Friedrich Spielhagen
Uhlenhans
Friedrich Spielhagen

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283 Dreißigstes Kapitel.

Wirklich hatte der feurige Schein nur als Lockung und Einladung dienen sollen. Die Gesellschaft mochte sich noch kaum vollzählig auf der Rampe versammelt haben, als derselbe jäh erlosch, um einer Finsternis Platz zu machen, in welcher man kaum noch die, durch das jähe Licht aufgescheuchten, den See durchfurchenden Schwäne als hellere Punkte unterscheiden konnte, und Himmel und Bäume am anderen Ufer für den Moment als eine einzige schwarze Tafel erschienen. Auf der plötzlich – man wußte nicht durch welche Magie – das Wort Hellas in großen feurigen Buchstaben stand und darüber eine funkelnde Königskrone. Die, nachdem sie ein paar Sekunden oder Minuten geleuchtet und gefunkelt – man konnte sich in dem atemlosen Staunen keine Rechenschaft über die Zeitdauer geben – verschwanden, als hätte sie eine unsichtbare Riesenhand weggewischt, um sofort an derselben Stelle eine Fürstenkrone aufschimmern zu lassen, unter welcher sie in denselben mächtigen Lettern: Theodor Kolokotronis, auf die schwarze Tafel gemalt hatte, und darunter in etwas kleineren: Liberator liberatus – »der befreite Befreier« hörte man eine Stimme, in welcher man die des Präsidenten zu erkennen glaubte, sagen – wohl absichtlich laut, um den Damen das Verständnis der beiden Worte zu vermitteln, die sonst auch wohl einem nicht kleinen Teil der Herren mystisch geblieben sein würden. Und nun, während die Krone weiter funkelte, löschte die unsichtbare Riesenhand wieder den Namen des Griechenhelden mit der diskret enträtselten Unterschrift aus und setzte an deren Stelle – in 284 Lettern, zu deren gewaltigen Dimensionen sie ihre ganze Kraft zusammengenommen zu haben schien – das eine Wort, welches niemandem enträtselt zu werden brauchte und doch für alle etwas wie eine geheimnisvolle Nebenbedeutung hatte: Isaea.

Und wollte man nun dieser allgemeinen Empfindung einen Ausdruck geben, oder nur das vorhin in der Verwirrung Mißlungene nachholen – die Herren riefen Hoch! und wieder und nochmals Hoch! und helle Damenkehlen jubelten drein, nachdem die Baronin Nadelitz mit einer Stimme, deren sich kein Mann hätte zu schämen brauchen, den Anfang gemacht. Und plötzlich, als wäre der unsichtbare Riese drüben von der allgemeinen Lust entzündet und toll geworden, warf er die Zinken der Fürstenkrone mit lautem Knall als ebensoviele glänzende Raketen in die Höhe, von der sie, zerplatzend, in einem Regen von magisch leuchtenden Kugeln hernieder sanken, während der Name Isäa zu einem Feuerrade geworden war, das, sich konzentrisch vergrößernd, nach allen Richtungen feurige Ströme in allen Farben entsandte unter betäubendem Prasseln, Knattern und schütternden Kanonenschlägen, in denen der Feuerdämon sich nicht genugthun zu können schien, bis er den ungeheuren Lärmen in einem übermächtigen Knall noch überbot und zusammenfaßte, um dann urplötzlich in Schweigen und Finsternis zu versinken.

Zum nicht geringen Trost für einige ältere Damen, die, wie löblich kurze Zeit auch das interessante Schauspiel gedauert haben mochte, doch bereits die kühlere Nachtluft verspürt hatten und mit Schrecken daran dachten, was aus ihnen, was aus den noch viel leichter gekleideten Töchtern werden solle, wenn der Fürstin beliebte, noch länger auf der offnen Terrasse zu verweilen. Aber die Stille nach dem Lärmen war kaum eingetreten, als die hohe Gastgeberin sich mit der Bitte an die Herrschaften in ihrer näheren Umgebung wandte, sich in die oberen Salons verfügen und dort den Kaffee einnehmen zu wollen. Das Wort wurde sofort weiter gegeben, auch von der Stimme des Fürsten wiederholt mit einer gewissen wohlwollenden Dringlichkeit, welche die wenigen Säumigen zur Eile mahnte. 285 Auch diese verschwanden jetzt in dem Portal, durch welches der Rückzug in die glänzend erleuchtete Halle und von dort auf den breiten Marmortreppen nach oben stattfand; die Diener schlossen die Fensterthüren der Kabinetts des Seitenflügels, in denen man das Souper eingenommen; der Fürst, nachdem er wiederholt ungeduldig den Kopf über die Schultern gewandt, atmete befriedigt auf.

