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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Der Basar

In einer Beratung, die die drei Verschwörer noch an demselben Abend abhielten, einigten sie sich dahin, daß man nichts tun, sondern nur das weitere abwarten könne.

Es hätte keinen Zweck gehabt, Garryowen nach einer andern Trainingbahn zu bringen, denn es wäre unmöglich gewesen, das heimlich auszuführen; auch stand kein sonstiger passender Ort zur Verfügung. Es blieb nichts übrig, als still zu sitzen und auf das Einschlagen des Blitzes zu warten – wenn er überhaupt einschlagen sollte.

Der Basar war für den fünften anberaumt, und als ein Tag dem andern folgte, ohne daß das Unheil in Gestalt des Gerichtsvollziehers eintraf, begann Miß Grimshaw zu erkennen, daß die bevorstehende Wohltätigkeitsveranstaltung ein verkappter Segen sei. Wenigstens war sie eine sichtbare, handgreifliche Unannehmlichkeit und trug dazu bei, die Gedanken von düstern Betrachtungen abzulenken.

Das Schulgebäude war zum Verkaufsraum ausersehen und schon am vierten gab es zum Entzücken der Schulkinder Ferien. Bänke und schwarze Tafeln wurden aus dem großen Schulzimmer hinausgeschafft, die von Landkarten befreiten Wände mit Efeu und Flaggen geschmückt und Buden errichtet.

Da der Basar nur den Zweck hatte, Geld einzubringen, wurde alles so wohlfeil wie möglich eingerichtet. Oberst Bingham lieh seinen Gärtner, die Smith-Jacksons sandten den dürftig aussehenden Jungen, der ihren Tennisplatz walzte und ihre Stiefel putzte; Miß Slimon lieh ihr Hausmädchen und der Dorftischler lieh seine Dienste – umsonst – innerlich schäumend, aber dennoch bestrebt, sich seinen Kunden gefällig zu erzeigen.

Miß Grimshaw sollte Miß Slimon in der Handarbeitsbude helfend zur Seite stehen. Mr. Dashwood leistete überall Beistand, indem er sich tapfer den ganzen Tag in Hemdsärmeln abmühte, grüne Ranken an die Wände nagelte, Friesdecken auf den Tischen befestigte und sogar Körbe mit Steingutwaren und Mundvorräten herbeischleppte; und das alles mit solchem Erfolg, daß, als um zehn Uhr abends die Türen geschlossen wurden, alles für die Orgie des nächsten Tages bereit war.

»Hören Sie,« sagte Mr. Dashwood, als sie am folgenden Morgen beim Frühstück saßen, »Giveen hat den Brief am ersten bekommen, nicht wahr? Na also, wenn er irgendetwas Böses im Schilde führte, so hätte er sich sofort mit Lewis in Verbindung gesetzt. Ich wette, er hätte ihm telephoniert. Heute ist nun der fünfte. Drei Tage sind vergangen und nichts ist passiert.«

»Was sind drei Tage?« entgegnete French. »Bis zum Rennen sind es noch zehn und vor dem dreizehnten kann ich das Pferd nicht nach Epsom schicken, also haben wir noch acht Tage, in denen die Kerle ihre Arbeit tun können.«

»Kennt Giveen Lewis' Adresse in London?«

»Wirklich, ich weiß es nicht, aber die kann er leicht von Lewis' Gerichtsbeamten erfahren, der nun gewiß schon eine Woche in Drumgool sitzt und Daumen dreht.«

»Was für eine Art Mensch ist dieser Lewis?«

»Was für 'ne Art? Na, es gibt nur eine Art Wucherer und die sind sämtlich Bestien. Mit Lewis ist nichts zu machen. Wenn er meine hiesige Adresse erfährt, wird er einen Mann schicken, um Garryowen zu beschlagnahmen, und ich bin der Lackierte. Gütiger Himmel, es ist wirklich, um sich die Haare auszuraufen. Der Gaul ist in der allerbesten Form. Noch eine Woche und er hat den Höhepunkt erreicht. Nichts, das auf vier Beinen läuft, kann ihn schlagen, und der Gedanke, daß ein Lump von Geldmakler und ein Gerichtsvollzieher ihn abhalten sollten, an dem Rennen teilzunehmen, kann einen geradezu verrückt machen.«

