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Luzern als Ausflugsstation

Zu einer richtigen Ausflugsstation gehört nicht bloß die zentrale Lage innerhalb zahlreicher herrlicher Ausflugsziele, sondern zugleich ein örtliches Panorama von majestätischer Größe, den Blick beruhigend und zum Verweilen einladend. Man muß Lust bekommen, sich einzunisten, um gleich einem Raubvogel jeden schönen Tag in kleinern oder größern Kreisen auszuschwärmen, an verdrießlichen Tagen aber behaglich sich das Gefieder zu pflegen. Der unbegrenzten Zahl solcher gesegneter, zum Sitz wie zum Flug tauglicher Alpennester verdankt die Schweiz ihre unerschöpfliche Anziehungskraft. Jährlich werden neue entdeckt und die alten wohnlicher hergerichtet. Fast jedes Quadrätchen der Dufourkarte, vom Genfersee bis zum Bodensee, zeigt uns solche Schwarmkolonien; hie und da liegen sie gruppenweise hingestreut, wie in Graubünden, anderswo drängen sie sich in engen Kreisen um ein übermächtiges Zentrum, wie im Berner Oberlande.

Am Vierwaldstättersee herrscht der Raum: weit ist das Ansiedelungsgebiet, behaglich die Beförderung von Ort zu Ort, frei der von allen Seiten erschlossene Zugang. Hier gibt es keine Stauungen des Fremdenverkehrs, kein Hasten und Drängen. Ob auch alle Gasthöfe gefüllt wären, so hört man doch niemals von Überfülltheit reden. Wer an dem einen Ort keinen Platz mehr findet, der siedelt sich um eine halbe Seelänge oder um ein Halbdutzend Berge weiter oben an, ohne sich hiemit verdrängt zu fühlen, da der See jedem vor Augen liegt. Ein Volk guckt aus den tausend Fenstern des Rigi herab, ein Häufchen vom Bürgenstock, eine Konföderation von den Palästen ob Brunnen. Sie kommen einander nie in den Weg: man spürt sie von unten nicht, aber man sieht, wenn man ein scharfes Auge hat, wie sie sich gegenseitig ein Schnippchen schlagen, weil jeder der festen Überzeugung lebt, das beste Plätzchen erobert zu haben. Selbst auf den Dampfschiffen ereignet sich Gedränge bloß an Sonn- und Festtagen, wenn zu den Fremden sich plötzlich der heftige, keineswegs invalide Landsturm einheimischer Vergnügungsfahrer gesellt.

Drei Orte im Gebiete des Vierwaldstättersees hat die Natur hauptsächlich zu Ausflugsstationen ausgezeichnet; einen für den gletschermutigen Hochgebirgskraxler: Engelberg; einen für den seßhaften Beobachter, der am liebsten mit den Augen spazieren geht: Brunnen; und einen für den rüstigen Durchschnittsmenschen: Luzern. Zum Faulenzen lassen sich übrigens alle drei gebrauchen.

Engelberg ist eine Schweiz für sich wie Graubünden und Wallis, eine Mausefalle; fern von uns, ob auch geographisch noch so nahe. Wer sich nach Engelberg begibt, der hat mit seinen Freunden abgeschlossen; für die Welt ist er auf einige Monate verloren. Zuweilen taucht so einer auf einem unmöglichen Gletscher auf und kommt in einer noch unmöglicheren Schlucht wieder zum Vorschein wie der Strohhalm in einem Wasserstrudel. Das reinste Vexierspiel: «Kommen Sie mich doch in Engelberg besuchen; es ist ja von Luzern so nahe.» Und wenn ich komme, wupp, ist er in der Zerstreutheit über irgend einen Grat nach dem Kanton Graubünden oder Bern hinübergestolpert. Dem lauf jetzt nach! Da wollen wir doch lieber warten, bis ein behenderes und billigeres Kommunikationsmittel als der Hauderwagen das Engelberger Tal mit der Christenheit verbindet und zusammenhält. Ich meine die Eisenbahn, welche ich für Engelberg sehnlich herabflehe.

Obschon Brunnen, einst neben Interlaken der beliebteste Aufenthaltsort der Fremden in der Schweiz, mehr und mehr den alten Ruhm mit jüngeren Emporkömmlingen teilen muß, obschon namentlich die Axenstraße mit der Neuheit auch einen großen Teil ihrer früheren Anziehungskraft eingebüßt hat, wird doch weder Konkurrenz noch Modelaune Brunnen jemals viel anhaben können. Brunnen bleibt das Bellagio des Vierwaldstättersees, am Panorama jedem andern Punkte überlegen; übrigens hält es die Schlüssel zum obern und mittlern See. Es ist nämlich ein Versehen, die Höhen und Gestade um Brunnen von Luzern aus genießen zu wollen; zu viel Zeit, und zwar die kostbarste, der Morgen und der Abend, gehen durch die Seefahrt verloren. Man muß vielmehr, um den Vierwaldstättersee ganz auszukosten, den Aufenthaltsort zwischen Luzern und Brunnen wechseln. Und zwar möchte ich folgende Dosis empfehlen: zwei Dritteile Luzern und ein Dritteil Brunnen.

Für das unverkennbare und unbestrittene Emporwachsen Luzerns über die andern Ausflugsstationen erblicke ich zwei Hauptursachen: die allseitige Zugänglichkeit und die städtische Unterlage. Eine Stadt, und wäre sie noch so klein, ist nun einmal anregender, mithin zum Aufenthalt willkommener als ein mit Gasthöfen überzuckertes Dorf. Zeigt sich nun auch der städtische Charakter Luzerns nicht über alle Bedenken erhaben, solange es nach glänzender, sommerlicher Interlakierung am Anfang Oktober zusammenklappt wie die Tirolerin in der Puppenfee, so besitzt es doch immerhin in dieser Beziehung mehr als die übrigen Fremdenzentren; und der Mehrbetrag, wenn auch noch so bescheiden, kommt ihm zugute.

Über die Umgebungen Luzerns in einem schweizerischen Blatte reden zu wollen, mag manchem unpassend erscheinen. Es hat auch mir so geschienen, weswegen ich mich ein volles Jahr lang zum Schweigen gezwungen habe. Allein was ist zu machen, wenn einem Tag für Tag und Stunde für Stunde Rigi und Pilatus zu den Fenstern hineinschauen? Wenn einem vor der überwältigenden Naturschönheit der Umgebungen die Seele so grün und goldig anläuft, daß man sich möchte in einen Käfig einsperren lassen, um die Lust in die Welt hinaus zu jubeln? Und schließlich: wieviel Schweizer haben denn jemals in ihrem Leben auch nur drei oder vier Tage hintereinander in Luzern zugebracht, Rekruten und Musterreiter ausgenommen? Gerade die allzu große Nähe verhindert die meisten, in Luzern zu weilen. Man fliegt auf Vergnügungszügen vorüber, so schnell wie möglich dem See und den Bergen zu. Nun ergeben sich aber ganz andere Verhältnisse, ob man einen Ort als Durchgangs- oder als Ausgangsstation wähle, Unterschiede nicht bloß der Zeit und Entfernung, sondern auch der Tageseinteilung und hiemit des Genusses und der Wertschätzung. Die divergierende Beurteilung des Rigi seitens der Fremden und der Schweizer bietet hiefür ein deutliches Beispiel. Der Fremde, welcher sich in Luzern niederläßt und dem Rigi einen vollen, bequemen und ruhigen Tag gönnt, findet nicht Worte des Entzückens genug, während der in Bummelzügen und Eilmärschen von fern und nahe auf den Rigi pilgernde Schweizer eine gewisse Animosität gegen den internationalen und angeblich unruhigen Aussichtsberg nicht leicht überwindet. Mit der Unruhe verhält es sich so: wir hetzen den Rigi in ungebührlich kurzer Zeit ab und übertragen nachher in der Erinnerung unsere eigene Hast auf den Charakter des Berges. Genau wie bei einer reichen Gemäldegalerie: die Gemälde hangen ruhig; wenn jedoch einer alle die Bilder in wenigen Stunden genießen will, flimmert es ihm vor den Augen, und er seufzt nach Erholung.

Andere Verschiedenheiten der Wertschätzung bildet die Wiederholung. Es gibt Naturstücke, welche durch wiederholten Besuch verlieren, andere, welche dabei gewinnen. Und zwar kann man das im Einzelfalle bloß durch Erfahrung lernen, nicht voraussagen. Wer würde zum Beispiel erraten, daß der großartige Flüelensee, daß das Panorama Rigi-Kulm, daß die Axenstraße nicht täglich von neuem anziehen? Daß dagegen weit kleinere, weniger überwältigende Schönheiten wie Bürgenstock, Sonnenberg und die mittlern Gelände des Rigi je länger desto frischer wirken?

Wieder etwas anderes ist es, ob man am Vierwaldstättersee ein Schweizerreischen ausführt oder ob man einzig den Naturgenuß im Auge hat. Das erstere ergibt sich von selbst, wenn einer jenseits wohnt und nur alle paar Jahre herkommt. Herz und Phantasie spiegeln dem Patrioten die Namen: Hohle Gasse, Mythenstein, Rütli, Tellskapelle und so weiter; und wohin das Herz strebt, dahin eilt der Fuß. Alle diese Orte der patriotischen Sehnsucht nun werden von den Seebewohnern äußerst selten, im Zwischenraum von vielen Jahren wieder aufgesucht, weil ihr Gehalt an Naturschönheit verhältnismäßig gering ist und weil der Mensch nur ausnahmsweise pilgert, dagegen regelmäßig sich erlustigt und sich ergeht. Der Luzerner fährt zwanzigmal nach Weggis und zehnmal nach Brunnen, ehe er ein einziges Mal nach der Hohlen Gasse zurückkehrt.

