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Jeremias im Garten

 

‹Es tödelet›

Du hast vielleicht ein Gärtchen, du begibst dich zum Gärtner, um ein hübsches Kräutlein auszulesen. Dort erblickst du einen wundersamen Busch vom prächtigsten Grün, leuchtend wie ein wohlgepflegter Rasen, voll und schlank und rund wie ein halbwüchsiger Engel; das Ganze ein Bild jubelnden Frohsinns, das deinem Gärtchen einen unersetzlichen, saftigen Farbenton geben wird, einen Ton – wie beschreibe ich ihn nur? Sind Sie farbenblind? Schade, sonst hätte ich gesagt: himmelgrün. Nun, sagen wir: traumgrün oder seifenblasengrün. Kurz, das ists, das dir vorschwebte, das leuchtet dir ein, das begehrst du. «Wie heißt der Busch?» «Cupressus viridis stricta.» «Was kostet er?» «–?–» «Gut, setzen Sie mir den morgen in mein Gärtchen.» Doch siehe da, der Gärtner schneidet ein bedenkliches Gesicht und kratzt sich hinter den Ohren. «In den Garten? eine Stricta viridis? eine Viridis stricta in den Garten? Das gilt doch hauptsächlich meistens für gewöhnlich mehr nur für eine Friedhofpflanze.»

Ich spaziere am Sonntag mit einem Bekannten, wir reden von diesem und jenem, da wird mein Nachbar zerstreut, rümpft die Nase und schaut sich unbehaglich um. «Es tödelet.» Wo tödelets? Vergebens spähe ich nach einer toten Maus. Eine Buchshecke war es, die in der Nase meines Begleiters ‹tödelte›.

Eine Dame bewundert einen Park. Plötzlich hält sie abwehrend die Hände vor die Augen. «Puh, das sieht ja aus wie in einem Kirchhof.» Diesmal war es harmloser Säulentaxus, der den Todesschrecken verursachte.

Was tödelet nicht alles? Und was tödelet denn schließlich nicht? Wir wollen doch einmal eine kleine Liste der tödelnden Pflanzen aufzählen; ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, nur was mir gerade im Augenblick aus dem Gedächtnis in die Feder fließt.

Es tödeln: sämtliche Thuja und Lebensbaumzypressen, was an sich schon mehr als die Hälfte aller Ziersträucher ausmacht; ferner: Juniperus, Taxus, Buchs, Stechpalme, Aucuba, Lorbeer, Immergrün, Evonymus, Kryptomerien und Zypressen; ferner: die meisten Palmen, Zycas natürlich voran; ferner: weiße Rosen, Lilien, Jasmin und so weiter. Alles, was wohl riecht, ohne zu blühen, oder weiß blüht oder immergrüne oder glänzende Blätter hat oder kleidsame Umrahmungen von Kränzen und Sträußen liefert oder zugleich unbekannt und schön ist, ‹tödelet›. Ein stattlicher Index, der so ziemlich alle vornehmeren Zierpflanzen verdammt. Was bleibt denn schließlich noch übrig? Erster Grundsatz: was sich in die Suppe schnitzeln oder auf dem Markte mit Profit verkaufen läßt, tödelet niemals. Also Gemüse, das wäre das Ideal eines lebensfrohen Gartens.

Man glaube übrigens nicht, daß es sich beim Tödeln um bloße Interjektionen ohne weitere Folgen handelt. Erkundigen Sie sich bei den Gärtnern: die Scheu vor den vermeintlichen Gräberpflanzen führt zu tatsächlicher Ablehnung derselben, ja erreicht die Gewalt eines ängstlichen Aberglaubens. Gewisse Sträucher bleiben den Gärtnern unverkäuflich auf Lager, falls sich ihnen keine Gelegenheit bietet, sie auf dem Friedhof zu verwenden. Und gar nicht so selten trifft man Leute, die eine Höllenangst vor Zypressen oder einem Säulentaxus bekunden. «Um alles in der Welt möchte ich das nicht in meinem Garten haben.»

