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Die Ameisen im Rosengarten

Das ist auch wieder so eines von den gerühmten ‹nützlichen› Tieren! Wenn ich es nicht mit eigenen Augen beobachtet hätte, nun schon das zweite Jahr immer und immer wieder beobachtet hätte, so würde ich mich nicht unterfangen, es im Widerspruch mit den Fachmännern zu behaupten: Sie fressen sie, sie sägen sie mitten entzwei, schöne, große, wohlgebildete Knospen, welche sich schon röten, die gehätschelten Lieblinge der Lehrbücher, die fleißigen Ameisen! Denunziere ich nun dies Gebaren den Gärtnern, so wird mir nach manchem Zweifeln und Munkeln zwar die Möglichkeit des Tatbestandes eingeräumt, dagegen zur Entschuldigung entgegengehalten, was maßen die Ameisen sich bloß an solchen Knospen vergriffen, die ohnehin schon mit einer Wunde behaftet wären. Eine triftige Entschuldigung! Das ist, als ob man den Wolf damit entschuldigen wollte, daß er bloß solche Schafe auffräße, die sich an einem Dorn geritzt hätten. Übrigens verträgt sich die Behauptung, auf welche sich die Entschuldigung gründen möchte, nicht einmal mit der Wirklichkeit. In Wirklichkeit geht es vielmehr folgendermaßen zu.

Vom frühen Morgen bis zum späten Abend strolchen die Ameisen in den Rosenbäumchen umher. Was haben die dort zu suchen? Die Theorie antwortet: Sie stellen dem Ungeziefer nach, den Blattläusen und dem schädlichen Rosengewürm, das sie vertilgen. Ich bitte die Theorie um Verzeihung, daß ich ihr die Natur entgegenhalte: Noch nie habe ich einen der vielen schädlichen Rosenwürmer von einer Ameise angegriffen gesehen, obschon die Würmer dick und fett auf den Blättern lagen, wie auf einem Servierteller, und die Ameisen wie besessen in der Nähe herumliefen; vielmehr habe ich die Ameisen gleichgültig daran vorbeispazieren sehen, als ginge sies nichts an. Ich habe ebensowenig jemals eine Ameise eine Blattlaus fressen sehen, obschon ich ganze Kolonien von Blattläusen mit unzähligen Tirailleuren von Ameisen täglich nebeneinander erblicke. Selbst das berühmte Melken der Blattläuse durch die Ameisen gewahre ich auf den Rosen nur sehr selten, ganz ausnahmsweise, während ich es auf Unkräutern massenhaft beobachtete. Übrigens wäre auch das Melken von fraglichem Nutzen, weil doch die gemolkenen Blattkühe nun mit umso lebhafterem Appetit weiterfressen würden, um sich für den Verlust zu entschädigen. Nein, nicht dem Ungeziefer, sondern den Knospen stellen sie nach, ob sie ihnen nicht irgendwo beikommen könnten. Insbesondere suchen sie von oben in die jungen Knospen einzudringen. Wehe der Knospe, die nicht unzugänglich geschlossen emporkeimt oder die sich zu früh erschließt. Dann schlüpfen die Ameisen hinein, erst eine, hernach zwei, endlich ein ganzes Dutzend, so viele ihrer überhaupt Platz finden, und fressen das Herz der Knospe, die innern zarten grünen Blumenblätter, die sich noch nicht gefärbt haben, einfach weg; radikal weg fressen sies, bis kein saftiges Zipfelchen mehr übrig bleibt. Wie mit dem Löffel ausgehöhlt, wie mit dem Messer durchsägt sieht so eine arme Knospe aus, nachdem man sie von den darauf klebenden Ameisen befreit hat. Hingegen vermögen sie den äußersten, bereits gefärbten Blumenblättern nicht beizukommen, so daß wir schließen müssen, daß die Farbe für die Rose zugleich ein Schutzmittel bedeutet. Nun erklärt es sich, warum die Rosenknospen so krampfhaft bemüht sind, sich fest verschlossen zu halten, bis sie sich ausgereift haben, so krampfhaft, daß sie zuweilen ganze Blätter in den Knospenzipfel hineinklemmen. In vorliegendem Falle also hat die Entschuldigung, es handle sich bloß um verwundete Exemplare, nicht einmal einen tatsächlichen Untergrund. Es waren schöne, große, wohlgebildete Knospen, die ich auf diese Weise durch die Ameisen verlor, Knospen, die den einzigen Fehler hatten, oben nicht scharf zu schließen, mit andern Worten, den Fehler, den räuberischen Ameisen einen Spalt als Zugang zu gewähren. Daß die Ameisen nicht die Kraft und die Waffen besitzen, die Knospen seitwärts durch das Deckblatt anzunagen, ist nicht ihr Verdienst; denn am Willen fehlt es ihnen nicht. Sie machen sich denn auch jedes zufällige Pförtchen schleunigst zu Nutzen. Wo ein Wurm eine Knospe angebohrt hat, da fährt die Ameise vollends hinein, tief und gründlich, bis die Vernarbung der Wunde durch Verholzung ihr Halt gebietet. Ob die Blume dabei völlig zugrunde gehe oder verkrüppelt aufblüht, hängt davon ab, wer schneller arbeitet, die Vernarbung oder das Trüppchen Ameisen. Der Rose mächtigster Schutz gegen ihre zahllosen Feinde ist eben ihre gewaltige Wüchsigkeit, ihr edler Saft; sie wehrt sich, indem sie zuvorkommt, indem sie durch ihre Lebenskraft die vielen Mörder überflügelt. Gestützt auf diese Beobachtungen erlaube ich mir daher, bei aller Ehrerbietung vor dem überlegenen Wissen der Kenner, die Ameisen im Rosengarten als schädliche Tiere zu bezeichnen, die man nach Kräften vernichten soll; darum, weil sie das Ungeziefer verschonen, aber die Knospen fressen, wann und wie sie nur können. Wenn sies nicht können, dann tun sies nicht; das will ich gerne zugeben.


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