Diese Erwägungen sind es, welche meine Bedenken besiegten. Wenn übrigens mein Unterfangen noch einer weitern Entschuldigung bedarf, so möge die wohlgemeinte Absicht mir dieselbe erwirken. Wer nun einmal zufällig am Brombeerhage wohnt, weist dem Nebenmenschen die Beeren unwillkürlich. Da ich aber dergestalt in Bädekers Fußstapfen geraten bin, will ich mich nach seinem erprobten Muster zunächst einiger allgemeiner Regeln entledigen.

 

Katechismus

Ein Vormittagsausflug ist doppelt so viel wert als ein Nachmittagsausflug; ein ganzer Tag, dem Naturgenuß gewidmet, überwiegt vier halbe Tage.

Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sind Operneffekte der Natur, die man sich das eine und das andere Mal ansehen mag, die jedoch an Gemütswert den vollen ruhigen Sonnenschein nicht erreichen; die schönste Tageszeit bleibt der Tag.

In jeder Gegend, selbst auf den Bergen, ist der Vordergrund wichtiger als der Hintergrund; die ‹Aussicht›, also das Panorama, hat weniger seelischen Gehalt, hebt die Phantasie weniger als die Durchsicht durch malerische, farbenwarme Gruppen.

Das Wörtchen ‹morgen› muß man sich am Vierwaldstättersee abgewöhnen; morgen regnet es, heute mach dich auf.

Sonn- und Feiertage, Fahnen, Musik und Feste tun der Natur weh, mehr als Eisenbahnen und Gasthöfe; denn sie schaffen Unruhe und Gedränge. An solchen Tagen bleibe, wem andere Tage zu Gebote stehen, zu Hause.

Der Sonnenschein ist wegen des Schattens da. Namentlich in blendenden Gegenden, also am See und auf den Bergen, ist Schatten ein Erfordernis allerersten Ranges. Schon im Ruhezustand reizt hier andauernder, heller Sonnenschein Auge und Nerven, während aus schattigem Verstecke Farben und Licht stimmen und beruhigen; vollends beim Gehen und Steigen bedeutet Sonne Folter, Schatten Lust. Auch der Stand der Sonne will sorgfältig vorbedacht und berücksichtigt sein. Mit der Sonne in den Augen stellt sich selbst in der herrlichsten Gegend keine rechte Freude ein. Anderseits geht der schönste Gewinn, nämlich die Farbe verloren, wenn man einen Tag ohne direkten Sonnenschein wählt. Namentlich ein Waldspaziergang hat ohne direkten Sonnenschein keinen Sinn. Hitze ist nicht zu fürchten, wenn das Wetter tadellos, der Himmel fleckenrein ist; dagegen gedeiht kein Ausflug bei dünstiger, schwüler Witterung, wenn der Himmel sich weißlich verfärbt, wenn das Wetter am Ändern ist. Da ist ein Bad im See gut.

Der Fußmarsch, vernünftig nach der Kraft eines jeden abgewogen, bleibt das beste Verkehrsmittel. Fußmarsch heißt Wohlbefinden; Fußmarsch in schöner Gegend auf erfrischender, schattiger Höhe bei reinem Wetter heißt Glück. Mit achthundert Meter Höhe schwindet jede Unlust, mit tausend Meter Höhe fängt es einem an, inwendig zu jauchzen. In einer Höhe über tausend Metern wird der Mensch niemals müde.

Je holperiger, ungerader ein Pfad, desto leichter werden die Füße; eine Landstraße macht den besten Wanderer binnen kurzem marode.

Die beste Art des Gehens ist das Liegen, eine empfehlenswerte Art das Sitzen. Wer sich nicht ein Stündchen oder auch zwei an einem auserlesenen Plätzchen gönnt, bringt sich um den Zucker der Natur. Und gerade dann, wenn man endlich aufstehen möchte, kommt das Beste; nämlich der Wechsel von Färbung, Beleuchtung und Schattierung.

Es ist keine Schande zu fahren; wo ein guter Zufall einem eine Eisenbahn oder ein Schiff zur rechten Zeit in den Weg leitet, da benütze man dergleichen nach Lust und Verstand.

Bergbahnen sind im allgemeinen nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern an und für sich Genuß.

Eine kurze Seefahrt bringt Erlabung, eine längere Ermüdung, und zwar viel früher als man gewöhnlich annimmt. Eine Stunde Seefahrt genügt reichlich. Wer von Luzern nach Flüelen hin- und herfährt, kommt müder zurück, als wenn er den Rigi zu Fuß bestiegen hätte. Ja, schon Brunnen wird auf die Länge als zu weit empfunden. Niemals, auch bei kleineren Strecken nicht, fahre man hin und zurück, ohne auszusteigen und sich ein Stündchen zu ergehen.

Auf einem Dampfboot erkältet man sich nie. Erkältet man sich überhaupt an einem wolkenlosen Sommertage? Ich gebe das grundsätzlich nicht zu und bin immer gut dabei gefahren.

See und Berg erzeugen nicht immer Appetit, aber immer Hunger, das heißt einen Zustand, dem Essen und Trinken Bedürfnis wird, auch wenn man das Bedürfnis nicht spürt oder wenn es sich hinter andern Empfindungen maskiert. «Merkwürdig, ich spüre weder Durst noch Hunger.» Aber setze ihn mit Gewalt an den Tisch, so ißt er wie ein Wolf.

Das ökonomische Picknick, das Milch- und Molkenschlappen ersetzt nicht eine tüchtige Table d'hôte.

 

Wetterzeichen

Grundregel: Alle Zeichen bedeuten Regen. Man unterscheidet Schlechtwetterregen und Schönwetterregen. Der Schlechtwetterregen hat internationalen Charakter und kommt, wie überall in Mitteleuropa, von Westen her; daher der Pilatus der Schlechtwetterprophet; daher die Harmlosigkeit der Rigiwölkchen. Der Schlechtwetterregen hat oft längere Pausen, während welcher die Sonne ‹sticht›. Je tiefer die Wolken von Westen her streichen, um so näher der Regen; daher das Sprüchlein vom Rock, Mantel und Hut aller Wetterberge (zum Beispiel Pilatus und Niesen). Ein einziger Streif, ein einziges Zackenwölkchen, von Westen her unten an den Pilatus gegen den Bürgenstock getrieben oder unten im Alpnacherkessel liegend, und man kann darauf zählen, seinen Ausflug verwässert zu bekommen. Umwölkt sich bei Westwind der ganze Pilatus, so hat Luzern und Umgebung Regen, ehe einer ein Vaterunser beten kann. Denn wenn zwei in Luzern darüber streiten, ob das Wetter morgen noch halten werde, so regnet es beiden schon auf den Kopf. Der Schönwetterregen ist ein Vorrecht des Gebirgsklimas, welches unaufhörlich Wasserdämpfe in allen Stockwerken produziert, hier als Nebel, dort als Dunst, dort als Wolken, und welches die Wolken nicht sammelt, um sie miteinander auszugießen, sondern einzeln entleert. Ohne Schleier, ohne Gewölk geht es da selbst beim schönsten Wetter auf länger nicht ab; die harmlosen Wolken von den bösartigen zu unterscheiden, das ist die Kunst. Eine Prophetenkunst, deren sich die Geübtesten, die Hirten, die Bauern und die Schiffer, nur für den laufenden Tag vermessen. «Es macht heute nichts», einen tröstlicheren Wetterspruch wird man schwerlich diesen Erfahrenen entlocken. Eine besondere Meteorologie erheischt wieder der Föhn, dem man mitunter wie in Zürich urplötzlich eine lange, selige Reihe der fleckenlosesten Tage verdankt. Endlich stößt ein Jahr alles um, was das andere Jahr gelehrt hatte; heuer will sich bei der größten Schwüle kein Gewitter entladen, fern donnert und blitzt es ohne warmen Anlaß Tag um Tag. Vollends ein trockenes, gesegnetes Cholerajahr, wie dieses und das letzte, spottet jeder Berechnung. Was in gewöhnlichen Zeiten hinreichen würde, alle Waldkantone monatelang bis an den Hals zu überschwemmen, das geht dannzumal ohne einen Tropfen vorüber. Und doch gibt es trotz all der Unsicherheit ein Mittel, mit ziemlicher Gewißheit seinen Tag zu wählen: die Summe aller Zeichen, nicht mit dem Verstande, sondern nach längerer Erfahrung instinktiv ausgerechnet, wie es Krähe und Spinne tun. Man lernt schließlich noch die Schönwetterluft schnuppern, man fühlt sie in den Gliedern, man spürt sie morgens früh durch die geschlossenen Augendeckel, man sieht sie, wenn der Ostwind trocken und frisch von dem Rigi herab über den See zieht, die Berge in Duft hüllend, den See in helles Himmelblau verklärend, dem Pilatus den Wolkenhut zurückwerfend, daß ihm der Helmbusch in den Nacken fliegt. – Ein Seeorakel: Wenn die Seefläche rostige Streifen und violette Flecken zeigt, gibt es Regen.

 

Ausrüstungsgegenstände

Man nehme etwas Liebes, Lebendiges mit, am besten etwas Junges, das sich herzhaft zu freuen versteht.

