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Gemeinnützige Visionen

 

Steuerphantasien

 

Ein billiges, unfehlbares und vollkommen unschädliches Mittel für kranke, invalide oder sonst geldbedürftige Gemeinden, um sich vor Steuerverheimlichungen zu schützen

Neulich las ich in einem grundgelehrten Werke die tröstliche Prophezeiung, wie und was maßen der Zinsfuß nach menschlicher Voraussicht fröhlich weiter bergab schlitteln werde bis zu ein oder eineinhalb Prozent. Anderseits braucht man kein Jesaias zu sein, um ein ebenso stetiges und rüstiges Aufwärtsklettern des Steuerfußes vorauszusagen. Ein hübscher Flaschenzug! eine appetitliche Drahtseilbahn! Da muß unfehlbar einmal ein Zeitpunkt eintreffen, wo die steigende und die fallende Bewegung sich schneiden, wo die zu Tal fahrende Diskontokutsche dem zu Berg steigenden Steuerlastwagen begegnet. Der Zinsfuß und der Steuerfuß werden einander in die Hühneraugen gucken und sich verwundert die Hand drücken; und dann geht es weiter, der eine immer höher, immer höher; der andere kleiner und kleiner, bis er schließlich in der neblichten Tiefe des Meeres der Vergessenheit verschwindet.

Ich höre Stimmen und schaue Gesichter.

Ich sehe am Horizont folgende Bilder auftauchen und immer näher herankommen: Großkapitalisten, welche sich am Bahnhof in einem Extrazug einlogieren, vorn im Coupé ein Privatarzt, hinten im letzten Wagen ein paar Ballettmädchen, um beim ersten Sozialdemokrach sofort in ein milderes Klima davondampfen zu können, Kleinkapitalisten, welche im grünen Wagen wie die Geschirrhändler von Lande zu Lande haudern, heimatlos, von Krämern bedroht, von den Steuerbeamten verfolgt, von Gastwirten mit offenen Armen abgefangen, von den Anarchisten zu Zielübungen für den Bombensport benützt; nomadisierende Karawanen von Mastbürgern, auf der Suche nach steuerfreien Oasen. Ich sehe andere eine Arche Noah bauen und jahraus jahrein von Rapperswil nach dem Zürichhorn und vom Zürichhorn nach Rapperswil schwimmen, den auf Dampfschwalben dahereilenden Steuerpiraten den frechen Kalauer entgegenrufend, daß sie ihr Kapital zu Schiffe mit sich führten, also bereits laufend ‹versteuerten›. Ich sehe ferner eine sonntägliche Smala auf dem Ütliberge ihr Fränzeli mit folgenden Worten abkanzeln: «Es ist doch ein leides Kind, das Fränzeli. Geht es jetzt wahrlich nicht und bringt mir eine Tausendfrankennote, die es im Wald gefunden hat! und ich habe ihm doch oft genug gesagt, es soll mir keine Giftbeeren anrühren und das Tüggelersgeld liegen lassen!» Ich sehe einen greisen Erblasser feierlich wie der König von Thule sein Vermögen in den See versenken, damit es nicht in den löcherigen Sack des Fiskus falle; ich sehe endlich die überwiegende Mehrzahl der Menschen ihre Ersparnisse im Garten verlochen und amtliche Sbirren mit auf Banknoten dressierten Spürhunden, welche danach graben. Mir ist dabei, ich hätte diese Bilder schon einmal irgendwo gesehen; und wenn ich nachdenke, so finde ich, das war vor einigen hundert Jahren in der Türkei, in Kleinasien, in Ägypten. Dort verläuft noch heute die Steuerenthebung höchst dramatisch, unter dem spannenden Bilde von Baschi-Bosuks, welche den Steuerpflichtigen unbesehen wie einen bockbeinigen, störrischen Simulanten behandeln, und von Steuerpflichtigen, welche die Steuerbeamten wie eine uniformierte Räuberbande empfangen.

