Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Kunst, sich bedienen zu lassen

Von allen Geschäftsverhältnissen, die ein Mensch eingehen kann, ist wohl das Engagement eines Dienstboten das innigste und zugleich verantwortungsschwerste; denn nicht bloß eine Arbeitskraft leihen wir hier um Geld, sondern der gesamte Mensch mit seinem Fühlen und Hoffen vertraut sich uns an. Wir verfügen über seinen Willen, seine Kraft, seine Zeit, seine Gegenwart und mittelbar sogar über seine Stimmung; wir bedeuten ihm das Schicksal, das ihm Glück oder Unglück bringt, die moralische Witterung, von deren Launen ihm Sonnenschein oder Regen kommt. Man hat die Dienstboten ‹weiße Sklaven› genannt; dies zu beurteilen und bejahenden Falls zu bessern, ist Aufgabe der Allgemeinheit; aber Sache jedes einzelnen ist es, das dienende Gesinde als beseelte Pfänder zu betrachten, über deren Pflege er vor seinem Gewissen Rechenschaft abzulegen habe.

Wenn man sich die Mühe nehmen wollte, sich in den Gemütszustand eines Dienstmädchens, das in unser Haus einzieht, zu versetzen, eine harte oder auch nur gleichgültige Behandlung wäre für einen nur halbwegs gutartigen Menschen eine Unmöglichkeit.

Da nimmt so ein armes Ding, das vielleicht schon längere Zeit ohne Stelle geblieben war und nun unser Angebot als eine Rettung empfindet, in seinem heimatlichen Dorf, wo sie bei Eltern oder Verwandten zur Last lebte, von ihren Freundinnen Abschied – vorausgesetzt, daß sie solche hat –, packt mit klopfendem Herzen ihre Armseligkeiten zusammen, zählt die wenigen Pfennige oder die vielen Schulden und baut in Gedanken Luftschlösser auf den Reichtum der Herrschaft. Denn wir sind alle reich in den Augen eines Dienstmädchens; haben wir doch eine helle, geräumige Wohnung, genügendes Essen und namentlich einen blendenden Vorrat von unnützen Möbeln, von welchen der kleinste Teil genügen würde, um ihr dürftiges Zimmer in einen Empfangssalon für ihren Schatz zu verwandeln. Während sie auf der Eisenbahn ihrem Ziel entgegenfährt, fliegen die Hoffnungen in jähem Wechsel auf und nieder. Befriedigt sie, so kann sie monatlich so und so viel zurücklegen; das macht im Jahr das, und nach vier Jahren reicht es vielleicht zur Aussteuer oder zur Bezahlung der Schulden oder zum Schulgeld eines jüngeren Bruders. In dieser Rechnung bedeutet der Franken ein Kapital und das Briefpapier eine Sorge. Falls sie jedoch nicht befriedigt? Diese Möglichkeit wagt sie nicht auszudenken; sie muß befriedigen, denn um keinen Preis würde sie wieder mittellos in die Heimat zurückkehren, wo ihr mit jedem Blick, mit jeder Gebärde zu verstehen gegeben würde, daß sie Gnadenbrot esse. Fest entschlossen, ihrerseits jede Laune und Unbill geduldig zu ertragen, prüft sie ihre Fähigkeiten. Kochen kann sie, so gut oder so schlecht, wie es im Lande üblich ist; an Fleiß fehlt es ihr ebenfalls nicht; ihre Redlichkeit hat noch niemand bezweifelt, und überdies besitzt sie ja die besten Zeugnisse. Nur eines einzigen Umstandes wegen hat sie ein böses Gewissen: sie ist nicht vollkommen gesund, und der Arzt hatte ihr dringend Schonung geboten. Von Schonung ist jetzt freilich nicht die Rede; es handelt sich um etwas weit Wichtigeres, nämlich darum, daß die Herrschaft nichts von ihrem Unwohlsein ahne, denn Krankheit ist eine der allerschlechtesten Empfehlungen. Es gilt also bei der Ankunft wohl und munter auszusehen. Allein wie das gerade heute anfangen, wo sie sich vor Angst über die Zukunft und von den Aufregungen des Abschieds und der Reise kränker spürt als je und wo sie sich so allein auf der Welt fühlt, daß sie zum Fenster hinaus weinen möchte? Doch das Weinen entstellt, und sie muß fröhlich aussehen.

Bei ihrer Ankunft hat sie zunächst die Musterung sämtlicher Familienglieder auszuhalten; wenn sie auch die Frage «Wie gefällt dir die neue Magd?» nicht hört, so liest sie dieselbe doch auf den Gesichtern. Und das also wird von nun an deine Heimat sein? Diese fremden, kalten Räume? Diese neuen, beängstigenden Examengesichter? Doch davon ist wieder nicht die Rede, sondern, ob man sie überhaupt dulden werde. Sie weiß oder ahnt es wenigstens, daß die ersten Tage zu entscheiden pflegen; darum möchte sie mit allen nur erdenklichen Mitteln ihren Diensteifer, der die augenblickliche Arbeit weit überholt, zeigen. Allein wie soll sie das anfangen? Ungebildete Menschen finden selten den Entschluß und noch seltener das Vermögen, zartere Gedanken auszusprechen, das ist eine der unseligsten Folgen einer mangelhaften Erziehung. Es bleibt ihr also nur der Tatbeweis übrig. Dabei widerfährt ihr natürlich im Übereifer ein Verstoß über den andern, sie läßt einen Teller fallen oder verbrennt den Braten, kraft desselben psychologischen Gesetzes, welches bewirkt, daß ein Klavierspieler falsch greift, wenn ihm ein berühmter Meister zuhört. Der einzige Beweis des Eifers, welchen ihr kein Zufall rauben kann, besteht darin, nachts bis spät aufzubleiben und sich mehrmals zum Schlafengehen mahnen zu lassen. Dann, statt von ihrer Arbeit, ihrer Reise und ihrer Aufregung auszuruhen, weint sie auf ihrem Zimmer, behorcht ihre dicke Zwiebeluhr, ob sie auch gehe, und wenn sie endlich den Schlaf findet, so schreckt sie öfters auf, von der Sorge beängstigt, ja nicht zu spät zu erwachen.

