Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundzwanzigstes Kapitel.
Nolens volens

Als Moriarty sich aus dem Wohnzimmer entfernte, begab er sich in den Stall und an seine Arbeit. Mr. Piper hatte die Stallräume verlassen und machte einen Rundgang durch die Umgebung der Villa, bewunderte die Aussicht nach allen Seiten, behielt aber zugleich ein aufmerksames Auge für etwaige strategische Bewegungen.

In seinem Beruf war er keineswegs dumm; wachsam wie ein Hermelin, nicht zudringlich, wenn er schwieg, zurücktretend und sich allem anpassend gab er einen vortrefflichen Gerichtsdiener ab.

Er war stets ein vorsichtiger sparsamer Mensch gewesen und kein Laster hatte auf seinem Charakter einen Eindruck hinterlassen. Was in den tiefsten Tiefen seiner Natur schlummerte, hätte Mr. Piper selber nicht zu sagen vermocht; daß aber dort Unruhe waltete, ging aus seinen sozialistischen Tendenzen hervor.

Er wohnte in Balham oder Brighton, ich habe vergessen, wo; er fluchte nicht, trank nicht, rauchte nicht und warf auf die weibliche Bevölkerung der britischen Inseln keine Blicke, die mit Heirats- oder andern Absichten zusammenhingen. Seine einzige offenkundig schlechte Eigenschaft war Knauserigkeit, Sparen. Der Mann besaß kein ersichtliches Laster, dafür aber mehrere Tugenden, und diese Tatsache machte ihn zu einem so interessanten Problem, daß der aufmerksame Beobachter sich fragte: » Was macht ihn denn eigentlich so unausstehlich?«

Der Leser kennt die Art.

Nachdem Moriarty die Pferde getränkt und sie mit der Gewissenhaftigkeit einer Kinderfrau versorgt hatte, rief er Andy zu sich heran.

»Andy,« sagte Moriarty, »hast du den Kerl gesehen, der gekommen is, um auf die Pferde aufzupassen?«

»Gesehen?« sagte Andy, der plötzlich ganz redselig wurde, »meiner Treu, beinah hätte ich ihm mit die Mistgabel in die Hölle geworfen, als er da stand, nachdem Sie fortgegangen waren! Ich hab' doch zugehört, wie er –«

»Halt's Maul,« sagte Moriarty, »und hör zu, wenn klügere Leute reden, als du einer bist. Geh hin und hole mir ein großes Bündel Stroh.«

Gehorsam wie ein Hund ging Andy fort und kehrte mit einem großen Bündel Stroh auf dem Rücken zurück.

Moriarty öffnete die Tür der Box, die sich neben dem Stand der Katze befand.

»Schmeiß es hier in die Ecke hin,« sagte Moriarty, auf den von ihm gewählten Platz deutend.

Andy warf das Bündel in die Ecke.

»So is recht,« sagte Moriarty.

Dann nahm er ein Fünfschillingstück aus der Tasche, führte Andy an die Vorderseite der Villa, händigte ihm die Münze ein, erteilte ihm einige Instruktionen und zeigte in die Richtung des Dorfes.

Grinsend machte Andy sich auf den Weg.

Als Mr. Piper abends um halb neun Uhr in der Küche saß und sein Abendbrot verzehrte, hörte er Andys Stimme. Er unterhielt sich in dem Aufwaschraum mit Mrs. Driscoll, und was er sagte, war in der Küche deutlich zu verstehen.

Andy sagte: »Is der Gerichtskerl noch bei seinen Abendessen?«

»Meiner Treu, das is er,« sagte Mrs. Driscoll.

»Dann halten Sie ihn noch 'ne halbe Stunde dabei fest, denn Moriarty will ihm 'n Streich spielen und die Pferde wegbringen, ohne daß er es merkt.«

Mr. Piper ging in die Falle.

Er stand vom Tisch auf, benutzte den Rücken seiner Hand als Serviette, schlenderte an die Küchentür und betrachtete das Wetter. Der Himmel war wolkenlos und der Vollmond stieg über den Hügeln auf. Vom Stall her drang ab und zu das Geräusch stampfender Pferdehufe. Mr. Piper begab sich auf den Hof, wo er Moriarty begegnete, der eine Stallaterne anzündete.