Ich kann nicht finden, daß wir von diesen Zuständen weit entfernt sind. Wenn ich einerseits fröhlich den Grundsatz predigen höre, dem Bürger stände das heilige Menschenrecht zu, einen saftigen Bruchteil seines Vermögens der Steuerbehörde gegenüber zu verheimlichen, und anderseits vernehme, daß eine allgemeine amtliche Inventarisation zur Verhütung von Steuerunterschlagungen teils gefordert wird, teils bereits besteht, so haben wir da schon einen ganz respektablen türkischen Zustand, nur in Oktavformat statt in Quart. Jeder Bürger im Geruch eines Defraudanten, das riecht nach Mamelucken. Ich weiß nicht – es ist mein bloßes privates Geschmacksurteil –, aber ich habe eine eigentümliche Idiosynkrasie gegen Maßregeln, die mich zum vornherein als einen Malefikanten verdächtigen. Zu welchen Zwecken wird denn eine amtliche Versiegelung von Steuerobjekten gefordert? Damit man nichts verschleiße, verheimliche, beseitige. Schönen Dank. Das ist gerade so, als ob man den Besuchern von öffentlichen Museen Handschellen anlegen wollte, damit sie nichts stehlen. Ich frage: Ist eine menschliche Gesellschaft eine Sträflingskolonie oder eine Gemeinschaft anständiger Menschen? Ich meine, daß ein Gemeinderat, welcher seinen Angehörigen amtliche Inventarisation und Versiegelung zu Steuerzwecken oktroyiert, die Gemeindeangehörigen beleidigt; ich urteile, daß, wenn sich der Staat zum Spürhunde erniedrigt, er den Bürger geradezu verführt, den Fuchs zu spielen. Ich bitte endlich dringend um ein Gesetz, das bestimmt, in welchem gegebenen Moment es einem Steuerpflichtigen erlaubt ist, eine amtliche Mißtrauenskommission zum Hause hinauszuwerfen. Einfach und ernst gesprochen: Jede Kontrollmaßregel, welche vom Mißtrauen diktiert wird, ist beleidigend, erniedrigend, folglich demoralisierend.

Ich erlaube mir, dem gegenüber ein höchst einfaches und überaus wirksames Kontrollverfahren vorzuschlagen, welches gerade aus dem absoluten Zutrauen in die Selbsttaxation seine Energie schöpft. Ein Verfahren, so wirksam, daß die Steuerkraft einer Gemeinde plötzlich in ungeahnte Höhen hinaufschnellen würde: Eine Gemeindebehörde beschließt, alljährlich drei, durch das Los zu bestimmende Vermögen zum Selbsttaxationspreise anzukaufen, zu expropriieren. Es wird hiefür durch das Los, wie bei Obligationen, erst die Serie der Häuser (das Quartier), dann die Straßen, die Hausnummer und endlich der Haushalt bestimmt, und zwar sollen die drei Vermögen drei verschiedenen Quartieren entnommen werden. Den Eindruck möchte ich erleben! Glauben Sie nicht, daß die Möglichkeit, von der Verlosung begünstigt zu werden, die Sehlinse jedes einzelnen für die Aktiven seines Kontos unendlich schärfen würde? Die Expropriation ist ja das reinste Benefiz, wie ich mein Vermögen preiswürdig taxiere und der Staat mir dasselbe kostenfrei liquidiert; wem aber die Eventualität eines solchen Benefizes ein Benefizittern verursacht, der mag daraus getrost die Gewißheit schöpfen, daß er sich zu niedrig taxierte. Durch dieses ironische Mittel also haben wir in der Selbsttaxation selbst die Korrektur derselben geschaffen, die Kraft des Vertrauens in Energie der Kontrolle umgesetzt.

