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Fünftes Kapitel


Jeden Morgen, wenn die Sonne golden am wolkenlosen Himmel stand, zogen Dori und Otto aus, immer denselben Weg. Beide kannten nichts Schöneres, als den Gärten voller Duft und Blüten entlang zum Felsen hinaus zu wandern, dort ihre Blicke weit über das blaue Meer schweifen zu lassen und dann auf der anderen Seite zur alten Kapelle niederzusteigen. Hier war es völlig einsam, nie war ein Mensch da zu sehen. Die steinerne Bank an der Mauer hatte Otto sich als Ruhepunkt ausersehen, wo noch allerlei Gespräche stattfinden konnten, bevor dann draußen die großen Felsblöcke erklettert wurden, wo kein Wort mehr gewechselt werden konnte; die Brandung an den hohen Steinen war so gewaltig, daß sie jeden Ton verschlang. Aber es war doch schön, dort draußen zu sitzen. Beide liebten ihr wogenumtostes Felsstück, wo die Sonnenstrahlen, die auf sie fielen, doch vorweg eine gute Kühlung erlitten durch den Gischt der Wogen, der unaufhörlich an den Steinen emporsprang und sie öfters mit seinem feinen, kalten Sprudel übergoß.

»Weißt du, daß wir heute schon zwei Wochen miteinander hier sind?« fragte Dori, als sie sich eben wieder mit Otto aus der steinernen Bank bei der Kapelle niederließ; »ich begreife nicht, wie diese Tage vergangen sind.«

»Und ich noch viel weniger, Tante Dori«, behauptete Otto, »sonst war ein einziger Tag länger, als diese zwei Wochen, und eine Nacht noch viel länger.«

»Du rufst mich jetzt so wenig, Otto, während der Nacht nie, und beim Einschlafen so selten, wie ist das?« fragte Dori. »Du weißt ja, daß du mich immer rufen darfst, wenn du nicht schlafen kannst.«

»Gerade darum ist es gar nicht mehr nötig«, meinte Otto. »Wenn ich in der Nacht erwache, so weiß ich gleich, du bist ganz nahe und hörst mich gleich. Das macht mich so sicher und froh, daß ich gar nichts weiter denken muß; dann schlaf ich wieder ein. Und so ist's auch vor dem Einschlafen am Abend, mir ist so wohl, weil du nebenan bist, daß ich viel schneller einschlafe.«

»Wir wandern auch so viel und die Luft ist so herrlich«, sagte Dori wieder. »Heute müssen wir aber nach Hause schreiben, erst an deinen Vater, dann an die Mutter in Cavandone. Du willst ihr doch auch ein Wort sagen, Otto, nicht wahr?«

»O natürlich, ich habe ihr auch so viel mitzuteilen«, sagte Otto bereitwillig. »Nur schon von dem Herrn Maurizius, der durchaus dein Vetter sein will. Ich will sie fragen, ob sie das glaubt, ich glaube es gar nicht. Er will nur durchaus eine Freundschaft mit dir schließen, das merke ich ganz gut; er sieht dich immer an bei Tisch und sobald die zwei Fräulein ihn nur einen Augenblick in Ruhe lassen, so fängt er gleich mit dir zu sprechen an. Sie tun es ja nie, die Fräulein, warum tut er es denn? Weil er Freundschaft mit dir machen will, ich sehe es ganz gut.«

»Was du doch für Entdeckungen machst, Otto!« sagte Dori lachend. »Es ist ja einfache Höflichkeit, die jeder dem andern erweist, daß man sich dann und wann ein Wort sagt, wenn man täglich zusammen zu Tisch sitzt. Wenn die beiden Fräulein so viel mit ihrem Bruder zu sprechen haben, daß sie nicht auch noch zu einer Unterhaltung mit mir kommen, so finde ich das recht nett. Sie wissen auch so viel. Sie kennen alle Theater und alle Stücke, die da gespielt werden, und so viele Bücher, von denen ich niemals auch nur die Titel habe nennen hören. Ich bin recht froh, daß sie nicht mit mir zu sprechen anfangen über alle die Dinge, die sie verhandeln, ich wüßte nichts zu sagen.«

