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Neuntes Kapitel.

Von den mächtigen Teppichen, welche den Hintergrund des Zeltes bildeten, hatten sich die dem Sitze des Grafen nächsten unten auseinandergethan und Isabel war herausgetreten. Sie war noch in dem weißen Kleide, das sie vorhin im Wagen gehabt; aber das braune Strohhütchen trug sie jetzt in der Hand. Justus, der ihr Gesicht so genau kannte, bemerkte, daß es sehr blaß war, wie immer, wenn sie etwas stark erregte. Dann erschienen auch ihre Augen größer und dunkler als sonst und so, wie sie es eben waren. Mit ihren leisen und doch festen Schritten kam sie heran, die Augen auf den Grafen gerichtet, vor dem sie stehen blieb, und sagte, zu ihm aufblickend, ohne eine Spur von Erregung in der Stimme:

Wenn Sie Justus so fortschicken, bleibe ich nicht eine Minute länger hier; und Sie wissen sehr wohl, daß Komtesse Sibylle dann schrecklich unglücklich sein wird.

Der Graf wußte es sehr wohl; Sibylle war sein Lieblingskind. Er hatte, als sie den sonderbaren Wunsch aussprach, Isabel als Gefährtin zu haben, nicht Nein zu sagen gewagt, wie wenig auch diese Extravaganz, wie er es nannte, nach seinem Sinne war. Dann hatte ihm die Kleine es angethan, wie allen Leuten, jedenfalls allen Männern, die in ihre Nähe kamen, und ihre Drohung zu gehen traf auch ihn; ohne diese braunen Augen sich gegenüber würde ihm das Familiendiner, zu dem jetzt häufiger als zuvor die jungen Leute herangezogen wurden, sehr verödet erschienen sein. So schämte er sich nicht einmal zu lügen, als er sagte:

Es war so bös nicht gemeint, Fräulein Isabel; aber Ihr Freund verlangte Dinge von mir, die ich ihm beim besten Willen nicht gewähren kann.

Sie wollen also Justus' Vater nicht in seiner Stelle lassen?

Ich kann nicht, liebes Kind.

Komm!

Sie hatte sich, jetzt zum erstenmale, zu Justus gewandt, indem sie ihm zugleich die kleine behandschuhte Hand hinstreckte.

Aber Sie sind toll, Isabel! rief der Graf ärgerlich. Wenn ich sage: ich kann nicht, so meine ich, daß dies eine Angelegenheit ist, über die mein Oberförster zu entscheiden hat. Ich werde ihn mir rufen lassen und mit ihm sprechen.

Das ist nicht genug, sagte Isabel. Hier Justus hat gewiß seit gestern abend keine Stunde geschlafen, nicht wahr Justus? – und ist den weiten Weg hierher gelaufen, ohne daß seine Mutter es weiß – ich habe alles gehört – da hinter dem Teppich. Und ich will nicht, daß er den weiten Weg wieder zurückmacht, und nicht weiß, ob sein Vater fortgeschickt wird, und dann seiner lieben Mutter das Herz bricht. Und nun, zum letztenmale, Herr Graf: soll Justus' Vater seine Stelle behalten, oder nicht?

Nun ja in – Gottes Namen! rief der Graf halb ärgerlich und halb in Entzücken über das süße, zu ihm aufschauende Gesicht. Er soll sie behalten.

Dann zu Justus sich wendend:

Wissen Sie, wann der Herr Oberförster Ihren Vater bestellt hat?

Um zwölf, sagte Justus.

Er hatte nicht bemerkt, daß der Graf ihn plötzlich Sie genannt; aber um Isabels Mund zuckte es blitzschnell: es war ein Kompliment, das der Herr Graf ihr machte.

Der Graf hatte nach der Uhr gesehen:

Es ist jetzt elf, sagte er; ich werde den Herrn Oberförster sofort instruieren.