 

Leistung und Gegenleistung

Es gibt unter den Steuerpflichtigen einen hohen Prozentsatz, namentlich unter den Frauen, welcher überhaupt keine Ahnung davon hat, worauf sich die Steuerpflicht gründet, und was mit dem runden Gelde, das ihnen jährlich von der Polizei zuhanden der Gemeinde und des Kantons abgezapft wird, ungefähr geschehen wird. Es gibt ferner einen nicht geringen Prozentsatz, namentlich unter den Männern, welcher zum vornherein annimmt, daß das Geld entweder zu törichten Zwecken richtig oder zu richtigen Zwecken töricht vertrödelt werden wird. Ich gehöre nicht dazu, denn ich politisiere nicht, aber seit meiner frühesten poetischen Jugend bis zum gegenwärtigen Augenblick vernehme ich überall da, wo mich der Zufall zu politischen Männern in politische Gespräche hineinführt, klassische Urteile wie die folgenden: «Da hät der Stadtrat wieder ämalig e verfluechti, verbrännti Chueeselsdummheit gmacht!» «Da sind wieder tusigi und hunderttusigi vo Fränkli dur die verbrännti Chäibetummheit vo dene Stieregrind vo Gmeindröt verlochet worde.» Ich zweifle, ob die Steuerwilligkeit durch solche bukephalische Legenden gefördert wird. Warum läßt sich nicht die Steuerbehörde herab, den Steuerpflichtigen von Fall zu Fall über den Zweck und die Verwendung der geforderten Steuer aufzuklären, zum Beispiel durch ein Broschürchen oder durch ein Bildchen? Zum Beispiel, wenn es sich um eine Wasserversorgung handelt, ein Steuerungeheuer, das mit dem Maule zwar Ersparnisse verschlingt, aber aus dem Schoße Quellen sprudeln läßt. Der schwere Abschied von dem Gelde würde manchen dadurch wesentlich erleichtert werden.

In zwei Punkten ist wohl alle Welt einig. Erstens: die Steuern sind nicht dazu da, um verwurstet, verlocht, verspekuliert und verpolitisiert zu werden; man zahlt nicht, damit sich etwas Radikales oder Konservatives daraus ereigne, sondern damit etwas Reales, Allgemeinnütziges geschehe. Zweitens: der Staat und die Gemeinde beziehen ihr Steuerrecht aus dem Titel gewisser Gegenleistungen, und diese sind vor allem die Gewährleistung des Rechtsschutzes, der persönlichen Sicherheit, der Verkehrsmittel. Wie nun, wenn der Staat diese Leistungen nicht erfüllt?

Da haben wir zum Beispiel eine Polizeisteuer. Vortrefflich. Wenn mir jedoch eine städtische Behörde nur drei Polizeiuniformen vorweist, welche in der Nähe des Polizeipostens behaglich einwurzeln und die ich nur dann zu Gesicht bekomme, wenn sie mir einen Steuerzettel ins Haus bringen (also eine Polizeisteuer nur zum Zwecke der Steuerpolizei?), wenn sie in der Nacht spurlos verschwinden? wenn sie seit Menschengedenken niemals an einem Orte gesehen wurden, wo sie hingehörten? bei Streit, Auflauf, Einbruch und Überfall? Wenn ich mich meiner Haut selber wehren, wenn ich einen Totschläger oder Revolver mit mir tragen muß, um mein Domizil sicher zu gewinnen? Soll ich da verpflichtet sein, Polizeisteuer zu bezahlen? Ich werde es natürlich dennoch tun, um des Friedens und der Loyalität willen und weil ich muß, aber ich werde es in der lyrischen Stimmung eines von einer offiziellen Maffia Gebrandschatzten tun. Ich schlage in aller Ehrfurcht folgendes Verfahren vor, um die Behörden sanft und milde an ihre Pflicht des persönlichen Schutzes ihrer Einwohner zu mahnen. Paragraph: Wenn sich ein Einbruchdiebstahl oder ein Überfall oder ein Mord im Weichbild einer Gemeinde ereignet, ohne daß Polizei zur Stelle gewesen wäre, so ist die Polizeisteuer für das laufende Jahr allen denjenigen Einwohnern, welche in einem Umkreise von hundert Quadratmetern vom Zentrum des Tatortes an gerechnet, wohnen, zurückzuvergüten. Fernerer Paragraph: Wenn drei unbescholtene Einwohner mit ihrer Unterschrift bezeugen, vier Stunden der Nacht in irgendeiner Straße hin- und hergewandelt zu sein, ohne einen Polizisten von Angesicht gesehen zu haben, so ist sämtlichen Bewohnern dieser Straße eine einmonatliche Rate der Polizeisteuer zurückzuvergüten. Zusatzparagraph: Genannte Einwohnerkontrollpatrouillen haben sich des vorhergehenden Besuchs von Kneipen zu enthalten und sind höflich ersucht, nicht etwa ihrerseits auf der Straße Unfug zu begehen, respektive die Vorübergehenden zu molestieren. Ich habe die ruhige Überzeugung, daß solche kleine finanzielle Spörnchen unseren lahmen Polizeiorganen merkwürdig auf die Beine helfen würden.

