Friedrich Spielhagen
Uhlenhans
Friedrich Spielhagen

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361 Siebenunddreißigstes Kapitel.

Axel hatte, sobald er Gustav in gemessener Ferne wußte, den Schimmel in scharfen Galopp gesetzt und war so bis nach Alten-Prohnitz gesprengt. Vom Pferde steigend und seine Blicke über die Fronte des Schlosses schweifen lassend, hatte er zu seiner Freude Isäa oben an einem offenen Fenster im Zimmer des Kammerherrn gesehen. Er grüßte hinauf und glaubte an ihrem Gegengruß zu bemerken, daß er sie dort aufsuchen solle. In der That hatte der alte Mann das Klappern der Hufe gehört und, von Isäa berichtet, daß es der junge Graf sei, sofort eifrig gewünscht, derselbe möge herauf kommen. Es währte denn auch kaum eine Minute, als Axel bereits in das Zimmer trat, hochrot, bestäubt, gar nicht in der Verfassung, sich vor den Herrschaften zu präsentieren, was denn auch durchaus nicht seine Absicht gewesen sei; er habe sich nur unten nach dem Befinden der Herrschaften erkundigen wollen.

Er hatte Isäa die Hand geküßt und war ihr zu dem alten Herrn gefolgt, der, in Decken gewickelt, auf dem Sofa lag und ihm jetzt eine fieberheiße Hand bot, mit dünner heiserer Stimme rufend:

Wie Sie sehen, lieber Graf, ein bißchen angegriffen nach einer miserablen Nacht; aber das thut nichts. Bis heute Abend bin ich wieder auf den Beinen; habe eben mit dieser schönen jungen Dame darauf gewettet; wette auch mit Ihnen, wenn Sie wollen.

Aber mit dem größten Vergnügen, rief Axel, das nur durch das noch größere übertroffen werden wird, wenn ich, wie ich voraussehe, verliere.

362 Immer galant, immer schlagfertig! sagte der Kammerherr; ja, ja, es gibt noch junge Leute, wenn sie auch mit uns Alten die Konkurrenz nicht aushalten können; nicht wahr, Madame?

Er zwinkerte zu Isäa hinüber und wiederholte kichernd und hüstelnd: nicht wahr, Madame?

Eine Anspielung auf ein kleines Boukett, das mir eben von Prora geschickt wurde; sagte Isäa.

Kleines Boukett! rief der Alte, jawohl: nur eben so an den Busen zu stecken! ganz diskret, wissen Sie, lieber Graf, ganz verschämt! Klein, diskret, verschämt – wie die Verehrung von uns alten Invaliden für die Jugend und Schönheit sein muß.

Isäa drohte mit dem Finger.

Hüten Sie sich, Großpapa! Wenn Sie so grausam spotten, wird man sagen –

Daß ich eifersüchtig bin! unterbrach sie der Alte. Und da würde man recht haben! unendlich recht. Sie Schöne, Unvergleichliche, Grausame, die Sie Ihre Liebhaber quälen, martern – einen nach dem andern, zu Tode martern. Ist es nicht wahr, Graf, ist es nicht wahr?

Es würde mir nicht ziemen, in dieser Angelegenheit ein Votum abzugeben, erwiderte Axel, sich verbeugend.

Der Schelm! rief der Alte; hört den Schelm! will er uns weismachen, er sei nicht verliebt in diese Dame! ein Auserwählter unter Tausenden!

Aber, Großpapa! rief Isäa; das ist wirklich zu stark. Dafür müssen Sie bestraft werden.

Sie hatte sich erhoben, war an den Alten heran getreten und hatte ihn auf die Stirn geküßt.

So! Meine Visite hat ohnedies schon zu lange gewährt; und nun liegen Sie hier still und versuchen, ein Stündchen zu schlafen, oder Isäa wird wirklich böse. Kommen Sie, Herr Graf!

Der Alte wollte Einspruch erheben, ließ sich dann aber doch mit süßlichem Lächeln gefallen, daß ihm Isäa die verschobenen Decken zurechtrückte und Axel folgte, der auf einen 363 Wink von ihr sich schleunigst erhoben hatte, und jetzt bereits die halb geöffnete Thür für sie in der Hand hielt.

Ich glaube, der alte Mann erlebt den Abend heute nicht, sagte Isäa, als Axel kaum die Thür hinter ihr geschlossen hatte.

