Friedrich Spielhagen
Uhlenhans
Friedrich Spielhagen

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226 Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Die vom Fürsten geschenkten Ponies waren einstweilen in den Stall gebracht, bis Gustav von Neuen-Prohnitz zurück sein würde. Dann sollte das reizende Wägelchen, das gerade vier Personen faßte, durch eine Spazierfahrt eingeweiht werden, an welcher auch Axel, der vor einer Stunde zu einem Morgenbesuch gekommen war, teilnehmen zu dürfen gebeten hatte. Jetzt schlenderte er, während die Damen sich zu der Fahrt zurecht machten, im Garten herum, scheinbar ziellos, in Wirklichkeit so, daß er Isäas Fenster immer im Auge behielt. Die abscheulichen Rouleaux, die ihm die Angebetete verbargen! würden sie denn nicht endlich wieder in die Höhe gehen! Hatte sie ihm doch, als sie vorhin ins Haus ging, unter vielverheißenden Winken ihrer schönen Augen zugeflüstert, sie werde sich möglichst beeilen!

Aber Isäa beeilte sich nicht. Sie war ihrer Sache ganz sicher und hielt es für zweckmäßig, den verliebten Herrn etwas schmachten zu lassen. Ueberdies, Hertha befand sich ebenfalls oben auf ihrem Zimmer, von dessen Fenstern man den vorderen offenen Teil des Gartens völlig übersehen konnte. Und des Mädchens Augen waren so unheimlich scharf! Isäa hatte davon Beweise; und sie hatte Axel bereits wiederholt dringend gewarnt und zur Vorsicht gemahnt, die darum nicht weniger notwendig sei, weil die junge Dame jetzt manches nicht sehen zu wollen scheine, dessen sie sich zu ungelegener Stunde erinnern könnte.

Zoë, die, eben von einer Morgenpromenade mit der kleinen Eua atemlos und erhitzt zurück gekommen, in ihrer wilden Weise umher rennend und umher kramend, ab und zu ging, war zu 227 ihr an den Spiegel getreten und schaute ihr schweigend zu, während sie sich eine frische Blume im Haar befestigte.

Bin ich schön, Zoë?

Schöner als gestern; murrte die Alte.

Das kommt daher, weil ich vergnügter bin, als gestern. Das ewige Besuchemachen und Besucheempfangen fängt an, mich zu langweilen. Die Menschen sind ja sehr freundlich, aber sie sind zu stupid. Heute, scheint es, werden wir unter uns bleiben. Wir wollen in dem neuen Wagen ausfahren. Was sagst Du dazu, Zoë? Ein fürstliches Geschenk!

Der alte Mann ist verliebt in Dich.

Natürlich ist er es, sagte Isäa. Alle Welt ist es; soll es sein. Ich habe es Dir vorher gesagt: ich werde hier die Herrin sein; ich bin es schon. Es ist ein lustiges Leben.

Nicht für mich, sagte die Alte grollend.

Du bist nie zufrieden. Läßt man Dich nicht gewähren? kannst Du nicht kommen und gehen, wie Du willst? thun und lassen, was Dir gefällt? Wann in Deinem Leben hast Du es so gut gehabt?

Das fragst Du? erwiderte Zoë bitter; das fragt eine Tochter von Tino ein Weib von Tino?

Nichts von Tino! sagte Isäa schalkisch, den Finger erhebend. Du weißt! wir sind jetzt Maniatinnen! aus der Familie des berühmten Theodoros Kolokotronis! Wie oft soll ich Dir das sagen?

Hättest Du es mir nie gesagt! hättest Du es nie gesagt!

Ich wollte es Dir auch nicht sagen, und Goustabos hat es mir sogar streng verboten. Aber ich kann vor meiner alten Zoë keine Geheimnisse haben.

Und dann hat Dir die alte Zoë ein paar fränkische Worte abgelernt, und kann sich zur Not verständlich machen mit den Vornehmen unter den Barbaren. Und einer könnte doch einmal die alte Zoë eines Gespräches würdigen und sie ausfragen, und die alte Zoë könnte das Furchtbare verraten; denn sie ist etwas Furchtbares, diese entsetzliche Lüge, mit der das Kind seinen 228 Vater verleugnet; und sie wird eines Tages an Dir gerochen werden. Dann denke an Zoë und ihre Warnung!

