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Drittes Kapitel.

Der Förster Arnold hatte, als er vor Tisch aus dem Revier zurückkam, seine Frau vor der Hausthür sitzend gefunden, mit einer Stickerei beschäftigt, die sie jetzt nicht mehr vor ihm geheim zu halten brauchte. Seine erste Frage war nach Justus gewesen, der mit den Damen nach dem Schlosse gefahren war, wo er zu Mittag essen sollte und wohl bis zum Abend bleiben würde. Die Damen hatten darauf bestanden. Sie erzählte weiter, wie die Komtesse und das englische Fräulein sich, während Isabel Justus aus der Pfarrei holte, von ihr die Wohnung und den Garten hätten zeigen lassen. Das viele Freundliche, das sie dabei aus dem Munde der Komtesse zu hören bekommen, und wie auch das englische Fräulein ihr in gebrochenem Deutsch die schönsten Komplimente über die saubere Haushaltung gemacht habe, erwähnte sie in ihrer Bescheidenheit nicht.

Der Förster hatte nachdenklich zugehört. Dann nahm er der Erregten sanft die Stickerei aus den zitternden Händen, legte sie in das Körbchen auf dem Tische und sagte: Genug für heute, Luise! Du hast bereits wieder ganz entzündete Augen. Und Du weißt, es macht mich immer nervös, wenn ich jemand so mit der Nadelspitze die dummen Stiche zählen sehe. Wenn's nach mir geht, läßt Du überhaupt jetzt das Sticken. Wir brauchen den Löb nicht mehr, und den Hungerlohn, den er Dir für Deine Arbeit gezahlt hat. Gott mag's mir verzeihen, daß ich's so weit habe kommen lassen.

Aber wir brauchten ihn doch, wenn Justus auf die Schule sollte, wandte Frau Arnold schüchtern ein.

Wäre es nur das gewesen, sagte der Förster, Luise, Du weißt noch nicht alles, und ich –, ich möchte es gern von der Seele haben.

Es wird so schlimm nicht sein, sagte Frau Arnold und versuchte zu lächeln, während ihr Herz sich zusammenkrampfte.

Ja, es ist schlimm, murmelte der Förster. Gleichviel!

Des Mannes breite Brust hob und senkte sich unter ein paar tiefen Atemzügen; aber er rühmte sich, einen Entschluß, hatte er ihn einmal gefaßt, durchzuführen, mochte es ihm auch so schwer ankommen, wie diese Beichte.

Denn eine wirkliche Beichte war's, und die weit in des Mannes üble Vergangenheit zurückgriff. Ein paar Jahre, nachdem sie hier sich angesiedelt, war der Löb aus dem russischen Polen nach T. gekommen, und er hatte alsbald die Bekanntschaft des Mannes gemacht in T. selbst und hier in Eisenhammer im Wirtshaus, wie denn der Mann überall in der Gegend herumspioniert und besonders die Wirtshäuser frequentiert habe. Der Mensch sei immer besonders freundlich zu ihm gewesen, ja, habe sich ihm förmlich aufgedrängt, und er es nicht ungern geduldet, weil der Jude ein gescheiter Mensch gewesen sei, mit dem man sich gut über alle möglichen Dinge habe unterhalten können. Bis er dann schließlich dahintergekommen, wo der Mann hinaus wolle.

Hier hatte der Förster eine Pause gemacht, in der er wieder ein paarmal schwer aufatmete, und dann entschlossen also weiter gesprochen:

Was soll ich lange damit hinter dem Berge halten! Der Löb ist der größte Schmuggler, den wir hier an der Grenze haben. Das heißt: er hütet sich wohl, einen Finger dabei zu rühren; aber Du weißt, er findet hier herum viele Finger und Hände und Beine, die es für ihn thun. In seinem Hause in T., vielmehr in dem Keller seines Hauses, wird dann die Ware aufgespeichert, die von da aus überall hingeht: besonders Thee, auch Tulaer feine Industriewaren, orientalische Webereien und russische Stickereien sind es doch immer dergleichen Muster, die Du nachzumachen hattest, Du armes Ding – Sachen, die er dann natürlich für echt ausgiebt, und an denen er Hunderte von Prozenten verdient. Mit gemeinen Dingen befaßt er sich nicht; das bringt nichts ein und ist viel riskanter. Nun siehst Du, ich hätte mich, als ich das erfahren, von dem Kerl zurückziehen sollen, aber einmal: mich ging's ja nichts an, ja, ich hatte meinen Spaß an der Schlauheit des Kerls und – und ich war ihm zu Dank verpflichtet. Er hatte oft die Zeche für mich bezahlt und mir, wenn ich sonst in Verlegenheit war, kleinere Summen geliehen, die aber am Ende doch ins Geld liefen, bis es mir zu viel wurde, und ich eines Abends, als er mir wieder eine größere Summe aufdringen wollte, erklärte, das müsse ein Ende nehmen, und ich wolle sehen, wie ich ihm meine Schuld nach und nach abtragen könne. Da holte er – wir waren ganz allein in der Wirtsstube – meine sämtlichen Schuldscheine aus der Tasche, die er jedenfalls schon zu dem Zwecke zu sich gesteckt hatte, und sagte: sehen Sie, Arnold, die trage ich alle nach dem Ofen da und verbrenne sie vor Ihren Augen im Feuer und nehme auch nie wieder eine Verschreibung von Ihnen für die Kleinigkeiten, die ich Ihnen vorstrecke, wenn Sie mir einen Gefallen thun wollen. – Dabei legte er das Paket, das er ordentlich zusammengebunden, vor sich auf den Tisch, faltete die Hände mit den langen schmutzigen Fingern darüber und blinzelte mich schlau aus den schwarzen Augen an. – Erst muß ich hören, um was es sich handelt, sagte ich scheinbar ganz ruhig; aber mir zuckten die Hände, ihm die Schuldscheine aus den Klauen zu reißen und selbst in den Ofen zu werfen. Der Satan wußte es recht gut und daß ich nicht nein sagen würde zu der Kompagnonschaft, die er mir anbieten wollte. Das war vor vier Jahren, Luise. Seitdem habe ich meine Schuld abgetragen; das heißt: seitdem haben seine Leute mein Revier passieren und es sich in meinem Revier bequem machen dürfen, ohne daß ich sie je gesehen habe, wenn sie mir auch an der Nase vorbeigingen, wie neulich, als ich mit Justus von der Saufütterung kam. Und Du weißt, was das heißen will. Mein Revier schneidet bis hart an die Grenze. Sind sie erst einmal über die – und das ist ihre Sache, sind sie bei mir in Sicherheit, und weiter nach T. ist der Weg so gut wie frei.