»Schöner Abend,« bemerkte Mr. Piper.

»Schöner was?«

»Abend.«

»O jawoll, er is ganz schön. Andy, wo waren deine verwünschten Gedanken, als du diesen Docht in die Laterne stecktest?«

Endlich hatte er sie angezündet und zugemacht; dann schritt er, gefolgt von Andy, davon und das Paar verschwand.

»Diesmal hab' ich sie gestört,« sprach der Gerichtsvollzieher für sich. »Ich fürchte, ich werde die ganze Nacht aufbleiben und am Tage schlafen müssen.«

Er machte erst einen Rundgang durch das Anwesen, dann einen Spaziergang auf dem ins Dorf führenden Wege und genoß die Schönheit des Abends. Nach anderthalb Stunden kehrte er wieder zurück.

Es war eben zehn Uhr und Mr. Piper hatte kaum den Hof betreten, als Moriarty erschien, eine Laterne in der Hand.

»Was, ich dachte, Sie wären zu Bett,« sagte Moriarty. »Sind Sie bange, daß die Pferde von selber wegfliegen, oder was fehlt Ihnen?«

»Meine Pflicht ist meine Pflicht und Ihre ist Ihre,« entgegnete der Beamte. »Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir sie auseinanderhalten. Wir werden dann bessere Freunde sein.«

»Freunde!« sagte Moriarty, während sich ein entsetzliches Hohnlächeln auf seinem Gesicht zeigte. »Ganz gewiß, das möchte ich gern sein, aber Sie sind so kühl. Kommen Sie man mit mir,« fuhr er fort, den andern beim Arm fassend und zu der Box geleitend, die neben dem Stand der Katze lag, »ich will Sie meine Absichten mitteilen. Kann sein, daß ich Sie so gern leiden mag, oder vielleicht sind es auch bloß die guten Gründe, die Sie anführten, aber jedenfalls haben Sie mir zu der Sozialitätsgeschichte bekehrt und ich bin bereit, gleich und gleich mit Sie zu teilen.«

Er öffnete die Tür der Box und dort in der Dunkelheit stand Andy wie ein fürchterlicher Gnom.

»Na, was machst du denn hier, Andy?« fragte Moriarty mit einem Anflug von Scherzhaftigkeit im Ton, der Mr. Piper nicht angebracht und von düsterer Vorbedeutung zu sein schien.

»Ich?« fragte Andy. »Nix.«

»Ich hab' 'nen Freund mitgebracht,« sagte Moriarty, als wenn Piper Andy völlig fremd sei. »Er kömmt in die Box mit mich, um mit mich auf Deine Gesundheit zu trinken.«

»Danke,« sagte Piper, »ich trinke nie.«

Er trat einen Schritt zurück, aber Moriartys Hand fiel schwer auf seinen Arm.

»Bloß dies eine Mal,« bat Moriarty in innig überredendem Ton, wie ein Zechbruder zum andern spricht. »Bloß dies eine Mal.«

»Danke, ich trinke nie,« wiederholte Piper und erhob seine Stimme, die dadurch nicht wohllautender wurde. »Und ich muß bitten, daß Sie meinen Arm freigeben.«

»Komm, Andy,« sagte Moriarty, »und hilf mir Mister Piper überreden, daß er sich zu uns setzt. Nun denn, kommen Sie nur ganz ruhig. Warraftig, ich wußte, daß Zureden bei Ihnen was nützt.«

Miß Grimshaw, die sich frühzeitig zurückgezogen hatte, war im Begriff, sich auszukleiden, als vom Stall herdringende Stimmen sie bewogen, die Fenstervorhänge beiseite zu schieben und hinauszublicken.