 

Die nächsten Waldberge

Mit Fußspaziergängen in der Fläche oder auf sanftem Hügelgelände kann Luzern nicht aufwarten. Es ist einer übel beraten, wenn er sich vergnügungshalber zu Fuß in der Richtung nach Ebikon oder Kriens oder Emmenbrücke bewegt; so klein die Stadt ist, so hat sie doch lange Spinnenbeine, so daß man, wenn nicht müde, doch reichlich verdrossen werden kann, ehe man nur in die Natur gelangt. Für das sonntägliche Massenausrücken mit Weib und Kind, Dienstboten und Hündchen kenne ich nicht leicht eine ungünstigere Lage. Keine mühelosen Rundtouren; einseitige Korridore zwischen steilen Hängen oder Bratkessel in Schilf und Moos. Soll ich den Weg nach Meggen ausnehmen? Ich antworte nein, da die Landstraße der einzige Weg ist und da der Weg geraume Zeit durch eine baumlose Öde führt. Meggen ist reizend für Wagenfahrten, unvergleichlich schön für winterliche Schlittenpartien; der Fußgänger aber kehre getrost nach Villa Bodmer und Crivelli um. Musegg, der kleine Bramberg und was da herumliegt, eignet sich zu lustigen Wohnstätten, besonders auch zu malerischen Studien, doch auf die Länge nicht zu Spaziergängen. Der wunderbar gelegene Friedhof, auf einer Schanze über dem Rotsee dem Rigi gegenüber ruhend, schreckt durch die gewaltige Entfernung vor wiederholtem Besuch ab, es sei denn, daß die Pflicht der Pietät rufe, wovor das Schicksal jeden bewahren möge.

In Luzern muß der Spaziergänger steigen; er muß ferner ein paar Stunden Zeit haben. Kurz und bündig gesprochen, es gibt in Luzern keine Spaziergänge, sondern bloß Ausflüge. Freilich Ausflüge ersten Ranges, wie der Weltruhm lehrt, der übrigens noch um ein Dritteil hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, da er neben See und Alp den Wald vergißt. Edles Waldgelände darf sich an ästhetischem Gehalt mit dem Hochgebirge messen. Luzern aber hat nach meiner Ansicht hochbedeutende Waldlandschaften, die ich einzig den unvergleichlichen bernischen nachstelle. Zieht man nun ferner in Betracht, daß im September die guten Geister der Natur von den Alpen herniederziehen (ich meine nicht die Kühe) und bis in den Juni unten bleiben, so werde ich mich kaum weiter zu rechtfertigen brauchen, wenn ich die unberühmten, stillen Waldberge mit größter Ehrerbietung behandle.

Da steht in vorderster Linie der Sonnenberg, ein Berg, so innig schön, daß um seinetwillen allein schon Luzern sich von der Natur bevorzugt preisen darf. Vornehmheit der Umrisse, stolze Erhebung (mittlere Albishöhe), majestätische Ausblicke auf den parallelen Pilatus, der sich nirgends so großartig ausnimmt wie von hier, dunkle, satte Färbung des Vordergrundes mit licht- und duftumflossener Ferne und Tiefe, bäuerlicher Reichtum des Gefildes, weitgestreckte, unerschöpfliche Hochwälder auf mehreren Stockwerken und über alles eine poetische Innigkeit, daß man dem Berg je länger desto mehr mit heimatlicher Liebe zugetan wird. Jedermann kennt das Entresol dieser grünen Hochburg, den Gütsch, oder glaubt es wenigstens zu kennen. Denn die berühmte Aussicht kommt nicht in Betracht neben dem märchenhaften Waldlabyrinth, das sich stundenweit hinter dem Gütsch ausbreitet. Ein einsames, stimmungsvolles Wunderwerk, durch welches Schönheit und Gesundheit Hand in Hand schweben, hoch in den Wipfeln ein Konzert von summenden Fliegen – tausendstimmiger Canon senza fine in Zisch und Moll -, um die Stämme Stille und Andacht, am Boden Moos und Kinder darauf, in der Tiefe unterirdische Glockentöne der unsichtbaren Stadt. Hier lieg einen halben Tag und hernach rede wieder vom Gütsch. Der Weg zum Sonnenberg führt von der Eisenbahnstation Gütsch in mancherlei Pfaden durch einen Teil des Gütschwaldes. Über dem Wald ein freier, luftiger, steiler Anstieg durch bäurisches Gelände; hernach, wenn man eben zu seufzen anfängt: «Es macht heiß», ist man auch schon vor dem Pilatus unter der Pension Sonnenberg angelangt. Steig da noch ein paar Minuten höher bis zur Kreuzhöhe. Ein unsäglich schöner Weg, der am buschigen Rande des Berges parallel mit dem Pilatus hinanführt, so nahe, daß man meint, der Pilatus werde einen hinterrücks beim Bein nehmen. Ungeschickterweise bleiben einem gewöhnlich nur spärliche Minuten für die Kreuzhöhe, weil der an Rigidimensionen gewohnte Blick den Sonnenberg verächtlich mißt und mit einem Drittelstag abfinden will. Gib dem Sonnenberg einen vollen, geschlagenen Tag; mach Station im Gütschwald; steig am Nachmittag auf die Kreuzhöhe, überschreit von dort die eingepferchten Alpweiden. Hinter diesen Alpweiden wirst du einen Wald finden, hoch oben auf dem Bergrücken, wie du noch keinen schöneren geträumt hast. Das Wasser läuft mir im Munde zusammen, wenn ich nur daran denke. Anmerkung: Die Wirtshausverhältnisse auf dem Sonnenberg sind ungünstig; eine einzige, teure Fremdenpension mit einem bäurischen Nebenhaus, in welchem keine warmen Speisen verabreicht werden dürfen. Da hinauf gehört unter anderm ein einfaches, billiges Wirtshaus.

Als Variante des Sonnenberges mag zur Abwechslung einmal der gegenüberliegende Hergiswald dienen; ein bäurisch-schlichtes, idyllisches Pensiönchen neben einer alten, abenteuerlichen, bunten Kapelle, oberhalb feuchter Wälder versteckt, mit dem Blick auf den Sonnenberg. Man fährt bis Kriens in der Eisenbahn; von da geht es eine höllische halbe Stunde unten im Talkessel auf der Landstraße in der Richtung nach dem Entlebuch, dann links über eine Brücke in den Wald, entweder auf dem Prügelweg in steilem, treppenähnlichem Aufstieg oder im Bogen auf der Fahrstraße. Ich halte die Fahrstraße für malerisch schöner; überhaupt scheint mir die Wagenfahrt wegen der unerfreulichen Anfangsstrecke empfehlenswerter. Wagen kann telephonisch im Kurörtchen bestellt werden. Als Fußpartie ist Hergiswald etwas anstrengender als der Sonnenberg. Als Variante des Hergiswaldes bleibt das ‹Himmelrich› zu nennen, ein neues Aussichtsgasthaus, ein halbes Stündchen über Kriens, in der Richtung gegen Hergiswil. Wie der Leser bemerkt, bewegt man sich da hinten unter dem Pilatus in geweihter Gegend: Hergiswald, Himmelrich, Hergiswil (das heißt Herrgottswil). Da wird einem ganz erlöst zu Mute.

Wer mit der Eisenbahn von Zürich nach Luzern fährt, der verwünscht von Herzen einen langen Bergzug, der ihm von Rotkreuz an bis hart vor Luzern unbarmherzig die Aussicht raubt. Dieser Gebirgszug heißt der Rooterberg, wie denn überhaupt alles da herum rot ist: Rotkreuz, Root (Dorf bei Gisikon), Rooterberg, Rotsee, Rothenburg, Rothausen (jetzt Rathausen) und so weiter. So unerfreulich der Rooterberg als Wand wirkt, so preiswürdig erscheint er als Hochwarte. Eine ausgedehnte Kette von Bergen wie der Albis, aber durchschnittlich zweihundert Meter niedriger, mit folgendem System: eine hohe und jähe Abdachung nach der Eisenbahnlinie, mit mehreren Waldkuppen, welche über Luzern am niedrigsten, über Gisikon am höchsten steigen (Maximum etwas über achthundert Meter). Dahinter, von der Eisenbahn aus nicht zu erspähen, eine schmale Hochebene mit den Dörfern Udligenswil, zwischen Gisikon und Küßnacht, und Adligenswil, zwischen Ebikon und Meggen. Jenseits der Hochebene eine flachere Abdachung nach dem Küßnachtersee, ihrerseits wieder überragt von einem zusammenhängenden, aber niedrigeren Waldzug, der mit dem andern im ganzen parallel läuft. In der Mitte zwei halbe Quereinschnitte, einer nach der Eisenbahn zu über Gisikon, das Götzental, durch welches man während der Fahrt auf einige Sekunden lang den Rigi erblickt, der andere nach Meggen hinunter. Diese Formation bleibt einem sowohl von der Eisenbahn als vom Dampfschiff her verborgen; um sich darin auszukennen, muß man vom Bürgenstock oder noch besser von Rigi-Seeboden oder Rigi-Känzeli darüber hinschauen. Der Charakter des Rooterberges (politisch: Amt Habsburg) ist bäurisches Wohlgedeihen: Obstbaumreichtum, Kirschwassersegen, Sennereien, Honigpädagogie, Landkultur bis auf die höchsten Höhen; in ästhetisch-landschaftlicher Hinsicht: tiefste, weltabgeschlossene Einsamkeit auf luftigen, gesunden Hügeln, in herrlichen kleinen Wäldern; seltene und anspruchslose Wirtshäuser; Beeren in schwerer Menge; Singvögel, Raubvögel und allerlei vierfüßiges und sechsfüßiges Getier, so viel das Herz begehrt; sogar Rehe soll es da oben geben; ich habe freilich keines gesehen. Die Entfernung von einem Ende zum andern, also von Luzern über den Berg bis Küßnacht, ist unbedeutend, kaum drei Stunden; doch führt ein Pöstchen zu ungelegener Zeit bis zu zwei Dritteln – bis Udligenswil –; der Fußmarsch wird einem durch die baumlose Landstraße erschwert. Und doch lohnt sich die Mühe, vorausgesetzt, daß man Zeit hat, auf die Waldkuppen zu steigen.