 

Provokation gerichtlicher Entscheidungen ohne Prozeß

Zwischen der theoretischen Kasuistik der Rechtswissenschaft und der praktischen Rechtspflege durch die Gerichte glaube ich eine Lücke klaffen zu sehen. Wenn ich in einem gegebenen Falle im unklaren darüber bin, was Rechtens ist, warum muß ich erst mit meinem Nachbarn Streit anfangen, um absolute, allgemein verbindliche Rechtsklarheit zu erlangen, so wie sie ein Gerichtsbeschluß schafft? Man sagt mir: Gehen Sie zu einem Advokaten. Dafür danke ich. Der Advokat hat seine Privatmeinung und der Gegenadvokat hat die entgegengesetzte Privatmeinung über die Anwendung und Interpretation des Gesetzes. Summa: Streit, Prozeß, Ärger, Kosten, Zeitverlust. Warum sollte es nicht eine Behörde geben, welche für materielle Rechtsfragen dem Streite endgültig vorbeugt, so wie das Notariat die formale, unanfechtbare Gültigkeit einer Urkunde begründet? Warum soll es einem Privaten nicht freistehen, gegen Vergütung den legalen Charakter einer beabsichtigten Handlung durch die Gerichtsbehörde zum voraus konstatieren und sich bescheinigen zu lassen, wie man sich die Gültigkeit eines Testamentes durch den Notar verbürgen läßt?

