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Das Zederntrio

So ziemlich in ganz Mitteleuropa gibt es berühmte, vielbestaunte ‹Libanonzedern›, die sich sofort, beim ersten Anblick schon, aus weiter Ferne als Atlaszedern offenbaren. So zum Beispiel die alte Zeder im Kurpark von Interlaken.

Der Unterschied von Atlaszeder und Libanonzeder ist aber so überwältigend, so unmittelbar in die Augen springend, daß die Verwechslung unbegreiflich wäre, wenn sie sich nicht aus einem anderen Gesichtspunkte erklärte als demjenigen des sinnlichen Auges.

Der vorgefaßte Gedanke fälscht halt wieder einmal den Blick, so daß wir tatsächlich mit den Gedanken statt mit den Augen sehen. Diesmal schauen wir durch den Schleier hebräischer Poesie. Es liegt uns eben der Preis der Libanonzeder aus der Religionsstunde in den Ohren, so sehr in den Ohren, daß gewiß unter zehn Menschen neun bei dem Namen ‹Zeder› sogleich den Titel ‹Libanon› beifügen, sehnsüchtig oder auch einfach mechanisch, dem gewohnten Klang folgend. Man denkt sich etwa die Sache so – falls man sich überhaupt etwas denkt –, als bedeutete der Heimatschein des Libanon eine Art Zedernadel, so etwas wie Emmentalerkäse oder Schwyzerkuh. Indem also einer sagt ‹Libanonzeder›, will er damit die Echtheit der Zeder betonen; woraus dann von selbst der weitere Fehler entsteht, jede unzweifelhaft echte Zeder Libanonzeder zu nennen.

Es wäre eigentlich auch ohne ausdrückliche Versicherung zum voraus zu erraten, daß in solchen Begriffen Konfusion verborgen liegt. Oder ist es denn nicht schon an sich konfus, Poesie und Botanik in demselben Topfe genießen zu wollen? ‹Libanonzeder› für Zeder überhaupt, das ist um nichts klarer, als wenn einer jede schöne Traube ‹Jerichotraube› oder jede Rose ‹Damaskusrose› oder jede Lilie ‹Lilie auf dem Felde› grüßen wollte. Die Hebräer besangen die Libanonzeder, weil sie keine andere kannten, die Damaskusrose, weil die Teerose erst in unserem Jahrhundert aus Ostasien auswanderte, die Jerichotraube, weil sie noch nichts von Rüdesheimer wußten.

Geben wir doch, ehe wir einen Park betreten, die hebräische Poesie beim Portier ab, gegen ein bescheidenes Trinkgeld, wir werden sie ja nachher wiederfinden, falls wir sie wirklich so dringend nötig haben. Aber für die Zeit, während wir leibhaftige, wirkliche, gegenwärtige Bäume ansehen wollen, möchte ich doch lieber die Gartenwissenschaft empfehlen, welche neben andern Tugenden das Gute hat, das Verschiedene zu trennen und mit festen Namen auseinanderzuhalten.

Die Gärtnerkunst kennt nun freilich eine Libanonzeder, so wie sie auch eine Damaskusrose kennt, aber nicht als Ruhmestitel, sondern als Gattungsnamen neben anderen Gattungsnamen. Wie sie neben der Damaskusrose auch Teerosen, Bengalrosen und viele andere aufzählt, so weiß sie außer der Libanonzeder auch von der Atlaszeder und von der Himalajazeder. Der Name wurde der ursprünglichen Heimat jeder dieser Zedergattungen entlehnt, will indessen nicht so naiv ausgelegt werden, als ob man nun jedesmal jede Zeder vom Atlas oder Libanon oder Himalaja durch schwarze, braune und gelbe Handelsgärtner beziehen müßte, vorsichtig mit dem Wurzelballen auf Kamelen verpackt zur Küste befördert, von dort per Marktschiff nach Genua und so weiter. Die Stücke wollte ich sehen, wie die bei uns ankämen! Vielmehr sind ja sämtliche Zedernarten schon längst in aller Welt eingebürgert und werden in England wie in Spanien, in Deutschland wie in Italien massenhaft wie Buchen und Haselnüsse fortgepflanzt, teils aus Samen, teils aus Schößlingen. Gerade wie unsere Rosen, die wir uns glücklicherweise auch nicht jedesmal neu aus China oder Damaskus verschreiben müssen. Das gäbe teure Rosen! Mit der Sentimentalität über das langsame, aber sichere Aussterben der Zedern auf dem Libanon hat es daher, wie mit aller Sentimentalität, eine harmlose Bewandtnis. Das sind Lämmleinstränen! Mögen meinetwegen auf dem Libanon morgen schon die Zedern bis auf die letzte Wurzel zugrunde gehen, was ficht uns das an? Nicht mehr, als wenn die Roßkastanien in Irkutsk umkämen. Wir sind doch keine vier großen Propheten, wir wollen doch nicht zur Githith singen, wir wollen doch keine Ophirschiffe vom Stapel lassen!

