sowie zu den jetzt vergessenen Erbauern und Bewohnern fordern eine gewisse Sympathie bei den Lebenden; man fühlt ein unbestimmtes Verlangen nach der Geschichte des Werkes, und sein Alter erweckt etwas wie Freude, daß wir kleinen Sterblichen solche der Zeit trotzenden Bauten herzustellen vermögen. Aber noch mächtiger und größer ist das Gefühl, welches beim Anblick eines eisgrauen Berges wie der Ruwenzori erweckt wird, von dem man weiß, daß er unzählige Jahrtausende alt ist. Wenn man bedenkt, wie langer Zeit es für den geschmolzenen Schnee bedurfte, um diese Hunderte von Faden tiefen Schluchten aus dem felsigen Scheitel der Kette auszuhöhlen, oder wie vieler Zeitalter es brauchte, um die von den Seiten und aus dem Schoße des Gebirges herabgespülten Trümmer auszubreiten und über das Semliki-Thal und die Njansa-Ebenen zu zerstreuen, wird man staunen über die Unermeßlichkeit der Zeit, die vergangen ist, seitdem der Ruwenzori zum Dasein emporstieg; es befällt uns auf die leise kleine Frage: »Wo warst du, als die Grundlagen der Erde gelegt wurden? Erkläre dies, wenn du es verstehst?« eine wohlthuende Ehrfurcht und man gewinnt die frohe Ueberzeugung, daß es gut war, dies gesehen zu haben.

Eine weitere Erregung wird hervorgerufen dadurch, daß in einem der dunkelsten Winkel der Erde, eingehüllt in beständigen Nebel, brütend hinter ewigen Gewitterwolken und umgeben von Dunkelheit und Geheimniß, bis auf den heutigen Tag ein Riese unter den Bergen verborgen gelegen hat, dessen von den Gipfeln herabfließender Schnee schon seit einigen 50 Jahrhunderten für die Bevölkerung von Aegypten von allergrößter Wichtigkeit gewesen ist. Man stelle sich nur vor, zu welchem Gott die zur Anbetung geneigten ersten Völker diesen Berg erhoben haben würden, welcher aus einer so weit entfernten Gegend wie diese so reichlich zu ihrem wohlthätigen und heiligen Nil beiträgt. Und dieser Gedanke an die Wohlthätigkeit des Nils bringt mich auf einen andern. In der Phantasie blicken wir an der gewundenen silbernen Ader hinab bis dahin, wo sie sich theilt und ausbreitet, um in der Nähe der mehr als 6500 km entfernten Pyramiden Aegypten neues Leben einzuflößen, dort, wo man zahlreiche Schwärme von Völkern sieht: Araber, Kopten, Fellahs, Neger, Türken, Griechen, Italiener, Franzosen, Engländer, Deutsche und Amerikaner, und wir fühlen einen verzeihlichen Stolz darüber, daß wir ihnen zum ersten mal mittheilen können, daß ein großer Theil des Wassers, welches von ihnen getrunken wird und dessen gute Eigenschaften so oft von ihnen gelobt worden sind, aus den tiefen und ausgedehnten Schneelagern des Ruwenzori oder Ruwendjura, des »Wolkenkönigs«, stammt.

siehe Bildunterschrift

Ansicht des Ruwenzori von Bakokoro aus.

Obwol wir uns an dem nächsten Punkte 13 km in der Luftlinie von der mittlern Kette entfernt befanden, ließ der Feldstecher während der wenigen klaren Ausblicke, die wir hatten, und namentlich von Bakokoro aus, uns doch den Grund erkennen, weshalb auf dem Ruwenzori so viel Schnee liegen bleibt. Wie man aus den verschiedenen Profilskizzen ersieht, ist der Scheitel der Kette in zahlreiche scharfe dreieckige Helme und schmale sattelförmige Grate zerklüftet. Jeder einzelne Grat besonders betrachtet, scheint ein kleines Abbild des ganzen Gebirges zu sein, und jede Seite des Ruwenzori, durch die Elemente, durch Zeit, Wetter, Wind, Regen, Kälte und Schnee zerrissen, scheint nur in höherm Grade die vielfachen Unregelmäßigkeiten der Abhänge und Scheitel zu repräsentiren, welche so charakteristisch für ihre uns näherliegenden und dem bloßen Auge deutlich erkennbaren mächtigen Nachbarn sind. Die dreieckigen helmförmigen Gipfel der Kette sind meist so steil, daß trotz des ewigen Schneefalls, der sich durch die über die exponirten Seiten und Spitzen wehenden eisigen Winde verhärtet, doch nur sehr wenig Schnee zu sehen ist, dagegen ist der Boden etwa 100 m nach unserer Schätzung tiefer mehr für das Festhalten des Schnees geeignet, der an manchen Stellen sich so ausbreitet, daß er wie ein ungeheueres Feld erscheint. Unterhalb hiervon zeigt aber ein weiterer jäher Abgrund seine braunen Mauern, an deren Fuße sich wieder ein großes Schneefeld ausbreitet, das hier und da an steile Abhänge stößt. Daraus erklärt sich, weshalb die unsern Blicken zugewendete Seite nicht allgemein mit Schnee bedeckt ist und die Felder durch braune Flecken unterbrochen sind. Wie man auf dem von Karimi aus aufgenommenen Bilde sieht, befindet sich etwa 900 m von der Spitze ein großer Schneecontinent, in welchem zahlreiche braune Inseln liegen.