»Die eine von ihnen, sie heißt Erna, ich weiß es«, sagte Otto wieder, »spricht immer so kurios, sie sagt so viele fremde Worte, die man gar nicht versteht. Glaubst du, sie tue das, weil sie nicht weiß, wie man im Deutschen sagt, oder damit nicht alle Leute verstehen, was sie meint?«

»Nein, nein, keines von beiden, was denkst du dir denn für Sachen aus, Otto! Sie tut wohl so, weil sie vielleicht oft im Ausland war und andere Sprachen hörte; nun kommt es ihr so durcheinander, wenn sie erregt ist.«

»Sie kann ja nicht immer erregt sein und sie tut es in jedem Satz«, behauptete Otto mit Zähigkeit. »Pass' nur einmal auf, Tante Dori.«

»Ach, da sind Sie ja«, ertönte plötzlich eine Stimme von der Straße herunter. »Das ist also der Orkus, der Sie verschlingt, daß kein Sterblicher Sie mehr finden kann, sobald die Tore des Speisesaales sich hinter Ihnen schließen.« So sprechend war Herr Maurizius von der Straße herabgestiegen und stand mit den letzten Worten vor der steinernen Bank.

»O wir sind nicht immer hier«, sagte Otto schnell. »Manchmal sind wir an einem ganz anderen Platz, wo kein Mensch uns finden kann.«

»Mein junger Freund Cerberus, du bist ein wachsamer Hüter und deine Wachsamkeit ist löblich, ich werde dich gleich unterstützen dabei«, sagte Herr Maurizius lachend. »Sie erlauben, mein Fräulein, daß ich mich als Schutz zu Ihrer Linken niederlasse, während ihr schwarzlockiger Ritter Sie zur Rechten beschützt.«

Er wollte eben ausführen, wozu er sich die Erlaubnis erbeten hatte, aber Dori war schon aufgestanden. »Ich danke Ihnen, Herr Maurizius, so viel Schutz habe ich aber wirklich nicht nötig«, sagte sie mit einem lustigen Lächeln. »Wir wollen Ihnen aber nun die ganze Bank überlassen, eben waren wir im Begriff, aufzubrechen und zu einer notwendigen Arbeit zurückzukehren.«

»Dann erlauben Sie, daß ich Sie nach Haus geleite!« Herr Maurizius stellte sich schnell an Doris Seite; die drei stiegen zur Straße hinauf. »Das muß ich sagen«, fuhr er fort, als sie auf der breiten Straße bequem nebeneinander hergingen, »wer das blasse Männchen mit dem matten Blick bei seiner Ankunft gesehen und schaut jetzt in das Pfirsichblütengesicht mit den hellen Augen, der denkt nicht, daß er dasselbe Menschenkind vor sich habe. Die Ankunft der Tante Dori hat ein Wunder bewirkt.«

»Luft und Sonne hier am Meeresstrand tun wohl ihre Wunder«, entgegnete Dori, »das ganze Land hier ist ja ein blühender Garten. Sie haben die Gegend wohl schon nach allen Richtungen durchzogen, Herr Maurizius?«

»Unzweifelhaft! Jeder zweite Tag ist Ausflugstag in unserem Kalender, und ich glaube wirklich, da ist keine Richtung, die wir nicht schon eingeschlagen hätten«, bestätigte Herr Maurizius. »Sie haben am Ende noch gar keine Touren gemacht, sind immer hier geblieben, klebend an der Scholle?«

»Die Scholle ist schön, auf der wir blieben, wir haben nach keinen Ausflügen verlangt«, erwiderte Dori.

»Ist es die Möglichkeit, Sie haben die Küste noch gar nicht befahren? Da kennen Sie noch gar nichts von diesem Lande der sonnigen Gestade und der lichtumfluteten Buchten, diesem Lande jenseits der Nacht.«

»Nein, von dem kenne ich wirklich nichts«, bezeugte Dori.

»Beim ersten Ausflug, den wir unternehmen, kommen Sie mit, mein Fräulein, schon als Cousine, natürlich der junge Beschützer ist auch dabei; das geht nicht anders.«

»Vielen Dank, Herr Maurizius, aber ich muß für uns beide ablehnen, ich habe bestimmte Vorschriften zu befolgen, von denen gehe ich nicht ab. Ihnen aber wünsche ich noch recht schöne Tage zu Ihren Ausflügen«, setzte Dori, sich verbeugend, hinzu; sie waren nun bei der Villa angekommen.