 

Atlaszeder und Libanonzeder

Der gewaltige, augenfällige Unterschied von Atlaszeder und Libanonzeder ist ein ästhetischer, kein botanischer. Er bezieht sich nicht auf Zahl, Form und Länge der Nadeln, auch nicht auf die Gruppierung derselben, sondern auf den Gesamtwuchs, auf die Richtung der Äste und die Proportion derselben, endlich auf die Wipfelbildung. Der Baum hat ein anderes Ziel, er erstrebt eine andere Form, und zwar wird das charakteristische Streben jeder der beiden Arten mit zunehmendem Alter immer deutlicher. Ganz junge Exemplare von Atlas- und Libanonzedern, in welchen sich das Sonderstreben noch nicht ausgebildet hat, sind, wie mir ein vorzüglicher Zedernvater versichert hat, überhaupt nicht voneinander zu unterscheiden. Bei halbwüchsigen Bäumen ist der Unterschied, weil die Nadeln übereinstimmen, dagegen der Gesamthabitus auseinanderklafft, auf die Entfernung leichter zu erfassen als bei größerer Nähe. Unmittelbar vor dem Baume ist eine Verwechslung möglich, auf einige Entfernung unmöglich. Ausgewachsene Atlaszedern sind sowohl aus der Ferne wie aus der Nähe mit Leichtigkeit von Libanonzedern zu unterscheiden.

Die Atlaszeder hat von allen Zedern den geradesten Stamm. Wie der Mast eines gewaltigen Schiffes ragt er in die Luft, sich gegen den Wipfel scharf verdünnend. Die Äste setzen sich in weiten Abständen, hohe Etagen bildend, voneinander ab, so daß zwischen je einem höheren und einem niederen Ast Lücken bleiben, zwischen welche das Licht tief hineindringt, uns den kahlen weißen Stamm des Baumes zeigend. Zwischen den Hauptästen kommt es bloß zu ganz kleinen buschigen Ansätzen. Die Äste ihrerseits laufen nicht etwa zur Seite, verlaufen auch nicht parallel, sondern in merkwürdig auseinanderstrebender Richtung steil nach oben. Die Symmetrie des Wuchses wird gegenüber der Richtungswillkür durch die Klauenkrümmung der Astenden hergestellt. Wieder komme ich auf das Bild eines Schiffes zurück. Es ist, als wenn von einem Maste allerlei Takelwerk in die Höhe und die Quere liefe, sämtliche Querstangen an den Enden sich krümmend. Die Krümmung ist nicht hangend, sondern kühn und stark. Die kurzen Nadeln des Gezweiges bilden keinen Busch, sondern bloß Wülste und Würste, zwischen welchen wiederum die hellen Äste hindurchleuchten. Immer wiegt bei der Atlaszeder das Baumgerippe über die Nadelbekleidung vor. Die Nadeln schattieren die Rippen mehr, als daß sie dieselben verdeckten. Daher ein ungewöhnlich scharfer Linienriß, eine eigentliche Silhouette. Indem aber das borstige Nadelzeug auf den weißen Baumknochen dicke tiefschwarze Schlagschatten wirft, entsteht durch den plötzlichen Wechsel von Licht und Schatten ein herrliches Motiv für den weichen Bleistift oder noch besser für die weiche Feder. Ist doch schon in der Natur der Baum wie mit Feder und chinesischer Tinte hingezeichnet.

Einen eigentlichen Wipfel bildet die Atlaszeder nicht. Schiefe, dünne, krumme Stangengerüste, Flügelgerippe, Haken zeichnet sie oben gegen den Himmel ab. Und immer muß man unwillkürlich nach vergleichenden Bildern sich umtun. Mastbaum mit Segelstangen oder Geierklauen, oder flatternde Krähen, oder Schafott mit Galgen, jederzeit etwas Dämonisches, etwas Malefiziöses. Kurz: Aasgeier, auf Galgen sitzend.