Er stand mit Isäa noch fast auf derselben Stelle am äußersten Rande der Terrasse, von welcher er mit ihr, die er am Arm führte, umgeben von der übrigen Gesellschaft, dem Schauspiele beigewohnt, das er, um sie zu feiern, ersonnen und ausgeführt hatte, gegen den sanften Widerspruch seiner Gemahlin, gegen eine mahnende Stimme in dem eigenen Herzen, nachdem er zuletzt die Hoffnung auf die Ankunft des sehnlich erwarteten Kuriers bereits verloren. Und nun war auch erfüllt, was ihm seine Phantasie, während die letzten Kanonenschläge krachten, plötzlich vorgegaukelt als den süßen Lohn all seiner Sorgen und Aengste und als die Vollendung des Glücks, das seine Brust erfüllte: er möchte hernach mit ihr allein sein dürfen, nur einen Moment!

Isäa! flüsterte er.

Er hatte ihren Arm aus dem seinen gleiten lassen und dafür ihre beiden Hände ergriffen, die kleinen kühlen Hände, von deren Berührung es ihn wie ein elektrischer Strom durchzuckte.

Isäa, wiederholte er mit zitternder Stimme, geliebtes Kind!

Wie soll ich Ihnen danken? hauchte sie zurück.

In die großen dunklen Augen, die sie jetzt zu ihm erhob, fiel der matte Widerschein aus einem der oberen Fenster und ließ sie in einem weichen, mystischen Glanze aufschimmern, vor dem der letzte Rest der Selbstbeherrschung des entflammten Mannes hinschmolz wie Wachs in loderndem Feuer.

Sie fragen! können fragen? murmelte er, kaum verständlich.

Ich kann fragen, muß fragen, erwiderte sie in leisem Ton sanfter Klage: war es die Tochter meines Vaters, der all jene Pracht und Herrlichkeit galt? War es Isäa?

In sein verzagendes Herz strömte es mit triumphierender 286 Allgewalt zurück; die beiden Hände, die er kaum noch gehalten, mit neuer Kraft fassend und an seine Brust pressend, murmelte er die sich überstürzenden Worte:

Und wärst Du der Armen Aermste und des letzten Bettlers Kind, Du wärest Du selbst: die Einzige, Unvergleichliche, Angebetete, Geliebte, – Isäa!

Er hielt die weiche, elastische Gestalt umschlungen, seine Lippen in ihr duftendes Haar drückend, nach ihrem Munde schmachtend, den er schon zu berühren glaubte, als sie sich, einer Schlange gleich, aus seinen Armen wand.

Um Gott, wir sind belauscht! flüsterte sie.

Sie, die während der ganzen heimlich stürmischen Scene auch nicht eine Sekunde ihre Geistesgegenwart verloren, hatte eine Gestalt bemerkt, die in dem tiefen Dunkel der Nische, welche das vorspringende Portal mit der Schloßmauer bildete, gestanden haben mußte und, als sie jetzt in das Portal huschte, sichtbar geworden war. Trotzdem es nur für einen Moment gewesen, hatte sie Axel erkannt.

Wer kann es gewesen sein? fragte der bestürzte Fürst, der ebenfalls den Enteilenden, wenn auch nur als flüchtigen Schatten, bemerkt hatte; und fügte dann, um Isäa und sich selbst zu beruhigen, sofort hinzu: ohne Zweifel einer meiner Leute; fürchten Sie nichts, sie sind mir alle bis in den Tod ergeben.

