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Zehntes Kapitel.

So war das Unwetter, das über dem Försterhause gestanden, ohne loszubrechen, weggezogen, und hinter ihm her schienen helle Tage zu kommen. Für niemand heller als für Frau Arnold, ja, für sie so hell, daß sie nur ein Gebet hatte: der liebe Gott möge ihr das arme Herz vor Freude und Wonne nicht springen lassen, damit sie ihrem Manne beweisen könne, wie dankbar sie für seine Güte sei. War er doch seit jenem Abend, als er mit Justus von dem Futterplatze heimkehrte, wie umgewandelt: freundlich, liebevoll zu ihr, und wenn auch nicht heiter, so doch gelassen, teilnehmend, für sie besorgt. Oft und gern sprach er von Justus' Zukunft, die er sich in seiner phantastischen Weise nicht glänzend genug ausmalen konnte, so daß die glückselige Mutter, wie gern sie sich selbst in solchen Träumen wiegle, heimlich lächeln mußte. Da hatte sie dem Gatten denn auch, – sie durfte es jetzt, – mehr noch: es war in ihren Augen heilige Pflicht, – das Geheimnis ihres Schatzes anvertraut, den sie für Justus' Pension aufgespeichert. Er hatte sie freundlich gescholten, nicht, weil sie es so lange vor ihm verborgen gehalten: er habe ja ihr Vertrauen nicht verdient, – sondern weil sie ihr bischen Kraft in den nächtlichen Arbeiten vollends darangegeben. Davon dürfe nun nicht mehr die Rede sein. Das alles werde jetzt er in die Hand nehmen. Wenn er das Geld, das er bisher ins Wirtshaus getragen und vertrunken und verspielt habe, zusammenhalte, werde am Ende des Jahres beinahe schon das Nötige zusammen kommen, und wenn ja noch etwas fehle, nun, – das würde sich auch wohl finden. Er wisse nicht, wo und wie; aber es müßte doch sonderbar zugehen, wenn ein Mann wie er, der die Kraft für fünf habe und auch sonst nicht gerade auf den Kopf gefallen sei, das nicht fertig bringe.

Nach solchen Worten, die er mit seiner tönenden Stimme gesprochen, während er mit großen Schritten in dem Wohnstübchen auf und ab ging, hatte er ihr dann einen Kuß gegeben, der noch stundenlang in ihrem Herzen nachzitterte; die Flinte vom Pflock genommen und war in das Revier gegangen. Da brachte er, der es sonst mit seinen Pflichten nur zu leicht genommen, jetzt beinahe den ganzen Tag zu und manchmal sogar halbe Nächte. Der Herr Oberförster hatte es mit Genugthuung bemerkt, wie er der glücklichen Frau im Vorüberfahren an der Försterei gelegentlich mitteilte; und er würde gern eine Aufbesserung des in der That ein wenig knappen Gehaltes und eine Renovierung des freilich recht baufälligen Hauses befürworten; aber Frau Arnold wisse wohl, daß der Herr Graf auf dem Ohre nicht gut höre. Wenn man allerdings, wie der Herr Graf, für tausende zu sorgen habe, so sei es immer bedenklich, A zu sagen, weil dahinter das ganze Alphabet komme; indessen einmal müsse doch der Anfang gemacht werden. Das sei auch die Meinung des Herrn Oberdirektors. Übrigens sei es ein rechtes Glück, daß die kleine Isabel von dem Pfarrer Szonsalla die Affaire neulich, die leicht schlimm hätte ablaufen können, ins Gleiche gebracht habe. Der Herr Graf könne gar nicht genug rühmen, wie klug und mutig sie gewesen sei. Nun, der kleinen Hexe mit den braunen Glanzaugen dürfe man das schon zutrauen. Von der würde man noch Wunderdinge erleben; auf dem Schlosse tanze schon alles nach ihrer Pfeife.