Er zog an einer Klingelschnur, die von der Decke auf den Tisch herabhing, nahm einen Briefbogen, schrieb ein paar Worte, that den Bogen in ein Couvert, das er adressierte und sagte zu dem Diener, der eilfertig die Seitentreppe vom Schloß herabgekommen war und eben die Veranda betrat:

Dies soll sogleich zum Herrn Oberförster. – Und dann, sich zu Justus wendend, wie zu weiterer Erklärung:

Er wird es in zehn Minuten haben, jedenfalls bevor Ihr Vater sich meldet.

Der Diener war gegangen.

Sind Sie nun zufrieden, Fräulein Isabel?

Sehr! sagte Isabel. Sie hatte dem Grafen die Hand gereicht und blickte mit den großen glänzenden Augen zu ihm auf. Nur zögernd ließ er die Hand los; Isabel lächelte.

Komm, Justus, sagte sie, wir dürfen dem Herrn Grafen nicht länger lästig fallen.

Ich danke Ihnen, danke Ihnen tausendmal, murmelte Justus, dem die Thränen in den Augen standen.

Danken Sie Ihrer kleinen Freundin! sagte der Graf. Wo wollen Sie denn da hin, Isabel?

Isabel hatte Justus, ihn an der Hand fassend, die Verandastufen hinabgeführt und sich in der Richtung nach dem Boskett gewandt.

Komtesse Sibylle und Miß Brown sind in dem Wäldchen, sagte Isabel, bereits über die Schulter. Ich weiß, Komtesse wird sich freuen, Justus zu sehen. Komm, komm, Justus!

Sie ging jetzt eilfertig voran, Justus folgte. Der Graf blickte ihr nach.

Entzückende kleine Hexe, murmelte er; ich glaube, ich werde mich noch in sie verlieben; oder ich bin es schon – närrisch verliebt. Sie hat etwas von – wie hieß sie nur gleich? – vom Odéon – oder den Bouffes! – Mon dieu, habe sie ein Vierteljahr lang, glaube ich, gehabt, und weiß den Namen nicht mehr – lächerlich! – Der Bursche! Hm! Gut, daß ich mich nicht weiter engagiert habe. Man hätte ihn ja bald wieder wegschicken können; aber man übernimmt damit immer Verpflichtungen. Ein frecher Bursch! so einer von dem Holze, aus dem die Socialdemokraten geschnitzt sind. Man ist noch immer zu gutmütig. Hätte den Lump von seinem Vater wegjagen sollen; – die kleine Hexe ist unwiderstehlich. Was für Augen sie hat! Sapristi! was für Augen! – Richtig von den Bouffes! – Coralie! aber lange nicht so hübsch wie die kleine Hexe!

Der Graf hatte ihr nachgeblickt, bis sie jetzt mit ihrem Begleiter nach rechts in dem Wäldchen verschwand. Unterdessen hatte Isabel ihrem Freunde erzählt, wie alles so gekommen war. Sie hatte ihn im Vorüberfahren erkannt und vom Pförtner gehört, wohin er geflohen sei. Sie habe sich sofort gedacht, was ihn hierher geführt, und sei ihm in das Wäldchen nachgelaufen mit der Komtesse und Miß Brown. Ob er nicht gehört, daß sie ihn gerufen hätten? Schließlich seien die beiden anderen umgekehrt, und sie sei eben auch im Begriff gewesen, es zu thun, als sie ihn durch die Büsche erblickt in dem Augenblicke, da er aus dem Wäldchen in den Park trat. Dann sei sie ihm nachgeschlichen und habe hinter den Zeltteppichen alles vernommen. Der Graf sei nicht so schlimm, als er aussehe; sie wenigstens könne ihn um den Finger wickeln; davon werde er – Justus – ja wohl nun überzeugt sein. Übrigens habe auch er seine Sache brav gemacht, besonders darin, daß er sich auf die Idee des Grafen, Armands Kamerad zu werden, nicht weiter eingelassen.