»Auf Wiedersehen, Fräulein Cousine«, sagte Herr Maurizius, die Verbeugung erwidernd, »aber Ihre Weigerung wird nicht angenommen; Vorschriften sind kein Grund. Unbilliges verlangt kein edles Herz, also auch kein edler Arzt. Luft und Sonne genießen kann man überall, das ist die rechte Vorschrift; der Ausflug steht fest.«

Dori trat mit Otto ins Haus ein; ihr Begleiter ging nach der Laube der Zitronenbäume, um zu sehen, ob er seine Schwestern da finde. Sie war leer. Er ging nach ihrer Stube. Sie saßen, jede ein Buch in der Hand, am Fenster und gähnten abwechselnd.

»Wer wollte sich mit Grillen plagen,
Solang uns Lenz und Jugend blühn,
An alten Pergamenten nagen,
Und seine Stirn in Falten ziehn!«

rief der Bruder eintretend.

»Bitte, verschone uns mit deinen Zitaten, Richard, die du zu höherer Vollendung noch mit eigenen Erfindungen spickst«, sagte Fräulein Erna abweisend.

»Aber wer wird auch an der blütenduftenden Riviera hinter Glas und Rahmen sitzen und gähnen!« rief er wieder aus.

»Und wer wird denn immer umherrennen können!« entgegnete Erna, »und mit der Gesellschaft ist's ja gar nichts in diesem Haus.«

»Eben jetzt habe ich euch zum nächsten Ausflug eine liebenswürdige Dame eingeladen, ihr Anblick wird euch erfreuen«, sagte der Bruder.

»Wo hast du denn diese Dame gefunden, bei der du gleich eine Einladung anbringen konntest?« fragte die Schwester Wera verwundert.

»Auf der Straße«, war die Antwort.

»Ach geh, Richard, das ist ein schlechter Witz«, sagte Wera ein wenig enttäuscht.

»Nein, es ist kein schlechter Witz, es ist Fräulein Maurizius«, entgegnete er.

»Wirklich ein neuer Anblick«, bemerkte Erna spöttisch; »täglich sitzt sie uns gegenüber zu Tisch im gleichen grauen Kleid, und wir können ihre Unterhaltung hören mit dem Jüngelchen aus der Kapitale, von dem sie sich Tante nennen läßt. Der sieht übrigens recht gut aus, er muß aus gutem Hause stammen.«

»Ich hege die Ansicht, daß auch sie nicht übel aussieht in ihrem grauen Kleid, das ihr so knapp sitzt bis zum Hals hinauf, als wäre sie hineingewachsen«, sagte der Bruder. »Und dies wellige, braune Haar über den glänzenden Augen ist wieder nicht übel anzusehen, und wenn sie so hereinkommt, frisch wie der Morgen und wie eine Tanne schlank, da muß man mit deinen Worten sagen: ›die sieht übrigens recht gut aus‹, und aus gutem Hause wird sie auch stammen, trägt sie doch unseren Namen.« Richard schlug sich an die Brust und lachte auf.

»Es weiß kein Mensch, woher sie stammt«, warf Erna hin, »daß sie die Tante des Jungen sei, davon ist keine Rede, überhaupt soll sie gar keine Verwandte des Hauses sein, eine Art Pflegerin des Jungen war sie längere Zeit, das weiß ich von der Dame, die den Jungen hergebracht hat.«

»Unsere Verwandte ist sie sicher, das laß ich mir nicht nehmen«, behauptete der Bruder; »ihr Vater stammt aus unserer Gegend und da sind die Maurizius sich alle verwandt, sind auch gar nicht in großer Zahl vorhanden. Übrigens erinnere ich mich ganz gut, daß bei Borkum oder dort herum, wo wir unsere Badekuren machten, ein alter Pastor Maurizius war, den man zu besuchen pflegte, er war, wie ich glaube, der Bruder unseres Großvaters, folglich ist die Verwandtschaft gar nicht so fern.«

»Keine Rede davon, jener alte Pastor war ein ferner Vetter des Großvaters«, sagte Erna rasch.