Sie sah Moriarty und Andy im vollen Mondenschein vor der Box stehen. Piper befand sich zwischen ihnen. Moriarty schob sanft von hinten, während Andy, der des Beamten linken Arm gepackt hatte, von vorn zog. Miß Grimshaw konnte nicht umhin, an das Schaf zu denken, das vor nicht sehr langer Zeit eines Abends in dieselbe Box hineinbefördert wurde, indem Moriarty von hinten nachschob und Andy von vorn die Bewegungen des Tieres unterstützte.

Gerade wie die Tür der Box hinter dem Schaf zugefallen war, so schloß sie sich heute hinter Moriarty und seinem Opfer. Halb entsetzt, halb belustigt, halb von Neugier, halb von Angst erfüllt, wartete das junge Mädchen auf ein Geräusch, das etwas von den Vorgängen verraten könnte. Aber kein Ton wurde laut und nichts deutete auf eine Tragödie hin außer dem Laternenschimmer, einem topasfarbigen Lichtstrahl, der durch das Schlüsselloch der Tür schien und sich auf dem Hof im Mondlicht auflöste.

»Stemm deinen Fuß gegen die Tür, Andy,« sagte Moriarty, als Piper, der sich bewußt war, daß er in eine Falle geraten sei und daß weder Widerstand noch Hilferufe nützen würden, sicher in der Box angelangt war.

Moriarty hängte die Laterne an einen Haken und sagte dann, indem er auf drei Eimer hinzeigte, die umgestülpt dicht bei dem Bündel Stroh standen: »Nehmen Sie Platz.«

Piper setzte sich auf den Eimer, der der Tür zunächst stand.

»Nich auf den,« sagte Moriarty, »auf den mittelsten. Andy und ich können dann rechts und links von Sie sitzen und die Buddel kann besser hin und her wandern.«

Er brachte eine Flasche, einen Krug und ein Glas zum Vorschein. Es war eine Flasche »Coppers Alter Hochlandstau«. Andy hatte sie aus dem Crowsnester Wirtshaus geholt. Dieser alte Hochlandstau war ein feiner altmodischer, fuselöldurchtränkter Schnaps. In jedem vernünftig eingerichteten Staat würde der Mann, der diesen Schnaps destillierte und verkaufte, hingerichtet werden, anstatt daß man ihn in den Pairsstand erhöbe, wie es kürzlich mit Copper geschah. Ein solches Getränk verursacht Mord in den Hafenstädten, stürzt viele Heimstätten in Hackney ins Elend, treibt Männer auf die Straße, Schiffe gegen Felsen und Seelen ins Verderben.

»Hören Sie,« sagte Mr. Piper, als er diese für ein geselliges Beisammensein getroffenen Vorbereitungen bemerkte, »ich weiß nicht, was für einen Streich Sie vorhaben, aber ich warne Sie –«

»Setzen Sie sich,« unterbrach ihn Moriarty, indem er ihn auf den in der Mitte stehenden Eimer niederdrückte und selber auf dem Eimer zur Rechten Platz nahm, während Andy sich links setzte; »setzen Sie sich und seien Sie vernünftig. Hier is 'n Glas guten Whisky mit Wasser und nun kommt ein Toast und der heißt: ›Garryowen lebe hoch!‹« Er trank den Inhalt des Glases, wischte sich den Mund, füllte das Glas von neuem und reichte es Andy.

»Garryowen hoch!« sagte Andy, es hinuntergießend und das leere Glas Moriarty zurückgebend, der es wieder voll schenkte und Piper darbot.

»Nein, danke!« sagte dieser.

»Trinken Sie!« befahl Moriarty, »und lassen Sie Garryowen hochleben. Wahrhaftig, ein Glas guten Whisky hat noch nie Mann oder Frau geschadet. 'Runter damit,« fuhr Moriarty fort in einem Ton, als überrede er ein Kind, Medizin einzunehmen, »Sie werden danach ein annerer Mensch sein.«

»Ich sage Ihnen, ich trinke nicht,« entgegnete der ungesellige Mann. »Wenn Sie Lust haben, sich zum Tier zu erniedrigen, so tun Sie, was Sie nicht lassen können. Ich tue es nicht.«

»Hör ihm an, Andy,« rief Moriarty, Piper in die Rippen puffend, so daß er gegen den Jockei stieß.