Selbstverständlich trägt das rauhe Wetter, dem die steilen nackten Scheitel und die schroffen hohen Mauern der Abgründe ausgesetzt sind, dazu bei, daß sie zerreißen und stark abbröckeln. Bruchstücke des Felsens und ganze Tonnen von zerstäubtem Gestein und Erdreich stürzen auf das zusammengepreßte Schneelager herab, das sich unter dem Einfluß des Thauens und des unterminirenden abtropfenden Wassers unmerklich nach dem etliche Kilometer abwärts liegenden Thal hinabbewegt. Je tiefer es kommt, um so stärker wird das Aufthauen, um so schneller die Bewegung, bis bei der Ankunft in der Nähe der tropischen Hitze oder inmitten einer großen Wolke aus dem Thal aufsteigender warmer Dünste, ein plötzliches Schmelzen des Schnees stattfindet und die soweit getragenen Felsenfragmente, Trümmer und Staub hinabgeschleudert werden und durch die Schluchten und über die Abhänge donnern, bis sie im Thal durch irgendein Hinderniß aufgehalten werden, in der Nähe der Mündung einer Schlucht eine Bank bilden oder am Fuße eines flachen Berghangs über viele Hektare weit zerstreut werden.

Manchmal verursachen die sich abwärts bewegenden Schneefelder durch die Geschwindigkeit ihrer Bewegung, ihr gewaltiges Schleifen und Schleppen und die Wucht und Festigkeit ihrer Masse ausgedehnte Erdrutsche, bei denen große Strecken Wald und Busch mit dem ganzen Erdreich, das ihnen auf dem Felsenlager Nahrung gegeben hat, herabgeschleudert werden, woraus sich ergibt, daß enorme Massen Material, bestehend aus Felsblöcken und kleinern Stücken, Kieseln, Steinen, Sand, Bäumen, Pflanzen und Erdreich, von den unzähligen Abhängen des Berges und den Seitenmauern der Schluchten in das Thal des Semliki hinabgeworfen werden.

Gerade beim Austritt des Ramilulu aus dem Gebirge hat einmal ein solch unglückliches Herabstürzen von Trümmern eines Bergabhangs stattgefunden, das so plötzlich kam, daß der Fluß blokirt und das Land 15 qkm weit bedeckt wurde. Seitdem hat der Ramilulu aber sich wieder bis auf sein altes festes Felsenbett durchgefurcht und jetzt fließt er zwischen sehr steilen, 60 m hohen Ufern dahin, von denen man auf die Höhe der Trümmer schließen kann.

Zwischen Ugarama und Bukoko entdeckten wir eine sehr fruchtbare Stelle am Fuße eines Bergabhangs, wo der Boden außerordentlich reich an Melonen, Kürbissen, Zuckerrohr und Hirse war. Der Boden besteht hauptsächlich aus Kieseln und Sand, untermischt mit reichem dunkeln Lehm, doch ist die ungeheuere Zahl der in die Erde eingebetteten und halb vergrabenen Felsstücke ein charakteristisches Merkmal, das auf Gletscherthätigkeit deutet.

Zwischen Bukoko und den 5 km entfernten Bergen und 7-10 km an deren Fuß entlang sich ausdehnend, liegt ein weiteres großes Gebiet, das aus dem gleichen Material wie der Bergabhang besteht, da jedoch die Trümmer hauptsächlich aus losen Massen gebildet werden, hat dasselbe infolge der langdauernden Regenfälle eine ziemlich glatte, gestufte Oberfläche erhalten.