»Hören Sie,« sagte Mr. Dashwood, »warum gehen Sie nicht zu Lewis, setzen ihm die Sache auseinander und bieten ihm den halben Gewinn für den Fall, daß das Pferd siegt und er es nicht hindert, das Rennen mitzumachen?«

»Ihm den halben Gewinn geben!« schrie French, fast seine Teetasse umstoßend. »Eher schneide ich ihm den Hals ab!«

»Dann würde ihm das Geld nicht viel nützen,« sagte Miß Grimshaw, indem sie vom Tisch aufstand. »Wieviel Uhr ist es jetzt? Zehn? Mr. Dashwood, wollen wir in die Schule gehen und sehen, ob noch etwas zu tun ist? Effie kann auch mitkommen, dann treibt sie keinen Unfug.«

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, der Vorbote eines wunderschönen Tages. Die Hecken waren mit winzigen grünen Spitzen besprenkelt und in den Gehölzen pflückten die vom Unterricht befreiten Kinder aus Crowsnest wilde Veilchen, Schneeglöckchen und Schlüsselblumen für Basarzwecke.

Der Basar zog die Gegend in meilenweitem Umkreis in Mitleidenschaft. Die nach neuen Chorstühlen rufende Kirche sandte die kleinen Kinder in den Wald, um Blumen zum Verkauf zu pflücken, und die Bauernfrauen in die Milchkammer, um Butter zu liefern; die Bauerntöchter unterstützten die gute Sache durch Nadelkissen und Strickarbeiten und sogar die kleinen Häusler standen nicht zurück mit ihren Gaben. In dieser allgemeinen Beteiligung, von der selbst die Felder und Hecken nicht ausgeschlossen waren, lag so viel Freundliches, daß es einen fast die Aufgeblasenheit, den kleinlichen Sinn und den Hochmut derjenigen vergessen ließ, welche die erste Anregung zu der Veranstaltung gegeben hatten. Denn die in Millhouse lebenden Fantodds waren protzig und würden Handeltreibende in deinem Stammbaum aufstöbern, selbst wenn diese Pest an dessen Wurzeln tief vergraben und vergessen wäre; und nicht nur aufstöbern würden sie sie, sondern verhöhnen und verachten. Oberst Bingham – ich glaube, ich habe ihn früher General genannt, aber wir wollen ihn zur Strafe zum Rang eines Obersten degradieren – Oberst Bingham war ein Armeefatzke; ein vornehmer, liebenswürdiger, hübscher alter Herr, aber dennoch ein Fatzke. Die Creeps waren aufgeblasen vor Wichtigkeit; ein dem Trunk ergebener Baronet, der eine Cousine von Oberst Creep geheiratet hatte, wirkte in dieser Familie gerade wie ein Körnchen Soda in einer Teigmasse, die dadurch ganz durchsäuert wird. Die Smith-Jacksons, die Dorian-Grays (höchst unglücklicher in den siebziger Jahren angenommener Name), die Prosser-Jones – alle litten an diesem völlig überflüssigen Hochmut.

Als Miß Grimshaw und Mr. Dashwood im Schulzimmer anlangten, legte Miß Slimon gerade die letzte Hand an die Dekorationen, und da die beiden nichts zu tun fanden, kehrten sie nach The Martens zurück.

Ihre Gemütsverfassung war derart, daß selbst auf einem kurzen Spaziergang die Angst nicht von ihnen wich, sie könnten bei ihrer Rückkehr einen Gerichtsdiener in der Küche sitzend und Garryowen beschlagnahmt vorfinden.

