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Viertes Kapitel.

Drei Tage später war Justus in das Schloß übergesiedelt, dasselbe Schloß, von dem Isabel an jenem Sonntagsmorgen im Walde gesagt hatte, er werde es wohl nie betreten, und das er auch ohne ihre Hilfe schwerlich jemals betreten haben würde. Nun er einmal da war, ließ sie ihm ihre Hilfe weiter gnädig angedeihen und machte ihn, – mit dringlich zugeflüsterten Worten, wenn sie einmal ein paar Minuten allein waren, in der Gesellschaft mit einem ermutigenden Zwinkern der Augen, oder für andere nicht merklichem, für ihn völlig verständlichen Schütteln des Kopfes – aufmerksam auf das, was er nach ihrer Meinung zu thun oder zu lassen hatte. War sie es gewesen, die ihn hierher gebracht, so wollte sie auch Ehre mit ihm einlegen um ihrer selbst willen, deren Prestige das Gegenteil arg geschädigt haben würde, und kaum weniger seinetwegen, der mit so treuer Liebe an ihr hing, und von dem sie überzeugt war, daß sie sich auf ihn verlassen könne, es möchte nun kommen, wie es wolle. Er seinerseits, von jeher gewohnt, auf jeden ihrer Winke zu achten, in jedem ihrer Wünsche einen Befehl zu sehen, dem zu gehorchen seine teuerste Pflicht, that es jetzt mit doppeltem Eifer, wo er sich in Verhältnissen zu bewegen hatte, die ihm bis dahin völlig fremd gewesen waren, und in denen anzustoßen er peinlich Scheu trug. Wollte sie Ehre mit ihm einlegen, so war es ihm ein entsetzlicher Gedanke, ihr Schande zu machen. Er war glücklich, wenn sie ihm gelegentlich freundlich zunickte, oder gar im Vorübergehen leise sagte: Du bist wirklich ein prächtiger Junge, Sonntagskind; ich bin sehr mit Dir zufrieden.

Es schienen das vorläufig auch alle anderen Bewohner des Schlosses, sogar die Bedienten, denen er durch seine Anspruchslosigkeit jeden Vorwand nahm, dem »Försterjungen« zu zürnen, in welchem sie einen »jungen Herrn« respektieren sollten. Nur der Herr des Schlosses selbst machte eine Ausnahme. Er konnte des »Refus« nicht vergessen, den er sich an jenem Morgen von Justus geholt, als er ihm den Vorschlag machte, dessen Ausführung nun erfolgt war – auf Betreiben Isabels. Als ob es sich um eine Haupt- und Staatsaktion handele, grübelte er darüber, welche Motive sie dabei geleitet haben könnten. Es dämmerte ihm die Ahnung auf, daß er in der ganzen Angelegenheit der »Dupe« der »kleinen Hexe« gewesen sei, und er ließ keine Gelegenheit ungenutzt, sich darüber Gewißheit zu verschaffen und sie durch scheinbar unverfängliche Fragen zum Geständnis der Wahrheit zu bringen. Aber da »mußte der Herr Graf früher aufstehen«, wie Isabel lächelnd bei sich sagte, wenn sie durch die Schlingen, die er ihr stellte, aalglatt hindurchschlüpfte; von Justus nur immer als einem »guten Jungen« sprach, »dem niemand gram sein könne«, und sich im stillen über die Eifersucht, mit welcher der hochgeborene Herr den »guten Jungen« beehrte, köstlich amüsierte.

Dabei ärgerten ihn die Verpflichtungen, die er Justus gegenüber doch schließlich übernommen hatte, und deren Ende, wie die Dinge lagen, nicht abzusehen war, um so mehr, als bei dem allen für Armand nichts, oder so gut wie nichts herauskommen würde. Es hatte sich nämlich bereits erwiesen, daß von einem gemeinschaftlichen Unterrichte der beiden jungen Leute, wie man ihn ursprünglich in Aussicht genommen, nicht wohl die Rede sein dürfe. Dazu war der Förstersohn dem jungen Grafen an Kenntnissen viel zu überlegen, selbst in den Fächern, in denen sein geringeres Wissen ihm nicht zur Schuld angerechnet werden konnte, sondern dem guten Pfarrer, der ihn hier völlig im Stich gelassen hatte.