Nun vermag ich ja gar leicht sowohl die allegorische Umdeutung immergrüner Sträucher nachzufühlen als auch die unangenehme Ideenverbindung, die sich bei demjenigen einstellt, welcher ein bestimmtes Blatt oder einen gewissen Geruch hauptsächlich oder ausschließlich bei nekrologischen Anlässen wahrgenommen hatte. Die Nebenumstände rufen eben die Hauptszene ins Gedächtnis zurück, folglich die Sargblumen und Friedhofbüsche den Tod. Denn daß der Gräbergeschmack einer Pflanze keineswegs einen direkten Anhalt in ihren Eigenschaften hat, also etwa in ihrer Farbe oder ihrem Geruch, sondern daß er ganz allein von außen durch unsere Erinnerungsvorstellungen hinzugetragen wird, darüber sind wir doch einig? Oder etwa nicht? Nun, dann wollte ich Sie sofort überzeugen. Tödelet etwa einem von uns der Moschusgeruch? Im Gegenteil: er demimondelet, er rendez-wuselet. Fragen Sie dagegen einen Indienfahrer; der verspürt beim Moschusgeruch die Faust des Todes im Nacken. Folglich: nicht die besondere Geruchsempfindung an sich bestimmt die Vorstellung, sondern die zufällig sich damit verbindenden Gedächtnisbilder. Also, der kleine Gefühlsschock, der sich einstellt, wenn der Anblick oder der Geruch einer gewissen Pflanze die Erinnerung an ihre Verwendung bei Todesfällen wachruft, ist erklärlich und verständlich, ja in beschränktem Sinn sogar verständig, nämlich naiv-verständig, kindlich. Mehr oder weniger verspürt jeder auf seine Weise einen solchen unwillkommenen Erinnerungseindruck, nur daß ihn bei verschiedenen Menschen andere Gegenstände erzeugen. Mir zum Beispiel tödelets, wenn ich einen Zahnarzt rieche oder einen Chirurgen sehe oder von einer glänzend gelungenen Operation lese. Der Fehler beginnt, wenn dieser naive Eindruck, statt durch den nachfolgenden vernünftigen Gedanken, den Gedanken, daß die begleitenden Umstände an dem traurigen Ereignis unschuldig sind, korrigiert zu werden, die Handlungsweise beherrscht, wenn eine sogenannte Gräberpflanze im Garten gemieden wird oder, was dasselbe ist, wenn ein Gesunder vor dem Anblick eines Chirurgen die Flucht ergreift. Dann wird die Geschichte einfach dumm. Oder ist es nicht dumm, herzlich dumm, deshalb auf die schönsten Gartenpflanzen zu verzichten, weil wir richtigerweise die schönsten Gartenpflanzen auf die Gräber setzen? Warum setzen wir sie denn auf die Gräber? Damit die Gräber, statt einen trostlosen Anblick zu gewähren, das Bild blühenden Lebens erhalten. Und nun sollen die nämlichen Gewächse auf dem Friedhof lebeln, hingegen im Garten tödeln? Und aus Furcht vor dem Tödeln müssen unsere Gärten einen möglichst nordischen, frostigen, sauertöpfischen Stil bekommen? Mir scheint, wenn etwas tödelet, so ist es vielmehr das.

Nichts geeigneter, uns von den Grabesvorurteilen gegen bestimmte Sträucher gründlich zu heilen, als eine Reise von Nordeuropa nach Südeuropa. Da lernen wir erkennen, daß jede Pflanze an der nördlichsten Grenze ihres freien Vorkommens zum Kirchhofgewächs eingeschränkt wird. Mit anderen Worten: Jeder Ort hat die Gartenpflanzen seines südlichen Nachbars als Gräberpflanzen. Oder, umgekehrt ausgedrückt, was hier für Gräberpflanzen gilt, das sehen wir, wenn wir uns um eine Nummer weiter nach Süden begeben, in den Gärten. Noch dem Elsässer tödelt der Buchs, aber nicht mehr dem Schweizer; die Lebensbaumzypresse tödelt dem Berner, nicht mehr dem Luzerner; dem Luzerner tödelt der Säulentaxus, nicht mehr dem Tessiner; dem Tessiner und teilweise auch dem Lombarden tödelt die Zypresse, aber nicht mehr dem Toskaner. Mit mehr Recht und Verstand als ‹es tödelt› sollten wir daher beim Anblicke solcher Dinge im Garten rufen ‹es wärmelet› oder ‹es südelet›. Hätten unsere Kirchhofempfindungen, hätten unsere abergläubischen Vorurteile auch nur den mindesten Grund und Anhalt, so müßten ja Genua und Florenz längst ausgestorben sein, so müßten Lugano und Como den Eindruck trauernder Totenstädte machen. Machen sie einen solchen Eindruck? Warum aber machen sie ihn nicht? Weil unsere unheimlichen Ideenverbindungen sofort fröhlicheren den Platz räumen, sobald wir den Anlaß dazu erhalten, das heißt, sobald wir unsere Kirchhofpflanzen überall massenhaft in den Lustgärten erblicken. Was ist mithin das Mittel, den anrüchigen Todesgeschmack unserer edlen immergrünen Büsche und Bäume abzustreifen? Sie in unsere Gärten zu setzen. Dadurch werden neue Ideenverbindungen, neue Vorstellungen, neue Erinnerungsbilder geschaffen, die den alten die Waage halten, bis sie endlich überwiegen. Warum tödelt uns der Buchs nicht wie unseren nördlichen Nachbarn? Weil wir bei seinem Geruch zunächst an Bauerngärtchen und Sommerwirtschaften denken. Warum nicht die Rose, obschon wir sie auf Kirchhöfe pflanzen? Weil wir sie im Garten haben, weil wir sie sogar im Ballsaal antreffen. Warum nicht der Zivilstandsbeamte, obgleich er doch bei Todesfällen unvermeidlich ist? Weil er ebenfalls Heiraten schließt und Geburten verzeichnet.

