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Zweites Kapitel.

Er war nicht im mindesten erschrocken: es gehörte ja zum Märchen. So sagte er ruhig: Du bist die Fee Isabel; und wahrlich, Du kommst zur rechten Zeit, denn heute nacht muß es geschehen.

Und Du bist mein närrisches Sonntagskind, das am hellen Tage träumt, sagte das lachende Stimmchen hinter ihm. Zugleich waren die Händchen von seinen Augen weggezogen und er wandte sich. Ich träume nicht, sagte er.

In Wahrheit wußte er aber nicht, ob er wache, oder träume. Denn so, wie sie dastand, hatte er sie eben in seines Geistes Auge gesehen: dieselben braunen Strahlenaugen, dasselbe goldene Haar, gleißend in dem Streifen Sonnenlicht, der den Scheitel traf. Nur das weiße Kleid mit dem roten Gürtel stimmte nicht ganz – Feen tragen nur mondscheinblaue, gürtellos wallende Gewänder. Das brachte ihn zur Besinnung. Dazu der gelbe Strohhut, den sie, um ihm die Augen zuhalten zu können, neben sich auf das Moos geworfen. Mit gelben Strohhüten haben Feen ein- für allemal nichts zu schaffen. Da war es denn freilich klar: er hatte wieder einmal am hellen Tage geträumt. Sonntagskind! Nun ja, er war eines – die Mutter hatte es gelegentlich, nicht ohne Stolz, ausgeplaudert. Seitdem neckte ihn Isabel beständig damit, wenn er, wie eben, etwas gesagt oder gethan, was ihr wunderlich schien und ihren allzeit bereiten Spott wach rief, den er sich sonst so gern, ach! so gern gefallen ließ. Aber heute, in seiner halb feierlichen, halb eifersüchtigen Stimmung, war ihm der Spott empfindlich. So sagte er denn mit dem Versuch, eine strenge Miene zu machen:

Du bist doch nicht gar mit den aufgelösten Haaren im Schloß gewesen?

Er war ein wenig auf die Seite gewichen, damit sie den vollen Schatten des Stammes haben möchte. Aber sie blieb stehen, und um den feingeschnittenen Mund zuckte blitzschnell ein Lächeln. Jungen sind aber auch zu dumm! Ahnte der nicht, daß sie erst, als sie ihn unter der Tanne liegen sah, ihre Haare aufgeflochten hatte, weil ihr plötzlich ein Sonntagmorgen im vorigen Sommer eingefallen war. Er kam, sie in den Wald zu holen. Base Anna hatte gerade angefangen, ihr das ausgekämmte Haar zu flechten, und er hatte dabei gestanden, verschämt, nicht wissend, wo er die großen blauen Augen lassen sollte, die sich doch immer wieder verstohlen zu ihr wandten.

Hätte sie gewußt, wie schön sie der Knabe fand, ihr eitles Herz wäre zufrieden gewesen. Aber er blickte zur Seite, das Moos auf der Stelle, die er ihr zugedacht, mit der rechten Hand glättend und seine Frage wiederholend. Sie machte ein Mäulchen, kauerte neben ihm hin, fuhr mit dem Zeigefinger durch ihr Haar, es so in zwei Teile scheitelnd, und begann die rechte Hälfte zu flechten. Als der dicke Zopf fertig war, warf sie ihn in den Nacken zurück, lächelte jetzt offen den Gefährten an und sagte: Ach, das hat gut gethan! Es war mir so heiß! So, nun flechte Du weiter!

Der Knabe wurde dunkelrot.

Ich glaube, ich verstehe es nicht, sagte er zaghaft.

So versuche es!

Er that, wie sie geheißen; aber kam mit den zitternden Händen nicht eben weit.

Du kannst doch rein gar nichts, sagte sie, sich ihm entziehend. Und dann, während ihre kleinen weißen Finger geschickt in den Haaren nestelten, und er traurig vor sich niederblickte:

Die Herrschaften waren ausgefahren – zum Besuch bei Graf Reichenbach – für den ganzen Tag. Wir sind gleich wieder umgekehrt; nur die schwarzen Schwäne im Teich habe ich noch gefüttert. Schon seit einer Stunde sind wir wieder hier. Ich habe bei Euch zu Hause nach Dir gefragt. Deine Mutter sagte: Du wärest im Wald. Da bin ich Dir auf gut Glück nachgelaufen.