Hart über Luzern, im Weichbild der Stadt selbst, erhebt sich der äußerste, niedrigste Gipfel: der Hitzlisberg mit dem Kapuzinerkloster Wesemlin – über dem Löwen – und den einst berühmten drei Linden, jetzt zu einem ärgerlichen Teil verbaut, keine Rundsicht mehr gewährend; daher der sonnige, steile Spaziergang dahin ziemlich zwecklos, da man anderswo, auf der Adligenswilerstraße, dasselbe bequemer sieht. Der Luzerner selbst geht wenig mehr auf die Dreilinden, dagegen liebt er den Rundweg um die Dreilinden herum, vom Wesemlin auf einem Seitenwege durch das Kapellenwäldchen nach der Adligenswilerstraße und auf dieser zurück nach der Hofkirche hinunter. Diese einstündige Tour bedeutet für den Luzerner ungefähr das, was für den Berner der berühmte ‹Bremgartenkehr›; das heißt, er ist der klassische, unvermeidliche Miniaturmarsch, der sich immer wieder von selbst ergibt, weil sich kein anderer an Abwechslung mit ihm messen kann. Namentlich im Winter und Vorfrühjahr, wenn die größeren Ausflüge verschlossen sind, wird er von männiglich geübt. Damen und Kinder sollen ihn übrigens nie allein ausführen, weil in einem der beiden Wäldchen öfters polizeifähige Figuren hausen, wie denn auch tatsächlich schon Überfälle am hellen Tage vorgekommen sind. Das gehört nicht zum Fremdengeschäft, ist aber doch wahr.

Die zweite, bedeutendere Erhebung ist der Dietschiberg, der ‹kleine Rigi› geheißen, den Fremden nicht einmal dem Namen nach bekannt, von den Luzernern hochgeschätzt, übrigens sehr vernachlässigt; man kann an Wochentagen dutzendemal auf den Dietschiberg marschieren, ohne einem einzigen städtisch gekleideten Menschen zu begegnen. Und doch ist der Dietschiberg in drei Viertelstunden bequem zu erreichen. Das ist eine selige Höhe, als Nummer zwei gleich hinter dem Sonnenberg zu nennen. Wonnige, durchleuchtete Edelwälder, malerische Eichen und Kiefern, weithin Balsam hauchend, dazu die kühle Bergluft und ein prächtiger Rückblick auf die Stadt hinunter; eine rechte stimmungsvolle Kuckuckseinsamkeit. Man möchte tagelang oben weilen; doch der gesunde Bergappetit treibt einen bald wieder nach Hause, weil weit und breit kein Wirtshaus steht.

Vom Dietschiberg führt ein genußreicher alter Weg in einer kleinen halben Stunde nach Adligenswil. Hier beginnen nun die Parallelhügelzüge zur Linken und Rechten der Straße; links, über der Eisenbahnlinie, immer höher wachsend, rechts, gegen den Küßnachtersee, in gleichförmiger, mäßiger Erhebung; die Straße selbst hält sich mit entsetzlicher Beharrlichkeit in schattenloser Mitte zwischen beiden Wäldern. Die Bauern müssen entschieden eine anders gewickelte Haut haben als wir Städter. Was wir ersehnen, den schattenspendenden Baum, das beseitigen sie mit methodischem Eifer. «Ein schönes sauberes Sträßchen», nennen sies, wenn ein Bataillon den Sonnenstich riskiert. Bald hinter Adligenswil, bei der Mühle, führt eine Fahrstraße rechts gegen Meggen; die Straße sagt nichts; ich erlaube mir daher, das Nötige zu ergänzen. Es ist ein überaus reizender Weg von da nach Meggen, zunächst durch eine romantische Bachschlucht, hernach durch einen warmen Wald, dann über eine freie, ahnungsvolle Höhe, endlich in steilem, aussichtsreichem Abstieg nach dem Küßnachtersee hinunter, genau vor die Pension Gottlieben in Hintermeggen. Den Pensionären von Gottlieben sei dieser Weg empfohlen. Weiter gegen Udligenswil zu gewinnen die Waldgipfel zur Linken rasch an Größe. Zunächst der Totenberg, eine steile, waldige Erdbeerheimat; hernach das Götzental, mittelst eines ‹schönen sauberen Sträßchens› nach Root und Gisikon geleitend, ein irdisches Fegefeuer, zur Abbüßung seiner Sünden rätlich; jenseits, in gleicher Linie mit dem Totenberg fortfahrend, die drei höchsten Erhebungen des Rooterberges: zuerst der Karren, über Udligenswil, und zuletzt Michelskreuz. Michelskreuz mit seinem schönen Lindenbaum neben der Kapelle, der diesen Sommer vom Blitz böse gestrählt worden ist, hat in der Schweiz einen Namen als Aussichtspunkt. Ich ziehe für meinen Teil den waldigen Karren vor. Es würde zu weit führen zu erklären, warum; kurz, ich rate zum Karren. Anmerkung: Ein Wirtshaus gibt es auf dem Karren nicht. Der Schluß des Weges nach Küßnacht hinunter ist nahe und leicht, übrigens nicht sonderlich genußreich. Der Waldzug rechts von der Straße dagegen lohnt einen Abstecher; da kann einer das bekannte und doch merkwürdige psychologische Phänomen studieren, daß ein rechter Wald, wie er sein soll, niemals langweilt, und zwar um so weniger, je länger man auf derselben Stelle ruht. Aus diesem Walde verrate ich braven Kindern beiläufig ein Geheimnis: So viele Heidelbeeren wie hier wird es wohl auf hundert Stunden herum nicht wieder geben; Busch an Busch wie das Gras in der Wiese, wo man sich auch hinwende, durch den ganzen Wald.

Als minderes Gegenstück zum Rooterberg, vielmal kleiner sowohl an Ausdehnung wie an Höhe, winkt auf der andern Seite der Stadt jene waldige Halbinsel, welche die Luzerner Bucht von der Bucht Winkel scheidet. Wohlige Waldwinkel, weiche, wellige Hügelhäuptchen und liebliche Seebuchten charakterisieren das kleine Gebiet; als Ausflugsziel hat es jedoch ein bedeutendes Hindernis, die große Entfernung vom Zentrum der Stadt oder, wenn man lieber will, die lange, unerfreuliche, staubige Anfangsstrecke. Will man aber den Hügelzug von der Seeseite, von Kastanienbaum durch wandeln, so hat man beständig die Sonne in den Augen, was wiederum belästigt, zumal die unbedeutende Erhebung nicht den erfrischenden Luftstrom bringt, den man anderswo genießt. Übrigens bekenne ich, daß es mir an der nötigen Beharrlichkeit in der Erforschung jener Gegend gefehlt hat, und ich will niemand das Birchegg oder wie die Nase heißt verleiden.

 

Der See und das Gestade

Der Vierwaldstättersee ist kein Wasser zum Gondeln; das geht viel zu langsam vom Fleck, denn der Wunsch strebt aus der Luzerner Bucht hinaus, in die Weite. Vollends das Selbstrudern ist ein Sport für angehende Selbstmörder. Wer kann berechnen, was für Wendungen die Dampfbootflottille bei ihren Manövern herwärts und hinwärts in der engen Bucht ausüben wird? So ein mächtiger Salondampfer macht das ganze Wasserbecken unsicher, und während du dem einen ausweichst, gerätst du unter den andern. Es denkt auch kein Einheimischer daran. Wenn einer sagt ‹See›. so meint er immer das Dampfboot. Schon das Besteigen eines der schönen, saubern, hohen Dampfer, welche so vorteilhaft von der Unordentlichkeit der italienischen abstechen, gewährt Befriedigung, der Ausblick vom Verdeck bei ruhendem Schiffe freudige Überraschung. Braucht es doch am Waldstättersee nur die Erhöhung um ein Stockwerk, um Neues zu erblicken. Die Räder setzen sich in Bewegung, und die herrliche Seebrise setzt ein. Beim Kreuztrichter – Seehöhe zwischen Küßnacht und Stansstad – wird sie so frisch, daß allerlei unnütze Paletots zum Vorschein kommen. Hinter Hertenstein taucht man wieder in ein wärmeres Klima, und jenseits Vitznau, bei Buochs, mischt sich meistens der würzige Heuduft der Alpen in den erquickenden Seeatem. Das wirkt alles im Verein mit dem wechselnden Panorama so belebend, daß man meint, man möchte ewig dahinfahren. Doch schon schleicht sich trotz den zauberischen Kulissen etwas Ungeduld in die Nerven, welche bald die Aufnahmefähigkeit für weitere Eindrücke herabsetzt. Ich wiederhole an dieser Stelle, was ich früher gesagt: Eine längere Seefahrt ermüdet; man muß die zweite Hälfte des Sees, die Strecke von Beckenried bis Flüelen, von Brunnen aus sich aneignen.