Das war so ruhig gesagt; Axel blieb das verliebte Wort aus, das er auf den Lippen gehabt. Wieder einmal kam ihm der Gedanke, ob es nicht ein gefährliches Ding sei, diese schöne Dame zu lieben, die leider nur heute schöner als je war: ein wenig blasser als schon sonst, mit etwas wie einem schmachtenden Hauch über den großen dunkeln Augen, unter denen sich mattblaue Ringe zeigten. Auch die elastische Gestalt in dem weichen Morgengewande, wie sie jetzt schwebenden Schrittes ein wenig vor ihm die Treppe hinabglitt, erschien ihm zauberhafter als je. Die Gewalt seiner verliebten Empfindungen, welche der Widerstand, den er gegen sie versuchte, nur noch erhöhte; dazu die Sorge vor einer Entscheidung, die er, als Kavalier, nicht länger hinausschieben durfte, Isäa nicht länger würde hinausschieben wollen – das alles arbeitete in ihm und machte ihn stumm, während er, jetzt neben ihr, durch den Gartensaal und zwischen den Beeten nach dem Eingang der Buchenallee schritt, wo sie ihn mit einer Handbewegung aufforderte, sich ihr gegenüber an einen der kleinen Tische zu setzen.

Es kann uns hier jeder, wer will, sehen, sagte sie. Und nun reden Sie!

Lassen Sie mich Ihnen zuerst sagen, daß Sie schöner sind als je, und daß ich Sie liebe mehr als je.

Des ersteren können Sie mich gelegentlich mit größerer Bequemlichkeit versichern, das andere sollen Sie eben beweisen.

Sie wissen, ich bin zu allem bereit.

Das ist nichts, weniger als nichts; ich will keine Phrasen, ich will Thatsachen; zum mindesten positive Vorschläge. Oder erwarten Sie solche von mir?

Die ironische Frage war von einem spöttischen Lächeln begleitet. In Axel erhob sich der Kampf widerstreitender Empfindungen, den er bereits auf der Treppe durchgekämpft, von neuem, nur in heftigerer Weise: auf der einen Seite die Furcht, 364 das entzückende Weib durch seinen Wankelmut zu verlieren, auf der andern das Grauen vor den Gefahren, denen er sich zweifellos aussetzen mußte, um in ihren Besitz zu gelangen.

Es ist keine Phrase, wenn ich sage, daß ich zu allem bereit bin, erwiderte er mit einer zitternden Stimme, welche wie die eines Beleidigten klingen sollte und ihr nur seine Unsicherheit noch deutlicher verriet; – es ist der Ausdruck meiner Ueberzeugung, daß Ihr Vorschlag von heute Nacht in ernsteste Erwägung gezogen werden muß.

Wieder zuckte das ironische Lächeln um die schönen Lippen; er fuhr in steigender Erregung fort:

Es ist seitdem verschiedenes passiert – höchst wichtiges. Denken Sie sich, Isäa – Sie wissen, ich hatte heute Morgen eine Auseinandersetzung mit meinem Vater über eine für mich, will sagen: für uns sehr kritische Frage. Sie ist entschieden für uns, aber um einen hohen Preis: mein Vater verlangt als Gegenleistung meine Verlobung mit Komtesse Ulrike. Uebermorgen, jedenfalls in den allernächsten Tagen soll große Gesellschaft bei uns sein und die Veröffentlichung erfolgen.

Und die Komtesse, sagten Sie, bekommt eine halbe Million als Mitgift?

Mehr!

Und Sie möchten die Komtesse heiraten?

Um Gotteswillen, Isäa!

Oder wollten mir nur die Höhe des Opfers, das Sie mir bringen, in dem rechten Lichte zeigen?

Mein Gott, wie Sie reden! ich wollte, ich will im Gegenteil nichts, als Ihnen beweisen, wie tief ich selbst von der Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung durchdrungen bin! Ich habe noch einen zweiten Grund: Ich bin vorhin Gustav begegnet – er wollte zu mir und ist jetzt nach Neuen-Prohnitz geritten – ich glaube sicher: er ahnt unser Verhältnis.

Sie irren sich: er ist davon überzeugt.

Das sagen Sie so ruhig? ich versichere Sie: es fehlte nicht viel an einer Herausforderung!

Die Ihnen zweifellos bevorsteht.

365 Aber, um Himmelswillen, erklären Sie mir diesen plötzlichen Wechsel?

Das ist sehr einfach: er hat Hertha eine Erklärung gemacht und sich einen fürchterlichen Korb geholt.

Ich dachte etwas derart; aber woher wissen Sie?

Dergleichen kann nur ein Mann fragen. Also: ich weiß es. Und weiter: daß er sich wieder in mich verlieben wird; noch mehr: es bereits ist.