Indessen, sagte Doktor Müller zum Grafen, ist es bei seinem Fleiß und seiner entschiedenen Begabung kein Zweifel, daß er diese Lakunen bei einiger Nachhilfe bald ausgefüllt haben wird und zu Ostern in die Prima eines Gymnasiums eintreten kann.

Und Armand? fragte der Graf.

Ich hoffe mit Bestimmtheit, ihn bis dahin für die Sekunda reif zu machen.

Der Graf ging mit erregten Schritten in seinem großen Arbeitskabinet, in welchem die Unterredung stattfand, auf und ab.

Und wie denken Sie sich die Geschichte nun weiter? fragte er ärgerlich.

Ich denke, erwiderte der Doktor ausweichend, daß es immer ein großer Vorteil für den jungen Grafen sein wird, einen so braven und intelligenten Jüngling neben sich zu haben.

Auf wie lange? rief der Graf stehen bleibend, auf ein halbes Jahr vielleicht, wenn wir im nächsten Monat für den Winter nach Berlin gehen, und Armand zu Ostern das Examen nach Sekunda, wie ich stark vermute, nicht machen kann und uns nichts anderes übrig bleibt, als ihn auf eine Fähnrichpresse zu geben! Dann ist der Spaß aus, und ich habe den jungen Menschen für seine übrige Gymnasialzeit, seine Universitätsjahre und wo möglich noch für weiter auf der Tasche.

Da dies alles, als man Justus ins Schloß lud, nicht nur vorauszusehen, sondern ihm auch in bündiger Form zugesagt und versprochen war, konnte der Doktor nicht umhin, den ärgerlichen Ton des Grafen gewissermaßen ungerechtfertigt zu finden. Er durfte sich sagen, daß er dem jungen Menschen persönlich nicht übelwolle, mußte aber doch auch an das Wort denken, welches dem Christen befiehlt, fromm wie die Tauben und klug wie die Schlangen zu sein. Die Klugheit gebot, es um des jungen Menschen willen nicht mit seinem gnädigen Herrn zu verschütten, der ihm die nächste auf seinen Gütern freiwerdende evangelische Pfarre zugesichert hatte. Vielleicht war es gut, wenn man das Thema wechselte.

Mademoiselle Margot, sagte er, ist hocherfreut über die Anwesenheit von Fräulein Isabel. Sie behauptet, daß die Komtesse, die bis dahin das Französische weniger liebte, seitdem bedeutende Fortschritte mache, um es Fräulein Isabel gleich zu thun, deren vortrefflichen Accent Mademoiselle Margot nicht genug zu rühmen weiß.

Hüten Sie sich nur, Ihre Bewunderung für Fräulein Isabel Ihrer Verlobten allzudeutlich zu zeigen! sagte der Graf.

Der Doktor war bis unter die Brillengläser rot geworden.

Ich wüßte doch nicht – begann er zu stammeln.

Ich wollte Ihnen nur einen guten Rat gegeben haben, unterbrach ihn der Graf trocken. Und wenn Sie mir sonst nichts weiter mitzuteilen hätten –