Bedenkt man, daß solche Naturereignisse seit der Zeit der Erhebung der großen Gebirgskette und der gewaltigen Versenkung, durch welche die jetzt vom Albert-Edward-Njansa, dem Semliki-Thal und dem Albert-See eingenommene Schlucht entstanden ist, periodisch stattgefunden haben, dann wird man sich nicht sehr darüber wundern, daß der Ruwenzori jetzt nur noch ein Skelet ist von dem, was er ursprünglich war. »Du bist Staub und sollst wieder zum Staube zurückkehren.« Seinem Haupt ist viel von seiner glorreichen Höhe abgeschoren, seine Schultern sind abgeschliffen und abgewetzt, durch seine Seiten haben Dutzende von Flüssen sich tiefe Kanäle gebahnt und die Rippen treten, wenn auch nicht kahl und nackt, so doch als unbestreitbare Merkzeichen hervor von den Erschütterungen und Zerstörungen, denen das Gebirge ausgesetzt gewesen ist, seitdem es vom Feuer geboren wurde. Langsam aber sicher kehrt der Berg dahin zurück, woher er gekommen ist. Nach einigen Generationen wird der Albert-Edward-Njansa eine große Ebene sein und später wird der Albert-See dasselbe Schicksal theilen. Die Geographen dieser fernen Zeit werden sich dann die Augen reiben müssen, wenn sie zufällig die Umrisse der beiden Njansas und des dazwischenliegenden Thals, wie ich sie im Jahre 1889 beschrieben habe, entdecken sollten.

Dunkel wie die Nacht tritt an den meisten Tagen in den ersten Morgenstunden eine ungeheuer lange, feierliche Masse in Sicht, deren Gipfel bis nahe an den wolkenlosen grauen Himmel zu reichen scheinen. Wenn aber der rasch herankommende Tag im Osten das Grau in Gold verwandelt, dann werden oben schwache weiße Wolkenbänke sichtbar, während gleichzeitig dem Fuße des Gebirges entlang eine sich stetig erhebende lange Linie vliesartigen Nebels erscheint. Im nächsten Augenblicke wird dieser von den offenen Thälern und Spalten in den Abhängen angezogen, wo er durch den nach oben führenden Zug in rollenden Massen am Gehänge der gewundenen Felsmauern entlang aufwärts steigt und beständig an Dichtigkeit und Zusammenhang gewinnt, obwol die Massen jeden Augenblick ihre Form verändern. Nach rechts und links schweben abgetrennte Theile, welche die vereinzelten zerstreuten Nebel anziehen, die einer nach dem andern aus den tiefen Abgründen der Spalten emporsteigen. Dann treten sie, zu einer langen schwankenden Linie vereinigt und die Schultern der Legionen von Spitzen einhüllend, aus jedem Loch und jeder Oeffnung des Abhangs hervor und gruppiren sich in geordneter Weise, als ob sie die Absicht hätten, sich hoch oben um die ungeheuere weiße Kette zu sammeln. Wenn der jetzt dichte, tiefe Nebel die Luftbewegung in der größern Höhe zu spüren beginnt, wird seine Bewegung rascher, er nimmt plötzlich neue Formen an, aus den obern Schluchten dringt eine Schar ruheloser rollender weißer Compagnien hervor und schließt sich der Hauptlinie an, deren Vorhut kühn aufwärts dringt und unwiderstehlich den Weg himmelwärts führt.

Wenn die Sonne erst eine Viertelstunde über dem östlichen Horizonte steht, die in den Schneebergen auf den hohen Bergspitzen verborgenen Schönheiten zu enthüllen beginnt und die Umrisse und Kronen mit reichen Regenbogenfarben umspielt, dann hat der Nebel, der jetzt dick und breit ist, gleichsam unmerklich mit seinen zahlreichen kühnen Vorposten sich dem Schnee genähert, mit dem er in blendender Weiße rivalisirt; im nächsten Augenblicke erhält seine Front das klare starke Sonnenlicht, besiegt dessen prachtvolle Farbe und Vergoldung und breitet sich nun in herrlichem Triumph über den Schnee und die purpurnen Spitzen der Kette aus. Wenn aber Minute auf Minute dem Nebel neue Massen zuführt, das gärende Semliki-Thal mit unerschöpflicher Kraft eine Armee nach der andern emporsendet und diese eilig sich den obern Reihen anschließen, die bewegungslos an den Abhängen lagern und um jeden stolzen alpenhaften Gipfel hängen, dann verliert der Nebel seine Schönheit und sein glänzendes Colorit und nimmt bleierne Farbe an, bis er sich schließlich in solchen Mengen angesammelt hat, daß er schwarz und schrecklich wie eine Gewitterwolke wird. In dieser Form ruht er den ganzen Tag und oft bis tief in die Nacht hinein. Manchmal wird aber etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang die Wolke fortgeweht, und es treten dann Pic hinter Pic, Grat hinter Grat, Schneefelder und Bergkuppen in voller Glorie ans Tageslicht, und man hat bis zum Eintritt der Dunkelheit wieder einen kurzen aber prachtvollen Anblick, ehe die Nacht den Ruwenzori mit einem noch dunklern Mantel verhüllt.