Diese stets gegenwärtige Furcht vor Gefahr verursachte eine nicht unangenehme Spannung und hatte French, Dashwood und das junge Mädchen einander nahe gebracht, so daß sie einen Familienkreis, eine Gemeinschaft bildeten. Wenn auch die Liebe sie umschwebte, so konnte die sie weder trennen, noch entzweien, bis das Abenteuer, das sie verband, beendet sein würde. Sie hatten sich gegen einen gemeinsamen Feind verbündet und zwar so innig, daß durch einen seelischen Prozeß die düstere Stimmung oder auch die Fröhlichkeit des einen sich auf die andern übertrug. Im Gegensatz zu dem beim Frühstück herrschenden Trübsinn waren sie heute beim Mittagessen lustig gewesen. Eine Flasche Pommery unterstützte ihre gute Laune; sie tranken auf Giveens Untergang und auf Lewis' Vernichtung und fühlten sich gefeit.

Um halb drei Uhr sollte Mrs. Bingham den Basar eröffnen und um diese Stunde stand eine lange Reihe von Wagen vor dem aus roten Ziegeln erbauten Schulhaus, in dem sich die Elite von Crowsnest drängte. Es war heiß und schwül in dem Raum, es roch nach Leim, rohen Tannenbrettern und Kaffee. Der Eintrittspreis sollte um drei Uhr auf sechs Pence herabgesetzt werden. Auf die ländliche Bevölkerung, die dann die Schule belagern würde, deutete ein riesenhafter dampfender Kaffeekessel in der Erfrischungsbude hin, der Mrs. Binghams Erklärung, daß der Basar nun eröffnet sei, und die kleine Rede, welche die ausgezeichnete Dame seit drei Tagen vorbereitet und den ganzen Morgen geprobt hatte, mit zynischem Zischen beantwortete.

Miß Grimshaw, deren Pflichten darin bestanden, Miß Slimon am Handarbeitstisch bei der ruchlosesten, wenn auch offenkundigen Übervorteilung der Kunden beizustehen, fand inmitten ihrer Tätigkeit noch Zeit, das Tun ihrer Nachbarn zu beobachten. Bobby Dashwood war stets im Vordergrunde; er kaufte nichts, trat aber als ungebetener, höchst erfolgreicher Verkäufer auf, machte allen unverheirateten Budeninhaberinnen den Hof und schien sein Amt unendlich zu genießen. Diesen Charakterfehler bemerkte Miß Grimshaw mit einem Anflug von Bedauern, sie hatte aber keine Zeit, sich eingehend damit zu beschäftigen. Die Sechspenceflut war hereingeströmt und in dem Saal, der schon voll gewesen war, herrschte jetzt ein dichtes Gewühl. Bauern mit Frauen und Töchtern, Häusler und einfaches Volk drängten sich durch die Menge; von Zeit zu Zeit meldete das pochende Geräusch eines Automobils die Ankunft neuer, von fernher kommender Gäste. Mr. French war nicht da. Er hatte gesagt, daß er vielleicht später am Nachmittag erscheinen werde, aber noch war er nicht angelangt. Es war jetzt vier Uhr und Miß Grimshaw lehnte sich einen Augenblick, halb betäubt von der dicken Luft, dem Stimmengewirr und dem Bestreben, das Geld beim Bezahlen richtig herauszugeben, gegen die Tischkante, als eine Stimme sie plötzlich zur Besinnung und auf die Füße brachte.

»Nein, danke, ich brauche keine Puppen. Du meine Güte, was sollte ich in meinem Alter wohl mit Puppen anfangen? Nein, danke, ich rauche nicht, und wenn auch, so würde ich es nicht in einem Hauskäppchen tun. Nein, danke. Ich guckte nur mal herein, um zu sehen, was hier vor sich geht. Ich bin hier fremd, bin erst vorgestern von Irland abgefahren und noch ganz wirr im Kopf von meiner Reise.«

Wie eine Gazelle an den Ufern des Zambesi von ihrem Laublager aufspringt, wenn sie die Stimme des Leoparden vernimmt, so fuhr Miß Grimshaw beim Klange jener Worte von ihrem Handarbeitstisch empor und blickte wild umher.