Doktor Müller verließ in großer Zerknirschung das Kabinet des Grafen. Wie allen anderen, so hatte auch ihm die kleine Zauberin es angethan; er erschrak bei dem Gedanken, Mademoiselle Margot könnte, wie der Herr Graf doch angedeutet zu haben schien, seine Neigung, vielmehr seine Leidenschaft bemerkt haben. Seine höchst sündige, höchst sträfliche Leidenschaft, wie er sich selbst anklagte, wenn er abends nach des Tages Mühen in seinem Zimmer unter dem großen Christusbilde an der Wand auf und nieder schritt, bald »führe mich nicht in Versuchung!« betend, bald sophistisch die Frage argumentierend, ob das Übel, ein junges Mädchen, das noch dazu ein halbes Kind war, schön, bildschön, reizend, zum Entzücken reizend zu finden, denn wirklich so groß sei, erstens in rein moralischem Sinne und zweitens gegenüber Mademoiselle Margot. Zwar war die Dame noch nicht offiziell seine Braut, wie der Herr Graf sie genannt, aber er hatte ihr allerdings bereits seit zwei Jahren Treue gelobt und die Ehe versprochen. Durfte nun schon bei einem Predigeramtskandidaten und zwiefachen Doktor: der Theologie und Philosophie die Treue kein leerer Wahn sein, auch wenn die Erwählte seines Herzens sich den Dreißigen stark näherte und durch sündige Schönheit nicht eben auszeichnete, so galt auch Mademoiselle Margot sehr viel bei der Frau Gräfin, und sie zu erzürnen, oder gar es mit ihr zu verderben, war mindestens »keine gute Philosophie«. Als Doktor dieser Disziplin war es seine Pflicht, die nächste Gelegenheit zu benutzen, um sich zu vergewissern, daß die betreffende Warnung des Herrn Grafen doch nichts mehr als ein gnädiger, allerdings etwas anzüglicher Scherz gewesen sei.

Die Gelegenheit fand sich alsbald auf einer Fußpromenade, welche er mit den beiden Gouvernanten und den jungen Leuten durch den Park machte. Er hatte es so einzurichten gewußt, daß er mit der Genferin etwas hinter den anderen zurückbleiben konnte, und glaubte es besonders klug anzufangen, wenn er, stehen bleibend und die goldene Brille höher auf die Nase rückend, verstohlen auf Isabel deutend, die mit Miß Brown vor ihnen ging, lächelnd sagte:

Können Sie sich denken, teure Adelaide, daß der Herr Graf mich soeben mit einer Vorliebe, welche ich für die kleine Polin haben soll, geneckt hat?

Sie sollten sich schämen, mein Herr! sagte die Dame.

Sie war ebenfalls stehen geblieben und starrte ihn mit den immer vorquellenden blaßblauen Augen an, während die dünnen Lippen über den gelben Zähnen zitterten, und die Spitze ihrer langen Nase weiß vor Zorn wurde.

Ja, schämen sollten Sie sich, wiederholte sie im Flüstertone kaum gezügelter Leidenschaft, während der Gegenstand ihres Zornes in ratlosem Schrecken sprachlos war; denken Sie denn, daß ich blind bin und nicht sehe, wie Sie hinter Ihren Brillengläsern fortwährend nach dem garstigen Dinge schielen? nicht sehe, wie Sie krampfhaft an Ihren Manschetten und Ihrem Hemdkragen zu zupfen beginnen und sich in den Hüften recken und Ihre Füße in eine Position bringen, die Sie für zierlich halten, sobald der häßliche Affe in Ihre Nähe kommt? Ein Ding von kaum vierzehn Jahren! Es wäre lächerlich, wenn es nicht so schamlos wäre! Aber Ihr Männer seid Euch alle gleich. Wann wäre wahres Verdienst jemals von Euch anerkannt, die Tugend jemals von Euch gewürdigt worden!

Und die erzürnte Dame schwenkte ihren zusammengeklappten Sonnenschirm so heftig, daß der Doktor unwillkürlich einen halben Schritt zurücktrat, murmelnd:

Sie sind ungerecht, Adelaide!

Nennen Sie mich nicht Adelaide! rief sie, kaum noch ihre Stimme mäßigend. Wir sind getrennt – für immer.

Sie that ein paar rasche Schritte, dabei den Sonnenschirm aufreißend. Er schlich her hinter ihr, die ihm noch nie so häßlich erschienen war, das Herz voll Wut, und, als Philosoph, überlegend, daß, mit der Günstlingin der Gräfin zu brechen, die Pfarrstelle in Neuwaldburg aufs Spiel setzen heiße.