Über das Panorama des Sees möchte ich folgende Bemerkung wagen: Der Reiz hegt hauptsächlich im wechselnden Vordergrund; die Hauptlinien des Hochgebirgshorizontes bleiben verhältnismäßig starr; durch seine Lücken erscheinen Vexierbilder; vereinzelte kleine weiße Bergspitzen, die jeden narren. Da wird um einen silbernen Zipfel mit den berühmtesten Namen herumgeraten: es ist nur ein unbedeutender Vorberg, den der letzte Regenschauer mit Schnee beworfen hat. In dem Einschnitt gegen Brunnen und Flüelen zeigt sich beharrlich ein Schneeberg; nur ein einziger. Kaum hat man seine Identität herausgeklügelt, so steht ein anderer an seiner Stelle; eben war es der Bristenstock, jetzt ist es das Scheerhorn oder die Clariden. Über dem Bürgenstock glaubt man deutlich den Urirotstock wahrzunehmen; es ist ein Felsgebirge, das seine Form nachäfft. Die Jungfrau über dem Alpnachersee wird mit allgemeinem Jubel begrüßt, ihre klassischen, einfachen, strahlenden Linien sind nicht zu verkennen: es ist eines der Wetterhörner, während die Jungfrau unscheinbar zu beiden Seiten des Mönch und Eiger sich etwas weniges hervorschiebt. Tatsache ist, daß der Vierwaldstättersee einen einzigen imposanten Schneeberg hat, den Urirotstock. Aber am Vierwaldstättersee nach Schneebergen auslugen heißt in Bordeaux nach Rheinwein fragen. Für die Schneeberge ist der Thunersee da; dort stelle das Visier auf Gletscherhöhe ein; dort gibt es Diamantriesen. Der Vierwaldstättersee hat andere Vorzüge.

Die Färbung des Vierwaldstättersees ist groß und ernst; an Farbenfülle und wechselndem Leuchtspiel wird er, wie ich glaube, nicht bloß von den italienischen Seen, sondern auch vom Genfersee, teilweise sogar vom Zuger- und Zürchersee, übertroffen; solch ein duftiges Himmelblau wie über dem Zürchersee, solch einen glühenden Metallschmelz wie auf dem Zugersee habe ich hier nie beobachtet. Wohl wechselt die Farbe, aber mehr durch den Ortswechsel des Fahrenden als durch Lichtveränderung; die einzelnen Buchten haben verhältnismäßig beständige Farben. Eine Stelle zeichnet sich vor allen aus, immer von neuem Entzücken erregend: das Gewässer zwischen den beiden Nasen, von Vitznau bis zur Hammetschwand. Königsblau, Meergrün, Braun und Silber in Streifen aneinandergesetzt, so zwar, daß das Blau vorherrscht. Diese Färbung wird gewöhnlich der Aussicht von der Hammetschwand zugute geschrieben; ich finde sie noch wundervoller beim Blick von der Landstraße von Vitznau nach Gersau. Die Spiegelung der Berge auf der Seefläche ist hie und da angedeutet, nirgends vollendet.

Die Glanzpunkte der Seefahrt nennt jeder sofort, der auch nur einmal von Luzern nach Flüelen fuhr: es sind der Kreuztrichter und die Biegung bei Brunnen. Die Wertschätzung der verschiedenen Seearme dagegen erleidet mit der Zeit unvermutete Korrekturen: der Flüelersee, zuerst als die gewaltigste Erscheinung bewundert, verliert allmählich durch seine unfreundliche Wildheit. Die Partien gegen Alpnach hin, sogar die Flächen unter dem Bürgenstock bis Stansstad scheinen sich dagegen zu verjüngen. In den Küßnachter Arm verirrt sich höchstens der Fremde, welcher nach der Hohlen Gasse reist, um die Phantasie zu sehen. Die Bucht von Buochs wird ein notwendiges Übel. Über den bunten niedlichen Firlefanz des Meggenhorns siegt mit der Zeit die edlere Anmut der Hertensteiner Bucht. Wer mir diese Beobachtungen theoretisch am heftigsten bestreitet, handelt doch in Wirklichkeit denselben gemäß, indem er instinktiv dieses wiederholt aufsucht, jenes unwillkürlich verläßt.

An Uferspaziergängen längs dem See waltet trotz den vielen bequemen Straßen nicht der Reichtum, welchen der Fremde bei der Dampfschiffahrt zu erblicken glaubt. Zunächst muß man bedenken, daß die Straßen niemals ansteigen, sondern ganz glatt laufen, mit zwei Ausnahmen, der Axenstraße und der Vitznau-Gersaustraße. Von der ersteren brauche ich nicht zu reden, sie ist weltbekannt. Anmerkungsweise möchte ich aber davor warnen, die Axenstraße von Luzern aus zu begehen; man kommt dabei immer in die heiße Tageszeit, trifft Staub und Verkehr und tausenderlei Störung. Für den Standort Luzern rate ich zu der kleinern, unberühmten, aber vom landschaftlichen Standpunkt keineswegs minderwertigen Straße Vitznau–Gersau. Man wird dort erstens jene wunderbare Seefärbung finden, welche ich bereits erwähnt; überdies einen jähen Abfall gegen den See von mäßiger Höhe – ein paar Häuser hoch –; drittens einen seligen, durchleuchteten Baumsegen vom Abhang bis zum tiefen Wasser; viertens plötzlichen Wechsel des Panoramas bei dem Vorsprung der Vitznauernase; endlich kühlen Felsschatten des Morgens und Abends. Wie gesagt, an Großartigkeit der Verhältnisse und an Macht des Panoramas kann sich diese Tour nicht im entferntesten mit der Axenstraße messen, übertrifft jedoch dieselbe an Feinheit der Bilder und der Farben, an seelischer Schönheit. Wohlverstanden, es lohnt sich nicht, den langen, zweistündigen Weg bis Gersau zurückzulegen; jenseits der Vitznauernase kehre man wieder um. Unter den ebenen Spaziergängen steht allen anderen weit voran die Riviera des Waldstättersees, die Gartenufer von Weggis nach Vitznau. Bei Weggis eine üppige Obst-, Blumen- und Gemüsewirtschaft, Feigenbäume am See, Edelkastanienwäldchen an der Halde des Rigi; weiter stille, grüne, ruhige Buchten und Haine, Felshänge mit wuchernder Wildflora; tausend malerische Motive am See, gleich Vorlagen für eine Zeichnungsakademie. In der Mitte Lützelau, ein liebliches Miniaturkurörtchen mit Winkeln und Schnörkeln. Für den Luzerner bedeutet der Weg eine Erwärmung an kalten Sommer- und allzu frühen Spätherbsttagen. Doch auch im Hochsommer läßt sich die einstündige Tour mit Genuß absolvieren. Obschon nämlich das Thermometer hier die heißeste Stelle des Sees markiert, leidet man nicht sonderlich durch die Hitze, wegen der vielen Bäume und Biegungen, wegen der Feuchtigkeit der Luft, wegen des breiten Schlagschattens, welchen der Rigi bis zu später Morgenstunde spendet.

Das übrige Seegestade hat für Spaziergänge nicht viel auf sich. Der Weg von Meggen nach Küßnacht ist weit und reizlos. Die Landstraße jenseits von Greppen nach Weggis soll, wenn man nicht in die heiße Tageszeit gerät, der Anmut nicht entbehren. Ich kenne sie nur zum kleinen Teil. Von Hertenstein nach Weggis sind ein paar hübsche Schritte. Die ganze Partie zwischen Treib und Buochs widerrate ich aus Erfahrung. Die Strecke Hergiswil bis Kehrsiten führt zwar unter Felsgebirgen, doch so, daß die Sonne einen bis zu ihrem letzten Strahl belästigt; kurz, die Straßen am Vierwaldstättersee dienen zwar vortrefflich dem Verkehr, laufen aber für den Fußmarsch zu mathematisch.