Ich will zwei Fälle als Beispiel wählen. Ich habe die Absicht, einen Baum in meinen Garten zu pflanzen. Darf ich den Baum an dieser Stelle, auf diese Entfernung von der Grenze erstellen lassen und wie hoch darf er hinaufreichen? Um das zu wissen, begehre ich weder die unmaßgebliche und vielleicht nicht einmal uninteressierte Gesetzesauslegung eines Advokaten, noch weniger einen Prozeß mit meinem Nachbar; ich begehre absolute Sicherheit, ob ich das Recht dazu besitze oder nicht. Besitze ich das Recht nicht, gut, dann wird die Handlung unterbleiben; besitze ich es aber, dann will ich das nicht durch einen Prozeß und ein Urteil erkaufen, sondern ich will mein Recht im Frieden ausüben. Diesen Frieden eben soll mir ein von mir provoziertes unanfechtbares Vorurteil verschaffen. Ein anderer Fall: Ein Fabrikant oder Verkäufer annonciert in frechster Weise mit der schamlosesten Reklame Schundwaren, die ich und meine Bekannten zu unserem Schaden als Schundwaren erprobt haben; ich fühle mich verpflichtet, meine Nebenmenschen davor zu warnen, ihrerseits hineinzufallen, hüte mich aber wohlweislich das zu tun, da das leichteste Versehen im Ausdruck mich zehn- oder zwanzigtausend Franken und mehr kosten kann. Jedenfalls habe ich eine Klage auf Kreditschädigung sicher zu gewärtigen. Es ist nun zwar wahrscheinlich, daß ich den Prozeß gewinnen werde, aber es ist nicht ermunternd, immer von neuem Zehntausende von Franken eines Inserates wegen zu riskieren. Dagegen wünsche ich nun wieder die Möglichkeit eines gerichtlichen Vorentscheides. Das heißt, ich lasse einen Ausschuß des Gerichtes gegen Vergütung der Sitzungskosten darüber entscheiden, ob das Inserat, welches ich zur Warnung für das Publikum hiemit vorlege, nach dem Wortlaut des Gesetzes statthaft und unbeanstandbar sei. Je nach der Entscheidung werde ich das Inserat unterdrücken oder abändern oder unverändert publizieren. Im letzten Fall bescheinigt mir das Gericht oder der Ausschuß des Gerichtes die Statthaftigkeit, und wenn der Schundfabrikant später mit seiner Klage auf Kreditschädigung aufmarschiert, so wird er mit dieser Klage einfach auf Grund jener Bescheinigung abgewiesen. Mich dünkt, der Unterschied ist klar und wichtig, und die Konstituierung eines gerichtlichen Ausschusses zu einer Gesetzesinterpretationsbehörde mit bindender Urteilskraft wäre eine wünschenswerte Neuerung.

 

Ein Expeditionswinkel im Postbureau

Post und Spedition, das sind zwei unzertrennbare Begriffe wie Kastor und Pollux, wie Luft und Leben, wie voll und ganz. In der Tat spediert mir die Post meine Briefe und Gepäcke in bereitwilligster, billigster und meist auch höflichster Weise. Es gehört heutzutage zu den Seltenheiten, daß statt eines freundlichen Menschengesichtes eine Bulldogge aus dem Schalter hervorknurrt. Und doch – unvollkommen sind nun einmal alle irdischen Einrichtungen – schickt mich derselbe liebenswürdige Postmeister, der mir in der verbindlichsten Weise allen nur gewünschten Rat und Aufschluß erteilt, wegen eines mangelnden Schnürchens, wegen eines fehlenden Siegelchens, wegen eines technischen Fehlerchens der Verpackung unbarmherzig nach Hause; zweimal und dreimal, bis ich mich schließlich soweit in den Postdienst eingeübt habe, reglementarisch vor dem Schalter zu erscheinen.

Da scheint mir eine unrichtige Auffassung des Speditionsgeschäftes vorzuliegen; es handelt sich ja nicht darum, den Spedierenden nach Hause zu spedieren, sondern den Speditionsgegenstand an seine Adresse zu befördern. «Ja, dann soll er nur richtig verpacken!» Lieber Freund, wissen Sie, was Sie sagen? was Sie von mir verlangen? Ich gehöre wahrlich nicht zu den Menschen, welche so leicht etwas zum Unmöglichen zählen; soll ich Ihnen in zwei Wochen Flöte spielen lernen? Her mit der Flöte! Oder wollen Sie, daß ich Ihnen Arabisch lerne? Ich bitte um einen Koran. Aber ein Paket mit Siegeln und Deklarationen dermaßen mechanisch zu konstruieren, daß es sämtlichen Wünschen des Postreglementes gerecht wird, nein, das übersteigt menschliche Kräfte. Ich habe es vor Zeiten ehrlich mit Anstrengung alles Fleißes versucht; ich bin ehedem wegen einer lumpigen Schachtel viermal hin- und hergepilgert; umsonst. Jetzt setze ich mich einfach bei der Drohung ‹Paket›. das ein Postmeister von mir fordert, auf den nächsten Eckstein und ergebe mich einer trostlosen Verzweiflung. Ich überlege meine Lage, und je mehr ich sie überlege, desto unheilbarer erscheint sie mir. Packpapier, Schnürchen, Siegellack aufkaufen, dann Buchbinderarbeit ausüben, der ich nie den Segen eines Handfertigkeitskurses gekostet habe, hernach kaufmännische Talente durch tadellose Ausfüllung von Deklarationsbogen an den Tag legen, schließlich meine Arbeit als ungenügend taxiert sehen wie ein Schulbub und noch einmal anfangen. Da bleibt mir nur übrig, auf die Absendung des Gegenstandes zu verzichten oder selbst hinzureisen, um ihn persönlich abzugeben.