»Was stoßen Sie mich so?« rief Andy, indem er den Puff zurückgab, bis Piper fast in Moriartys Arme flog.

Mr. Piper versuchte sich zu erheben, aber seine Beine wurden von Moriarty unter ihm fortgerissen und er fiel mit einem Krach auf den Eimer zurück.

»Nächstens werden Sie den Eimer entzweibrechen,« sagte Moriarty, »warum können Sie nich stillsitzen?«

»Ich weiß, was Sie wollen,« schrie der Gerichtsdiener.

»Meiner Treu, dann sollen Sie's auch fühlen,« rief Moriarty, und im nächsten Augenblick lag Mr. Piper rücklings auf dem vorbereiteten Strohlager und Moriarty kniete auf seinen Armen.

»Nun, Andy,« sagte der Zeremonienmeister, »hol mir den Trichter, die Flasche und das Glas und ich will ihn tränken.«

Andy brachte einen kleinen Trichter, den Mrs. Driscoll gespendet hatte. Piper versuchte zu schreien, verhielt sich dann jedoch schweigend aus Furcht vor Moriartys Daumen, der auf seinem Kehlkopf ruhte.

»Misch 'n Glas Grog, aber nich zu stark,« befahl Moriarty. »Das is recht. Na, und nun sperr dein Maul auf, du Dummkopp, und wenn du 'n Laut von dir gibst, häng' ich dich auf. Zu meinem eigenen Vergnügen spendier' ich dir das gute Getränk nich, sondern bloß, um Mister French zu retten. Du willst dich zwischen ihn und sein Glück stellen, was? Du Teufelseule mit deine Sozialität und deinen Geplappere über gleiche Rechte! Ich will dir schon gleiche Rechte geben mit meine Whiskyflasche. 'Runter damit, und wenn du 'n Ton hören läßt, erwürge ich dich!«

Während Moriarty den Trichter zwischen die Zähne des Patienten hielt und ihn zum Schlucken nötigte, schenkte Andy sachte ein.

Mit dem Sachverständnis eines chloroformierenden Arztes wußte Moriarty das Quantum genau zu berechnen. Er kannte die Natur des Patienten und die Stärke der Medizin. Hilflose Trunkenheit bezweckte er nicht; seine Pläne waren tiefer angelegt.

Beim dritten Glase begann das Opfer, lustig zu werden. Wirklich lustig. Sein ganzer Zorn war wie weggeweht. Sonderbarerweise leistete er aber trotzdem noch Widerstand, indem er seinen Kopf so viel wie möglich hin und her schüttelte; dabei lachte er, als würde er gekitzelt.

»Er beißt an,« sagte Moriarty. »Es muß sachte gemacht werden. Wir wollen 'ne Minute aufhalten, denn wir müssen mit die kalte Nachtluft rechnen und ich möchte, daß er seine Beine behält. Na, Mister Piper, wie fühlen Sie sich nu?«

»Wie heißen Sie?« rief Piper, von plötzlicher Wut erfaßt. »Ich will Ihnen was geben! Da!« Er stieß mit einem Fuß zu, so daß Andy mitsamt Glas und Flasche hintenüberstürzte. In der nächsten Sekunde hatte er beide Beine frei bekommen und versetzte Moriarty einen Fußtritt ins Gesicht, der einen gewöhnlichen Mann betäubt haben würde.

»Heran mit euch!« schrie Mr. Piper unter wildem Gelächter, noch auf dem Rücken liegend und mit den Füßen stoßend. »Nur zu! Einer liegt, nun kommt der andre dran.«

»Nu is er in die richtige Verfassung,« sagte Moriarty, der anscheinend gar nicht bemerkte, daß sein Gesicht blutüberströmt war. »Komm her, Andy, wir wollen ihn auf die Polizei bringen, so lange er noch so 'n Kampfhahn is.«

Er warf sich auf den sich Sträubenden, erhielt einen zweiten Fußtritt – diesmal auf den Magen – packte den Tobenden beim Kragen und stellte ihn auf die Beine, indem er so sanft mit ihm verfuhr, als ginge er mit einem widerspenstigen Kinde um. Wenn ein andrer Mann die Fußtritte bekommen hätte, die Moriarty erhielt, würde er sie durch schlechte Behandlung heimgezahlt haben, aber Moriarty wurde niemals heftig und es galt ihm als Ehrenregel, daß man mit einem Betrunkenen so zart und rücksichtsvoll wie möglich umgehen müsse.