Justus hatte innig gewünscht, daß sein Gang nach dem Schlosse vor der Mutter und nun gar vor dem Vater geheim bleiben möge; aber schon nach wenigen Tagen war, was da vorgegangen, in aller Munde. Der Diener, der den Brief des Grafen auf die Oberförsterei brachte, hatte geplaudert, der Graf selbst nicht geschwiegen, im Gegenteil den Sachverhalt erst im Kreise der Familie, dann auch seinen Gästen erzählt. Man rühmte oder verspottete seine Großmut, fand das Benehmen des Försterjungen recht brav und war darin einig, daß die kleine Isabel eine Heldin sei, wenn sie auch das ihr von allen Seiten gespendete Lob bescheiden abwehrte und meinte, sie habe für ihren alten Schulkameraden, der ihr so oft bei ihren Arbeiten geholfen, nicht weniger thun können.

In dem Försterhause wurde von der Sache nicht weiter gesprochen, selbst nicht zwischen Justus und der Mutter. Der Förster selbst hatte nur in den ersten Tagen seine Frau einmal kurz gefragt, ob es wahr sei, was sich die Leute erzählten? Sie hatte, seinen leicht verletzlichen Stolz fürchtend, nur zögernd bejaht; er hatte nichts erwidert; aber sie bemerkte wohl, daß seine großen schönen Augen jetzt oft auf dem Sohne mit einem Ausdruck ruhten, den sie nie zuvor gesehen! einem Ausdruck achtungsvoller Liebe. Und heute hatte er, als sie wieder diesen Ausdruck beobachtet und ihm in stummer Dankbarkeit die Hände geküßt hatte, vor sich hingemurmelt: Ich habe an ihm viel wieder gut zu machen.

Dann war er ins Revier und Justus zu Pfarrer Szonsolla gegangen. Sie aber schlich in das Hinterstübchen, nahm aus dem alten Schrank das schwarze Kästchen und aus dem schwarzen Kästchen die mit dem vermürbten schwarzen Bande zusammengebundenen Briefe des Predigeramtskandidaten und späteren Predigers Hermann August Bürger nebst der aschblonden Locke am blaßblauen Seidenbändchen und der Photographie, trug ihren Reliquienschatz in die Küche, wo auf dem Herd noch das Feuer vom Morgenkaffee schwälte, schürte das Feuer an und verbrannte die so lange Jahre behüteten Kleinode Stück für Stück. Das arme kranke Herz schlug ihr dabei furchtbar und ihre Lippen zitterten; aber, als nun alles Asche geworden, und der letzte Funke verglimmt war, atmete sie tief auf und flüsterte vor sich hin: Ich habe auch an ihm viel wieder gut zu machen.

Als Justus nach Hause kam, hörte er die Mutter in der Wohnstube singen, – mit leiser zitternder Stimme; aber doch singen, – zum erstenmale in seinem Leben. Es berührte ihn gar sonderbar und erschreckte ihn eigentlich.

Das alte Volkswort, daß, wenn Menschen etwas ihnen ganz Ungewöhnliches thun, es ein Vorzeichen ihres Todes sei, fuhr ihm durch die Seele, und er wünschte, er hätte die Mutter nicht singen hören.

Es stand ihm auch sonst nicht nach Singen und Singenhören der trübe Sinn. Die Ereignisse an jenem Morgen auf dem Schlosse hatten einen Aufruhr in seiner Seele erregt, der sich nicht legen wollte. Er war sich vollkommen bewußt, das ohne Isabels Dazwischenkunft sein Bittgang vergeblich gewesen sein würde. Wie hart und drohend hatten die Augen unter den buschigen Brauen auf ihn geblickt! wie mitleidslos war die heisere, hohle Stimme gewesen! Wie so gar nichts hatte daran gefehlt, daß die große, weiße Hand sich nach der Klingelschnur gestreckt, den Bedienten herbeizurufen, der den lästigen Bettler aus dem Garten weisen sollte! Und der Vater, die Mutter und er irrten dann jetzt auf der heißen Landstraße, während der Ogre im kühlen Schatten seines Zeltes auf das Plätschern des Springbrunnens im Teiche hörte, unter dessen blitzendem Staubregen die schwarzen Schwäne gelassen ruderten. Ach, es war so schön, so märchenhaft schön gewesen, das weiße Schloß mit den großen Körben der bunten Blumen und den Marmorstatuen und den sanften Treppen abwärts zu dem blauen Teich und den bunten Kähnen! Es war immer sein Traum gewesen, einmal so auf dem Wasser in einem Kahne zu schwimmen. Isabel durfte es jetzt!