Reich ist dagegen die Zahl herrlicher Sitz- und Schleichplätzchen. Einsame elegante, palastähnliche Gasthöfe am Seeufer mit schattigen Terrassen und buschigen Gärten. Der Fremde benützt sie zu Pensionen, der Einheimische zu nachmittäglichen Kaffeestationen. Je mehr Freundesvolk einer dahin mitnimmt, desto angenehmer wird er dort ruhen. Man läßt sichs patriarchalisch wohl sein und die prächtigen Berge ins Auge scheinen; an milden sonnigen Septembertagen bringt die von Viertelstunde zu Viertelstunde wechselnde Beleuchtung und Färbung unerschöpfliche Abwechslung. Zur Notiz: die Gasthöfe am See sind gut und billig, die Gasthöfe auf den Bergen gut und teuer. Ich will die bedeutendsten dieser traulichen Familienplätzchen aufzählen, «sauf erreur et omission», wie der Geschäftsmann sagt. In der Küßnachter Bucht: Pension ‹Gottlieben› über Station Hintermeggen; ein gewaltiges Haus mit großem, schattigem Park und riesigen Bäumen. Springbrunnen, bequeme Gartenstühle, Altane; vor den Altanen eine gigantische Wellingtonia. In der Richtung gegen Flüelen: zuerst das feine, stille Hertenstein, ein Juwel, ein Smaragd in Goldfassung, nicht mehr, nicht minder. Park, Wiesen und Bucht in gleicher Vollendung. In Weggis liegen die Gärtchen in dichten Gruppen beisammen, blumenleuchtend, zu dicht sogar für meinen menschenscheuen Ausnahmegeschmack. Herwärts Vitznau, in der Richtung gegen Gersau, weiß ich eine breite, schattige Terrasse im Garten am See. Beckenried besitzt bekanntlich Sonne und Mond, eine Astronomie, wie sie sich Vereli wünscht. Wenn ich an die unzähligen Witze denke, welche diese strahlenden Gasthofnamen seit vielen, vielen Jahren auf dem Gewissen haben werden, werde ich mich wohl hüten, die Sündenliste zu vermehren. Die genannten Gasthöfe, unmittelbar an das Dorf sich anlehnend, anziehender Gartenanlagen bar, scheinen, vom Schiff aus gesehen, nicht eben zum Weilen einladend; dennoch sind sie es für den, der das Plätzchen wirklich versucht hat. Die große Ruhe der Lage tötet die kleine Unruhe durch die wenigen aus- und einsteigenden Dampfschiffpassagiere. Hier in Beckenried wird sich, beiläufig gesagt, binnen wenigen Jahren ein reger Fremdenverkehr entwickeln, wenn nämlich die Eisenbahn nach Seelisberg Tatsache sein wird. Eine Tatsache, die ich so eifrig als möglich befürworte. Denn da oben liegt Schönegg, eine großartige, weitläufige, stadtähnliche Gebäudereihe mit Doppelterrassen, Rigi-Kaltbad vergleichbar. Ein bißchen höher das schlichte, bäurische Emmetten mit seiner großartigen, schwindelhaften Bachschlucht (Kinder nicht mitzunehmen!) und seinen einsamen Kletterpfaden gegen den Schwalmis. Von Emmetten geht es in zwei kleinen Stündchen auf schattenloser Schönwüste zum Seelisbergersee und Seelisberg-Sonnenberg. Mit der Eisenbahn wird das einst eine der hübschesten Touren von Luzern oder Brunnen werden; gegenwärtig möchte ich niemand raten, im Sonnenschein zu Fuß durch die Sahara von Emmetten zu reisen; ich habe es zweimal gewagt, wage es aber nicht zum drittenmal. Was an Gersau klebt, kann ich nicht recht erklären; ich finde den Ort an sich reizlos. Aber eine große Terrassenpension am Gestade, still und ernst, hat es mir angetan. Ist es die einfache Symmetrie des Gebäudes und der Pflanzenarchitektonik? oder ist es die Weltentlegenheit des Ortes? Kurz, dort schmeckt der Café complet besonders wohlgeboren. Auch in Brunnen, so geräuschvoll es scheint, ist Behaglichkeit am See zu haben, mitten im Luxus. Endlich Flüelen, wo eine ganze Harmonika von Altanwirtshäuschen bereit steht.

Auf der Alpnacherseite lob ich mir Alpnachstad zum Ruheplatz; ferner Stansstad, ein Lieblingsziel der Kinder, denn das enthält allerlei menschenfreundlichen Schnickschnack: Schaukeln und Turngeräte, gutartige Riesenhunde, Schildkröten, Schwäne und Enten; dichte Alleen schaffen friedliche Abgeschiedenheit trotz der Dampfschiffstation, trotz den Engelbergfahrern und -führern, trotz dem Allerweltswirtshauscharakter. Man gerät von selber immer wieder nach Stansstad. Hergiswil hat vieles für sich, doch ist es mir noch nicht gelungen, dort die Gemütlichkeit zu lernen. Gegen das schattige Kastanienbaum wüßte ich nichts einzuwenden als die allzugroße Nähe von Luzern. Man glitscht unwillkürlich mit dem Dampfschiff daran vorbei.

 

Die vier guten Alpen

Schaut ein Fremder von der Luzerner Seebrücke nach den Bergen, so zeigen ihm dieselben lange Gesichter mit rätselhaften Mienen. Er mag Augenkneifer und Feldgucker zu Hilfe nehmen, er wird doch nicht erraten, welche von all den vielen Zacken deutsch verstehen und welche nicht. Das ändert sich mit Einbruch der Nacht; das Wildzeug verschwindet im Dunkel, die guten Höhen dagegen glitzern mit elektrischen Augen: Rigi, Bürgenstock, Pilatus und allerneuestens auch das Stanserhorn. Zuweilen fackelt sogar auf dem unnützen, unwirklichen ‹Bauen› ein rotes Irrlicht. Wer da oben eigentlich flunkert, habe ich nie erfahren. Nun, die Gefahr, daß ein Wanderer, davon verführt, nächtlicherweile dort auf den zweitausend Meter hohen Klotz hinauffalle, ist nicht dringend.

Von den genannten vier Bergen ist das Stanserhorn erst seit ein paar Tagen in menschlichen Bereich gelangt; ich darf daher meine vollständige Unkenntnis ihm gegenüber wohl für entschuldigt halten. Leider werde ich mich wahrscheinlich auch in Zukunft damit begnügen müssen, meine Visitenkarte unten im Walde abzugeben, weil ich gegen langdauernde Drahtseilfahrten mit mehr als fünfzig Prozent Steigung eine Abneigung habe. Wenn ich trotzdem unbekannterweise das Stanserhorn zu den guten Alpen rechne, so geschieht es nach dem Rechtsgrundsatz, daß jeder für gut anzunehmen ist, so lange man nichts Böses von ihm weiß.

Von den übrigen drei gibt jeder, der Luzern besucht, sofort dem Pilatus den Vorzug. Die majestätischen Formen tun es einem an. Das heimliche Vergnügen, dem berühmteren Rigi gegenüber einen eigenen Privatliebling auszuspielen, wirkt mit. Die Überlegenheit des Pilatus im Panorama von Luzern unterliegt keiner Frage; er ist hier das Wappenbild der Natur wie der Vesuv bei Neapel. Beiläufig gemeldet, wechselt der Eindruck des Pilatus ganz außerordentlich; bald scheint er riesengroß den Himmel zu durchspalten: bei Nacht oder im Winter, oder des Sommers bei Unwetter; bald den Kopf tief in die Schultern zu ducken, ja zusammenzuklappen, als ob sich einer darauf gesetzt hätte: bei ganz klarem oder duftigem Wetter. Besonders einladend ist er, wenn die ersten Sonnenstrahlen von dem Rigi her an seinen Zacken wie auf einer Treppe hinaufklettern. Der Pilatus verdankt übrigens seine prächtigen Linien bei Luzern einer Fälschung; er schiebt andere Berge bis zur Hälfte vor, um Mängel und Unschönheiten der eigenen Linienführung zu verdecken.

An sich hat der Pilatus gegen Westen einen häßlichen Buckel, den man sofort nach Beseitigung der Vorderkulissen wahrnimmt, zum Beispiel von Küßnacht aus oder von Buochs-Gersau. Nun, seien wir über die optische Täuschung froh, die man sich nicht besser wünschen könnte. Kein Fremder kann übrigens den Pilatus höher schätzen als der Luzerner selbst; der Berg ist hier so populär wie die Berner Bären im Bärengraben; und das Volk springt so vertraut mit ihm um wie der Zürcher mit dem Uetliberg. Das hüpft auf Klimsen- und Tomlishorn, das schlüpft durch das Chriesiloch, von Kriens, von Hergiswil, von Alpnachstad, als wenn da weiter nichts dabei wäre. Sieh dir diese zarten Dämchen am Quai an; wenige, die nicht schon zu Fuß oben gewesen wären. Öfters? Das nun freilich nicht. Es geht jeder einmal hinauf, und damit hat es meistens auch zeitlebens sein Bewenden. Ähnlich verhält es sich mit den fremden Bahngästen. Es läßt keinem Ruhe, bis er einmal oben war; doch kehrt der Vergnügungsreisende nur nach jahrelangen Pausen wieder hinauf. Nicht, als ob er enttäuscht worden wäre, nein; wenn man das Glück hatte, einen fleckenlosen Tag zu erhalten, so gewinnt man oben einen unvergeßlichen Eindruck: Ein Felsboden wie aus ehernem Metall, darüber hin, was man am wenigsten erwartete, Blumen- und Alp-Oasen bis zum Gipfel, gegen das Tomlishorn ein kolossaler Galeriengang, aus den Schlünden Nebel und Wolkengespenster, senkrecht aufsteigend, blitzschnell, wie aus der Kanone geschossen, in der Tiefe der lächelnde Alpnachersee, gegenüber die Gletscher, großartig und zahlreich.

Aber zu öfters wiederholten Ausflügen eignet sich der Pilatus nun einmal nicht aus folgenden Gründen. Die Gipfel sind für Fußgänger zu hoch. Zweitausend Meter kosten nun einmal Zeit und Anstrengung, und außer den Gipfeln ist am Pilatus nicht viel zu holen. Er hat keinen Rücken; man kann sich oben nicht ergehen, ja kaum umdrehen; die mittlern Partien sind starr; das unterste Dritteil muß zwar genußreiche Alpen bieten, aber die Pilatusbahn liefert keine Fahrkarten für Zwischenstationen ab; man muß entweder ganz hinauffahren oder ganz hinaufgehen. Gasthöfe gibt es nur am Fuß und auf den Gipfeln; unterwegs heißt es dürsten und hungern. Das genügt ja schon vollständig, um zu erklären, warum der Pilatus kein regelmäßiges Ausflugsziel für den Fußgänger sein kann. Dem Fahrgast wieder paßt es nicht, öfters sechzehn Franken für die Fahrt auszulegen; ein Ort zum Bleiben aber, ein Kurort, wird der Pilatus nie sein und hat es nie sein wollen. Kurz, der Pilatus ist in erster Linie ein Berg für die Staffage von Luzern, in zweiter Linie eine großartige Merkwürdigkeit, die man sich ein- oder zweimal in seinem Leben ansehen soll. Zur Notiz: Die Bahnfahrt ist nicht im mindesten schaurig; ich führe lieber hundertmal auf den Pilatus als einmal auf den Bürgenstock.