Später geht es etwas besser und freundlicher; Wohnung und Arbeit und Menschen gewinnen allmählich ein freundlicheres Gesicht; vielleicht ist Sonnenschein im Hause, ich meine ein Kind; das kleine Ding mit dem großen Herzen schließt sich an die Fremde an; diese darf ihm Sorge und Pflege widmen, und die Pflege bewirkt ihr wiederum Nachsicht für dienstliche Fehler. Auch scheint die Hausfrau wirklich nicht ‹böse› zu sein; was den Mann betrifft, vor ihm hat sie sich ohnehin nie gefürchtet, denn ein Mann knurrt wohl, aber es hat gewöhnlich keine ernstlichen Folgen. Und so geht es weiter, zwar schwerlich vorzüglich, doch erträglich, und wenn einst die Trennung kommt, dann merkt man, daß das gegenseitige Verhältnis ein besseres war, als jeder Teil selber wußte.

Es lag keineswegs in meiner Absicht, eine Rührgeschichte zu erzählen; die Wirklichkeit ist jedoch meistens so beschaffen, daß sie uns ans Herz spricht, sobald wir den oberflächlichen Alltagsstaub abstreifen, um mit unsern Gedanken das Wesen zu beobachten. Auch halte ich es bei einem Aufsatz, welcher hauptsächlich die eine Seite des Verhältnisses, nämlich die Anforderungen an den Dienenden, behandeln will, nicht für überflüssig, die andere Seite wenigstens einleitungsweise zu berühren; denn in allen Angelegenheiten der Billigkeit sind die Gegengewichte unentbehrlich, sonst erleiden die Worte einen falschen Akzent und vielleicht sogar eine falsche Auslegung. Da man endlich Prosa nicht in künstlerischer Absicht, sondern um der Wahrheit willen schreibt, sehe ich nicht ein, warum es mir verwehrt sein sollte, bei dieser Gelegenheit noch darauf hinzuweisen, wie sich kaum irgendwo mit leichterer Mühe Segen und Dank gewinnen läßt als im Verkehr mit den häuslichen Untergebenen. Alles bringt hier unmittelbar Früchte. Freundlichkeit in Stimme, Antlitz und Rede erzeugt Glück; ein Gruß, eine Aufmunterung, eine Anerkennung, vor allem aber eine Erkundigung nach dem körperlichen oder seelischen Wohlbefinden wirkt wahre Wunder des Trostes und der Ermutigung; der geringste Ausdruck unserer Teilnahme oder Achtung bedeutet ein Kapital, das wir in dem Herzen des Nächsten niederlegen und das uns durch Anhänglichkeit gleich einer lebenslänglichen Rente mit Zinseszinsen zurückbezahlt wird. Es gibt Menschen, welche stets von jedem ihrer Dienstboten geliebt werden; das sind jene, die sich um das gemütliche Wohl und Wehe derselben kümmern. Kein Geschenk und keine Altersversorgung erzielt so viel Dank wie ein gutes Wort, dem man die Aufrichtigkeit anspürt. Es ist eine alte, trübe Erfahrung, daß der Dank für Wohltaten mit der Zeit als eine Last empfunden wird, weil der Beschenkte seinen Dank als Pflicht auffaßt; für Freundschaft dagegen dankt man freiwillig und deshalb gerne. Die Sorge um das Gemütsleben unserer Leute gehört übrigens zu den stillschweigenden Vertragsbedingungen, zwar nicht zu den juridischen, aber zu den moralischen.