Das würde mir dann auch nicht viel helfen! sagte Isäa.

Sie war von dem Spiegel an das Fenster getreten und hatte durch eine Spalte der Vorhänge in den Garten geblickt, ohne Axel entdecken zu können. Sie stand zweifelnd, ob sie ihn suchen gehen solle; aber sie hatte ja beschlossen, ihn schmachten zu lassen, und die Alte machte ein gar zu düsteres Gesicht.

Komm her, Zoë sagte sie, sich setzend und die Alte zu sich heran winkend. Sei vernünftig! Sieh, ich will Dir gestehen: ich habe es auch nicht gern gethan; aber Goustabos bestand darauf, und ich glaube, er hat recht gehabt. Es ist nicht meine Schönheit, vor der sich die Fürsten dieses Landes beugen, oder sie ist es doch nicht allein. Ich könnte noch schöner sein, wenn es möglich wäre, – wüßten sie, daß ich eines unberühmten Mannes Tochter sei – eines Mannes dazu, der ein Gewerbe getrieben hat, das in ihren Augen kein ehrliches ist, und dafür im Gefängnisse sitzt, was ihnen als eine große Schmach erscheint – glaube mir: keiner würde der schönen armen Isäa die Hände küssen und nach einem ihrer Blicke schmachten und ihr prächtige Pferde schenken und auch wohl noch mehr – wenn sie will. Daß aber die Lüge entdeckt wird, oder doch bald entdeckt werden sollte, fürchte ich nicht. Diese Menschen wissen von unserem Lande und von dem, was dort geschieht, so gut wie nichts. Ich könnte noch viel größere Lügen sagen, sie würden alles treulich glauben. Aber der eine und der andere, zum Beispiel der Fürst, hat doch von dem großen Maniaten-Bei gehört und seinen Heldenthaten, und daß er jetzt eingekerkert ist, nicht als Verbrecher, sondern als ein Held und Märtyrer, und als ein solcher gefeiert wird. Die erzählen es dann den andern, und Isäa ist für alle ein Wesen, wie aus einem arabischen Märchen. Ist das nicht schön? ist das nicht lustig?

Die Alte schüttelte den Kopf: Du sagst, es werde nicht so bald entdeckt werden; also nimmst Du doch selbst an, daß es entdeckt werden kann, wenn nicht heute oder morgen, so eines Tages, der da kommen wird. Und was dann?

229 Und was dann? wiederholte Isäa.

Sie hatte die Wange auf die Hand gestützt und schaute ernst und nachdenklich vor sich nieder. Sollte sie die Vertraute in den Plan einweihen, der bereits in ihrem Kopf Gestalt anzunehmen begann? Sie würde es voraussichtlich einmal müssen; aber noch war es wohl zu früh. Doch mochte es immerhin zweckmäßig sein, sie ein wenig vorzubereiten. Die schlaue Alte fand dann wohl von selbst das Richtige, oder würde doch, wenn man es ihr später vor Augen stellte, weniger verwundert sein und sich williger in das Unvermeidliche fügen.

Nun? sagte Zoë eifrig. Siehst Du nun selbst, daß Du Kluge darauf die Antwort schuldig bleibst?

Ich gestehe, es nicht zu wissen, sagte Isäa; ich weiß nur, daß, wenn der Tag kommt, er Isäa nicht in Thränen finden wird. Nur das Märchen ist schön und lustig; nimm es fort, und, was bleibt, ist nicht Isäas wert. Isäa kann nicht die zweite sein: sie würde hier nach der Sitte des Landes hinter der Frau des älteren Bruders zurückstehen müssen. Isäa will nicht arm sein: sie muß hier mit dem vorlieb nehmen, was jener Aeltere und seine Frau dem Jüngeren und seiner Frau zuwenden wollen. Und würde auch der mit dem einen Auge dem geliebten Bruder alles freudig hingeben – die Herrschsüchtige da über uns würde es nicht dulden; dürfte es nicht dulden, schon um dem Verdachte zu entgehen, noch immer ihrer alten Liebe nachzutrachten. Und fände sie sich in ihr Schicksal und lernte, Goustabos mit den Augen der Schwester betrachten und mich zu lieben, wie sie sich jetzt von dem einen und dem andern nur den Schein gibt; und wollten wir hier alle bei einander in Frieden und Freundschaft leben unter einem Dache, wie es sich der Einäugige träumt – es ist zu klein und niedrig das Dach, wie groß und hoch es scheint; es würde, wie für die Zwieträchtigen eine Folterkammer, für die Einträchtigen ein Gefängnis sein – nach außen ein Palast, in dessen Innerm Not und Sorge hausen. Und nun, Zoë, komm her und küsse Deine Isäa auf die kluge Stirn, die auch für Dich denkt, Du gute, treue, dumme Seele, die Du Dich schämen solltest, daß Du Isäa so viel sprechen läßt, und doch weißt, wie es sie angreift. 230 Ach, ich bin so müde! Und muß nun wieder unter diese Barbaren, die zu jeder Zeit wachen und schwatzen können. Heb' doch den Vorhang, Zoë, als ob Du nach der Sonne sehen wolltest, und blick' Dich im Garten um! Wir wollten uns dort treffen.