Wer also, dem Vorurteil trotzend, eine Kirchhofpflanze, sagen wir zum Beispiel einen Säulentaxus (Fastigiata) oder, wo es das Klima erlaubt, eine Zypresse in seinen Garten setzt, tut hiermit ein verdienstliches Werk, indem er einmal seine Mitmenschen ermutigt und zugleich eine verfemte schöne Pflanze entsühnt. Es braucht nicht einmal einen sonderlichen Opfermut dazu, sondern bloß etwas Verstand. Denn so gefährlich, wie man sich das vorstellt, ist es nicht. Wohl möglich, daß einer vielleicht das Jahr darauf stirbt. Allein stirbt man etwa bei Salat und Schnittlauch nicht? Obschon diese nicht im mindesten tödeln.

 

‹Trauer …›

Während es mit dem ‹Tödeln› eine zwar unverständige, doch immerhin rührende, fast ehrwürdig unverständige Bewandtnis hat, vermag ich dem sentimentalen Trauer- und Tränenkatalog unserer Gartenbotanik nichts als ungemischten Ekel entgegenzubringen. ‹Trauerweide›, ‹Trauerzypresse›, ‹Trauerzeder›, ‹Trauerrose›, ‹Tränenkiefer› und hundert ähnliche elegische Namen einer mondsüchtigen Pflanzenlyrik – das heult nur so in den Registern. Was da von der Natur weichen Wuchs und schwere Äste hat, folglich hängendes Gezweig, wuchtige Gruppierung und Schleppe bildet, das muß sich einen weinerlichen Namen gefallen lassen. Sobald aber einmal ein Name dazu kommt, dann wird es schon sehr schwierig, sich die unnützen, willkürlichen Nebenvorstellungen vom Halse zu halten. Es ist daher ebenso verzeihlich, wenn einer eine ‹Tränenkiefer› oder ‹Trauerweide› nicht in seinem hellen Garten sehen mag, als es unverzeihlich war, eine besonders langhaarige Kiefer oder eine üppig hängende Weide durch romanhafte Namen der Backfischsentimentalität zu denunzieren und hiermit zu degradieren. Denn an sich ist ja schon jede Symbolisierung einer Pflanze eine Erniedrigung derselben. Die Pflanze hat einen höheren Zweck in der Natur, als irgendwie gedeutet zu werden, nämlich Selbstzweck. Ihre wahre Bedeutung ist Leben, und Leben ist ernst. Eine symbolische Umdeutung durch den Menschen hat neben dem Lebensernst der Pflanze nur den Wert einer Tändelei. Und nun gar solch eine läppische Umdeutung, welche einfach und plump den Sinn der gebeugten Haltung eines trauernden Menschen auf die Pflanze hinüberträgt. Das ist nicht mehr bloß Tändelei, sondern abgeschmackte Tändelei. Nicht auf den konfusen ‹Eindruck›, sondern auf den Ausdruck einer Pflanze kommt es an, was sie bedeute. Eine langhaarige Kiefer bedeutet üppige, weiche Kraft, keineswegs Trauer. Eine Pflanze trauert, wenn sie die Spitze verliert oder sonstwie verkümmert.

Eine heitere Symbolik, wenn alles, was in der Welt zufällig abschüssig ist, wenn jeder Rain, jeder Mantel, jede Schleppe Trauer bedeuten müßte! Bedeuten vielleicht die Röcke unserer Damen, die Schleppen ihrer Ballkleider auch Trauer, weil sie abwärts fallen? Wie möchte man denn, daß sie ständen, damit sie Munterkeit bedeuteten? Und unsere nordischen Hausdächer, das sind wahrscheinlich Trauerdächer? Und der Bart eines Pompiers, das Geniehaar eines Geigers, das sind vermutlich Tränenmähnen, weil sie nicht in die Höhe stehen? Spaß beiseite, ich sehe nicht ein, wieso das ungereimter wäre als ‹Trauerweide› und ‹Tränenkiefer›.

Ich möchte daher die Herren Gärtner bescheidentlich anregen, das ihrige beizutragen, um der albernen Goldschnittsymbolik, die sich aus dem Kommissionsverlag in die Botanik hinübergeschlichen hat, zu steuern. Mit klaren Worten: Wo es jetzt in den Katalogen neben der lateinischen wissenschaftlichen Bezeichnung und neben dem deutschen Namen etwa noch lautet: ‹oder Trauer-›, ‹oder Tränen-›, da möchten sie, flehe ich, doch um des öffentlichen Geschmackes willen den sentimentalen Schimpfnamen einfach weglassen, damit er, so Gott will, endlich die verdiente Vergessenheit finde.


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