Indem wir nämlich einen Menschen nötigen, immerfort um uns zu sein, mithin auf die Annehmlichkeiten einer nach Neigung gewählten Gesellschaft zu verzichten, übernehmen wir die Aufgabe, ihm die geraubten Güter einigermaßen zu ersetzen, ihm Freude und Freundschaft, die er sich draußen nicht holen kann, im Hause zu gewähren. Man darf sogar, ohne Furcht sich hiemit etwas zu vergeben, gegen seine Dienstboten höflich sein. Ich wüßte nicht, was es schaden sollte, eine Dienstleistung, auf welche man ein vertragsmäßiges Recht besitzt, gleichwohl als Gefälligkeit zu betrachten, darum zu bitten und dafür zu danken. Freilich sind die nationalen Sitten hierin verschieden. Es gibt Völker, bei welchen das Gesinde regelmäßig angeschnaubt wird, als wäre das gar nicht anders möglich; zum Morgengruß wirft man den Leuten Schimpfwörter an den Kopf. Anderswo begegnet man ihnen mit atmosphärischer Kälte, als ob sechs Monddistanzen zwischen uns und ihnen lägen. Wieder an andern Orten näselt man sie an und macht sie absichtlich durch raffinierte Künste, zum Beispiel durch widersprechende Befehle, verwirrt und ängstlich. Wir brauchen übrigens nicht das Fernrohr in die Hand zu nehmen; ich kenne Ortschaften zwischen dem sechsundvierzigsten und achtundvierzigsten Breitegrad, wo man die Dienstboten in der dritten Person der Einzahl anredet und dabei so verzweifelte, angeekelte Töne ausstößt, als ob man sich den Mund besudle, indem man sich herabläßt, mit dem Gesinde zu sprechen. Dabei dünken sich die Herrschaften wunderbar vornehm. In Wirklichkeit jedoch beweisen sie damit nur den Mangel an guter, moderner Erziehung, denn jene Sitten bedeuten ein Überbleibsel mittelalterlicher Roheit. Es ist vornehmer, von Leuten bedient zu werden, die man achtet, als von solchen, die man demütigt. Jenes ist die Art der Könige und der Republikaner, dieses der Junker und Geldprotzen. Wie übrigens ein gutartiger Mensch, der sich zugleich Republikaner und Demokrat nennt, nicht das Bedürfnis empfinden sollte, seinen Leuten durch Höflichkeit kundzugeben, daß er sie trotz dem zeitweiligen Dienstverhältnis als gleichwertige Mitbürger betrachte, ist mir unfaßbar. Die einzige geziemende Anrede gegenüber einem Dienstboten ist die landesübliche Respektformel, laute dieselbe nun ‹Sie› oder ‹Ihr›, patriarchalische Zustände ausgenommen; Grobheit und berechnete Demütigung sind aber nicht patriarchalisch.

Immerhin sehen wir im ganzen und großen im Vergleich zu manchen andern Nationen hinsichtlich der Behandlung des Gesindes erträglich weiß aus. Dagegen glaube ich eine gewisse populäre Ungeschicklichkeit in der rationellen Ausnützung der angebotenen Bereitwilligkeit beobachtet zu haben. Diese Ungeschicklichkeit aber hängt, wohlverstanden, nicht etwa mit der milderen Behandlung zusammen; die hochmütigsten Familien können den genannten Fehler begehen, während umgekehrt ein billig denkender Mensch, der sein Gesinde als seinesgleichen behandelt, so musterhaft bedient werden kann, wie irgendein blaublütiger Hochgeborener. Ich will mich darüber genauer erklären.

Daß das Dienen keine Schande bringe, unterliegt keinem Zweifel. Dagegen ist bei uns die Anschauung weit verbreitet, als ob es eine Ehre wäre, schlecht zu dienen. Wie oft wurde mir schon, wenn ich die Flinkheit und Manierlichkeit besser geschulter Dienstboten lobte und die Andeutung wagte, die linkische und zutäppische Bedienung, mit welcher wir uns gewöhnlich begnügen, lasse sich korrigieren, triumphierend entgegnet: «Ja, unsere Leute sind eben zu stolz, zu republikanisch, zu selbstbewußt, um richtige geschmeidige Diener abzugeben.» Damit meinte man ein hohes Lob, ähnlich wie man etwa vor der Armeezentralisation die Unbotmäßigkeit der kantonalen Milizen gegen ihre Offiziere als eine Republikanertugend rühmte. Nach dieser Logik müßte schließlich ein Schuhmacher, der ‹zu stolz› wäre, sein Stiefelmaß den Füßen der Vornehmen anzupassen, eine Bürgerkrone verdienen. Als ob Gehorsam gegen die Vorgesetzten unrepublikanisch und Pflichttreue im Beruf undemokratisch wäre! Ein Mensch, der eine vertragsmäßig übernommene Dienstverpflichtung allseitig und gerne ausführt, ist im Gegenteil achtbarer, als derjenige, welcher unter den nämlichen Verhältnissen Unabhängigkeitsgelüste verspürt, aus dem einfachen Grunde, weil jener eine größere Gewissenhaftigkeit betätigt.

Nun scheint mir aber hinsichtlich der Dienstverpflichtung vielfach ein wichtiges, folgenschweres Mißverständnis zu walten, indem bei uns der Dienst wesentlich als ein sachlicher und nur nebenbei als ein persönlicher betrachtet zu werden pflegt. Diese Auffassung dürfte indessen schwerlich die richtige sein; denn wodurch unterscheidet sich überhaupt ein Dienstbote von einem Arbeiter? Dadurch, daß der Arbeiter sich bloß zu Leistungen innerhalb seines Berufes anbietet und verpflichtet, während der häusliche Diener, welches übrigens seine Spezialität sein möge, sich anheischig macht, jeden möglichen und gebührlichen Auftrag auszuführen; im Gehorsam besteht sein eigentümliches Geschäft; unbedingten Gehorsam leisten nennt man ‹dienen› im Unterschied von arbeiten.