Isabel!

Ja, sie war seine Retterin aus den Tatzen des Ogre, und damit war das ganze Märchen, das er nun schon beinahe fertig im Kopf getragen, völlig aus den Fugen. Die Metamorphose des Prinzen in einen Försterburschen war ihm verhältnismäßig leicht geworden, ja, das Märchen hatte dadurch gewonnen: je ärmer und verlassener der Held, desto größer sein Ruhm, wenn er nun doch die große That ausführte. Aber er hatte sie ja nicht ausgeführt; nicht er hatte die Fee, sie hatte ihn gerettet. Da war es denn begreiflich, wenn der Held sich gar nicht mehr als Held, sondern als der fühlte, der er war: ein armer Junge, – ein armer verlassener Junge. Nicht mehr. Und niemand wußte das besser als die Fee. Hatte sie es ihm nicht gerade ins Gesicht gesagt, so war es doch aus ihren Worten herauszuhören gewesen: Du gehörst nicht hierher! – Das verstehst Du nicht! – Nein, ich gehöre nicht dahin; und ich will es auch nicht verstehen, wie man es anfängt, zu verschweigen, was man meint, und zu sagen, was man nicht meint. Sie kann es und lernt es mit jedem Tage besser, – im Verkehr vielleicht mit dem jungen Grafen Armand, der schrecklich verliebt in sie ist, und dem Herrn Baron, der so oft herüberkommt, – nur ihrethalben! und so drollige Einfälle hat! Da bin ich denn freilich überflüssig. Und ehe ich zu ihrem Namenstage auf das Schloß gehe und mich von den Junkern auslachen lasse, – eher will ich sterben.

Dieser Entschluß, den sich Justus ein dutzendmal am Tage wiederholte, verhinderte in nichts, daß er vor Sehnsucht nach dem Wiedersehen der kleinen Zauberin fast verging; und diese Sehnsucht brachte es wieder mit sich, daß er sich das Wiedersehen immer von neuem ausmalte und zwar in der Form, in der es allein Wirklichkeit werden zu können schien: in der Form seiner Teilnahme an ihrem Namensfeste. Dann war in seiner Phantasie der arme Försterbursche wieder der Prinz geworden, der sich unbekannt in die Schar ihrer Bewerber mischt, die er alle an Tapferkeit und Gewandtheit weit überragt, bis er sich zu erkennen giebt und aus ihren kleinen weißen Händen den Lorbeerkranz des Siegers empfängt.

Doch das waren nur glänzende Lichter, die flüchtig über den dunklen Untergrund seines Trübsinnes huschten, in welchem er einen Genossen hatte: den Pfarrer Szonsalla. Vielmehr der gute Mann hatte den Knaben erst zu seinem Genossen gemacht, indem er ihm mit einer Offenherzigkeit sein Leid klagte, die von dem Unterschied des Alters und von dem Respektsverhältnis des Schülers zum Lehrer nichts wußte.