Die Alte that, wie ihr geheißen: Es ist niemand da, sagte sie, den Vorhang wieder schließend.

Außer dem Sonnenschein! sagte Isäa gähnend. Und hier ist es kühl. Ich will ein wenig schlafen. Sieh von Zeit zu Zeit wieder nach und wecke mich, wenn Goustabos zurück ist!

Sie lehnte sich in den Fauteuil zurück und schloß die Augen.

Isäa.

Was?

Soll ich Dich nicht auch wecken, wenn ich sehe, daß der Graf, Dich erwartend, um das Haus schleicht?

Isäa lächelte, ohne die zwinkernden Wimpern zu heben.

Er ist sehr reich? nicht wahr, Isäa?

Um Isäas schönen Mund zuckte es spöttisch.

Ist er es, der das Märchen weiter erzählen soll, wenn es hier damit zu Ende ist?

Isäa zog die Brauen zusammen.

Isäa, ich habe heute Nacht von Valianos geträumt. Er hatte einen blanken Dolch in der Hand. Den stieß er Dir in Deinen schönen Busen.

Und ich werfe Dir das Kissen hier auf meinen Knieen in das häßliche Gesicht, wenn Du mich nicht schlafen läßt!

Isäa hatte den Kopf auf die Seite geneigt; die Alte betrachtete die schöne Schlummernde oder sich schlummernd Stellende mit einer mehr hämischen als zornigen Miene und verließ das Zimmer, etwas vor sich hin murmelnd, wovon sie wußte, daß es Isäa doch aus ihrer Ruhe aufgeschreckt haben würde, hätte sie es laut gesagt und so den Schwur gebrochen, der ihre Zunge band.

Es mochte um dieselbe Minute sein, als Frau Pahnk oben die Thür von Herthas Zimmer schloß und schweren Schritts den Korridor hinab ging. Wenn sie es doch lieber nicht gesagt 231 hätte! Aber erfahren mußte Fräulein Hertha es einmal, wie sie selbst es erfahren, als sie gestern in Prora war, nach ihrem guten Lieschen und dem Kinde zu sehen; und Clas, bevor sie zu Lieschen ging, es ihr erzählte. Lieber Himmel: an sich war die Sache ja gar nicht so schlimm! Da waren andere Herren, von denen man noch ganz andere Dinge zu erzählen wußte! Das war auch aus den Reden der Frau Krause, die sie nachher besucht, deutlich herauszuhören gewesen; und ganz dasselbe hatte sie eben Fräulein Hertha zu verstehen gegeben; und daß selbst die besten Männer nicht so seien, wie ein junges Mädchen sie sich vorstelle; und Fräulein Hertha jetzt vielleicht von ihrem Gustav ein bißchen milder denken werde, der sich freilich manches habe zu schulden kommen lassen, ohne darum, wie Fräulein Hertha nun doch wohl sehe, schlechter zu sein, als die anderen.