Isäa fürchtete nichts: sie hatte sich im Nu die Situation vollständig klar gemacht. Sie würde erst einmal Axel gegenüber alles ableugnen; wenn das nichts half, weil er doch zu deutlich gesehen, die Sache zwar einräumen, aber als eine, für die sie bei dem verliebten Ungestüm des Fürsten, der sie gewaltsam zurückgehalten, in keiner Weise verantwortlich sei. Sollte er sich dabei nicht beruhigen – er würde es; aber gesetzt, er that es nicht, – nun, des Fürsten war sie sicher. Das war bei Gott, trotz seiner Jahre, kein alter Mann; und der ältere fürstliche Liebhaber mochte wohl den jungen gräflichen aufwiegen. Vor der Hand galt es, sich der brillanten Eroberung weiter zu versichern, indem man die Aengstliche spielte, die sich der Gefahr, in der sie schwebt, vollkommen bewußt, aber viel 287 zu großmütig ist, um dem, der sie in diese Gefahr gebracht, auch nur den Schatten eines Vorwurfes zu machen.

Sei es, wer immer gewesen, sagte sie leise, den Arm, den er ihr wieder gereicht hatte, zärtlich drückend; ich habe diese Stunde mit nichts zu teuer erkauft.

Er erwiderte dankbar den Druck, vermochte aber bei der Unruhe, die in ihm fortwühlte, sich nicht zu einer Antwort aufzuraffen, zu der es auch schon zu spät schien. Sie hatten mittlerweile bereits das Vestibül erreicht, welches von Hausbedienten und den Dienern der Gäste wimmelte, die, mit Shawls und Mänteln auf den Armen, auf ihre Herrschaften warteten. Ja, auf der Treppe begegneten ihnen bereits einige der letzteren, die, da sie sich heimlich hatten entfernen wollen, in nicht geringe Verlegenheit gerieten, als sie jetzt auf den Herrn des Hauses selbst stießen, und die wenig gnädige Art, mit welcher er ihre Entschuldigungen und den Dank für den köstlichen Abend entgegennahm, als gerechte Strafe für ihre Unbotmäßigkeit empfanden.

So waren sie bis zu dem großen oberen Saale gelangt, aus dessen weitgeöffneter Flügelthür das Geschwirr der Konversation und das Klappern der Tassen heraus tönte, und der Fürst wollte eben ein letztes zärtliches ermutigendes Wort an seine stumme Begleiterin richten, als der Haushofmeister an ihn herantrat und ihm einige Worte ins Ohr flüsterte, worauf er mit einem halbunterdrückten ah! antwortete, von dem Isäa nicht unterscheiden konnte, ob es ein Ausruf des Aergers oder der Freude sei. Der Haushofmeister entfernte sich die Treppe hinab, der Fürst rief ihm nach: ich komme gleich! – und wandte sich wieder zu ihr, um sie nun vollends in den Saal zu führen, wo er ihren Arm mit einer tiefen Verbeugung losließ, indem er, laut genug, daß es auch die Umstehenden hören konnten, zu ihr sagte:

Verzeihen Sie, Madame, daß ich Sie mit der Erklärung der kleinen pyrotechnischen Geheimnisse, an denen Sie gütig genug waren, einigen Geschmack zu finden, so lange aufgehalten habe; und verzeihen Sie weiter – und verzeihen die anderen 288 Herrschaften, – wenn ich Sie auf ein paar Minuten verlasse. Mein junger Freund, Carlo von Lilien, von dem ich Ihnen bei Tisch erzählte, ist nun wirklich doch noch gekommen – in der zwölften Stunde, sozusagen, aufgehalten durch einen Unfall auf der Fahrt hierher, – nur, um mich zu sehen, und heute Nacht wieder abzureisen. Aber ich hoffe, ihn zu bewegen, daß er, wenn auch in Reisekleidern, in der Gesellschaft erscheint, und wäre es auch nur, um Ihnen, Madame, seine Huldigung darzubringen. Ich sagte Ihnen bereits, daß er direkt über Paris aus Griechenland kommt – ein Philhellene, wenn es je einen gegeben hat.