»Also weißt du's? Seht mir die Schlauheit an«, lachte der Bruder. »Sie weiß, daß unsere Großväter Vettern waren und will es nicht sagen, damit die Enkel nicht Vettern sein sollen. Ich glaube ganz sicher, jener Pastor war ein Bruder des Großvaters, ich erinnere mich, daß wir ihn Onkel nannten.«

»Verliere doch nicht so viel Worte an mich um eines Gegenstandes willen, der mich langweilt«, sagte Erna abweisend.

»Erna, du bist eine Persönlichkeit, die man nur in der Gesellschaft treffen sollte«, erklärte der Bruder, sich vor sie hinstellend, »da bist du der liebenswürdigsten eine, da sprichst du entweder englisch oder sonst mit Engelzungen, bist du aber mit deiner Schwester und deinem Bruder im Alltagsleben zusammen, so sprichst du mit unverkennbarer Menschenzunge ein unverblümtes Deutsch.«

»In Gesellschaft ist ja jedermann ein wenig in gehobener Stimmung, das kannst du nicht nur Erna vorwerfen«, sagte die Schwester Wera verteidigend.

»Ganz richtig«, stimmte der Bruder bei, »daher die schwierige Aufgabe desjenigen, der sich prüfen soll,

Eh' er sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!

Die Menschen lernen sich eben in Gesellschaft kennen, wie wird aber die Erwählte nachher im ungehobenen Zustande sich entfalten?«

»Wie kommst du denn zu solchen Betrachtungen wie vom Zaun gerissen?« fragte Erna, indem sie dem Bruder einen forschenden Blick zuwarf.

»Es kommen Fremde, kommt hierher«, rief Wera den Geschwistern zu, diese zu ihrem offenstehenden Fenster herwinkend.

Einträchtig guckten jetzt alle drei Köpfe aus demselben Rahmen; allen dreien war neue Gesellschaft willkommen. Zwei junge Damen waren ausgestiegen und schritten schweigend und aufrecht dem Hause zu. Der Herr blieb sitzen, bis der Hausknecht an den Wagen herantrat. Jetzt streckte er stumm den Arm aus, wies auf das reichliche Gepäck, das den Wagen füllte, dann stieg auch er herunter und schritt den Damen nach.

» Rule Britania, rule thy waves«, begann Richard zu singen.

»Es ist ein wahres Glück, daß Engländer ankommen, so kann man hoffen, daß endlich eine gesellschaftliche Unterhaltung in der Villa Palmyra zustande komme«, bemerkte Erna.

»Sie sind musikalisch, unter den Gepäckstücken lag ein ganzer Stoß Notenhefte zusammengebunden«, teilte Wera mit. »Sie kommen wohl nur von einem anderen Orte der Riviera her mit dem ganzen Haufen kleiner Gepäckstücke.«

Noch an demselben Abend hatte Fräulein Erna die Genugtuung, die neu angekommenen Gäste nach der Abendtafel im Gesellschaftszimmer zu finden. Der große Stoß von Notenheften, den Wera bemerkt hatte, war auch schon dahin gebracht worden. Das gab Erna Gelegenheit, ein musikalisches Gespräch mit den Damen einzuleiten, durch welches sie mit Liebenswürdigkeit auch den Herrn anzuregen verstand, der vorher halb schlafend hinter einem ungeheuren englischen Zeitungsblatt gesessen hatte. Die Damen spielten alle mögliche Musik, am liebsten vierhändig, wie sie aus Ernas Fragen mitteilten. Ihr Begleiter, der Gemahl der älteren der beiden Schwestern, war, wie diese Erna versicherten, auch ein ungeheurer Musikfreund, jeden Abend mußten sie ihm mehrere Stunden lang vorspielen, Altes und Neues, Ernstes und Heiteres, Opern- und Kirchenmusik. »In der Tat«, bestätigte der Herr selbst, »ich finde alle Musik schön, was es auch sei, wenn man mir nur Musik macht. Aber gut muß sie ausgeführt sein, das versteht sich, fix und akkurat, das muß sein. Das verstehen nun meine Damen brillant«, setzte er erfreut hinzu.