«Aber so gehen Sie doch in ein Speditionsbureau!» Gemach! ich bin in ein Speditionsbureau gegangen und werde dorthin gewiß nicht wieder gehen. Ein halbes Dutzend von Kommis, die Federn hinter den Ohren, die ein Dutzend von Minuten nötig haben, um das seltsame Verlangen, das ich an sie stelle, nämlich das Verlangen, mir ein Päckchen postgemäß herzustellen, von ferne zu begreifen. Intervention der Prinzipale, mit Federn und Bleistiften ausstaffiert wie Indianerhäuptlinge, darauf ein langer Kriegsrat, endlich das gnädige, herablassende Urteil, als ob ich um ein Almosen gebettelt hätte, sich ausnahmsweise mit dem Auftrag befassen zu wollen. «Ja, womit befassen Sie sich denn regelmäßig?» Während ich frage, regt es sich in allerlei Kisten und Kasten; in dem einen bellt, in dem andern miaut, in dem dritten grunzt es. «Was haben Sie da für eine beneidenswerte Menagerie?» «Seehunde, Meerschweinchen.» «Fressen Sie die?» «Nein, die spedieren wir.» «Es tut mir unendlich leid, Ihnen nicht mit Seehunden aufwarten zu können; auch produziere ich keine Meerschweinchen. Verzeihen Sie daher gütigst, Sie belästigt zu haben.»

Mit dem Seehund-Speditionsbureau wird vermutlich den wenigsten Opfern der postalischen Siegeleien und Deklarationen gedient sein. Ich erlaube mir daher zum allgemeinen Nutzen den Vorschlag, daß in einem Winkel des Postbureaus ein kleiner hilfreicher Geist in Gestalt eines Buben oder Mädchens, wie man dergleichen Geister in Zeitungsexpeditionen antrifft, sich aufhalte, welcher gegen eine Vergütung die reglementskonforme Herstellung aller zu versendenden Postgegenstände besorgt. Anstatt daß gegenwärtig der Postmeister einen wegen eines Schnürchens nach Hause jagt, würde er einen mit freundlichem Wink in den mildtätigen Winkel verweisen. Oder noch besser: man hätte gar nicht nötig, erst am Schalter zu parlamentieren. Ich marschiere mit Mappe und Lade in den Speditionswinkel: «Da sind ein halbes Dutzend Briefe. Lecken Sie mir dieselben gefälligst zu; klatschen Sie die nötigen Marken darauf; und dieses Buch bitte mir einzupacken; die Blumen sollen nach Wien. Die Adresse werde ich Ihnen diktieren.»

Die Post besorgt die Spedition; was wäre einfacher und nützlicher, als daß sie, einen kleinen Schritt weiter gehend, auch die Speditionsvorarbeit gegen entsprechende Vergütung übernähme? Eine Unsumme von Zeit, Arbeit und Ärger würde damit dem Publikum erspart. Selbstbesorgen ist zwar ein schöner Grundsatz, aber ein hinterwäldnerischer; diesseits dem Walde beruht die industrielle Kultur darauf, daß wer etwas besser versteht, die Arbeit für das Geld der übrigen leistet, welche es schlechter verstehen.


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