Wo immer dieses natürliche Verhältnis umgedreht wird, wo die spezielle Berufsarbeit eines Dienstboten, heiße er nun Koch oder Kutscher oder Hausknecht oder Stubenmädchen oder wie sonst, für wichtiger gilt, als die persönliche Leistung, der Gehorsam, da erhalten wir zwar vielleicht einen pünktlich geregelten Geschäftsgang, aber ganz sicher eine abscheuliche Bedienung. Ja, die Erscheinung, daß die Herrschaft tatsächlich zur Dienerin ihres Gesindes herabsinkt, ist keineswegs selten und kommt gerade in den ‹musterhaften› Haushaltungen am ehesten vor. Das sind meistens dieselben Familien, bei welchen der Besuch eines Gastes einen Schrecken verursacht wie ein Stein in einem Ameisenhaufen. Ich will die naheliegende Frage, ob nicht vielleicht eine an sich achtbare, aber übertriebene Wertschätzung des Geschäftsganges im Hauswesen unsere nationalen Sitten zu Ungunsten des geselligen Lebens innerhalb des Hauses beeinflusse, nur andeuten. Dagegen soll es mir leicht werden, den Beweis zu liefern, daß überall, wo das Gesinde als häusliches Geschäftspersonal, statt als persönliche Klientel aufgefaßt wird, die Herrschaft selber empfindlich darunter leidet. An Beispielen herrscht kein Mangel.

Die Hausfrau hatte beschlossen, nach dem Essen vergnügungshalber auszufahren, und deshalb dem Kutscher befohlen, mit dem Wagen punkt zwei Uhr vor der Tür zu halten. Während sie nun behaglich am Dessert sitzt, wird der Wagen gemeldet; ein Blick auf die Uhr belehrt, daß es in der Tat unbegreiflicherweise schon zwei Uhr ist, und nun steht die Dame, obschon sie ums Leben gerne noch länger sitzen bliebe, seufzend auf, um – ihrem Kutscher zu gehorchen. Ihr Ächzen und Widerstreben erregt Mitleid, aber umsonst suchen wir, das unglückliche Opfer zu überreden, den Kutscher warten zu lassen. «Das würde ihn demoralisieren.» «Inwiefern?» «Weil er, wenn ich ihn heute warten ließe, morgen nicht pünktlich erscheinen würde.» Diese Dame hat doppelt Unrecht. Denn erstens würde es den Kutscher nicht demoralisieren, sondern moralisieren, wenn er endlich lernte, was er längst schon hätte lernen sollen, daß er sich unbedingt dem Willen, respektive der Willensänderung seiner Herrschaft zu fügen hat. Zweitens ist die Befürchtung, als ob der Kutscher sich unterstehen würde, deshalb ein anderes Mal unpünktlich zu erscheinen, nur unter der Bedingung begründet, daß man überhaupt die Autorität über das Gesinde nicht zu wahren wisse. Ein Kutscher, der um drei Uhr erschiene, während ihm zwei Uhr anbefohlen wurde, und zur Entschuldigung anführte, wir wären gestern trotz dem nämlichen Befehl erst um vier Uhr ausgefahren, verdient eine scharfe Zurechtweisung, wiederholten Falls die Entlassung.

Ein ähnliches Beispiel für viele. Man sitzt abends gemütlich beisammen. Da wird einer Dame etwas ins Ohr geflüstert, und plötzlich erhebt sie sich zum Abschied. «Was ist geschehen? Hoffentlich ist doch niemand krank geworden?» «Gottlob, nein; aber das Dienstmädchen ist gekommen, um mich nach Hause zu begleiten.» Da hilft wiederum keine Beredsamkeit. Damit ja nicht etwa ein anderes Mal das Dienstmädchen zu spät erscheine, erlaubt ihr die Herrin, sie nach Hause zu beordern und unser behagliches Zusammensein zu zerstören. Ich frage den Leser, ob er nicht ähnliche Szenen zu Dutzenden erlebt habe.

Ein Beispiel anderer Art. Wir sind im Freundeshaus. Da surrt und brummt die Köchin wie eine Wespe in der Küche herum und fährt wohl auch mitunter scheltend und schimpfend wie ein Dachs daraus hervor. Die Kinder flüchten vor ihr und die Hausfrau wagt ihr kaum zu nahen. «Wie können Sie das dulden?» «Sie ist in ihrem vollen Recht; denn als vorzügliche Köchin kann sie es nicht ertragen, daß die Speisen verderben. Ich hatte das Essen auf zwölf Uhr bestellt; jetzt ist es ein Uhr, und mein Mann ist noch nicht zu Hause.» Jene Köchin ist nicht in ihrem Recht, sondern verdiente statt des Respekts vielmehr eine gehörige Strafpredigt wegen ihrer Unverschämtheit. Denn ob der Hausherr früher oder später komme, darüber soll sich eine Köchin weder ein Urteil noch eine Verstimmung erlauben; will jener das Essen lieber verdorben genießen als gut, so ist das ganz seinem Belieben anheimgegeben; schmeckt es ihm nicht und wagt er eine Bemerkung, dann wird ihm seine Frau den Standpunkt klar machen. «Das gebe ich Ihnen alles zu, aber sie kocht wirklich so gut, daß ich ihr gerne alle Unarten verzeihe.» Hier gilt also wieder einmal die Arbeit mehr als der Dienst, die Berufsleistung mehr als der Gehorsam. Und die Folge davon? Die Köchin wird Primadonna im Hause, die Herrin Anstandsmutter.