Der Fürst verbeugte sich noch einmal, und entfernte sich eiligen Schrittes, während sich Isäa sofort von einem Schwarm von Herren und Damen umringt sah, den sie mit sich zog, indem sie sich durch denselben einen Weg zur Fürstin zu bahnen suchte, welche sie am anderen Ende des Saales erblickte. Sie war entschlossen, dem Beispiel der Gäste auf der Treppe nachzuahmen, falls es ihr nicht alsbald gelingen sollte, sich bei der Fürstin zu verabschieden, auf keinen Fall die Rückkehr des Fürsten abzuwarten, wenn sich dieselbe, wie sie voraussah und dringend wünschte, verzögerte. Ihre schnelle Entfernung mochte der Fürst dann deuten, wie er wollte; voraussichtlich würde dadurch seine Leidenschaft nur noch mehr entflammt werden; und auch Axel mochte sich mit dem vergifteten Pfeil in seinem verliebten Herzen so bis morgen hinschleppen. Unter allen Umständen wünschte sie sich die Begegnung mit Herrn von Lilien zu ersparen, einer sonderbaren Regung folgend, die ihr sonst völlig fremd war, und die sie urplötzlich, als der Fürst ihr seinen Protégé ankündigte, befallen hatte. Es war nun freilich nötig, daß sie ihre Stiefgroßeltern und Hertha und Gustav von ihrer Absicht unterrichtete, zum wenigsten den letzteren, der vermutlich ebensowenig wie sie nach einer Konversation mit dem Philhellenen Verlangen tragen würde. In demselben Augenblicke sah sie Hertha mit lebhaften Schritten auf sich zukommen.

Ich suche Dich, sagte Hertha, die Großeltern haben sich bereits von der Fürstin verabschiedet und warten unten auf 289 mich. Der Großpapa klagt über heftige Schmerzen und auch die Großmama fühlt sich sehr angegriffen. Du übernimmst wohl unsere Entschuldigung bei dem Fürsten. Wir fahren den Strandweg, im Falle Ihr bald nachkommen solltet.

Bitte, nehmt mich mit, sagte Isäa; ich bin nicht weniger angegriffen und müde und fürchte mich überdies vor der kalten Nachtluft. Gustav kann ja allein fahren.

Wo ist er?

Ich habe ihn nicht gesehen.

Wir können nicht gut zu vier in dem Wagen sitzen, sagte Hertha, ohne dem Großpapa die Bequemlichkeit zu rauben, die er für sein krankes Bein braucht.

Mir ist wirklich recht unwohl, sagte Isäa.

Hertha blickte einen Moment vor sich nieder und sagte dann entschlossen:

Nun gut, so fahre Du mit den Großeltern; ich werde mit Gustav fahren.

Du Gute, Liebe! Unten, sagst Du? also adieu!

Einen Augenblick, Madame!

Die beiden Damen blickten sich zu Axel um, der sich verbeugte und fortfuhr:

Ich bitte Sie, mir meine Indiskretion zu verzeihen; aber ich komme im Auftrage der Großeltern, Fräulein Hertha, die ich eben in den Wagen gehoben habe. Die liebe Großmama hätte gern noch gewartet, aber der Großpapa ließ sich nicht länger halten: er sagte, er habe zu arge Schmerzen und müsse nach Hause. Ich erlaube mir nun den Damen einen Vorschlag zu machen, der sich des Beifalls der Großeltern erfreut, Fräulein Hertha, und auf den hin sie überhaupt nur gefahren sind! Die Damen nehmen mein geschlossenes Coupé, das bereits unten angespannt hält, Gustav und ich begleiten Sie in dem Korbwagen. Von einem Derangement meinerseits kann nicht die Rede sein, da ich von den Großeltern, Fräulein Hertha, Gastfreundschaft für diese Nacht in Prohnitz erbeten und erhalten habe.

Axel hatte das alles mit ausgesuchter Höflichkeit gesagt, 290 indem er sich dabei zwar hauptsächlich an Hertha wandte, ohne jedoch Isäa zu vernachlässigen, die sofort begriffen hatte, um was es sich für ihren Liebhaber handelte und in der Energie, mit welcher er die Erklärung, welche er erwarten durfte, so schnell wie möglich herbeizuführen suchte, nur einen Beweis seiner unverminderten Leidenschaft sah. Sie zögerte deshalb nicht, dem Arrangement zuzustimmen, indem sie zugleich Hertha mit den Blicken anflehte, es ebenfalls zu thun, oder wenigstens eine freundlichere Miene zu etwas zu machen, das, wie sie ihr zuflüsterte, ja nun doch einmal ein fait accompli sei. Sie für ihr Teil bitte nur noch, daß dann auch sofort aufgebrochen werde.