Während Frau Pahnk sich so, was sie ihrer jungen Herrin gesagt, in ihrer aufgeregten Seele wiederholte, saß diese über das Wirtschaftsbuch gebeugt, welches ihr die Alte gebracht und vorgelegt hatte, weil die Rechnung von dem gestrigen Tage nicht stimme. Es war natürlich nur ein Vorwand gewesen, um ihr Gewerbe anzubringen; gerade wie sie selbst jetzt an den unorthographischen Worten und grotesken Ziffern buchstabierte und rechnete, um sich einzureden, was sie soeben vernommen, habe sie innerlich so ruhig gelassen, wie sie sich beim Anhören der abscheulichen Geschichte gezeigt. Aber die Selbsttäuschung hielt nicht länger vor, als sie die Schritte der Alten auf den knarrenden Dielen des Korridors vernahm. Sie ließ die Feder sinken und stützte die brennende Stirn in die Hand. Darum also hatte sie sich mit der ganzen Kraft ihrer Seele dagegen gesträubt, daß die alte Liebe nicht wieder allmächtig wurde in ihrem Herzen? mit trotziger Genugthuung zu fühlen geglaubt, wie ihr verzweifeltes Ringen doch nicht ganz vergeblich sei, sie den Geliebten mit ruhigerem Auge betrachten könne, seine Schwächen und Fehler klarer sehe, seine Vorzüge weniger lebhaft empfinde? Darum ihn, den es mit Allgewalt wieder zu ihr zog, kalt und schroff zurückgewiesen, vor sich selbst gedemütigt? dem andern eine Liebe zur Schau getragen, die sie nicht empfand? Nein, Liebe nicht, 232 – so weit hatte sie, Gott sei Dank, die Heuchelei nicht getrieben! aber die rücksichtsvolle Achtung doch, die sie dem schuldete, dessen Gattin sie sich einst nennen wollte. Und wie dankbar war sie ihm gewesen, daß er nicht mehr von ihr forderte! Auf das kleinste Liebeszeichen völlig zu verzichten schien! sich beim Kommen und Gehen mit einem leichten Druck ihrer Hand begnügte! Wie hoch hatte sie ihm sein seltenes Kommen, sein kurzes Verweilen angerechnet! – noch gestern abend, als er ihr den Ring seiner Mutter brachte und fragte, ob sie ihn wohl zum Andenken an die Verstorbene tragen möchte! – und sich fest vorgenommen, seine demütige Bescheidenheit und Zurückhaltung künftig durch ein wenig Aufmunterung zu belohnen und so sich selbst eine Wehr zu schaffen gegen die Ueberflut der Gefühle, die von der anderen Seite sinnverwirrend auf sie eindrang!

Sie hätte sich das ersparen können! Er hatte nur zu triftigen Grund gehabt, die alte befangene Scheu und verlegene Stummheit ihr gegenüber nicht aufzugeben – er, der immer hatte fürchten müssen, daß seine Schändlichkeit an den Tag kommen werde, wie sie es jetzt gekommen war!

Und gerade diese! ein Geschöpf, vor dem sie immer etwas in ihr gewarnt, als sie noch ein halbes Kind war, kaum ahnte, was Liebe sei! Liebe! was hatte die damit zu schaffen! Was konnte der von Liebe wissen, der sich an ein solches Geschöpf hängen mochte!

Und sie war gewarnt gewesen! Axel hatte ihr ja bereits vor Wochen in seiner frivolen Weise gesagt, was von den jungen Herren wahrscheinlich jeder so gut wußte, wie er selbst! was von ihnen, wenn sie unter sich waren, lachend mit unfeinen Scherzen kommentiert wurde – in denen nun auch sie vorkam, eine Hauptrolle spielte: die schmachvolle Rolle einer Gefoppten, und von wem? – hättet ihr das für möglich gehalten? sie, die sich so klug dünkte! die das Gras wachsen hörte! die mit uns immer so kurzen Prozeß machte! uns weismachen wollte, daß wir in unsrer Unbedeutendheit für sie gar nicht vorhanden wären – läßt sich von dem guten Hans an der Nase führen – von Uhlenhans! das ist ein Spaß, wie er noch gar nicht dagewesen! 233 nehmt euch nur in acht, daß ihr ihr nicht geradezu ins Gesicht lacht! verdient hätte sie's, wahrhaftig! – O Schmach! unerträgliche Schmach! die sie nun hilflos über sich ergehen lassen mußte! Und war doch selbst der Entdeckung so nahe gewesen: vorigen Sonntag, als sie in der Sundiner Zeitung die öffentliche Lossagung des alten Prebrow von seiner Tochter las und, was nun gekommen war, als bange Ahnung vor ihrer Seele gestanden, und sie es von sich gewiesen hatte, weil sie es jetzt nicht mehr denken dürfe! Wer würde ihr das glauben, wenn sie es erzählte! Man würde mit Recht sagen: dann bist du doppelt dumm gewesen! dann bist du mit sehenden Augen in dein Verderben gerannt!