Geradezu klassisch sind folgende zwei Proben, die ich dem Leben abgelauscht habe.

Szene: Luftkurort. «O wie glücklich wäre ich, wenn ich noch länger hier oben bleiben dürfte! Sie glauben gar nicht, wie ich mich in den letzten zwei Wochen erholt habe! Diese gesunde Luft! diese herrliche Natur! diese wohltuende Stille!» «Nun, dann bleiben Sie in Gottes Namen! Ihr Mann ist ja im Dienst, Kinder haben Sie nicht und aufs Geld brauchen Sie nicht zu sehen.» «Allerdings. Allein was würde aus meinen Dienstboten werden? Denken Sie sich. Die unendliche Mühe, die ich mir gegeben habe, sie zu erziehen und zu dressieren? Und nun sollten sie die guten Gewohnheiten alle wieder verlieren, wenn ich da oben sitze und sie faulenzen mir unterdessen im Hause herum? Nein, ich muß durchaus Samstags heim, ich bin ohnehin schon viel zu lange geblieben.» Diese Dame hat sich also den edlen Lebensberuf erwählt, Gouvernante von Kutschern und Stubenmädchen zu sein, und dafür opfert sie sogar ihre Gesundheit.

Szene: Stadt. «Wie gut haben Sies! Sie können ins Theater gehen! Käme es auf mich an, ich ginge jeden Abend!» «Auf wen kommt es denn an?» «Auf mein Dienstmädchen! – Lachen Sie nur! Die Herren, die verstehen nichts davon!» «Zugegeben; doch würde es mich ungemein interessieren, zu erfahren, mit welchen Mitteln ein Dienstmädchen ihrer Herrschaft verbietet, ins Theater zu gehen.» «Sie begreifens doch nicht, wenn ichs Ihnen schon sage. Wenn ich ins Theater ginge, so müßte mein Mädchen aufbleiben und käme dann am Morgen zu spät herunter.» Bei dieser Herrschaft kommt es also eingestandenermaßen auf das Dienstmädchen an.

Solche extreme Fälle bilden natürlich nicht die Regel. Doch ist nichts gewöhnlicher, als bei unseren Dienstboten auf der einen Seite redliche, gewissenhafte Arbeit, auf der anderen Seite eine phänomenale Ungeschicklichkeit in allen persönlichen Dienstleistungen zu finden. Der Fehler aber liegt selten an dem Dienenden, welcher vielmehr gar gern erbötig wäre zu helfen, zuvorzukommen und Rücksichten zu nehmen, wenn er nur dazu angehalten und angeleitet würde; denn persönliche Dienstleistungen gewähren eine größere Befriedigung als sachliche, weil sie unmittelbaren Dank einbringen. Es fehlt vielmehr in den meisten Fällen an der Anforderung, an dem Verständnis der Herrschaft für den persönlichen Dienst. Dieses Verständnis geht dem Befehlenden gewöhnlich erst auf, wenn Besuch da ist, wo man sich dann krank darüber ärgert, wie ungeschickt, zudringlich und täppisch sich die Dienstboten benehmen. Allein woher sollten die Ärmsten jetzt plötzlich das feinste Schicklichkeitsgefühl hernehmen, nachdem wir ihnen im täglichen Leben die gröbsten Verstöße gegen uns erlaubten? Die nämlichen Rücksichten und Höflichkeiten, die wir ihnen ausnahmsweise gegen Fremde zumuten, müssen wir regelmäßig für uns selber in Anspruch nehmen. Wer es nicht rügt, wenn die Mitglieder der Familie im Interesse der Hausgeschäfte belästigt werden – wer es duldet, daß ein Dienstbote wegen einer geschäftlichen Meldung ein Gespräch unterbricht – wer ihnen erlaubt, Briefe und Sendungen unmittelbar herbeizutragen, statt erst den Wink zu erwarten – wer es in der Ordnung findet, daß ein servierender Geist ratlos mit der Schüssel über dem Tisch schwebe, bis ihm die Herrschaft untertänig Platz schaffe, oder daß er zaudert, die Gabel niederzulegen, weil jemand den Arm an der Stelle hat, wohin die Gabel gehörte – wer nicht verlangt, daß jede Arbeit sofort behufs Hilfeleistung unterbrochen werde, sobald ein Mitglied der Familie erscheint, der darf sich auch nicht darüber aufhalten, wenn bei Besuchgelegenheiten das Gesinde rat- und kopflos herumrennt, von redlichem Willen und Dienstbereitschaft ordentlich triefend, aber ohne die geringste Ahnung davon, wie es sich nützlich machen soll. Daß ich nicht übertreibe, mag ein Beispiel beweisen, das gewiß jeder von uns schon hundertmal erlebt und erlitten hat.