Inmitten der Menge, belagert von zwei eifrigen alten Jungfern, deren eine mit einem Hauskäppchen, die andere mit einem Teddybären bewaffnet war, entdeckte sie einen in einen grauen Sommeranzug gekleideten Herrn mit blödem Gesichtsausdruck. Fast mit demselben Blick erhaschte sie einen Schimmer von Bobby Dashwood in der Küchenecke. Der elende Bobby stand in all seinem Glanz auf einem Kübel und forderte unternehmende Leute auf, ihr Glück zu versuchen und hineinzugreifen. Im nächsten Moment hatte Violet ihn erreicht, zog ihn am Ärmel und führte ihn zur Tür hin. Sie sagte nichts, bevor sie sich auf dem einsamen Flur befanden.

»Bobby – Mr. Dashwood – er ist hier!«

»Wer?«

»Mr. Giveen!«

»Großer Gott!« entfuhr es Mr. Dashwood. »Giveen!«

»Ja. Sie versuchen, ihm Puppen zu verkaufen. Schnell! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Nicht wahr, er kennt Sie nicht?«

»Nein. Während ich in Drumgool war, kam er nicht hin.«

»Nähern Sie sich ihm, reden Sie ihn an, lassen Sie ihn nicht aus den Augen. Horchen Sie ihn aus! Ach, brauchen Sie nun Ihren – Ihren Verstand! Ich weiß nicht, wie Sie es machen sollen, aber versuchen Sie, seine Pläne auszukundschaften.«

»Verlassen Sie sich auf mich,« sagte Mr. Dashwood, »ich werde mein Möglichstes tun.«

»Nun gut, gehen Sie sofort zu ihm. Ich folge Ihnen. Wenn Sie mit ihm in ein längeres Gespräch geraten sollten, geben Sie sich als Mr. Frenchs Feind aus. Er trägt einen grauen Sommeranzug und hat eine irische Stimme. Sie können ihn nicht verkennen.«

»Verlassen Sie sich auf mich,« sagte Mr. Dashwood.

Gleich darauf war er in der wogenden Menge und bahnte sich seinen Weg hindurch, während Augen und Ohren aufmerksam nach dem grauen Sommeranzug und dem Klang der irischen Stimme suchten.

Bei der Erfrischungsbude stellte er das Wild.

Mr. Giveen, eine Tasse Tee in der einen Hand, ein Stück Kuchen in der andern, redete mit Miß Smith-Jackson, die mit eisiger Miene einsilbig antwortete.

»Weiß Gott, die Gegend hier herum ist ganz anders als das Land, von wo ich herkomme. Sie wissen wohl nicht, wo das ist, nicht? Was? Na, ich will es Ihnen sagen, es ist das Land der hübschen Mädchen und des guten Whiskys. Ich trinke ihn freilich nicht – worüber lächeln Sie? Ich schwöre es Ihnen, seit zwanzig Jahren ist kein Tropfen Whisky über meine Lippen gekommen.«

»Ein Schilling und sechs Pence, bitte,« entgegnete Miß Smith-Jackson in noch eisigerem Ton.

»Was sagten Sie?« fragte Mr. Giveen, der seinen Kuchen verzehrt hatte und jetzt den ihm zu heiß erscheinenden Tee aus der Untertasse schlappte.

»Ein Schilling sechs Pence, bitte.«

»Und wofür, wenn ich fragen darf? Wollen Sie behaupten, daß Sie einen Schilling und sechs Pence für eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen verlangen?«

»Unser Preis ist ein Schilling sechs Pence.«

»Wenn dies nicht der größte Betrug ist, der mir jemals vorkam, will ich nie wieder einen Bissen oder Tropfen zu mir nehmen! Und ich, der ich sechs Pence an der Tür bezahlt habe, um hereinzukommen, und als ich fragte, sagte man mir, Erfrischungen wären frei. Ich will's nicht bezahlen.«

»Dann nehmen Sie es bitte als Geschenk an.«

»Als Geschenk!« rief Mr. Giveen. »Wann hat sich ein Giveen wohl jemals Essen oder Trinken schenken lassen! Halten Sie mich für einen Wegelagerer? Hier sind sechs Pence und das ist noch zwei Pence zuviel, aber herauszugeben brauchen Sie nicht.«

»Oberst Bingham!« sagte Miß Smith-Jackson, völlig unbewegt.