Die Libanonzeder steht in der Jugend – und die Jugend einer Zeder währt lange – im Nachteil gegenüber der Atlaszeder, holt sie aber allmählich ein und übertrifft sie im Alter bei weitem an sensationeller Wirkung. Eine alte Libanonzeder ist so überwältigend, so riesenhaft ungeheuerlich, daß kein Mensch an ihr achtlos vorbeigeht; er muß staunend stillestehen, um das Wunder zu fassen. Man denke an die Libanonzedern von Verona!

So eine kleine junge Libanonzeder von drei bis sechs Metern sagt noch nichts. Sie gleicht einem ausnehmend dicht bebuschten Tännchen. Von Wipfel noch keine Spur; die charakteristische Zedernkrümmung der Äste kommt nicht zur Wirkung, weil die Äste so nahe beisammenstehen und so üppig mit Nadelwerk bebuscht sind, daß das Auge die Linien des Gerüstes nicht zu verfolgen vermag, wie denn überhaupt ins Innere einer jungen Libanonzeder vor Überfülle von Nadeln der Blick nicht dringt. So schlägt gerade der Hauptvorzug der Libanonzeder, der reiche Busch, zunächst zu ihrem Nachteil aus. Auch die Schleppe, welche die Libanonzeder vor der Atlaszeder voraus hat, bildet sich erst bei vorgerückterem Alter, indem erst spät die emporgerankten untersten Arme sich verzweigen und zur Erde beugen. Nur der köstliche Balsamduft, den sie schon gleich anfangs reichlicher ausstrahlt als die Atlaszeder, gemahnt an die edle Natur des jungen Sprößlings, der im übrigen, wie gesagt, einem gedrängten, reichbesetzten Tännchen ähnlich sieht.

Wie ganz anders im Alter! Das ist nicht ein Raubvogel, das ist ein Löwe. Nicht Arme, Flügel und Klauen simulieren die Äste, sondern Pranken, breite schwere Tatzen, als wollten sie so viel Erdreich wie möglich überschatten und beherrschen. Hart über der Erde kriecht die krumme, wuchtige Schleppe in unglaubliche Ferne. Man meint sie wachsen und weitergreifen zu sehen; man ermißt mit wollüstigem Grauen, wohin der fabelhafte Wuchs schließlich noch gelangen werde. Schleppen von sechs Metern in jeder Richtung, sechs Meter vom Stamme gezählt, also Spannweite von zwölf Metern, sind ihr nichts Seltenes. Und nun erst der Wipfel. Wenn das keine Löwenmähne ist! Nichts Spitziges, nichts Dünnes, niemals. Im Gegenteil: ein flacher Scheitel, ein drohendes Haupt, ein nach allen Seiten überquellender Lockenschwall. Der ganze Baum ein zottiges, düsteres Riesenungeheuer; schwarzer Löwe mit Kamelshöckern.

Um eine Libanonzeder zu pflanzen, muß einer Geduld und Entsagung haben. Man muß in die Herzen seiner Großkinder hineinfühlen können. Aber soll man das denn nicht? Es ist ja schließlich doch unser Herz, mit Jugend verklärt und mit Hoffnungen umschwebt. Allerdings, mit ganz kleinen Exemplaren würde ich mich nicht befassen. Drei Meter hoch, da hat man schon sechs Jahre und mehr gewonnen. Aber Platz muß man ihnen einräumen. Denn das sind weitspurige Majestäten.

 