Nein, das war unerträglich! sie wollte es nicht dulden, nicht einen Augenblick!

Aber was thun? Es ihm schreiben? er würde es besten Falles erst morgen nachmittag oder abend, wenn er von Sundin zurück kam, lesen. Und es zu Papier bringen – es war unmöglich. Ins Gesicht wollte sie's ihm sagen – vor aller Welt – in Gegenwart des Fürsten, den er ebenso mit seiner Heuchelei getäuscht hatte; ihm den Ring vor die Füße werfen. Und auch das war er nicht wert. – Der Großpapa! er würde sich eine Freude daraus machen, dem Verhaßten die Maske abzureißen! Aber dann der Hohn des alten Mannes, nachdem sie ihm die Partie mit Axel verdorben und sich mit eben dem verlobt hatte, gegen den sie nun seinen Schutz in Anspruch nehmen wollte! – Die Großmama! Nun, sie konnte der alten Frau den Kummer nicht ersparen; aber ihr zumuten, mit den eigenen zitternden Händen etwas wieder zu zerstören, über dessen wundergleiches Zustandekommen sie sich in aller Heimlichkeit so rührend gefreut hatte, noch freute! – Gustav! ja! er war der Rechte, der Einzige, der ihre Sache in die Hand nehmen konnte. Er durfte ihr jetzt nichts anderes sein, als ein Bruder! So mochte er die Pflicht erfüllen, die ein Bruder in solchem Falle gegen die Schwester hat! Es würde ihm entsetzlich sein – gleichviel! sie konnte es ihm nicht ersparen. Und vermutlich war er schon darauf vorbereitet. Es war nicht anzunehmen, daß für 234 Axels Busenfreund ein Geheimnis geblieben sein sollte, was Axel und alle Welt wußte.

Sie war an das Fenster getreten. Gustav mußte eben zurück gekommen sein; er schritt auf Axel zu, der aus dem Buchengange ihm entgegen kam. Ihr schlug das Herz. Jetzt mit Gustav beisammen zu sein! jetzt, wo die Schranke gefallen! – Und Isäa und das Kind? Ach, es war ja alles, wie es gewesen – nur noch trauriger, trostloser! Hätte sie's doch genommen, wie es ohne ihre Schuld geworden war, zu der Stunde, als sie das Entsetzliche erfuhr! Dann wäre sie eine Verlassene, Verratene gewesen mit geknicktem Stolz und zertretenen Hoffnungen, wie – so viele! Das hatte sie nicht ertragen zu können geglaubt; hatte sich in aller Eile eine neue Position schaffen, sich durch den einen Bruder an dem andern rächen wollen. Nun sah sie sich von beiden verraten, und hatte nur die Wahl, was sie vorzöge: von dem einen an eine Dame verraten zu sein, oder von dem andern – an eine Dirne!

Sie war scheu vom Fenster zurück gewichen und stand vor dem Spiegel. Die beiden Herren würden wohl noch ein wenig warten müssen. Wenn sie es auch nun schon gewohnt war, zu Isäas stolzerer Schönheit empor blicken zu müssen, so wollte sie es doch nicht mit verweinten Augen. –

Unterdessen hatten Gustav und Axel im Garten sich begrüßt.

Du kommst spät, sagte Axel verdrießlich; ich sitze hier schon seit einer Stunde wie die Butter an der Sonne.

Wo sind die Damen?

Machen Toilette – schlafen – was weiß ich! Es fehlte nicht viel, so hätte ich meinen Schimmel vorführen lassen, und ihr hättet die Partie allein machen können. Sollen wir die Damen rufen?

Einen Augenblick! ich bin wie aus dem Wasser gezogen.

Bist Du denn nicht geritten?

Darf ich nicht mehr, mon cher! seitdem mein gnädiger Herr mir anempfohlen hat, Figaros ehrwürdiges Alter etwas freundlicher zu berücksichtigen.

Sehr liebenswürdig von ihm.

235 Nicht wahr? Uebrigens heute die Spendabilität selbst! Unsre Gesellschaftsidee hat die hohe obrigkeitliche Bewilligung erlangt! Brennt sogar darauf: je früher, je besser. Wie denkst Du über Montag?