Der Oberst, der Mr. Giveens letzte Bemerkungen gehört hatte, kam an den Tisch heran.

»Nun, mein Herr,« sagte Oberst Bingham, »weshalb ereifern Sie sich?«

»Ereifern! Hier sind sechs Pence – ein guter Preis für das, was ich verzehrt habe. Und sie verlangt einen Schilling und sechs Pence – einen Schilling und sechs Pence für eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen!«

Mr. Giveen, der in seinem Leben noch keinen Basar besucht hatte und sich – nicht mit Unrecht – schmählich behandelt fühlte, hielt sein Sechspencestück Oberst Bingham entgegen.

Dieser blickte das Geldstück an, dann Mr. Giveen und endlich wieder das Geldstück.

»Ich glaube, mein Herr,« sagte Oberst Bingham, »Sie wissen nicht, wo Sie sich befinden. Wenn Sie gütigst mit mir hinausgehen wollen, werde ich Ihnen den Weg zum Dorfwirtshaus zeigen und Ihr Eintrittsgeld wird Ihnen an der Tür zurückerstattet werden.«

Diesen Augenblick wählte Bobby, um sich ins Mittel zu legen. Die sich in unmittelbarer Nähe befindende Menge war ein wenig zurückgewichen und bildete eine kleine Arena, wie das Volk es bei einem Straßenunfall oder bei einem Hundekampf zu tun pflegt. Inmitten dieser Arena stand Mr. Giveen dem Oberst gegenüber. Noch eine Sekunde und wer weiß, was ohne Bobbys Dazwischentreten geschehen wäre.

»Verzeihen Sie,« sagte Bobby zum Oberst gewendet, »aber dieser Herr ist Irländer und kennt unsre Sitten nicht. Das Ganze ist, wie ich glaube, nur ein Mißverständnis, und wenn der Herr mit mir kommen will, so werde ich ihm alles erklären. Ich bin überzeugt, er stimmt als irischer Gentleman mit mir darin überein, daß es besser ist, kleine Geldangelegenheiten unter vier Augen zu erledigen.«

»Na, das nenn' ich vernünftig reden,« erwiderte der irische Gentleman. »Ich habe nicht das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft, mein Herr, aber ich lege meine Ehre in Ihre Hände.«

»Kommen Sie denn,« sagte Mr. Dashwood, nahm den andern beim Arm und führte ihn durch das Gedränge der Tür zu.

»Nun sind wir sicher,« erklärte er, als sie draußen angelangt waren. »Da sind Sie noch gut davongekommen, und wenn ich Sie wäre, würde ich nicht wieder hineingehen. Ist es wirklich wahr, daß man Sie um einen Schilling sechs Pence für eine Tasse Tee und einen Kuchen beschummeln wollte?«

»Ja,« erwiderte Mr. Giveen kichernd, »die da drinnen dachten, sie hätten einen grünen Bengel eingefangen, aber, du meine Güte, darin irrten sie sich!«

»Sie waren zu schlau für sie,« sagte Mr. Dashwood. »Ich sah Sie hereinkommen. Bin nur für einen Tag hier und guckte da mal hinein, dann hörte ich, wie Sie mit dem Mädel hinter dem Tisch redeten und sie neckten und ihr erzählten, daß Sie Irländer seien und als dann der Lärm losging, kam ich, um Ihnen zu helfen. Ich habe eine Vorliebe für Irländer. Beabsichtigen Sie, sich hier länger aufzuhalten?«

»Nein,« sagte Mr. Giveen, »ich kam nur für einen Tag. Wohnen Sie hier?«

»Nein,« erwiderte Mr. Dashwood, »ich bin auch nur für einen Tag herübergefahren. Ich lebe in London. Aber es freut mich riesig, Sie getroffen zu haben; es ist ein Genuß, einem echten witzigen Irländer zu begegnen. Wissen Sie was, es macht mir Spaß, daß Sie das Mädel abkanzelten. Es ist ein frecher Racker. Kommen Sie mit ins Wirtshaus und lassen Sie uns irgendetwas trinken.«

Sie hatten den Weg zum Gasthof eingeschlagen und dort angelangt, nahm Mr. Dashwood den Arm seines Gefährten und geleitete den durchaus nicht Abgeneigten in die Schenkstube.