In das spöttische Lächeln, das die schönen Lippen umspielte, hatte sich ein triumphierender Zug gemischt, der Axels Blut vollends entflammte.

Natürlich, sagte er höhnisch; wie sollte er auch nicht! eine Dame, die so gefeiert wird, so begehrt, so umworben –

Und nebenbei seine Frau –

Allerdings – ich hätte es beinahe vergessen.

Sie vergessen heute alles – unter anderem, daß Sie geschworen haben, mich zu lieben.

Sie lächelte ihn mit ihrem süßesten Lächeln an. Und plötzlich zuckten die lächelnden Lippen; aus den dunklen Augen, über denen sich die scharf geschwungenen Brauen fast berührten, loderte ihm ein wildes Feuer entgegen. Sie bog sich ein wenig zu ihm hin:

Liebst Du mich, oder liebst Du mich nicht?

Wie kannst Du fragen? stammelte er, erschrocken über die Heftigkeit der Frage und zugleich berauscht von der Süßigkeit des ersten Du, das er aus ihrem Munde hörte.

Ja, oder nein?

Ja, bei meiner Seele!

So mußt Du noch heute mit mir fliehen.

Ich würde heute noch mit Dir sterben, wenn es sein müßte.

Ich danke Dir!

Isäa!

Still! dazu bleibt uns morgen Zeit, übermorgen – alle Tage, wenn wir heute den Mut unserer Liebe haben. Heute – heute Abend! Ich habe alles überlegt: mein Plan ist sehr einfach und darum sicher. Wir fliehen von der Gesellschaft aus. 366 Ich verlasse sie auf ein Zeichen, das ich heute Abend mit Dir verabreden werde. Du thust desgleichen zehn Minuten später und findest mich in Deinem Wagen, der auf dem Hofe vor dem rechten Flügel hält, wo ich wohne, und aus dem, wie Du weißt, eine selten benutzte Thür, zu der ich den Schlüssel habe, hinaus führt. Es handelt sich nur darum, daß Du Dich Deines Kutschers, der Dir ja ergeben scheint, völlig versicherst, wozu ein paar hundert Thaler ausreichen werden. Ehe man Dich vermißt, oder meine Abwesenheit unbegreiflich wird; ehe man darauf kommt, die beiden Thatsachen zu kombinieren, können wir eine Meile zurückgelegt haben.

Axel schüttelte den Kopf.

Das ist sehr wenig, sagte er, auf die Entfernung von drei Meilen bis nach Neuenfähr, wenn wir verfolgt werden, was denn doch sehr wahrscheinlich ist. Ueberhaupt ist es bei solchen Affairen nicht ratsam, die große Straße zu nehmen. Indessen, ich wüßte auch nichts anderes und besseres vorzuschlagen. Zum Glück kenne ich keine Pferde, die es mit meinen aufnehmen. Und – ja, das wird das beste sein – ich werde selber fahren. Das bringt wieder mindestens eine halbe Stunde ein – anderthalb Stunde – ja, ja, so geht's; und das Ziel? Paris?

Ich würde London vorziehen.

Paris oder London – und das Paradies überall, wo ich mit Dir bin!

Axel lachte; die Freude an dem Plan, dessen Verdienst er sich bereits allein zuschrieb, sah ihm aus den Augen. Isäa war jetzt überzeugt, daß sie sich auf ihn verlassen durfte. Nur über Eines mußte sie sich noch Gewißheit verschaffen.

Paradiese sind heutzutage sehr teuere Orte, sagte sie nachdenklich; und Isäa Kolokotronis ist ein armes Mädchen!

Axel lächelte ungläubig.

Nur keine Sorge nach dieser Seite, Madame! rief er, ich bitte darum!

Arm wie des ärmsten Bettlers Kind –

Ich flehe Dich an, Isäa, nichts mehr davon! Du weißt, 367 es ist nicht die Prinzessin, die ich liebe, es ist, wenn Du denn durchaus so willst: das arme Mädchen.

Und Du willst das arme Mädchen zu Deiner Frau machen?

Allerdings!

Willst Isäa Kolokotronis, die sich jetzt Baronin Prohn nennt, zu Deiner Frau machen? – schwöre es mir bei allem, was Dir heilig ist!

Ich schwöre es.

Und so küsse ich Dich in Gedanken als Dein Weib. Und jetzt geh' ohne Aufenthalt und laß mich hier allein!

Axel that wie ihm befohlen und entfernte sich rasch. Es lag ihm selbst daran, einer nochmaligen Begegnung mit Gustav auszuweichen. Isäa blickte ihm nach.

Es ist das beste; murmelte sie.


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