Dem kleinen Bürgenstock würde man es nicht ansehen, daß ihm eine unerschöpfliche Anziehungskraft innewohnt. Je näher man ihn kennt, desto lieber wird er einem. Wer den Bürgenstock nicht kennt, denke sich eine hohe, breite, behäbige Allmendmulde mit Dorf, Kirchlein und Sennhütten. Die Mulde allerseits von Waldbergen umschlossen; nach hinten, gegen Stans und Engelberg ist der Waldzug niedriger, unbedeutender, die Absenkung gegen die Ebene steil, doch nicht eben jäh. Nach vorn, gegen den See und Luzern, gewaltige Felswände, mit Hochwald gekrönt, ins Wasser abfallend, nur selten, namentlich in der Mitte, in bequeme grüne Halden und Matten unten auslaufend. An diesem Mittelpunkt liegt unten Kehrsiten, oben die Pensionen Bürgenstock. Auf der Seite gegen Stansstad und Pilatus öffnet sich die Mulde in verhältnismäßig sanfter Neigung, so daß Straßen, Wege und Bäche da hinunterziehen. Auf der Gegenseite, gegen den Rigi, erhebt sich die stotzige, trotzige Hammetschwand, fast zwölfhundert Meter hoch, ein Berg auf dem Berge, hinter ihr, an ihrer Rückwand, ein schönes Sträßchen nach Buochs hinunter. Summa: oben, in der Mulde, hinten, gegen Engelberg, und auf der einen Flanke, gegen den Alpnachersee, grüne Freundlichkeit, vorn, gegen den Luzernersee, und auf der andern Flanke, gegen den Rigi, schwindelnde Abgründe. Also viel Abwechselung, welche noch durch zahlreiche Nischen an der Vorderwand vermehrt wird. Das Ganze eigentlich eine Insel. Wollüstige Luftströmung, welche keine Hitze aufkommen läßt; schattige, natürliche Parkwälder neben der Hauptpension, eine über die Maßen fröhliche Aussicht auf das nahe Luzern von den verschiedenen Terrassen, endlich zwei verführerische Spaziergänge oben auf dem Berge selbst. Einer nach der Honegg über Buochs, an sich unbedeutend, aber in eines der schönsten Plätzchen mündend, die man sich denken kann: eine freie, sanfte Halde hoch über dem Gersauersee, links von Berg, rechts von Wald umrahmt, hinten geschlossen, vorn sich im Dreieck öffnend. Am Nachmittag Schatten über die ganze Halde, Sonnenschein über dem Bilde in der Tiefe; endlich Bänkchen auf mehreren Etagen und neben den Bänkchen weiches herrliches Moos. Lieg hier, je länger desto besser. Der andere Spaziergang führt auf die Hammetschwand gleich bei der Station Bürgenstock durch spärlich gesäte, hohe Tannen, welche Wald und Dach bilden, unten durch die Tannen, senkrecht, in grausiger Tiefe der blaue See; ein zauberhaftes Bild, scheinbar der Himmel unten, als stände alles auf dem Kopf. Da drin steigt es sich so frisch, so kühl, so herrlich, daß ich den Spaziergang nach der Hammetschwand zu den allergenußreichsten zähle, die ich kenne. Einige Vorsicht auf dem glatten Steinplattenboden des Waldes schadet nichts. Auf dem Rückweg segelst du unvermeidlich ein paarmal auf den Boden, mit oder ohne Nagelschuhe. Sehr lohnend ist auch der Aufstieg zum Bürgenstock auf der Fahrstraße von Stansstad, um des ersten Drittels willen, welches ein paarmal an prächtigen Abgründen über der Kehrsiter Straße hin- und herwendet; das zweite Drittel ist unbarmherzig sonnig. Für den genannten Landstraßenaufstieg eignet sich indessen nur der Frühmorgen – erstes Schiff von Luzern –; nur dann liegt die Stansstaderseite des Berges im Schatten, übrigens auch nur zum ersten Drittel. Honegg ist für den Nachmittag, Hammetschwand für jede Tageszeit. Es soll ferner einen Fußweg von Kehrsiten nach Bürgenstock geben oder gegeben haben; man hat ihn verfallen lassen, um der Bahn zu dienen. Mit Unrecht, denn mancher ginge hier zu Fuß hinauf, welcher dem Bürgenstock fern bleibt, weil er die Bahn scheut; und die Mehrzahl scheut die Bahn, ohne es gestehen zu wollen. Denn die Fahrt ist einfach gruslig, wenigstens die Auffahrt. Die Abfahrt geht eher an, weil da das schlimmste Stück zuerst kommt und weil die stockende, klebende Langsamkeit bei der Fortbewegung, die einen bei der Auffahrt längs dem schauerlichen Abgrund zur nervösen Ungeduld reizt, bei der Niederfahrt als Halt, mithin als Sicherheit, empfunden wird. Nun fahre ich wohl öfters hinauf; man kann und man soll sich ja überwinden; aber noch öfter wähle ich den Umweg über Stansstad, in der Erwägung, daß ich schließlich nicht zu meiner Erziehung, sondern zu meinem Vergnügen ausfliege.

Und nun der Rigi! Ist es überhaupt möglich, ist es anständig, über den grenzenlosen Reichtum an Naturschönheiten ersten Ranges, wie sie das eine kurze Wörtchen ausspricht, nur so streifend zu handeln? Der Rigi ist ja kein Berg, sondern eine große Gebirgskette, mit einer Basis, welche zwei Dritteln des Vierwaldstättersees gleichkommt, und mit einer Menge von Gipfeln und Buckeln, daß man ein Dutzend anderer Berge daraus schnitzen könnte. Und was für eine Qualität zu dieser Größe! Ich weiß kaum, wo anfangen, noch weniger, welche Worte finden. Nun, ich will mit dem Bekenntnis beginnen, daß ich den Rigi einfach für den herrlichsten Berg halte, den es auf Erden gibt; und zwar schätze ich ihn von Tag zu Tag höher, so daß ich, am Abend zurückgekehrt, gleich am folgenden Morgen wieder hinauf möchte. Der Rigi für sich allein wiegt alle andern Berge des Vierwaldstättersees auf. Hierin ist nun, wie ich weiß, nicht jedermann meiner Ansicht; ja, ich kenne Leute, welche dem Rigi geradezu ausweichen. «Internationaler Fremdenberg», «keine Natur mehr», «Lärm», «Luxus», und wie die Entgegnungen sämtlich lauten. Ja, das glaube ich wohl, wenn Sie unvernünftigerweise so schnell wie möglich auf den Kulm hinaufkraxeln, oben ein kurzes Stündchen Aussicht schnappen und dann unaufhaltsam heimkeuchen, ohne zu rasten, ohne sich umzusehen, als hätten Sie oben etwas gestohlen und unten etwas vergessen. Überhaupt, wer heißt Sie denn auf den Kulm steigen? was haben Sie dort verloren? Wollen Sie Edelweiß kaufen? wollen Sie Alpenstöcke brennen? oder was wollen Sie eigentlich dort? Etwa die Aussicht? den Sonnenauf- und -untergang? Lassen Sie das den Sandbewohnern, welche noch nie in ihrem Leben die Sonne von einem Berge aufgehen sahen, oder besser: sehen Sie sichs auch ein paarmal an, auf dem Kulm, aber nur ein paarmal, nicht regelmäßig, sonst verlieren Sie die Hauptsache: den Rigi selbst. Wahrlich, um darüber hinwegzusehen, dazu ist dieses naturbegnadete Gebirge viel zu gut. Der Rigi ist kein Aussichtsberg, sondern ein wunderbarer Park von unten bis oben, von vorn bis hinten; schön auf den Matten, schön auf allen Terrassen und Gipfeln, noch schöner in den Wäldern. Wo man ihn anrührt, wo man ihn riecht, wo man steht und geht, da herrscht Entzücken. Was «Lärm», was «keine Natur mehr»! Haben Sie durchaus nötig, mit gebrochenen Gliedern unter einem Felsen zu liegen, ohne daß Ihnen jemand hilft, um sich einsam zu fühlen? Getrost; das können Sie auf dem Rigi auch haben. «Vornehmheit»? «Luxus?» Bitte, zeigen Sie mir doch die Vornehmheit; es dürfte sogar noch um ein Erkleckliches vornehmer zugehen, es würde nichts schaden. Denn vornehm heißt Abwesenheit von Lärm, Unruhe und Belästigung, heißt Höflichkeit, Ungezwungenheit und bis zu einem gewissen Grade sogar Rücksicht. Am ehesten kann Rigi-First vielleicht Anspruch auf diesen Titel erheben. Teuer ist es auf dem Rigi, das will ich beschwören; aber dafür hat einer auch etwas dafür.

«Soll ich zu Fuß, soll ich per Bahn, soll ich von Weggis, von Vitznau, von Arth oder von Gersau auf den Rigi?» Gehen Sie zu Fuß und per Bahn; gehen Sie von Weggis und Vitznau und Arth und Gersau und Küßnacht und Greppen. Vor allem aber: gewöhnen Sie sichs ab, jedesmal wie eine Bombe auf den Kulm hinaufzustöhnen. Lernen Sie, einen ganzen Tag auf einem Stockwerk bleiben, heute auf Felsentor, morgen auf Kaltbad und Känzeli, ein anderes Mal auf First, ein anderes Mal auf Staffel und Kulm, wieder einmal im Klösterli und Scheidegg, und wieder einen Tag auf Seeboden. Und wenn Sie damit fertig sind, fangen Sie gewiß von selbst wieder von vorne an. Vorausgesetzt, daß Sie sich nicht in den einen und andern Punkt so verlieben, daß Sie den Rest für ein folgendes Jahr verschieben müssen.