Diese kurzen, allzu kurzen Blicke auf den prächtigen Regenmacher oder Wolkenkönig, wie die Wakondju zärtlich ihre nebelumhüllten Berge nennen, erfüllen den Betrachter mit einem Gefühle, als ob er einen Widerschein der himmlischen Herrlichkeit gesehen hätte. Ich habe während ihrer Dauer die Gesichter der entzückten Weißen und Schwarzen beobachtet, die in sprachloser Bewunderung fest hinaufblickten zu jener obern Region kalter Helle und vollkommenen Friedens, so hoch über dem Bereich des Menschen, in so heiliger erhabener Ruhe, in solch unberührter, fleckenloser Reinheit, daß Gedanken und Wünsche zu tief waren, um sie zu äußern. Was könnte es aber auch für einen seltsamern Contrast geben, als zwischen unserer eigenen Welt mit ihrer heißen Luft, den ewig grünen saftigen Pflanzen, der nie schwindenden Ueppigkeit des Grüns, der Wildheit, dem Kriegslärm und den dunkeln blutigen Flecken der Sünde, und andererseits dem hohen Bergkönig, gekleidet in sein reines weißes Schneegewand, umgeben von Myriaden niedriger dunkler Berge, die wie anbetend zum Throne des Monarchen aufschauen, auf dessen kalten weißen Zügen die Worte geschrieben stehen: »Unendlichkeit und Ewigkeit«. Diese Augenblicke der höchsten Gemüthsbewegung sind denkwürdig wegen der vollständigen Ablenkung des Geistes von allem Niedrigen und Unwürdigen, der äußersten Inanspruchnahme durch die Gegenwart der unerreichbaren Hoheit und unbeschreiblichen Majestät, und wegen des Zwanges nicht allein zur ehrfurchtsvollen Bewunderung, sondern auch zur stillen Anbetung des Bildes des Ewigen. Der Mensch ist nie so geeignet für den Himmel, wie in solchen Momenten, denn wie trotzig und frech er zu andern Zeiten auch gewesen sein mag, jetzt ist er gleichsam zum kleinen Kinde geworden und von Bewunderung und Ehrfurcht erfüllt von dem, was er als erhaben und göttlich erkennt. Das Eingehen auf Gedanken solcher Art war uns schon seit vielen Monaten fremd, war doch unser Geist in den Stunden zwischen Schlafen und Wachen mit den dringenden, gebieterischen Nothwendigkeiten beschäftigt gewesen, welche unablässige Wachsamkeit und Vorsicht erforderlich machten. Wir waren allerdings gerührt gewesen von dem Blick, den wir vom Berge Pisgah auf die unendliche Fläche des mit Ausnahme einer Richtung sich nach allen Seiten Hunderte von Meilen ausdehnenden Waldes gehabt hatten; wir waren fast toll geworden vor Freude, als wir nach fünfmonatlicher Einkerkerung in den Tiefen des wilden Waldes wieder das grüne Gras betraten und uns ergötzen konnten an dem offenen unbegrenzten Blick über unsere Umgebungen, die üppigen Thäler, die verschieden gestalteten Hügel auf allen Seiten, die wellenförmigen Ebenen, auf denen das lange Frühjahrsgras vor dem kühlenden Winde froh zu hüpfen und zu springen schien; wir hatten die große Ausdehnung und die silberne Oberfläche des Albert-Sees bewundert und eine Zeit lang die höchste Freude empfunden, als wir wußten, daß wir nach unendlichen Beschwerden dieses Ziel und die Grenze unserer Reise erreicht hatten; allein wir waren nie zu so inniger, unwillkürlicher Anbetung angeregt worden und empfanden nie so tief, wie in dem Augenblicke, als wir plötzlich emporblickten und die in den Himmel ragenden Scheitel und schneebedeckten Firne des bis in unerreichbare Höhe aufsteigenden Ruwenzori sahen, der nach unserer Auffassung wol einem himmlischen Schlosse mit allbeherrschenden Schanzen und Meilen über Meilen langen unersteigbaren Mauern gleichen konnte.



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