O, die süße kleine Hexe, die böse kleine Hexe, jammerte er. Sie weiß, daß ihr alter Onkel ohne sie nicht leben kann, und verläßt ihn doch, – läßt ihn in seinem Elend, ohne ein Wort der Entschuldigung, des Trostes, des Mitleids, als ob er ein schlechter Hund wäre, er, der sie so geliebt hat, der sie so liebt, der nichts auf der weiten Erde zum Lieben hat, – nur sie! Ach, Justus, welch' Abgrund von Undankbarkeit ist das menschliche Herz! Nein, nein! nicht das menschliche Herz! meines ist nicht undankbar! Ich danke jedem Sonnenstrahl, der mich trifft, jedem Vogelgesang, der aus den Zweigen tönt; Deinem Vater, wenn er mir früher und jetzt wieder stundenlang so schön auf meinem Klapperkasten von Klavier vorspielt; meinem alten Karo, wenn er mir auf der Schwelle vor Freude winselnd entgegen kommt. Und Dein Herz, mein armer Justus, ist auch nicht undankbar, ich weiß es; aber ihres, ihres! Trau ihr nicht! nicht über den Weg, auch wenn sie Dich ›lieber Justus‹ nennt und ›mein Sonntagskind‹ und Dir die Backen streichelt, und am wenigsten, wenn sie Dich küßt! Glaube mir, sie will dann etwas von Dir; und wenn sie hat, was sie will, existierst Du nicht mehr für sie. Sie liebt keinen Menschen auf der Welt: nicht mich, nicht Dich, nicht die liebe, herzige Komtesse, – niemand, niemand, nur sich selbst. Das ist ihre Anbetung, ihre Religion. Sie weiß nichts von dem süßen Jesus, der sein Blut für die Menschen ließ; von der gnadenreichen Mutter Gottes, die den Sohn sterben sehen mußte und die sieben Schwerter dafür eintauschte, die ihr das Herz durchbohren. Sie ist eine Heidin, und schlimmer als das, denn auch die Heiden kannten die Liebe. Ja, wer weiß, ob sie nicht gar eine Teufelin ist und mir gesandt um meiner großen Sünden willen, meine Seele zu holen, wenn das Maß voll ist. Oder ist es bereits voll, und hat sie meine Seele schon in ihren kleinen weißen Händen? Ich glaub's manchmal, Justus; beim heiligen Kreuz, ich glaub's! Es geht nicht zu mit rechten Dingen. Wie könnte sie mich alten armen Mann sonst zum Sklaven, zum Idioten machen, der sich so sehnt nach ihr, die nichts von ihm wissen will, ach, so sehr sehnt! Am Tage und tagsüber geht's noch zur Not, Justus; aber wenn der Abend kommt! Vor dem fürchte ich mich. Dann ist mein Herz so voll, und um mich her ist es so leer, als wäre da nichts, woran ich mich halten könnte, und ich müßte ins Bodenlose versinken. Und siehst Du, Justus, dann muß ich trinken, trinken, bis ich sie vergesse, die süße geliebte kleine Hexe; und mich vergesse und die Welt vergesse, die mir ohne sie eine greuliche Wüste ist. Ach, Justus, mein Sohn, ich denke, wir setzen die Virgilstunde morgen fort. Da ist mir vielleicht weniger schwer ums Herz. Und überhaupt, es ist ja die reine Großmut von Dir, daß Du noch zu mir altem thörichten Manne kommst unter dem Vorwande, von mir Lateinisch zu lernen. Du verstehst längst mehr davon, als ich je verstanden habe. Und, Justus, wie ist es? willst Du sie morgen zu ihrem Namenstage besuchen? Mich hat man nicht eingeladen, – natürlich! Laß mich doch noch einmal das Briefchen sehen, das sie Dir geschrieben! Ach, welch' feste Hand die kleine Hexe schreibt! Wahrhaftig wie ein Mann! Und dabei doch so, daß es kein Mann geschrieben haben könnte: so, – ich kann das nicht erklären, Justus. Ich könnte es wohl, wenn ich nur die Worte fände. Aber das wird mir jetzt oft so schwer. Ich muß mich manchmal auf meinen Namen besinnen: Pietrek Szonsalla! Ja! und zu denken, daß ich immer der erste war in der Klosterschule und im Seminar; und sie sagten, ich würde es noch zum Kardinal bringen! O ja! wenn ich ein Kardinal wäre und in dem herrlichen Rom einen schönen Palast hätte da oben am Lateran! Nicht wahr, Justus! da würde sie nicht zu dem Herrn Grafen zu laufen brauchen, sondern bei mir bleiben und mich gern Papa nennen, wenn wir allein wären. Einmal und das andere Mal hat sie's gethan, und dabei blitzte ihr der Schelm aus den Augen. Nun geh mit Gott, mein Sohn! Geh in den Wald und höre die Vögel singen! Ich ginge gern mit Dir. Aber ich bin müde, so müde! Ich will mich schlafen legen; und ich wünschte bei Gott, ich wachte nicht wieder auf. Geh, mein Sohn! geh in den Wald!


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