Wenn wir bei schlechtem Wetter, im Überrock, mit Regenschirm und vielleicht auch Galoschen, einen Vormittagsbesuch abstatten, was trägt sich da zu? Unter hundert Fällen gewiß neunzigmal folgendes: Ein Dienstmädchen öffnet die Tür, läßt uns stehen, erscheint nach einigen Sekunden wieder und sagt, indem sie eine Tür sperrweit aufstößt, höflich: «Bitte, treten Sie ein.» Gleichzeitig ertönen von innen lebhafte Grüße und Rufe, und das Dienstmädchen, erstaunt über unser Zaudern und in der Meinung, wir hätten nicht verstanden, macht Miene, uns gewaltsam hineinzuschieben. Wir sollten also nach ihrer Meinung mit triefendem Regenschirm, dampfendem Überrock und schmutzigen Galoschen im Salon erscheinen. Es kostet Mühe, ihr begreiflich zu machen, daß wir uns erst dieser Dinge entledigen müssen, und selbst dann dürfen wir noch von Glück sagen, wenn ihr der Einfall kommt, uns den Regenschirm aus der Hand zu nehmen und uns die Richtung anzuzeigen, in welcher ungefähr der Kleiderrechen sich befinde. Während wir dergestalt im stockdunkeln Vorzimmer – oder gibt es auch helle Vorzimmer? – herumtappen, werden die Rufe aus dem offenen Salon immer dringender. Man ist überrascht, daß wir nicht ins Zimmer fliegen, man möchte wissen, wo wir hingekommen sind, und schließlich eilt Madame oder Mademoiselle zu Hilfe, ereifert sich gegen das ungeschickte Geschöpf und legt zu unserer großen Beschämung wohl gar selber Hand an uns an. Hätte die Hausfrau sich die Mühe genommen, ihrem Mädchen ein für allemal begreiflich zu machen, daß Regenschirme, Überröcke und Galoschen keine Salonmöbel sind, so wäre die ganze Unruhe und Umständlichkeit vermieden worden.

Ich glaube mich keines paradoxen Ausspruchs schuldig zu machen, indem ich als erstes Gebot für jeden Dienstboten den Satz aufstelle: «Du sollst nicht stören.» Das ist freilich bloß eine negative Tugend, allein wie unendlich viel wird schon hiemit erreicht! Und wie leicht läßt sich das erreichen! Ohne jede Zulage von Arbeit, nur mit Hilfe einiger Aufmerksamkeit und Rücksicht. Die Unpersönlichkeit, zu welcher sich die Herrschaft nur allzu gern zugunsten des Hausgeschäfts gegenüber ihrem Gesinde versteht, kommt vielmehr den Dienstleuten zu. Sie sind es, welche, wie mit Siegfrieds Nebelkappe bedeckt, herumhuschen sollen, unsichtbar soviel als nur möglich und jede Zeit unhörbar; es sei denn, daß einer bei der Arbeit singe, was Glück ins Haus bringt, vorausgesetzt, daß es nicht zu falsch geschehe.

Die Aufmerksamkeit auf sich selbst gegenüber der Herrschaft, mit andern Worten die Rücksichtnahme auf dieselbe, verlangt keine besondere Begabung, während sie anderseits außerordentlich günstig auf die Intelligenz der Leute wirkt. Was für uns die gesellschaftliche Bildung, das bedeutet für das Gesinde die Rücksichtnahme; sie erzieht die Dienstboten zur Feinfühligkeit.

Der negativen Tugend der Rücksichtnahme reihen sich denn selbstverständlich die positiven persönlichen Hilfeleistungen an, welche nicht etwa eine Vermehrung der Geschäftsarbeiten darstellen, sondern im Gegenteil Erholungspausen. Ich habe es schon ausgesprochen und jeder wird wohl den Satz aus seiner Erfahrung bestätigen können, daß die Hilfeleistungen, also die Bedienung im eigentlichen Sinn, den Leuten willkommener erscheinen als die Berufsarbeiten, die nötigen Eigenschaften des Befehlenden (Höflichkeit und so weiter) vorausgesetzt. Jeder naive und gutartige Mensch nämlich ist von Natur dienstfertig; so gerne wir einem Freund oder einer Dame in kleinen Handleistungen gefällig sind, so gerne wir einem Fremden Auskunft erteilen oder einem wildfremden Mitreisenden, der mit seinen Koffern nicht Platz findet, dieselben zurechtschieben helfen, ebenso einfach und instinktiv leistet uns Ähnliches ein Diener; er tut es sogar noch eifriger, weil er hiemit eine Pflicht erfüllt. Von Arbeitsvermehrung kann dabei schon deshalb nicht die Rede sein, weil ohne unsere persönliche Inanspruchnahme der Betreffende während derselben Zeit etwas anderes arbeiten würde; einzig als Eingriff in die Hausordnung, in die Geschäftsschablone kann eine weitgehende Anforderung von persönlicher Bedienung beanstandet werden. Es sind daher auch durchaus nicht die mitleidigsten Seelen, welche auf persönliche Bedienung verzichten. Dieselbe Hausfrau, welche den Grundsatz ausspricht: «Was ich selbst machen kann, bürde ich nicht einem Dienstboten auf», läßt vielleicht ihr Dienstmädchen des Samstags auf dem Boden herumrutschen, selbst wenn ihm vor Zahn- oder Heimweh die Tränen herunterlaufen. Nicht das Mitleid, sondern das Streben, die Arbeitskraft der Untergebenen möglichst allseitig zum Gedeihen des Hauswesens auszunützen, sträubt sich gegen einen andersartigen, persönlichen Gebrauch derselben. Der letztere wird als Luxus, häufig sogar als frevelhafter Übermut (im griechischen Sinn, Hybris) empfunden und als Herausforderung der strafenden Gerechtigkeit instinktiv verabscheut. Diese Stimmung ist psychologisch interessant. Nehmen wir zum Beispiel an, es lasse sich jemand von uns beifallen – was Gott verhüten möge –, den Fußboden als das breiteste und bequemste Möbel zu benützen, wie das wohl in andern Ländern Sitte ist, also etwa eine Briefenveloppe oder eine abgebrannte Zigarre auf die Diele zu schleudern, damit ein Dienstbote sie entferne; ich glaube, der sanftmütigste Engel geriete darüber außer sich. Woher stammt indessen diese Empörung? Zuverlässig nicht aus der Sorge für das Wohl oder die Würde des Dienstboten, denn dieser bückt sich bei andern Gelegenheiten, so viel man nur will. Auch nicht aus Reue über die vermeintliche Arbeitsverschwendung; der Satz «Er hat ohnehin genug zu tun, man braucht ihm nicht obendrein Unnützes aufzulegen», ist nur ein Vorwand, da die betreffende Forderung einen geradezu lächerlich geringen Anspruch auf Zeit und Kraft erhebt. Nein, es ist die Entrüstung über das Unlogische und Unnütze der Forderung, dieselbe Entrüstung, welche sich selbst bei Unbeteiligten offenbart, wenn einer einen Dienstboten dreimal mit je einem Brief auf die Post schickt, statt sie ihm sämtlich gleichzeitig zu übergeben. Die Empfindung eines Fleißigen faßt dergleichen als Greuel auf, mag auch der Verstand sagen, was er will. Da wir es jedoch niemals für überflüssig halten, zu hören, was der Verstand sagt, so wollen wir versuchen, ob es uns gelinge, ihn sachgemäß reden zu lassen.