»Nun ist alles in bester Ordnung,« erklärte Bobby, während er sich hinsetzte und mit einem Zehnschillingstück auf den Tisch klopfte. »Pflanzen Sie sich da auf den Stuhl hin. Was wollen Sie haben?«

»Danke, ich nehme einen Krug Ingwerbier und einen Zwieback, wenn es Ihnen einerlei ist.«

»Ein Whisky und Soda, ein Krug Ingwerbier und ein paar Zwieback, bitte, Mrs. Stonnor.« Dann fuhr Mr. Dashwood, während die Wirtin sie bediente, fort: »Sie halten sich in London auf, wenn ich richtig verstanden habe?«

»Ja,« erwiderte Mr. Giveen. »Ich mache eine kleine Vergnügungsreise und bin für einen Tag hierher gekommen, um die Gegend zu sehen. Kennen Sie das Land hier herum?«

»Und ob!«

»Und die Menschen?«

»Fast alle.«

»Na also,« sagte Mr. Giveen, »kennen Sie zufälligerweise auch jemand, der French heißt und hier in der Nähe wohnt?«

»Michael French meinen Sie?«

»Das ist er.«

»Ach gütiger Himmel, das will ich meinen. Ein gräßlicher Kerl. Ich hatte einen Krach mit ihm.«

»Wahrhaftig? Sie hatten Krach mit ihm? Meiner Treu, er zankt sich beständig mit irgend jemand und ich glaube, er wird noch mal gründlich dabei hereinfallen.«

»Also Sie kennen ihn?« fragte Bobby, der in den paar Minuten ihrer Bekanntschaft einen so herzhaften Widerwillen gegen Mr. Giveen gefaßt hatte, daß er fast Haß zu nennen war.

»Ihn kennen?« sagte Mr. Giveen. »Niemand kennt ihn besser. Ich kam nur her, um mich nach ihm zu erkundigen. Aber da ich Sie getroffen habe, können Sie mir wohl alles mitteilen, was ich wissen möchte.«

»Mit dem größten Vergnügen.«

»Er hat hier ein paar Pferde, nicht?«

»Ich glaube, ja.«

»Und seine kleine Tochter und die Gouvernante sind bei ihm?«

»Ja, ich glaube, ein Kind und eine junge Dame, eine Miß – Grim – oder so ähnlich.«

»Grimshaw.«

»So heißt sie – Grimshaw.«

»Das war alles, was ich wissen wollte,« bemerkte Mr. Giveen und in seinem Ton lag solche befriedigte Bosheit und auf seinem Gesicht und in seinem Benehmen solch weichlicher Stumpfsinn, daß Mr. Dashwood unwillkürlich an Blasen ziehende, stechende Quallen denken mußte.

Mit gewaltiger Anstrengung überwand er das wilde Verlangen, Mr. Giveen mit einem Fußtritt von dem hohen Stuhl, auf dem er hockte, hinunter zu befördern, denn er war sich bewußt, daß Frenchs ganze Zukunft in seinen Händen lag und daß es nur von seiner Art, die Sache anzufassen, abhing, ob das Vorhaben dieses schwachgeistigen giftigen Feindes vereitelt wurde oder nicht.

Bobby selbst hatte zur Zeit noch keine Pläne, aber ein Umstand war ihm günstig – er kannte Giveens Absichten, und dieser ahnte nichts von den seinen.