Denn siehst Du, Sonntagskind, sagte sie, hierher ins Schloß gehörst Du nicht. Du mußt immer die Wahrheit sagen; immer, was Du meinst. Das geht hier nicht; damit wärst Du hier in drei Tagen fertig, – wenn's so lange dauert. Mit uns Mädchen ist das anders. Wenn wir etwas gesagt, oder gethan haben, was den einen oder den anderen geärgert hat, so machen wir's wieder gut. Das könnt ihr nicht, das versteht ihr nicht. Ich kann es und lerne es mit jedem Tage besser. Sie haben mich auch alle gern; der Alte am meisten. Armand ist schrecklich verliebt in mich, aber er ist ja doch vorläufig ein dummer Junge. Gestern abend beim Nachhausefahren hat er mir noch eine große Scene gemacht, weil ich mich nur mit Baron Schönau unterhalten hätte, – dem jungen Manne, weißt Du, der neben mir saß. Er hat ein Gut hier in der Nachbarschaft und kommt oft herüber, ich glaube, meinethalben. Wenigstens geht er, wenn er irgend kann, mir nicht von der Seite. Ich mag ihn auch gern; er hat so drollige Einfälle. Die Alte, – die Gräfin, meine ich, – ist entsetzlich. Und so dumm! – Du glaubst nicht, wie dumm sie ist! Außer ihrem bischen Französisch weiß sie rein gar nichts. Der Alte ist gar nicht dumm und steht doch so unter ihrem Pantoffel, – ganz lächerlich, sage ich Dir, bloß weil sie sofort ihre Migräne bekommt, wenn sie etwas haben will und es nicht gleich da ist, oder gleich geschieht. Frauen können eben mit den Männern machen, was sie wollen, weißt Du. Armand ist ihr Liebling; dafür kann sie Sibylle nicht leiden, und der würde es schlecht gehen, wenn sie nicht wieder der Augapfel von dem Alten wäre. Die beiden haben es auch durchgesetzt, daß ich hierher kommen durfte; die Gräfin hat mich nicht gewollt, aber ich werde ganz gut mit ihr fertig. Sibylle betet mich an, und ich habe sie ganz gern, wenn sie auch ein bischen langweilig ist. Und so fromm! schrecklich! Sie sind hier übrigens alle fromm, oder thuen doch so. Ich auch – natürlich. Es ist zum Lachen. Was hast Du? Du sagst ja kein Wort. Bist Du mir böse?

Ich Dir? murmelte Justus; weil Du noch eben so gut zu mir gewesen bist?

Ach, das war nichts; erwiderte sie leichthin; das hat mir Spaß gemacht. Ich meine wegen gestern abend?

Wegen gestern abend?

Thu' doch nur nicht, als wenn Du nicht wüßtest, was ich meine. Aber, siehst Du, es ging nicht anders. Das verstehst Du nicht. Dafür will ich auch so liebenswürdig zu Dir sein, wenn Du, – richtig! heute in vier Wochen, da ist ja mein Namenstag, und Komtesse Sibylle will, daß der gefeiert wird. Da mußt Du kommen.

Ich? sagte Justus. Du hast doch eben selbst gesagt, hierher gehöre ich nicht.

Für gewöhnlich! rief Isabel. Und das sage ich noch einmal. Aber für einen Nachmittag oder Abend, das ist ganz was anderes. Wenn sie mich auch hier alle auf Händen tragen, es darf nicht aussehen, als ob mich das stolz mache.

Und darum soll ich kommen?

Ja.

Ich werde nicht kommen.

Justus!

Sie standen an dem Ausgange des Wäldchens nach der großen Parkstraße, noch von den Büschen verdeckt. Der Diener, der von der Oberförsterei zurück eben an der Stelle vorüberging, hatte sie nicht gesehen.

Justus! wiederholte Isabel.

Sie hatte ihn an der Hand gefaßt, die großen dunklen Augen strahlten ihn an; um den roten Mund schwebte das lieblichste Lächeln.

Justus! sagte sie zum drittenmale. Hast Du mich denn gar nicht ein bischen mehr lieb?

Ein dumpfes Schluchzen war seine ganze Antwort.

Du liebes Sonntagskind!

Sie hatte beide Arme um seinen Hals geschlungen, ihn auf die Lippen geküßt und in die Parkallee hinausgeschoben, während sie selbst sich gewandt und nun durch das Wäldchen den Pfad, auf dem sie gekommen waren, zurückzulaufen begann.


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