Sie hatte jetzt auch den zweiten Zopf fertig und gab dem Gefährten mit der Spitze desselben einen leichten Schlag auf die Hand.

Sonntagskind, sagte sie, ich sollte Dir eigentlich böse sein, daß Du mir zutrauen konntest, ich wäre mit aufgelösten Haaren ins Schloß gegangen. Du bist auch sonst heute gar nicht nett zu mir. Willst du mir wenigstens meine Aufgaben zu morgen machen: den Aufsatz und die dummen Exempel?

Er wollte antworten: ich mache sie Dir doch immer. Das deuchte ihm ungroßmütig. So sagte er nur: herzlich gern; aber –

Was?

Ich habe noch eben daran gedacht.

Woran? Laß Dir doch nicht alles so abfragen!

Wie es werden soll, wenn ich Michaelis nach T. Von der vierten Auflage (1897) an: »in die Stadt«. - Anm.d.Hrsg. auf die Schule komme. Warum lachst Du?

Du machst ein so komisches Gesicht. Das ist doch nicht schlimm: auf die Schule! Das muß doch sehr amüsant sein. Und hier ist es so langweilig! Nun, ich werde auch nicht immer hierbleiben.

Du meinst, wenn sie Dich aufs Schloß nehmen. Ja wollen sie Dich denn wirklich da?

Ob sie mich wollen! Natürlich wollen sie mich. Aber es fragt sich, ob ich will.

Sie hatte sich an den Stamm zurückgelehnt und tippte mit halbgeschlossenen Augen die Spitzen ihrer Finger gegeneinander. Er blickte sie erwartungsvoll, ängstlich von der Seite an.

Denn siehst Du, fuhr sie mit einem belehrenden Tone fort, der dem vierzehnjährigen kleinen Ding wunderlich genug stand, es ist nicht alles Gold was glänzt. Natürlich werde ich dort immer neue Kleider haben und in dem Ponywagen mit der Komtesse ausfahren und mich überhaupt prächtig amüsieren. Und dann bin ich Muhme Anna los, die mit jedem Tage unausstehlicher wird, und mit dem Onkel wird es auch immer schlimmer. Männer, die trinken, sind abscheulich: sie haben so wässerige Augen und riechen so nach Wein und Cigarren. Auf dem Schlosse betrinkt man sich nicht. Und Du glaubst gar nicht, wie schön es da ist – Du bist ja noch nie da gewesen, Du armer Junge, und wirst wohl auch niemals hinkommen und Dir das alles nur so träumen müssen. Das verstehst Du ja. Aber, so schön, wie es ist, Sonntagskind, das kannst Du Dir doch nicht träumen. Ich sage Dir: so große hohe Säle mit wunderschönen Bildern an den Wänden in so breiten goldenen Rahmen! und die Tapeten von Seide – wahrhaftig, Du magst es glauben oder nicht: von bunter Seide, in die auch wieder Bilder gestickt sind! Und ich werde in einem Zimmer allein schlafen neben Komtesse Sibylle und Armand will mich reiten lehren –

So ging es noch ein paar Minuten fort mit großer Zungenfertigkeit, während die braunen Augen heller und heller erglänzten. Aber Justus hörte nur noch dann und wann ein Wort. Armand wollte sie reiten lehren! Armand – das war der junge Graf. Im Leben hatte er ihn noch nicht anders nennen hören, als »der junge Herr Graf«, oder etwa: »der junge Graf«. Und sie sagte so ohne weiteres: Armand, wie sie Justus gesagt haben würde! Das schnitt ihm ins Herz; er wußte nicht warum; es kam ihm nur so seltsam unheimlich vor. Oder war es, daß sie, während sie sich die Herrlichkeiten des Lebens auf dem Schlosse ausmalte, nicht ein einzigesmal an ihn dachte, und was aus ihm werden sollte, wenn er denn wirklich niemals auf das Schloß kam? er, der noch eben hatte für sie sterben wollen im nächtlichen Kampf mit dem schrecklichen Ogre beim roten Licht der Fackeln auf dem Hof des Zauberkastells? Eine wunderliche Empfindung wallte ihm in der Brust auf und stieg bis in die Kehle, die wie zugeschnürt war, und die Augen wurden ihm heiß, aber er biß die Zähne tapfer aufeinander und sagte, noch halb durch die Zähne, mit einer Stimme, die ihm seltsam klang, als wäre es gar nicht seine eigene:

Du sollst Dich meiner nicht zu schämen haben. Ich will auch fort aus dieser Polakei in die Welt zurück, wo es nur Deutsche giebt und wo wir hergekommen sind. Da will ich etwas werden, etwas –

Was denn?