Herr Maurizius und seine Schwester Wera hatten sich der musikliebenden Gesellschaft auch angeschlossen und von allen Seiten wurden nun die englischen Damen zum Klavierspiel aufgefordert. Sie folgten dem Wunsche der Gesellschaft und spielten vierhändig ein Stück nach dem andern fix und akkurat, wie ihr Begleiter angezeigt hatte; nur war es sonderbar, daß durch die Art ihres Spiels die verschiedensten Musikstücke der verschiedensten Meister so ähnlich tönten, als kämen sie alle aus einer Hand und hätten denselben Sinn zu offenbaren.

Nach einiger Zeit wurde Fräulein Erna zum Singen aufgefordert und von der Familie Castlewall so beklatscht und bewundert, daß sie mit Vergnügen dem fortdauernden Drängen nachgab und weitersang, bis die späte Stunde die Gäste zwang, sich zurückzuziehen. Von dem Tage an hörte Dori in ihrem Zimmer allabendlich die Klänge der Musik vom Saal herauftönen bis in die späte Nacht hinein, und oft erklangen sie schon am Morgen wieder und klangen noch fort, wenn sie mit Otto von dem gewohnten Morgenspaziergang zurückkehrte.

»Das wird dem Papa gefallen, wenn er kommt, daß so viel Musik im Hause ist«, sagte Otto, als sie aus dem Zimmer tretend eben wieder einen lieblichen Gesang ertönen hörten. »Du solltest nur wissen, Tante Dori, wie gern er Musik hört! Und Oskar auch«, fuhr Otto zu erzählen fort, als sie nun die Straße hinaufwanderten, »der hat auch so gern Musik, er spielt auch Klavier und will ein Musiker werden. Aber dann will er auch wieder ein Seemann werden, und wenn er nun hier das Meer sieht, und die Schiffe draußen, dann will er gewiß erst recht ein Seemann sein. Aber auf einmal sitzt er dann wieder am Klavier und will nur noch singen.«

»Er weiß wohl noch nicht recht, was er will, der junge Herr Oskar«, sagte Dori. »Wie ist denn dein zweiter Bruder? Ist er auch so lebhaft und unstet?«

»O nein, Waldemar ist ganz anders, der will ein Pfarrer werden, das will er nun schon immer und nie etwas anderes«, berichtete Otto. »Aber siehst du, Tante Dori, ich wollte noch lieber, er wäre so wie Oskar, er ist so schrecklich still und sitzt nur so nachdenklich da und sagt nichts.«

»Spricht er denn nicht zu seinem guten Vater?« fragte Dori.

»Nein, das tut er nicht. Aber der Papa sagt auch nicht, daß er's tun soll. Er sieht ihn nur so an und dann sagt er zu ihm: ›Armer Waldemar, dir fehlt die Mutter‹. Zu mir hat er auch oft so gesagt, seit ich krank geworden war.«

»Ich freue mich, deine Brüder kennen zu lernen«, sagte Dori lebhaft, »und endlich einmal wieder deinen Vater zu sehen, darauf freue ich mich auch sehr. Du doch gewiß auch, Otto, recht sehr, nicht wahr?«

»Ja, ja, gewiß freu' ich mich«, versicherte Otto. »Aber siehst du, Tante Dori, ich fürchte etwas, wenn du nur das nicht tust: Wenn nun mein Papa kommt, und ich bin so gesund, so sagt er vielleicht, ich könnte nun mit ihm heimkommen, dann gibst du ihm vielleicht recht. Aber ich muß wirklich mit dir nach Cavandone gehen, oder ich muß wieder krank werden.«

»Nein, das sollst du nicht, mein Junge. Cavandone steht fest«, versicherte Dori. »Wenn dein Vater ein Versprechen gegeben hat, so zieht er es nicht wieder zurück. Komm, und sei ganz fröhlich, wir verleben unseren Sommer zusammen in Cavandone.«

Der Meerwind stieg heran und wie in heller Freude winkten alle Blumen am Wege mit ihren sonnigen Kelchen den beiden Herankommenden entgegen. Die helle Freude lachte auch aus Doris und Ottos Augen, wie sie nun durch Wind und Sonne Hand in Hand über den Felsenrücken zu ihren meerumtosten Steinblöcken niederstiegen.


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