Worein ich mich verliebt habe, das ist der alte Rigiweg von Weggis nach Kaltbad, so verliebt, daß ich seinetwegen kaum dazu komme, andere Rigiplätzchen zu berücksichtigen, so sehr ich mich auch danach sehne. Ich bin wahrlich kein Virtuos im Gehen; von Zürich nach Hottingen habe ich eine Droschke nötig; der Berg zum Polytechnikum scheint mir geradezu unersteiglich; zu Fuß auf den Uetli, kein Gedanke! Aber zu Fuß auf den Rigi, von Weggis aus, das ist anderlei; da komm ich immer mit. Es gibt nämlich schlechterdings keine leichtere Bergbesteigung als die auf den Rigi; das ist ja, als ob man in einem Garten hinanspaziert. Zunächst mit dem Fünfuhrschiff von Luzern fort. Bitte, entsetzen Sie sich nicht, man steht in Luzern sehr leicht um vier Uhr morgens auf, bei einem goldenen Morgen mit dem Rigi als Perspektive; glauben Sie das einem geübten Langschläfer! Also mit dem Fünfuhrschiff fort, über den frischen See, während die Sonne die ersten Kunststücke vollführt. Angenehm durchfroren kommen Sie um Viertel vor sechs in Weggis an; der ganze Rigi liegt vor Ihnen im Schatten; denn die Sonne scheint darüber weg, ohne die untere Hälfte zu treffen, ein unschätzbarer Vorzug. Die Nüchternheit, die Frische des Sees und der Schatten macht Ihnen ein kräftiges Ausschreiten zum Bedürfnis; und kaum haben Sie die ersten zwanzig Schritte getan, nur so um das erste, zweite Haus von Weggis herum, so seufzen Sie schon: «Das ist schön!» Und nun so fort: «Nein! daß aber der Weg so schön wäre, das habe ich mir doch nicht vorgestellt.» Ein Wäldchen von Edelkastanien ist die erste Überraschung; dann weiter in Schlupfwinkeln durch Wald und Fels; dann über fröhliches Felstrümmergebiet in fruchtbaren Wiesen, immer grün, immer schattig, immer in Wendungen, den See vor Augen. Es dauert nicht lange, so möchte man seinen Nebenmenschen vor Freuden anbeißen. Nach einer kleinen Stunde dünkt es einem, als ob man doch allmählich müde würde, wenn das länger dauerte. Die Sonne beginnt schon, hie und da, über das Gras zu streichen und auf die Schultern zu drücken. Da ist Sentiberg erreicht, ein mildtätiges Wirtshaus. Sitz; trink; streck dich. Hier weht Bergluft, und man genießt bereits Siegesgefühle. In einer großen Wendung über eine steile, heckenbesetzte Blöße, deren Länge das Auge stets von neuem unterschätzt – oben beim Bachwinkel ein reizendes Eckchen, zum Nachmittagslager gut –, führt jetzt der Weg unter die jähen Felswände durch den stillen Tannenwald, über Runsen und Wasserfälle, unten Sentiberg und in der Tiefe der See, durch die Bäume herauflugend; in dem tiefen Wald- und Felsschatten nimmt man kaum gewahr, daß der Weg so steil wie eine Treppe berganführt; man hat ohnehin viel, zu viel zu tun, sich zu freuen, um an die Steigung zu denken. Eine Kapelle überrascht uns. «Was? schon der halbe Weg?» «Schon beinahe tausend Meter Höhe?» Weiter einige verlassene Milchstationen; ab und zu so steile Partien, daß man hinter sich rutscht, aber alles im dunklen Wald, plötzlich, wie vom Himmel gefallen, mitten im Wald Felsentor. Man hat den ersten der Kurorte erreicht, man weiß sich auf dem Rigi. Ihr, die Ihr die Gasthöfe als Naturverderber schmäht, psychologisiert mir doch gefälligst, was Ihr empfindet, wenn Ihr unvermutet im Walde an Pension Felsentor stoßt. Wenn Ihr wahrhaftig seid, so müßt Ihr bekennen, daß alle Eure Gefühle sich mit dem Worte Beefsteak ausdrücken lassen. Felsentor hat wohlige Waldverstecke; wer hier tagelang bleibt, hat ein gutes Teil erwählt. Von hier weiter hinauf ist freilich guter Rat schwierig. Dem Wege nach, über die heißen, sonnigen Alpen, beim Kreuz vorbei? Wenn es durchaus sein muß, in Gottes Namen, es bringt einen nicht um; aber es ist eine böse und langwierige Strecke, fast eine Stunde, welche mehr ermattet als der ganze bisherige zweistündige Weg. Oder links mutig in die Tannen hinein, geradauf, pfadfindend, über Steine, Moos und Bach, um die Felsen? Wer einen frohmütigen Charakter und gute Gesellschaft hat, wer sich nicht ärgert, wenn er einmal ein paar Schritte zurücktun oder über ein Wässerchen hüpfen muß oder einem Züglein Hornvieh ausweichen, dem rate ich unbedingt zu. Er verliert zwar wahrscheinlich eine halbe Stunde Zeit, denn nichts ist ja zeitraubender als Abkürzungen. Dagegen gewinnt er ein Stück dörfliches Sennenidyll, ungeahnt im Walde versteckt, und überhaupt ganz neuartige Bilderchen. Doch, wie gesagt, etwas Irregehen darf einen nicht verdrießen. Nach Regen meide man diesen Pfad, denn der Boden ist da sumpfig. Das Beste wird wohl sein, wenn es irgend mit der Zeit klappt, nach Station Romiti hinüberzugehen – eine Viertelstunde – und bis Kaltbad zu fahren. Den Fußweg von Vitznau kenne ich nur teilweise, diesen Teil aber schätze ich dermaßen, daß ich mich schwer entschließe, daran mit der Bahn vorbeizufahren. Es ist die Strecke Freibergen-Romiti, ein köstlicher Spaziergang durch freundlichen, sonnendurchwärmten Wald, darin unter anderm ein nächtliches Weihnachtswäldchen mit Miniaturtännchen, ähnlich wie auf dem Uetliberg, nur noch viel kleiner und dunkler.

Eine Waldeinsamkeit, so groß, so still, als ob ein urweltlicher Riese seit Jahrtausenden hier schliefe, zieht verlockend vom Känzeli nach dem Seeboden hinunter. Man kann dem Weg fast nicht widerstehen. Nur entsteht die Frage: Was tust du unten? Doch nicht über den ganzen heißen Seeboden nach Seebodenalp? Es bleibt nichts andres übrig, als wieder zurückzusteigen. Also nur ein paar hundert Schritte versuchsweise dort hinuntergehen, um den guten Geschmack im Munde zu haben. Ganz eigentümlich ist der Anblick der Rigiwand, von Seebodenalp gesehen; das ist wieder ein andersartiges Schweigen, das Schweigen der schlafenden Sphinx; still, schön und warnend. Von dort zieht es einen mit sanfter Gewalt die weiche Waldschlucht hinan, dem Staffel zu. Leider ist der untere Teil des Weges, die Partie von Küßnacht nach Seeboden, eine saure, wenig lohnende Arbeit.

Ich mache keinen Anspruch, den Rigi im ganzen und im einzelnen zu demonstrieren, mit gebührlicher Trennung des Wichtigen vom Unwichtigeren. Könnte ich es, so wollte ich es. Wenn ich es jedoch wollte, so müßte ich mir hiefür allein eine ganze Serie von Feuilletons vorausbedingen. Zum Ersatz für die mangelnden Worte hoffe ich auf die Ansteckungskraft, welche nun einmal entsteht, sobald wirkliche herzliche Begeisterung spricht oder auch nur stammelt. Übrigens habe ich es ja deutlich gesagt, daß nach meinem Urteil und nach meiner privaten Erfahrung auf die Dauer der einzige Rigi dem Spaziergänger mehr gewährt als alle andern Berge zusammengenommen. Wenn ich aber gerade die berühmtesten Punkte mit völligem Schweigen übergehe, so mag mich eben dieser Ruhm entschuldigen; denn was Hunderttausende preisen, das braucht nicht noch einer dazu zu loben. Ich huldige persönlich jenen lichtglänzenden duftigen Alpenhöhen, die ich hier übergehen muß, nicht minder als ein anderer. Ich weiß nichts Erleseneres als die herrliche Terrasse von Kaltbad, in günstiger Richtung gewendet, der Blendung während des größten Teils des Tages bar; ich liebe die vornehme Stille von First; es zieht mich immer wieder nach Staffel mit seiner unvergleichlichen Aussicht, und ich sehne mich nach dem originellen Scheidegg. Ich bin im Schnee oben gewesen und habe im Frühling Enzianen – beiderlei Sorten – gepflückt; ich habe auf dem Dossen einen Fuß verstaucht und auf dem Schild ein Bein verrenkt; mehr kann man wohl nicht verlangen. Eins ist freilich richtig: vor lauter Vergnügen komme ich selten ganz oben hinauf; ich bleibe meistens unterwegs irgendwo kleben, es sei denn, daß ich mir bei der Fahrt die Augen zuhalte. Nun, das läßt sich hoffentlich nachholen.

Die Sonne blickt; der Ostwind winkt; unter dem Dossen schweben zarte Schönwetterduftwölkchen. Das sehe ich von meinem Fenster aus und soll dabei schreiben? Die Feder weg, den Stock in die Hand und fort nach dem Rigi; denn ein Schönwetter in Luzern, das nicht für den Rigi benützt wird, halte ich für ein sträflich vergeudetes Schönwetter.


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