Wer einem Menschen dient, ist gehalten, dem ganzen Willen desselben, also nicht bloß dem vernünftigen Teil, sondern selbst dem launenhaften, der Willkür, zu gehorchen. Jede Disziplin beruht darauf, daß der Untergebene sämtliche Willensäußerungen seines Vorgesetzten unbesehen und unbeurteilt als Gebot anerkenne; so gilt es im Militär- und Beamtenstand, so soll es ebenfalls im Hausstand gelten. Wir haben mithin das Recht, unsere Diener mit Launen und Unarten zu behelligen, wofern dieselben nur harmloser Natur sind, so daß sie weder belästigen noch beleidigen.

Ich gehe noch weiter. Wenn ein Dienst, welcher unserer Unvollkommenheit oder Unart, also zum Beispiel unserer Bequemlichkeit, geleistet würde, für uns einen hohen Wert hätte, so ist es ein Gebot der Vernunft, diesen Dienst in Anspruch zu nehmen. Für solche Fälle kommt die Hauptregel der Kunst, sich bedienen zu lassen, in Anwendung: Jede Arbeit, die du nur mit Widerstreben unternähmest, während sie dein Diener leicht und gerne täte, gehört ihm, nicht dir. Wenn sich, um ein Beispiel anzuführen, einer ungerne bückt, so handelt er vernünftig, indem er einen zufällig anwesenden Diener auffordert, einen entfallenen Gegenstand an seiner Statt aufzuheben; denn der Diener tut es leicht und schnell, ohne jede Anstrengung, während er selber erst den schwerfälligen Apparat der moralischen Selbstüberwindung in Bewegung setzen müßte, um zu demselben Ziel zu gelangen. Gegen dieses Argument nützt weder die Einwendung, die Arbeit sei an sich zu geringfügig, um sie ersetzen zu lassen, noch die Ermahnung, sich lieber selber ein wenig zusammenzunehmen, es würde nichts schaden. Denn eine an sich geringfügige Arbeit kann vermöge eigentümlicher Anlage oder augenblicklicher Disposition zu einer wahren Pein und Sorge werden. Wer von uns hat nicht schon zum Erbarmen darüber geächzt, einen Brief schreiben zu müssen? Nun kann man sich freilich das Briefschreiben nicht von dem Gesinde abnehmen lassen, da wir keine Literatursklaven mehr halten wie die alten Römer, sondern froh sind, wenn wir nicht selber zu solchen hinabsinken; doch gibt es für jeden eine Menge ähnlicher geringfügiger und zugleich verhaßter Verrichtungen, die er einfach einem Dienstboten überweisen könnte, falls er nur an diese Rettung dächte. Da habe ich zum Beispiel, und wohl nicht ich allein, einen leidenschaftlichen, unzähmbaren Widerwillen dagegen, ein Buch Seite für Seite mit dem Papiermesser aufzuschneiden. Warum sollte ich da nicht einen dienstbaren und dienstfertigen Geist zitieren, um ihm das Geschäft zu übergeben? Mir erspare ich dadurch unsäglichen Ärger, und ihm verschaffe ich gar ein festliches Spezialvergnügen. Wer aber meint, wir täten besser daran, unsere Launen und Unarten zu korrigieren, als dieselben zu hätscheln, dem antworte ich: Wir halten uns Dienstboten nicht zur Kasteiung, sondern zur Bequemlichkeit. Ein Hausknecht ist nicht unser Erzieher, und eine Köchin ist keine Moralbeamtin; dafür hat man den Pfarrer und den Schullehrer. Gehen wir übrigens der Sache auf den tiefsten Grund, so werden wir finden, daß in den meisten Fällen die vermeintliche Trägheit eine psychologische Berechtigung hat, wenigstens dann, wenn der Herr einem geistigen Beruf huldigt. Jede anhaltende geistige Beschäftigung pflegt, weil sie an und für sich naturwidrig ist (siehe Herbart und die modernen Ärzte), Stimmungsanomalien und unter denselben Antipathien gegen gewisse mechanische Verrichtungen im Gefolge zu haben, welche als Berufskrankheiten aufzufassen sind und nicht der Maßregelung, sondern der Schonung bedürfen. Um das oben erwähnte Beispiel des Buchaufschneidens nochmals zu benützen, so braucht es keinen großen psychologischen Scharfblick, um unter der scheinbaren Narrheit der Antipathie die Empörung darüber zu erblicken, daß ein denkender Mensch genötigt werde, seine Aufmerksamkeit dauernd auf Lappalien abzulenken. Hieraus ergibt sich denn eine zweite Hauptregel der Kunst, sich bedienen zu lassen: Menschen, deren Beruf ein grübelndes Denken erheischt (Künstler und Schriftsteller) handeln richtig, indem sie sich sogar die leichtesten mechanischen Verrichtungen, sobald dieselben als Störungen empfunden werden, ersetzen lassen; denn Gedanken sind kostbar, das Denken aber bedarf des Sinnens, das Sinnen wiederum der Muskelruhe. Maria ließ sich bekanntlich die Hausgeschäfte von ihrer Schwester abnehmen, um Jesu zuzuhören; deshalb raten wir jedem Denker dringend zu einer Martha; in Ermangelung eines solchen Segens benütze er seine Heinzelmännchen.