»Der Streit, den ich mit French ausfocht,« sagte der listige Bobby, »zeigte mir, mit welchem Manne ich zu tun hatte. Ich war eines Tages draußen auf der Bahn, wo er seine verwünschten Pferde galoppieren läßt, und er fragte mich, was ich da suche. Was ich da suchte! Als wenn der Boden ihm gehöre! Und ich sagte ›gehen Sie zum Henker‹, und er drohte, mir einen Fußtritt zu versetzen.«

»Jawohl,« sagte Mr. Giveen, »in Fußtritten ist er groß, der Michael. Aber seine Fußtritte werden ihm noch einmal leid tun.« Er rieb sich leise die Hände und kicherte vor sich hin.

»Das werden sie,« erwiderte Bobby. »Ich weiß nicht, was ich darum gäbe, wenn ich ihm Gleiches mit Gleichem vergelten und mich an ihm rächen könnte. Übrigens, was veranlaßte Sie, in den Basar hineinzugehen?«

»Was mich veranlaßte?« entgegnete Giveen. »Na, was anders als ein Mädel.«

»Ein Mädel?«

»Meiner Treu, das hübscheste Mädel, das ich je gesehen habe. Ich ging die Straße entlang und sah mich nach jemand um, den ich fragen könnte, wo French wohnt, als ein Automobil vor dem roten Gebäude hielt; ein Mädchen mit einem Gesicht wie eine Teerose stieg aus und in dem Augenblick, wie sie mich sieht, da lächelt sie. Na, wenn ein junges Mädchen einen Mann so anlächelt, was bedeutet das?«

»Daß sie sich in Sie verliebt hat, natürlich,« erwiderte Mr. Dashwood, indem er Gesicht und Gestalt seines Gefährten betrachtete, wie man einen Toby-Bierkrug auf einem Stich von Hogarth ansieht, von der Groteskheit zugleich angezogen und abgestoßen.

»Na,« fuhr Mr. Giveen fort, »was kann ein Mann anders tun als folgen, wenn ein Mädchen einen so anguckt. Also ging ich hinein und an der Tür hielt ein Kerl mich zurück. ›Sechs Pence,‹ sagt er. ›Wofür?‹ sag' ich. ›Eintrittsgeld in den Basar,‹ sagt er. ›Was tun sie da drin?‹ sag' ich. ›Sachen verkaufen‹, sagt er. ›Ich möchte 'ne Tasse Tee haben,‹ sag' ich, ›aber ich will keine sechs Pence dafür zahlen, daß ich hingehe und sie mir hole.‹ ›Oh,‹ sagt er, ›so einem wie Sie geben sie Erfrischungen umsonst.‹ Also ging ich hinein.«

»Versteht sich,« fiel Mr. Dashwood ein. »Hören Sie – wann fahren Sie nach London zurück?«

»Mit dem Halbsechsuhrzug.«

»Hat Ihre Rückkehr Eile?«

»Meiner Treu, gewiß. Hier habe ich nichts mehr zu tun, aber in London desto mehr.«

»Wissen Sie,« sagte Bobby, »mir ist eingefallen, daß Sie gerade der Mann sind, der mir helfen könnte. Ich möchte diesem Kerl, diesem French, einen Streich spielen.«

»Wahrhaftig,« entgegnete Giveen, »unsre Gedanken begegnen sich. Einen Streich? Aber das ist ja, was ich auch im Sinn habe.«

»Ich dachte daran,« sagte Bobby, »ihn an der Nase herum zu führen durch ein Telegramm aus London, das ihn bittet, schnell hinzukommen, weil irgendein Verwandter krank wäre. Die Sache ist nur, daß ich nicht weiß, ob er Verwandte in London hat.«

»Das würde nichts nützen,« erwiderte Giveen. »Überlassen Sie es nur mir, ihm den Possen zu spielen. Wissen Sie –«

»Ja?«

»Der Kerl ist durch und durch verschuldet.«

»Verschuldet? Ich glaubte, er sei ein reicher Mann.«

»Reich? Er ist so arm wie eine Kirchenmaus. Und, passen Sie auf – er ist hierher ausgekniffen.«