Adela – Mademoiselle Margot! murmelte er.

Was beliebt? sagte sie, langsamer gehend und den Sonnenschirm zuklappend, dessen Schutz allerdings der mit Wolken bedeckte Nachmittagshimmel unnötig machte.

Ich wollte, fuhr er, jetzt wieder an ihrer Seite, fort, nur an Ihr christliches Herz appellieren und – und an die Gemeinsamkeit unserer Interessen, die es denn doch wohl rätlich erscheinen lassen, daß wir hier weiter wie bisher Hand in Hand gehen. Und wenn ich wirklich – zu – freundlich gegen die kleine Person gewesen sein sollte, so bin ich doch nur Ihrem Beispiel gefolgt. Haben Sie nicht immer und noch gestern vor versammelter Gesellschaft ihr Lob in allen Tönen gesungen?

Und das werde ich auch weiter thun, sagte die Dame.

Ich verstehe Sie nicht.

So will ich es Ihnen erklären. Wer von uns es wagen wollte, gegen die abscheuliche Intrigantin zu sprechen, würde sich arg die Zunge verbrennen, mehr noch: riskieren, fortgejagt zu werden. Ich sage Ihnen, mein Lieber: sie ist allmächtig. Ich denke, es wird nicht ewig dauern, aber jetzt ist sie es. Haben Sie denn noch nicht begriffen, mon cher, daß der Herr Graf sie anbetet – von Armand nicht zu sprechen, der bis über die Ohren in sie verliebt ist? Daß die sentimentale Komtesse lieber sterben würde, als sich von ihrem Abgotte trennen zu lassen? daß in der Gesellschaft die älteren Herren dem Beispiele des Grafen und die jüngeren dem Armands folgen? daß die Damen selbst in den lächerlichen Chor einstimmen, mit kaum hier und da einer Ausnahme?

Und die Frau Gräfin? fragte der Doktor begierig, gehört sie zu diesen Ausnahmen?

Leider nein. Die Intrigantin hat sie umgarnt wie alle andere. Mein Gott, man muß doch auch nur sehen und hören, mit welchem Raffinement sie ihr den Hof macht und sich bei ihr einzuschmeicheln weiß! Aber das wird nicht vorhalten. Ich kenne meine Frau Gräfin. Man muß nur Geduld haben, abwarten, die rechte Gelegenheit benutzen –

Die Genferin nagte an ihrer Oberlippe, und ihre hervorquellenden Augen starrten auf den Boden, als spähte sie in dem Kies des Weges nach der erwünschten Gelegenheit. Sie ist abscheulich, dachte der Philosoph, und laut sagte er:

Ja, ja, sie ist gefährlich, die kleine Schlange. Man muß sie schonen. Mit dem Monsieur Justus hätte man leichteres Spiel. Der Herr Graf mag ihn nicht.

Das glaube ich, sagte die Genferin höhnisch, und Armand ebensowenig, obgleich er klug genug ist, es sich nicht merken zu lassen. Da könnte man den Hebel einsetzen.

Ich verstehe Sie nicht.

Ich erkläre Ihnen das gelegentlich. Jetzt müssen wir wieder zu den anderen. Miß Brown hat sich schon ein paarmal umgedreht. Das ist auch eine Intrigantin, die mit der Schlange unter einer Decke steckt. Ich hoffe, noch den Tag kommen zu sehen, wo sie beide spurlos von der Bildfläche verschwinden.

Aber mir haben Sie verziehen? sagte er.

Ich muß ja wohl, erwiderte sie mit einem Lächeln, das die Spitzen der gelben Zähne zwischen den dünnen Lippen sehen ließ und den Philosophen, obgleich es offenbar freundlich gemeint war und er es ebenso zu erwidern versuchte, innerlich schaudern machte. Der Elende dachte an die roten Lippen und die Elfenbeinzähnchen des holden Geschöpfes, das da vierzig Schritte vor ihnen neben Miß Brown ging.


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