Sobald Mr. Piper auf den Beinen stand, schien alle Streitsucht von ihm zu weichen. An Stelle der Kampfeslust trat Heiterkeit; er versuchte zu singen. Auch Schimpfworte ließ er hören.

»Das is recht,« sagte Moriarty, »so soll er sein. Andy, krieg seinen anneren Arm zu fassen. So, nu mach' die Tür auf und dann 'runter ins Dorf mit ihm. Was mich Sorge macht, is, daß es so schnell bei ihm kam – Vielleich stellt er sich man bloß so.«

»Meiner Treu,« sagte Andy, »ich weiß, warum das so schnell gegangen is. Weil ich ihm das zweite Glas unverdünnt gegeben habe. Ich vergaß, Wasser 'reinzugießen.«

Miß Grimshaw hatte sich nicht von ihrem Beobachtungsposten losreißen können und sogar das Fenster geöffnet, damit ihr nichts entgehe. Sie hörte Moriartys Stimme und auch die Stimmen der andern. Aber sie war nicht imstande, sich vorzustellen, was mit dem Gerichtsvollzieher geschah.

Dann, als die Zeit verging, vernahm sie Lachen. Piper lachte. Sie kannte die Stimmen der andern beiden zu genau, um sich zu täuschen. Solches lang anhaltendes Gelächter hatte sie noch nie gehört. Jetzt brach es ab und die Stimme des Beamten schrie: »Heran! Heran!« Neues Lachen und Bruchstücke aus Liedern folgten.

Voller Verwunderung wartete Miß Grimshaw, bis die Tür der Box aufflog und Andy und Moriarty und zwischen ihnen ein betrunkener Mann heraustraten.

Nun begriff sie, wenigstens zum Teil.

Da sie sich nicht ausgekleidet hatte – und das war für ihre Neugier ein Glück – ergriff sie jetzt nur einen Schal, hüllte ihren Kopf darin ein, verließ das Zimmer und ging durch die Halle in das Wohnzimmer, wo Mr. French und Mr. Dashwood, die noch nicht zu Bett gegangen waren, saßen und rauchten.

»Ich habe Moriartys Plan entdeckt,« sagte Miß Grimshaw. »Kommen Sie auf die Veranda, ich will Ihnen etwas zeigen. Aber machen Sie keinen Lärm.«

Sie öffnete die Glastür zur Veranda und die andern folgten ihr.

Der Gerichtsvollzieher und seine Stützen befanden sich schon auf dem zur Fahrstraße hinabführenden Fußweg und waren im Mondenschein samt ihren Schatten deutlich sichtbar.

»Sehen Sie!« sagte das junge Mädchen. »Er ist der in der Mitte.«

»Er ist ja betrunken!« sagte Mr. Dashwood.

»Total betrunken,« sagte Mr. French. »Das ist Moriartys Werk. Sehen Sie nur, wie sie ihn vorwärts schleppen! Und er ist Abstinenzler! Wie in aller Welt hat Moriarty das fertig gebracht?«

»Ich hörte sie auf dem Hof,« sagte das junge Mädchen. »Sie zerrten ihn in die Box hinein, die neben dem Stand der Katze liegt, und schlossen die Tür. Nach einer Weile hörte ich ihn lachen und singen – und nun sehen Sie ihn an!«

»Folgen wir ihnen!« sagte Mr. Dashwood. »Wir müssen sehen, was sie mit ihm machen.«

Er lief voran den Hügel hinunter. Als sie den Fahrweg erreichten, waren die andern in einer Entfernung von ein paar hundert Meter vor ihnen. Der aus ihrer Richtung wehende Wind trug das Singen und Schreien des lustigen Zechers, auf den die kalte Nachtluft wie ein neues Reizmittel wirkte, zu ihnen herüber.