Himalajazeder

Cedrus Deodara ist ihr botanischer Name. Dazu kommen noch eine Menge bezeichnender Nebenbestimmungen. Deodara argentea (silberfarbige Himalajazeder), Deodara viridis (grüne), Deodara robusta (nicht etwa ‹dauerhafte› oder ‹starkwüchsige›, sondern mit besonders langen Nadeln), Deodara glauca (blaue) und so weiter. Diese Nebenbezeichnungen sind insofern irreführend, als die Unterschiede in Wirklichkeit bei weitem nicht so groß sind, wie man nach den vielfachen Benennungen erwarten sollte, namentlich aber deshalb irreführend, weil die Merkmale nicht haften, sondern meistens im Verlaufe der Entwicklung wieder verschwinden oder wenigstens sich nahezu ausgleichen. Häufig sieht man den einen Teil des Baumes grünlich, den andern bläulich gefärbt, überhaupt den Baum die Farbe tauschen. Ausgewachsene Deodarazedern sehen sich sämtlich nahezu ähnlich; man muß schon scharf zusehen, um die ursprüngliche Verschiedenheit wiederzuerkennen. Es verhält sich vielmehr mit der Farbe der Himalajazeder so: der Baum hat bei scharf ausgeprägter und stetiger Zeichnung unbeständiges Kolorit. Kein einziges Exemplar ist genau ebenso gefärbt wie sein Nachbar. In der ersten Jugend belustigen sich die Farben und bilden entzückende Gegensätze. Silberige und bläuliche Bäumchen neben grasgrünen. Nimmermehr würden Sie an die nämliche Pflanze denken. Die grüne Himalajazeder aber bildet heutzutage die Ausnahme und ist schwer im Handel aufzutreiben. Ich habe bei einem der ersten italienischen Handelsgärtner unter mehreren Dutzend Exemplaren Deodara auch nicht ein einziges grünes Exemplar gefunden. Die Grundfärbung der Himalajazeder, zu welcher sie nach einigen Spaziergängen ins Grüne oder Silberne schließlich immer wieder zurückkehrt, ist ein lichtes Blaugrün oder genauer Grünblau; in der Weise, daß die jungen Nadeln erst hellgrün hervorbrechen, später entschieden bläulich und endlich grünblau werden. Immer ist die Färbung hell, viel heller und duftiger als bei den andern Zedern; folglich erscheint der Umriß des Baumes weich und verschleiert.

Also die lichte bläuliche Färbung ist ein Merkmal der Himalajazeder. Dazu kommen die langen Nadeln, die schon bei der gewöhnlichen typischen Himalajazeder doppelt so lang sind wie bei der Atlas- und Libanonzeder, bei der Robusta aber nahezu die Länge von Kiefernadeln erreichen und gleichzeitig an der Spitze zangenförmig durcheinandergreifen. Da ferner die Nadeln nicht stehen, sondern liegen oder hängen, läßt sich das Gesamtbild der Deodara leicht faßlich zeichnen: hängender, weicher Typus, von den übrigen Zedern in ähnlicher Weise sich unterscheidend wie die Angorakatze von den gewöhnlichen Katzen, wie der Kiefernkönig (Strobus excelsa), der ja auch vom Himalaja stammt, von den Waldkiefern. Selbstverständlich kommt es bei der Langhaarigkeit und dem hängenden Typus der Himalajazeder zu besonders vollkommener und zwar frühzeitiger Schleppenbildung. Schon ganz junge Exemplare bedecken rundum den Boden. Alles hängt an ihr: die Äste neigen sich dachförmig, und zwar regelmäßig nach unten, unbeschadet jener kühnen Krümmung, welche alle Zedernarten auszeichnet; der Wipfel biegt sich von der ersten Jugend bis zum Alter weit über, ähnlich wie bei den meisten unserer nordischen Zypressenformen, und zwar so dünn und schlank, daß man meint, jeder Sturm müsse ihn knicken. Im Alter krümmt sich das Geäst, welches sich gerne nach allen Seiten verzweigt, kräftiger, die ursprüngliche sanfte Regelmäßigkeit der Abdachung weicht drohendem Schwung; so daß schließlich das Bild einer großen Deodarazeder demjenigen der Libanonzeder ähnelt, mit Ausnahme des Wipfels. Denn der erhält ein ureigenes, abenteuerliches Aussehen: nicht Galgen und Geierklauen wie der Wipfel der Atlaszeder, nicht Löwenhaupt wie derjenige der Libanonzeder, sondern Adlerkopf und Adlerschnabel, so krumm und scharf gebogen wie eine Sichel.

Die Himalajazeder wird gegenwärtig allen anderen Zedern vorgezogen. Diese Beliebtheit verdankt sie teils dem Umstande, daß sie sich viel leichter verpflanzen läßt, also weniger Verluste bringt, teils den ästhetischen Vorzügen, daß sie schon im jungen Zustande etwas vorstellt, daß sie frühzeitig Schleppen bildet, daß sie innerhalb des gemeinsamen Zedernhochmutes noch Weichheit und Üppigkeit aufweist. Eine gutgeratene Deodarazeder, auch wenn sie erst sechs bis zehn Jahre alt wäre, gilt meistens für den schönsten Baum des Gartens. Und nun vollends eine Deodara robusta, welche den Kopf bis auf die Erde hängt!

Wer die Zedern untereinander vergleichen will, findet in den Giardini pubblici von Mailand die beste Gelegenheit. Es stehen gewaltige Exemplare aller Gattungen dort. In Genf zahlreiche blaue Atlaszedern. In Ouchy eine sensationelle Robusta.


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