Nach alledem werden wir nun wohl auch die prinzipielle Statthaftigkeit jenes häuslichen Greuels, von welchem wir oben gesprochen, ich meine des Gelüstes, etwas auf den Fußboden zu werfen, zugeben müssen, obschon ich durchaus nicht die Absicht habe, jenes frevelhafte Gelüste bei uns einbürgern zu helfen. Der Satz: Was dir widerstrebt, während es dem Diener nicht widerstreben würde, gebührt dem letztern, kann nämlich naturgemäß noch dahin ergänzt werden: Eine Forderung, welche dir unbedingtes Vergnügen macht, ohne daß sie den Diener belästige, darfst du unbedenklich stellen. Es scheint aber, wie wir das alle Tage im Theater beobachten können, in der Tat ein Hochgenuß ohnegleichen darin zu liegen, eine Briefenveloppe nicht zu öffnen, sondern raubtiergleich zu zerreißen und nachher auf den Boden zu werfen, damit ein Diener die Schnitzel aufhebe. Keine Schauspielerin läßt sich diesen Genuß entgehen. Freilich hat eine solche hinter den Kulissen ein Personal zu ihrer Verfügung, mit welchem eine private Haushaltung nicht wetteifern kann; auf fremde Kosten sich fürstlich bedienen zu lassen, ist kein Kunststück.

Eine geschlossene Rede oder Abhandlung verlangt einen Endabschluß, ein Feuilleton dagegen, das sich mit dem Zweck der Anregung bescheidet, darf sich auch damit begnügen, aufzuhören. Wer meine Behauptung, der persönliche Dienst sei wichtiger als der sachliche, aus ökonomischen Gründen anfechten wollte, dem würde ich erwidern, daß der Mensch nicht schlechthin als ein nützliches Haustier aufgefaßt werden darf, und daß die Sitten der Höflichkeit und der Geselligkeit, welche von den Dienstbotenverhältnissen bedeutend beeinflußt werden, unermeßliche ideale Werte für eine Nation vorstellen. Wer anderseits befürchtete, daß durch strengere Anforderungen an Gehorsam und Rücksicht den Dienstboten zu den alten Lasten noch neue aufgeladen würden, dem mache ich den Vorschlag, die Dienstboten selber als Schiedsrichter zu vernehmen. Ihr Urteil lautet aber erfahrungsgemäß folgendermaßen: Die persönlich am besten bedienten Herrschaften pflegen zugleich die beliebtesten zu sein. Warum? Weil uns die Leute Dank dafür wissen, wenn wir ihnen durch rationelle Anforderungen zu einem höhern Pflicht- und Selbstbewußtsein verhelfen, oder, mit andern Worten, wenn wir sie aus schwitzenden Arbeitsmaschinen zu fein unterscheidenden, taktvollen Menschen erheben.

Endlich bleibt mir noch übrig, dem Mißverständnis zu wehren, als ob ich unsern Dienstbotenstand dem Lakaientypus nähern wollte. Ein Lakai ist abwechselnd kriechend und unverschämt, daneben jederzeit unnütz. Durch Höflichkeit gegen jedermann, durch Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit gegen die Herrschaft neben redlicher Arbeit verliert dagegen niemand das mindeste von seinem bürgerlichen Werte; die Dienenden bleiben in diesem Fall selbst beim pünktlichsten Gehorsam jeden Augenblick unseresgleichen, und wenn einst der Dienstvertrag abgelaufen ist, werden wir achtungsvoll den Hut vor ihnen abnehmen.


 << zurück weiter >>