»Ausgekniffen?«

»Jawohl – vor den Gerichtsvollziehern.«

»Herr des Himmels!« rief Bobby. »Aber hier hält ihn jedermann für einen Hauptkerl.«

»Er ist mit seinen Pferden aus Irland entwischt und hat das so schlau eingefädelt, daß niemand weiß, wohin er gegangen ist; aber ich habe es herausgefunden. Was ich Ihnen sage, ist die Wahrheit. Nun also, hören Sie mich an. Er schuldet einem Kerl in London einen Haufen Geld; der Kerl heißt Lewis und dieser Lewis schickte einen Mann nach Frenchs Landsitz in Irland, um ihn Besitz ergreifen zu lassen. Da stand der Mann und hämmerte an die Haustür und fand alles ausgeflogen. Na, aus einem Brief witterte ich, daß French selber, seine Tochter, die Gouvernante und die Pferde sich hier verkrochen hätten, und deshalb bin ich hergekommen, um Erkundigungen einzuziehen. Na, und hier ist er und morgen früh gehe ich zu Lewis und morgen abend werden die Gerichtsvollzieher bei French sitzen.«

»Donnerwetter,« rief Bobby, »das ist zuviel des Guten auf einmal! Wahrhaftig, dann ist French aufgeschmissen und ruiniert! All die hiesigen Leute werden ihn schneiden. Es wird aus mit ihm sein, ganz aus.«

»Er wird einen solchen Knacks kriegen, daß er sich nie wieder davon erholt,« sagte Giveen. »Er und seine Range können ins Armenhaus ziehen. Ihr eine Gouvernante zu halten! Und, wissen Sie –«

»Ja?«

»›Gouvernante‹ ist nicht ohne.«

Mr. Giveen begleitete diese rätselhafte Bemerkung mit einem Augenzwinkern, das eine Welt schmählichster Verleumdung ausdrückte. Mr. Dashwood stand von seinem Sitz auf und vollführte eine Art scharrenden Tanz auf dem Fußboden der Schenkstube.

»Was machen Sie da?« fragte Giveen.

»Was ich mache? Ich habe ein Gefühl, als müßte ich platzen. Zu denken, daß der Mann seine Strafe bekommt! Hören Sie, Sie müssen mit mir nach London fahren und bei mir essen.«

»Gewiß, mit dem größten Vergnügen. Aber ich habe nicht die Ehre, Ihren Namen zu kennen. Mein Name ist Giveen.«

»Und meiner ist Smith. Wo wohnen Sie in der Stadt?«

»Ich wohne in Swans Temperenzhotel am Strand.«

Mr. Dashwood blickte auf die Uhr.

»Es ist fünf Minuten vor fünf. Wir wollen nach dem Bahnhof gehen. Trinken Sie noch etwas?«

»Na, ich habe nichts dagegen,« sagte Mr. Giveen, der dem Prinzip huldigte, nie etwas auszuschlagen, das er unentgeltlich erhalten konnte.

Bobby Dashwood bestellte noch einen Krug Ingwerbier, den Giveen austrank, und dann machten sie sich auf den Weg nach dem Bahnhof.

Der einzige Plan, der Mr. Dashwood bisher in den Sinn gekommen war, bestand darin, sich nicht von seinem Begleiter zu trennen. Im schlimmsten Fall würde er wenigstens die Befriedigung haben, den Verräter durch Fußtritte aus Lewis' Kontor, wohin er entschlossen war, ihm zu folgen, auf die Straße hinaus zu werfen. Aber er fühlte unklar, daß es zwischen heute und morgen noch Möglichkeiten gebe, French zu retten.

Wenn Giveen nur ein Trinker wäre, so würde die Sache sich leichter machen. Ein Mann, der in eine angeheiterte Stimmung gerät, hat stets schwache Seiten, an die man sich halten kann. Aber Mr. Giveen besaß keine schwachen Seiten. Er war über und über weichlich, mit einigen Härten hier und dort; und die härteste Stelle war sein Haß gegen French.


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