Paßt mir vollkommen; kann am Abend mit um so leichterem Herzen tanzen, wenn ich den Tanz am Morgen mit meinem Alten hinter mir habe.

Am Montag – weiß! wirst Du dabei auch gleich die andere Geschichte zur Sprache bringen?

Welche Geschichte?

Die in Prora – welche sonst?

Er hat Dir das erzählt? Uhlenhans?

Beruhige Dich! ganz unter uns Brüdern!

Das ist schändlich!

Wieso?

Er hat mir sein Ehrenwort gegeben, vor Montag frühestens mit niemand darüber zu sprechen.

Auch wenn er darüber in den schönsten Verdacht geriet?

Das ist ganz gleich. Ehrenwort ist Ehrenwort. Was hatte er sich überhaupt in die Geschichte zu mischen? ich wäre schon allein fertig geworden. Nun ist genau das geschehen, was ich gerade vermeiden wollte. Wozu brauchte überhaupt davon geredet zu werden? Und noch gar jetzt? In ein paar Tagen konnte sie wieder nach Sundin zurück gehen, oder wohin sie wollte, und hätte dann eine Pension von mir gekriegt, und kein Hahn hätte danach gekräht.

Ja, mon cher, geschehene Dinge sind einmal nicht zu ändern. Darin hast Du freilich recht: wenn ihr beide, Du und die Hanne, schweigen wolltet – und sie scheint das ja gethan zu haben – so hatte kein Dritter das Recht, Dich in den Mund der Leute zu bringen, und wäre es auch nur als Folge eines gutmütigen Sicheinmischens in der besten Absicht.

Der Teufel hole die besten Absichten, wenn sie solche Folgen haben!

Einverstanden. Und nun will ich Dir einen guten Rat geben: halte den Mund, wie bisher; am allerwenigsten stelle Hans 236 zur Rede und provoziere eine Scene. Ich werde ihm demonstrieren, daß er den üblen Dienst, den er Dir geleistet hat, nur wieder gutmachen kann, wenn er ebenfalls den Mund hält und sich die Geschichte im Sande verlaufen läßt, wie sie es ohne seine Einmischung jedenfalls gethan haben würde. Daun braucht sie auch Dein Alter nicht einmal zu erfahren, was Dir ja doch besonders unangenehm zu sein scheint.

Weil es ihm ein willkommener Vorwand gewesen sein würde, die alte Litanei über meine Liederlichkeit, Verschwendung – na, Du kennst das ja! – von neuem anzuheben; das würde ihm am Montag prächtig in den Text gepaßt haben.

Den er Dir auch später, wenn die Sache zur Sprache kommt, lesen würde. Deshalb noch einmal: es ist besser, sie kommt nicht zur Sprache, und ich werde alles daran setzen, daß es nicht geschieht.

Wenn Du das könntest, ich würde es Dir nie vergessen.

Dummes Zeug! ich dächte, wir wären uns gegenseitig schon ein bißchen mehr schuldig als die Lumperei. Nun scheint es mir aber die höchste Zeit, wenn wir überhaupt noch fort wollen. Oder hast Du keine Lust?

Zum Teufel, ich warte schon seit einer Stunde darauf!

Also! Noch eines! Soll ich Dir hernach im Walde Gelegenheit geben, Hertha Deine Huldigungen zu Füßen zu legen? oder bleibt es bei dem alten Regime?

Daß ich der Kavalier Deiner Frau bin? Nun, wenn es sich nicht anders machen läßt, – es ist noch nicht das Schlechteste, was einem jungen Mann passieren kann.

Sehr obligiert! Verbrenne Dir nur nicht Deine Flügel, Du Allerweltsschmetterling!

Es kommt mir manchmal so vor, als ob Du auf dem schönsten Wege wärest, daß Dir dasselbe bei Hertha passierte oder bereits passiert ist.

Dein Ernst, mon cher?

Nein! Aber wie man in den Wald ruft, so schallt die Antwort.

Daun lasse ich's mir gefallen! Da sind die Damen!

237 Isäa und Hertha kamen vom Hause her; Gustav eilte ihnen entgegen. Axel nahm Hut und Handschuhe vom Tisch, vor sich hin lächelnd und durch die Zähne murmelnd:

Du wirst Dir noch manches gefallen lassen müssen, wovon Du Dir in diesem Augenblicke nichts träumen läßt!


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