Aber nicht ohne Gustav; sagte Hertha.

Da ist er, rief Axel, der den Freund in einer anderen Gruppe erblickt hatte, ich hole ihn her.

Nach kürzester Frist kam er mit Gustav zurück, dem er inzwischen das Nötige mitgeteilt hatte.

Mir ist alles einerlei, sagte Gustav zu Isäa und ohne Hertha anzublicken, deren Augen mit einem Ausdruck der Trauer und des Mitleids an seinem verstörten Gesicht hafteten.

Man ging, um sich gemeinschaftlich bei der Fürstin zu verabschieden, und fand sie umgeben von einem Schwarm, in welchem bereits die Nachricht cirkulierte, welche der Fürst soeben hatte heraufsagen lassen: er bitte ihn zu entschuldigen, da er von einer plötzlichen Indisposition befallen sei, die ihn verhindere, seine Gäste persönlich zu beurlauben. Es war begreiflich, daß die hohe Frau, deren bleiche Miene die innere Besorgnis trotz aller Anstrengung, gelassen zu erscheinen, deutlich genug verriet, unter diesen Umständen für die Einzelnen der sich zum Abschied von allen Seiten Herandrängenden nur wenige flüchtige, verbindliche Worte hatte; und man durfte es gewiß für eine ganz besondere Aufmerksamkeit und Gnade nehmen, als sie Isäa, indem dieselbe sich auf ihre Hand herabbeugte, zu sich empor zog und auf die Stirn küßte, während sich Hertha, ihr sonstiger erklärter Liebling, mit einer kaum merklichen Neigung des Hauptes und ein paar zögernd 291 dargereichten Fingerspitzen begnügen mußte. Herr und Herrin waren also einig in der Verteilung ihrer Gunst und Ungunst; oder die kluge Herrin hielt es, wie einige skeptische Gemüter meinten, wenigstens für notwendig, den Schein der vielberühmten ehelichen entente cordiale auch in diesem kritischen Falle aufrecht zu erhalten.

Man schritt die Treppe, auf der bereits ein fluchtähnliches Drängen der eiligen Gäste stattfand, hinab und trennte sich im Vestibül, von welchem die Damen sich in die für sie reservierten anstoßenden Garderobezimmer begaben, während Axel und Gustav sich die Mäntel umhingen, die Axels gewandter Diener für beide Herren auf dem Arm hatte.

Er weiß schon, daß wir zusammen fahren, sagte Axel, und hat den kleinen Kerl, den Ihr für heute in Livree gesteckt habt, hinaus geschickt, die Wagen zu rufen. Hör', Gustav, liegt Dir daran, daß wir unterwegs, und wäre es auch auf kurze Zeit, trotz alledem mit unsern Damen beisammen sind?

Wie kommst Du darauf? fragte Gustav.

Gleichviel! es liegt Dir daran, ich weiß es. Denkst Du denn, daß ich blind bin? Es liegt Dir an jeder Minute, die Du mit Hertha beisammen bist. Gestehe es, oder ich behalte den famosen Plan, den ich mir ausgedacht habe, für mich.

Ja doch! sagte Gustav trotzig.

Also! wir lenken, wenn wir an die Dünen gekommen sind, links ab unter dem Vorwand, den Weg zu kürzen. Dann fahren wir uns in dem Sande fest, die Damen müssen aussteigen – auf eine kurze Strecke, weißt Du, die wir je nach den Umständen verlängern. Mein Johann ist instruiert und wird seine Sache wunderbar machen. Du brauchst nur Ja zu sagen.