»Ich habe viele Betrunkene gesehen,« sagte French, »aber wahrhaftig, dieser Kerl übertrifft alle. Sehen Sie, jetzt versucht er sich zu wehren! Nun haben sie ihn wieder zwischen sich. Kommen Sie, wir wollen sehen, was Moriarty mit ihm vorhat.«

Sie folgten den andern die Dorfstraße entlang. Vor dem höchst wohlanständigen, die Inschrift »Grafschaftspolizei« tragenden Häuschen blieb das vom Mond beleuchtete Trio stehen; Moriarty hielt seinen Schützling fest umklammert, während Andy die Glocke zog.

Mr. Boiler, der Crowsnester Konstabler, hatte seine Nachtrunde noch nicht angetreten. Als die Klingel ertönte, saß er oben in seiner Schlafstube und trank eine Tasse Kaffee. Er öffnete das Fenster und steckte den Kopf hinaus.

»Wer ist da?« fragte er.

»Ein betrunkener Mann,« entgegnete Moriarty von der Straße her. »Ich hab' ihm hier. Er kam total besoffen nach The Martens und fiel über mich her. Sehen Sie mein Gesicht an. Kommen Sie 'runter und sperren Sie ihn ein, sonst reißt er das Dorf noch in Stücke. Die Pest über ihn!«

»Eine Minute,« sagte Mr. Boiler, »und ich werde die Sache in Ordnung bringen.«

Im nächsten Augenblick war er auf der Straße, wo Moriarty Mr. Piper durch eine geschickte Wendung auf den Rücken gelegt hatte.

»Nanu? Nanu? Was soll das heißen?« fragte der Konstabler, indem er sich dem Jünger La Savates näherte.

Der Fußtritt, den er als Antwort auf die Kniescheibe empfing, ließ ihn für einige Sekunden die Stellung eines nachdenklichen Storches annehmen. Dann wurde er mit seinem Gegner handgemein.

*

»Wenn Sie mich fragen, Sir, wie man es am besten anfängt,« sagte Moriarty später in der Nacht, nachdem er im Wohnzimmer Komplimente entgegengenommen hatte, »so is meine Meinung, daß Mr. Dashwood morgen früh, wenn dieser Kerl vor den Polizeirichter kömmt, nach Hollborough geht und die Geldstrafe für ihn bezahlt – es werden ungefähr zwei Pfund sein, hat Boiler mir gesagt. Dann muß er Piper wieder herbringen und ihm sagen, er sollte man ruhig hier bleiben, das Pferd würde nach dem Rennen wieder zurückgebracht werden. Denn sehen Sie, Sir, nu haben wir den Kerl in der Hand. Wenn die Leute, bei die er in Dienst is, zu wissen kriegten, daß er betrunken gewesen is, würde er seine Stelle verlieren. Wir wollen ihm nich verraten, wenn er uns nich verrät wegen dem Rennen. Für Mister Dashwood is es ja kein angenehmes Geschäft, hinzugehen und Strafgeld für Betrunkene zu bezahlen, aber das gehört nu mal dazu. Und entschuldigen Sie, aber ich denke bei mich, es wäre vielleich ganz gut, wenn Sie sich hinsetzten und 'nen Brief an Mister Lewis schrieben, der Gerichtsvollzieher wäre hier und das Geld würde in ein paar Tage bezahlt werden. Das würde ihn ruhig machen und allens würde sozusagen natürlicher aussehen, wenn Sie 'n bischen Schelte in den Brief 'reinbrächten und sagten, Sie wären sehr schlecht behandelt. – Nein, Sir, diese Nacht geh' ich nich zu Bett. Ich will bei die Pferde bleiben. Allens is jetzt fertig und morgen früh können sie in den Zug verladen werden. Danke, Sir, man bloß 'n halbes Glas. Auf Garryowens Wohl!«


 << zurück weiter >>