Vor ein paar Minuten würde ihn die Frage in schwere Verlegenheit gesetzt haben; in der verzweifelten Stimmung, in der er war, fürchtete er sich vor nichts.

Etwas ganz Großes, rief er, ein berühmter Mann, wie, wie – Schiller. So etwas wie die Räuber kann ich auch schreiben. Ich habe sogar schon angefangen – zwei Akte, und jetzt bin ich im dritten.

Sie lachte nicht, wie er es schon im Geist gehört. Sie blickte ihn starr mit großen, glänzenden Augen an:

Wahrhaftig, Sonntagskind?

Wahr und wahrhaftig. Ich wollte es dir nur nicht sagen, bis ich fertig wäre.

Aber dann liest Du es mir vor!

Gewiß! darum nur schreibe ich es ja.

Du guter, lieber Junge!

Sie hatte ihn, der jetzt vor ihr stand, an beiden Händen ergriffen und wieder an ihre Seite in das Moos gezogen.

Ach, das ist prächtig; rief sie. Du wirst also ein Dichter. Und weißt Du, was ich werde? Schauspielerin! Das ist gar nicht so schwer, wenn man dazu geboren ist. Ich hab's Dir, glaube ich, noch nicht erzählt: vorigen Sonntag im Schloß – wir führen eine Charade auf – weißt Du, was das ist? – na, es schadet nichts – und da sagte die Frau Gräfin zu Miß Brown, – das ist die neue englische Erzieherin – ich sollte es nicht hören, aber hörte es ganz deutlich: sie ist die geborene Schauspielerin. Und Muhme Anna sagt alle Augenblicke: Du bist eine Komödiantin. Und, weißt Du, Komödiantin und Schauspielerin, das ist ganz dasselbe. Sie will mich eigentlich damit ärgern; aber ich ärgere mich gar nicht darüber; ich finde es wunderschön, wenn man eine Komödiantin ist und immer Prinzessinnen spielt und seidene Kleider trägt.

Justus war nicht ganz sicher, daß Schauspielerinnen nur Prinzessinnen zu spielen haben und immer seidene Kleider tragen; aber die braunen Augen leuchteten jetzt so herrlich dicht vor seinen Augen, und die roten Lippen lächelten so stolz im Vorgefühl all der Triumphe, welche die Zukunft bringen würde, – er hatte nicht den Mut, einen Zweifel laut werden zu lassen. Und natürlich, wenn er ein Dichter würde und sie Schauspielerin, so würden sie immer beisammen sein. Auf einmal fiel ihm schwer auf die Seele, was sie da vorhin von dem Schlosse gesagt hatte, wohin sie nun bald kommen werde.

Wenn sie Dich nun nicht wieder weglassen? sagte er.

Sie verstand ihn sogleich.

Nun, sagte sie, wohlgefällig lächelnd; schwer wird es halten. Sie mögen mich alle so gern! Aber so schnell geht das ja auch nicht – mit dem Schauspielerin werden, meine ich. Ich muß doch noch ein bißchen wachsen – nicht viel, nur ein bißchen. Meinst Du nicht?

Sie war in die Höhe gesprungen; er hatte sich auch schnell erhoben, und sie maßen sich gegenseitig. Er war nicht groß für seine sechzehn Jahre und doch einen Kopf größer als sie. Und dann; Feen können und müssen so klein und zierlich sein; aber Schauspielerinnen –

Nun ja, ein bißchen! sagte er zögernd.

Gar nicht viel! sagte sie.

Nein, gar nicht viel! wiederholte er sklavisch.

Also das ist abgemacht; rief sie, Du wirst ein Dichter, Sonntagskind, und ich werde Schauspielerin. Hand darauf?

Sie hielt ihm ihre kleine Hand hin, nach der er mit beiden Händen griff.

Du bist eigentlich doch der beste Junge von der Welt, sagte sie, ihr Gesicht ganz nahe an das seine bringend, und heute hast Du auch Deinen hübschen Tag. Nun? – Gott, ihr Jungens seid auch zu dumm!

Sie hatte ihm lachend einen Kuß gegeben; er stand da glückselig, dunkelrot, unsäglich albern.

So! sagte sie; nun wollen wir nach Hause. Und heute nachmittag kommst Du und machst mir meine Aufgaben: den Aufsatz und die dummen Exempel!


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