Gustav sah dem arglistigen Freunde starr in die Augen; Axel bemühte sich, den Blick auszuhalten, entschlossen, wenn Gustav losbrach, ihm durch die Entdeckung der Liebschaft Isäas und des Fürsten die Waffe aus der Hand zu schlagen. Er hatte Gustav richtig taxiert. Vergebens, daß derselbe in seinem verwilderten Herzen gegen den Egoismus seiner Leidenschaft für Hertha die Scham und den Zorn des verratenen Gatten 292 wachrufen wollte; und sich selbst einen Elenden schalt, der den Verräter nicht an der Gurgel packte und unter die Füße trat. Die Aussicht auf noch ein paar Minuten Beisammenseins mit Hertha, ihr dann zu sagen, wozu er in den unseligen Stunden an der Tafel nicht den Mut gefunden – es war wie ein Gift, das sich durch seine Adern goß und ihm den Rest des Selbstgefühls raubte, ja jede andere Empfindung lähmte.

Es ist mir recht; sagte er dumpf. Die Wagen sind da?

Sie waren es vorhin, sagte Axel; mittlerweile werden sich wohl andere vorgedrängt haben. Vielleicht siehst Du selbst einmal nach?

Gustav ging. Indem sich Axel mit einem höhnischen Lächeln auf den schmalen Lippen nach dem Zimmer der Damen umwandte, fiel sein Blick auf jemand, der zwischen den Dienern stand, – einen Herrn in Reiseanzug, dessen Gesicht ihm bekannt vorkam, ohne daß er ihn hätte unterbringen können. Da traten auch schon die Damen aus der Garderobe.

Es war ein schreckliches Gedränge, sagte Isäa; bitte!

Und sie hielt ihm ein großes schwarzes Schleiertuch hin, zu ihm auflachend, während er halb aus Ungeschick, halb absichtlich, das von ihm Geforderte nicht eben schnell zustande brachte. Plötzlich stieß sie ein leises Ah! aus.

Habe ich Ihnen weh gethan? fragte Axel bestürzt.

Sie antwortete nicht, sondern zog hastig das Schleiertuch über Stirn und Augen und eilte auf die Ausgangsthür zu, obgleich sie sich bewußt war, daß, was soeben geschehen, durch keine Eile wieder ungeschehen gemacht werden könne, und der Fremde, der da unter den Dienern gestanden, sie so gut erkannt hatte, wie sie ihn; und wie sie jetzt, als sie die Stufen der Freitreppe hinunter nach dem Wagen huschte, in der großen, mantelumhüllten, abseits sich haltenden Gestalt den Fürsten erkannte.

Er hat dich noch einmal sehen wollen, sprach sie bei sich.

Und etwas wie Mitleid mit dem alten Manne regte sich in ihr bei dem weiteren Gedanken, daß es das letzte Mal gewesen sei, und sie die Schwelle des stolzen Palastes, des Schauplatzes eines so glänzenden Triumphes, nie wieder betreten würde.

293 Der Fürst aber hatte, als die Pferde angezogen, sich vollends in das Dunkel gewandt. Der Fremde trat ihm entgegen. Er griff krampfhaft nach der Hand desselben: Ist sie's? Du schweigst, Carlo? Großer Gott! Und keine Möglichkeit, daß Du irrst?

Keine, erwiderte der junge Mann leise.

Der Fürst seufzte tief, dann sagte er in zerstreutem Ton, während sie langsam nach der Seitenthür zurück schritten, wobei er sich schwer auf den Arm des Günstlings stützte:

Wo trafst Du doch Hans – ich meine den Bruder des – Menschen?

Auf der Fähre, hernach nahmen wir Extrapost –

Ich erinnere mich. Und Du hast ihm alles gesagt? Gut, gut – es war das beste. Wo verließest Du ihn?

An dem Parkthor. Er schlug dann den Strandweg ein. Er sagte, er müsse allein sein; er war sehr erregt.

Ich glaub's! Und doch – er – komm' mit mir, Carlo! Ich kann jetzt nicht allein sein – ich nicht! Auch weiß ich noch nicht alles – vielleicht –

Er drückte, Unverständliches murmelnd, die Thür zu seinem Zimmer auf. Carlo folgte ihm traurig. Für ihn gab es in dieser schrecklichen Angelegenheit kein Vielleicht.


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