Und hast Du seitdem kein Geld wieder von ihm genommen? fragte Frau Arnold mit leiser Stimme.

Ich mußte ja erst die alten Quittungen, die in jener Nacht ins Feuer gewandert waren, abverdienen, erwiderte der Förster mit einem kurzen, bitteren Lachen. Sechshundert Mark – das ist kein Spaß, dafür muß man schon arbeiten. Dann, als ich glaubte, daß es genug sei, ja – dann habe ich doch wieder von ihm genommen, aber das hat er wiederbekommen bei Heller und Pfennig – dasselbe Geld, daß Du für Justus zusammengespart, Du gutes Weib, und mir neulich gegeben hast.

Gott segne Dich dafür, murmelte die Frau, sich auf seine Hände beugend, die sie inbrünstig ein paarmal küßte, bevor er abwehren konnte.

Mein Gott, Luise, rief er, wofür küßt Du mir die Hände? Ich sollte sie Dir küssen, wenn ich es noch wert bin. Höre weiter, Schatz, ich bin gleich zu Ende. Ich habe dem Löb den Handel gekündigt, ein für allemal. Erst lachte er und wollte einen Scherz daraus machen; als er aber sah, daß es mir bitter Ernst war, zog er das andere Register auf und sagte: Sie werden ja am besten wissen, was Ihnen zum Vorteil oder Nachteil, und wer Ihren Justus zu Michaelis für zweihundert Mark jährlich in Pension nehmen wird. Von mir können Sie nicht verlangen, daß ich thue, was ich unter den bisherigen Umständen gern gethan hätte, daß heißt: noch ebensoviel zulegen für die Ehre, Ihren Herrn Sohn in meinem Hause zu haben, denn unter vierhundert Mark kann keiner einen jungen Menschen anständig logieren und verköstigen, wenn er nicht aus seinem eigenen Beutel zuschießen soll. Kommen Sie, Arnold, ich nehme ihn für hundert, ich nehme ihn für gar nichts und gebe Ihnen noch hundert, meinetwegen zweihundert dazu, wenn es zwischen uns beim alten bleibt. – Das war gestern in seinem kleinen Comptoir hinter dem Laden, wo ich ihm das Geld auf den Tisch gezählt hatte. Ich erwiderte kein Wort, steckte die Quittung ein, und sah nur noch eben, als ich die Thür hinter mir zumachte, wie sich das grinsende Spitzbubengesicht in eine Teufelsfratze von Gift und Galle verwandelte. Als ich wieder auf der Straße war, sagte ich zu mir: So, den bist du los, aber was soll nun aus dem armen Jungen werden? Du kannst Dir denken, Luise, wie mir zu Mute war, und warum ich gestern abend so arg gestöhnt habe. Ich hatte keine Kopfschmerzen, nur das Schicksal unseres Jungen ging mir durch den Kopf. Und nun weißt Du auch, weshalb ich heute morgen zu allem ja gesagt habe, so schwer es mir geworden ist. Nicht meinethalben, wie sehr es mir auch gegen den Strich geht. Aber ich habe den Jungen jetzt erst kennen gelernt. Er ist nicht so wild und so unverständig wie ich, – Gott sei Dank! sondern fein und klug, wie Du es bist. Nur was den Stolz anbetrifft und den Widerwillen, vor anderen Menschen sich zu bücken und zu katzenbuckeln – da ist er mein richtiger Sohn. Und ich bleibe dabei: er gehört nicht dahin. Was hast Du, Luise?

Sie hatte den Kopf an seine Brust sinken lassen, er konnte nur das noch immer schöne blonde Haar und ein wenig von dem Gesicht sehen, das sehr bleich war.

Was hast Du? wiederholte er ängstlich.

Ich bin so glücklich – so glücklich, murmelte sie mit ersterbender Stimme.

Er schüttelte den Kopf, nahm die Ohnmächtige in seine Arme und trug sie ins Haus.


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