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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Die Entführung

Als Mr. Giveen in Mr. Dashwoods Wohnung allein zurückblieb, setzte er sich bequem in einen Lehnsessel und blickte umher.

Er fühlte sich vom Glück begünstigt. Aus seinem neuen Freunde hatte er zwei Krüge Ingwerbier, eine Fahrt in einem Taxameter und, nicht zu vergessen, das noch bevorstehende Mittagessen herausgeschlagen; außerdem war er im Begriff, sich an French zu rächen. Alle diese Dinge miteinander versetzten ihn in eine angenehme vergnügte Stimmung und mit Befriedigung betrachtete er die ihn umgebenden Anzeichen der Wohlhabenheit.

Dann erhob er sich, begann einen Rundgang durch das Zimmer, besichtigte die Stiche an den Wänden, sein eigenes Gesicht im Spiegel, berührte die Boxerhandschuhe und Rapiere und untersuchte schließlich den Schreibtisch. Glücklicherweise lagen dort keine an »Mr. Dashwood« adressierten Briefe, und nachdem Mr. Giveen die Bücher aufgenommen und wieder hingelegt und noch einen Blick in den Spiegel geworfen hatte, setzte er sich wieder in den Lehnstuhl und verfiel in ein Träumen, das sich bald zum Schlummer vertiefte.

Er hatte etwa dreiviertel Stunden geschlafen, als er durch den Eintritt seines neuen Freundes geweckt wurde.

»Na,« sagte Bobby in fröhlichem Ton, »was machen Sie? Geschlafen, was? Wissen Sie, ich möchte, daß Sie auswärts mit mir zu Mittag äßen.«

»Sehr gern,« erwiderte Mr. Giveen, sich die Augen reibend. »Ich habe nichts dagegen – he juh! Ich bin halb dösig von all meinen Reisen. Und was ist aus Miß Soundso geworden?«

»Sie – oh, die werden wir bei Tisch treffen. Sie ist mit ihrem Auto vorangefahren.«

»Also sie hält sich ein Auto?« sagte Mr. Giveen, indem er aufstand und seine Weste herunterzog.

»Und ob! Zwei sogar! Na, sie hat ja auch 'ne halbe Million eigenes Vermögen. Aber hören Sie,« fuhr der listige Bobby fort, »ich nehme Sie nur unter einer Bedingung zum Essen mit.«

»Und wie ist die?«

»Na, ich selber habe mich in sie verguckt, verstehen Sie –«

»Meiner Treu, Sie können sich auf mich verlassen,« entgegnete Mr. Giveen in bester Laune. »Ich bin kein Heiratskandidat, sonst, du lieber Himmel, wäre ich schon vor Jahren weggeschnappt! Aber müßte ich nicht eigentlich ins Hotel gehen, um meinen schwarzen Rock anzuziehen?«

»Oh, da, wo wir hingehen, brauchen Sie keinen schwarzen Rock,« sagte Bobby mit grimmigem Humor. »Die Leute dort sind nicht förmlich. Aber vielleicht möchten Sie sich die Hände waschen. Hier ist mein Schlafzimmer.«

Er brachte den Gast in sein Schlafzimmer und ließ ihn dort. Als er in die Wohnstube zurückkehrte, traf er Robert, der meldete, daß einige Pakete gekommen seien.

»Zeig her,« sagte Mr. Dashwood.

Auf dem Flur lagen vier große Pakete in braunem Papier auf dem Fußboden. Das große Warenhaus von Thompson in Regentstreet hatte sie soeben gesandt.

»Schön,« sagte Bobby, »ich nehme sie mit aufs Land. Und höre, Robert, ich werde vermutlich ein paar Tage fort sein. Ein Auto, das ich bestellt habe, wird gleich am Vigostreeteingang vorfahren. Paß auf, ob es kommt, und sage mir Bescheid.«

»Jawohl, Sir. Soll ich einige Sachen einpacken?«

»Ja; stecke ein paar Sachen in eine Handtasche – genug für eine Woche – und verstaue die Tasche und diese Pakete hinten auf dem Auto, wenn es da ist.«

Zwanzig Minuten später erschien Robert und meldete Mr. Dashwood und seinem Begleiter, daß das Auto bereit sei.

Bobby geleitete seinen Gast nach dem Vigostreeteingang, wo ein Daimlerwagen von vierzig Pferdekräften mit angezündeten Laternen am Randstein hielt.

Bobby betrachtete diese furchtbare Lokomotive mit wohlwollenden Blicken. Der von Simpson mitgesandte Chauffeur stieg ab und Mr. Dashwood nahm seinen Platz am Steuerrad ein. Giveen, der von Gefahr so wenig ahnte wie ein Lamm, stieg ebenfalls ein und setzte sich neben seinen Freund.

»Fertig!« sagte Bobby.

Er steuerte das Auto rückwärts nach Cookstreet, bog dann wieder in Vigostreet ein und fuhr von dort nach Regentstreet.

»Was sagten Sie doch – wie weit ist es bis zu Miß Hitchen?« fragte Mr. Giveen.

»Ich sagte nichts darüber – aber es ist nicht weit, wenigstens nicht mit diesem Wagen. Sind Sie Autofahren gewöhnt?«

»Nein. Weiß Gott, ich bin noch nie Auto gefahren. Und sind Sie geübt im Steuern?«

»Oh, ziemlich.«

»Hatten Sie jemals Unfälle?«

»Unfälle? Und wie! Das ist der halbe Spaß. Bei meinem letzten Unfall verwandelte sich der Wagen in eine Schildkröte und nagelte den Menschen, der mit mir fuhr, unter der Maschine fest; das Benzin ergoß sich auf ihn und ein Funke zündete es an –«

»Großer Gott!« rief der entsetzte Giveen. »Verbrannte er?«

»Wer?«

»Der Mann mit dem Benzin.«

»Verbrannt! Seine Asche wurde in einem Eimer gesammelt. Haben Sie es nicht in den Zeitungen gelesen?«

»Nein,« entgegnete Mr. Giveen, »ich habe es nicht gelesen.«

Sie fuhren den Strand entlang. Die Nacht war klar und wärmer, als die Jahreszeit erwarten ließ – was für Mr. Giveen günstig war, denn er hatte keinen Mantel. Ihr Weg führte sie durch Fleetstreet und bei St. Paul vorbei, Bishopsgatestreet entlang.

»Ist es hier in der Nähe?« fragte Giveen, als sie an Whitechapel Church vorübersausten und in die alte Poststraße nach Ilford einbogen.

»Was?« fragte Bobby.

»Der Ort, wo wir hinwollen.«

»Oh, es sind sechzig oder achtzig Meilen bis dahin.«

»Sechzig oder achtzig Meilen!«

»Ja – das ist nichts für einen Wagen wie dieser hier. Passen Sie auf, wie ich ihn surren lassen werde. Ein solches Auto habe ich nicht gefahren, seit ich aus der verwünschten Anstalt heraus bin.«

»Wie beliebt?« sagte Giveen, dem kalte Schauer über den Rücken liefen. »Sagten Sie – verstand ich recht – welche Anstalt sagten Sie?«

»Plagen Sie mich nicht mit Fragen,« erwiderte Mr. Dashwood, »wenn die Leute mit mir reden, während ich steuere, mache ich sicherlich etwas verkehrt.«


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